HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2004
5. Jahrgang
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III. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)


Entscheidung

531. BGH 5 StR 11/04 - Beschluss vom 20. April 2004 (LG Berlin)

BGHR; Unwirksamkeit eines sofort nach der Urteilsverkündung erklärten Rechtsmittelverzichts (Zustandekommen des Rechtsmittelverzichts: unzulässige Willensbeeinflussung, keine heilende Mitwirkung des Verteidigers bei einer unsachgemäßen Ankündigung der Staatsanwalt, die sich das Gericht zueigen macht, unsachgemäßer Haftantrag); Verfahrensabsprache (Beweiswürdigung: gebotene Feststellungen bei einer Verständigung, "schlankes Geständnis"; Protokollierungspflicht; Gebot der Konnexität; gescheiterte Absprache); Erstreckung der Urteilsaufhebung auf Nichtrevidenten (kein Vorrang der Sachrüge).

Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; § 370a AO; § 357 StPO; Vor § 1 StPO; § 261 StPO; § 268b StPO; § 302 Abs. 2 Satz 1 StPO

1. Unwirksamkeit eines sofort nach Urteilsverkündung erklärten Rechtsmittelverzichts des Angeklagten, auf den der Staatsanwalt mit der Ankündigung eines unsachgemäßen Haftantrages für den Weigerungsfall gedrängt hatte. (BGHR)

2. Ein Rechtsmittelverzicht kann sich auf Grund der Art und Weise seines Zustandekommens im Ausnahmefall als unwirksam erweisen (vgl. BGHSt 45, 51, 53). (Bearbeiter)

3. Eine Verfahrensabsprache darf nicht die Zusage eines Rechtsmittelverzichts zum Bestandteil haben (BGHSt 43, 195, 204 f.; 45, 227, 230 f.). (Bearbeiter)

4. Die nach § 268b StPO mit Urteilsverkündung zu treffende Haftentscheidung darf grundsätzlich nicht von der Rechtskraft eines Urteils abhängen, soweit dabei über die Fortdauer der Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr bzw. über eine Außervollzugsetzung der aus diesem Grunde angeordneten Untersuchungshaft zu entscheiden ist. Regelmäßig besteht kein tragfähiger Grund, einem Angeklagten, der die Überprüfung einer gegen ihn ergangenen landgerichtlichen Verurteilung zu einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe mit dem Rechtsmittel der Revision erstrebt, eine Außervollzugsetzung der wegen Fluchtgefahr angeordneten Untersuchungshaft etwa zu versagen, die ihm ohne ein solches zulässiges Rechtsmittel gewährt werden könnte. (Bearbeiter)

5. Ein bloßer Verurteilungskonsens reicht auch nach einer Verständigung als Basis für eine Verurteilung mit tragfähigem Schuldspruch selbstverständlich nicht aus. (Bearbeiter)

6. Die Möglichkeit der Erstreckung einer Urteilsaufhebung auf die Nichtrevidenten nach § 357 StPO im Fall einer sachlich-rechtlich begründeten Urteilsaufhebung führt nicht zum Vorrang der Sachrüge gegenüber der Verfahrensrüge. (Bearbeiter)


Entscheidung

471. BGH 2 StR 39/04 - Beschluss vom 14. April 2004 (LG Bonn)

Grundsatz des fairen Verfahrens (gescheiterte Verfahrensabsprache: Überschreitung des in Aussicht gestellten Strafmaßes; Verständigung; Vertrauensgrundlage); Hinweispflicht; Beweisaufnahme; Erforschung der Wahrheit.

Art. 6 Abs. 1 EMRK; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; § 265 StPO

1. Verständigen sich die Verfahrensbeteiligten während der Hauptverhandlung auf eine bestimmte Höchststrafe unter der Voraussetzung, dass der Angeklagte die ihm vorgeworfenen Taten einräumt, so ist das Gericht an die gegebene Strafobergrenze zwar nicht gebunden, wenn es aufgrund des Ergebnisses der weiteren Beweisaufnahme zu der Auffassung gelangt, dass die Einlassung des Angeklagten den Anforderungen an ein glaubhaftes Geständnis nicht genügt. Will der Tatrichter aber unter diesen Umständen die mitgeteilte Strafobergrenze überschreiten, so ist er zu einem ausdrücklichen Hinweis an den Angeklagten verpflichtet (BGHSt 36, 210, 212; 38, 102, 105; 42, 46, 49; BGH 1 StR 147/01 - Beschluss vom 26.9.2001 = NStZ 2002, 219; BGH 4 StR 472/02 - Beschluss vom 21. 1. 2003 = NJW 2003, 1404).

2. Eine später durchgeführte Beweisaufnahme lässt die durch die Verständigung geschaffene Vertrauensgrundlage nicht entfallen, da der Tatrichter auch bei einem Geständnis zur Erforschung der Wahrheit verpflichtet ist, so dass die Beweisaufnahme als solche nicht erkennen lässt, dass das Gericht die Verständigung für gescheitert hält.

Verhängt daher das Gericht eine höhere Strafe als die im Rahmen der Verständigung angekündigte, ohne gem. § 265 StPO vorher auf diese Möglichkeit hinzuweisen, so verstößt es gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens.


Entscheidung

488. BGH 2 StR 146/03 - Urteil vom 27. Februar 2004 (LG Bonn)

Fragerecht des Angeklagten als Teil des fair-trial-Grundsatzes (Gesamtbetrachtung der Verfahrensfairness); Zulässigkeit der Verfahrensrüge (Mitteilung der den Fehler enthaltenden Tatsachen, Bezugnahme auf Schriftstücke); letztes Wort (Wiedereintritt in die Beweisaufnahme); Bescheidung von Beweisanträgen; Tateinheit (individuelle Bestimmung für jeden Mittäter); Strafzumessung (Gesamtstrafenbildung; fehlerhafte Beurteilung der Konkurrenzen; Beruhen); Einziehung von Vermögenswerten juristischer Personen (Straftat des faktischen Geschäftsführers); Ablehnung eines Antrages auf Videovernehmung.

Art. 6 Abs. 1 EMRK; Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK; § 258 Abs. 2 StPO; § 258 Abs. 3 StPO; § 244 Abs. 6 StPO; § 337 StPO; § 52 StGB; § 247 a Satz 1 2. Halbsatz StPO; § 244 Abs. 2 StPO; § 247 a Satz 1 2. Halbsatz StPO

1. Die Zeugenvernehmung hat nach Art. 6 Abs. 3 Buchstabe d EMRK grundsätzlich in öffentlicher Verhandlung mit dem Ziel einer kontradiktorischen Erörterung zu erfolgen (vgl. BGHSt 46, 93, 93 ff). Dies schließt aber die Verwertung von Aussagen, die im Vorverfahren oder sonst außerhalb der Hauptverhandlung gemacht wurden, nicht aus, wenn dem Angeklagten eine angemessene und geeignete Gelegenheit gegeben wird, den Zeugen selbst zu befragen oder befragen zu lassen. Dies kann entweder zu dem Zeitpunkt, in dem der Zeuge seine Aussage macht, oder in einem späteren Verfahrensstadium geschehen.

2. Das Fragerecht leitet sich aus dem Grundsatz des fair trial ab, so dass es für die Prüfung seiner Verletzung auf die Gesamtheit des Verfahrens ankommt. Ein Konventionsverstoß liegt nicht vor, wenn die Verteidigungsrechte, deren Verletzung geltend gemacht wird, insgesamt angemessen gewahrt wurden.

3. Dem Angeklagten ist nur dann erneut das letzte Wort (§ 258 Abs. 2 StPO) zu gewähren, wenn nach dem ihm bereits einmal gewährten letzten Wort wieder in die Beweisaufnahme eingetreten wurde oder wenn Anträge mit den Prozessbeteiligten erörtert wurden.

4. Für den Wiedereintritt in die Beweisaufnahme ist der subjektive Wille des Gerichts maßgeblich und nicht, ob ein Beweisantrag gestellt wurde, der objektiv die Entscheidung zu beeinflussen geeignet gewesen wäre.

5. Der Tatrichter ist verpflichtet, Beweisanträge bis zum Beginn der Urteilsverkündung, also auch nach abgeschlossener Urteilsberatung, entgegenzunehmen und zu bescheiden (§ 244 Abs. 6 StPO).

6. Die Frage nach Tateinheit oder Tatmehrheit ist für jeden Mittäter individuell nach seinen Tatbeiträgen zu entscheiden.

7. Legt der Tatrichter seiner Gesamtstrafenbildung den zutreffenden Unrechts- und Schuldgehalt der abgeurteilten Taten zugrunde, so ist eine unterschiedliche rechtliche Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses durch das Revisionsgericht kein maßgebliches Kriterium für die Strafzumessung. Nimmt also das tatrichterliche Urteil hinsichtlich bestimmter Einzeltaten rechtfehlerhaft Tatmehrheit an, während zutreffend von Tateinheit auszugehen ist, so gefährdet dies allein den Bestand der Gesamtstrafenbildung nicht.


Entscheidung

509. BGH 1 StR 354/03 - Urteil vom 30. März 2004 (LG Waldshut)

Freie Beweiswürdigung beim Freispruch (Vergewaltigung; in dubio pro reo; Zweifelsgrundsatz; Erörterungsmangel; Überspannung der tatrichterlichen Überzeugungsbildung; Wiedererkennung: Unsicherheiten und Beweiswert; widerrufenes Geständnis); ne bis in idem (Strafklagebrauch; keine Tatsachenbindung bei Rechtskraft); gesetzlicher Richter (Verweis an ein anderes Landgericht nach zweifacher Aufhebung wegen Mängeln hinsichtlich der Beweiswürdigung).

Art. 103 Abs. 3 GG; Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 EMRK; § 261 StPO; § 177 Abs. 2 StGB; § 354 Abs. 2 StPO

1. Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente ohne Erörterung hinweggeht, ist rechtsfehlerhaft (BGH NStZ 2002, 656, 657). Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln abzuhandeln. Auf solche einzelnen Indizien ist der Grundsatz "in dubio pro reo" nicht isoliert anzuwenden. Das einzelne Beweisanzeichen ist vielmehr mit allen anderen Indizien in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Erst die Würdigung des gesamten Beweisstoffes entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (BGH NStZ-RR 2000, 45).

2. Der Zweifelssatz ist nicht schon auf das einzelne Indiz, sondern erst bei der abschließenden Überzeugungsbildung aufgrund der gesamten Beweislage anzuwenden. Erachtet ein Gericht wesentliche Beweisanzeichen für die Täteridentifikation jeweils einzeln unter Zugrundelegung des Zweifelssatzes als "nicht völlig zwingend" und deshalb als nicht überzeugend, bevor es die erforderliche

Gesamtwürdigung vornimmt, lässt dies besorgen, dass es bei der Gesamtwürdigung solche Indizien nicht hinreichend einbezogen hat, denen es für sich gesehen keinen "zwingenden" Beweiswert beigemessen hat.

3. Für die Beantwortung der Schuldfrage kommt es allein darauf an, ob der Tatrichter die Überzeugung von einem bestimmten Sachverhalt erlangen kann oder nicht. Der Begriff der Überzeugung schließt die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Sachverhalts nicht aus; vielmehr gehört es gerade zu ihrem Wesen, dass sie sehr häufig objektiv möglichen Zweifel ausgesetzt bleibt. Der Tatrichter ist aber nicht gehindert, an sich mögliche, wenn auch nicht zwingende Folgerungen aus bestimmten Tatsachen zu ziehen. Sie müssen allerdings tragfähig sein (BGHSt 10, 208, 209 f.; 41, 376, 380).

4. Ein rechtskräftiger Freispruch verbraucht die Strafklage und steht fortan einer Sanktionierung wegen der nämlichen Tat entgegen. Eine Tatsachenbindung gehört aber nicht zum Wesen der Rechtskraft (vgl. BGHSt 43, 106, 108 f.).


Entscheidung

507. BGH 1 StR 14/04 - Beschluss vom 20. April 2004 (LG Rottweil)

Ausnahmsweise unwirksamer Rechtsmittelverzicht (Verhandlungsfähigkeit: Begriff und Klärung im Freibeweis; keine Geltung von in dubio pro reo).

§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO

1. Verhandlungsfähigkeit ist die Fähigkeit, in oder außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger Weise zu führen, Prozesserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen. Sie wird in der Regel nur durch schwere körperliche oder seelische Mängel ausgeschlossen; auf die Geschäftsfähigkeit im Sinne des bürgerlichen Rechts kommt es nicht an (BGH NStZ 1983, 280).

2. Ob Verhandlungsunfähigkeit in diesem Sinne vorliegt, ist im Wege des Freibeweises zu prüfen; der Grundsatz 'in dubio pro reo' gilt hier nicht. Wenn das Tatgericht keinen Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten hatte und solche auch von der Verteidigung nicht geltend gemacht worden sind, so kann diese grundsätzlich auch vom Revisionsgericht ohne Bedenken bejaht werden (vgl. BGH NStZ 1984, 181; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 16).

3. Ein die Verhandlungsfähigkeit ausschließender Ausnahmefall liegt nicht schon allein in der Tatsache, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Abgabe einer Erklärung (Rechtsmittelverzicht) emotional aufgewühlt war.


Entscheidung

505. BGH 1 StR 101/04 - Beschluss vom 1. April 2004 (LG Coburg)

Darlegungsanforderungen bei der Rüge einer durch einen Beweisantrag eingeforderten zu unrecht unterlassenen Beweiserhebung (Vortrag von Negativtatsachen; konkrete Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Urteils; Sachverständigenbeweis); Zurückweisung eines ergänzenden Vortrages wegen Verletzung der Begründungsfrist.

§ 244 Abs. 3, Abs. 4 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO

Es entspricht nicht den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO an eine zulässige Verfahrensrüge, wenn eine Rüge der entgegen einem erhobenen Beweisantrag zu unrecht unterlassenen Beweiserhebung (hier: Vernehmung eines Sachverständigen) sich nicht mit Ausführungen des Urteils auseinandersetzt, die auf eine Beachtung des Beweisantrages schließen lassen können (gebotene konkrete Auseinandersetzung mit Umständen, die gegen die Richtigkeit des Revisionsvorbringens sprechen).


Entscheidung

540. BGH 5 StR 540/03 - Urteil vom 21. April 2004 (LG Würzburg)

Beweiswürdigung und Urteilsgründe bei Freispruch (Darlegung der erwiesenen Tatsachen; Überprüfbarkeit durch das Revisionsgericht); Strafzumessung bei in mehreren Einzelakten begangenen Vermögensstraftaten (Schätzung; Verteilung des festgestellten Gesamtschadens auf diese Einzelakte nach dem Grundsatz in dubio pro reo); Recht auf Verfahrensbeschleunigung (Beschleunigungsgebot; Berechnung nach der Aburteilung; Kompensation und allgemeine Milderung wegen der langen Dauer zwischen Tatbegehung und Tataburteilung); Strafzumessung und Schwarzarbeit; Strafaussetzung zur Bewährung (keine Ausnahme für bestimmte Delikte).

§ 267 StPO; § 261 StPO; § 263 StGB; § 266 StGB; § 266a StGB; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; § 46 StGB

1. Die Begründung eines Freispruchs muss so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind, insbesondere, ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt erschöpfend gewürdigt ist (BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 5). Dabei muss sie insbesondere mitteilen, welche Tatsachen das Tatgericht nach der Beweisaufnahme hinsichtlich des in Rede stehenden Tatvorwurfs für erwiesen erachtet.

2. Bei der Beurteilung, ob ein durch kompensatorische Strafzumessung zu berücksichtigender Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK vorliegt, kommt es auf die Bekanntgabe des Schuldvorwurfes und nicht auf die Beendigung der Tat an (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 3). Der lange zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil kann freilich zu einem eigenständigen wesentlichen Strafzumessungsgesichtspunkt führen, jedoch außerhalb der kompensatorischen Strafzumessung (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13).


Entscheidung

504. BGH 3 StR 428/03 - Urteil vom 22. April 2004 (LG Itzehoe)

Absoluter Revisionsgrund (Öffentlichkeit des Verfahrens; formale Verletzung der Begründungsvorschriften); Zweckbestimmung eines Gebäudes als Wohnhaus (Entwidmung); Bindung des Richters an das Gesetz (Zusage

einer Höchststrafe; richterlicher Hinweis; Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts).

§ 338 Nr. 6 StPO; § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB; Art. 97 Abs. 1 GG; § 265 StPO

1. Nicht jede formale Verletzung der Vorschriften über die Begründung des Ausschlusses der Öffentlichkeit - etwa eine formelhafte Begründung, die lediglich aus dem Zitat der angewendeten Vorschriften besteht - stellt einen absoluten Revisionsgrund im Sinne des § 338 Nr. 6 StPO dar. Eine solche, für sich betrachtet unzulängliche Begründung des Beschlusses kann dann unschädlich sein, wenn seine Gründe im einzelnen und die Reichweite des Ausschlusses für alle Verfahrensbeteiligten offenkundig waren.

2. Die Zweckbestimmung eines Gebäudes als Wohnung von Menschen im Sinne von § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB entfällt, wenn sie von allen Bewohnern aufgegeben wird ("Entwidmung"; st. Rechtsprechung). Die Aufgabe als Wohnung bedarf dabei keines formalen Aktes und kann auch in einem Einverständnis mit der Brandlegung enthalten sein.

3. Das unfreiwillige Verlassen des Gebäudes, gegebenenfalls unter Mitnahme von Habe, wird zur Aufgabe der Zweckbestimmung, als Wohnung von Menschen zu dienen, nicht ausreichen (obiter dictum).

4. Aufgrund der Bindung des Richters an das Gesetz ist kein Raum für eine Strafzumessung, die den gesetzlichen Strafrahmen verlässt. Dies gilt auch dann, wenn dem Angeklagten zuvor "signalisiert" wurde, ein bestimmtes Strafmaß nicht zu überschreiten. In diesen Fällen kann jedoch ein richterlicher Hinweis gem. § 265 StPO geboten sein.


Entscheidung

490. BGH 2 StR 436/03 - Urteil vom 7. April 2004 (LG Trier)

Anwesenheitsrecht des Angeklagten; wesentlicher Teil der Hauptverhandlung (förmliche Augenscheinseinnahme); absoluter Revisionsgrund (Beruhen; auszuschließender Einfluss eines Verfahrensfehlers).

§ 338 Nr. 5 StPO; § 247 Satz 2 StPO

1. Eine förmliche Augenscheinseinnahme darf nicht in Abwesenheit des Angeklagten erfolgen, denn es handelt sich dabei um einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung, von dem er nicht nach § 247 StPO ausgeschlossen werden darf.

2. Wird der Angeklagte entgegen § 247 StPO von einem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung ausgeschlossen, so stellt dies nur insoweit einen absoluten Revisionsgrund im Sinne des § 338 Nr. 5 StPO dar, als nicht auszuschließen ist, dass der Verfahrensfehler einen Einfluss auf die Entscheidung des Gerichts hatte.