HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2018
19. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

959. BGH 3 StR 620/17 – Beschluss vom 31. Juli 2018 (LG Düsseldorf)

Amtsträgerbegriff (öffentlicher Personennahverkehr als Ausgabe der öffentlichen Verwaltung; Daseinsvorsorge; Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen; Verkehrsflächenwerbung; rein erwerbswirtschaftliche Betätigung; Beschaffungs- und Bedarfsverwaltung; fiskalische Hilfsgeschäfte; sonstige Stelle; „verlängerter Arm des Staates; Gesamtbetrachtung; Vorsatz bezüglich eigener Amtsträgerstellung; Kenntnis der Tatumstände; Bedeutungskenntnis; Parallelwertung in der Laiensphäre); Vorteilsannahme (Vorteilsbegriff; Abschluss von Verträgen); Einziehung von Taterträgen (Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit als Drittbegünstigte; Anordnung gegen den persönlich Handelnden bei fehlender Vermögenstrennung); Tateinheit bei uneigentlichem Organisationsdelikt.

§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 52 StGB; § 73 Abs. 1 StGB; § 73b StGB; § 331 StGB; § 15 StGB; § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB

1. Planung, Organisation und Ausgestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs sind grundsätzlich Aufgaben der öffentlichen Verwaltung i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c) StGB.

2. Im Bereich der Daseinsvorsorge kommt dem Staat die Definitionsmacht darüber zu, welche Aufgaben er zu

solchen der öffentlichen Verwaltung macht. Das sind diejenigen, die der Staat in öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Organisationsform selbst als Anbieter der entsprechenden Leistung wahrnimmt. Den öffentlichen Personennahverkehr und die Sicherstellung der hierfür erforderlichen Verkehrsdienstleistungen hat sich der Staat in diesem Sinne selbst zur Aufgabe gemacht.

3. Nicht nur die Aufgabenträger, sondern auch die Verkehrsunternehmen, die die Verkehrsdienstleistungen erbringen und hierzu von den Aufgabenträgern beauftragt werden, erbringen Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge. Die wirtschaftlich-eigennützige Erbringung dieser Leistung ändert daran nichts. Das ergibt sich bereits daraus, dass nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c) StGB auch derjenige Amtsträger ist, der im Auftrag einer Behörde oder sonstigen Stelle, als die jedenfalls die Aufgabenträger des öffentlichen Personennahverkehrs anzusehen sind, Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt.

4. Bei der Verwendung öffentlich-rechtlicher Verträge im Sinne der §§ 54 bis 62 VwVfG kann regelmäßig schon aufgrund der verwaltungsrechtlichen Handlungsform von öffentlicher Aufgabenwahrnehmung ausgegangen werden.

5. Die rein erwerbswirtschaftliche Betätigung des Staates hingegen, bei der er wie andere private Marktteilnehmer als Anbieter von Waren und Dienstleistungen in Erscheinung tritt, dient allein der Gewinnerzielung und Erhöhung der staatlichen Einnahmen und stellt damit für sich genommen keine Aufgabe der öffentlichen Verwaltung dar. Davon zu unterscheiden ist die Beschaffungs- und Bedarfsverwaltung als Teil einer öffentlichen Aufgabe. Dieser kommt die Funktion zu, die sachlichen Voraussetzungen für die Ausübung der Eingriffs- und Leistungsverwaltung zu schaffen, indem der Staat als Nachfrager von Waren und Dienstleistungen auftritt (sogenannte „fiskalische Hilfsgeschäfte“).

6. Da der öffentliche Personennahverkehr regelmäßig nicht ohne ein von der öffentlichen Hand auszugleichendes finanzielles Defizit durchzuführen ist und der Auftrag, eine ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen sicherzustellen, sowohl die Planung und Organisation als auch die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs umfasst, besteht zwischen der Durchführung des öffentlichen Personennahverkehrs und der Generierung von Einnahmen durch Verkehrsflächenwerbung ein so enger Zusammenhang, dass auch diese als Teil der öffentlichen Aufgabe anzusehen ist. Eine etwa zusätzlich zu Zwecken des Allgemeinwohls hinzutretende Gewinnerzielungsabsicht steht der Einstufung als öffentliche Aufgabe nicht entgegen.

7. Unter einer sonstigen Stelle im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c) StGB ist eine behördenähnliche Institution zu verstehen, die unabhängig von ihrer Organisationsform befugt ist, bei der Ausführung von Gesetzen mitzuwirken, ohne eine Behörde im verwaltungsrechtlichen Sinn zu sein. Ist die Stelle als juristische Person des Privatrechts organisiert, muss sie Merkmale aufweisen, die eine Gleichstellung mit einer Behörde rechtfertigen. Bei einer Gesamtbetrachtung muss sie danach als „verlängerter Arm des Staates erscheinen“.

8. In die Gesamtbetrachtung sind alle wesentlichen Merkmale der Gesellschaft einzubeziehen. Hierzu zählen insbesondere eine gewerbliche Tätigkeit im Wettbewerb mit anderen, ein etwaiges Eigentum der öffentlichen Hand, eine öffentliche Zwecksetzung im Gesellschaftsvertrag, die Finanzierung der Tätigkeit aus öffentlichen Mitteln oder aus den Erlösen der eigenen Unternehmenstätigkeit sowie in welchem Umfang staatliche Steuerungs- und Einflussmöglichkeiten bestehen. Nach Ansicht des Senats ist dabei dem Kriterium der staatlichen Steuerung kein entscheidendes Gewicht dergestalt beizumessen, dass ein gesellschaftsrechtlich verankerter Einfluss der öffentlichen Hand auf die laufenden Geschäfte und Einzelentscheidungen erforderlich ist.

9. Soweit in einzelnen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs für den Vorsatz hinsichtlich der Amtsträgereigenschaft im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c) StGB gefordert wurde, dass der Täter über das Wissen um seine Amtsträgerstellung begründenden Umstände hinaus auch eine Bedeutungskenntnis gerade von seiner Funktion als Amtsträger haben müsse (vgl. etwa BGH HRRS 2009 Nr. 717), bleibt nach Ansicht des Senats offen, was eine solche „Bedeutungskenntnis“ kennzeichnet, wann sie angenommen werden kann und inwiefern sie sich vom Wissen um die die Amtsträgereigenschaft begründenden Umstände unterscheidet. Denn der nicht näher präzisierte Begriff ist – ebenso wie derjenige der sogenannten „Parallelwertung in der Laiensphäre“ – eine rein normative Kategorie, die überdies den Grundsatz, dass ein Subsumtionsirrtum den Vorsatz unberührt lässt, nicht in Frage stellt.

10. Eine Vermögensmehrung bei einem Drittbegünstigten schließt grundsätzlich eine gegen den handelnden Täter anzuordnende Einziehung aus; vielmehr ist gegebenenfalls eine (selbständige) Einziehungsanordnung gegen den Drittbegünstigen zu treffen. Das gilt auch dann, wenn der Täter die Möglichkeit hat, auf das Vermögen des Drittbegünstigten zuzugreifen. Gegen den für eine drittbegünstigte Gesellschaft handelnden Täter kommt eine unmittelbare Einziehungsanordnung ausnahmsweise dann in Betracht, wenn er diese nur als formalen Mantel nutzt und eine Trennung zwischen Täter- und Gesellschaftsvermögen tatsächlich nicht existiert oder wenn jeder aus der Tat folgende Vermögenszufluss bei der Gesellschaft sogleich an den Täter weitergeleitet wird.


Entscheidung

841. BGH 2 StR 481/17 – Beschluss vom 6. März 2018 (BGH)

Konkurrenzen (Tateinheit zwischen Sachbeschädigung und schwerem Bandendiebstahl bzw. Wohnungseinbruchsdiebstahl: Aufgabe der sog. Konsumtionslösung).

§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG; § 52 Abs. 1 StGB; § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Var. 1 StGB; (§ 244a Abs. 1, § 244 Abs. 1 Nr. 3, § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Var. 1 StGB; § 244 Abs. 1 Nr. 3 Var. 1 StGB

1. Der Senat ist der Ansicht, dass eine zugleich verwirklichte Sachbeschädigung – wie auch bei einem Diebstahl

in einem besonders schweren Fall – stets im Verhältnis der Tateinheit zu schwerem Bandendiebstahl bzw. Wohnungseinbruchdiebstahl steht. Soweit er bisher eine abweichende Auffassung vertreten hat, beabsichtigt er, diese aufzugeben.

2. Der Senat kann aufgrund der in der Praxis häufig auftretenden Fallkonstellationen, in denen vollendete Einbruchdiebstahlstaten und Sachbeschädigungen zusammentreffen, nicht ausschließen, dass der beabsichtigten Entscheidung Rechtsprechung eines anderen Strafsenats entgegensteht. Er fragt deshalb bei den anderen Strafsenaten an, ob dies der Fall ist und ob an gegebenenfalls entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.


Entscheidung

919. BGH 1 StR 208/18 – Beschluss vom 26. Juni 2018 (LG Traunstein)

Notwehr (Einschränkung des Notwehrrechts bei Provokation des Angriffs: Voraussetzungen; rechtswidriger Angriff bei wechselseitigen Angriffen der Beteiligten: gebotene Gesamtbetrachtung).

§ 32 StGB

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfährt das Notwehrrecht unter anderem dann eine Einschränkung, wenn der Verteidiger gegenüber dem Angreifer ein pflichtwidriges Vorverhalten an den Tag gelegt hat, das bei vernünftiger Würdigung aller Umstände des Einzelfalls den folgenden Angriff als eine adäquate und voraussehbare Folge der Pflichtverletzung des Angegriffenen erscheinen lässt. In einem solchen Fall muss der Verteidiger dem Angriff unter Umständen auszuweichen suchen und darf zur lebensgefährlichen Trutzwehr nur übergehen, wenn andere Abwehrmöglichkeiten erschöpft oder mit Sicherheit aussichtslos sind (vgl. BGHSt 26, 143, 145).

2. Darüber hinaus vermag ein sozialethisch zu missbilligendes Vorverhalten das Notwehrrecht nur einzuschränken, wenn zwischen diesem Vorverhalten und dem rechtswidrigen Angriff ein enger zeitlicher und räumlicher Ursachenzusammenhang besteht und es nach Kenntnis des Täters auch geeignet ist, einen Angriff zu provozieren (vgl. BGH NStZ 2006, 332, 333).

3. Die bloße Kenntnis oder die („billigende“) Annahme, ein bestimmtes eigenes Verhalten werde eine andere Person zu einem rechtswidrigen Angriff provozieren, kann für sich allein nicht zu einer Einschränkung des Rechts führen, sich gegen einen solchen Angriff mit den erforderlichen und gebotenen Mitteln zur Wehr zu setzen (vgl. BGH NStZ 2011, 82, 83).

4. Bei zeitlich aufeinanderfolgenden, wechselseitigen Angriffen der Beteiligten bedarf es zur Prüfung der Notwehrlage einer Gesamtbetrachtung unter Einschluss des der Tathandlung vorausgegangenen Geschehens; derjenige kann sich nicht auf ein Notwehrrecht berufen, der zuvor einen anderen rechtswidrig angegriffen hat, so dass dieser seinerseits aus Notwehr handelt (vgl. BGH NStZ 2003, 599, 600).


Entscheidung

824. BGH 1 StR 201/18 – Beschluss vom 5. Juli 2018 (LG Stuttgart)

Rücktritt vom beendeten Versuch (erforderliche Erfolgsverhinderungshandlung des Täters; hier: Feuerwehrmann als Täter, Dienst in der Funkzentrale); Rücktritt vom Versuch bei Verhinderung des Taterfolgs durch Dritte (Vornahme der optimalen Rettungshandlung).

§ 22 StGB, § 23 Abs. 1 StGB; § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, Satz 2 StGB

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt ein Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB schon dann in Betracht, wenn der Täter unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung nicht die sicherste oder „optimale“ gewählt hat, sofern sich das auf Erfolgsabwendung gerichtete Verhalten des Versuchstäters als erfolgreich und für die Verhinderung der Tatvollendung als ursächlich erweist. Es kommt nicht darauf an, ob dem Täter schnellere oder sicherere Möglichkeiten der Erfolgsabwendung zur Verfügung gestanden hätten; das Erfordernis eines „ernsthaften Bemühens“ gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB gilt für diesen Fall nicht (vgl. BGHSt 48, 147, 149 f.) Erforderlich ist aber stets, dass der Täter eine neue Kausalkette in Gang gesetzt hat, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich oder jedenfalls mitursächlich geworden ist. Ohne Belang ist dabei, ob der Täter noch mehr hätte tun können, sofern er nur die ihm bekannten und zur Verfügung stehenden Mittel benutzt hat, die aus seiner Sicht den Erfolg verhindern konnten (vgl. BGHSt 33, 295, 301 mwN).

2. Wird der Taterfolg durch Dritte verhindert, setzt ein strafbefreiender Rücktritt voraus, dass der Täter alles tut, was in seinen Kräften steht und nach seiner Überzeugung zur Erfolgsabwendung erforderlich ist, und dass er die aus seiner Sicht ausreichenden Verteidigungsmöglichkeiten ausschöpft, wobei er sich auch der Hilfe Dritter bedienen kann (vgl. BGHSt 33, 295, 301 f.).


Entscheidung

925. BGH 3 StR 23/18 – Urteil vom 28. Juni 2018 (LG Krefeld)

Beweiswürdigung beim Tötungseventualvorsatz (Gesamtschau aller maßgeblichen objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles; äußerst gefährliche Gewalthandlungen; Wissenselement; Willenselement; billigend in Kauf nehmen; revisionsgerichtliche Prüfung; lückenhafte, widersprüchliche oder Unklare Erwägungen; Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze; nachvollziehbare Begründung; Beruhen auf möglichen Schlüssen; naheliegende gegenläufige Erwägungen); unverzügliche Vorführung zum Richter bei vorläufiger Festnahme (Richtervorbehalt; zeitlicher Spielraum; weitere Ermittlungsmaßnahmen).

§ 15 StGB; § 212 StGB; § 261 StPO; § 112 StPO; § 128 Abs. 1 StPO; Art. 104 GG; Art. 5 Abs. 3 MRK

1. Die tatrichterliche Beweiswürdigung mit Blick auf die Voraussetzungen des Tötungseventualvorsatzes ist nach ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa BGH HRRS 2012 Nr. 1105 m.w.N.) grundsätzlich dann revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie auf einer bewertenden Gesamtschau aller maßgeblichen objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles beruht und die dabei angestellten Erwägungen weder lückenhaft, widersprüch-

lich oder unklar sind noch gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstoßen.

2. Obwohl es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen naheliegt, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen, und dass er, wenn er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt, einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt, kann das Willenselement des Vorsatzes je nach den Umständen des Einzelfalles mit nachvollziehender Begründung verneint werden. Eine solche Verneinung des Vorsatzes ist revisionsrechtlich unbedenklich, sofern sie im Rahmen der gebotenen Gesamtschau auf möglichen Schlüssen beruht. Dabei muss das Tatgericht sich nicht mit jeder denkbaren gegenläufigen Erwägung auseinandersetzen, sondern nur mit solchen, die hinreichend nahe liegen.

3. Zwar verlangen § 128 Abs. 1 S. 1 StPO, Art. 104 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 GG, dass der Beschuldigte „unverzüglich“ dem Richter vorgeführt wird. Doch darf die Vorführung nach vorläufiger Festnahme durch die Ermittlungsbehörden hinausgeschoben werden, soweit dies sachdienlich erscheint. Denn anders als bei der Festnahme auf der Grundlage eines bereits vorliegenden Haftbefehls, bei dem die Ermittlungsbeamten den richterlichen Beschluss lediglich vollziehen, verbleibt ihnen bei der vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 2 StPO ein gewisser zeitlicher Spielraum, in dem sie vor einer möglichen Vorführung des Beschuldigten vor den Richter weitere Ermittlungsbefugnisse und -pflichten haben.

4. Die mit der Aufklärung des Sachverhalts betraute festnehmende Behörde hat im Falle der vorläufigen Festnahme zunächst – je nach Sachlage unter Vornahme weiterer Ermittlungen – zu entscheiden, ob die vorläufig festgenommene Person wieder freizulassen oder tatsächlich dem Ermittlungsrichter vorzuführen ist; im letzteren Fall muss sie dem Richter eine möglichst umfassende Grundlage für seine Entscheidung unterbreiten. Es wird deshalb in vielen Fällen sachgerecht sein, den Beschuldigten, der nach ordnungsgemäßer Belehrung zu einer Einlassung bereit ist, nach Erklärung der vorläufigen Festnahme (weiterhin) zu vernehmen, um dann darüber zu befinden, ob ein Haftbefehl zu beantragen ist und welche Umstände, die dessen Erlass begründen können, dem Richter darzulegen sind. Darin liegt regelmäßig kein Verstoß gegen den Richtervorbehalt nach Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG, Art. 5 Abs. 3 S. 1 MRK, § 128 Abs. 1 S. 1 StPO.


Entscheidung

871. BGH 2 StR 123/18 – Beschluss vom 17. Juli 2018 (LG Marburg)

Versuch (Begriff des unmittelbaren Ansetzens); sexueller Missbrauch von Kindern; sexuelle Nötigung.

§ 22 StGB; § 176a StGB; § 177 StGB

1. Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt. Erforderlich ist hierfür nicht die Verwirklichung mindestens eines Tatbestandsmerkmals. Genügend ist vielmehr auch ein für sich gesehen noch nicht tatbestandsmäßiges Handeln, soweit es nach der Vorstellung des Täters der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals räumlich und zeitlich unmittelbar vorgelagert ist oder nach dem Tatplan im ungestörten Fortgang ohne Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung einmünden soll.

2. Erfordernis weiterer konkretisierender Nachweise zum Tatplan beim sexuellen Missbrauch von Kindern.


Entscheidung

778. BGH 3 StR 622/17 – Urteil vom 17. Mai 2018 (LG Wuppertal)

Ehre als notwehrfähiges Rechtsgut (Bagatellgrenze; massive wiederholte Beleidigungen; Einbeziehung der Familie; Gebotenheit); rechtsfehlerhaft unterlassene Prüfung der Voraussetzungen eines Notwehrexzesses.

§ 32 StGB; § 33 StGB

Die persönliche Ehre darf – als strafrechtlich geschütztes Rechtsgut (§§ 185 ff. StGB) – grundsätzlich auch mit den Mitteln der Notwehr verteidigt werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn es sich nicht um nur geringfügige Behelligungen im sozialen Nahbereich, sozial tolerables Verhalten oder eine sonstige Bagatelle handelt. Diese Grenze ist bei wiederholten schwerwiegenden Beleidigungen unter Einbeziehung der Familie des Betroffenen regelmäßig überschritten.


Entscheidung

811. BGH 1 StR 108/18 – Beschluss vom 17. Mai 2018 (LG Stuttgart)

Beihilfe (Fördern der Haupttat durch bloße Anwesenheit am Tatort).

§ 27 Abs. 1 StGB

Die bloße Kenntnis von der Begehung der Tat und deren Billigung ohne einen die Tat objektiv fördernden Beitrag reicht nicht aus, um die Annahme von Beihilfe zu begründen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar schon ein bloßes „Dabeisein“ die Tatbegehung im Sinne aktiven Tuns fördern oder erleichtern (vgl. BGH StV 2012, 287). In derartigen Fällen bedarf es aber sorgfältiger und genauer Feststellungen darüber, dass und wodurch die Tatbegehung in ihrer konkreten Gestaltung objektiv gefördert oder erleichtert wurde, und dass der Gehilfe sich dessen bewusst war (BGH NStZ 1993, 233).


Entscheidung

765. BGH 3 StR 106/18 – Urteil vom 28. Juni 2018 (LG Hannover)

Voraussetzungen strafbarer Beihilfe durch das Überlassen einer Wohnung als Ort für die Abwicklung von Betäubungsmittelgeschäften.

§ 29 BtMG; § 27 StGB

Der Inhaber einer Wohnung hat nicht ohne weiteres rechtlich dafür einzustehen, dass in seinen Räumen durch Dritte keine Straftaten begangen werden. Deshalb erfüllt allein die Kenntnis und Billigung der Lagerung, der Aufbereitung oder des Vertriebs von Betäubungsmitteln in der Wohnung für den Wohnungsinhaber noch nicht die Voraussetzung strafbarer Beihilfe. Anders verhält es sich nur, wenn er schon bei der Überlassung der Wohnung von deren geplanter Verwendung für Rauschgiftgeschäfte wusste und den Täter in die Wohnung in diesem Fall nicht allein aus persönlichen Gründen aufnahm.


Entscheidung

779. BGH 3 StR 638/17 – Beschluss vom 19. April 2018 (LG Wuppertal)

Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe (Tatherrschaft; Mitwirkung am Kerngeschehen; Anwesenheit am Tatort; fördernder Beitrag; Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung; Verhältnis zur tatbestandsverwirklichenden Ausführungshandlung; revisionsgerichtliche Kontrolle).

§ 25 Abs. 2 StGB; § 27 StGB

Mittäterschaft setzt zwar weder zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst noch die Anwesenheit am Tatort voraus, so dass auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt, ausreichen kann. Jedoch muss sich die betreffende Mitwirkung nicht nur als bloße Förderung fremden Tuns, sondern als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Danach setzt (Mit-)Täterschaft unter dem Blickwinkel der Tatherrschaft voraus, dass der Täter durch seinen Beitrag Einfluss auf die Tatausführung nehmen kann. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich wiederum nach dem Verhältnis seines Beitrags zu der eigentlichen tatbestandsverwirklichenden Ausführungshandlung.


Entscheidung

861. BGH 4 StR 282/18 – Beschluss vom 31. Juli 2018 (LG Münster)

Rücktritt (Darstellung des Rücktrittshorizontes in den Urteilsfeststellungen).

§ 24 Abs. 1 StGB

Soweit sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten (sog. Rücktrittshorizont), das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen lässt, kann das Urteil einer sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht standhalten.


Entscheidung

928. BGH 3 StR 59/18 – Beschluss vom 22. August 2018 (KG Berlin)

Voraussetzungen einer ausnahmsweise anzunehmenden natürlichen Handlungseinheit bei gegen höchstpersönliche Rechtgüter verschiedener Personen gerichteten Angriffshandlungen (Angriff gegen nicht individualisierte Personenmehrheit; gekünstelte Aufspaltung eines außergewöhnlich engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs); Zusammentreffen von minder schwerem Fall und gesetzlich vertyptem Milderungsgrund.

§ 49 StGB; § 52 StGB; § 212 StGB; § 213 StGB; § 23 StGB

1. Höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Personen (hier: das Leben) sind einer additiven Betrachtungsweise, wie sie der natürlichen Handlungseinheit zugrunde liegt, nur ausnahmsweise zugänglich. Greift daher der Täter einzelne Menschen nacheinander an, um jeden von ihnen in seiner Individualität zu beeinträchtigen, so besteht sowohl bei natürlicher als auch bei rechtsethisch wertender Betrachtungsweise selbst bei einheitlichem Tatentschluss und engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang regelmäßig kein Anlass, diese Vorgänge als eine Tat zusammenzufassen.

2. Etwas anderes gilt dann, wenn eine Aufspaltung in Einzeltaten wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs oder bei einem gegen eine aus der Sicht des Täters nicht individualisierte Personenmehrheit gerichteten Angriff willkürlich und gekünstelt erschiene. Unter diesen Umständen kommt ausnahmsweise auch bei höchstpersönlichen Rechtsgütern verschiedener Personen eine Zusammenfassung zu einer Tat aufgrund einer natürlichen Handlungseinheit in Betracht.


Entscheidung

839. BGH 2 StR 69/18 – Beschluss vom 3. Mai 2018 (LG Köln)

Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen (Vorliegen einer Wahnerkrankung).

§ 20 StGB

1. Für die Frage eines Ausschlusses der Schuldfähigkeit gemäß § 20 StGB kommt es darauf an, in welcher Weise sich eine festgestellte psychische Störung, die ein gesetzliches Eingangsmerkmal erfüllt, bei der Tat auf die Unrechtseinsicht und die Handlungsmöglichkeiten des Täters ausgewirkt hat.

2. Eine Wahnerkrankung schließt Unrechtseinsicht nicht generell, bei einem akuten Schub aber in aller Regel aus. Wenn das Tatgericht bei Vorliegen eines hirnorganisch bedingten Psychosyndroms lediglich von eingeschränkter Steuerungsfähigkeit ausgeht, hat es dies nachvollziehbar darzulegen. Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung der wesentlichen Umstände.


Entscheidung

981. BGH 5 StR 348/18 – Beschluss vom 16. August 2018 (LG Göttingen)

Irrtumsfeststellung beim Betrug (normativ geprägtes Vorstellungsbild; Verzicht auf Zeugenaussagen; äußere Umstände und allgemeine Erfahrungssätze; Kaufpreisvorauszahlung; „Schneeballsystem“); rechtsfehlerhafte Gesamtstrafenbildung (fehlende Mitteilung des Vollstreckungsstandes; Zäsurwirkung).

§ 263 StGB; § 55 StGB

1. Es gerade bei normativ geprägten Vorstellungsbildern rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sich das Gericht zur Feststellung des Irrtums i.S.d. § 263 StGB nicht auf die Aussage eines oder mehrerer ausgewählter Zeugen stützt, sondern sich die Überzeugung vom Vorliegen betrugsrelevanter Fehlvorstellungen aufgrund äußerer Umstände und allgemeiner Erfahrungssätze verschafft.

2. Eine solche Irrtumsfeststellung kommt etwa dann in Betracht, wenn Personen unter unwahren Angaben dazu veranlasst werden, eine Vorauszahlung auf den Kaufpreis für ein Kraftfahrzeug zu leisten, während es vom Erfolg von Spekulationsgeschäften des Täuschenden oder der Akquise weiterer Kunden („Schneeballsystem“) abhängt, ob ein entsprechendes Fahrzeug überhaupt beschafft oder zumindest die Vorauszahlungen zurückerstattet werden können.


Entscheidung

929. BGH 3 StR 74/18 – Beschluss vom 7. August 2018 (LG Dresden)

Abgrenzung der Tatbeiträge bei gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung (einverständliches Zusammenwirken; Eignung zur Verschlechterung der Lage des Geschädigten; Zusammenwirken von Tä-

ter und Gehilfe; Abgrenzung nach allgemeinen Regeln); Voraussetzungen der Mittäterschaft bei Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion; mitgliedschaftliche Beteiligung an krimineller Vereinigung (konkurrenzrechtliches Verhältnis zu durch die Betätigungsakte verwirklichten anderen Straftaten; Tateinheit; Tatmehrheit).

§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB; § 25 Abs. StGB; § 27 StGB; § 308 Abs. 1 StGB; § 129 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB

1. Wird durch mitgliedschaftliche Betätigungsakte i.S.d. §§ 129 ff. StGB der Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllt, stehen diese Delikte zwar gemäß § 52 Abs. 1 Var. 1 StGB in Tateinheit mit der jeweils gleichzeitig verwirklichten mitgliedschaftlichen Beteiligung, jedoch – soweit sich nach allgemeinen Grundsätzen nichts anderes ergibt – nicht nur untereinander, sondern auch zu der Gesamtheit der sonstigen mitgliedschaftlichen Betätigungsakte in Tatmehrheit (vgl. BGH HRRS 2016 Nr. 110).

2. Eine gemeinschaftliche Begehungsweise i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB ist gegeben, wenn Täter und Beteiligter bei Begehung der Körperverletzung einverständlich zusammenwirken, wobei es bereits genügt, wenn ein am Tatort anwesender Tatgenosse die Wirkung der Körperverletzungshandlung des Täters bewusst in einer Weise verstärkt, welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet ist (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH HRRS 2017 Nr. 952). Dabei kann auch das Zusammenwirken eines Täters mit einem Gehilfen zur Erfüllung des Qualifikationsmerkmals ausreichen. In diesem Fall bleiben die Tatbeiträge nach allgemeinen Regeln abzugrenzen; derjenige, der nur Unterstützungshandlungen für einen anderen ausführt, macht sich lediglich der Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung schuldig.


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

777. BGH 3 StR 585/17 – Urteil vom 14. Juni 2018 (LG München)

BGHSt; Bildung und Befehlen von bewaffneten Gruppen (Anzahl notwendiger Mitglieder; Drei-Personen-Gruppe; Organisationsstruktur; Fortbestand über längere Zeit; Spontanzusammenschluss; Adhoc-Gruppe; Verfügen über Waffen oder gefährliche Werkzeuge; Verfügen durch die Gruppe; kein quantitatives Mindestquorum von bewaffneten Mitgliedern; gefährliches Werkzeug; Art und Weise der nach dem Gruppenzweck bestimmten Verwendung; Befehligen; tatsächliche Kommandogewalt; Konkurrenzverhältnis zu durch Gruppenmitglieder begangenen Taten); Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs; gemeinschaftliche Körperverletzung.

§ 127 StGB; § 224 StGB; § 52 StGB

1. Für eine Gruppe im Sinne des § 127 StGB genügt eine Mindestanzahl von drei Gruppenmitgliedern jedenfalls dann, wenn sie an einem Ort zusammenwirken. In diesem Fall muss die Personenmehrheit weder eine Organisationsstruktur aufweisen noch auf längere Zeit angelegt sein; ausreichend ist ein spontaner Zusammenschluss für eine einmalige Unternehmung. (BGHSt)

2. Eine Gruppe verfügt gemäß § 127 StGB nur dann über Waffen oder andere gefährliche Werkzeuge, wenn die Ausstattung mit derartigen Gegenständen für den gemeinsamen Gruppenzweck wesentlich ist und zugleich nach deren Art und Gefährlichkeit den Charakter des Personenzusammenschlusses (mit-)bestimmt. Für die Beurteilung von Gegenständen als gefährliche Werkzeuge kommt es – neben ihrer objektiven Beschaffenheit – darauf an, ob ihnen nach dem Gruppenzweck für den Fall der Verwendung eine waffengleiche Funktion zukommt. (BGHSt)

3. Dass der Gesetzeswortlaut auf das Verfügen seitens der Gruppe, nicht der Mitglieder abstellt, bedeutet nicht, dass die Gegenstände zentral aufbewahrt werden müssen; vielmehr genügt es, wenn sie im Besitz einzelner Gruppenangehöriger sind. Jedoch muss die Ausstattung mit Waffen oder anderen gefährlichen Werkzeugen dem gemeinsamen Gruppenzweck dienen. Die „Bewaffnung“ muss für diesen Zweck wesentlich sein und zugleich nach Art und Gefährlichkeit der Gegenstände ein wesentliches Merkmal des Personenzusammenschlusses darstellen. Alleiniger Zweck oder Endziel des Sich-Zusammenschließens braucht sie hingegen nicht zu sein. (Bearbeiter)

4. § 127 StGB verlangt kein quantitatives Mindestquorum von mit Waffen bzw. gefährlichen Werkzeugen ausgerüsteten Gruppenmitgliedern, das abstrakt festzulegen wäre. Ebenso wenig ist erforderlich, dass von den Gruppenangehörigen eine erhebliche Anzahl oder gar die Mehrzahl „bewaffnet“ ist. (Bearbeiter)

5. Inwieweit Gegenstände als gefährliche Werkzeuge zu beurteilen sind, richtet sich nach der Art und Weise der nach dem Gruppenzweck bestimmten Verwendung. Maßgebend ist, wie die Gegenstände, die nach ihrer objektiven Beschaffenheit zur Herbeiführung erheblicher Verletzungen geeignet sind, gegebenenfalls eingesetzt werden sollen. Welche Funktion den zu beurteilenden Gegenständen im Fall ihrer Verwendung zukommen soll, richtet sich nach dem Gruppenzweck, der durch die „Bewaffnung“ gefördert werden und für den diese wesentlich sein muss. (Bearbeiter)

6. Eine Gruppe im Sinne des § 127 StGB bildet, wer als späteres Mitglied oder Nichtmitglied dafür sorgt, dass sich „bewaffnete“ Personen in der erforderlichen Anzahl zu dem gemeinsamen Zweck zusammenschließen, oder als Mitglied eine Personenmehrheit, die nicht über die notwendigen Waffen oder anderen gefährlichen Werkzeuge verfügt, hiermit ausrüstet. Diese Tathandlungsvariante können auch die sich zu einer Gruppe zusammenschließenden Personen mittäterschaftlich begehen. (Bearbeiter)

7. Eine Gruppe im Sinne des § 127 StGB befehligt derjenige, dessen Anweisungen sich die Mitglieder unterordnen und der – als Mitglied, gegebenenfalls gleichberechtigt mit weiteren Befehlshabern – die tatsächliche Kommandogewalt innehat. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass sich die Gruppe rein tatsächlich den Anweisungen des Täters unterwirft. In diesem Sinne kann das Befehligen auch damit umschrieben werden, dass derjenige, der innerhalb der Gruppe „das Sagen hat“ und dem sich die anderen Gruppenmitglieder unterordnen, einseitige – als verbindlich betrachtete – Anweisungen erteilt. Vollendung liegt mit dem Erteilen des Befehls vor, solange der Täter über eine Position in der Gruppe verfügt, in der seine Befehle in der Regel befolgt werden. (Bearbeiter)

8. Sofern der Tatbestand des § 127 StGB in der Tathandlungsvariante des Bildens verwirklicht wird, ist im Verhältnis zu einer von einem Gruppenmitglied in Realisierung des Gruppenzwecks ausgeführten Tat zwar grundsätzlich Tatmehrheit anzunehmen. Das gilt jedoch – abhängig von den konkreten Umständen – nicht, wenn es sich um einen für die strafbare Einzelunternehmung spontan gebildeten, nur für kurze Zeit existierenden Personenzusammenschluss (Adhoc-Gruppe) handelt. (Bearbeiter)

9. Eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB begeht, wer seinem Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eine Körperverletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB beibringt. Wird eine Person durch einen gezielten Hieb mit einem Schlagwerkzeug zu Fall gebracht, kann der Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur erfüllt sein, wenn bereits durch den Anstoß eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens ausgelöst wird, nicht hingegen bei mittelbaren, infolge eines anschließenden Sturzes erlittenen Schäden. (Bearbeiter)


Entscheidung

940. BGH 3 StR 205/18 – Beschluss vom 21. August 2018 (LG Verden)

Keine mittelbare Falschbeurkundung durch Veranlassung eines Notars zur Eintragung einer nicht existierenden Person im Grundbuch (öffentliches Buch; Reichweite des öffentlichen Glaubens; Beweiskraft für und gegen Jedermann; keine eigene Rechtsbehauptung des Grundbuchs bei übernommener Erklärung); Rücktritt vom versuchten Betrug (Fehlschlag; Rücktrittshorizont; beendeter und unbeendeter Versuch).

§ 271 StGB; § 263 StGB; § 22 StGB; § 24 StGB

1. Die Veranlassung eines gutgläubigen Notars, beim Grundbuchamt eine Auflassungsvormerkung zugunsten einer nicht existenten Person im Grundbuch zu erwirken, erfüllt nicht den Tatbestand des § 271 Abs. 1 StGB. Zwar handelt es sich bei dem Grundbuch um ein öffentliches Buch im Sinne des § 271 Abs. 1 StGB (vgl. §§ 891, 892 BGB). Indes wird nicht durch jede in einem öffentlichen Buch enthaltene unrichtige Angabe, die ein Außenstehender durch Täuschung des gutgläubigen Amtsträgers bewirkt, der Tatbestand des § 271 Abs. 1 StGB verwirklicht.

2. Strafbewehrt beurkundet im Sinne des § 271 Abs. 1 StGB sind nur diejenigen Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen, auf die sich der öffentliche Glaube, das heißt die „volle Beweiswirkung für und gegen jedermann“ erstreckt. Für die inhaltliche Reichweite dieser erhöhten Beweiskraft ist, soweit eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zur Beweiswirkung besteht, diese ausschlaggebend. Fehlt eine solche, kann sich die erhöhte Beweiskraft mittelbar – unter Beachtung der Anschauung des Rechtsverkehrs – aus den Rechtsvorschriften ergeben, die für die Errichtung und den Zweck der Urkunde maßgeblich sind.

3. Danach besteht hinsichtlich der Eintragung einer Auflassungsvormerkung zugunsten einer nicht existenten Person im Grundbuch kein öffentlicher Glauben. Die erhöhte Beweiskraft des Grundbuchs nach §§ 891, 892 BGB erstreckt sich nicht auf die Existenz (und Rechtsfähigkeit) des Eingetragenen. Die Grundbuchfähigkeit ist zwar Voraussetzung der Eintragung; als vom Grundbuchamt lediglich übernommene Erklärung wird sie aber nicht selbst zur Rechtsbehauptung des Grundbuchs. Daher ist das für einen nicht existierenden (bzw. nicht rechtsfähigen) Berechtigten eingetragene Recht nicht gutglaubensschutzfähig.


Entscheidung

873. BGH 2 StR 152/18 – Urteil vom 15. August 2018 (LG Aachen)

Urteilsgründe (formelle Anforderungen an einen Teilfreispruch); Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (revisionsgerichtliche Überprüfbarkeit); Einwilligung (Maßstab der Sittenwidrigkeit).

§ 261 StPO; § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO; § 228 StGB

1. Für die Sittenwidrigkeit der Tat ist entscheidend, ob die Körperverletzung wegen des besonderen Gewichts des jeweiligen tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs unter Berücksichtigung des Umfangs der eingetretenen Körperverletzung und des damit verbundenen Gefahrengrads für Leib und Leben des Opfers trotz Einwilligung des Rechtsgutsträgers nicht mehr als von der Rechtsordnung hinnehmbar erscheint. Die Weite und Konturenlosigkeit des Merkmals der guten Sitten in § 228 StGB erfordert, dieses strikt auf das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte zu beziehen und auf seinen Kerngehalt zu reduzieren. Gesellschaftliche Vorstellungen oder der durch die Tat verfolgte Zweck können lediglich dazu führen, dass ihretwegen eine Einwilligung trotz massiver Rechtsgutsverletzungen Wirksamkeit entfalten kann. Zur Feststellung eines Sittenverstoßes und damit – über die Unbeachtlichkeit der Einwilligung – zur Begründung der Strafbarkeit von einvernehmlich vorgenommenen Körperverletzungen können sie nicht herangezogen werden.

2. Es ist danach nicht stets sittenwidrig, wenn der Angeklagte der einwilligenden Person seine Initialen in den

unteren Rücken in zehn Zentimeter großen Buchstaben einritzt, auch um sie „zu zeichnen“.


Entscheidung

900. BGH 4 StR 170/18 – Beschluss vom 18. Juli 2018 (LG Neuruppin)

Mord (Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln); Brandstiftung (Begriff der Hütte); Antrag des Verletzten; Prozesskostenhilfe (Erfordernis gesonderter Antragsstellung nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe; Bestimmtheit des Adhäsionsantrages; grundsätzlich keine Zurückweisung allein zur Entscheidung über Adhäsionsantrag).

§ 211 Abs. 2 Var. 7 StGB; § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 404 Abs. 1 StPO

1. Das Mordmerkmal der Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel ist erfüllt, wenn der Täter ein Tötungsmittel einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Dabei ist nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters. Von dem Mordmerkmal tatbestandlich nicht erfasst wird eine „schlichte“ Mehrfachtötung; eine solche liegt jedenfalls dann vor, wenn sich der Täter mit Tötungsabsicht gegen eine bestimmte Anzahl von ihm individualisierter Opfer richtet.

2. Hütten sind Bauwerke, bei denen an die Größe, Festigkeit und Dauerhaftigkeit geringere Anforderungen gestellt werden als bei Gebäuden, die aber dennoch ein selbstständiges, unbewegliches Ganzes bilden, das eine nicht völlig geringfügige Bodenfläche bedeckt und ausreichend abgeschlossen ist. Ein Bauwagen ist daher nur dann als Hütte erfasst, wenn er durch sein Eigengewicht auf dem Boden ruht, nicht jedoch, wenn er mit Rädern ausgestattet und jederzeit bewegbar ist.

3. Wird ein Adhäsionsantrag unter der Bedingung der Prozesskostenhilfebewilligung angebracht, so ist nach erfolgter Bewilligung gleichwohl noch eine Antragstellung gemäß § 404 Abs. 1 StPO erforderlich; allein das Prozesskostenhilfeverfahren führt noch nicht zur Rechtshängigkeit der Adhäsionsanträge.

4. Ein Adhäsionsantrag hat inhaltlich den Anforderungen an eine Zivilklage (§ 253 ZPO) zu genügen. Wenn der Umfang der beantragten Geldleistung im richterlichen Ermessen steht, muss zwar kein konkreter Betrag geltend gemacht werden; das Bestimmtheitsgebot verlangt aber zumindest die Angabe einer Größenordnung, um das Gericht und den Gegner darüber zu unterrichten, welchen Umfang der Streitgegenstand haben soll. Deshalb fehlt es an der von § 404 Abs. 1 Satz 2 StPO geforderten Bestimmtheit, wenn der Adhäsionskläger keine Angaben zur Größenordnung des begehrten Schmerzensgeldes macht.

5. Regelmäßig soll eine Zurückverweisung allein zur Entscheidung über einen Adhäsionsantrag unterbleiben; in diesen Fällen soll vielmehr von einer Entscheidung über die Entschädigung des Verletzten ganz abgesehen werden. Anderes gilt, wenn der Senat das Urteil auch im Übrigen teilweise aufhebt und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverweist. Damit hat das neue Tatgericht Gelegenheit – nach entsprechender Antragstellung –, auch über den zivilrechtlichen Teil der Sache neu zu entscheiden.


Entscheidung

962. BGH 5 StR 100/18 – Urteil vom 15. August 2018 (LG Hamburg)

Geldwäsche (Feststellungen zur Vortat; taugliche Tatobjekte; Buchgeld; Surrogate; Kette von Verwertungshandlungen; Tathandlungen; Verwahren; Verwenden; Verschleiern der Herkunft; Konkurrenzen; Tateinheit; Tatmehrheit; Gewerbsmäßigkeit); Ablehnung eines Beweisantrags wegen Bedeutungslosigkeit.

§ 261 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB; § 244 Abs. 3 StPO

1. Für die Feststellungen zur Vortat der Geldwäsche (§ 261 StGB) reicht es aus, wenn sich aus den festgestellten Umständen jedenfalls in groben Zügen bei rechtlich zutreffender Bewertung eine Katalogtat nach § 261 Abs. 1 StGB als Vortat ergibt. Es muss nur ohne vernünftigen Zweifel ausgeschlossen werden können, dass der Gegenstand legal erlangt wurde oder dass er aus einer Nichtkatalogtat stammt.

2. Taugliche Tatobjekte der Geldwäsche sind. u.a. Buchgeld und solche Gegenstände, die erst durch eine Verwertung des vom Vortäter ursprünglich Erlangten als Surrogat erworben werden und daher nur mittelbar aus der Vortat stammen Durch die Wahl des weiten Begriffs des „Herrührens“ soll eine für Geldwäsche typische Kette von Verwertungshandlungen erfasst werden, bei denen der ursprünglich bemakelte Gegenstand gegebenenfalls mehrfach durch einen anderen oder auch durch mehrere Surrogate ersetzt wird. Maßgeblich ist eine wirtschaftliche Betrachtungsweise, wonach Gegenstände als bemakelt anzusehen sind, wenn sie sich im Sinne eines Kausalzusammenhangs auf die Vortat zurückführen lassen und nicht wesentlich auf der Leistung Dritter beruhen.

3. Die Geldwäschetauglichkeit eines Gegenstandes wird grundsätzlich nicht dadurch aufgehoben, dass er mit legalen Finanzmitteln vermengt wird. In Fällen der Vermischung ist dies lediglich dann der Fall, wenn der aus Vortaten herrührende Anteil bei wirtschaftlicher Betrachtung völlig unerheblich ist.

4. Verwahren i.S.d. § 261 StGB bedeutet, einen geldwäschetauglichen Gegenstand in Obhut zu nehmen oder zu halten, um ihn für einen Dritten oder für die eigene spätere Verwendung zu erhalten. Für das Verwahren von Buchgeld kommt es darauf an, ob der Täter eine der unmittelbaren Sachherrschaft entsprechende tatsächliche Verfügungsgewalt über die Forderung hat. Bei Konten genügt das Recht, über das Geld allein zu verfügen.

5. Unter das Tatbestandsmerkmal des Verwendens i.S.v. § 261 StGB fällt jeder bestimmungsgemäße Gebrauch des inkriminierten Gegenstandes. Bei Bargeld und Buchgeld werden Geldgeschäfte aller Art erfasst, bei Konten mithin auch Verfügungen über das jeweilige Guthaben durch Überweisungen oder Barabhebungen.

6. Verschleiern der Herkunft eines Gegenstands i.S.d. § 261 StGB umfasst alle irreführenden Machenschaften, durch die einem Tatobjekt der Anschein einer anderen (legalen) Herkunft verliehen oder zumindest die wahre Herkunft verborgen werden soll. Verbergen und Verschleiern bezeichnen ein zielgerichtetes, konkret geeignetes Handeln, den Herkunftsnachweis zu erschweren, ohne dass diese Bemühungen aus der Sicht der Strafverfolgungsbehörden zum Erfolg geführt haben müssen.

7. Mehrere Geldwäschehandlungen sind nicht bereits deshalb rechtlich zu einer Tat verbunden, weil die einzelnen Tatobjekte aus einer bestimmten Vortat herrühren. § 261 StGB ist eine eigenständige Strafvorschrift, nicht etwa eine besondere Form der Beteiligung an der Vortat. Daher sind Geldwäschehandlungen hinsichtlich der Frage der Einheit oder Mehrzahl von Handlungen eigenständig zu beurteilen.

8. Verschafft sich ein Täter gemäß § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB bei mehreren Gelegenheiten (Bar-)Geldbeträge, so ist grundsätzlich Tatmehrheit gegeben. Gleiches gilt beim Eingang von bemakelten Geldbeträgen auf ein vom Täter beherrschtes Konto, die von ihm dort nach § 261 Abs. 2 Nr. 2 StGB jedenfalls vorübergehend verwahrt werden. Mit anschließenden Verwendungshandlungen im Sinne von § 261 Abs. 2 Nr. 2 StGB durch strafbewehrte Verfügungen des Täters über das deliktisch erlangte Giralgeld in Form von Überweisungen oder Barabhebungen besteht dagegen grundsätzlich eine natürliche Handlungseinheit


Entscheidung

963. BGH 5 StR 147/18 – Urteil vom 29. August 2018 (LG Berlin)

Voraussetzungen einer sexuellen Handlung en einem Kind (ambivalente Handlungen; Körperkontakt; Sexualbezogenheit aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes; Zielrichtung und Absichten des Täters): Herstellung einer kinderpornographischen Schrift zum Eigenbedarf; rechtsgutsspezifische Bestimmung der Erheblichkeit sexueller Handlungen.

§ 184b StGB; § 184h Nr. 1 StGB

1. An einem Kind mit Körperkontakt vorgenommene Handlungen sind sexuelle Handlungen, wenn diese bereits objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild die Sexualbezogenheit erkennen lassen. Daneben können aber auch sogenannte ambivalente Tätigkeiten, die für sich betrachtet nicht ohne Weiteres einen sexuellen Charakter aufweisen, tatbestandsmäßig sein. Insoweit ist auf das Urteil eines objektiven Betrachters abzustellen, der alle Umstände des Einzelfalles kennt. Dazu gehören auch die Zielrichtung des Täters und seine sexuellen Absichten. Der notwendige Sexualbezug kann sich mithin etwa aus der den Angeklagten leitenden Motivation ergeben, seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen.

2. Nach § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB macht sich auch strafbar, wer kinderpornographische Schriften ausschließlich zum Eigenbedarf herstellt. Eine spätere Verbreitung ist nach geltender Rechtslage nicht erforderlich.

3. Nach dem Schutzzweck des § 184b StGB ist dieser Straftatbestand nicht auf Fälle der Darstellung strafbewehrter sexueller Missbrauchstaten im Sinne der §§ 176 bis 176b StGB beschränkt. Denn das Merkmal „Erheblichkeit“ in § 184h Nr. 1 StGB ist nicht einheitlich am Maßstab des § 176 Abs. 1 StGB, sondern gemäß dem Wortlaut des § 184h Nr. 1 StGB „im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut“ zu bestimmen. Nachdem § 184b StGB aber schon mögliche Anreize für potenzielle Missbrauchstäter vermeiden soll, versagt der für § 176 StGB entwickelte Maßstab der „Erheblichkeit“ gerade in den Fällen, in denen es dort zum Beispiel auf die Intensität und Dauer einer Berührung ankommt; die Übernahme dieses Maßstabs würde den Zweck der Anreizvermeidung verkürzen.


Entscheidung

899. BGH 4 StR 162/18 – Urteil vom 16. August 2018 (LG Magdeburg)

Mord (Heimtücke: Maßstab, kein Ausschluss durch feindselige Atmosphäre im Vorfeld); Besonders schwere Brandstiftung (konkrete Gefahr des Todes eines anderen Menschen: Maßstab).

§ 211 Abs. 2 Uabs. 2 Var. 1 StGB; § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB

1. § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt die konkrete Gefahr des Todes eines anderen Menschen voraus. Wann eine solche Gefahr gegeben ist, entzieht sich exakter wissenschaftlicher Umschreibung. Die Tathandlung muss aber jedenfalls über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus im Hinblick auf einen bestimmten Vorgang in eine kritische Situation für das geschützte Rechtsgut geführt haben; in dieser Situation muss – was nach der allgemeinen Lebenserfahrung aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person so stark beeinträchtigt worden sein, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Allein der Umstand, dass sich Menschen in enger räumlicher Nähe zur Gefahrenquelle befinden, genügt noch nicht zur Annahme einer konkreten Gefahr. Umgekehrt wird die Annahme einer Gefahr aber auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Schaden ausgeblieben ist, weil sich der Gefährdete noch in Sicherheit bringen konnte. Erforderlich ist ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, dass „das noch einmal gut gegangen sei“.

2. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung bei Beginn des mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist danach, dass der Täter das sich keines erheblichen Angriffs versehende, mithin arglose Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und es dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Bei einem offen feindseligen Angriff ist erforderlich, dass dem Opfer wegen der kurzen Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und unmittelbarem Angriff keine Möglichkeit der Abwehr verblieben ist.

3. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht eine auf früheren Aggressionen und einer feindseligen Atomsphäre beruhende latente Angst des Opfers der Annahme von Arglosigkeit nicht entgegen, da es darauf ankommt, ob das Opfer gerade im Tatzeitpunkt

weder mit einem lebensbedrohlichen noch mit einem (nur) gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten (erheblichen) Angriff gerechnet hat.


Entscheidung

927. BGH 3 StR 47/18 – Beschluss vom 7. August 2018 (LG Mönchengladbach)

Voraussetzungen der Annahme eines besonders schweren Totschlags (besonders großes in der Tat zum Ausdruck kommendes Verschulden; Nähe zu Mordmerkmalen; besonders gewichtige schulderhöhende Gesichtspunkte; Umfang der Überprüfung durch das Revisionsgericht).

§ 212 Abs. 2 StGB; § 211 StGB

1. Ein besonders schwerer Fall des Totschlags setzt voraus, dass das in der Tat zum Ausdruck kommende Verschulden des Täters außergewöhnlich groß ist. Es muss ebenso schwer wiegen wie das eines Mörders. Dafür genügt nicht schon die bloße Nähe der die Tat oder den Täter kennzeichnenden Umstände zu gesetzlichen Mordmerkmalen. Es müssen vielmehr schulderhöhende Gesichtspunkte hinzukommen, die besonders gewichtig sind.

2. Die Frage, ob ein besonders schwerer Fall im Sinne des § 212 Abs. 2 StGB vorliegt, ist eine Frage der Strafzumessung, die dem Tatgericht obliegt. Das Revisionsgericht kann die gebotene Würdigung und Abwägung aller maßgeblichen Umstände nicht selbst vornehmen. Es hat nur nachzuprüfen, ob dem Tatgericht bei dessen Entscheidung ein Rechtsfehler unterlaufen ist.


Entscheidung

771. BGH 3 StR 180/18 – Beschluss vom 14. Juni 2018 (LG Lüneburg)

Sexueller Missbrauch eines Kindes (Einwirken durch Vorzeigen pornographischer Darstellungen; „Pornofilm“); Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften (Anforderungen an die Urteilsfeststellungen zum Inhalt von Video- und Bildaufnahmen; exemplarische Zahl; Zugänglichmachen; Verhältnis von Verbreiten und Besitz; Konkurrenzen; Klammerwirkung).

§ 176 Abs. 4 StGB; § 184b StGB; § 52 StGB

1. Pornographisch (vgl. § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB) sind Darstellungen, die sexualbezogenes Geschehen vergröbernd und ohne Sinnzusammenhang mit anderen Lebensäußerungen zeigen. Die pauschale Bezeichnung eines Videos als „Pornofilm“ belegt dieses Tatbestandsmerkmal für sich gesehen nicht. Etwas Anderes kann sich daraus ergeben, dass der wesentliche Inhalt des Videos als eine Mehrzahl sexueller Handlungen zwischen zwei Erwachsenen charakterisiert wird.

2. Damit das Revisionsgericht prüfen kann, ob der Tatbestand des § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB verwirklicht wurde, ist bei einer großen Menge von Video und Bildaufnahmen, zwar nicht erforderlich, in den Urteilsgründen jede einzelne zu beschreiben. Zumindest für eine exemplarische Auswahl der Aufnahmen sind aber konkrete Feststellungen zu den abgebildeten sexuellen Handlungen von, an oder vor Kindern geboten.

3. Ein durchgehender Besitz kinderpornographischer Schriften (§ 184b Abs. 3 Var. 2 StGB) ist nicht in der Lage, mehrere selbständige Verbreitungstaten (§ 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB) zu verklammern; denn der Tatbestand des Besitzes bleibt in seinem strafrechtlichen Unwert, wie er in der Strafandrohung zum Ausdruck kommt, hinter demjenigen der Verbreitung zurück.

4. Grundsätzlich verdrängt zwar die Tathandlungsvariante des Verbreitens kinderpornographischer Schriften in Form des öffentlichen Zugänglichmachens diejenige des Besitzes als subsidiären Auffangtatbestand. Dies betrifft jedoch ausschließlich den Zeitraum des Zugänglichmachens, dagegen nicht die Zeit danach, sofern der Besitz den Zeitraum des Bereitstellens überdauert.


Entscheidung

869. BGH 4 StR 646/17 – Beschluss vom 19. Juni 2018 (LG Münster)

Betrug (Täuschung durch Unterlassen: Garantenpflicht aus Sozialrecht)

§ 13 Abs. 1 StGB; § 263 Abs. 1 StGB; § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB I

Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen sich aus der sozialrechtlichen Regelung des § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB I überhaupt eine strafrechtliche Garantenpflicht ergeben kann.


Entscheidung

820. BGH 1 StR 160/18 – Beschluss vom 24. April 2018 (LG München I)

Verdeckungsmord (Verdeckung einer anderen Tat: Bildung des Tötungsvorsatzes als Zäsur eines sonst einheitlichen Geschehens; Verdeckungsabsicht bei bedingtem Tötungsvorsatz); Tatbegehung durch Unterlassen (erforderliche Feststellung zum Vorstellungsbild des Täters).

§ 211 Abs. 2 StGB; § 15 StGB; § 13 Abs. 1 StGB; § 267 Abs. 1 StPO

1. Das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht gemäß § 211 Abs. 2 StGB setzt voraus, dass der Täter die Tötungshandlung vornimmt oder – im Falle des Unterlassens – die ihm zur Abwendung des Todeseintritts gebotene Handlung unterlässt, um dadurch eine „andere“ Straftat zu verdecken. Dabei steht der Annahme eines solchen Verdeckungsmordes nicht bereits entgegen, dass sich schon die zu verdeckende Vortat gegen die körperliche Unversehrtheit des Opfers richtet und im unmittelbaren Anschluss in die Tötung zur Verdeckung des vorausgegangenen Geschehens übergeht (vgl. BGH NJW 2003, 1060). Denn in Fällen, in denen ein äußerlich ununterbrochenes Handeln (bzw. Unterlassen) zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz beginnt und dann mit Tötungsvorsatz weitergeführt wird, liegt die erforderliche Zäsur in diesem Vorsatzwechsel (vgl. BGH NStZ 2015, 639).

2. Nur in den Fallkonstellationen, bei denen der Täter von Anfang an mit – sei es auch nur bedingtem – Tötungsvorsatz handelt, fehlt es an einer zu verdeckenden Vortat im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB, wenn er im Zuge der Tatausführung die Tötung zusätzlich auch deshalb herbeiführen will, um seine vorherigen Tathandlungen zu verdecken. Denn allein das Hinzutreten der Verdeckungsabsicht als (weiteres) Tötungsmotiv macht die

davor begangenen Einzelakte in diesem Fall nicht zu einer „anderen“ Tat (st. Rspr.).

3. Auch Verdeckungsabsicht und bedingter Tötungsvorsatz schließen sich nicht grundsätzlich aus. So kommt die Annahme von Verdeckungsabsicht im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn der Tod des Opfers nicht mit direktem Vorsatz angestrebt, sondern nur bedingt vorsätzlich in Kauf genommen wird (vgl. BGH NStZ-RR 2018, 174), wenn nicht im Einzelfall der Tod des Opfers sich als zwingend notwendige Voraussetzung einer Verdeckung darstellt. Voraussetzung ist aber stets, dass die Verdeckungshandlung selbst nach der Vorstellung des Täters Mittel der Verdeckung sein soll. Wenn der Täter aber annimmt, eine Aufdeckung der anderen Straftat werde unabhängig von der Verdeckungshandlung und von deren Tötungserfolg nicht eintreten, fehlt es an der erforderlichen (vorgestellten) Kausalität einer möglicherweise objektiv „verdeckenden“ Handlung für den subjektiv angestrebten Erfolg (vgl. BGH NStZ 2011, 34).

4. Der subjektive Tatbestand des Unterlassens ist nur dann gegeben, wenn der Unterlassende zu dem Zeitpunkt, zu dem er handeln sollte, die Gefahr für das Rechtsgutssubjekt sowie die Umstände kennt, die seine Garantenpflicht begründet. Hinzukommen muss für den Vorsatz aber auch die individuelle Möglichkeit des Täters, zur Abwehr der Gefahr tätig zu werden, die Erwartung oder mindestens die Erkenntnis der konkreten Möglichkeit des Erfolgseintritts sowie die Abhängigkeit des Erfolgseintritts davon, dass der Täter die ihm gebotene und mögliche Handlung nicht vornimmt.


Entscheidung

813. BGH 1 StR 123/18 – Beschluss vom 16. Mai 2018 (LG Ravensburg)

Heimtückemord (Ausnutzungsbewusstsein: Voraussetzungen, Feststellung aufgrund objektiver Tatumstände).

§ 211 Abs. 2 StGB; § 261 StPO

1. In subjektiver Hinsicht setzt der Tatbestand des Heimtückemordes nicht nur voraus, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers erkennt; erforderlich ist außerdem, dass er die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (vgl. BGH NStZ 2015, 214, 215). Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.).

2. Das Ausnutzungsbewusstsein kann bereits dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter – wie bei Schüssen in den Rücken des Opfers – auf der Hand liegt (vgl. BGH NStZ 2013, 709, 710). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat. Denn bei erhaltener Unrechtseinsicht ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (vgl. BGH NStZ 2008, 510, 511). Danach hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen. Allerdings kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (vgl. BGH NStZ-RR 2018, 45, 47).


Entscheidung

802. BGH 5 StR 580/17 – Urteil vom 4. Juli 2018 (LG Berlin)

Ausnutzungsbewusstsein beim Heimtückemord (bedeutungsmäßige Erfassung der die Heimtücke begründenden Umstände; objektives Bild des Tatgeschehens); niedrige Beweggründe; verminderte Schuldfähigkeit bei wahnhaften Störungen (direkte Beziehung von Tatmotiv und Tathandlung zum Wahnthema).

§ 20 StGB; § 21 StGB; § 211 StGB

1. Für das zur Bejahung des Mordmerkmals der Heimtücke erforderliche Ausnutzungsbewusstsein genügt es, wenn der Täter die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Längere Überlegung oder planvolles Vorgehen sind nicht erforderlich. Das Ausnutzungsbewusstsein kann bereits dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt.

2. Die Annahme verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) setzt voraus, dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten infolge eines den Eingangsmerkmalen des § 20 StGB zuzuordnenden psychischen Defekts erheblich vermindert war. Wahnhafte Störungen können sich zwar bei akuten psychotischen Phasen erheblich auf die Schuldfähigkeit – insbesondere das Einsichtsvermögen – auswirken; standen Tatmotiv und -handlung aber nicht in einer direkten Beziehung zum Wahnthema, ist allein aus der Diagnose einer wahnhaften Störung regelmäßig noch keine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit herzuleiten.


Entscheidung

973. BGH 5 StR 296/18 – Beschluss vom 31. Juli 2018 (LG Berlin)

Heimtücke (ausnahmsweise Absehen vom Erfordernis der Arglosigkeit im Zeitpunkt der ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffshandlung bei geplanter und vorbereiteter Tat; Vorkehrungen zur Schaffung einer günstigen Gelegenheit zur Tötung; Fortwirkung im Moment der Tatausführung; in kurzer Zeit ablaufendes Geschehen).

§ 211 StGB

Bei einer geplanten und vorbereiteten Tat kann Heimtücke (§ 211 StGB) ausnahmsweise unabhängig von der Arglosigkeit des Opfers im Moment des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs vorliegen, sofern der

Täter Vorkehrungen ergreift, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen und diese bei der Ausführung der Tat noch fortwirken. Das kann u.a. der Fall sein, wenn der Täter das Opfer in dessen Wohnung überrascht und es dort in einer Weise in seine Gewalt bringt, die anschließend im Rahmen eines in kurzer Zeit ablaufenden Geschehens bis zur eigentlichen Tötungshandlung jegliche Abwehrmöglichkeit ausschließt. Unter diesen Umständen genügt die Arglosigkeit im Moment des Eindringens in die Wohnung.


Entscheidung

957. BGH 3 StR 595/17 – Beschluss vom 12. Juli 2018 (LG Krefeld)

Konkurrenzen bei (versuchtem) Prozessbetrug, Anstiftung zur Falschaussage und Vortäuschen einer Straftat (Tateinheit; Handlungseinheit; Idealkonkurrenz; Überschneidung der Tathandlungen; einheitliches Ziel).

§ 52 StGB; § 145d StGB; § 153 StGB; § 26 StGB; § 263 StGB; § 23 StGB

1. Ist die Anstiftung eines Zeugen zur Falschaussage zugleich Teil eines (von Bereicherungsabsicht getragenen) Planes des Anstifters, das Gericht zu einer schädigenden Verfügung über das Vermögen eines anderen zu veranlassen, stehen Anstiftung zur Falschaussage und (versuchter) Prozessbetrug in Tateinheit zueinander. Denn in der Beweisführung mit der Falschaussage selbst liegt die Handlungseinheit begründende Überschneidung der Tathandlungen.

2. Die Vortäuschung eines tatsächlich nicht begangenen Diebstahls (§ 145d StGB) und dessen betrügerische (§ 263 StGB) Anzeige gegenüber der Versicherung stehen nicht allein wegen des einheitlichen Ziels in Tateinheit. Sie stehen vielmehr nur dann in Idealkonkurrenz, wenn beide Tatbestände durch eine Handlung verknüpft sind, die zugleich der Verwirklichung beider Tatbestände dient. Dies ist etwa der Fall, wenn Anzeige und Schadensmeldung gleichzeitig abgegeben, beispielsweise, wenn sie zusammen zur Post gegeben werden.


Entscheidung

805. BGH AK 26 und 27/18 – Beschluss vom 28. Juni 2018 (OLG Celle)

Unterstützen einer terroristischen Vereinigung (Stärkung des Gefährdungspotenzials der Organisation; Abgrenzung zum Werben; Einschränkung; Werben für Ideologie und Ziele; „Sympathiewerbung“); dringender Tatverdacht; Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate.

§ 129a StGB; § 129b StGB; § 112 StPO; § 121 Abs. 1 StPO

Unterstützen i.S.d. §§ 129a Abs. 5 S. 1, 129b Abs. 1 S. 1 StGB ist grundsätzlich jedes Tätigwerden, dem die abstrakte Eignung zukommt, das Gefährdungspotential der Organisation zu stärken. Jedoch hat der Gesetzgeber alle Handlungen, die sich in einem Werben für die Ideologie und die Ziele einer terroristischen Vereinigung erschöpfen, aus der Strafbarkeit herausgenommen und nur noch für bestimmte besonders gefährliche terroristische Vereinigungen unter Strafe gestellt und es insoweit bei einem gegenüber dem Unterstützen niedrigeren Strafrahmen belassen. Dieser im Gesetzeswortlaut und in der Gesetzessystematik objektivierte Wille des Gesetzgebers würde missachtet, wenn man propagandistische Aktivitäten eines Nichtmitgliedes, denen die bloße abstrakte Eignung zukommt, das Gefährdungspotential der beworbenen Vereinigung zu stärken, weiterhin als Unterstützen im Sinne des § 129a Abs. 5 S. 1 StGB ansehen wollte.


Entscheidung

842. BGH 2 StR 495/17 – Beschluss vom 5. Juni 2018 (LG Marburg)

Sexuelle Nötigung (Voraussetzungen einer Gewaltanwendung).

§ 177 Abs. 1 StGB a.F.

1. Der Tatbestand des § 177 Abs. 1 StGB a.F. in der Variante der Gewaltanwendung erfordert, dass der Täter physische Kraft entfaltet, um den als ernst erkannten oder erwarteten Widerstand des Opfers gegen die Vornahme sexueller Handlungen zu überwinden.

2. Aus der Vornahme der sexuellen Handlung kann auch nicht zugleich auf die Anwendung von (weitergehender) Gewalt geschlossen werden.


Entscheidung

853. BGH 4 StR 89/18 – Beschluss vom 7. August 2018 (LG Bochum)

Misshandlung von Schutzbefohlenen (Begriff des rohen Misshandelns).

§ 225 Abs. 1 StGB

Ein rohes Misshandeln im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn der Täter einem anderen eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt, die sich in erheblichen Handlungsfolgen äußert. Eine gefühllose Gesinnung ist gegeben, wenn der Täter bei der Misshandlung das – notwendig als Hemmung wirkende – Gefühl für das Leiden des Misshandelten verloren hat, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt haben würde.


Entscheidung

806. BGH AK 28/18 – Beschluss vom 12. Juli 2018

Dringender Tatverdacht wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland (objektive Nützlichkeit für die Organisation; Nachweis anhand belegter Fakten); Sichbereiterklären zur mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung; Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate.

§ 129a StGB; § 129b StGB; § 30 Abs. 2 StGB; § 112 StPO; § 121 Abs. 1 StPO

1. Unter einem Unterstützen im Sinne von § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 S. 1, § 129b Abs. 1 S. 1 StGB ist grundsätzlich jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds zu verstehen, das die innere Organisation der Vereinigung und deren Zusammenhalt unmittelbar fördert, die Realisierung der von ihr geplanten Straftaten – wenngleich nicht unbedingt maßgebend – erleichtert oder sich sonst auf deren Aktionsmöglichkeiten und Zwecksetzung in irgendeiner Weise positiv auswirkt und damit die ihr eigene Gefährlichkeit festigt.

2. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, wenn die Förderungshandlung an sich konkret wirksam, für die Organisation objektiv nützlich ist und dieser mithin irgendei-

nen Vorteil bringt; ob der Vorteil genutzt wird und daher etwa eine konkrete, aus der Organisation heraus begangene Straftat oder ob nur eine organisationsbezogene Handlung eines ihrer Mitglieder mitgeprägt wird, ist dagegen ohne Belang. In diesem Sinne muss der Organisation durch die Tathandlung kein messbarer Nutzen entstehen. Die Wirksamkeit der Unterstützungsleistungen und deren Nützlichkeit müssen indes stets anhand belegter Fakten nachgewiesen sein.


Entscheidung

776. BGH 3 StR 264/18 – Beschluss vom 24. Juli 2018 (LG Stade)

Tätige Reue bei der Geiselnahme (Verzicht auf den erstrebten Nötigungserfolg; Rückgewähr einer erlangten Leistung; Wahlmöglichkeit; Fehlschlag der Nötigungsbemühungen).

§ 239a Abs. 4 StGB; § 239b StGB

1. Tätige Reue bei der Geiselnahme (§ 239b Abs. 2 i.V.m. § 239a Abs. 4 StGB) erfordert neben der Freilassung der Geisel den Verzicht auf die erstrebte Leistung. Dafür muss der Täter von der Weiterverfolgung seines Nötigungszieles Abstand nehmen, also auf die nach seinem ursprünglichen Tatplan abzunötigende Handlung, Duldung oder Unterlassung verzichten. Hat der Täter sein Nötigungsziel bereits erreicht, scheidet ein Verzicht aus, sofern er die Leistung nicht im unmittelbaren Zusammenhang der Freigabe zurückgewährt

2. Da ein Verzicht eine Wahlmöglichkeit voraussetzt, kommt ein solcher auch dann nicht in Betracht, wenn dies aus anderen Gründen nicht möglich ist, etwa wenn der Täter erkennt, dass er sein Nötigungsziel nicht mehr erreichen kann, weil seine Bemühungen, einen bestimmten Nötigungserfolg zu erzielen, fehlgeschlagen sind.


Entscheidung

934. BGH 3 StR 125/18 – Beschluss vom 28. Mai 2018 (LG Mönchengladbach)

Wegnahme eines tatsächlich leeren Behältnisses als fehlgeschlagener Versuch des Diebstahls/Raubes; Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs (Eignung zur Hervorrufung erheblicher Verletzungen nach der konkreten Art der Verwendung).

§ 242 StGB; § 249 StGB; § 22 StGB; § 23 StGB; § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB

Befindet sich in einem Behältnis, das der Täter in seinen Gewahrsam bringt, nicht die vorgestellte werthaltige Beute, kann regelmäßig nicht wegen eines vollendeten Diebstahls oder Raubes, sondern nur wegen (fehlgeschlagenen) Versuchs verurteilt werden.


Entscheidung

768. BGH 3 StR 150/18 – Beschluss vom 14. Juni 2018

Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung (objektive Nützlichkeit; Unterstützungserfolg; Übergabe von Geld- oder Sachleistungen an Boten der Organisation; strafloser Versuch).

§ 129a StGB; § 129b StGB

Die für die Annahme einer Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung im Sinne der §§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 S. 1, 129b Abs. 1 S. 1 StGB notwendige objektive Nützlichkeit der Unterstützungshandlung für die Organisation („Unterstützungserfolg“, vgl. zuletzt BGH HRRS 2018 Nr. 173) liegt regelmäßig vor, wenn eine Geld- oder Sachleistung an einen Boten der Organisation übergeben wird. Das gilt jedenfalls dann, wenn dieser Bote – unabhängig von seiner eigenen Organisationsmitgliedschaft – sich den Weisungen der Organisation unterworfen hat und somit für diese die Sachherrschaft ausübt.


Entscheidung

764. BGH 3 StR 93/18 – Beschluss vom 2. Mai 2018 (LG Bad Kreuznach)

Zuwiderhandlung gegen unbefristete Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz (Zeitablauf; Verhältnismäßigkeit; Befristung als Sollvorschrift).

§ 1 Abs. 1 GewSchG; § 4 S. 1 Nr. 1 GewSchG

1. Eine entgegen § 1 Abs. 1 Satz 2 GewSchG unterbliebene Befristung der Anordnung stellt die Strafbarkeit einer Zuwiderhandlung gemäß § 4 Satz 1 Nr. 1 GewSchG nicht in Frage.

2. Unterbleibt bei einer Anordnung nach § 1 Abs. 1 S. 1 GewSchG die Befristung (vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 GewSchG), kann die Frage der Strafbarkeit wegen einer Zuwiderhandlung (§ 4 S. 1 Nr. 1 GewSchG) aber nicht davon abhängig gemacht werden, ob die Anordnung zum Tatzeitpunkt aus Verhältnismäßigkeitsgründen noch als Grundlage einer Bestrafung nach § 4 GewSchG dienen konnte. Denn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist insoweit keine für die Strafbegründung bedeutsame Kategorie, sondern allenfalls im Hinblick auf die Sanktionierung von Bedeutung.