HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

September 2003
4. Jahrgang
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III. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)


Entscheidung

BGH 2 StR 173/03 - Beschluss vom 3. Juli 2003 (LG Wiesbaden)

Unzulässige Revision der Nebenklage (Gesetzesverletzung; besonders behandelte Strafzumessungsvorschrift des besonders schweren Falls der Vergewaltigung; Tenorierung).

§ 400 Abs. 1 StPO; § 260 Abs. 4 StPO; § 177 Abs. 2 StGB; § 46 StGB

Rügt die Nebenklage die unterlassene Anwendung einer Strafzumessungsvorschrift, so stellt sich dies auch dann nur als ein Begehren der Änderung der Rechtsfolgen der Tat dar, wenn die Strafzumessungsvorschrift - entgegen der Regel, dass Strafzumessungsvorschriften nicht in die Urteilsformel aufzunehmen sind, vgl. zuletzt BGH 3 StR 212/02, Beschluss vom 11. Februar 2003 - im Tenor Ausdruck findet, wie dies bei Vergewaltigung gem. § 177 Abs. 2 StGB der Fall ist. Die darauf gestützte Revision der Nebenklage ist demnach unzulässig.


Entscheidung

BGH 4 StR 265/03 - Beschluss vom 22. Juli 2003 (LG Halle)

Schwerer Raub (Verwendung einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeuges; sukzessive Mittäterschaft durch Fortsetzung der Tat unter veränderten Bedingungen; Vollendung; Beendigung); Sicherungsverwahrung; Vernehmung eines Sachverständigen nach § 246a StPO (Weigerung zur Exploration; Umstände eines möglichen Verzichts auf die gutachterliche Stellungnahme).

§ 250 Abs. 2 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 66 StGB; § 246a StPO

1. Es ist rechtsfehlerhaft, allein wegen der Weigerung des Angeklagten, sich einer Exploration durch den Sachverständigen zu unterziehen, auf die Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme des Sachverständigen zu verzichten.

2. In Fällen strikter Weigerung des Angeklagten, sich einer Exploration zu unterziehen, kann unter Umständen auf eine Untersuchung im Sinne von § 246 a Satz 2 StPO verzichtet werden. Das gilt jedoch nicht ohne weiteres auch für die gutachterliche Äußerung zur Frage der Hangtäterschaft des Angeklagten als solche, solange mit dem Akteninhalt, den Vorstrafakten, dem Eindruck vom Angeklagten in der Hauptverhandlung und möglicherweise weiteren Erkenntnissen über die Persönlichkeit des Angeklagten, wie sie etwa aus seinem Verhalten im Vollzug gewonnen werden können, geeignete Anknüpfungstatsachen vorliegen, die eine gutachterliche Äußerung zulassen (vgl. BGHR aaO). Dass die Beurteilungsgrundlage für den Sachverständigen bei einer Weigerung des Angeklagten, sich explorieren zu lassen, nur eingeschränkt ist, macht die Bewertung deshalb noch nicht unmöglich.


Entscheidung

BGH 2 StR 146/03 - Beschluss vom 9. Juli 2003 (LG Bonn)

Ausnahmsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zur Erhebung von Verfahrensrügen (Verschulden; Irrtum über Zulässigkeit der Unterbevollmächtigung: bloße Formfehler).

§ 44 StPO; § 345 Abs. 2 StPO

1. Der Pflichtverteidiger kann nicht durch eine Unterbevollmächtigung eines Sozius seine Befugnisse wirksam übertragen (BGHR StPO § 349 Abs. 1 Einlegungsmangel 2; BGH StV 1981, 393).

2. Zwar kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung der Verfahrensrügen grundsätzlich nicht in Betracht, wenn die Revision in anderer Weise form- und fristgerecht begründet wurde (BGHSt 1, 44; 31, 161, 163; NStZ 1981, 110).

3. Anders aber als in den Fällen, in denen nach Fristablauf neue Revisionsangriffe durch bisher nicht erhobene Verfahrensrügen geführt werden sollen, lagen hier die Verfahrensrügen bei Ablauf der Revisionsbegründungsfrist dem Gericht - wenn auch mangels wirksamer Unterschrift nicht formgültig erhoben - vor. Da damit der Sache nach keine Verfahrensrügen nachgeschoben worden sind, sondern lediglich ein Formfehler beseitigt werden soll, erscheint es gerechtfertigt, dem Interesse des Angeklagten, seine Beschwerden erschöpfend vorzubringen, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Rechtsmittelfristen größeres Gewicht beizumessen. Dies hat der Bundesgerichtshof bereits für den Fall entschieden, bei dem ein an sich rechtzeitig eingegangener Schriftsatz mit weiteren Verfahrensrügen versehentlich nicht unterzeichnet war (BGHSt 31, 161, 163).

4. Nichts anderes kann für die unzulässige Unterzeichnung der Revisionsbegründung durch einen Sozius des Pflichtverteidigers gelten, denn auch in diesem Fall fehlt eine "rechtswirksame" Unterschrift.


Entscheidung

BGH 2 StR 134/03 - Beschluss vom 9. Juli 2003 (LG Mainz)

Feststellungs- und Begründungserfordernisse bei Mittäterschaft (Tatbeitrag; Beihilfe).

§ 25 Abs. 2 StGB; § 27 StGB; § 261 StPO

Eine ausdrückliche Begründung der Bewertung eines Tatbeitrags als Mittäterschaft ist unverzichtbar, wenn sich auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen diese Bewertung nicht ohne weiteres ergibt. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Angeklagte zwar an der Tatplanung und an den Vorbereitungshandlungen beteiligt war, nicht aber an der eigentlichen Tatausführung, über die Einzelheiten der Tatausführung nicht informiert war und er von der Tatbeute nichts erhalten hat. Unter diesen Umständen muss das Tatgericht aufgrund einer umfassenden Betrachtung der Tatbeiträge des Angeklagten nachprüfbar darlegen, warum es von Mittäterschaft und nicht von Beihilfe ausgegangen ist.


Entscheidung

BGH 5 StR 22/03 - Beschluss vom 22. Juli 2003 (LG Hamburg)

Spezialitätsgrundsatz (Auslieferung; abweichende Beurteilung durch die Gerichte des ersuchenden Staates; Begriff der prozessualen Tat); Vorlage nach dem EuGH-Gesetz (Zweifel).

§ 72 IRG; EU-Übereinkommen über das vereinfachte Auslieferungsverfahren vom 10. März 1995; Art. 51 lit. a SDÜ; Art. 10 des Übereinkommens über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 27. September 1996; § 1 Abs. 2 EuGH-Gesetz; § 264 StPO

1. Die Gerichte des ersuchenden Staates sind nicht gehindert, innerhalb des historischen Lebenssachverhaltes die Tat abweichend rechtlich oder tatsächlich zu beurteilen, soweit insofern ebenfalls Auslieferungsfähigkeit besteht (BGH NStZ 1986, 557).

2. Der nationale Tatrichter des ersuchenden Staates ist nicht gehindert, einzelne Teilakte der Verurteilung zugrunde zu legen, auch wenn diese in dem Auslieferungshaftbefehl nicht enthalten sind (BGH NStZ 1995, 608).


Entscheidung

BGH 1 StR 269/02 - Urteil vom 26. Juni 2003 (LG Regensburg)

Beweiswürdigung bei Strafverfahren wegen ärztlicher Fehlbehandlungen (fahrlässige Tötung; lebensfremde Feststellungen des Tatrichters; gebotene Gewissheit; kein Anscheinsbeweis im Strafprozess hinsichtlich fehlerhafter Beweiswürdigung; Grenzen der Revisibilität; Zweifelssatz: keine Unterstellung von Tatvarianten ohne Anhaltspunkte; Arztstrafrecht); Abgrenzung Tun / Unterlassen nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit; Vorsatz (Billigung im Rechtssinne; Feststellung innerer Tatsachen: Schluss aus der Interessenlage).

§ 222 StGB; § 13 StGB; § 15 StGB; § 261 StPO

1. Kann der Tatrichter die erforderliche Gewissheit nicht gewinnen und zieht er die hiernach gebotene Konsequenz, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich auch nicht allein dadurch etwas, daß eine vom Tatrichter getroffene Feststellung "lebensfremd erscheinen" (BGH NStZ 1984, 180) mag: Es gibt im Strafprozess keinen Beweis des ersten Anscheins, der nicht auf Gewissheit, sondern auf der Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufs beruht.

2. Eine Beweiswürdigung ist demgegenüber etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (st. Rspr., vgl. BGH NJW 2002, 2188, 2189 m.N.). Dies ist auch dann der Fall, wenn eine nach den Feststellungen nahe liegende Schlussfolgerung nicht gezogen ist, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (BGH NJW 2002, 2188, 2189 m.N.).

3. Die Annahme, dass die Art und Weise der Behandlung eines Patienten durch einen Arzt nicht am Wohl des Patienten orientiert war, wird auch bei medizinisch grob fehlerhaftem Verhalten des Arztes häufig fern liegen, so dass die ausdrückliche Erörterung der Frage, ob der Arzt den Patienten vorsätzlich an Leben oder Gesundheit geschädigt hat, nur unter besonderen Umständen geboten ist.

4. Grundlage von Feststellungen zu "inneren Tatsachen" können zunächst Angaben des Angeklagten selbst sein. Äußert sich der Angeklagte nicht, sind nur Rückschlüsse möglich. Neben dem äußeren Tatgeschehen als solchem können je nach den Umständen des Falles auch Erkenntnisse zur Interessenlage des Angeklagten ein wichtiger Anhaltspunkt sein, also zur Frage, was er mit seinem Tun bezweckte (vgl. BGH NJW 1991, 2094 m.N.).


Entscheidung

BGH 2 StR 531/02 - Urteil vom 11. Juli 2003 (LG Bonn)

Gesetzlicher Richter / Zuständigkeit (Geschäftsverteilungsplan; Heilung falscher Zuständigkeitsbestimmung: Eröffnungsbeschluss, Terminsbestimmung; objektive Willkür); verminderte Schuldfähigkeit (Steuerungsfähigkeit; Einsichtsfähigkeit; Hemmungsfähigkeit); Mord (niedrige Beweggründe: politische Motive, Entpersönlichung, Tötung eines Repräsentanten einer Gruppe); Zweifelssatz (in dubio pro reo; Unterlassungstäterschaft als mildeste Tatvariante; unechte Wahrunterstellung).

§ 338 Nr. 1 StPO; § 21 StGB; § 211 StGB; § 13 StGB; § 261 StPO

1. Eine Bestimmung in einem Geschäftsverteilungsplan, wonach in Strafsachen Abgaben aus Gründen der geschäftsplanmäßigen Zuständigkeit nur so lange erfolgen, als noch nicht Hauptverhandlungstermin bestimmt worden oder ein Eröffnungsbeschluss ergangen ist und von diesem Zeitpunkt an eine ursprünglich falsche Zuständigkeitsbestimmung als geheilt gilt, ist grundsätzlich wirksam. Diese Bestimmung steht jedoch unter einem ungeschriebenen Willkürvorbehalt. Sehenden Auges in Kauf genommene Gesetzeswidrigkeiten oder objektive Willkür bei der Zuständigkeitsbestimmung eines Spruchkörpers können nicht durch Erlass eines Eröffnungsbeschlusses oder durch Terminierung geheilt werden.

2. Auch "politische" Motive können niedrige Beweggründe im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB sein können. Das gilt namentlich dann, wenn dem Opfer allein wegen seiner Zugehörigkeit zu einer politischen, sozialen oder ethnischen Gruppe das Lebensrecht abgesprochen und es in

entpersönlichter Weise quasi als Repräsentant einer Gruppe getötet werden soll.

3. Lässt sich nicht aufklären, ob ein Angeklagter sich wegen aktiver Mittäterschaft oder wegen eines Unterlassungsdeliktes schuldig gemacht hat, so führt der Zweifelssatz nicht zur Straflosigkeit des Angeklagten, sondern zur Verurteilung auf der Grundlage der milderen Alternative, also der Unterlassenstäterschaft (vgl. § 13 Abs. 2 StGB).


Entscheidung

BGH 4 StR 181/03 - Beschluss vom 1. Juli 2003

Unzulässige Revision (fehlende Revisionsbegründung / fehlender Revisionsantrag; keine Wiedereröffnung der Rechtsbehelfseinlegungsfrist durch eine erneute Zustellung zum Verteidiger).

§ 345 Abs. 1 StPO; § 145a Abs. 3 StPO; § 37 Abs. 2 StPO

Ist gleichwohl entgegen § 145a Abs. 3 StPO das Urteil neben dem Angeklagten auch dem Verteidiger zugestellt worden, so richtet sich zwar gemäß § 37 Abs. 2 StPO die Berechnung der Frist nach der zuletzt bewirkten Zustellung. Dies gilt allerdings nicht, wenn, die durch die erste Zustellung eröffnete Frist bereits abgelaufen war; sie wird durch die Zustellung an einen weiteren Empfangsberechtigten nicht wiedereröffnet.


Entscheidung

BGH 5 StR 199/03 - Beschluss vom 21. Mai 2003 (LG Zwickau)

Angemessenheit der Gesamtstrafe; Bindungswirkung der Revisionsentscheidung; Urteilsgründe; Serienstraftaten; Strafzumessung.

§ 54 StGB; § 358 Abs. 1 StPO; § 267 StPO

1. Die Auffassung des Revisionsgerichts über die Angemessenheit der Gesamtstrafe entfaltet für den neu entscheidenden Tatrichter keine Bindungswirkung (vgl. BGHSt 7, 86, 87 f.).

2. Will das nach Zurückverweisung durch das Revisionsgericht neu entscheidende Tatgericht trotz Wegfalls von Einzelstrafen auf dieselbe Gesamtstrafe wie das zunächst verurteilende Tatgericht erkennen, so bedarf dies besonders sorgfältiger Begründung (vgl. BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 8; § 46 Abs. 1 Begründung 13). Die Urteilsgründe müssen namentlich erkennen lassen, warum sich der Wegfall von Einzelstrafen nicht auf die Höhe der Gesamtstrafe ausgewirkt hat.


Entscheidung

BGH 5 StR 581/02 - Urteil vom 31. Juli 2003 (LG Cottbus)

Mord; Beweiswürdigung (Grenzen der Revisibilität; Freispruch; Gewissheit; Überzeugungsbildung; Indizien: Vielzahl, Verdichtung zur Überzeugung von der Schuld des Angeklagten); Spontanäußerungen (Vernehmung; Selbstvorwürfe ohne strafrechtlichen Hintergrund).

§ 136 StPO; § 211 StGB; § 261 StPO

1. Die revisionsrechtliche Prüfung der Beweiswürdigung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gegen sichere Erfahrungssätze verstößt oder an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (st. Rspr.: vgl. BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 22, 25 und Beweiswürdigung 16; BGH StV 1994, 580).

2. Wenn verschiedene Indizien jeweils tendenziell auf die Schuld eines Angeklagten hindeuten, jedes für sich zum Nachweis der Täterschaft jedoch nicht ausreicht, so kann eine zusammenfassende Bewertung die notwendige Überzeugung von der Schuld des Angeklagten begründen (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2). Kann hingegen jedes einzelne dieser Indizien ohne strafrechtlich relevante Interpretation gedeutet werden, so muss auch eine Vielzahl von Indizien in ihrer Gesamtheit sich nicht zur Überzeugung des Gerichts von der Schuld des Angeklagten verdichten.


Entscheidung

BGH 2 StR 226/03 - Beschluss vom 11. Juli 2003 (LG Hanau)

Wirksamer Rechtsmittelverzicht (Verhandlungsfähigkeit: Irrelevanz eines behaupteten Schockzustandes).

§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO

Die Erklärung des Angeklagten, er sei auf Grund eines Schockzustandes bei der Urteilsverkündung sich der Tragweite seiner Verzichtserklärung nicht bewusst gewesen, begründet keine Zweifel an seiner Verhandlungsfähigkeit. Diese Fähigkeit wird in der Regel nur durch schwere körperliche oder seelische Mängel ausgeschlossen, für die hier keine Anhaltspunkte vorliegen. Dass der Angeklagte anderen Sinnes geworden ist und nunmehr Wert auf die Durchführung der Revision legt, ist rechtlich ohne Bedeutung, weil der wirksam erklärte Verzicht weder widerrufen noch zurückgenommen werden kann (st. Rspr.; vgl. BGHSt 45, 51, 53; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 1).


Entscheidung

BGH 3 StR 130/03 - Urteil vom 10. Juli 2003 (LG Oldenburg)

Verfahrensrüge; Beweisantrag (völlig ungeeignetes Beweismittel: Sachverständiger - Anknüpfungstatsachen); Beweiswürdigung (Freispruch; Darstellungsmangel; "Aussage gegen Aussage"; Zweifelssatz; Überzeugungsbildung); Urteilsgründe.

§ 244 Abs. 2 StPO; § 267 StPO; § 261 StPO

1. Ein Beweisantrag kann nur dann wegen völliger Ungeeignetheit des Beweismittels abgelehnt werden, wenn das Gericht ohne Rücksicht auf das bisherige Beweisergebnis feststellen kann, dass sich das in dem Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis mit dem angebotenen Beweismittel nach sicherer Lebenserfahrung nicht erzielen lässt, so dass die Erhebung des Beweises sich in

einer reinen Förmlichkeit erschöpft. Ein Sachverständiger ist u. a. dann ein völlig ungeeignetes Beweismittel, wenn es nicht möglich ist, ihm die sicheren tatsächlichen Grundlagen zu verschaffen, die er für sein Gutachten benötigt (vgl. BGHSt 14, 339, 342 f.; BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 6 und 16).

2. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter im Urteil zunächst diejenigen Tatsachen bezeichnen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen er die für eine Verurteilung erforderlichen zusätzlichen Feststellungen nicht treffen konnte (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 11 und 12).

3. Die Urteilsgründe müssen insgesamt eine geeignete Grundlage für die Nachprüfung durch das Revisionsgericht darstellen, ob der Freispruch auf bedenkensfreien Erwägungen beruht (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 2 und 5).


Entscheidung

BGH 2 StR 486/02 - Urteil vom 28. Mai 2003 (LG Kassel)

Wahrunterstellung (Erörterungsmangel: Umfang der Erörterungspflicht; Aufdrängen; lückenhafte Beweislage); Beweiswürdigung (Glaubwürdigkeit; Überzeugungsbildung).

§ 244 StPO; § 267 StPO; § 261 StPO

Eine Auseinandersetzung mit im Rahmen der Ablehnung eines Beweisantrages als wahr unterstellten Tatsachen in den Urteilsgründen ist nur dann erforderlich, wenn sie sich angesichts der im übrigen gegebenen Beweislage aufdrängt und die Beweislage sich sonst als lückenhaft erwiese (BGH BGHR StPO § 244 Abs. 3). Eine generelle Erörterungspflicht ergibt sich aus der Wahrunterstellung bestimmter Tatsachen nicht.


Entscheidung

BGH 2 ARs 164/03 / 2 AR 101/03 - Beschluss vom 14. Mai 2003

Richterliche Untersuchungshandlung; Zuständigkeitsbestimmung (Telekommunikationsüberwachung; Identität des Inhabers eines eMail-Anschlusses; Auskunftserteilung).

§ 100 g StPO; § 100 h StPO; § 162 Abs. 1 StPO; § 14 StPO

Handelt es sich um den Antrag auf Anordnung einer Auskunftserteilung, so kommt es für die Zuständigkeit gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 StPO darauf an, wo die Auskunft zu erteilen und wo die Anordnung gegebenenfalls zu vollstrecken wäre.


Entscheidung

BGH 4 StR 157/02 - Beschluss vom 21. Mai 2003 (LG Bochum)

Entbehrlichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Begründung der Revision (wirksame Revisionsbegründung bei nachträglich korrigierter Zustellung; Prüfungsumfang der Sachrüge; Begründungsergänzung bis zur Revisionsentscheidung).

§ 352 StPO; § 44 StPO; § 267 StPO; § 345 Abs. 1 StPO

1. Der Umstand, dass eine wirksame - wegen vorangegangener Mängel erneute - Zustellung des Urteils für den Beginn dieser Begründungsfrist noch ausstand (§§ 343 Abs. 2, 345 Abs. 1 Satz 2 StPO) und erst später nachgeholt wurde, berührt die Zulässigkeit der bereits erhobenen Rüge nicht. Dabei steht es dem Beschwerdeführer offen, die Sachrüge bis zur bis zur Entscheidung des Revisionsgerichts näher auszuführen (BGH NStZ 1988, 17, 20), ohne nach der erneuten Zustellung des Urteils an die Frist des § 345 Abs. 1 StPO gebunden zu sein.

2. Der Senat ist auf die ordnungsgemäß erhobene Sachrüge hin verpflichtet, das Urteil unter jedem Gesichtspunkt auf eine Verletzung des materiellen Rechts zu prüfen (BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 9, 10 a.E.).


Entscheidung

BGH 2 ARs 82/03 / 2 AR 53/03 - Beschluss vom 28. Mai 2003 (OLG Celle)

Zuständigkeit des Oberlandesgerichts (Klageerzwingungsverfahren; Anfechtung der Entscheidungen des Oberlandesgerichts; erster Rechtszug; unzulässige Gegenvorstellung zum BGH).

§ 304 StPO Abs. 4 StPO

Im Klageerzwingungsverfahren ist das Oberlandesgericht zwar als erstes Gericht mit der Sache befasst, jedoch nicht im Sinne des § 304 Abs. 4 Satz 2 2. Halbsatz im ersten Rechtszug zuständig. Dies ist vielmehr, wenn das Oberlandesgericht die Klageerhebung anordnet, ein Amts- oder Landgericht. Eine Anfechtbarkeit der Entscheidung des Oberlandesgerichts im Klageerzwingungsverfahren sieht das Gesetz nicht vor. Daher ist eine "Gegenvorstellung" zum BGH gegen Entscheidungen des Oberlandesgerichts im Klageerzwingungsverfahren unzulässig.


Entscheidung

BGH 2 StR 92/03 - Urteil vom 2. Juli 2003 (LG Frankfurt)

Beweiswürdigung (Strafaussetzung zur Bewährung; Erörterungsmangel; erwiesene Tatsachen; Überzeugungsbildung; "Aussage gegen Aussage"; Glaubwürdigkeit); Urteilsgründe (Freispruch).

§ 267 StPO; § 56 Abs. 2 StGB; § 261 StPO

1. Ist der Angeklagte bereits mehrfach und einschlägig vorbestraft, so dass die Aussetzung einer verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung eindeutig nicht in Betracht kommt, so bedarf diese Entscheidung des Tatgerichts keiner ausdrücklichen Erörterung im Urteil.

2. Auch bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter nach § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO im Urteil zunächst diejenigen Tatsachen bezeichnen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung

dartut, aus welchem Grund die Feststellungen nicht ausreichen (std. Rspr., vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 2, 5).

3. Wird die Tat vom Tatopfer selbst als einzigem Belastungszeugen geschildert und bestreitet der Angeklagte die Tat, steht also Aussage gegen Aussage, so kann der Angeklagte allein auf dieser Grundlage verurteilt werden, wenn das Tatgericht von der Glaubhaftigkeit der Aussage nach einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung des einzigen Belastungszeugen überzeugt ist (std. Rspr., vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 14).