HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2005
6. Jahrgang
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Schrifttum

Richard Baron: Zur Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit des Einsatzes verdeckt ermittelnder Personen und Vorschlag einer umfassenden gesetzlichen Regelung, Schriftenreihe Strafrecht in Forschung und Praxis, Band 14, Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2002, 248 Seiten, ISBN 3-8300-0745-0, 88,- €.

Untersuchungsgegenstand der von Baron vorgelegten, im Jahr 2002 veröffentlichten Dissertation ist der Einsatz von verdeckt ermittelnden Personen und die Frage, inwieweit sich dieser Einsatz als rechtmäßig erweist. Unter Voranstellung des nach Ansicht von Baron kritisch zu beurteilenden Umstandes, dass eine großzügige Offenlegung und Information über genaue Tätigkeitsarten und Zahlen der eingesetzten verdeckt ermittelnden Personen seitens der Strafverfolgungsbehörden nicht erfolgt (S. 3-6), macht er es sich zum Ziel, dem "Problem der grundsätzlichen Zulässigkeit des Einsatzes verdeckt ermittelnder Personen" (S.6) nachzugehen, wobei von besonderem Interesse sei, wie es sich auswirke, dass gesetzliche Regelungen nur für verdeckte Ermittler, jedoch nicht für die übrigen Kategorien verdeckt ermittelnder Personen bestehen (S. 7).

Bevor sich Baron der Kernfrage seiner Arbeit, "inwieweit der Einsatz verdeckt ermittelnder Personen überhaupt rechtmäßig ist" (S. 7), widmet, unternimmt er im ersten Kapitel (S. 11-20) zunächst eine Begriffsbestimmung der unterschiedlichen Arten verdeckt ermittelnder Personen und grenzt dabei verdeckte Ermittler (VE), nicht offen ermittelnde Polizeibeamte (NOEP), Vertrauenspersonen (VP, V-Leute, V-Männer), Informanten und sonstige verdeckt ermittelnde Privatpersonen (SVEP) voneinander ab (S. 11-16). Er weist kurz auf den von ihm nicht weiter behandelten under-cover-agent sowie den agent provocateur und den polizeilichen Scheinaufkäufer hin, bei denen es sich aber nicht um eine eigenständige Kategorie verdeckt ermittelnder Personen handele (S. 17, 18). Im zweiten Kapitel beschäftigt sich Baron mit "Historische(n) Formen des Einsatzes verdeckt ermittelnder Personen" (S. 21-38), geht kurz auf die heute weniger geläufigen Begriffe der Viliganten, Polizeiagenten sowie Konfidenten, Denunzianten und Achtgroschenjungen ein und gibt einen geschichtlichen Überblick über den Einsatz verdeckt ermittelnder Personen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert.

Im dritten Kapitel (S. 39-54) prüft Baron die Frage der Notwendigkeit des Einsatzes verdeckt ermittelnder Personen, zu deren Beantwortung er auf das Erfordernis einer wirksamen Bekämpfung der Organisierten Kriminalität abstellt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass sich daran gemessen sowohl offene Ermittlungsmethoden (z.B. Durchsuchung oder Beschlagnahme) als auch passiv verdeckte Ermittlungsmethoden (z.B. Telefonüberwachung, Observation, Lauschangriffe) nicht geeignet (S. 50) sind bzw. nicht die gewünschte Effektivität bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität aufweisen (S. 52). Wenn aufgrund fehlenden statistischen Materials auch nicht abschließend beurteilt werden könne, ob eine effektive Bekämpfung der Organisierten Kriminalität einzig und allein vom Einsatz verdeckt ermittelnder Personen abhänge, so stelle sich dieser jedoch aus theoretischen Erwägungen als die insofern effektivste und damit notwendige Ermittlungsmaßnahme dar (S.54).

Den Schwerpunkt der Arbeit bilden das vierte und fünfte Kapitel, in denen Baron die "Rechtmäßigkeit des Einsatzes verdeckt ermittelnder Personen" (S. 61-157) untersucht und sich mit Forderungen an eine zu schaffende Ermächtigungsgrundlage unter anschließender, an den Schluss seiner Arbeit gestellten Ausformulierung eines Gesetzgebungsvorschlages (S. 159-246) beschäftigt.

In nicht nur vom Seitenumfang her (S. 55-61), sondern auch inhaltlich sehr knapp gehaltener Weise prüft Baron

zunächst die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BGH sowie die Auffassung des Gesetzgebers zur Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit eingesetzter verdeckt ermittelnder Personen. Mit keinem Wort wird hingegen auf die hier einschlägige Spruchpraxis des EGMR eingegangen (z.B. Lüdi ./. Schweiz oder Teixeira de Castro ./. Portugal) und so dessen Relevanz für die Ausgestaltung der deutschen Rechtsordnung übersehen.

In ausführlicherer Weise stellt Baron sodann verschiedene, hierzu im Schrifttum vertretene Ansichten gegenüber, wobei er im Rahmen des Abschnitts der "Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes verdeckt ermittelnder Personen" (S. 63-152) zwischen der Prüfung des Schutzbereichs des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, der Frage des Eingriffs in diesen Schutzbereich sowie der der Rechtfertigung des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung differenziert. Wenn Baron sich dabei auch mit den von ihm genannten, unterschiedlichen Ansichten, mal mehr und mal weniger kritisch, auseinandersetzt, so fällt dabei in formaler Hinsicht auf, dass sich die Fußnotenbelege zum Teil als sehr dürftig erweisen. In inhaltlicher Hinsicht wird zudem überwiegend nur auf bis zum Jahr 1999 ergangene Literatur zurückgegriffen. Da aus der Arbeit nicht eindeutig hervorgeht, bis zu welchen Zeitpunkt Rechtsprechung und Literatur herangezogen wurden, erscheint angesichts der Angabe "Zugl.: Köln, Univ., Diss., 2002" ein umfassende und sich im Zeitpunkt der Beendigung der Arbeit auf dem aktuellen Stand befindende Beschäftigung mit in der Literatur vertretenen Ansichten zumindest als zweifelhaft (hingewiesen sei insofern aus dem Jahre 2000 z.B. auf Schmidt, Kriminalistik 2000, 162 ff.; Eschelbach, StV 2000, 390 ff.; Rogall, NStZ 2000, 490 ff. mit jeweils weiteren Nachweisen) .

Hinsichtlich des Schutzbereichs des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung prüft Baron eine Beschränkung jenes Rechts auf Fallkonstellationen der automatischen Datenverarbeitung (S. 67-72 und auf solche der zwangsweisen Informationserhebung (S. 72-75). Zudem untersucht er den Charakter des Eingriffs in jenen Schutzbereich, wobei er zwischen dem Einsatz verdeckter Ermittler, nicht offen ermittelnder Polizeibeamter, V-Leuten, Informanten und sonstigen nicht offen ermittelnden Privatpersonen unterscheidet (S. 76-105). Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass sich mit Ausnahme des Informanten der Einsatz der übrigen Kategorien verdeckt ermittelnder Personen als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erweist (z.B. S. 105).

Stellt sich der Einsatz verdeckter Ermittler aufgrund der §§ 110 a ff. StPO als gerechtfertigt dar (S. 107), so kommt Baron für die nicht offen ermittelnden Polizeibeamten, V-Leute und sonstigen verdeckt ermittelnden Privatpersonen zu dem Ergebnis, dass sich deren Einsatz nicht auf eine Ermächtigungsgrundlage stützen lasse (S. 139). Dabei geht er der Frage nach, ob sich §§ 160, 161, 163 a.F. StPO, § 34 StGB, die Gemeinsamen Richtlinien über die Inanspruchnahme von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) und verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung, die analoge Anwendung der §§ 110 a ff. StPO sowie vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht als geeignete Ermächtigungsgrundlage erweisen (S. 111-139). Den Einsatz von - mit Ausnahme der verdeckten Ermittler und Informanten - sonstigen verdeckt ermittelnden Personen "auch nicht mehr während einer Übergangszeit als zulässig" (S. 152) erachtend, gelangt Baron zu dem Ergebnis eines Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbotes (S. 153-157).

Auf sein vorangehend gefundenes Ergebnis aufbauend, wonach Baron den Einsatz verdeckt ermittelnder Personen - mit Ausnahme der verdeckten Ermittler und Informanten - mangels erforderlicher gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage für rechtswidrig hält (S. 157, 159), betont er sodann die Dringlichkeit einer gesetzlichen Regelung (S. 159-162). Anschließend prüft er die "allgemeine(n) Anforderungen an gesetzliche Regelung" (S. 162-168), wobei er kurz auf die vom BVerfG im Volkszählungsurteil aufgestellten Anforderungen sowie die Frage eingeht, ob sich die als Ermittlungsgeneralklausel ausgestalteten Neufassungen der § 161, 163 StPO nach dem StVÄG 1999 als ausreichende gesetzliche Grundlage erweisen, was im Ergebnis abgelehnt wird.

Ausführlich widmet sich Baron sodann den "Forderungen" (S. 169-220), die seiner Ansicht nach an eine zu schaffende Ermächtigungsgrundlage zu stellen sind, kommt hier zum Ergebnis eines zu beachtenden Vorzugs des Einsatzes von Polizeibeamten gegenüber dem Einsatz von Privatpersonen und tritt mit Blick auf die Geltung der Subsidiaritätsklausel für ein konkretes Rangverhältnis der einzelnen Arten verdeckt ermittelnder Personen ein. Unter insoweit noch zuzustimmendem Abstellen auf die Eingriffsintensität zieht er jedoch im Ergebnis einzig und allein das Kriterium der Einsatzdauer heran und geht davon aus, dass "wohl" (S. 185, 186) und "im Regelfall" (S. 186) davon auszugehen sei, dass mit zunehmender Einsatzdauer die Eingriffsintensität steige. Übersehen bzw. nicht hinreichend berücksichtigt wird bei dieser, der Rezensentin als zu einfach gedachten, weil andere, ebenso wichtige Beurteilungsgesichtspunkte letztlich ausblendenden Lösung, dass sich die Eingriffsintensität aufgrund einer Vielzahl ganz unterschiedlicher qualitativer wie quantitativer Elemente bestimmt, zu denen zwar auch das Element der Einsatzdauer, jedoch nicht als einzig zu berücksichtigendes gehört.

Im Folgenden untersucht Baron die Fragen der Anordnungskompetenz (S. 187-198), der nachträglichen Benachrichtigung (S. 198-199), der Ausgestaltung des Straftatenkatalogs (S. 199-203) sowie der Verfassungsmäßigkeit der Befugnis zum Betreten von Wohnungen im Hinblick auf Art. 13 GG (S. 203-220). Anschließend werden jene von ihm zuvor untersuchten Forderungen an eine zu schaffende Ermächtigungsgrundlage, insbesondere bezogen auf die Subsidiaritätsklausel, den Richtervorbehalt, die nachträgliche Benachrichtigung, den Katalog und die Befugnis zum Betreten von Wohnungen, für die unterschiedlichen Kategorien verdeckt ermittelnder Personen (S. 221-223) geprüft. Den Abschluss der Arbeit bilden ausformulierte Gesetzgebungsvorschläge für V-

Leute, nicht offen ermittelnde Polizeibeamte, sonstige verdeckt ermittelnde Privatpersonen sowie verdeckte Ermittler, welche Baron zuletzt in eine gemeinsame Vorschrift, die alle Arten von verdeckt ermittelnden Personen betrifft, zusammenführt (S. 233-243), gefolgt von einer Zusammenfassung seiner gefundenen Ergebnisse.

Positiv ist herauszustellen, dass Baron anknüpfend an seine vorangegangenen Überlegungen, insbesondere zu Forderungen an eine zu schaffende Ermächtigungsgrundlage für den Einsatz verdeckt ermittelnder Personen einen ausformulierten Gesetzgebungsvorschlag macht, in welchen seine zuvor von ihm zusammengetragenen sowie entwickelten Erkenntnisse einfließen. Jedoch bleibt kritisch zu bemerken, dass das Buch den Eindruck vermittelt, in einer gewissen Eile fertig gestellt worden zu sein, wäre doch nicht nur in formaler Hinsicht, etwa in Bezug auf das teilweise unübersichtlich gehaltene Inhaltsverzeichnis sowie die Fußnotengestaltung eine gründlichere Nachbearbeitung erforderlich gewesen. Die inhaltliche Seite des Buches betreffend fehlt es teilweise an einer umfassenden oder nicht hinreichend belegten Auseinandersetzung mit dem Schrifttum und es werden an manchen Stellen zwar vom Ansatz her gute Lösungsversuche angeboten, die jedoch zur Berücksichtung der Vielzahl der die verdeckte Ermittlungstätigkeit beeinflussenden Faktoren einer weiterführenden Bearbeitung bedurft hätten. Besonders kritisch ist zuletzt darauf hinzuweisen, dass eine Erörterung der in diesem Zusammenhang einschlägigen Rechtsprechung des EGMR, insbesondere eine Untersuchung der qualitativen Anforderungen an eine gesetzliche Grundlage i.S.v. Art. 8 Abs. 2 EMRK völlig unterbleibt. Der Relevanz der Spruchpraxis des Gerichtshofs für die Ausgestaltung der nationalen Rechtsordnung nicht gerecht werdend, findet diese damit nicht nur keinerlei Berücksichtigung, sondern wird auch auf dem Weg zur Erarbeitung des eigenen ausformulierten Gesetzgebungsvorschlages nicht in positivem Sinne genutzt (siehe dazu weitergehend etwa die Ausführungen bei Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, 2002, S. 168 ff., 178 ff.; vgl. auch Haefliger/Schürmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, 1999, S. 242, 252).

Oberassistentin Dr. Daniela Demko LL.M.Eur, Universität Zürich

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Martin Böse: Wirtschaftsaufsicht und Strafverfolgung, Mohr Siebeck, Tübingen 2005, XXXI, 622 S., gebunden, ISBN 3-16-148559-9, 124,- €.

Der mit dem Verdacht der Begehung einer Straftat konfrontierte Bürger muss zwar weitreichende Eingriffe in seine Privatsphäre dulden, er ist aber - anders als der Inquisit des gemeinrechtlichen Inquisitionsverfahrens - nicht verpflichtet, aktiv an seiner eigenen Überführung mitzuwirken (nemo tenetur se ipsum accusare). Gänzlich anders ist die Position des Bürgers, der von einem Verwaltungsverfahren betroffen bzw. in dieses involviert ist: Hier bestehen - zum Teil sehr weit reichende - Pflichten zur Mitwirkung, der Bürger hat also nicht nur Eingriffe der Behörde in seine Privatsphäre zu dulden, sondern es treffen ihn Auskunfts- und sonstige Erklärungspflichten, teilweise obliegen ihm sogar Anzeigepflichten, d.h. er muss von sich aus an die Behörde herantreten und hierdurch eventuell den Grund dafür schaffen, dass ein Verfahren eingeleitet wird. Wenn nun die der Behörde mitzuteilenden Informationen nicht nur für die Erfüllung präventiver Aufgaben von Bedeutung, sondern - was sogar die Regel bilden dürfte - darüber hinaus auch straf- oder ordnungsrechtlich relevant sind, stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen die in einem Verfahren gewonnenen Informationen im jeweils anderen Verfahren verwendet und verwertet werden dürfen. Insbesondere stellt sich die Frage, ob die Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren das Recht des Beschuldigten, sich im Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht selbst belasten zu müssen (nemo tenetur se ipsum accusare), faktisch leer laufen lassen. Die Zielsetzung der im Wintersemester 2003/2004 von der Juristischen Fakultät der Technischen Universität Dresden als Habilitationsschrift angenommenen Untersuchung besteht darin, "die verfassungsrechtlichen Grenzen der verfahrensübergreifenden Verwendung personenbezogener Daten durch Aufsichtsbehörden und Strafverfolgungsbehörden zu bestimmen und - daran anschließend - die bestehenden gesetzlichen Regelungen an diesem Maßstab zu überprüfen und gegebenenfalls Regelungsalternativen aufzuzeigen." (S. 2/3)

Die Abhandlung ist in vier große Abschnitte gegliedert: Im Anschluss an eine kurze Einleitung (Abschnitt A, S. 1-8) werden zunächst umfangreich die Grundlagen und Rahmenbedingungen der Informationsverarbeitung in staatlichen Verfahren behandelt (Abschnitt B, S. 9-199): Im Anschluss an einen Strukturvergleich von Straf- und Verwaltungsverfahren (S. 10 ff.) werden insbesondere die informationellen Abwehrrechte eingehend dargestellt (S. 39 ff.), wobei hier neben den Grundrechten aus Art. 10, 13 GG und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG) insbesondere auch die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Grundsatzes "nemo tenetur se ipsum accusare" behandelt werden. Im dritten Abschnitt, dem eigentlichen Kernstück der Untersuchung, wird dann die verfahrensübergreifende Verwendung personenbezogener Informationen thematisiert (Abschnitt C, S. 201-555): Böse verzichtet hier bewusst - und angesichts des Umfangs seiner Abhandlung und der diesbezüglich vorhandenen strafprozessualen Literatur auch völlig zu recht - auf eine Darstellung der Informationserhebung im Strafverfahren, thematisiert aber - in einer Arbeit, die sich schwerpunktmäßig an Strafrechtler und Strafprozessrechtler richtet, wiederum zu recht - die Informationserhebung im Verwaltungsverfahren und deren verfassungsrechtliche Grenzen (S. 201-280), bevor er sich dann zunächst der Verwendung von Daten aus dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren zur Überwachung der Wirtschaft (S. 352-435) und abschließend der entgegengesetzten Fallgestaltung zuwendet, der Verwendung von Informationen aus dem Verwaltungs-

verfahren im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren (S. 436-555). Der vierte Abschnitt fasst die wichtigsten Erkenntnisse und Ergebnisse der Untersuchung zusammen (Abschnitt D, S. 557-573).

Im Rahmen der Analyse der Informationserhebung im Verwaltungsverfahren weist Böse zutreffend darauf hin, dass die Datenerhebung im Rahmen der Wirtschaftsaufsicht oft auch den Zweck der Datenerhebung für Zwecke der Strafverfolgung beinhaltet. Wenn, wie z.B. bei Kundendaten, die von Kreditinstituten und Telekommunikationsunternehmen für den automatisierten Abruf erhoben und bereit gehalten werden, die repressive Zwecksetzung im Vordergrund steht (S. 223 ff.), oder, wie bei den Meldepflichten im Zusammenhang mit Finanzdienstleistungen, eine Wirtschaftsaufsichtsbehörde als geradezu als "Börsenpolizei" agiert (S. 227 ff.), ist nicht erst die Verwendung dieser Daten im Strafverfahren, sondern bereits der Vorgang der Erhebung als solcher strafprozessual legitimationsbedürftig. Den besonderen Anforderungen, die hier zu stellen sind - insbesondere: das Bestehen eines Anfangsverdachts, aber auch die Beachtung des Grundsatzes nemo tenetur - kann und darf sich der Gesetzgeber, worauf Böse zutreffend beharrt, nicht durch eine Flucht in das Verwaltungsrecht entziehen (S. 242).

Das Problem der Zweckentfremdung stellt sich (erst) dann, wenn die Datenerhebung durch die Wirtschaftaufsichtsbehörden zu präventiven Zwecken erfolgt ist, die Daten dann aber zu repressiven Zwecken verwendet werden (S. 242). Als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (S. 282 ff.; zur Notwendigkeit, gegebenenfalls auch die Art. 10 und Art. 13 zu beachten, vgl. S. 328 ff., 334 ff.) bedarf die Zweckentfremdung einer gesetzlichen Grundlage (S. 285 ff.). Soweit diese nicht spezialgesetzlich in den jeweiligen Aufsichtsgesetzen vorhanden ist, greifen nach Böse ergänzend die Datenschutzgesetze sowie § 161 I StPO ein (S. 290 ff.). In materieller Hinsicht ist seiner Auffassung nach die Verhältnismäßigkeit das entscheidende Kriterium: Erforderlich ist zum einen ein hinreichender Anlass für die Zweckentfremdung, d.h. ein Anfangsverdacht, der sich aber nach Böse auch aus der in Frage stehenden Information selbst herleiten können soll. Weiterhin muss die Möglichkeit eines hypothetischen Ersatzeingriffs gegeben sein, d.h. es muss die Möglichkeit bestehen, die in Frage stehenden Informationen auch im Rahmen eines repressiven Verfahrens zu erlangen. Insoweit soll es allerdings ausreichen, dass im Strafverfahren ein vergleichbarer Eingriff möglich ist. Schließlich ist die Schutzbedürftigkeit der in Frage stehenden Daten zu beachten (S. 305 ff.).

Auf der so gewonnenen Basis wendet sich Böse dann der eigentlichen Problematik zu: der Verwendung der in einem Verfahren gewonnenen Daten im jeweils anderen Verfahren. Die Zweckentfremdung der im Strafverfahren gewonnenen Daten bedarf einer gesetzlichen Grundlage, die Böse bezogen auf die Übermittlung in den §§ 12, 13 II i.V.m. §§ 14, 17 EGGVG bzw. § 49a OWiG, in den §§ 474 ff. StPO sowie in einer Reihe spezialgesetzlich geregelter Ermächtigungsnormen findet, wie z.B. den §§ 60a KWG, 30 IV, 116 AO (S. 354 ff.) und bezogen auf die Verwendung in § 14 III Nr. 6 BDSG sowie den jeweils einschlägigen landesrechtlichen Regelungen (S. 364 ff.). Die gesetzlichen Grundlagen müssen bestimmten materiellen Voraussetzungen genügen, die wiederum im Wesentlichen in der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes liegen (S. 368 ff.). Bezogen auf Daten, die im Strafverfahren unter Einsatz besonderer Ermittlungsmethoden gewonnen worden sind, mutiert der hypothetische Ersatzeingriff zum "möglichen" hypothetischen Ersatzeingriff (S. 387/388): erforderlich ist nicht, dass derartige Eingriffe im Verwaltungsverfahren tatsächlich möglich sind, es soll vielmehr ausreichen, dass sie möglich wären - der Frage, welche Bedeutung unter Zugrundelegung dieses Ansatzes dem Erfordernis einer bereichsspezifischen gesetzlichen Grundlage verbleibt, wird nicht weiter vertieft.

Die Verwendung von Informationen aus dem Verwaltungsverfahren im Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren wird im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Zweckentfremdung mit dem Grundsatz "nemo tenetur se ipsum accusare" thematisiert (S. 436 ff.). Mit den verfassungsrechtlichen Grundlagen dieses Grundsatz hat sich Böse bereits im zweiten Abschnitt beschäftigt. Er ist hier zu der Auffassung gelangt, dass es sich nicht um ein materielles Grundrecht handelt: Der Grundsatz nemo tenetur sei weder Teil des Schutzbereichs des Art. 5 noch des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (S. 127 ff.). Auch Art. 4 GG schütze allenfalls vor einem erzwungenen "mea culpa" (S. 120, 124 f., 149) und bleibe damit weit hinter dem anerkannten Schutzbereich des nemo tenetur Prinzips zurück. Tatsächlich handele es sich - so Böse - um ein Verfahrensgrundrecht, das als ein Bestandteil des Art. 103 I GG die Mitwirkung des Einzelnen an einem ihn betreffenden Verfahren sichern und ihn davor schützen soll, sich nicht mehr frei verteidigen zu können, weil er durch staatlichen Zwang auf eine Aussage festgelegt wurde. Seinem Schutzbereich nach sei der Grundsatz nemo tenetur allerdings nur dann einschlägig, wenn es um Verhaltensweisen geht, die kommunikativem Charakter haben; die Differenzierung danach, ob dem Betroffenen ein aktives oder aber ein passives Verhalten abverlangt wird, sei demgegenüber irrelevant (S. 166 ff. und zusammenfassend S. 436).

Auf dieser Basis bejaht Böse bezogen auf die Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren einen Verstoß gegen nemo tenetur bei Auskunftspflichten sowie bei Anzeige- und Erklärungspflichten (S. 437 f.). Gleiches soll für Vorlagepflichten gelten, wenn Gegenstand des Strafverfahrens Besitzdelikte sind - in diesem Fall habe die Vorlage kommunikativen Charakter (S. 438 f.). Keinen Verstoß begründen dagegen Duldungs- und Mitwirkungspflichten (S. 441 f.). Bei Aufzeichnungspflichten will Böse danach differenzieren, welchen Zwecken diese dienen: Der Grundsatz nemo tenetur sei (nur) dann einschlägig, wenn Zweck die Ermöglichung der Strafverfolgung sei bzw. die Aufzeichnung Vorstufe eines Vorlageverlangens sei; anders soll es dann liegen, wenn die Aufzeichnungspflicht den Interessen Dritter dient, in diesem Fall sei die Verwendung im Strafverfahren "hinzuneh-

men" (vgl. S. 445 f. mit dem Beispiel des § 142 StGB; vgl. auch S. 521 ff.). Bei Aufzeichnungen durch selbständige Messeinrichtungen soll nemo tenetur generell nicht einschlägig sein (S. 450).

Bezogen auf Fallgestaltungen, bei denen der nemo tenetur Grundsatz einschlägig ist, hat der Gesetzgeber nach Böse mehrere Möglichkeiten den Konflikt zu lösen (S. 455 f.): Er kann dem Betroffenen Mitwirkungsverweigerungsrechte im Verwaltungsverfahren einräumen; er kann die Aussetzung des Verwaltungsverfahrens bis zur Entscheidung über das Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren anordnen; er kann auf die Verfolgung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit gänzlich verzichten oder Verwertungsverbote für die im Falle der Mitwirkung gewonnenen Erkenntnisse anordnen. Die im Anschluss an den Gemeinschuldnerbeschluss des BVerfG auch in der Literatur weit verbreitete Favorisierung der Etablierung von Verwertungsverboten ist nach Böse nicht nur nicht zwingend, er hält die Annahme verfassungsrechtlicher Verwertungsverbote sogar für verfehlt (S. 456 ff., 506): Die Entscheidung, auf welche Weise der Konflikt der Mitwirkungspflicht mit dem Grundsatz nemo tenetur zu lösen sei, obliege dem Gesetzgeber. Habe dieser keine Regelung getroffen, liegt die Lösung de lege lata grundsätzlich nicht darin, ein verfassungsrechtliche Verwertungsverbot anzunehmen, sondern darin, dass die entsprechenden Normen nicht mehr angewendet werden können, bis der Gesetzgeber eine verfassungskonforme Lösung getroffen habe (sog. Anwendungssperre; vgl. S. 461). Als sachlich angemessene Lösung favorisiert Böse eine Lösung über die Etablierung von Mitwirkungsverweigerungsrechten, die von ihm, soweit sie nicht in den jeweiligen Aufsichtsgesetzen speziell vorgesehen sind, bereits de lege lata über die Annahme einer verfahrensübergreifenden Wirkung aus der strafprozessualen Aussagefreiheit abgeleitet werden (S. 503 f.).

Böse geht im Einzelnen auf die Fallgestaltungen ein, in denen der Konflikt im geltenden Recht zum Tragen kommt (S. 462 ff). Im Vordergrund steht hier der Konflikt, der sich aus der Mitwirkungspflicht im Besteuerungsverfahren ergeben kann (S. 463 ff., 523 ff.), erörtert werden aber auch andere Fallgestaltungen, in denen im Rahmen der Wirtschaftsaufsicht Mitwirkungspflichten bestehen (S. 502 ff.; 541 ff.). Auf die diesbezüglichen Ausführungen kann vorliegend schon aus Platzgründen nicht im Einzelnen eingegangen werden; zu betonen ist aber, dass diese Ausführungen - wie z.B. die eingehenden Ausführungen zur Problematik der steuerrechtlichen Mitwirkungspflichten (S. 475-496 sowie 523-541) - auch als spezieller Beitrag zur Auseinandersetzung mit diesen Fragestellungen Beachtung verdienen.

Die Interpretation des Grundsatzes nemo tenetur als Verfahrensgrundrecht, das den Beschuldigte davor bewahren soll, sich durch erzwungene Akte mit kommunikativem Charakter in seinen Verteidigungsmöglichkeiten zu beschränken, bleibt - worauf Böse selbst mehrfach hinweist - hinter dem Schutz zurück, den der Gesetzgeber einfachgesetzlich geschaffen hat. Schon dieser Umstand wirft die Frage auf, ob der Gehalt des Grundsatzes nemo tenetur unter dem Blickwinkel des informationellen Abwehrrechts allein zutreffend ermittelt werden kann. Dass es keinen Unterschied machen soll, ob der Betroffene ein Verfahren lediglich über sich ergehen lassen muss oder er gezwungen wird, an seiner eigenen Verurteilung aktiv mitzuwirken, ist nun sicherlich eine Frage, in der man durchaus auch zu einem anderen Ergebnis kommen kann. Aus der Sicht des Rezensenten unterschätzt Böse das spezifisch demütigende Element, dass darin liegt, dass der Betroffene ein Verfahren nicht nur passiv über sich ergehen lassen, sondern aktiv an diesem mitwirken muss (vgl. hierzu z.B. auch Trechsel ZStrR 123[2005], 256, 262 ff.). Auch der von Böse befürwortete Beschränkung des Anwendungsbereichs des Grundsatzes auf Akte mit kommunikativem Charakter wird man nicht ohne Weiteres folgen müssen. Diese Einwände können und sollen den Wert der vorliegenden Untersuchung nicht in Frage stellen, sie sollen lediglich andeuten, dass - was eigentlich selbstverständlich ist - die Diskussion um die Grundlagen, die Struktur und den Inhalt des Grundsatzes nemo tenetur weiter gehen wird. Im Rahmen dieser Diskussion wird die von Böse entwickelte Konzeption auch dann zu beachten sein, wenn man ihr nicht in allen Details zustimmen kann oder zustimmen will.

Bezogen auf die weitere Diskussion ist abschließend noch darauf zu verweisen, dass Böse - worauf er selbst immer wieder ausdrücklich hinweist - ausschließlich den verfassungsrechtlichen Gehalt des Grundsatzes nemo tenetur behandelt. Die einschlägige Rechtsprechung des EGMR, der sich in mehreren Entscheidungen mit den Auswirkungen des Grundsatzes nemo tenetur auf Besteuerungs- und Wirtschaftsaufsichtsverfahren beschäftigt hat und hierbei zu Ergebnissen gekommen ist, die mit den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung nicht ohne Weiteres kompatibel sind (vgl. insbesondere EGMR, 25.2.1993, Funke vs. Frankreich; EGMR v. 17.12.1996, Saunders vs. Vereinigtes Königreich; EGMR v. 3.5.2001, J.B. vs. Schweiz), wird demgegenüber mit keinem Wort erwähnt. Auch wenn man - argumendi causa - unterstellt, dass die von Böse entwickelte Konzeption den Schutzbereich des verfassungsrechtlichen Grundsatzes nemo tenetur zutreffend umschreibt, bleibt doch zu konstatieren, dass es darüber hinaus auch einen durch die Rechtsprechung des EGMR autonom entwickelten konventionsrechtlichen Anspruch gibt, der nicht zwingend den gleichen Anwendungsbereich hat wie der verfassungsrechtliche und der von den nationalen Gesetzgebern - und nicht nur von denen der direkt betroffenen Staaten - ebenfalls zu beachten ist (zu den Konsequenzen, die aus der Entscheidung J.B. vs. Schweiz zu ziehen sind, vgl. Trechsel ZStrR 123[2005], 256 ff.; zu den weitreichenden Konsequenzen der Entscheidung Saunders vs. Vereinigtes Königreich für die wirtschaftsaufsichtsrechtlichen Verfahren in England vgl. Wohlers/Godenzi AJP 14[2005], 1045, 1060 m.w.N.).

Prof. Dr. Wolfgang Wohlers, Zürich .

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Christoph Grabenwarter: Europäische Menschenrechtskonvention; 2. Aufl., 2005, 402 S., 26,00 €; ISBN 3-406-53337-X, C.H.Beck und Manz.

I. Vorzustellen ist die zweite Auflage eines Lehrbuchs zur EMRK, das sich aus zahlreichen Gründen zu vielleicht dem Standardlehrbuch zu den Menschenrechten der EMRK entwickeln dürfte. Dass ein solches Buch dabei von einem österreichischen Autor, derzeit Ordinarius an der Universität Graz und Richter am Verfassungsgerichtshof Österreichs, verfasst worden ist, liegt zum einen positiv daran, dass die EMRK in Österreich mit Verfassungsrang gilt. Negativ liegt es zum anderen daran, dass die Erfolgsgeschichte des deutschen Grundgesetzes und seiner Grundrechte dazu verführt hat, darüber die Entwicklung der wesentlich über die EMRK gewährleisteten europäischen Menschenrechte zu vernachlässigen. So profitiert auch der deutsche Lehrbuchmarkt nun vom Wissen und dem darstellerischen Geschick eines österreichischen Autors, der dabei überdies den Vergleich zum deutschen Verfassungsrecht und Ausführungen zur Bedeutung der EMRK in der deutschen Rechtsordnung darbietet, was ihm als ehemaligem Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn fraglos gelingt. Grabenwarter ist seit langem durch Publikationen gerade auch zu den Verfahrensrechten der EMRK ausgewiesen, die den hier angesprochenen Leser im Besonderen berühren und interessieren dürften (vgl. etwa auch den Beitrag von Grabenwarter in NJW 2002, 109 ff., mit dem er eine konventionskonforme Auslegung des deutschen Revisionsrechts thematisiert).

II. Wie ist das Buch nun angelegt und aufgebaut? In einem ersten Teil legt Grabenwarter auf gut 40 Seiten präzise dar, wie sich die EMRK als völkerrechtlicher Vertrag heute aus Sicht der nationalen Rechtsordnungen und auch aus Sicht des Rechts der Europäschen Union darstellt. Hierbei geht er in ansprechendem Umfang auch auf die Rechtsqualität der EMRK im deutschen Recht und die Bedeutung ein, die der EMRK und insbesondere auch der Rechtsprechung des EGMR auf verschiedene Art und Weise zukommt. Wichtig und weiterführend sind dabei insbesondere auch für den Strafrechtler die Ausführungen zu den Auslegungsmaximen der EMRK, deren Beherzigung durch nationale Instanzen so manche erfolgreiche Individualbeschwerde entbehrlich gemacht hätte. Ein zweiter Teil handelt über gut 60 Seiten das Konventionsverfahren ab. Hier stellt der Autor insbesondere die Individualbeschwerde einschließlich ihrer praktisch bedeutsamen Zulässigkeitsanforderungen vor. Dabei weist Grabenwarter auch auf die - im Vergleich zur strengen Subsidiaritätsrechtsprechung des BVerfG bemerkenswerte - zum Teil großzügige Handhabung des dortigen Rechtswegerfordernisses durch den EGMR hin (vgl. § 13 Rn. 19 ff.). Ebenfalls erörtert der Autor hier die dem EGMR mögliche Zusprechung einer gerechten Entschädigung für den Beschwerdeführer und die Reichweite der formellen und der informellen Bindungswirkung von Entscheidungen des Gerichtshofs.

Der dritte und umfassendste Teil stellt sodann über gut 285 Seiten die von der EMRK einschließlich ihrer Zusatzprotokolle gewährten Menschenrechte dar. Grabenwarter beginnt mit rund 20 Seiten Ausführungen zu allgemeinen Grundrechtslehren der EMRK, die etwa hinsichtlich der Schutzpflichten auch für den Strafrechtler sehr lohnenswert sind und zum vertieften Verständnis der Konventionsrechte beitragen. Hinsichtlich der substantiellen Rechte der EMRK greift der Autor dann zuerst die Fundamentalgarantien der EMRK auf: Das Recht auf Leben, die Verbote von Folter, Sklaverei und Zwangsarbeit. Hinsichtlich Art. 3 EMRK zeichnet Grabenwarter dabei die heutige, differenzierte Rechtsprechung des EGMR umfassend nach. Ebenso erörtert er unter Auswertung nicht nur der deutschen Literatur - was in dieser Abhandlung zum europäischen Recht wohltuend selbstverständlich ist - die Frage der ausnahmsweise zulässigen "Präventionsfolter". Während sich mittlerweile nicht all zu wenige deutsche Autoren unter methodisch erstaunlicher Ausblendung der Konventionserfordernisse durch den "Mut zum Tabubruch" bzw. zur vermeintlichen Wahrheit auszeichnen wollen, gibt Grabenwarter die aus Sicht des Rezensenten allein zutreffende Antwort: Eine solche Ausnahme ist insbesondere auch über die Schutzpflichtdogmatik des europäischen Rechts nicht zu begründen (vgl. § 20 Rn. 36).

Das Buch wendet sich dann insbesondere dem strafverfahrensrechtlich besonders bedeutsamen Recht auf Freiheit und Sicherheit des Art. 5 EMRK (über informative 30 Seiten) und der Freizügigkeit zu. Sodann erläutert der Autor insbesondere die Persönlichkeitsrechte des Art. 8 EMRK, die im Vergleich zum deutschen Verfassungsrecht das Allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie die Art. 10 und 13 GG abdecken. Hierbei handelt es sich um Menschenrechte, die ersichtlich gerade bei klassischen Ermittlungsmaßnahmen wie der Durchsuchung, aber auch bei neuartigen Formen der Strafverfolgung einschließlich des Einsatzes von Privaten zur Strafverfolgung relevant sind (vgl. hierzu etwa aus jüngerer Zeit M.M. v. Niederlande StV 2004, 1 f. mit Besprechung Gaede StV 2004, 46 ff.). Über gut 50 Seiten gibt der Autor im Folgenden einen tiefen Einblick in die von ihm so genannten politischen und gemeinschaftsbezogenen Menschenrechte der EMRK, womit er insbesondere die auch für straf- und strafverfahrensrechtliche Fragestellungen durchaus sehr bedeutsamen Kommunikationsfreiheiten des Art. 10 EMRK eingehend darstellt (vgl. beispielhaft jüngst zur Meinungsfreiheit Steur v. Niederlande, JR 2004, 343 m. Anm. Gaede).

Mit rund 80 Seiten bilden sodann die weiteren Verfahrens- und Justizgarantien der EMRK insbesondere auch zum Strafverfahren einen deutlichen Schwerpunkt des Lehrbuches. Grabenwarter legt hierbei eine nicht nur oberflächliche, sondern oftmals Details erörternde Abhandlung insbesondere zu den Garantien des Art. 6 EMRK vor, die einen hervorragenden Überblick über den Stand der Rechtsprechung bietet, wobei man vielleicht nicht jede inhaltliche Position des Autors und auch des EGMR wird teilen können (vgl. etwa zur auch vom

EGMR nun anders betrachteten Pflicht zur Sicherstellung wirksamer Wahlverteidigung § 24 Rn. 110; anders und überzeugend zur Sachfrage bereits den US Supreme Court in Cuyler v. Sullivan 446 U.S. 335, insbes. 343 ff.[1980]). Dargestellt wird nicht nur Art. 6 EMRK, auch das Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 7 EMRK) und das durch den EGMR noch kaum vorhersehbar ausgelegte ne bis in idem der EMRK wird erläutert (vgl. § 24 Rn. 127 ff., bzw. Rn. 140 ff.). Äußerst bedeutsam dürfte dabei auch die Aufarbeitung der Konventionsbeschwerde (Art. 13 EMRK) sein, deren nähere Durchdringung in den letzten Jahren und in der Zukunft erhebliche Rückwirkungen auch auf deutsches Recht haben könnte (vgl. § 24 Rn. 160 ff. und etwa Kudla v. Polen, NJW 2001, 2694 ff.). Die letzten Abschnitte seines Lehrbuchs widmet Grabenwarter zum einen den wirtschaftlichen Rechten der EMRK und damit insbesondere der Eigentumsgarantie der EMRK, welche das BVerfG nach Auffassung des EGMR in der "Bodenreform I"-Entscheidung verkannt hat (vgl. näher auch zu weiteren Entscheidungen § 25 Rn. 18).

III. Eine umfassende Darstellung und/oder Erörterung der inhaltlichen Ausführungen Grabenwarters kann und soll hier nicht erfolgen. Zunächst ist aber allgemein positiv hervorzuheben, dass Grabenwarter bei seiner der Darstellung nicht nur aus einer Rechtsordnung nach Folgen der EMRK für die nationale Rechtsordnung Ausschau hält. Vielmehr stellt er - in Kenntnis verschiedener Rechtsordnungen - die gesamteuropäischen Standards und die stimmige Durchdringung der EMRK selbst in den Vordergrund, ohne sodann Hinweise auf die nicht seltenen Folgen insbesondere für deutsches Recht zu versäumen. So bezieht er - anders als es im deutschen strafverfahrensrechtlichen Schrifttum zur EMRK sonst oft der Fall ist - Schrifttum aus verschiedenen Jurisdiktionen ein, wobei freilich Vollständigkeit nicht erreicht werden könnte und auch das Lehrbuchformat sprengen müsste. Die Rechtsprechung des EGMR ist umfassend und aktuell aufgearbeitet, was angesichts der heute vorhandenen und ständig hinzukommenden kaum überschaubaren Masse von Entscheidungen eine bewundernswerte Leistung darstellt, wobei freilich Ergänzungen zu Details hier und da möglich scheinen.

Im Besonderen lassen sich - ergänzend zur "Folterfrage" - Schlaglichter auf einzelne bedeutsame Fragstellungen werfen, welche exemplarisch verdeutlichen, dass der Griff zum Grabenwarter für konventionsrechtliche Erörterungen Standard sein sollte:

1. Zu Recht hebt Grabenwarter hervor, dass der Beschluss des BVerfG zur Bindungswirkung an Entscheidungen des EGMR einen Konflikt mit der Haltung des EGMR heraufbeschwört (vgl. § 16 Rn. 6 f.; zu mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen auch § 2 Rn. 16). Grabenwarter schließt sich auch mit guten Gründen der Auffassung an, dass das BVerfG seinen Widerstand gegen eine direkte Überprüfung am Maßstab der EMRK durch das BVerfG im Wege der Verfassungsbeschwerde aufgeben sollte: Er plädiert für die jüngst zunehmend vertretene Option, dem BVerfG über Art. 2 I GG eine Kontrollbefugnis einzuräumen (vgl. § 3 Rn. 8).

2. Obschon das Schicksal der Europäischen Verfassung nunmehr - insbesondere hinsichtlich ihres Grundrechtsteils schmerzlich - ungewiss ist, lohnt es, die Ausführungen Grabenwarters aufzunehmen, mit denen er darlegt, wie nach den heutigen - und in diesem Punkt kaum noch zu revidierenden - Verfassungsansätzen Konflikte zwischen den europäischen und nationalen Grundrechtsmaßstäben zu lösen sind: In Konflikten zwischen der EMRK und der EU-Charta (der EU-Verfassung) sowie nationalen Grundrechten setzt sich die EMRK nach den Artt. II-112 und II-113 VVE durch (vgl. § 4 Rn. 15 ff.).

3. Auch zum deutschen Verwaltungsrecht bzw. zum Asylrecht versäumt es Grabenwarter nicht, zur Rechtsprechung des BVerwG Stellung zu nehmen, mit der dieses eine mögliche Abweichung vom EGMR für den Fall der Anwendung des Art. 3 EMRK auf nichtstaatlich drohende Verfolgung ankündigt: Grabenwarter macht deutlich, dass die Haltung des BVerwG von derjenigen des EGMR tatsächlich abweicht. Er rügt die latente Verletzung der Konvention durch das BVerwG (siehe § 20 Rn. 27).

4. Dass Grabenwarter bei allem nicht nach einer Grundregel "im Zweifel für eine weitergehende Bedeutung bzw. für den Vorrang der EMRK" vorgeht und vielmehr eine konsequente und dogmatisch ausgewogene Durchdringung der Konventionsrechte anstrebt, kommt exemplarisch vor allem an den Erörterungen zu Art. 8 EMRK zum Ausdruck: Einer Auslegung, welche diese Norm zu einer Art. 2 I GG vergleichbaren Handlungsfreiheit machen und der EMRK eine abermals erheblich weiterreichende Bedeutung zuschreiben würde, verwehrt sich Grabenwarter mit insbesondere systematischen Argumenten (vgl. § 22 Rn. 1, 12). Auch dem EGMR folgt der Autor - etwa bei Konflikten im Vergleich zur BVerfG-Rechtsprechung - nicht ohne weiteres. Die bekannte "Caroline von Hannover" - Entscheidung des EGMR wird von Grabenwarter durchaus kritisch betrachtet (vgl. § 23 Rn. 44; siehe auch § 16 Rn. 6).

5. Aus strafverfahrensrechtlicher Sicht wären eine ganze Reihe der Darstellungen Grabenwarters schlicht deshalb hervorhebenswert, weil er mit ihnen die Rechtsprechung darstellt, die in Deutschland jedenfalls auch in ihrer Breite und Differenziertheit aus verschiedenen Gründen kaum flächendeckend und ernsthaft wahrgenommen wird. Hier muss eben auf die Kenntnisnahme dieser Rechtsprechung verwiesen werden, die Grabenwarter in seinem Lehrbuch bestens aufbereitet. Grabenwarter arbeitet dabei gut heraus, welche Konkretisierungen sich in der oftmals auch konkretisierungsbedürftigen Rechtsprechung des EGMR mittlerweile ergeben haben. So betont er etwa treffend und anders als der BGH, dass eine insgesamt angemessen erscheinende Verfahrenslänge bei staatlich begründeten Verzögerungen in einzelnen Verfahrensabschnitten nicht per se die Annahme einer Verletzung ausschließt (vgl. § 24 Rn. 70; näher jüngst Dem-

ko HRRS 2005, 283, 292 f. m.w.N.; zur in der Rn. 70 angenommenen Entwertung der Kriterien des EGMR vgl. aber krit. Gaede wistra 2004, 166, 171 ff.). Die Einführung einer Art Beschleunigungsbeschwerde hält er für das deutsche Verfahrensrecht infolge der heutigen Rechtsprechung zu Art. 13 EMRK für geboten; auf ein in Straßburg dazu anhängiges Verfahren weist er hin (vgl. § 24 Rn. 168).

IV. Auch wenn man einen Seitenblick auf weitere Titel der heute vorhandenen Angebote zur EMRK nimmt, lässt sich insgesamt nur dazu raten, eine gründliche Befassung mit der EMRK mit der zweiten Auflage des Grabenwarter-Lehrbuchs in Angriff zu nehmen. Hier liegt das gut geschriebene Lehrbuch eines Verfassungsrechtlers vor, der wie kaum ein zweiter das Konventionsrecht beherrscht und darzustellen vermag. Überdies gesteht das Buch gerade auch - eben wie die EMRK - strafverfahrenrechtliche Fragen beträchtlichen Raum zu. Da ein so bereicherndes Buch für vergleichsweise preiswerte 26,- € zu erhalten ist und sich auch mehr und mehr seine Relevanz für die Auslegung des deutschen Grundgesetzes erweisen sollte, können die Benutzung und auch die Anschaffung dieses Lehrbuchs Praktikern wie Studierenden nur empfohlen werden.

Karsten Gaede , Hamburg/Zürich

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Sabine König: Kinderpornografie im Internet, Eine Untersuchung der deutschen Rechtslage unter besonderer Berücksichtigung des Internationalen Strafrechts, Schriftenreihe Recht der Neuen Medien, Band 13, Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2004, 262 S., ISBN 3-8300-1273-X, 68,- €.

Mit ihrer Dissertation "Kinderpornografie im Internet, Eine Untersuchung der deutschen Rechtslage unter besonderer Berücksichtigung des Internationalen Strafrechts" legt König eine Arbeit vor, in der sie sich in engagierter Weise dem "bei den meisten Menschen aus gutem Grund Abscheu und Entsetzen" (S. 3) weckenden Thema der Kinderpornografie im Internet widmet. Die Arbeit wurde 2003 von der Juristischen Fakultät der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg als Dissertation angenommen. Rechtsprechrechung und Literatur wurden bis Juli 2003 eingearbeitet.

Deutlich machend, dass mit der Thematik Kinderpornografie eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Problembereiche angesprochen wird (S. 4, 5), hebt König zu Beginn (Vorwort und S. 5), aber auch wiederholt im Rahmen ihrer Ausführungen (z.B. S. 20, 199, 200, 216, 242) hervor, dass es Anliegen ihrer Arbeit ist, einen allgemeinen, "umfassenden Überblick über die zentralen Problempunkte" (Vorwort) unter Aufzeigen möglicher Lösungswege herauszuarbeiten. Angestrebtes Ziel ihrer Dissertation sei, dem Leser "Klarheit über die Fragen des Strafanwendungsrechts, der Strafbarkeit, der Strafverfolgung und der Auslegung der CCC in Bezug auf die Kinderpornografie im Internet" (S. 5) zu verschaffen. Entsprechend jener Zielsetzung gestalten sich sodann Aufbau und Gliederung der Dissertation sowie die schwerpunktmäßige Bearbeitung der verschiedenen Problembereiche.

Das erste Kapitel zur "Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts" (S. 7-53) untersucht die Prinzipien des Internationalen Strafrechts, wobei neben kürzeren Ausführungen zum Schutz- und aktiven Personalitätsprinzip das Schwergewicht auf die Untersuchung des Territorialitätsprinzips gem. § 3 StGB (S. 9-45) gelegt und sich weiterhin dem Weltrechtsprinzip gem. § 6 StGB (S. 48-53) zugewandt wird. Im Rahmen der Ausführungen zum Territorialitätsprinzip unterscheidet König zur Bestimmung des Begehungsortes nach § 184 III StGB zwischen der Bestimmung des Handlungsortes und der des Erfolgsortes, wobei diese unter Beachtung der Spezifika des Deliktscharakters sowie den Besonderheiten, die aus der Deliktsbegehung via Internet folgen, untersucht werden (S. 13, 21).

Im Zusammenhang mit dem Handlungsort greift sie insbesondere die hierzu vertretenen Ansichten der "Fiktion der virtuellen Anwesenheit" (S. 14-15) und des "Räumlichen Auseinanderfallen(s) der Handlung" (S. 15-18) auf, nimmt zu diesen kritisch Stellung und kommt zum Ergebnis, dass es auch bei den Delikten nach § 184 StGB auf den Handlungsort ankomme, der sich nach dem Aufenthaltsort des Täters bemisst (S. 20, 254).

Im Rahmen der Untersuchung zur Bestimmung des Erfolgsortes beschränkt sie sich angesichts der "Fülle von Literatur" (S. 20) auf die Darstellung der "Theorie der Allzuständigkeit"(S. 21) sowie die Ansichten zur "Einschränkenden Auslegung der Erfolgsortklausel"(S. 21-23) und lehnt beide, da "vom falschen Ausgangspunkt" (S. 25) ausgehend, im Ergebnis ab. Innerhalb ihrer "Kritik an der Einschränkung der Erfolgsortklausel" (S. 25-44) nimmt das Verhältnis zwischen "Erfolgsortbestimmung und Deliktscharakter" (S. 26-44) einen großen Raum ein, indem hier zwischen einzelnen Deliktskategorien - Erfolgsdelikten/konkreten Gefährdungsdelikten, schlichten Tätigkeitsdelikten, abstrakten Gefährdungsdelikten - differenziert wird. König gelangt zu dem Ergebnis, dass abstrakte Gefährdungsdelikte, zu denen auch § 184 StGB zählt, keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg aufweisen, weshalb eine "Bestimmung des Begehungsortes bei § 184 StGB gem. § 3 StGB lediglich über den Ort der Tathandlung erfolgen" (S. 45) könne.

Das vom Umfang her größte zweite Kapitel "Die Strafnorm - § 184 III-V StGB" (S. 55-158) hat im Anschluss an Erörterungen zum "Schutzzweck/Schutzgüter" (S. 55-66) und dem "Deliktscharakter"(S.67-70) eine eingehende und sehr ausführlich gestaltete "Normanalyse" (S. 70-154) zum Gegenstand, innerhalb der auf verschiedene Meinungsstreitigkeiten eingegangen, zu diesen kritisch Stellung genommen und eigene Lösungsansätze vorgeschlagen werden.

Innerhalb des Abschnitts zu den "Tatmedien" (S. 70-84) wird auf den Begriff der "anderen Darstellung", den

Schriftenbegriff, den der Ton- und Bildträger, der Abbildungen sowie den Begriff des Datenspeichers eingegangen, wobei König Wert darauf legt, klarzustellen (S. 83, 255), dass Oberbegriff der Tatmedien "die "Darstellung" (ist), die begrifflich alle anderen Tatmedien - die somit spezielle Formen der Darstellung sind - miterfasst" (S. 83).

Es schließt sich im nachfolgenden Abschnitt "Der verbotene Inhalt" (S. 84-119) zunächst eine Darstellung der von Legislative, Judikative und Literatur vertretenen, wichtigsten Ansätze zum allgemeinen Pornografiebegriff (S. 84-103) an, welchen ein eigener Lösungsansatz von König - ausgerichtet an den Schutzzwecken des § 184 StGB und am Ziel einer einfachen Handhabung dieser Norm (S. 99) - an die Seite gestellt wird (S. 99-103).

Sodann folgen Erörterungen zur "Kinderpornografie i.S.v. § 184 III, IV und V StGB", die in Untersuchungen zum Begriff des Kindes, zu dem sexuellen Missbrauch, dem Missbrauch als Gegenstand der Schrift, dem Realitätsgrad der Darstellungen sowie zum Pornografiecharakter pädophiler Darstellungen untergliedert sind (S. 103-119). König betont die Reformbedürftigkeit des Begriffs der Kinderpornografie (S. 118, 119, 257) und verweist insbesondere auf das problematische Kriterium der Notwendigkeit des Pornografiecharakters der Darstellungen, verbunden mit dem Wunsch, auf dieses zukünftig zu verzichten (S. 118, 257). Anschließend untersucht sie zum einen "Die Tathandlungen" (S. 119-150), wobei das Verbreiten gem. § 184 III Nr. 1 StGB, die Handlungsalternativen gem. § 184 III Nr. 2 und 3 StGB und die Besitzstrafbarkeit gem. § 184 V StGB erörtert werden, und zum anderen "Die Qualifikation nach § 184 IV StGB" (S. 151-154).

In ihren "Fazit" (S. 155-158) zur Normanalyse hebt König hervor, dass § 184 StGB schon von der Form her eine "Umgestaltung erfahren" (S. 155) müsse, insbesondere eine "Ausgliederung der Kinderpornografie aus dem jetzigen Absatz 3 in eine eigenständige Norm oder zumindest einen eigenständigen Absatz" (S. 155). Neben dem Hinweis auf notwendige Strafrahmenerhöhungen und Anpassungen der beschriebenen Tathandlungen an die Gegebenheiten des Internets (S. 155) wird in Bezug auf den Inhalt der Schriften wiederholt das problematische Merkmal des derzeit verwendeten Pornografiebegriffs betont, auf die damit einhergehende Gefahr von Strafbarkeitslücken verwiesen und im Rahmen aufgezeigter Lösungsansätze ein eigener Vorschlag für eine mögliche Neufassung des § 184 StGB (S. 155-158) gemacht.

Das dritte Kapitel "Die strafrechtliche Verantwortlichkeit" (S. 159-198) beschäftigt sich mit den Verantwortlichkeitsregelungen des Teledienstgesetzes (TGD) und hierbei insbesondere mit der Verantwortlichkeit verschiedener Provider-Typen, der von bloßen Nutzern sowie mit der Verantwortlichkeit in Bezug auf Hyperlinks und Suchmaschinen.

Gegenstand des vierten Kapitels ist die "Strafverfolgung im Internet" (S. 199-237), bezüglich der dem Leser ein "Überblick über die wichtigsten derzeit bestehenden rechtlichen Probleme … und den hierzu existierenden Meinungsstand" (S. 199) gegeben werden soll. Hinsichtlich in Betracht kommender polizeilicher Maßnahmen und dessen Befugnisnormen wird zwischen dem Zugriff auf frei zugängliche (S. 200, 201) und zugangsgeschützte (S. 201-231) Informationen/Inhalte unterschieden. Die zugangsgeschützten Informationen/Inhalte betreffend differenziert König wiederum zwischen den Ermächtigungsgrundlagen bezüglich der Gefahrenabwehr und der der Strafverfolgung. Im Zusammenhang mit letzteren werden sodann der "Einsatz verdeckter Ermittler, § 110 a StPO", die "Durchsuchung gem. §§ 102, 103 StPO", die "Überwachung der Telekommunikation" und die "Ermächtigung über § 163 StPO" erörtert (S. 204-215). Kritisch und mit Verweis auf eine auch hier bestehende Reformbedürftigkeit stellt König heraus, dass "die StPO den Ermittlern der Polizei derzeit nur in sehr beschränktem Umfang eine geeignete Ermächtigungsgrundlage zur "Durchforstung" zugangsgeschützter Bereiche des Internets im Hinblick auf kinderpornografische Inhalte zur Verfügung" (S. 215) stelle.

Im Anschluss an kürzer gehaltene Ausführungen zur "Durchsuchung/Beschlagnahme am Server-Standort" (S. 216-219) gibt sie im Abschnitt "Kinderpornografie und polizeiliche Praxis" (S. 220-235) einen interessanten "praxisbezogenen Überblick" (S. 220) über die polizeiliche Tätigkeit im Internet. Neben einer Beschreibung der Tätigkeit der Zentralstelle für Netzwerkfahndung (LKA Bayern) sind hier des weiteren Fakten zur Kinderpornografie - den Täterkreis, das kinderpornografische Material und die Statistik der Netzwerkfahndung betreffend - zu finden. Zudem wird in Bezug auf die Überprüfung großer Datenbestände auf das Programm zur Erkennung relevanter kinderpornografisch eindeutiger Objekte (PERKEO) und den Einsatz dieses "eins zu eins Datenabgleichssystems" (S. 232) eingegangen (S. 231-233) und zu guter letzt, wenn auch nur in kurzer Weise, auf verschiedene Probleme bei der Strafverfolgung hingewiesen (S. 234-235).

In einem leider nur knapp gehaltenen fünften Kapitel geht König auf die Convention on Cyber-Crime (CCC) ein (S. 239-252) und beschäftigt sich hier - im Anschluss an Ausführungen zur historischen Entwicklung sowie Zielen und Regelungsinhalt der CCC - in einer Normanalyse (S. 243-251) mit dem die Straftaten in Bezug auf Kinderpornografie regelnden Art. 9 CCC.

Im sechsten und letzten Kapitel werden insbesondere die Ergebnisse zum ersten und zweiten Kapitel noch einmal zusammengefasst und kurz auf die sonstigen Ergebnisse eingegangen.

Die gesamte Arbeit kennzeichnet eine klare Gliederung der besprochenen Problembereiche, die sich an der von König eingangs beschriebenen Zielsetzung ihrer Disser-

tation orientiert. Wenn dabei auch keine vollständige Erörterung aller mit der Thematik der Kinderpornografie zusammenhängenden Problemgesichtspunkte erfolgt ist, was - wie König selbst wiederholt betont - auch nicht Anliegen ihrer Arbeit gewesen sei und deren Rahmen gesprengt hätte (S. 5), so ist positiv herauszustellen, dass sie es bezüglich der von ihr besprochenen Problempunkte und etwaigen Meinungsverschiedenheiten nicht bei einer bloßen Kritik an der derzeitigen Rechtslage bzw. vertretenen Ansichten beließ, sondern eigene Lösungs- und Änderungsvorschläge aufzeigte.

Betonte König zwar, dass es bei Ihrer Arbeit "hauptsächlich um die Untersuchung der deutschen Rechtslage geht" (S. 5) so hätte sich die Rezensentin dennoch über den nur "kurze(n) Exkurs ins Europarecht" (S. 5) hinausgehend eine ausführlichere Behandlung von letzterem oder diesbezüglich zumindest weiterführende Quellenverweise gewünscht. Dies und die manchmal etwas störend wirkende, wiederholende Betonung einer nur überblicksmäßigen Darstellung bestimmter Problempunkte tut jedoch dem Eindruck von der Dissertation als einer sorgfältig aufbereiteten, klar strukturierten und verständlich formulierten Arbeit keinen Abbruch. Vielmehr verleitet die engagierte Schreibweise von König dazu, den von ihr zum Teil nur kurz angesprochenen Fragestellungen nun selbst »in Eigenregie« nachzugehen, und dies ganz in ihrem Sinne: "Es ist wichtig, das Problem der Kinderpornografie nicht totzuschweigen, sondern darüber zu reden und jedem die eigene Verantwortung bewusst zu machen. Die Devise lautet also: Hinsehen und Melden statt Wegsehen und Schweigen" (S.260).

Oberassistentin Dr. Daniela Demko LL.M.Eur., Universität Zürich

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Andreas Popp: Verfahrenstheoretische Grundlagen der Fehlerkorrektur im Strafverfahren. Eine Darstellung am Beispiel der Eingriffsmaßnahmen im Ermittlungs­verfahren, Duncker und Humblot, Berlin, 2005 (Reihe: Schriften zum Prozessrecht, Bd. 188), 523 S., Kart., ISBN 3-428-11688-7, € 92, - .

I. Während der Gesetzgeber im Bundesgesetzblatt meist keine Alternativen vorsieht, gehört es zu den vornehmsten Aufgaben einer Rechtswissenschaftlers, Alternativen zu entwickeln und zu diskutieren (Jüngst zum Strafrecht Ulfrid Neumann, Alternativen zum Strafrecht, in: U. Neumann / C. Prittwitz (Hrsg.), Kritik und Rechtfertigung des Strafrechts, Frankfurt am Main 2005, S. 89 ff.). Einer von ihnen ist Andreas Popp, der in seiner Passauer Dissertationsschrift diese Alternativen-Frage für den Umgang mit Verfahrensfehlern im Strafverfahrensrecht stellt. Die herkömmlichen Korrekturinstrumente wie z.B. Verfahrenshindernisse und Verwertungsverbote seien vielleicht inhaltlich mit guten Gründen einsetzbar, kämen aber strukturell nur sehr spät und wenig differenzierend zur Anwendung. Hierzu der Autor: "Wer auf Verfahrenshindernisse und Verwertungsverbote (…) nur zurückgreifen will, wenn es nicht anders geht, muß wissen, ob es anders geht, und wie." (S. 483). Der Autor stellt sich dieser Frage und weiß einiges zu berichten.

Methodisch verfolgt Popp einen empirisch-analytischen Ansatz (S. 25, 26 ff.), der sich weniger mit der Bestimmung der "richtigen" Folgen von Verfahrensfehlern beschäftigt, als vielmehr grundlegender mit der Frage, "(w)elche Folgen (…) überhaupt an einen Verfahrensfehler geknüpft sein (können)" (S. 24; Hervorh. S.Z; vgl. allerdings die kurzen Hinweise des Autors zum grundsätzlichen, vor allem verfassungsrechtlichen Erfordernis einer Sanktionierung von Verfahrensfehlern, S. 369 ff.). Der Größe des Unternehmens angemessen, beschränkt sich die Untersuchung sachlich "auf Fehler im Zusammenhang mit Eingriffsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren" (S. 25). Gerade in diesem Bereich sei die Ähnlichkeit mit dem ausdifferenzierten Fehlerfolgen-System des Verwaltungsverfahrensrechts am größten, dessen Ergebnisse der Autor - vermittelt über Ansätze einer Allgemeinen Verfahrenslehre (S. 26 f., 32 ff.) - auch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren fruchtbar machen möchte (S. 25 f., 395 ff., 401 ff.).

II. Die Arbeit von Popp zerfällt in drei Teile: Im ersten Teil der Arbeit (S. 32 - 207) geht es um die "Grundzüge einer Allgemeinen Verfahrenstheorie", in denen sich Popp mit Begriffen wie "Entscheidung" (S. 59 ff.), "Verfahren" (S. 80 ff.) und "Wahrheit" (S. 116 ff.) sowie mit Problemkreisen wie den "Zielen" des Verfahrens (S. 96 ff.) und den "Zwecken" der rechtlichen Ordnung von Verfahren (S. 183 ff.) auseinandersetzt. Im Anschluß an diese Grundlegung folgt der zweite Teil der Arbeit (S. 208 - 315), der etwas verkürzend mit "Komplexität und Kontrolle" überschrieben ist, sich aber der Sache nach mit der komplexen Struktur des Entscheidungsverfahrens und dessen vielfältigen Kontrollmechanismen beschäftigt (S. 31). Im dritten Teil der Arbeit (S. 316 - 482) erfolgt schließlich die Erprobung der gewonnenen Erkenntnisse am Beispiel von Eingriffen im strafprozessualen Ermittlungsverfahren. Kernstück dieser Erprobung ist der Versuch einer "Systematisierung von möglichen Fehlerfolgen" (S. 454 ff.) auf der Grundlage verwaltungsrechtlicher Vorarbeiten (S. 401 ff.). Die Arbeit schließt mit einem vorbildlich gestalteten Apparat, enthaltend ein Literatur-, Personen- und Sachverzeichnis (S. 485 ff.).

III. Zu einigen Thesen der Arbeit im einzelnen:

1. Nicht sofort einleuchtend und insofern klärungsbedürftig ist zunächst die Parallelisierung von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsakt einerseits und strafprozessualem Ermittlungsverfahren und Ermittlungseingriff andererseits (S. 401 ff.). Unter dem Gesichtspunkt der "institutionellern Zwecksetzung" (S. 404 ff.) beschäftigt sich Popp vor allem mit der Einordnung der Staatsanwaltschaft in die klassische Gewaltentrias von Legislative, Exekutive und Judikative (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG). Nach Analyse typischer Aufgabenbereiche der Staatsanwaltschaft ("Ermitteln", "Leiten und Kontrollieren", "Ent-

scheidungen und Anklage", S. 413 ff.), die sich häufig im Grenzbereich von Exekutive und einer im weiteren Sinne verstandenen Judikative (S. 410 ff.) bewegen, votiert der Verfasser überzeugend für eine Zuordnung der Staatsanwaltschaft zur Exekutive.

Parallelen ergäben sich auch zur typischen Handlungsform im Verwaltungsrecht, dem Verwaltungsakt (S. 431 ff., insb. 434 ff.). So liege der Unterschied zwischen der Anordnung einer Blutprobenentnahme nach § 81a Abs. 2 StPO und beispielsweise einer entsprechenden Entnahme von Untersuchungsmaterial nach dem Infektionsschutzgesetz (§ 26 Abs. 2 Satz 2 IfSG) allein in der repressiven (StPO) und präventiven (IfSG) Zweckrichtung der jeweiligen Maßnahmen (S. 434).

Als eigentlichen Unterschied bestimmt Popp schließlich - in Übereinstimmung mit seiner Hauptthese - die unterschiedliche Komplexität von Verwaltungsverfahren und strafprozessualem Ermittlungsverfahren (S. 449 ff.). Trotz strukturähnlicher Eingriffsvoraussetzungen wie "Gefahr" und "Verdacht" (S. 294, 451; differenzierend Lorenz Schulz, Normiertes Mißtrauen. Der Verdacht im Strafverfahren, Frankfurt am Main 2001, S. 535 ff.) zeichne sich das strafprozessuale Ermittlungsverfahren dadurch aus, daß es von vornherein in "ein komplexes Geflecht von Teilverfahren" eingebunden ist, zu deren Kontrolle es "mehrere Institutionen, Möglichkeiten und Maßstäbe" gibt (S. 452). Ein Beispiel für das in weiten Teilen noch ungeklärte Zusammenspiel von solchen Verfahrensinstanzen ist die Frage der Bindungswirkung der ermittlungsrichterlichen Entscheidung für das erkennende Gericht, wie etwa bei einer Beschlagnahme (§ 98 Abs. 2 S. 2 StPO; zum Streitstand Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. München 2005, § 98 Rn. 17). Beim Verwaltungsverfahren ist der Verwaltungsakt dagegen in der Regel bereits die Sachentscheidung und damit der Schlußpunkt des Verfahrens.

Eine Parallelisierung von Verwaltungsverfahren und Ermittlungsverfahren - so das Zwischenergebnis - hat sich damit nach Ansicht von Popp als zumindest nicht prinzipiell unmöglich erwiesen (S. 452 f.). Eine Folge davon ist die Entwicklung eines weitergehenden Fehlerbegriffs, der nicht nur Fehler im Verfahren zu Verfahrensfehlern macht, sondern auch solche Fehler zu den Verfahrensfehlern zählt, die die sachliche Ausgestaltung des Verfahrens betreffen (Dazu sogleich ausführlicher).

2. Wie aber läßt sich das ausdifferenzierte Fehlerfolgen-System des Verwaltungsverfahrensrechts konkret für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren fruchtbar machen? Popp macht dazu im Schlußteil der Arbeit den "Versuch eines systematisierenden Überblicks" (S. 454 ff.).

In einem ersten Schritt geht es um eine Systematisierung von möglichen Fehlern in einem Verfahren (S. 454 ff.). Als Fehlerarten kommen in Betracht: Kompetenzfehler (i.S.v. Fehler örtlicher und sachlicher Zuständigkeit, z.B. durch Verstöße gegen gesetzliche Richtervorbehalte) sowie Verfahrensfehler (Gehör, Begründung, Form). Im Gegensatz zum Verwaltungsrecht möchte Popp aber auch solche (inhaltlichen) Fehler einbeziehen, die beim Verwaltungsakt erst auf Ebene der "materiellen" Rechtsmäßigkeit Beachtung finden (wie z.B. das Fehlen einer Gefahr im Polizeirecht). Für das strafprozessuale Ermittlungsverfahren bedeutet das, daß etwa das Fehlen eines Tatverdachts oder die Vornahme von gesetzlich nicht vorgesehenen Maßnahmen einen Fehler darstellen.

In einem zweiten Schritt geht es um die Folgen von Fehlern (S. 465 ff.). Popp bietet dem Leser ein ganzes Arsenal an formellen und materiellen Sanktionen, an Sanktionierungen im Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahren, sowie Möglichkeiten einer Fehlersanktionierung über ordentliche und außerordentliche Rechtsbehelfe bis hin zum Kostenrecht.

3. Von grundlegendem Interesse ist die Auseinandersetzung mit der von James Goldschmidt (vgl. S. 265 ff.) und, daran anschließend, u.a. von Eberhard Schmidt und Werner Niese vertretenen "prozessualen Betrachtungsweise" (S. 342 ff.). Nach dieser Ansicht enthalten Verfahrensregeln keine Handlungsnormen, woraus folge, daß diese auch nicht verletzt werden können. Statt dessen seien verfahrensrechtliche Normen allein Urteilsmaßstab für die Prozeßparteien (Klassisch James Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage, Berlin 1925, insb. S. 227 ff., 245 f.; ähnlich Eberhard Schmidt, Lehrkommentar zur StPO u. zum GVG, Göttingen 1964, Teil 1, 2. Aufl. Rn. 38 ff., 60 ff.). - Der berechtigte Kern des heute überholten Streits liegt wohl in der Frage, inwieweit es überhaupt Sinn macht, bei der Beurteilung von Verfahrensfehlern auf die Unterscheidung "rechtmäßig / rechtswidrig" zu verzichten und statt dessen auf "prozessuale Wertkategorien" wie "zulässig / unzulässig" oder "beachtlich/unbeachtlich" zurückzugreifen (s. hierzu Eb. Schmidt, Lehrkommentar, aaO., Teil 1, Rn. 138 ff.). - Popp hebt zu Recht hervor, daß es zwischen materiellrechtlichen Normen und Verfahrensnormen keinen prinzipiellen Unterschied gibt, insofern beide Ergebnis einer Abwägung von Interessen sind (S. 361). Darüber hinaus läßt sich gegen eine rein "prozessuale Betrachtungsweise" auch die kritische Funktion der materiellen Unterscheidung "rechtmäßig / rechtswidrig" vorbringen. Wie der Autor an einer Stelle kurz ausführt, können Entscheidungen innerhalb der prozessuale Betrachtungsweise niemals richtig oder falsch sein (S. 362/363). Fehlte dies aber, dann ginge die Möglichkeit verloren, sie intern wie extern als richtig oder falsch zu kritisieren (ähnlich Popp, S. 362 f.). Das prozessuale Begriffspaar "zulässig/unzulässig", das wäre hier die These, erfüllt diesen Zweck nicht im gleichen Maße (Zur kritischen Funktion von Wahrheitsansprüchen im Recht jüngst Ulfrid Neumann, Wahrheit im Recht, Baden-Baden 2004, insb. S. 41 ff.).

4. Eines näheren Blicks würdig sind in diesem Zusammenhang auch die von Popp in seiner Grundlegung behandelten Begriffe "Wahrheit", "Richtigkeit" und "Vertretbarkeit" (S. 116 ff.) in ihrer Bedeutung im Verwaltungsverfahren einerseits und im Strafverfahren andererseits. Sehr anschaulich läßt sich dies am Institut des "unbestimmten Rechtsbegriffs" herausarbeiten. Darunter

sind mehrdeutige Begriffe in gesetzlichen Tatbestanden zu verstehen, deren Gehalt nur durch Auslegung bestimmt werden kann. Im Gegensatz zu Ermessensvorschriften besitzen "unbestimmte Rechtsbegriffe" ihren Entscheidungsspielraum nicht auf Seiten der Rechtsfolgen ("kann"), sondern bereits auf Seiten des Tatbestands (z.B. die "Eignung zur Jugendgefährdung" nach § 18 Jugendschutzgesetz). Bei der Ausfüllung des Entscheidungsspielraums auf Tatbestandsseite kann man nun die Meinung vertreten, daß es nur eine "richtige" Entscheidung gibt, da nur so eine gerichtliche Kontrolle und eine eventuelle Korrektur der ergangenen "falschen" Entscheidung möglich wird. Verneint man dagegen, daß es nur eine "richtige" Entscheidung gibt, sondern womöglich mehrere gleich "vertretbare" Entscheidungen, dann verringern sich die Möglichkeiten der Kontrolle einer Entscheidung erheblich (hierzu Popp S. 70 ff., 121 f.; Allg. zur Diskussion um die gerichtliche Kontrolle von "unbestimmten Rechtsbegriffen" s. Albert Bleckmann, Spielraum der Gesetzesauslegung und Verfassungsrecht, in: JZ 1995, S. 685 ff.).

Das Problem zeigt sich auch im Strafverfahren (Zur Bedeutung des "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Strafverfahren, dargestellt am Beispiel des Tatverdachts: Lorenz Schulz, Normiertes Mißtrauen. Der Verdacht im Strafverfahren, Frankfurt am Main 2001, S. 223 ff.). Ein Beispiel ist etwa die umstrittene Regelung der beweglichen Zuständigkeit nach § 24 Abs. 1 Nr. 3, § 74 Abs. 1 S. 2 GVG, wonach die Staatsanwaltschaft "wegen der besonderen Bedeutung des Falles" die Möglichkeit hat, die Anklage statt beim Amtsgericht beim Landgericht zu erheben (vgl. § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG). Zur Begründung der Verfassungsmäßigkeit der Regelung greift das Bundesverfassungsgericht auf die "Idee der einzig richtigen Entscheidung" zurück. Die Staatsanwaltschaft habe beim Kriterium der "besonderen Bedeutung des Falles" "nicht ein Ermessen auszuüben, sondern den unbestimmten Rechtsbegriff der 'besonderen Bedeutung’ [richtig, Ergänzung S.Z.]auszulegen und den konkreten Fall[richtig, Ergänzung S.Z.]darunter zu subsumieren". Daraus folge, daß die Staatsanwaltschaft in den genannten Fällen von besonderer Bedeutung Anklage beim LG erheben muß (vgl. BVerfGE 9, 223 = NJW 1959, 871, insb. S. 872; kritisch Felix Herzog, Über bewegliche Zuständigkeitsregelungen, instrumentelle Zuständigkeitswahl und das Prinzip des gesetzlichen Richters, in: StV 1993, S. 609 ff.; s.a. jüngst Neumann, Wahrheit im Recht, aaO., S. 59 ff.).

5. Überwiegend Zustimmung wird dagegen die Hauptthese der Arbeit finden, daß das Strafverfahren ein strukturell komplexes Entscheidungssystem mehrfacher Stufung ist, dem auf jeder dieser Stufen ein ebenso komplexes System von "konstruktiv möglichen Fehlerfolgen" gegenüberstehen kann (S. 211). Die Einsicht in die Vielfalt der "Verfahrenswelten" (S. 211) und "Fehlerfolgen" bildet - so Popp richtig - den Ausgangspunkt jeder "normativen Verfahrensfehlerfolgenlehre". Auch wenn die Arbeit an dieser Stelle abbricht (vgl. S. 30, S. 482 f.), beschreibt sie doch überzeugend ihre empirischen Voraussetzungen (allgemein S. 208 ff.; speziell für das Ermittlungsverfahren S. 316 ff., S. 454 ff.). Damit ist nicht wenig erreicht, hilft es doch, die in diesem Bereich getroffenen (erforderlichen) Wertungen einerseits auf der Herstellungsseite vorzubereiten und andererseits bei der Darstellung verständlich und nachvollziehbar zu machen.

IV. Im Ergebnis: Die empirisch-analytische Arbeit von Andreas Popp leistet wichtige Vorarbeiten zur zukünftigen Ausarbeitung einer normativen Lehre von Verfahrensfehlern und deren rechtlichen Folgen. Daß dabei rechtstheoretisch und methodisch "keine Kosten und Mühen" gescheut werden, ist in Zeiten geringen theoretischen Interesses eine besonders hervorzuhebende Eigenschaft des im doppelten Wortsinne vielseitigen Werks.

Wiss. Mit. Sascha Ziemann, Univ. Frankfurt am Main

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