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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2005
6. Jahrgang
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1. Auch bei heftig bewegten Tatgeschehen und vehementen Angriffen muss der Angegriffene bei nicht mehr akut gefährlichen Einwirkungsmöglichkeiten des Angreifenden vor Abgabe gezielter Schüsse auf den Körper des Angreifenden den Einsatz der Waffe zunächst androhen, insbesondere etwa durch einen Warnschuss (vgl. BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 5 und 11, Verhältnismäßigkeit 2).
2. Diese Einschränkung des Notwehrrechts durch Begrenzung der Erforderlichkeit der Verteidigung bezieht sich auf jeglichen gefährlichen Einsatz einer Schusswaffe, nicht etwa nur auf einen mit (mindestens bedingtem) Tötungsvorsatz geführten.
1. Zum Mordmerkmal "mit gemeingefährlichen Mitteln" beim Einsatz eines Kraftfahrzeugs als Tatwerkzeug. (BGHR)
2. Das Mordmerkmal der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln ist erfüllt, wenn der Täter ein Mittel zur Tötung einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat (BGHSt 38, 353, 354 m.w.N.). (Bearbeiter)
3. Dabei ist nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters (vgl. BGHSt 38, 353, 354). Die Mordqualifikation kann auch dann erfüllt sein, wenn ein Tötungsmittel eingesetzt wird, das seiner Natur nach, nicht gemeingefährlich ist. Maßgeblich ist dann jedoch die Eignung des Mittels zur Gefährdung Dritter in der konkreten Situation (vgl. BGH VRS 63, 119). (Bearbeiter)
4. Nach der Rechtsprechung kann eine natürliche Handlungseinheit ausnahmsweise auch dann vorliegen, wenn es um die Beeinträchtigung höchstpersönlicher Rechtsgüter verschiedener Personen geht. Die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit ist in derartigen Fällen dann gerechtfertigt, wenn eine Aufspaltung in Einzeltaten wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs willkürlich erschiene (BGH NStZ-RR 2001, 82 m.w.N.). (Bearbeiter)
1. Ein Vermögensschaden kann bei einem Eingehungsbetrug auch dann vorliegen, wenn - wie vom Täter gewollt - das Opfer vorleistet und damit eine Sicherung für die Realisierung des eigenen Anspruchs aufgibt. (BGHR)
2. Der Grundsatz der Massesicherung (§ 64 Abs. 2 GmbHG) berührt nicht die Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB, wenn ein Verantwortlicher, der bei Insolvenzreife die fehlende Sanierungsmöglichkeit erkennt, das Unternehmen weiter führt, ohne einen Insolvenzantrag zu stellen (im Anschluss an BGHSt 47, 318; 48, 307). (BGHR)
3. Der Senat stellt klar, dass sein dogmatischer Ausgangspunkt, wonach die Sozialabgaben im Sinne des § 266a StGB vorrangig zu erfüllende Verbindlichkeiten sind, sich nicht auf deren Privilegierung nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 lit. a KO gestützt hat und auch nach Einführung der Insolvenzordnung Bestand hat. Vorrangigkeit in diesem Zusammenhang besagt, dass die Erfüllung anderer Verbindlichkeiten für den Verantwortlichen keinen Rechtfertigungsgrund in Bezug auf eine Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB bilden kann, wenn dadurch die Mittel für die Bezahlung der Arbeitnehmerbeiträge verbraucht werden. (Bearbeiter)
4. Die Frage, in welcher Höhe die Sozialversicherungsabgaben geschuldet sind, ist weitestgehend nicht dem Zeugenbeweis zugänglich, sondern unter Anwendung von Rechtsnormen zu klären. (vgl. zur vergleichbaren Problematik im Steuerstrafrecht BGHR AO § 370 Abs. 1 Berechnungsdarstellung 9, 10). (Bearbeiter)
Fährt ein Angeklagter mit Gefährdungsvorsatz auf den Polizeibeamten zu, reicht dies für die Annahme eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nicht aus, denn bei Vorgängen im fließenden Verkehr muss zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz eines Fahrzeugs in verkehrswidriger Absicht hinzukommen, dass es mit mindestens bedingtem Schädigungsvorsatz - etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug - missbraucht wird (vgl. BGHSt 48, 233 f.).
Bei der Lastschriftreiterei ist der Gefährdungsschaden nicht durch eine bloße Addition der eingelösten Lastschriften zu ermitteln. Werden die mit der Lastschrifteinlösung gewährten "Darlehen" nacheinander abgerufen, wird die Ablösung eines vorherigen durch ein folgendes Darlehen bewirkt; mit der neuen Darlehensgewährung wird so zugleich die Gefährdung durch die frühere Darlehensgewährung beseitigt.
1. Zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist das Revisionsgericht nur eingeschränkt berufen und in der Lage. Das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen, ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat dessen Entscheidung grundsätzlich hinzunehmen und sich auf die Prüfung zu beschränken, ob die Urteilsgründe Rechtsfehler (vgl. § 337 StPO) enthalten. Diese sind namentlich dann gegeben, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich, unklar ist oder gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt. Dabei brauchen die Schlussfolgerungen des Tatrichters nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Die Urteilsgründe müssen aber erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist (st. Rspr., vgl. BGHSt 29, 18, 20; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2; Überzeugungsbildung 26).
2. Ein objektiv ungefährliches Gas, das der Angeklagte zur Begehung seines Raubes verwendet, erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a StGB, unterfällt jedoch § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b StGB. Bei § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b StGB handelt es sich um einen Auffangtatbestand. Dabei reicht es, dass der Angeklagte das Werkzeug oder Mittel in der Absicht mitführt, das Tatmittel zur Verhinderung oder Überwindung des Widerstandes des Geschädigten durch Gewaltanwendung oder Drohung einzusetzen: Seine Verwendung ist nicht erforderlich.
1. Das Tatbestandsmerkmal des "Beisichführens" ist nur dann erfüllt, wenn der Täter das gefährliche Werkzeug bei der Tatausführung "bewusst gebrauchsbereit" bei sich hatte (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 12, 13 m.w.N.). Ein entsprechendes Bewusstsein liegt aber beim Beisichführen eines Taschenmessers mit einer Klingenlänge von nur 4,5 cm namentlich dann, wenn ein solches Messer vor der spontan begangenen Tat "ständig" (nur) zum Öffnen von Bierflaschen benutzt wurde, nicht auf der Hand.
2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Messer, sofern sie nicht schon dem Waffenbegriff unterfallen, generell als "gefährliche Werkzeuge" i.S. des § 244 StGB einzustufen (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 265 m.w.N.). Ob dies grundsätzlich ungeachtet der Größe und der eigentlichen Bestimmung als Gebrauchsgegenstand eines solchen Messers auch für Taschenmesser in der Art von Schweizer Offiziersmessern gilt (vgl. BGHSt 43, 266, 268 zu § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) oder ob es im Hinblick darauf, dass sich das Mitsichführen eines solchen Taschenmessers als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens als sozialadäquates Verhalten darstellt, einer einschränkenden Auslegung des Begriffs des gefährlichen Werkzeuges im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB bedarf (vgl. OLG Braunschweig NJW 2002, 1735; OLG Frankfurt StV 2002, 145), kann der Senat hier offen lassen.
1. Heimtückisches Handeln erfordert kein heimliches Vorgehen. Das Opfer eines Tötungsdelikts kann auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen.
2. Ein niedriger Beweggrund kann auch dann gegeben sein, wenn der Täter in dem Bewusstsein handelt, keinen Grund für eine Tötung zu haben oder zu brauchen. Eine solche Einstellung, bei der der Täter meint, nach eigenem Gutdünken über das Leben des Opfers verfügen zu können, steht auf sittlich tiefster Stufe und ist besonders verachtenswert (BGHSt 47, 128, 132). Zur Feststellung einer solchen Einstellung bedarf es jedoch einer Gesamtwürdigung, die die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließen muss.
Bei tateinheitlicher Verurteilung wegen schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung - jeweils wegen Lebensgefährdung - wird die der Qualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zu Grunde liegende abstrakte Lebensgefährdung durch die Qualifikation der vorsätzlichen konkreten Lebensgefährdung in § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b StGB verdrängt. Die abstrakte Lebensgefährdung bei der Körperverletzung darf daher im Rahmen der Strafzumessung nicht - nochmals - zum Nachteil des Täters berücksichtigt werden (§ 46 Abs. 3 StGB). Für die einfache Körperverletzung gilt dies jedoch nicht.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Tötungsbeweggrund niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt (BGHSt 35, 116, 127; 47, 128, 130 m.w.N.). Gefühlsregungen wie Rache kommen nach der Rechtsprechung dann als niedrige Beweggründe in Betracht kommen, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 36 m.w.N.).
2. Wer einen anderen aus Rache deshalb tötet oder zu töten beabsichtigt, weil dieser ihn als Zeuge wahrheitsgemäß belastet, handelt nicht weniger verwerflich als derjenige, der durch die Tötung seine eigene Straftat verdecken will und deshalb ein mordqualifizierendes Merkmal verwirklicht. Dies gilt zumal dann, wenn das Opfer des Tötungsdelikts, das gegen den Täter ausgesagt hat, bereits Opfer der Tat war, die dem Täter in dem früheren Strafverfahren zur Last gelegt wurde.