HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2018
19. Jahrgang
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IV. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)


Entscheidung

886. BGH 2 ARs 121/18 (2 AR 69/18) – Beschluss vom 8. August 2018 (OLG Oldenburg)

BGHSt; Beschlagnahmeverbot (keine Erstreckung auf „verfängliche Geschäftsunterlagen“; Ausschließung des Verteidigers; Strafvereitelung (Vereitelung der Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen, für die kein Beschlagnahmeverbot besteht, durch einen Strafverteidiger).

§ 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO; § 138a StPO; § 258 StGB

1. Vereitelt ein Strafverteidiger die Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen, für die kein Beschlagnahmeverbot besteht, indem er absichtlich oder wissentlich falsche Angaben zu seinem Besitz an diesen macht, überschreitet er die Grenzen zulässiger Verteidigung. Ein solches Verhalten erfüllt den Tatbestand der Strafvereitelung, wenn dadurch das Strafverfahren gegen den Mandanten zumindest für geraume Zeit verzögert wird. (BGHSt)

2. Der Strafverteidiger darf, sofern der Besitzverschaffung oder dem Besitz jedenfalls kein Verbotstatbestand entgegensteht, allgemein Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, in Besitz nehmen, um sie für Verteidigungszwecke auszuwerten. Soweit sie ihm von einem anderen zur Auswertung für Verteidigungszwecke überlassen wurden, hat er sie nach Erledigung dieser Aufgabe unverzüglich zurückzugeben. Unaufgefordert muss er sie nicht den Ermittlungsbehörden oder dem Strafgericht ausliefern. (Bearbeiter)

3. Anders liegt es, wenn durch die Ermittlungsbehörde oder das Strafgericht die Herausgabe solcher Beweismittel, die nicht originär durch die Verteidigung hervorgebracht wurden, verlangt oder deren Beschlagnahme angestrebt wird. In diesem Fall darf der Verteidiger solche Beweismittel, die nicht spezifisches Verteidigungsmaterial darstellen, nicht dem staatlichen Zugriff entziehen, indem er sie verborgen hält oder falsche Angaben zum Belegenheitsort macht. In Bezug auf solche Beweismittel, namentlich „verfängliche Geschäftsunterlagen“, besteht kein Beschlagnahmeverbot gemäß § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO. (Bearbeiter)

4. § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO betrifft nur Gegenstände, die im Vertrauensverhältnis zwischen dem Berufsgeheimnisträger und dem Mandanten entstanden sind, oder die spezifisches Verteidigungsmaterial darstellen, auf das sich das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Mandanten erstreckt. Er erfasst nicht solche Beweisurkunden, die keine Kommunikationsinhalte aus dem Mandatsverhältnis verkörpern und keine originären Verteidigungsunterlagen, sondern unabhängig davon entstandene Beweismittel sind. (Bearbeiter)

5. Der Verteidiger darf „Überführungsstücke“, auf die ein staatlicher Beschlagnahmezugriff zielt, nicht in seinen Räumen verstecken. Sein Mandat soll nicht dazu genutzt werden können, gesuchten Beweisgegenständen „Asyl“ zu gewähren. Erst recht gestattet keine der Regelungen zum Schutz des Vertrauensverhältnisses es dem Strafverteidiger, falsche Angaben über seinen Besitz an Beweisgegenständen zu machen. (Bearbeiter)

6. Die Pflicht zum Unterlassen der Vereitelung eines Beschlagnahmezugriffs gilt auch dann, wenn Beweisgegenstände dem Verteidiger zur Auswertung übergeben wurden und dieser noch keine Kenntnis vom Inhalt genommen hat; denn die Verwertung durch die staatlichen Strafverfolgungsorgane besitzt Vorrang, während sich die Verteidigung im Fall der Beschlagnahme mit Kopien von Beweisurkunden oder mit der Besichtigung der Beweisgegenstände begnügen muss. Es kann nicht im Belieben des Verteidigers stehen, ob und wann er die Beweisgegenstände den Strafverfolgungsorganen, die danach suchen, herausgibt. (Bearbeiter)


Entscheidung

961. BGH 5 StR 50/17 – Beschluss vom 28. August 2018 (LG Potsdam)


BGHSt; Darlegungsanforderungen bei biostatistischen Wahrscheinlichkeitsberechnungen in Bezug auf DNA-Einzelspuren (Beweiswürdigung; Überprüfbarkeit durch das Revisionsgericht; allgemein anerkanntes und standardisiertes Verfahren; Mitteilung des Gutachtenergebnisses in numerischer Form); Schreckschusspistole als Waffe beim schweren Raub (Feststellungen zur Beschaffenheit).

§ 261 StPO; § 249 StGB; 250 StGB

1. Die biostatistische Wahrscheinlichkeitsberechnung ist in Bezug auf DNA-Einzelspuren standardisiert, so dass es einer Darstellung der Anzahl der untersuchten Merkmalssysteme und der Anzahl der diesbezüglichen Übereinstimmungen nicht mehr bedarf. Das Tatgericht genügt den Darlegungsanforderungen, wenn es das Gutachtenergebnis in Form der biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage in numerischer Form mitteilt, da diese die beiden übrigen bisherigen Anforderungen widerspiegelt. (BGHSt)

2. Grundsätzlich hat das Tatgericht in Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, dessen wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind. Liegt dem Gutachten jedoch ein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren zugrunde, wie dies nach der Auffassung des Senats nunmehr bei der biostatistischen Wahrscheinlichkeitsberechnung der Fall ist, so genügt die bloße Mitteilung des erzielten Ergebnisses. (Bearbeiter)

3. Die bisherige Rechtsprechung (vgl. BGH HRRS 2012 Nr. 722) steht dieser Entscheidung nicht entgegen, da keine eine Rechtsfrage betreffende Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 GVG vor liegt. Der Senat hat auf der Grundlage der in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten Maßstäbe zur Darstellung von Sachverständigengutachten in tatgerichtlichen Urteilen lediglich eine im Tatsächlichen abweichende Bewertung des fortgeschrittenen wissenschaftlichen Stands der biostatistischen Wahrscheinlichkeitsberechnung im Rahmen molekulargenetischer Sachverständigengutachten vorgenommen. (Bearbeiter)


Entscheidung

781. BGH 5 AR (Vs) 112/17 – Beschluss vom 20. Juni 2018 (OLG Schleswig)

BGHSt; Übermittlung anonymisierter Entscheidungsabschriften an private Dritte (Auskünfte aus Akten an nichtverfahrensbeteiligte Privatpersonen; Akteneinsicht; berechtigtes Interesse; pflichtgemäßes Ermessen; schutzwürdiges Interesse des Betroffenen; Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Entscheidungen; Rechtsstaatsgebot; Demokratieprinzip; Gewaltenteilung; presserechtliche Auskunftsansprüche); Rechtsweg gegen Justizverwaltungsakte (Subsidiarität).

§ 475 StPO; § 478 Abs. 3 StPO; Art. 5 Abs. 1 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; § 23 EGGVG

1. § 475 StPO umfasst die Übermittlung anonymisierter Entscheidungsabschriften an private Dritte. (BGHSt)

2. Nach 475 StPO können Auskünfte aus Akten an nichtverfahrensbeteiligte Privatpersonen – nach pflichtgemäßem Ermessen – erteilt werden, sofern hierfür ein berechtigtes Interesse dargelegt wird; sie sind zu versagen, wenn der Betroffene hieran ein schutzwürdiges Interesse hat. (Bearbeiter)

3. Die Voraussetzungen, unter denen im Strafverfahren einer Privatperson Auskünfte aus Verfahrensakten erteilt oder Akteneinsicht gewährt werden darf, sind in den §§ 475 ff. StPO geregelt; diese Vorschriften bilden die erforderliche gesetzliche Grundlage für den mit ihnen verbundenen Eingriff in das Recht des Beschuldigten auf informationelle Selbstbestimmung. Dabei kommt § 475 StPO eine Doppelfunktion zu: Die Vorschrift ist sowohl gesetzliche Grundlage für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen als auch materielle Anspruchsgrundlage des Antragstellers. (Bearbeiter)

4. Aus der Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen auch der Instanzgerichte, die aus dem Rechtsstaatsgebot einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot und dem Grundsatz der Gewaltenteilung folgt, lässt sich jedenfalls für private Dritte kein neben § 475 StPO tretender voraussetzungsloser Anspruch auf Herausgabe einer anonymisierten Urteilsabschrift herleiten, der auf dem Rechtsweg nach § 23 EGGVG geltend gemacht werden könnte. (Bearbeiter)

5. Soweit neben § 475 StPO presserechtliche Auskunftsansprüche treten können, ist die Überlassung von Urteilen an Medienvertreter unter weniger strengen Voraussetzungen allein deshalb möglich, weil diesen eine besondere Verantwortung im Umgang mit den so erhaltenen Informationen obliegt. Die ihnen zukommenden Sorgfaltspflichten können aber nicht generell zum Maßstab für das Zugänglichmachen gerichtlicher Entscheidungen gemacht werden. (Bearbeiter)


Entscheidung

804. BGH 5 StR 650/17 – Urteil vom 4. Juli 2018 (LG Hamburg)

Voraussetzungen für die Annahme eines Verfahrenshindernisses bei rechtsstaatswidriger Tatprovokation (Verleitung einer bis dahin nicht verdächtigten Person zu einer Straftat in dem Staat zurechenbarer Weise; Anfangsverdacht; unvertretbar übergewichtige Einwirkung versus Scheingeschäft; Abwägung; Grundlage und Ausmaß des Verdachts; besonders hohe Eingriffsintensität; Rechtsstaatsprinzip; Interesse an einer der materiellen Gerechtigkeit dienenden Strafverfolgung; Prüfung des Revisionsgerichts; Zurückverweisung).

Art. 6 EMRK; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; § 110a StPO; § 161 StPO; § 244 Abs. 2 StPO

1. Ein die Verurteilung ausschließendes Verfahrenshindernis aufgrund rechtsstaatswidriger Tatprovokation ist auch unter Berücksichtigung der die Entscheidung BGH

HRRS 2015 Nr. 1104 (2. Strafsenat) tragenden Gründe lediglich in extremen Ausnahmefällen, also bei einer besonders hohen Eingriffsintensität gegeben. Denn das Rechtsstaatsprinzip schützt nicht nur Belange des Beschuldigten, sondern auch das Interesse an einer der materiellen Gerechtigkeit dienenden Strafverfolgung.

2. Eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK aufgrund polizeilicher Tatprovokation liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BGH HRRS 2016 Nr. 258 m.w.N.) vor, wenn eine nicht verdächtigte und zunächst nicht tatgeneigte Person durch eine von einem Amtsträger geführte Vertrauensperson in einer dem Staat zurechenbaren Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt. Auch bei anfänglich bereits bestehendem Anfangsverdacht kann eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vorliegen, soweit die Einwirkung im Verhältnis zum Anfangsverdacht „unvertretbar übergewichtig“ ist.

3. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung sind insbesondere Grundlage und Ausmaß des gegen den Betroffenen bestehenden Verdachts, Art, Intensität und Zweck der Einflussnahme sowie die eigenen, nicht fremdgesteuerten Aktivitäten des Betroffenen in den Blick zu nehmen. Spricht eine polizeiliche Vertrauensperson eine betroffene Person lediglich ohne sonstige Einwirkung darauf an, ob diese Betäubungsmittel beschaffen könne, handelt es sich nicht um eine Tatprovokation.

4. Ob auf eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vorliegt, die aufgrund ihrer Schwere zu einem Verfahrenshindernis führt, hat das Revisionsgericht zwar grundsätzlich selbst aufgrund der vorliegenden oder von ihm noch weiter zu treffenden ergänzenden Feststellungen und des Akteninhalts zu entscheiden. Es ist ihm aber nicht verwehrt, die Sache zur Nachholung fehlender Feststellungen an das Tatgericht zurückzuverweisen. Dazu kann insbesondere dann Anlass bestehen, wenn die Ermittlung der maßgebenden Tatsachen eine Beweisaufnahme wie in der tatgerichtlichen Hauptverhandlung erforderlich machen würde oder wenn die Feststellung eines Verfahrenshindernisses von der Würdigung der vom Tatgericht erhobenen Beweise abhängt.


Entscheidung

889. BGH 2 ARs 542/17 (2 AR 306/17) – Beschluss vom 18. April 2018

Ausschließung des Verteidigers (Anforderungen: hinreichender Verdacht der Beteiligung an einer Tat, die Gegenstand der Untersuchung bildet; Erstreckung auf „Nebentäterschaft“).

§ 138a Abs. 1 Nr. 1 StPO

1. Ein Verteidiger ist von der Mitwirkung in einem Verfahren auszuschließen, wenn er dringend oder in einem die Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigenden Grad verdächtig ist, dass er an der Tat, die den Gegenstand der Untersuchung bildet, beteiligt ist (§ 138a Abs. 1 Nr. 1 StPO). Es besteht in diesen Fällen die Gefahr, dass im Strafverfahren ein Verteidiger mitwirkt, der wegen seiner mutmaßlichen Tatbeteiligung außerstande ist, seine Verteidigeraufgabe so wahrzunehmen, wie dies seine Stellung als Beistand des Beschuldigten und als unabhängiges Organ der Rechtspflege erfordert. Der Begriff der Beteiligung ist unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Norm jedenfalls insoweit zu verstehen, dass grundsätzlich sämtliche Formen der Täterschaft und Teilnahme umfasst sind.

2. Grundsätzlich genügt die Annahme eines (nur) hinreichenden Verdachts der Beteiligung, um einen Rechtsanwalt auf der Grundlage des § 138a Abs. 1 Nr. 1 StPO von der weiteren Verteidigung auszuschließen. Es ist nicht erforderlich, dass wegen des in Rede stehenden Vorwurfs ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und dieses Ermittlungsverfahren bis zur Anklagereife gediehen ist.

3. Der Wortlaut des § 138a Abs. 1 Nr. 1 StPO steht einer auch die „Nebentäterschaft“ umfassenden Auslegung nicht entgegen.


Entscheidung

896. BGH 4 StR 138/18 – Beschluss vom 29. August 2018 (LG Essen)

Besorgnis der Befangenheit (Spannungen zwischen Richter und Verteidiger regelmäßig unbeachtlich).

§ 24 Abs. 2 StPO

Spannungen zwischen Richter und Verteidiger, die erst im Verfahren entstanden sind, begründen in aller Regel nicht die Besorgnis der Befangenheit. Dies gilt auch dann, wenn der Richter das Verhalten des Verteidigers als unverschämt bezeichnet hat.


Entscheidung

809. BGH 2 StE 21/16-5 StB 2/18 – Beschluss vom 5. April 2018 (OLG Stuttgart)

Beschwerde gegen die Anordnung körperlicher Untersuchungen (Unzulässigkeit; keine Analogie; Annexmaßnahmen); Beschwerde gegen im Verfahren der internationalen Rechtshilfe angeordnete Durchsuchung (Zulässigkeit; Trennung von innerstaatlicher Anordnung und ersuchter Maßnahme; Begriff der Durchsuchung; Zweck des Ergreifens; Auffinden von Beweismitteln; Richtervorbehalt).

§ 304 Abs. 4 StPO; § 81a StPO; § 102 StPO; § 105 StPO; § 77 Abs. 1 IRG

1. Die Beschwerde (§ 304 Abs. 4 S. 2 Hs. 1 StPO) gegen die Anordnung körperlicher Untersuchungen und Eingriffe nebst der zugehörigen Vorführ- und Festhaltemaßnahmen nach §§ 81a Abs. 1, Abs. 2 S. 1, 162 Abs. 3 S. 1 StPO ist unzulässig. Der Katalog des § 304 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 StPO ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Andernfalls würde das gesetzgeberische Ziel, eine zu starke Belastung des Bundesgerichtshofs zu vermeiden, verfehlt.

2. Auch hinsichtlich der für die Untersuchungen notwendigen Annexmaßnahmen kommt eine analoge Anwendung des § 304 Abs. 4 S. 2 Hs 2 StPO nicht in Betracht. Etwas Anderes würde nur gelten, wenn diese Maßnahmen in gleicher Weise wie die in der Ausnahmevorschrift in Nr. 1 genannten Freiheitsentziehungen der Verhaftung und Unterbringung eingreifen würden. Dies ist indes nicht der Fall: Die Festhaltemaßnahmen werden sich nicht länger als über wenige Stunden erstrecken; der Angeklagte muss nicht stationär untergebracht werden.

3. Der Zulässigkeit einer Beschwerde steht es nicht entgegen, wenn der Beschluss nicht unmittelbar vollstreckt

wird, sondern seiner Umsetzung im Wege der Rechtshilfe mit bedarf. Nach § 77 Abs. 1 IRG gelten u.a. die Vorschriften der StPO bei internationaler Rechtshilfe entsprechend, so dass das ersuchende Gericht eine unter Richtervorbehalt stehende Maßnahme (hier: eine Durchsuchung) zunächst innerstaatlich als Grundlage für das ausgehende Rechtshilfeersuchen anordnen muss. Eine solche Anordnung unterfällt als Beschluss der Vorschrift des § 304 Abs. 4 Satz 2 StPO.

4. Mit dem Begriff der „Durchsuchung“ in § 304 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 Nr. 1 Fall 5 StPO ist auf die Durchsuchung nach § 102 StPO verwiesen; dabei unterscheidet der Gesetzeswortlaut des § 304 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 Nr. 1 Fall 5 StPO nicht zwischen der „klassischen Durchsuchung“ nach Beweismitteln und der zum Zwecke der Ergreifung des Angeklagten (Klarstellung gegenüber BGH HRRS 2016 Nr. 728). Der eindeutige Gesetzeswortlaut gibt für eine solche Einschränkung nichts her.


Entscheidung

815. BGH 1 StR 34/18 – Beschluss vom 13. Juli 2018 (LG Augsburg)

Hinweispflicht des Gerichts bei veränderter Beurteilung der Rechtslage (Annahme einer anderen Teilnahmeform: Annahme eines uneigentlichen Organisationsdelikts statt Mittäterschaft; ausreichendes Einräumen der Gelegenheit zur Verteidigung); Aussetzung der Verhandlung wegen veränderter Sachlage (Begriff der veränderten Sachlage: erforderliche weite Auslegung, Annahme veränderter rechtlicher Schlussfolgerungen aus dem Angeklagten bereits bekannten Tatsachen; absoluter Revisionsgrund).

§ 265 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 StPO; § 338 Nr. 8 StPO

1. Ein Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 StPO bzw. § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO ist regelmäßig erforderlich, wenn das Gericht im Urteil von einer anderen Teilnahmeform ausgehen will als die unverändert zugelassene Anklage (st. Rspr.) bzw. der erteilte Hinweis. Darauf, dass die Urteilsformel nicht mitteilt, welche Form der Alleintäterschaft vorliegt, kommt es nicht an; entscheidend ist, dass der Schuldvorwurf eine andere oder eine weitere Grundlage erhält.

2. Dies gilt auch bei einem Wechsel von Mittäterschaft zu mittelbarer Täterschaft, da gegenüber diesem Vorwurf regelmäßig eine andere Verteidigung geboten ist. So kommt es bei Annahme eines uneigentlichen Organisationsdelikts, wenn also die Tathandlung in der Entwicklung eines einheitlichen Systems oder einer organisatorischen und planerischen Grundlage für eine Vielzahl von Taten besteht, auf Grund derer der Tatmittler mehrere selbständige gleichartige Taten begeht, gerade nicht mehr auf eine Beteiligung an Einzelakten an (vgl. BGHSt 49, 177, 183 f.).

3. Sinn und Zweck des § 265 Abs. 1 StPO ist es, den Angeklagten vor Überraschungen zu schützen und eine Beschränkung seiner Verteidigung zu verhindern. Deshalb verlangt das Gesetz, dass er und seine Verteidiger in die Lage versetzt werden, ihre Verteidigung auf den neuen rechtlichen Gesichtspunkt einzurichten (vgl. BGHSt 2, 371, 373). Auf einer ähnlichen Überlegung basiert § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO, der das Gericht zu einem Hinweis verpflichtet, wenn es von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will; dadurch sollen Überraschungsentscheidungen entgegen dem durch die vorherige Mitteilung bei den Verfahrensbeteiligten geschaffenen Vertrauenstatbestand vermieden werden.

4. Nach beiden Vorschriften ist daher zweierlei erforderlich: Zum einen muss der erforderliche Hinweis so beschaffen sein, dass der Angeklagte und sein Verteidiger aus ihm allein oder in Verbindung mit dem Inhalt der Anklage und des Eröffnungsbeschlusses erkennen können, welche Tat der Hinweis betrifft, welches Strafgesetz nach Auffassung des Gerichts auf sie anzuwenden ist und durch welche Tatsachen das Gericht die gesetzlichen Merkmale als erfüllt ansieht (vgl. etwa BGH NStZ 1998, 529, 530). Zum anderen muss dem Angeklagten nach Erteilung des Hinweises ausreichend Gelegenheit zur Verteidigung gegeben werden.

5. Der Vorsitzende muss bei einem solchen Hinweis durch sein Verhalten zum Ausdruck bringen, dass das Gericht bereit ist, mit Rücksicht auf die eingetretene Veränderung Erklärungen und Anträge entgegenzunehmen und zu prüfen, und es muss dem Angeklagten zu solchen Erklärungen und Anträgen Zeit gelassen werden. Wie viel Zeit dem Angeklagten und seinen Verteidigern hierzu einzuräumen ist, lässt sich zwar nicht allgemein bestimmen. Jedenfalls muss sie aber unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse als ausreichend angesehen werden können (BGH, Urteil vom 19. Januar 1965 – 5 StR 578/64 Rn. 7).

6. § 265 Abs. 4 StPO enthält einen über die voranstehenden Absätze hinausgehenden Grundsatz, der besagt, dass das Gericht im Rahmen seiner Justizgewährungspflicht für eine Verfahrensgestaltung zu sorgen hat, die die Wahrung der Verfahrensinteressen aller Verfahrensbeteiligten, vor allem aber die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht verkürzt. Der Begriff der „veränderten Sachlage“ darf daher nicht eng ausgelegt werden (vgl. BGH NJW 1958, 1736, 1737). Eine Veränderung der Sachlage ist daher auch anzunehmen, wenn das Gericht aus den dem Angeklagten bereits aus der zugelassenen Anklage bekannten Tatsachen andere rechtliche Folgerungen zieht.


Entscheidung

942. BGH 3 StR 206/18 – Beschluss vom 14. Juni 2018 (LG Lüneburg)

Hinweispflicht bei Veränderung der Tatsachengrundlage zur Ausfüllung eines bereits in der Anklageschrift angenommenen Mordmerkmals (Neuregelung; Kodifizierung der Rechtsprechungsgrundsätze; vergleichbares Gewicht wie Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunktes; Erkennbarkeit aufgrund des Ganges der Hauptverhandlung; Anforderungen an den Revisionsvortrag).

§ 265 StPO; § 344 Abs. 2 StPO

1. Gemäß § 265 Abs. 1 StPO ist ein förmlicher Hinweis zu erteilen, wenn eine Verurteilung wegen Mordes auf ein schon in der Anklageschrift angenommene Mordmerkmal (hier: niedrige Beweggründe) gestützt werden

soll, sich jedoch die Tatsachengrundlage, die dieses nach Auffassung des Gerichts ausfüllt, gegenüber derjenigen ändert, von der die Anklage ausgegangen ist (hier: „krasse Selbstsucht“ anstelle von Rache).

2. Die Hinweispflicht bei veränderter Tatsachengrundlage folgt aus dem in § 265 Abs. 2 StPO enthaltenen Verweis („ebenso ist zu verfahren“) auf die in § 265 Abs. 1 StPO normierte Hinweispflicht. Mit der Neuregelung des § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO wollte der Gesetzgeber die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte Hinweispflicht umsetzen, wonach auch unterhalb der Schwelle des § 265 Abs. 4 StPO in entsprechender Anwendung des § 265 Abs. 1 StPO ein Hinweis auf die Veränderung eines tatsächlichen Umstands erforderlich ist, wenn dieser in seinem Gewicht der Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunkts gleichstand.

3. Mit dem Verweis auf § 265 Abs. 1 StPO, wonach der Angeklagte „besonders“ auf eine veränderte Sachlage hinzuweisen ist, ist die zu der alten Rechtslage vertretene Auffassung, es genüge, wenn der Angeklagte die Änderung eines wesentlichen sachlichen Umstandes dem Gang der Hauptverhandlung entnehmen könne, überholt. Das Verhältnis zur Rechtsprechung des 5. Strafsenats (BGH HRRS 2018 Nr. 596), der zu folgen der Senat jedenfalls in sämtlichen Punkten und für alle denkbaren Sachverhaltsgestaltungen für bedenklich hielte, kann vorliegend offenbleiben.


Entscheidung

966. BGH 5 StR 183/18 – Beschluss vom 30. August 2018 (LG Chemnitz)

Ausnahmsweise Maßgeblichkeit des Wortlauts einer verschrifteten Einlassung als Maßstab zur Überprüfung der Beweiswürdigung in der Revisionsinstanz (Anordnung der förmlichen Verlesung; Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung).

§ 243 StPO; § 261 StPO

Nur wenn das Gericht ausnahmsweise die förmliche Verlesung einer verschrifteten Einlassung im Wege des Urkundenbeweises anordnet, bewirkt der Vollzug dieser Anordnung, dass der Wortlaut des Schriftstücks in die Hauptverhandlung eingeführt wird und deshalb in der Revisionsinstanz als Maßstab zur Überprüfung der Beweiswürdigung herangezogen werden muss.

965. BGH 5 StR 160/18 – Urteil vom 15. August 2018 (LG Lübeck)

Inbegriffsrüge bei Annahme eines schweigenden Angeklagten in den Urteilsgründen trotz erfolgter Einlassung (Zulässigkeit; keine Notwendigkeit der Mitteilung des Inhalts der Einlassung; Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung; Form der Einlassung; Spontanäußerung).

§ 243 StPO; § 261 StPO; § 344 Abs. 2 StPO

Wird mit der sog. „Inbegriffsrüge“ geltend gemacht, dass das Tatgericht in seiner Beweiswürdigung vom Schweigen des angeklagten ausgegangen ist, obwohl dieser sich eingelassen hat, gehört der Inhalt der Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht zu den diesen Verfahrensmangel begründenden Tatsachen und muss deshalb in der Revisionsrechtfertigung nicht vorgetragen werden. Denn wegen des Verbots, den Inhalt der Hauptverhandlung zu rekonstruieren, ist der Inhalt der Einlassung des Angeklagten über deren Wiedergabe im Urteil hinaus der revisionsgerichtlichen Prüfung nicht zugänglich.


Entscheidung

831. BGH 1 StR 628/17 – Beschluss vom 10. Juli 2018 (LG München I)

Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit eines Nebenbeteiligten (kein absoluter Revisionsgrund; gegebenenfalls erforderliche Wiederholung der Beweisaufnahme: Grundsatz rechtlichen Gehörs).

Art. 103 Abs. 1 GG; § 436 Abs. 1 StPO aF; § 435 Abs. 1 StPO aF; § 437 StPO aF; § 431 Abs. 7 StPO aF; § 338 Nr. 5 StPO

1. Wird die Hauptverhandlung ohne die Verfallsbeteiligte durchgeführt, erfüllt dies nicht den absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO, weil ein Nebenbeteiligter keine Person ist, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt. Ein Nebenbeteiligter ist nach § 435 Abs. 1 StPO aF nicht zum Termin zu laden; ihm ist lediglich im Hinblick auf die sich aus § 436 Abs. 1, § 437 StPO aF ergebenden Rechtsfolgen der Termin zur Hauptverhandlung bekannt zu machen. Ihm steht es aber frei, ob er an dieser teilnimmt.

2. Der Grundsatz, dass der Fortgang des Verfahrens durch die Verfahrensbeteiligung des Verfallsbeteiligten nicht aufgehalten wird (§ 431 Abs. 7 StPO aF), kann im Einzelfall durch den Anspruch des Verfallsbeteiligten auf rechtliches Gehör eingeschränkt sein. Soweit zur Wahrung der prozessualen Rechte der Verfallsbeteiligten erforderlich, kann das Tatgericht deshalb etwa verpflichtet sein, bereits gehörte Zeugen für einen der weiteren Hauptverhandlungstage ein weiteres Mal zu laden, wenn die Verfallsbeteiligte entsprechende Einwendungen erhebt oder Anträge stellt.


Entscheidung

884. BGH 2 StR 485/17 – Urteil vom 4. Juli 2018 (LG Stralsund)

Kommunikation des Beschuldigten mit dem Verteidiger (vertrauliches Gespräch des Beschuldigten mit seinem Strafverteidiger: Äußerungen im Beisein von Strafverfolgungsorganen); Ablehnung eines Dolmetschers (Maßstab revisionsgerichtlicher Überprüfbarkeit; Besorgnis der Befangenheit).

§ 148 Abs. 2 StPO; § 191 GVG; § 74 Abs. 1 StPO; § 24 Abs. 1 StPO; Art 6 Abs. 3 lit. c und e EMRK

1. Die Vertraulichkeit der Verteidigerkommunikation wird nicht durch Strafverfolgungsorgane verletzt, wenn sich der Beschuldigte in Anwesenheit von Ermittlungsbeamten gegenüber dem Verteidiger in einer Weise äußert, dass dies ohne weiteres wahrgenommen werden kann. Die Wahrnehmung der Äußerung durch die anwesenden Polizeibeamten kann danach rechtsfehlerfrei im Strafverfahren als Beweismittel verwertet werden.

2. Einem vertraulichen Gespräch des Beschuldigten mit seinem Strafverteidiger kommt die wichtige Funktion zu, darauf hinwirken zu können, dass er nicht zum bloßen Objekt im Strafverfahren wird. Deshalb ist die

Vertraulichkeit der Verteidigerkommunikation rechtlich geschützt. Dem Beschuldigten ist zur Ermöglichung einer wirkungsvollen Verteidigung, auch wenn er sich nicht auf freiem Fuß befindet, ungestörter schriftlicher und mündlicher Verkehr mit dem Verteidiger gestattet. Der Strafverteidiger muss zu seiner Kommunikation mit dem Beschuldigten im Strafverfahren keine Angaben machen; sein Aussageverweigerungsrecht wird durch ein Beschlagnahmeverbot für diesbezügliche Unterlagen flankiert; die Verteidigerkommunikation unterliegt nicht der staatlichen Überwachung.

3. Anders als bei der Richterablehnung prüft das Revisionsgericht bei der Sachverständigen- und Dolmetscherablehnung nicht selbständig, ob die Voraussetzungen für die Ablehnung des Sachverständigen oder Dolmetschers wegen Besorgnis der Befangenheit im konkreten Fall vorliegen. Es hat vielmehr nach revisionsrechtlichen Grundsätzen zu entscheiden, ob das Ablehnungsgesuch ohne Verfahrensfehler und mit ausreichender Begründung zurückgewiesen worden ist. Das Revisionsgericht ist dabei an die vom Tatrichter festgestellten Tatsachen gebunden.

4. Eine Dolmetscherablehnung ist danach begründet, wenn vom Standpunkt des Antragstellers aus objektive Gründe bestehen, die Zweifel an der Unparteilichkeit des als Gehilfe des Gerichts herangezogenen Sprachmittlers erregen. Bei der Anwendung dieser Maßstäbe ist allerdings die besondere Funktion und Stellung des abgelehnten Dolmetschers zu berücksichtigen. Einerseits ist dieser verpflichtet, so vollständig und wortgetreu zu übersetzen, dass das rechtliche Gehör der Verfahrensbeteiligten gewahrt bleibt; bei der Erfüllung dieser Aufgabe ist ihm kein Ermessen oder ein sonstiger Entscheidungsspielraum. Andererseits kann seine Tätigkeit von den Verfahrensbeteiligten regelmäßig nur schwer kontrolliert werden mit der Folge, dass deren berechtigtes Vertrauen in die Integrität und Unparteilichkeit des Dolmetschers besonderen Schutzes bedarf.


Entscheidung

901. BGH 4 StR 200/18 – Beschluss vom 16. August 2018 (LG Detmold)

Inhalt der Anklageschrift (hinreichende Abgrenzung der zur Last gelegten Tat); Gegenstand des Urteils (Kriterium der „Nämlichkeit“ der Tat); Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes oder der Sachlage (kein Ersetzen des angeklagten Geschehens durch ein anderes).

§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO; § 264 Abs. 1 StPO; § 265 StPO

1. Die Anklageschrift hat nach § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO die zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs dargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist. Diese muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Angeschuldigten unterscheiden lassen; fehlt es hieran, so ist die Anklage unwirksam. Wann eine Tat als historisches Ereignis hinreichend umgrenzt ist, kann nicht abstrakt, sondern nur nach Maßgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalls bestimmt werden. Die Schilderung muss allerdings umso konkreter sein, je größer die Möglichkeit ist, dass der Angeschuldigte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat.

2. Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. Die Wahrung der Identität der prozessualen Tat trotz Veränderung des Tatbildes ist nach dem Kriterium der „Nämlichkeit“ der Tat zu beurteilen. Eine solche ist gegeben, wenn ungeachtet gewisser Differenzen bestimmte Merkmale die Tat weiterhin als einmaliges unverwechselbares Geschehen kennzeichnen. Für das Tatbild bestimmend sind in der Regel der Ort und die Zeit des Geschehens, das Täterverhalten, die ihm innewohnende Richtung und das Opfer beziehungsweise das Objekt, auf das sich der Vorgang bezieht. Maßgeblich sind auch hier stets die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls.

3. Durch einen gerichtlichen Hinweis gemäß § 265 StPO darf die Strafklage nicht in der Form umgestaltet werden, dass das angeklagte Geschehen durch ein anderes ersetzt wird.


Entscheidung

857. BGH 4 StR 186/18 – Beschluss vom 19. Juli 2018 (LG Freiburg im Breisgau)

Recht auf den gesetzlichen Richter (Auslegung und Anwendung von Bestimmungen des Geschäftsverteilungsplanes).

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG

Bei der Auslegung und Anwendung von Bestimmungen des Geschäftsverteilungsplans ist die Garantie des gesetzlichen Richters zu beachten (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG): Regelungen, die der Bestimmung des gesetzlichen Richters dienen, müssen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Voraus so eindeutig wie möglich festlegen, welches Gericht, welcher Spruchkörper und welche Richter zur Entscheidung des Einzelfalls berufen sind. Die Regelungen eines Geschäftsverteilungsplans müssen also im Voraus generell-abstrakt die Zuständigkeit der Spruchkörper regeln, damit die einzelne Sache „blindlings“ aufgrund allgemeiner, vorab festgelegter Merkmale an den entscheidenden Richter gelangt.


Entscheidung

810. BGH StB 4/18 – Beschluss vom 31. Juli 2018

Anordnung von Durchsuchung und vorläufiger Sicherstellung im internationalen Rechtshilfeverkehr (innerstaatliche Anordnung; Rechtsweg; Beschwerde; Voraussetzungen der Durchsuchung im frühen Stadium der Ermittlungen; auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützter konkreter Verdacht; Beweiseignung; Durchsicht).

§ 94 StPO; § 98 StPO; § 102 StPO; § 105 StPO; § 304 Abs. 4 StPO; § 77 Abs. 1 IRG

1. Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung und anschließenden vorläufigen Sicherstellung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden

oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – nicht. Die Beschlagnahme ist zulässig und geboten, wenn Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, aufgefunden und nicht freiwillig herausgegeben werden oder die Zustimmung zur Herausgabe widerrufen wird.

2. Bei strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen im internationalen rechtshilfeverkehr bedarf es stets einer innerstaatlichen Anordnung der Maßnahme als Grundlage für das Rechtshilfeersuchen. Eine solche Anordnung unterfällt als Beschluss der Vorschrift des § 304 Abs. 5 StPO, der gem. § 77 Abs. 1 IRG im internationalen Rechtshilfeverkehr anwendbar ist.


Entscheidung

816. BGH 1 StR 42/18 – Beschluss vom 5. Juli 2018 (LG Weiden)

Selbstbelastungsfreiheit (keine nachteilige Wertung des Schweigens des Angeklagten); Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln).

§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO; § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO; § 261 StPO; § 27 Abs. 1 StGB; § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG

Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, insoweit also ein Schweigerecht besteht, ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens. Es steht dem Angeklagten frei, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO). Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden (vgl. BGH NStZ 2016, 220 mwN).


Entscheidung

926. BGH 3 StR 38/18 – Urteil vom 3. Mai 2018 (LG Koblenz)

Widersprüchliche und lückenhafte Beweiswürdigung zum Tötungseventualvorsatz (revisionsgerichtliche Prüfung; sachlich-rechtliche Fehler; mehraktiges Kampfgeschehen; unterschiedliche Zeitpunkte für die Prüfung der Vorsatzvoraussetzungen).

§ 15 StGB; § 212 StGB; § 261 StPO

Die tatrichterliche Beweiswürdigung ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht fehlerhaft, wenn sie widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denk- oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung stellt. Widersprüchlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn die Prüfung der Vorsatzvoraussetzungen innerhalb eines mehraktigen Kampfgeschehens auf unterschiedliche Zeitpunkte bezogen und die zeitliche Abfolge der maßgeblichen Umstände verkannt wird.


Entscheidung

936. BGH 3 StR 144/18 – Beschluss vom 12. Juli 2018 (LG Koblenz)

Voraussetzungen der Ablehnung eines Beweisantrags auf Vernehmung eines Auslandszeugen (Aufklärungspflicht; Besonderheiten des Einzelfalles; nicht zu erwartende Bestätigung der Beweisbehauptung durch den Zeugen; ausgeschlossener Einfluss auf die richterliche Überzeugungsbildung; indiziell relevante Beweisthemen; gesichertes Beweisergebnis auf breiter Beweisgrundlage; zentrale Bedeutung der Vorgänge für den Schuldvorwurf).

§ 244 Abs 2, Abs. 5 S. 2 StPO

1. Ob die durch § 244 Abs. 2 StPO statuierte Aufklärungspflicht es gebietet, dem Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen nachzukommen (vgl. § 244 Abs. 5 S. 2 StPO), kann nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls beurteilt werden. Kommt das Tatgericht unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass der Zeuge die Beweisbehauptung nicht bestätigen werde oder dass ein Einfluss auf seine Überzeugung auch dann sicher ausgeschlossen ist, wenn der benannte Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigt, ist eine Ablehnung des Beweisantrags in aller Regel nicht zu beanstanden.

2. Bei einem durch die bisherige Beweisaufnahme gesicherten Beweisergebnis auf breiter Beweisgrundlage kann regelmäßig eher von der Vernehmung des Auslandszeugen abgesehen werden kann, insbesondere wenn er nur zu Beweisthemen benannt ist, die lediglich indiziell relevant sind oder die Sachaufklärung sonst nur am Rand betreffen. Dagegen wird die Vernehmung des Auslandszeugen umso eher notwendig sein, je ungesicherter das bisherige Beweisergebnis erscheint, je größer die Unwägbarkeiten sind und je mehr Zweifel hinsichtlich des Werts der bisher erhobenen Beweise überwunden werden müssen; dies gilt insbesondere dann, wenn der Auslandszeuge Vorgänge bekunden soll, die für den Schuldvorwurf von zentraler Bedeutung sind.


Entscheidung

757. BGH 1 BGs 324/18 2 BJs 631/18-7 Beschluss vom 1. August 2018 (Ermittlungsrichterin des Bundesgerichtshofs)

Zulässigkeit der Anordnung einer Beschlagnahme von DNA-fähigem Material bei einer zeugnisverweigerungsberechtigten Person (keine Pflicht zur aktiven Mitwirkung an der Überführung des Angehörigen; schriftliche Mitteilungen; Untersuchungsverweigerungsrecht; kein allgemeines Beschlagnahmeverbot beim Zeugnisverweigerungsberechtigten).

§ 52 StPO; § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO; § 81c Abs. 3 StPO

Die in den §§ 52, 97 Abs. 1 Nr. 1, 81c Abs. 3 StPO geregelten Schutzrechte stehen der Beschlagnahme DNA-fähigen Materials bei einer zeugnisverweigerungsberechtigten Person nicht grundsätzlich entgegen, da (bzw. soweit) es hierbei weder zu einer aktiven Mitwirkung der zeugnisverweigerungsberechtigten Person an der Überführung des Angehörigen noch zur Beschlagnahme schriftlicher Mitteilungen i.S.d. § 97 Abs. 1 StPO kommt. Ein darüber hinausgehendes allgemeines Beschlagnahmeverbot beim Zeugnisverweigerungsberechtigten sieht die StPO nicht vor.


Entscheidung

784. BGH 5 StR 180/18 – Beschluss vom 5. Juli 2018 (LG Berlin)

Mitteilungs- und Informationspflichten bei verständigungsbezogenen Gesprächen außerhalb der Hauptverhandlung (keine Beschränkung auf Mitteilung des Er-

gebnisses der Gespräche; ursprünglicher Vorschlag und vertretene Standpunkte; Beteiligung lediglich des Vorsitzenden der Strafkammer).

§ 202a StPO; § 212 StPO; § 243 Abs. 4 StPO; § 257c Abs. 1, Abs. 2 StPO

1. Im Rahmen der gem. § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO zu erfüllenden Mitteilungs- und Informationspflichten genügt es regelmäßig nicht, wenn lediglich das Ergebnis eines Vorgespräches mitgeteilt wird, nicht aber ein anfänglicher (vom Ergebnis abweichender) Vorschlag und die hierzu vertretenen Standpunkte der Gesprächsteilnehmer.

2. Dass an einem auf die Erörterung einer Verständigungsmöglichkeit (§ 257c StPO) abzielenden Gespräch außerhalb der Hauptverhandlung lediglich die Vorsitzende der Strafkammer teilnimmt, ändert grundsätzlich nichts an dem Charakter einer die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO auslösenden Erörterung.


Entscheidung

865. BGH 4 StR 621/17 – Beschluss vom 3. Juli 2018 (LG Dortmund)

Ablehnung von Beweisanträgen (Ablehnung eines Beweisantrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens).

§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO

Zwar gestattet § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO die Ablehnung eines Beweisantrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens, wenn das Gericht selbst bereits über die erforderliche eigene Sachkunde verfügt. Es ist jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs rechtsfehlerhaft, einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens mit dem Hinweis auf genügende eigene Sachkunde abzulehnen, wenn sich das Tatgericht diese Sachkunde erst zuvor gezielt durch die Befragung eines Sachverständigen im Freibeweisverfahren verschafft hat, um einen erwarteten oder bereits gestellten Beweisantrag ablehnen zu können. Denn wenn das Tatgericht die Anhörung eines Sachverständigen für erforderlich hält, um sich sachkundig zu machen, muss der Sachverständige in der Hauptverhandlung im Strengbeweisverfahren gehört werden.


Entscheidung

909. BGH 4 StR 251/18 – Beschluss vom 14. August 2018 (LG Essen)

Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (ausdrückliche Erörterung von hochgradiger Alkoholisierung und affektiver Erregung in den Urteilsgründen).

§ 261 StPO

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch bei hochgefährlichen Taten im Einzelfall das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes fehlen kann, wenn dem Täter das Risiko der Erfolgsherbeiführung – trotz Kenntnis aller gefahrbegründenden Umstände – infolge einer alkoholischen Beeinflussung oder einer anderen psychischen Beeinträchtigung zur Tatzeit nicht bewusst ist oder er deshalb ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des Erfolgs vertraut. Hochgradige Alkoholisierung und affektive Erregung gehören daher zu den Umständen, die der Annahme eines bedingten Vorsatzes entgegenstehen können und deshalb ausdrücklicher Erörterung in den Urteilsgründen bedürfen.


Entscheidung

780. BGH 5 StR 46/18 – Urteil vom 4. Juli 2018 (LG Zwickau)

Verhandlungsfähigkeit (Inanspruchnahme verfahrensrechtlicher Hilfen; selbstverantwortliche Entscheidung über grundlegende Fragen der Verteidigung); Beweiswürdigung (DNA-Spuren; Besonderheiten bei 30 Jahre zurückliegender Tat); Anwendbarkeit des Meistbegünstigungsprinzips für in der DDR begangene Taten; Feststellung der besonderen Schwere der Schuld (systematische Zugehörigkeit zum Vollstreckungsverfahren); Härteausgleich bei der Gesamtstrafenbildung.

§ 205 StPO; § 261 StPO; § 2 Abs. 3 StGB; § 55 StGB; § 57a StGB; 315 Abs. 3 EGStGB

1. Verhandlungsfähigkeit im strafprozessualen Sinne setzt nicht zwingend voraus, dass der Angeklagte auch tatsächlich fähig sein muss, die ihm gesetzlich eingeräumten Verfahrensrechte in jeder Hinsicht selbständig und ohne fremden Beistand wahrzunehmen. Die Grenze zur Verhandlungsunfähigkeit ist vielmehr erst dann überschritten, wenn dem Angeklagten auch bei Inanspruchnahme verfahrensrechtlicher Hilfen eine selbstverantwortliche Entscheidung über grundlegende Fragen seiner Verteidigung und eine sachgerechte Wahrnehmung der von ihm persönlich auszuübenden Verfahrensrechte nicht mehr möglich ist.

2. Die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld ist systematisch kein Teil der Entscheidung zu Schuld- und Strafausspruch, sondern eine dem Tatgericht übertragene Entscheidung für das Vollstreckungsverfahren. Die Tätigkeit des Tatrichters beschränkt sich darauf, dem Vollstreckungsgericht die Anordnung längerer Vollstreckung aus dem Grund besonderer Schuldschwere zu ermöglichen, und sie liefert ihm, wenn es von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, die Grundlage, die es braucht, um die Verlängerung der Vollstreckung unter diesem Gesichtspunkt zeitlich zu bestimmen.


Entscheidung

818. BGH 1 StR 71/18 – Beschluss vom 26. Juni 2018 (LG Augsburg)

Unterbrechung der Verjährung durch eine richterlicher Beschlagnahme- oder Untersuchungsanordnung (Reichweite der Unterbrechungswirkung bei mehreren prozessualen Taten: Verfolgungswille der Ermittlungsbehörden).

§ 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB; § 264 StPO

1. Gemäß § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB wird die Verjährung durch jede richterliche Beschlagnahme- oder Untersuchungsanordnung unterbrochen. Diese Wirkung entfällt nur dann, wenn die richterlichen Anordnungsentscheidungen Mindestanforderungen an die Konkretisierung des Tatvorwurfs nicht genügen und deshalb ihrerseits unwirksam sind (siehe nur BGH NStZ 2018, 45, 46 mwN). Wird wegen mehrerer Taten im prozessualen Sinne des § 264 StPO ermittelt, so bezieht sich die Unterbrechungswirkung grundsätzlich auf alle verfahrensgegenständlichen Taten, sofern nicht der Verfolgungswille der tätig werdenden Strafverfolgungsorgane erkennbar auf eine oder mehrere Taten beschränkt ist (st. Rspr.).

2. Entscheidendes Kriterium für die sachliche Reichweite der Unterbrechungswirkung ist daher bei mehreren verfahrensgegenständlichen Taten der Verfolgungswille der Strafverfolgungsbehörden. Für dessen Bestimmung ist der Zweck der jeweiligen Untersuchungshandlung maßgeblich, der anhand des Wortlauts der Maßnahme und des sich aus dem sonstigen Akteninhalt ergebenden Sach- und Verfahrenszusammenhangs zu ermitteln ist (st. Rspr.).


Entscheidung

758. BGH 1 BGs 408/18 (1 ARs 1/18) – Beschluss vom 30. August 2018 (Ermittlungsrichterin des Bundesgerichtshofs)

Beiziehung von Akten und Beweismitteln durch den Untersuchungsausschuss (Beweisantrag; Ablehnungsgründe; Zulässigkeit; Untersuchungsgegenstand; Bestimmtheit des Beweisantrags; Verhältnis zwischen Untersuchungsausschuss und Parlamentarischem Kontrollgremium; Nebeneinander; zusätzliches Instrument parlamentarischer Kontrolle; Geheimhaltungsgebot; Anforderung über die Bundesregierung).

Art. 44 GG; Art 45d Abs. 2 GG; § 17 PUAG; § 18 PUAG; § 1 Abs. 2 PKGrG; § 10 PKGrG

1. Im Hinblick auf das gesetzlich vorgesehene Nebeneinander von Untersuchungsausschuss und Parlamentarischen Kontrollgremium (§ 1 Abs. 2 PKGrG, Art. 45d Abs. 2 GG) begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, einen Untersuchungsausschuss auch mit der Frage der hinreichenden Information des Parlamentarischen Kontrollgremiums durch die Bundesregierung bzw. einem Abgleich des Informationsflusses an dieses mit der Unterrichtung anderer Gremien des Deutschen Bundestages zu betrauen. Das Parlamentarische Kontrollgremium stellt ein zusätzliches Instrument parlamentarischer Kontrolle der Regierung im Bereich der Nachrichtendienste dar, das parlamentarische Informationsrechte nicht verdrängt.

2. Das Geheimhaltungsgebot gemäß § 10 Abs. 1 PKGrG umfasst nicht lediglich die Beratungen und die durch das Parlamentarische Kontrollgremium selbst erstellten Unterlagen, sondern auch die durch dieses beigezogenen Beweismittel, unabhängig davon, ob diese geheimhaltungsbedürftig sind. Lediglich in enumerativ normierten Fällen wird dieses Prinzip durchbrochen. So darf das Parlamentarische Kontrollgremium nach § 10 Abs. 2 PKGrG bei Zustimmung einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner anwesenden Mitglieder Vorgänge bewerten und diese Bewertung veröffentlichen. Auch in diesem Fall darf jedoch nur ein Urteil über das Verhalten der Dienste abgegeben werden, geheimhaltungsbedürftige Vorgänge dürfen nicht veröffentlicht werden.

3. Werden im Rahmen eines Untersuchungsausschusses Beweismittel, die dem Parlamentarischen Kontrollgremium vorgelegen haben, über die Bundesregierung angefordert, wird dadurch das Geheimhaltungsgebot des § 10 Abs. 1 PKGrG nicht umgangen. Soweit sich unter den Beweismitteln Unterlagen befinden, die aus Sicht der Bundesregierung aus Geheimhaltungsgründen zwar dem Parlamentarischen Kontrollgremium, nicht jedoch dem Untersuchungsausschuss vorgelegt werden können, so liegt es in deren alleinigen Entscheidungsbefugnis entsprechende Unterlagen zurückzuhalten.


Entscheidung

847. BGH 4 StR 68/18 – Beschluss vom 30. Juli 2018 (LG Baden-Baden)

Ausschließung der Öffentlichkeit (öffentliche Verkündung des Beschlusses).

§ 174 Abs. 1 Satz 2 GVG

§ 174 Abs. 1 Satz 2 GVG gebietet grundsätzlich eine öffentliche Verkündung des Beschlusses zur Information der Öffentlichkeit über Anlass und Ausmaß der Ausschließung.


Entscheidung

807. BGH AK 30/18 – Beschluss vom 26. Juli 2018 (OLG Dresden)

Haftprüfungsfrist bei auf bereits bekannte Tatvorwürfe gestütztem neuem Haftbefehl (Weiterlaufen der ursprünglichen Frist; Tatbegriff; weite Auslegung; Verbot der „Reservehaltung“ von Tatvorwürfen); Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland.

§ 121 Abs. 1 StPO; § 129a StGB; § 129b StGB

1. Wird ein neuer Haftbefehl lediglich auf weitere Tatvorwürfe gestützt, hinsichtlich derer der Strafverfolgungsbehörde ein dringender Tatverdacht schon bei Erlass eines früheren Haftbefehls bekannt war, löst dies keine neue Haftprüfungsfrist gemäß § 121 Abs. 1 StPO aus; vielmehr läuft die ursprüngliche Frist weiter. Dies gilt entsprechend, wenn ein solcher Tatverdacht während des Vollzugs des ersten Haftbefehls entsteht.

2. Der Begriff „wegen derselben Tat“ in dieser Vorschrift weicht vom prozessualen Tatbegriff im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO ab und ist mit Rücksicht auf den Schutzzweck der Norm weit auszulegen, so dass er alle Taten des Angeschuldigten von dem Zeitpunkt an erfasst, in dem sie – im Sinne eines dringenden Tatverdachts – bekannt geworden sind und in einen bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, und zwar unabhängig davon, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind (Verbot der „Reservehaltung“ von Tatvorwürfen).


Entscheidung

851. BGH 4 StR 145/18 – Beschluss vom 17. Juli 2018 (LG Paderborn)

Verbindung und Trennung rechtshängiger Strafsachen (Entscheidung durch das gemeinschaftliche obere Gericht); verminderte Schuldfähigkeit (konkretisierende Darlegung der Auswirkungen bei Tatbegehung); Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Voraussetzungen der Anordnung).

§ 4 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 21 StGB; § 63 StGB

1. Die Verbindung von Strafsachen, die nicht nur die örtliche, sondern auch die sachliche Zuständigkeit betrifft, kann nicht durch Vereinbarung der beteiligten Gerichte, sondern in Fällen, in denen die verschiedenen Gerichte nicht alle zu dem Bezirk des ranghöheren gehören, nur durch Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts herbeigeführt werden.

2. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen

Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht.

3. Nimmt der Tatrichter eine erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit des Täters an, so muss er darüber befinden, ob diese zum Fehlen der Unrechtseinsicht geführt oder ob der Täter gleichwohl das Unrecht der Tat eingesehen hat. Denn eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat. Nur unter dieser Voraussetzung führt eine verminderte Einsichtsfähigkeit – je nachdem, ob das Fehlen der Einsicht dem Täter zum Vorwurf gereicht – zur Anwendung von § 20 StGB oder § 21 StGB. Sieht der Täter dagegen trotz seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns tatsächlich ein, handelt er in vollem Umfang schuldhaft.

4. Die Diagnose einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat.


Entscheidung

960. BGH 5 StR 30/18 – Urteil vom 1. August 2018 (LG Berlin)

Unzureichende Berücksichtigung der Anforderungen an ein freisprechendes Urteil (Aufklärungsgrundsatz; Kognitionspflicht mit Blick auf Mängel der Anklage; Aufzeigen individueller Anklagevorwürfe bei mehreren Angeklagten; geschlossene Darstellung der als erwiesen angesehenen Tatsachen; Ermöglichung der Nachprüfung durch das Revisionsgericht; Feststellungen zu Werdegang, Vorleben und Persönlichkeit des Angeklagten); Erpressung (konkludente Drohung beim Verlangen von „Standgeldern“ im Rotlichtgewerbe).

§ 267 Abs. 5 StPO; § 244 Abs. 2 StPO; § 253 StGB

1. Bei mehreren Angeklagten muss das Tatgericht in den Gründen eines freisprechenden Urteils grundsätzlich zunächst die individuellen Anklagevorwürfe gegen jeden Angeklagten nach Ort, Zeit und Begehungsweise aufzeigen. Sodann sind in einer geschlossenen Darstellung die als erwiesen angesehenen Tatsachen festzustellen. Davon ausgehend ist darzulegen, dass sich diese Vorwürfe entweder aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen nicht bestätigt haben. Es ist Aufgabe der Urteilsgründe, dem Revisionsgericht auf diese Weise eine umfassende Nachprüfung der freisprechenden Entscheidung zu ermöglichen.

2. Das Verlangen von „Standgeldern“ im Rotlichtmilieu stellt eine Verfügung über öffentlichen Straßenraum dar, die Privatpersonen – für jedermann erkennbar – nicht zusteht. Wird Prostituierten und ihren Zuhältern für den Fall der Nichtzahlung solcher „Standgelder“ eine „Vertreibung“ angekündigt, so kann dies eine Drohung mit einem empfindlichen Übel im Sinne von § 253 Abs. 1 StGB darstellen. Eine solche Drohung muss dabei nicht direkt ausgesprochen werden, es genügt vielmehr, wenn sie versteckt „zwischen den Zeilen“ erfolgt. Die Herstellung und Ausnutzung einer „Drohkulisse“ kann namentlich unter den besonderen Verhältnissen des Rotlichtgewerbes genügen.

3. Feststellungen zu Werdegang und Vorleben sowie zur Persönlichkeit der Angeklagten sind zwar in erster Linie bei verurteilenden Erkenntnissen notwendig, um nachvollziehen zu können, ob der Tatrichter die wesentlichen Anknüpfungstatsachen für die Strafzumessung (§ 46 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 2 StGB) ermittelt und berücksichtigt hat. Aber auch bei freisprechenden Urteilen ist der Tatrichter aus sachlich-rechtlichen Gründen zumindest dann zu solchen Feststellungen verpflichtet, wenn diese für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können und deshalb zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind.


Entscheidung

858. BGH 4 StR 227/18 – Beschluss vom 3. Juli 2018 (LG Dortmund)

Zurücknahme und Verzicht (Rechtsmittelverzicht: Voraussetzungen, Auslegung von Erklärungen, Wirkungen).

§ 297 StPO; § 302 Abs. 1 Satz 1 StPO

1. Für das Vorliegen eines Rechtsmittelverzichts kommt es nicht darauf an, dass das Wort „verzichten“ benutzt wird, sondern maßgeblich ist der Gesamtsinn der. Die Erklärung, das Urteil werde „angenommen“, enthält regelmäßig einen Rechtsmittelverzicht.

2. Ebenso wenig stellt es die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts in Frage, wenn es sich bei der Erklärung des Angeklagten um eine wütende Spontanäußerung gehandelt haben sollte; auch der in emotionaler Aufgewühltheit erklärte Rechtsmittelverzicht ist wirksam.

3. Dass die Erklärung des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht vorgelesen und genehmigt worden ist, ist für ihre Wirksamkeit ebenfalls ohne Belang; dieser Umstand betrifft lediglich die Frage des Nachweises.

4. Infolge eines von dem Angeklagten selbst erklärten Rechtsmittelverzichts ist auch ein später eingelegtes Rechtsmittel des Verteidigers wirkungslos.


Entscheidung

888. BGH 2 ARs 247/18 (2 AR 170/18) – Beschluss vom 4. September 2018

Verbindung und Trennung rechtshängiger Strafsachen (Strafsachen, die sich nicht im gleichen Prozessstadium befinden).

§ 4 StPO

1. Die Verbindung zweier Strafsachen ist auch zulässig, wenn sie sich nicht im gleichen Prozessstadium befinden. Entscheidend ist, ob trotz ungleicher Prozesslage der Zweck einer Verbindung erreicht werden kann, der vor allem darin besteht, eine möglichst breite und umfassende Grundlage für die Beurteilung von Taten und Tätern zu schaffen, damit die Bearbeitung der Verfahren zu erleichtern und sie so sachgemäß zu erledigen.

2. Dieser Gesichtspunkt gebietet es, eine Verbindung auch schon vor Eröffnung des abzugebenden Verfahrens

zuzulassen, bei der das übernehmende Gericht auf einer möglichst breiten Beurteilungsgrundlage über die Eröffnung entscheiden kann. Der Gedanke, dass ein Verfahren durch das obere Gericht keinem anderen Gericht zugewiesen werden soll, solange es noch der Disposition durch die Staatsanwaltschaft unterliegt, welche die Anklage jederzeit wieder zurücknehmen könnte, steht in einem Fall, in dem die Staatsanwaltschaft von ihrer Dispositionsbefugnis durch den Verbindungsantrag oder ihre Zustimmung zur Verbindung Gebrauch gemacht hat, der Verbindung durch das obere Gericht nicht entgegen.


Entscheidung

848. BGH 4 StR 121/18 – Urteil vom 19. Juli 2018 (LG Berlin)

Revisionsgründe (revisionsgerichtliche Überprüfbarkeit der Beweiswürdigung).

§ 337 Abs. 1 StPO

1. Ein Rechtsmittelangriff, der sich darin erschöpft, eine eigene Würdigung der Beweise vorzunehmen, kann im Revisionsverfahren keinen Erfolg haben.

2. Liegen Rechtsfehler im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO, also zu bewertende Lücken der Beweiswürdigung oder Widersprüche, nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder gar naheliegend gewesen wäre.


Entscheidung

849. BGH 4 StR 129/18 – Beschluss vom 18. Juli 2018 (LG Stendal)

Antrag des Verletzten (unbezifferter Adhäsionsantrag).

§ 404 Abs. 1 Satz 2 StPO

§ 404 Abs. 1 Satz 2 StPO verlangt die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag. Bei einem unbezifferten Antrag müssen die tatsächlichen Grundlagen für die Ermessensausübung des Gerichts mitgeteilt werden. Wenn der Umfang der Leistung im richterlichen Ermessen steht, muss zwar kein konkreter Betrag geltend gemacht werden. Das Bestimmtheitsgebot verlangt aber zumindest die Angabe der Größenordnung des begehrten Betrages, um das Gericht und den Gegner darüber zu unterrichten, welchen Umfang der Streitgegenstand haben soll.