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HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 736

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 170/05, Beschluss v. 12.07.2005, HRRS 2005 Nr. 736


BGH 4 StR 170/05 - Beschluss vom 12. Juli 2005 (LG Aachen)

Schwerer Diebstahl (Beisichführen eines gefährlichen Werkzeugs: einschränkende Auslegung bei kleinen Taschenmessern); vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung (Ursächlichkeit der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit); vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr; räuberischer Diebstahl (Beutesicherungsabsicht); Anwendung des Zweifelsgrundsatzes bei der Bestimmung der Konkurrenzen.

§ 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB; § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a StGB; § 316 StGB; § 315b StGB; § 52 StGB; § 252 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Das Tatbestandsmerkmal des "Beisichführens" ist nur dann erfüllt, wenn der Täter das gefährliche Werkzeug bei der Tatausführung "bewusst gebrauchsbereit" bei sich hatte (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 12, 13 m.w.N.). Ein entsprechendes Bewusstsein liegt aber beim Beisichführen eines Taschenmessers mit einer Klingenlänge von nur 4,5 cm namentlich dann, wenn ein solches Messer vor der spontan begangenen Tat "ständig" (nur) zum Öffnen von Bierflaschen benutzt wurde, nicht auf der Hand.

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Messer, sofern sie nicht schon dem Waffenbegriff unterfallen, generell als "gefährliche Werkzeuge" i.S. des § 244 StGB einzustufen (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 265 m.w.N.). Ob dies grundsätzlich ungeachtet der Größe und der eigentlichen Bestimmung als Gebrauchsgegenstand eines solchen Messers auch für Taschenmesser in der Art von Schweizer Offiziersmessern gilt (vgl. BGHSt 43, 266, 268 zu § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) oder ob es im Hinblick darauf, dass sich das Mitsichführen eines solchen Taschenmessers als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens als sozialadäquates Verhalten darstellt, einer einschränkenden Auslegung des Begriffs des gefährlichen Werkzeuges im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB bedarf (vgl. OLG Braunschweig NJW 2002, 1735; OLG Frankfurt StV 2002, 145), kann der Senat hier offen lassen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 16. Dezember 2004 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, Nötigung, gefährlicher Körperverletzung und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis für immer angeordnet. Den Angeklagten F. hat es wegen Anstiftung zum Diebstahl mit Waffen und zur vorsätzlichen Trunkenheit im Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.

Die jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten haben Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen hatten der Angeklagte M., der "seit vielen Jahren unter einer schweren Alkoholabhängigkeit" leidet, und der Angeklagte F. in der vorangegangenen Nacht und am Vormittag des Tattages in erheblichem Umfang Alkohol getrunken. Dabei hatte der Angeklagte M. zum Öffnen der Bierflaschen den Flaschenöffner an dem von ihm stets in einer Tasche seiner Kleidung mitgeführten Taschenmesser (Klingenlänge etwa 4,5 cm) verwendet. Als die Angeklagten an einem vorübergehend am Fahrbahnrand abgestellten Klein-Lkw vorbeigingen, bemerkte der Angeklagte F., dass in dem nicht verschlossenen Fahrzeug der Zündschlüssel steckte. Er hatte spontan die Idee, mit dem Fahrzeug auf schnelle und bequeme Weise von W. nach D. zurückgelangen zu können, traute sich jedoch nicht, das Fahrzeug selbst zu entwenden. Er wies den Angeklagten M., um diesen zur Entwendung des Fahrzeugs zu veranlassen, auf den steckenden Zündschlüssel hin. Um dem Angeklagten F. zu beweisen, dass er im Gegensatz zu diesem "über die nötige Courage verfügte", ging der Angeklagte M., der keine Fahrerlaubnis hat, zu dem Lkw zurück, stieg ein und fuhr geradeaus davon.

Dabei war ihm bewusst, dass er aufgrund seiner erheblichen Alkoholisierung - seine Blutalkoholkonzentration betrug drei Stunden und zehn Minuten nach der Tat noch 2,82 ‰ - nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen. Nach einer Fahrtstrecke von etwa 60 bis 70 Metern hielt der Angeklagte M. das Fahrzeug am Beginn einer lang gezogenen Linkskurve an, um den Angeklagten F. zusteigen zu lassen. Dem Zeugen G., der die Entwendung seines Fahrzeugs bemerkt hatte, gelang es, den Lkw einzuholen. Er stellte sich vor den Lkw und legte beide Hände auf die Motorhaube des Fahrzeugs, um eine Weiterfahrt zu unterbinden. Der Angeklagte M. gab zunächst kurz und kräftig Gas, um dem Zeugen Angst einzuflössen und ihn zu veranlassen, den Weg freizugeben. Als der Zeuge darauf nicht reagierte, fuhr der Angeklagte M. mit heulendem Motor ruckartig und zügig an. Er wollte den Zeugen G. "zwar nicht gezielt anfahren", rechnete aber damit, dass dieser von der Vorderfront des Lkw erfasst werden könnte, und nahm dies "jedenfalls billigend in Kauf". Der Zeuge G., der versuchte auszuweichen, wurde vom Lkw erfasst, zur Seite weggeschleudert und erlitt in Folge des Sturzes Prellungen und Schürfwunden. Der Angeklagte M. setzte seine Fahrt fort, weil er sich "fluchtartig vom Ort des Geschehens entfernen wollte". Nach einer Fahrtstrecke von 150 bis 200 Metern stellte er den Lkw mit laufendem Motor auf einer Garagenzufahrt eines Grundstücks ab, weil die Angeklagten nach Entdeckung des Diebstahls und wegen des Unfalls mit der umgehenden Einleitung einer Fahndung rechneten und die Fortsetzung der Flucht mit dem Lkw deshalb für zu riskant hielten.

II.

Das Urteil hat insgesamt keinen Bestand.

1. Die Verurteilung des Angeklagten M. begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, soweit es die Schuldsprüche wegen Diebstahls mit Waffen und vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und die Beurteilung der Konkurrenzen betrifft.

a) Dass der Angeklagte M. bei dem Diebstahl des Lkw den Qualifikationstatbestand des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB verwirklicht hat, ist durch bisherige Feststellungen nicht belegt.

Allerdings steht die Annahme des Landgerichts, dass ein Taschenmesser ein sonstiges gefährliches Werkzeug im Sinne dieser Vorschrift ist, im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Danach sind Messer, sofern sie nicht schon dem Waffenbegriff unterfallen, generell als "gefährliche Werkzeuge" einzustufen (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 265 m.w.N.). Ob dies grundsätzlich ungeachtet der Größe und der eigentlichen Bestimmung als Gebrauchsgegenstand eines solchen Messers auch für Taschenmesser in der Art von Schweizer Offiziersmessern gilt (vgl. BGHSt 43, 266, 268 zu § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG; vgl. auch BayObLGSt 2000, 38, 39; OLG Schleswig NStZ 2004, 212, 214) oder ob es im Hinblick darauf, dass sich das Mitsichführen eines solchen Taschenmessers als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens als sozialadäquates Verhalten darstellt, einer einschränkenden Auslegung des Begriffs des gefährlichen Werkzeuges im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB bedarf (vgl. OLG Braunschweig NJW 2002, 1735; OLG Frankfurt StV 2002, 145; für (kleinere) Taschenmesser ausdrücklich offen gelassen in BGH StV 2002, 191, NStZ-RR 2003, 12; zu den hierzu vertretenen Lösungsansätzen vgl. Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 244 Rdn. 8 ff.), braucht der Senat hier nicht zu entscheiden. Jedenfalls ist nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte M. das Messer im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB bei sich geführt hat.

Zwar hat das Landgericht festgestellt, dass sich die Angeklagten bei der Tatausführung dessen bewusst waren, dass der Angeklagte M. sein Taschenmesser in einer Tasche seiner Kleidung bei sich hatte. Hierzu hätte es aber näherer Ausführungen bedurft, denn das Tatbestandsmerkmal des "Beisichführens" ist nur dann erfüllt, wenn der Täter das gefährliche Werkzeug bei der Tatausführung "bewusst gebrauchsbereit" bei sich hatte (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 12, 13 m.w.N.). Ein entsprechendes Bewusstsein liegt aber beim Beisichführen eines Taschenmessers mit einer Klingenlänge von nur 4, 5 cm namentlich dann, wenn ein solches Messer - wie hier festgestellt - vor der spontan begangenen Tat "ständig" (nur) zum Öffnen von Bierflaschen benutzt wurde, nicht auf der Hand (vgl. BGH aaO m.w.N.). Hinsichtlich der subjektiven Tatseite hätte es zudem einer Auseinandersetzung damit bedurft, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten M. alkoholbedingt erheblich vermindert war.

b) Auch die Annahme einer vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen ergeben nämlich nicht, dass die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Angeklagten M. ursächlich für die Gefährdung des Tatopfers im Sinne des § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a StGB war. Vielmehr hat der Angeklagte den Lkw bewusst und gezielt eingesetzt, um den Zeugen G. zu veranlassen, ihm den Weg freizugeben und dabei mögliche Verletzungen des Zeugen billigend in Kauf genommen. Bei einer solchen Sachlage scheidet die Annahme einer Straßenverkehrsgefährdung neben dem hier vorliegenden vorsätzlichen Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315 b StGB aus (vgl. BGHR StGB § 315 c Konkurrenzen 1). Soweit es die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Angeklagten M. betrifft, ist deshalb nur eine vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1 StGB gegeben.

c) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet auch die Annahme zweier rechtlich selbstständiger Taten des Angeklagten M. Das Landgericht hat zwar, was den Angeklagten nicht beschwert, eine Strafbarkeit wegen schweren räuberischen Diebstahls gemäß § 252 i.V.m. §§ 249, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verneint, weil zu Gunsten des Angeklagten M. davon auszugehen sei, dass er die Fahrt mit dem Lkw allein in dem Bestreben fortsetzte, sich durch rasche Flucht einer Identifizierung als Fahrzeugdieb und sofortigen oder späteren Ergreifung zu entziehen. Wird aber eine solche Absicht lediglich nach dem Zweifelsgrundsatz verneint, ist bei der Beurteilung der Konkurrenzen in erneuter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes von einer solchen Absicht auszugehen und Tateinheit zwischen allen bis zur Beendigung des Diebstahls verletzten Strafgesetzen anzunehmen (vgl. BGHR StGB § 52 Abs. 1 in dubio pro reo 1), weil Handlungen, die nach der rechtlichen Vollendung eines Diebstahls, aber vor seiner tatsächlichen Beendigung vorgenommen werden und zugleich weitere Strafgesetze verletzen, Tateinheit begründen, wenn sie (auch) der von § 252 Abs. 1 StGB vorausgesetzten Absicht dienen (vgl. BGH StraFo 1999, 100, 101 m.w.N.).

2. Die Verurteilung des Angeklagten F. begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken nur, soweit ihn das Landgericht der Anstiftung zum Diebstahl mit Waffen schuldig gesprochen hat, weil aus den oben genannten Gründen nicht rechtsfehlerfrei festgestellt ist, dass dieser den Angeklagten M. dazu bestimmen wollte, das Taschenmesser bei dem Diebstahl im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB bei sich zu führen. Im übrigen ist die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe den Angeklagten M. zum Diebstahl und zur vorsätzlichen Trunkenheit im Verkehr angestiftet, entgegen der Auffassung der Revision rechtlich nicht zu beanstanden.

3. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils. Zur Vermeidung von Widersprüchen werden auch die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufgehoben.

4. Der neue Tatrichter wird bei der erneuten Prüfung einer Strafbarkeit des Angeklagten M. wegen eines tateinheitlich begangenen (schweren) räuberischen Diebstahls zu beachten haben, dass die gemäß § 252 Abs. 1 StGB erforderliche Absicht, sich den Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten, nicht der einzige Beweggrund des Täters für die Gewaltanwendung oder den Einsatz des Nötigungsmittels sein muss, sondern dass tatbestandsmäßig im Sinne der genannten Vorschrift auch handelt, wer sich der Strafverfolgung entziehen, gleichzeitig aber auch das Diebesgut verteidigen will (vgl. BGH NStZ 2000, 530, 531 m.w.N.). Dies kann insbesondere dann nahe liegen, wenn aus der Sicht des Täters - wie hier - das entwendete Fahrzeug zunächst weiterhin benötigt wird, um sich einen Vorsprung zu verschaffen. Im Hinblick darauf, dass der Angeklagte M. nach den bisherigen Feststellungen "seit vielen Jahren unter einer schweren Alkoholabhängigkeit" leidet, wird bei der Prüfung einer Versagung der Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu beachten sein, dass sie dann nicht in Betracht kommt, wenn der Täter aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden Hanges trinkt (vgl. BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 33, 35).

HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 736

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2005, 340; StV 2005, 606

Bearbeiter: Karsten Gaede