HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2004
5. Jahrgang
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Schrifttum

Detlef Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen. ZAP-Praxiskommentar. ZAP Verlag für die Rechts- und Anwaltspraxis, 2004, 1432 Seiten, EUR 88,00 (Subskriptionspreis EUR 78,00).

Wer als Strafverteidiger in seinem gebührenrechtlichen Werkzeugkasten bislang einen richtigen Hammer vermisst hat, dem sei der neue, von Detlef Burhoff unter Mitarbeit von Thomas Schmidt und Joachim Volpert herausgegebene Praxiskommentar RVG Straf- und Bußgeldsachen empfohlen. Die strafrechtlichen Gebührenregelungen, die bislang in den gebührenrechtlichen Kommen-

taren eher geringen Raum einnehmen, werden nun erstmals in einem Spezialkommentar umfassend und präzise erläutert. Durch Tabellen, Berechnungsbeispiele und Hinweise wird zudem ein hoher praktischer Nutzen erreicht. Den Autoren ist mit diesem Werk eine perfekte Verbindung von Kommentar und Handbuch gelungen.

Gerade, weil im Bereich der strafrechtlichen Gebührenvorschriften die größten Veränderungen gegenüber der Gebührenstruktur der BRAGO vorgenommen wurden, ist ein Spezialkommentar für den strafrechtlich tätigen Anwalt absolut unverzichtbar. Das RVG bringt vor allem eine Verbesserung der Honorierung im Ermittlungsverfahren, sowie eine verbesserte Honorierung des Pflichtverteidigers. Der Zeugenbeistand soll in Zukunft die gleichen Gebühren wie ein Verteidiger erhalten und auch die Tätigkeit in der Strafvollstreckung wird nunmehr von eigenen Gebührentatbeständen erfasst. Daraus ergibt sich bereits, dass die Gebührenabrechnung in Straf- und Bußgeldsachen nach dem RVG nicht mehr mit der bisherigen Abrechnung nach der BRAGO vergleichbar ist.

Die Entstehungsgeschichte und die Ziele des RVG erläutert Burhoff, der als Mitglied der Expertenkommission selbst an der Neuregelung mitgewirkt hat, im ersten Teil des Werkes. Der zweite Teil enthält ein von Burhoff, Schmidt und Volpert zusammengestelltes Vergütungs-ABC zu wichtigen strafrechtlichen Themenkomplexen. So wird beispielsweise unter dem Schlagwort "Geldwäsche" bereits die aktuelle Rechtslage unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 30.03.2004 (2 BvR 1520/01 und 1521/01) dargestellt. Im dritten Teil werden schließlich die Regelungen der §§ 42 bis 58 RVG, sowie der Teile 4 bis 7 des Vergütungsverzeichnisses kommentiert.

Den Kommentierungen jeweils vorangestellt sind der Gesetzestext des RVG, sowie der Text der entsprechenden früheren BRAGO-Regelung. Durch Praxistipps, Berechnungsbeispiele und Formularmuster werden die Erläuterungen abgerundet. So enthält zum Beispiel die Kommentierung zu § 51 RVG als Arbeitshilfe ein ausführliches ABC der Pauschvergütung, in dem die bisherige Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zur Pauschgebühr nach § 99 BRAGO - die auch für die Auslegung des neuen Rechts herangezogen werden wird - übersichtlich anhand von Stichworten zusammengestellt ist.

Die Art und Höhe der Gebühren ist im RVG in einem Vergütungsverzeichnis geregelt. Das RVG kennt im Strafverfahren nur noch die Verfahrens- und die Terminsgebühr, die aus der früheren Hauptverhandlungsgebühr des § 83 BRAGO entstanden sind. Daneben wurde eine sogenannte Grundgebühr eingeführt. Diese Gebührentatbestände sind in Teil 4 des Vergütungsverzeichnisses enthalten und werden im vorliegenden Kommentar von Burhoff umfassend und praxisnah unter Verwendung von Beispielen, Tabellen und Übersichten erläutert. Immer wieder erhält der Strafverteidiger wertvolle Hinweise, z.B. im Rahmen der Terminsgebühr auf die durchschnittliche, die Mittelgebühr rechtfertigende Verhandlungsdauer. Auch werden die von dem jeweiligen Gebührentatbestand erfassten Tätigkeiten immer wieder anhand übersichtlicher Listen im Einzelnen dargestellt. Besonders wichtig ist die Kommentierung des Katalogs der erfassten Tätigkeiten bei der neu eingeführten Grundgebühr. Eine vergleichbare Regelung gab es in der BRAGO nicht. Ausführlich geht Burhoff zudem auf den in diesem Zusammenhang neu eingeführten Begriff des "Rechtsfalls" ein: Als Faustregel führt er aus, dass jedes von der Staatsanwaltschaft betriebene Ermittlungsverfahren einen eigenständigen Rechtsfall i.S.d. Nr. 4100 VV darstellt, solange die Verfahren nicht miteinander verbunden sind.

Die Gebühren in der Strafvollstreckung, sowie für Einzeltätigkeiten werden von Volpert kommentiert. Die Tätigkeit im Strafvollstreckungsverfahren wurde bislang durch die Gebühr nach § 91 Nr. 1 und 2 BRAGO abgegolten. Dies hat, wie Volpert feststellt, in der Praxis oft zu unangemessenen niedrigen Gebühren geführt, da der Zeitaufwand in Strafvollstreckungssachen nicht selten erheblich ist. Deshalb wurden mit dem RVG nunmehr auch für diesen Bereich Verfahrens- und Terminsgebühren eingeführt. Eine Grundgebühr entsteht in der Strafvollstreckung allerdings nicht.

Nach einem stringenten Schema erläutert Volpert für jeden Tatbestand die Entstehung der Gebühr, ihren Abgeltungsbereich und ihre Höhe. Zur Übersichtlichkeit und Praxisnähe der Darstellung gilt das oben Gesagte: Zu allen Gebührentatbeständen erhält der Strafverteidiger ausführliche Hinweise, Berechnungsbeispiele und Übersichten.

Die Kommentierung des fünften Teils des Vergütungsverzeichnisses, der sich auf die Bußgeldsachen bezieht, ist wieder von Burhoff verfasst. In diesem Bereich sieht das RVG ebenfalls erhebliche Veränderungen vor. Wie im Strafverfahren, erfolgt auch in Bußgeldsachen die Berechnung anhand der Verfahrens- und Terminsgebühr, sowie der neu eingeführten Grundgebühr. Eine wesentliche Änderung gegenüber der früheren Rechtslage in Owi-Sachen ist die vom RVG vorgenommene Dreiteilung der Gebühren für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde sowie das gerichtliche Verfahren. Die Vergütung wird abhängig gemacht von der Höhe der Geldbuße. Bei Geldbußen von weniger als 40,00 EUR wird die Tätigkeit des Verteidigers in Zukunft niedriger entgolten als nach der BRAGO. Bei Geldbußen von 40,00 EUR bis 5.000,00 EUR bleibt die Vergütung in etwa auf dem Niveau der BRAGO. Im Übrigen erfolgt zukünftig eine höhere Vergütung. Auch bei den Gebühren in Bußgeldsachen erläutert Burhoff die einzelnen Tatbestände und Sonderfälle immer wieder anhand von plastischen Beispielen.

Teil 6 des Vergütungsverzeichnisses bezieht sich auf die sonstigen Verfahren, wie z.B. Verfahren nach dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen oder Disziplinar- bzw. berufsrechtliche Verfahren. Ausführlich und in die Tiefe gehend erläutert Volpert diesen Bereich des Gebührenrechts auf über 200 Seiten.

Schließlich widmet sich Schmidt in seiner Kommentierung dem siebten Teil des Vergütungsverzeichnisses, der sich auf die Auslagen bezieht. Die einzelnen Positionen wie z.B. Dokumentenpauschale, Post- und Telekommunikationsentgelte oder Fahrtkosten werden ausführlich anhand von Beispielen und Übersichten erläutert. Praxistipps runden die gelungene Darstellung ab.

In den Anlagen findet sich eine ausgezeichnete Übersicht der Gebührentatbestände unter Angabe der Verzeichnisnummer und Gebührenhöhe. Hierdurch wird der schnelle Überblick über die im jeweiligen Mandat in Betracht kommenden Gebühren gewährleistet. Auch sind das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, sowie das Vergütungsverzeichnis im Originaltext und im Zusammenhang abgedruckt.

Als Besonderheit hervorzuheben ist das von Burhoff entwickelte Muster für ein Vergütungsblatt, das in die Handakte eingeheftet werden kann. Dieses findet sich leider etwas versteckt im Vergütungs-ABC unter dem Stichwort Rahmengebühren auf Seite 198.

Ein Fazit ist schnell gefunden: Dieser neue Spezialkommentar setzt Maßstäbe und ist für jeden im Strafrecht tätigen Anwalt unentbehrlich.

Rechtsanwalt Dr. Thorsten Junker, Augsburg

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Daniela Demko, Zur "Relativität der Rechtsbegriffe" in strafrechtlichen Tatbeständen. Duncker & Humblot (Schriften zum Strafrecht, Heft 132), Berlin, 2002, 339 S., ISBN 3-428-10551-6, EUR 74, 00.

I. Die "Relativität der Rechtsbegriffe" umschreibt kurz umrissen das Phänomen, dass dem Wort nach gleich lautende Begriffe innerhalb verschiedener rechtlicher Normen auf Grund verschiedener Normzwecke eine unterschiedliche Bedeutung aufweisen können. Mit der von Küpper betreuten Dissertation von Daniela Demko wird den diesem Phänomen zugrunde liegenden methodologischen Zusammenhängen erstmals eine speziell auf die strafrechtlichen Implikationen ausgerichtete Abhandlung gewidmet. Die Arbeit Demkos gliedert sich in einen Allgemeinen Teil (S. 13 - 189), der die sprachtheoretische und methodologische Analyse der Relativität der Rechtsbegriffe umfasst und einen Besonderen Teil (S. 190-320), in dem die Verfasserin anhand ausgewählter Rechtsbegriffe strafrechtlicher Tatbestände die Bedeutung ihrer methodologischen Erkenntnisse demonstriert. Eine Zusammenfassung beschließt die Arbeit (S. 321-325), der ein Literaturverzeichnis und auch ein Stichwortverzeichnis angeschlossen sind.

II. 1. Im zentralen AT der Arbeit setzt sich Demko das Ziel, das "Phänomen der 'Relativität der Rechtsbegriffe’ einer wissenschaftlich fundierten und rechtssystematisch präzisen Untersuchung zu unterstellen" (S. 15). Im zugleich einleitenden ersten Kapitel stellt sie im Wesentlichen die Aussagen der Begriffsrelativität dar (S. 13 ff.). Die Relativität der Rechtsbegriffe ergibt sich aus der Kontextbedingtheit allen Verstehens (S. 21) und insofern insbesondere daraus, dass Rechtsbegriffe nicht isoliert, sondern als Bestandteil der durch sie wiederum konstituierten Sätze ausgelegt werden (S. 19). Ohne Änderung des gebrauchten Wortes kann sich insoweit über den Kontext ein anderer Sinnzusammenhang vermitteln, der wiederum zu einer divergierenden Bedeutung des Rechtsbegriffs führt (S. 20). Die Berufung auf absolute Begriffe, deren Bedeutung mit ihrer Verwendung sogleich unumstößlich feststehen soll, erweist sich vielmehr als "Kunstfigur" (S. 22). Ob sich tatsächlich eine im Einzelfall gleiche Bedeutung zweier im Wortlaut gleicher Rechtsbegriffe ergibt - was Demko als Möglichkeit keineswegs bestreitet - kann methodengerecht allein durch den Vergleich der bei den betroffenen Normen jeweils zu bedenkenden sinnprägenden Elemente beantwortet werden (S. 25). Als wesentliches sinnprägendes Element wird der Zweck des jeweiligen Rechtssatzes herausgestellt und damit zusammenhängend auch betont, dass sich die Frage der Relativität der Rechtsbegriffe als Frage der Auslegungscanones darstellt (S. 30 ff.). Auf S. 34 hält Demko die in der Auseinandersetzung mit dem Schrifttum gewonnenen Teilaspekte fest, anhand derer sie eine "abgeschlossene Auseinandersetzung mit der Lehre von der Relativität der Rechtsbegriffe" anstrebt.

2. Folgerichtig greift Demko zunächst klärend das Verhältnis von Wort und Begriff auf (S. 35 ff.). Sie verdeutlicht, dass der reine Wortlaut lediglich ein Zeichen darstellt, dem eine Bedeutung erst durch den Kontext zugewiesen werden muss. Der Rechtsbegriff, der nicht nur Zeichen sein will, sondern eine abstrakt generalisierende Bedeutung vermitteln will und muss, ist daher bereits sprachlich betrachtet von seiner "Zusammenhangsbedingtheit" geprägt. Demko untersucht dabei auch die Lehre vom "Begriffskern" und weist dieser eine gewisse Ordnungsfunktion und einen Anteil an der Begründung der Relativität zu, so dass sie diese Lehre trotz der Referierung der gegen sie bestehenden Einwände nicht gänzlich verwerfen mag (S. 54 ff.). Im folgenden dritten Kapitel legt Demko nun auch unter Rekurs auf das selbst kontextabhängige Verstehen dar, dass verschiedenste sinnprägende Elemente die aktuelle Bedeutung eines Wortes auch im rechtlichen Zusammenhang steuern können (S. 64 ff.). Dabei bietet Demko eine prägnante Darstellung des hermeneutischen Zirkels (S. 87 ff.), den auch sie eher als Spirale verstanden wissen will (S. 90). Demko zeigt zum nächsten Kapitel überleitend auf, dass die unterschiedlichen Kontexte eines Wortes heute tatsächlich über die Auslegungscanones für die Rechtsanwendung fruchtbar gemacht werden (S. 95 ff.)

3. Bevor Demko die juristischen

Auslegungsmethoden darstellt, erhellt sie den Ausgangspunkt der allgemeinen Hermeneutik, legt also die Auslegungslehre der Geisteswissenschaften knapp dar (S. 105 ff.). Die juristischen Auslegungsmethoden stellt Demko klassisch an Savigny orientiert dar (S. 117 ff.). Ihr gelingt ein profunder und informativer Überblick über die heute vorherrschenden Auffassungen. Besonderes Gewicht (S. 133 ff.) misst sie der teleologischen Auslegung bei und sie verdeutlicht in diesem Zusammenhang nochmals präzise, dass gerade die von ihr mit Recht als praktisch vorherrschend bezeichnete teleologische Methode auch den wesentlichen Grund für Phänomene der Relativität von Rechtsbegriffen darstellt: Es ist der objektiviert festzustellende besondere Zweck des Gesetzes, der zu divergierenden Bedeutungsgehalten einzelner dem Wortlaut nach gleich erscheinender Begriffe führen kann. Diesen Zusammenhang zeigt Demko anhand des Rechtsguts als auch im Strafrecht präsent auf (S. 145 ff.).

4. Demko legt sodann (S. 161 ff.) dar, dass sie mit der heute vorherrschenden Auffassung von einem Vorrang der teleologischen Methode ausgeht. Dabei soll aber - was sie insoweit zur Herstellung eines vollständigen Kontextbezuges wiederholt betont - keine Freistellung von der Prüfung aller anderen Methoden erfolgen, vielmehr soll deren Prüfung Voraussetzung für ein gerechtes Ergebnis sein. Ohne nähere Prüfungen, inwiefern sich doch anderes vertreten ließe oder vertreten wird (vgl. für die zeitweilig betont von Dworkin vertretene These von der notwendigen Orientierung an einer richtigen Entscheidung u.a. das Vorwort zu Law’s Empire, 1987 und deutlicher noch Taking Rights Seriously, 1977, S. 81 ff.), konstatiert Demko, dass insoweit eine subjektive bzw. irrational wertende Natur der endgültigen Entscheidung für einen konkreten Auslegungszweck zu akzeptieren sei (S. 170 ff.). Diese sei aber selbstverständlich "kein Einfallstor für Willkür" (S. 173).

5. In einem dann vor allem für das Strafrecht mit einer gewissen Sprengkraft versehenen Abschnitt nimmt Demko speziell die Frage auf, inwiefern sich nun angesichts des Vorrangs der teleologischen Auslegungsmethode die Wortlautgrenze als Grenze der Auslegung und damit als Schranke zur Analogie noch rechtfertigen lasse (S. 174 ff.). In diesem Abschnitt folgt sie ihren Ausführungen zur grammatikalischen Auslegung (S. 117 ff.), nach denen der Wortlaut lediglich indizielle Bedeutung haben soll. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass der mögliche Wortsinn und mit ihm vor allem die Orientierung am üblichen Sprachgebrauch als Grenze zur Analogie untauglich sei. Dies sucht sie unter anderem damit zu belegen, dass bereits heute herrschende Meinungen nachweisbar sind - sie nennt etwa die Einstufung des "Bierdeckels als Urkunde" -, die anderenfalls gegen das Analogieverbot verstoßen würden. Demko kommt im Rahmen ihres damit uneingeschränkt teleologischen Ansatzes zu dem Schluss, dass die Grenze zur Analogie im Strafrecht der "objektive Sinn und Zweck des Gesetzes" sei (S. 189). Diese Ausführungen gelten explizit nicht nur für die Auslegungslehre im Allgemeinen: Die Forderung einer alltagssprachlichen Verständlichkeit sei "keine methodisch einsehbare Disziplinierung des Rechtsanwenders im Strafrecht" (S. 188), zumal alltagssprachliche Bedeutungserweiterungen oder -verengungen mit einer entsprechenden rechtspolitischen Entwicklung häufig nicht konform gingen.

6. Im Besonderen Teil gelingt Demko anhand der für die exemplarische Darstellung gewählten Begriffe "gemeinschaftlich", "Wegnahme", "Ingebrauchnahme", "Bestimmen", "Waffe" und "gefährliches Werkzeug" eine eindrucksvolle Demonstration, dass tatsächlich divergierende sinnprägende Kontextfaktoren zu unterschiedlichen Begriffsbedeutungen in strafrechtlichen Tatbeständen führen können und die teleologische Auslegung letztlich dominiert (S. 190 ff.). So legt sie etwa überzeugend dar, weshalb § 224 I Nr. 1 StGB nicht im Gleichlauf mit § 25 II StGB auszulegen ist und weshalb der "mittäterschaftsneutralen Gefährlichkeitstheorie" zu folgen ist. Anhand der Wegnahme im Vergleich von §§ 242 und 289 StGB zeigt sie, dass tatsächlich unterschiedlich befürwortete Zwecke die nur scheinbaren Wortlautargumente bedingen (S. 214 ff.). Hinsichtlich des "gefährlichen Werkzeuges" in den §§ 244 I Nr. 1a, 250 I 1a StGB schließt sie sich überzeugend der subjektiven Auslegung an (S. 284 ff.). Gerade dieses durch das 6. StRG aufgeworfene Beispiel zeigt, wie aktuell Fragen der Relativität der Rechtsbegriffe derzeit sind und wie ertragreich eine diesbezüglich bewusste Argumentation sein kann. Demko findet damit nicht nur geeignete Anwendungsbeispiele für ihre methodologischen Aussagen. Vielmehr gelingen ihr etwa zu § 224 I Nr. 1 StGB oder hinsichtlich des "gefährlichen Werkzeugs" substantielle Beiträge zur Auslegung der aufgegriffenen Tatbestände.

III. Demko ist mit ihrer methodologischen Abhandlung zur Relativität der Rechtsbegriffe ein fruchtbarer Beitrag zu einer methodisch bewussten und differenzierten Anwendung der Strafgesetze gelungen. Die Arbeit bietet dem Juristen eine erforderliche Einführung in die mitzudenkenden sprachtheoretischen Prämissen und sie füllt eine Lücke, indem sie speziell für das Strafrecht die zu beachtenden Zusammenhänge der Begriffsrelativität offen legt. So legt die Arbeit dar, weshalb die praktisch oft anzutreffende Rede vom "eindeutigen Wortsinn" mitnichten selbst ein hörenswertes Argument ist (S. 58, 157): Diese Rede kann allein das Ergebnis einer Auslegung bezeichnen und eben dieses Ergebnis kann in Frage gestellt werden, wenn eine Argumentation relevante sinnprägende Kontextfaktoren aufzeigt, die einer prima facie entschiedenen Auslegung entgegen stehen. Demko streitet dabei überzeugend für eine bewusste und nicht nur zufällige Berücksichtigung der Kontextbezogenheit aller Rechtsbegriffe (S. 169). Die Arbeit hebt trefflich hervor, dass die Berücksichtigung der Kontextbedingtheit praktisch und gedanklich mit den Auslegungscanones einhergeht, für deren umfassende Berücksichtigung Demko eintritt. Die Verfasserin macht schließlich überzeugend "Schluss" mit dem letztlich in seiner formalen Variante die Bequemlichkeit der Rechtsanwender verdeckenden scheinbaren Gegengewicht der "Einheit der Rechtsordnung", indem sie diese im Anschluss an die existierende Literatur nur als gehaltvoll darstellt, wenn sie selbst materiell begründet ist (S. 153 ff.).

Stilistisch ist anzumerken, dass die Technik der Verfasserin, die zitierten Autoren auch in ihrer eigenen Sprache zur Geltung kommen zu lassen und sie nacheinander mit teilweise sachlich überschneidenden Aussagen wörtlich oder dem Sinngehalt nach zu referieren, zwar den Autoren gerecht wird und auch sprachlich kunstgerecht durchgeführt wird. Eine Darstellung, die öfter auch Positionen stärker gliedern würde, hätte jedoch vor allem in den ersten drei Kapiteln des AT und zum Teil auch im BT eine Straffung bewirken und Wiederholungen vermeiden können. Inhaltlich bleiben im Anschluss an die Abhandlung Demkos Fragen zu stellen, welche sich jedoch gerade im Anschluss an das Ergebnis Demkos (Vorrang des Zwecks) in Zukunft um so deutlicher stellen werden. Fragen der strafrechtsspezifischen Begrenzung der gesetzgeberischen legitimen Zwecke werden von Demko in ihrer offenbar strikt methodologisch zu verstehenden Abhandlung nicht im Detail aufgegriffen, zumal dies auch ersichtlich den Rahmen der Arbeit gesprengt hätte. Demko entscheidet sich für den Vorrang des Zwecks und erkennt auch an, dass der Gesetzeszweck auch im Strafrecht letztlich in die Hände des methodengerecht subjektiv Entscheidenden gelegt werden muss. Wenn dabei diesem Rechtsanwender im Kontextregress der Durchgriff bis auf den allgemeinen Zweck der Gerechtigkeit und auf den vorherrschenden und vorrangigen Konsens in der Gemeinschaft gestattet sein soll (S. 137 ff.), werden spezifisch strafrechtliche Begrenzungen des legitimen Zwecks um so bedeutender. Die von Demko - methodologisch - im Anschluss an die heute scharf kritisierte Position Schwinges (vgl. etwa Roxin, AT, 3. Aufl. 1997, § 3 Rn. 7) als Garant der nötigen Bestimmtheit und der "Schärfe" der inhaltlichen Grenzen gepriesene Rechtsgutstheorie (S. 153) wird diesbezüglich heute gerade in Frage gestellt. Sie ist als spezifisch strafrechtliche Begrenzung eben auch des legitim setzbaren Zwecks bzw. des mehrheitlich vorherrschenden gesellschaftsrelativen Konsenses nur begrenzt tauglich, wenn sie wolkige Rechtsgüter wie den "öffentlichen Frieden" akzeptiert, die tatsächlich auch kaum als Garanten für Schärfe und Bestimmtheit stehen können (vgl. etwa in Die Rechtsgutstheorie, Hefendehl/von Hirsch/Wohlers [2003], die Beiträge von Hefendehl, S. 119 ff., Hörnle, S. 270 ff. und von Hirsch, S. 17 ff.; zum Verhältnis von Methodenlehre, Rechtsgutstheorie und der systemimmanenten Funktion der Rechtsgutstheorie Gaede, S. 183, 188 ff.). In dieser Hinsicht muss gerade im von Demko herausgestellten Bewusstsein um die Bedeutung des Gesetzeszwecks die Frage der strafrechtsspezifischen Begrenzung des Zwecks einschließlich der Reichweite seiner Verfolgung als zentrales normatives Anschlussproblem festgehalten werden.

Zur Frage des strafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzips trifft Demko implizit eine notwendig auch normative Aussage, die den streitbarsten Teil der Abhandlung ausmacht. Die These Demkos, dass sich auch Art. 103 II GG nur noch am Zweck des Gesetzes und nicht mehr auch zwingend am möglichen Wortsinn innerhalb des (Rechts-) Satzes zu orientieren habe, so dass eine Analogie nur vorliege, wenn der Zweck des Gesetzes überschritten sei, könnte eine Unterbestimmung der objektiv-teleogisch begründeten Erfordernisse des rechtsstaatlichen Strafrechts darstellen. Demko hat im Anschluss an ihre nachrangige Bestimmung der grammatikalischen Auslegung der Diskussion der normativen Ratio des Gesetzlichkeitsprinzips und damit der teleologischen Analyse selbst nur einen vergleichweise knappen Raum belassen. Sie geht von den methodologischen Erwägungen auf normative Aussagen mit der Auffassung über, dass der Telos des Gesetzlichkeitsprinzips die zwingende Bindung an den Sprachgebrauch nicht einfordert. Demko hat im Wesentlichen an Beispielen erklärt, zu welchem Ergebnis die eine oder die andere methodologische Theorie nach ihrer Auffassung führen soll. Eben über diese als selbstevident eingeführten Beispiele oder etwa über die von ihr behaupteten normativen Folgen eines verengten oder erweiterten Sprachverständnisses lässt sich aber jeweils in Abhängigkeit vom Verständnis des Art. 103 II GG bzw. des Art. 7 EMRK streiten. Der Rezensent möchte Zweifel anmelden, dass etwa Art. 103 II GG hier nicht doch anderes bedingt: Über die teleologische und nicht über die grammatikalische Auslegung als solche könnte sich der Zwang ergeben, den bezweckten Rechtsgutsschutz in Form des "möglichen Wortsinns" bzw. unter Zugrundelegung des allgemeinen Sprachgebrauchs zu transportieren. Dies kann ein gerade angesichts der für Demko zu akzeptierenden individuellen Entscheidung bei der strafrechtlichen Zweckfeststellung (S. 170 ff., 231 ff.) bedeutendes Erfordernis sein. Sollte dies zutreffen - eine vollständige normative Analyse des Gesetzlichkeitsprinzips kann eine Rezension nicht anstreben - würde sich an den auslegungstheoretischen Aussagen der Arbeit nicht notwendig etwas ändern. Es wäre aber zu erkennen, dass strafrechtslimitierende Prinzipien wie das Gesetzlichkeitsprinzip objektiv-teleologisch selbst bestimmte Zwecke setzen, die sich bei der Suche nach dem legitim zu verfolgenden Zweck eines Straftatbestandes durchsetzen müssen. Es würde damit das sinnprägende Moment des Gesetzlichkeitsprinzips wohl zutreffender verstanden, dennoch aber die Argumentation weiter kontextbezogen bleiben, so dass die vom Schweizerischen Bundesgericht bereits heute praktizierte und nun auch von Demko vertretene "Rebellion der Methodenlehre" gegen die heute vorherrschende normative Deutung des Art. 103 II GG wohl letztlich selbst ihren Anhaltspunkt einbüßt.

IV. Zusammenfassend bleibt zu konstatieren, dass die Abhandlung Demkos in methodologischer Hinsicht und zudem auch zu den aufgegriffenen einzelnen Strafgesetzen wertvolle Beiträge bietet. Sie legt überzeugend den Grund für einen reflektierteren Umgang mit der Relativität der Rechtsbegriffe im Strafrecht. Soweit Demko die Prüfung des Analogieverbotes "rein teleologisch" bestimmen will, dürfte sie mit ihrer überzeugenden Darlegung der methodologischen Hintergründe auch die Diskussion um das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip neu anregen, wobei der Rezensent die normativ aufgestellte These skeptisch beurteilt. Letztlich zeigt aber gerade auch dieser kontroverse Ansatz, wie fruchtbar die Befassung mit der Methodenlehre für neue Denkansätze

auch und vielleicht gerade im Strafrecht ist. Für die zuverlässig über die Auslegungsmethoden im strafrechtlichen Kontext informierende und die Relativität der Rechtsbegriffe eingehend aufzeigende Abhandlung Demkos gilt dies in besonderem Maße.

Wiss. Ass. Karsten Gaede (Cambridge/Zürich)

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Ulrich Eisenberg , Jugendgerichtsgesetz - JGG, C. H. Beck, zehnte, vollständig neu bearbeitete Aufl., 2004, 1351 Seiten, 88 Euro, ISBN 3-406-51285-2.

Ist es noch sinnvoll, geschweige denn nötig, diesen nunmehr in 10. Auflage vorliegenden Kommentar vorzustellen? Ein Werk überdies, der in seinen Vorauflagen zahlreiche ausführliche und durchgehend positive Rezensionen (etwa Oehler, GA 1983, 571 ff; Böhm GA 1987, 87 ff; Zipf GA 1989, 267 f; Geerds GA 1992, 185; Müller GA 1994, 385 f; Herzog GA 1997, 81 ff; Walter NJW 1997, 3012; Beulke GA 1999, 143 ff; Rzepka GA 2001, 249 ff) erfahren hat? Hat nicht jeder, der wissenschaftlich oder rechtspraktisch mit dem Jugendstrafrecht zu tun hat, ohnehin schon mit dem Eisenberg - möglicherweise als einzigem Hilfsmittel - gearbeitet? Schon im Hinblick auf bisher auf dem Gebiet des Jugendstrafrechts nicht tätige Juristen, Berufsanfänger, Referendare und Studenten der einschlägigen Wahlfachgruppe soll hier ein Informationsbedürfnis unterstellt werden. Dies auch deshalb, weil der vom Verlag zurückhaltend auf Praktiker beschränkte Adressatenkreis, meines Erachtens dringend auf Wissenschaftler und in der Ausbildung befindliche Juristen erweitert werden muss (vgl. schon Rzepka a. a. O. S. 250). Die neueste Auflage dieses "Standardwerks" auf dem Gebiet des Jugendstrafrechts mit Bearbeitungsstand von Ende September 2003 soll hier zunächst - erneut - allgemein gewürdigt und in die literarische Landschaft eingeordnet werden, bevor einzelne inhaltliche Gesichtspunkte angesprochen werden.

Seit seinem erstmaligen Erscheinen 1983 ist der JGG-Kommentar von Eisenberg derjenige, dessen Neuauflagen mit der höchsten Frequenz - im Durchschnitt alle zwei Jahre - vorgelegt werden. Seine Aktualität ist durchaus ein Wert an sich (vgl. schon Walter NJW 1997, 3012), weil sich ein Großteil der Rechtsentwicklung im Jugendstrafrecht in der Rechtsprechung - und zwar weniger des Bundesgerichtshofs als der Oberlandesgerichte und der Instanzgerichte - abspielt. Gerade deren Rechtsprechung zum Jugendstrafrecht ist - anders als die des BGH - nicht ohne weiteres vollständig in - auch EDV-gestützten - Rechtsprechungssammlungen oder Übersichten aufzufinden. Besonders für diese Entscheidungen ist das Entscheidungsregister (S. 1209-1296) des Kommentars von Nutzen. Hinzu kommt der gerade auch für den Praktiker - jedenfalls den Verteidiger - wertvolle aktuelle, zuverlässige und umfassende Nachweis des Schrifttums, der durch die Plazierung von Schrifttumsverzeichnissen eingangs der jeweiligen Kommentierungen nunmehr besonders übersichtlich gestaltet ist. Gerade die einschlägige jugendrechtliche, d.h. familien- und sozialrechtliche, kriminologische, psychiatrische und psychologische Fachliteratur könnte der Strafverteidiger ohne derartige Übersichten weder überschauen noch auffinden.

Von jeher bemüht sich Eisenberg , in seinem Kommentar gerade nicht nur die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Jugendstrafrecht vollständig und verständlich darzustellen. Während sich die verdienstvollen Kommentare von Brunner/Dölling (10. Aufl., 1996) und von Diemer/Schoreit/Sonnen (3. Auflage, 1999) zum JGG sich besonders dadurch auszeichnen, dass sie in authentischer Weise die Sicht von Justizpraktikern widerspiegeln, und typische Probleme der Justizpraxis aufgreifen und vertieft darstellen, hat es Eisenberg - der diese Gesichtspunkte nicht aus den Augen verliert - darüber hinaus stets verstanden, spezifische rechtsdogmatische Akzente - nicht selten als Kontrapunkte zur herrschenden Rechtsprechung - zu setzen und die Streitfragen umsichtig und teilweise überraschend eingehend zu erörtern. Hier ist beispielsweise auf die Ausführungen zu § 32 Rdnr. 7 ff (zur nach Sinn und Zweck gebotenen analogen Anwendung der Vorschrift bei ungleichzeitiger Aburteilung), zu § 17 Rdnr. 34 f (Jugendstrafe nur aus erzieherischen Gründen) und zu § 18 Rdnr. 11, 16 ff (Bemessung der Jugendstrafe) zu verweisen. Stets wird dabei die konsequente Orientierung des Autors am Erziehungszweck des Jugendstrafrechts deutlich (vgl. dazu Einl. Rdnr. 5 ff; § 5 Rdnr. 13 ff). In mancher Beziehung ist dem Werk eher der großformatige Kommentar von Ostendorf (6. Aufl., 2003) oder das Standardlehrbuch von Schaffstein/Beulke vergleichbar, was schon deshalb außergewöhnlich ist, weil die ansonsten in der "grauen Reihe" der Beck´schen Kurzkommentare erscheinenden Bände - der Palandt, aber auch die Erläuterungsbücher von Meyer-Goßner und Tröndle/Fischer - wenn auch in abnehmender Exklusivität ihre Aufgabe in der getreulichen Darstellung und der Aufbereitung der Rechtsprechung sehen. Das Buch von Eisenberg hat sich mit einer solchen Rolle - zum Glück - von vornherein nicht zufrieden gegeben. Auf dem überschaubaren Gebiet des Jugendstrafrechts, auf dem bisher weder ein mehrbändiger Großkommentar noch ein großes Lehrbuch gedeiht, hat Eisenberg deren Aufgaben - insbesondere die dogmatische Durchdringung, rechtstatsächliche und kriminologische Vertiefung der Materie - weitgehend mitübernommen, bislang ohne sein Werk zu überfrachten. Letzteres zeigt sich nicht zuletzt an dem noch ohne weiteres handhabbaren Umfang des Kommentars (ca. 1300 Seiten), der dazu führt, dass der Band - im Gegensatz zu anderen derselben Reihe - noch angenehm leicht in der Hand liegt. Insbesondere weil das Buch Verbindungslinien von der Kriminologie und der Rechtstatsachenforschung zum materiellen und formellen Jugendstrafrecht zieht und dadurch die Zusammenhänge zwischen den Inhalten der Fächer der Wahlfachgruppe Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug besonders deutlich macht, halte ich es insbesondere auch für interessierte Studenten für gut geeignet; aus ähnlichen Gründen wird auch der Strafrechtslehrer, gerade der

Kriminologe, kaum ohne das Werk auskommen wollen. Hier seien - nur beispielhaft - die umfangreichen Ausführungen des Autors zur Prognose im Jugendstrafrecht (§ 5 Rdnr. 29 ff), die faktenreichen Ausführungen zum Nord-Süd-Gefälle und sonstigen Disparitäten bei der Anwendung von Jugendstrafrecht auf Heranwachsende (§ 105 Rdnr. 3 ff) und die Tabellen und Schaubilder zu den tatsächlich verhängten Rechtsfolgen im Jugendstrafrecht ( § 5 nach Rdnr. 9) erwähnt.

Die Neuauflage hatte keine das JGG betreffenden Gesetzesänderungen zu kommentieren, obwohl die strafrechtliche Abteilung des 64. Deutschen Juristentags 2002 die Reform des Jugendstrafrechts zum Gegenstand hatte. Der Juristentag hat in seinen Beschlüssen (Verhandlungen des 64. DJT, Berlin 2002, Band II/1 Sitzungsberichte, S. N 109 ff) - wenn auch mehr implizit - deutlich gemacht, dass er kein Bedürfnis für grundlegende Reformen sieht, trotz des Gutachtens von Hans-Jörg Albrecht (Gutachten D zum 64. DJT, Seiten 161 ff), das eine grundsätzliche Abkehr vom Leitgedanken der Erziehung forderte. Zwar hatte die strafrechtliche Abteilung mit knapper Mehrheit die volle Einbeziehung der Heranwachsenden in das Jugendstrafrechts gefordert, konnte sich jedoch nicht über den einzuschlagenden Weg einigen (a. a. O. S. N 110); auch sollte die Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen entfallen ( a. a. O. S. N 116) und gegen Heranwachsende eine Jugendstrafe von 15 Jahren bei Straftaten, bei denen nach allgemeinen Strafrecht lebenslängliche Freiheitsstrafe droht, verhängt werden können ( a. a. O. S. N 117). Schon insoweit, aber auch im Übrigen erscheinen die mehrheitsfähigen Thesen erstaunlich heterogen und disparat. Teilweise ging es anscheinend nur darum, bereits Praktiziertes rechtlich klar und einwandfrei zu regeln (vgl. Vorbewährung, Strafvollzug, a.a.O. N 118, 121). Unter diesen Umständen erscheint der Beschluss des DJT naheliegend, wenn auch wenig befriedigend, zu empfehlen, mit der Vorbereitung eines zweiten JGG-Änderungsgesetzes eine Kommission zu beauftragen (a. a. O. S. N 121). Es kann dem Kommentar - wie dem Gesetzgeber - daher ohne Weiteres nachgesehen werden, daß er sich einer eingehenden zusammenhängenden Stellungnahme (vgl. aber § 3 Rdnr. 3a; § 105 Rdnr. 6) enthält.

Bzgl. der in der Neukommentierung berücksichtigten Neuerungen der Rechtsprechung sei die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Januar 2003 (BVerfG DVJJ-J 2003, 68 mit Anm. Ostendorf und Besprechung Eisenberg/Zötsch GA 2003, 226; Grunewald NJW 2003, 1995) zur Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit des § 51 Abs. 2 JGG wegen Mangel an Bestimmtheit der Voraussetzungen des Eingriffs in das elterliche Erziehungsrechts (Art. 6 Abs. 2 GG) - Erziehungsberechtigte können als "Angehörige" im Sinne der Vorschrift nicht ausgeschlossen werden - hervorgehoben (§ 51 Rdnr. 13 ff).

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der letzten zwei bis drei Jahren sind begründete Entscheidungen zum JGG selten, erst recht solche, die von grundsätzlicher Bedeutung sind. Es versteht sich von selbst, dass diese zuverlässig eingearbeitet sind: Hier ist etwa BGH NJW 2003, 2036 hervorzuheben (§ 31 Rdnr. 13), wonach die Bildung einer einheitlichen Sanktion nach Jugendstrafrecht gem. § 31 Abs. 2 JGG ausscheidet, wenn die Vorverurteilung bereits in ein anderes - auch nicht rechtskräftiges - Urteil einbezogen war, weil andernfalls eine doppelte Verwertung stattfände, weiter der - für BGHSt vorgesehene - überzeugende Beschluss BGH NJW 2003, 370, wonach für die nachträgliche Entscheidung über das Absehen von der Vollstreckung des Jugendarrests wegen Erfüllung einer Arbeitsauflage nach Verhängung des Arrests gem. §§ 11 Abs. 3 Satz 3, 15 Abs. 3 Satz 2, 65 Abs. 1 Satz 1 JGG nach dem Gesetzeswortlaut der Richter des ersten Rechtszugs zuständig ist, wie auch Eisenberg meint (§ 11 Rdnr. 24, § 65 Rdnr. 5/6; und in JR 2003, 215). Schließlich sei hier noch auf die ausführliche kritische Würdigung (§ 105 Rdnr. 27 ff; vgl. auch Eisenberg NStZ 2003, 125) der jüngst erneut prägnant formulierten Rechtsprechung des BGH zu § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG (BGH NStZ 2002, 204; BGH, Beschl. vom 6. März 2003 - 4 StR 493/02) hingewiesen, wonach bei "unbehebbaren" Entwicklungsrückständen infolge psychischer Auffälligkeiten, insbesondere auch bei schweren dissozialen oder emotionalen Persönlichkeitsstörungen, eine Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende nicht in Betracht komme. Zutreffend verweist der Autor hier auf zunächst nicht prognostizierbare Nachreifungsprozesse und den Zweifelssatz (Rdnr. 27, 27b). Besonders zu begrüßen ist, dass hier - wie durchgehend - das einschlägige kriminologische, psychologische und psychiatrische Schrifttum umfassend nachgewiesen wird (vgl. auch das Schrifttumsverzeichnis zu § 105 und zu § 3).

Insgesamt ist - nochmals - zu betonen, dass der Eisenberg keineswegs nur ein Kommentar für den Praktiker ist. Dieses Erläuterungsbuch ist vielmehr hervorragend geeignet, im ersten Zugriff sämtliche Informationsbedürfnisse des Benutzers (aus welcher Berufsgruppe auch immer) - gewissermaßen im Handumdrehen und aus einer Hand - zu befriedigen.

Rechtsanwalt Markus Rübenstahl, Mag. iur., Karlsruhe

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Gunnar Spilgies, Die Bedeutung des Determinismus-Indeterminismus-Streits für das Strafrecht. Über die Nichtbeachtung der Implikationen eines auf Willensfreiheit gegründeten Schuldstrafrechts. Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2004, 206 S., ISBN 3-8300-1341-8, EUR 79,00

I. Der - für ein Konzept des Schuldstrafrechts grundlegende - Streit über die Existenz eines freien Willens bzw. damit verbunden über die Entscheidung zwischen einem deterministischen bzw. indeterministischen Welt-

bild war in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten deutlich aus dem Blickfeld gerückt. Man hatte sich weitgehend "beruhigt" und damit "arrangiert", dass auch ohne entsprechenden Nachweis nur auf Grund eines intuitiven Alltagsempfindens jedenfalls eine so weit verbleibende "Restwillensfreiheit" postuliert werden konnte, dass die Begehung einer rechtswidrigen Tat zumindest regelmäßig dem Täter auch als persönlich vorwerfbar erschien. In der jüngsten Vergangenheit ist die Frage wieder stärker ins Bewusstsein gerückt, und es ist (nicht zuletzt auch auf Grund neuer Erkenntnisse in der Gehirnforschung) einige Bewegung in diese geraten.

Insofern ist nicht nur erfreulich, dass Spilgies wieder einmal eine ausführlichere Untersuchung zu der Thematik vorlegt, sondern dieses Unterfangen ist um so reizvoller, als der Verfasser offenbar einem deterministischen Weltbild mehr Sympathie entgegen bringt als die zuletzt ganz herrschende Meinung bzw. gerade das "Arrangieren" mit dem ungekehrten Zustand in Gestalt eines "relativen Indeterminismus" (vgl. dazu näher unten) scharf kritisiert. Wenn in dieser Besprechung so manches in Spilgies’ Werk kritisch beurteilt wird, so hat dies nichts mit dem Thema und auch nicht in erster Linie mit dem vom Verfasser eingenommenen Standpunkt, sondern mit der Art und Weise des Herangehens zu tun.

II. Die Arbeit zerfällt in vier Teile, deren Herzstück der dritte Teil über "Implikationen eines auf Willensfreiheit gegründeten Schuldstrafrechts und deren Nichtbeachtung" darstellt, welcher in sechs, häufig mehr oder weniger parallel aufgebaute Abschnitte untergliedert ist:

1. Im ersten Teil (S. 17 ff.) skizziert Spilgies noch einmal den Determinismus-Indeterminismus-Streit, der von ihm in der gängigen (insbesondere allgemeinen) Literatur als oftmals unzureichend und verkürzt dargestellt empfunden wird. Indes weichen die von Spilgies auf S. 18 bzw. 25 angeführten "Grunddefinitionen", wonach der Determinismus "die Theorie (ist), nach der alles so geschehen musste und nicht anders sein konnte", während der Indeterminismus "die Theorie (ist), nach der bestimmte Ereignisse nicht geschehen mussten, sondern etwas anderes geschehen konnte", nicht von dem ab, was man in einem gängigen Strafrechtslehrbuch lesen kann, und führen dementsprechend auch nicht darüber hinaus. Wichtig - und in dieser Form zugegebenermaßen oft nicht ausreichend betont - ist dagegen die Feststellung, dass die mangelnde tatsächliche Prognostizierbarkeit von Geschehensabläufen zumindest theoretisch der Annahme eines Determinismus nicht entgegen steht, oder aber anders formuliert: dass die ontologische Determiniertheit eines Geschehensablaufes von der Erkennbarkeit dieser Determination durchaus zu trennen ist (vgl. S. 22 ff.).

2. Im zweiten Teil konstatiert Spilgies zutreffend, dass sowohl nach der Gesetzeskonzeption (vgl. § 20 StGB) als auch nach der ganz herrschenden Meinung im Rahmen des Strafrechts offenbar ein indeterministisches Menschenbild zugrunde gelegt wird (vgl. S. 33 ff.). Dieses ist - und auch das wird richtig gesehen - freilich Ausdruck eines in gewisser Weise "relativen Indeterminismus", da nicht nur auf Grund der kriminologischen Erkenntnis zu (zumindest statistischen) Zusammenhängen zwischen bestimmten sozialen Faktoren und der Begehung von Straftaten, sondern auch auf Grund einzelner beobachteter Phänomene in der neueren Gehirnforschung eine "völlige Willensfreiheit" empirisch nur schwer haltbar erscheint (wobei man allerdings das vorher von Spilgies genannte Argument auch umkehren könnte: Die mangelnde empirische Nachweisbarkeit eines Indeterminismus steht diesem als Konzept selbstverständlich auch nicht generell entgegen). Einen solchen "relativen Indeterminismus" setzt Spilgies - insoweit in der Tradition von überzeugten Deterministen stehend - die Kritik entgegen (vgl. S. 40 ff.), dass das Modell einer "unvollständigen Determiniertheit" logisch in sich unstimmig, ja sogar eine "contradictio in adjecto" sei. Für den strafrechtlichen Zusammenhang postuliert Spilgies insofern dann folgende Leitfrage: "Konnte der Straftäter die Straftat unterlassen oder nicht? Wer die Frage verneint, ist Determinist, wer sie dagegen bejaht ist Indeterminist (sic.). Mit der Beantwortung der Frage, ob der Straftäter die Straftat unterlassen konnte oder nicht, lässt sich damit jede vermeintlich vermittelnde oder den Gegensatz aufhebende Lehre als deterministisch oder indeterministisch einordnen." (vgl. S. 51 f.).

Ohne an dieser Stelle bereits die Kritik vorweg zu nehmen, so fällt doch auf, dass Spilgies sich keine größere Mühe gibt, sich mit dem wohl herrschenden und durchaus auch dem Alltagsverständnis entsprechenden Konzept eines "relativen Indeterminismus" auseinander zu setzen. Dass etwa bestimmte soziale Umstände zwar nicht notwendig determinierend, sehr wohl aber in die eine oder andere Richtung "veranlassend" wirken können, oder anders formuliert: dass durch bestimmte Umstände Handlungsspielräume in eine bestimmte Weise verengt werden können bzw. empirisch bestehende "Rest-Entschlussfreiheiten" möglicherweise nach der normativen Betrachtung des Strafrechts als nicht mehr erheblich einzuordnen sind, wird von Spilgies offenbar nicht gesehen, jedenfalls aber keiner näheren Überprüfung unterzogen. Differenzierende Modelle zur Beschreibung der Willensfreiheit in einem empirischen und einem normativen Sinne (vgl. zuletzt nur Höffe, UNIVERSITAS 2004, 193, 200 im Zusammenhang mit der von Kant postulierten "Freiheit des Willens") werden von Spilgies ausgeblendet.

3. Im dritten Teil untersucht Spilgies dann eine Reihe von Konsequenzen, die ein auf Willensfreiheit gegründetes Strafrecht eigentlich bei "konsequentem Weiterdenken" - jedenfalls nach einem radikalen "Schwarz-Weiß-Verständnis" der Begriffe nach Spilgies’scher Art - haben müssten, die aber von der herrschenden Meinung trotz des grundsätzlichen Postulats einer Willensfreiheit offenbar nicht gezogen werden (vgl. S. 59 ff.):

a) Im ersten, relativ ausführlichen Abschnitt plädiert Spilgies für einen Ausschluss präventiver Strafzwecke bei einem indeterministischen Menschenbild, da bei der

Vorstellung, der Mensch habe die freie Entscheidung darüber, ob er eine Straftat begeht oder nicht, offenbar auch eine wie auch immer geartete "Prägung" durch (Spezial- oder auch General-)Prävention unmöglich wäre. Die Gründe dafür, dass diese Konsequenz regelmäßig nicht gezogen werde, sieht Spilgies im mangelnden Problembewusstsein hinsichtlich des Determinismus-Indeterminismus-Streits in den vergangenen Jahrzehnten (vgl. S. 67 ff.), im möglicherweise bewussten Verdecken des Widerspruchs zwischen Willensfreiheit und Prävention (vgl. S. 76 ff.) sowie in einer "fatalistischen Fehldeutung" des Determinismus (vgl. S. 78 ff.).

Gerade hinsichtlich des letzten Punktes ist Spilgies zuzugestehen, dass der Determinismus in der Tat nicht selten "fatalistisch" dahingehend interpretiert wird, dass "alles so komme, wie es eben kommen müsse, das Verhalten der Menschen schon von vornherein determiniert sei und darum auch Straftaten nicht vermeidbar seien", so dass "eine Strafe zu Präventionszwecken sowie allgemein zukunftsorientiertes Handeln sinnlos" seien (vgl. S. 79), und dass gelegentlich auch ontologische und wahrnehmbare Determiniertheit miteinander verquickt werden (vgl. S. 81 f.). Freilich macht Spilgies auch kein klares Gegenkonzept zu einem solchen "fatalistischen Determinismus" deutlich, denn zum einen berührt ja die Frage nach der subjektiven Vorhersehbarkeit der zukünftigen Ergebnisse bei der Annahme eines strengen Determinismus gerade nicht die Frage, ob man durch die eigenen Handlungen den Ablauf von vorherbestimmten Kausalketten tatsächlich beeinflussen kann; zum anderen würde ein Konzept eines "nichtfatalistischen" Determinismus, in dem Individuen durchaus vor einer Wahlmöglichkeit stehen, ihr konkretes Verhalten dann aber in deterministischer, d.h. kausal wirkender Weise bestimmte Folgen nach sich zieht, sich gerade nicht mehr wesentlich von dem von Spilgies harsch kritisierten "relativen Indeterminismus" unterscheiden. Selbst wenn man eine die Willensfreiheit ausschließende "Necessisierbarkeit durch Motive" für regelmäßig nicht möglich hält, bleibt doch ohne weiteres das Bild einer Beeinflussbarkeit des menschlichen Willens im Sinne einer Lenkung bzw. Verengung des Handlungsspielraums möglich, welche zumindest die statistische Häufigkeit bestimmter Verhaltensmuster beeinflussen mag. Die Möglichkeit einer solchen Beeinflussung zu einem - zwar im Spielraum eingeengten, aber letztlich doch frei beschlossenen - Handeln wäre aber gerade bei einer vollständigen Vorherbestimmung sämtlicher Geschehensabläufe im Sinne dessen, was ein Laplace’scher Dämon erkennen könnte, ausgeschlossen. Insoweit erscheint mir die gegenläufige These, nach der gerade ein streng deterministisches Weltbild mit präventiven Strafzwecken nicht sinnvoll zu vereinbaren ist, mindestens genauso plausibel. Man gewinnt daher den Eindruck, als ob es sich zumindest teilweise auch um ein Definitionsproblem darüber handelt, was in einem strafrechtlichen Sinne als "Wirkung" eines Verhaltens auf die Psyche anderer Menschen verstanden wird bzw. wann eine nur noch eingeengte Restfreiheit bei normativer Betrachtung eben nicht mehr als freie Handlungsmöglichkeit verstanden wird.

b) Es bedarf nur wenig Phantasie sich auszumalen, wie Spilgies in ähnlicher Weise vergleichbare Probleme darstellt, bei denen vermeintlich ein indeterministisches Menschenbild zu strafrechtlichen Implikationen führen müsste, die lex lata und herrschende Dogmatik nicht anzunehmen bereit sind. Damit soll freilich nicht die Leistung in Abrede gestellt werden, all die Phänomene zu sammeln bzw. zu erkennen, die Spilgies insoweit zusammengetragen hat: Es sind dies die vermeintlich fehlende Legitimierbarkeit jeglicher kriminalätiologischer Forschung (vgl. S. 91 ff., da eine Straftat beim indeterministischen Verständnis keine "Ursache" außer dem freien Willen des Straftäters hätte), die fehlende Legitimierbarkeit einer Entschuldigung für unrechtmäßiges Verhalten bei großem Motivationsdruck (vgl. S. 118 ff., da bei der Annahme eines Indeterminismus der Wille gerade nie so gebeugt werden könnte, dass der Straftäter nicht anders handeln könne), die fehlende Legitimierbarkeit einer Strafbarkeit wegen Nötigung mit vis compulsiva bzw. mit Drohen (vgl. S. 136 ff., da dadurch die Entscheidungsfreiheit nicht hinreichend beeinträchtigt werden könnte), die fehlende Legitimierbarkeit einer Versagung des Rücktrittsprivilegs bei "Unfreiwilligkeit" (vgl. S. 146 ff., da eine solche Unfreiwilligkeit gerade nicht eintreten könne) sowie die fehlende Legitimierbarkeit einer Strafzumessung nach dem Grad der Willensfreiheit (etwa bei §§ 21, 157, 46 I 1 StGB, vgl. S. 149 ff., da bei der Annahme eines indeterministischen Menschenbildes die Willensfreiheit als absolute Größe keiner Graduierung zugänglich sei).

Die Argumente dafür, dass all diese in der gängigen Dogmatik anerkannten Institute vom Standpunkt des Indeterminismus aus verfehlt sein müssten, sind - dies ist freilich kein Vorwurf an Spilgies, sondern ergibt sich aus der Konsequenz des von ihm eingenommenen Standpunktes - sehr ähnlich. Das Gleiche gilt entsprechend aber auch für die dagegen vorstellbaren Einwände: So wirken insbesondere die Ausführungen zum Ausschluss einer Entschuldigung, auf der anderen Seite aber auch einer Strafbarkeit bei Nötigung mit vis compulsiva bzw. Drohung beinahe schon bizarr. Die von Spilgies postulierte Absolutheit der Willensfreiheit bzw. aus umgekehrtem Blickwinkel: das offenbare Leugnen jeglicher Möglichkeit einer Abstufung hinsichtlich der Handlungsfreiheit widerspricht ersichtlich jeglicher Alltagserfahrung. Exemplarisch: Wird jemand durch die Drohung, sein Kind werde anderenfalls getötet, zur Begehung einer Sachbeschädigung genötigt (womit sowohl die Konstellation der Entschuldigung nach § 35 als auch die Strafbarkeit wegen Nötigung bei einer Drohung angesprochen ist), so ist nicht wirklich zweifelhaft, dass er deshalb nicht im Sinn einer klaren Vorherbestimmtheit die Sachbeschädigung begehen muss; genauso gut könnte er sich weigern und das Leben seines Kindes riskieren. Ebenso wenig zweifelhaft kann jedoch sein, dass die Freiheit seiner Entscheidung dadurch eingeschränkt ist, d.h. dass er nicht in gleicher Weise "frei" entscheidet, wie wenn der Hintermann kein Drohmittel in der Hand hätte. Ob der Gesetzgeber solche Beschränkungen der Freiheit

normativ als beachtlich erklärt oder nicht, muss ihm doch wohl freistehen.

III. Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass Spilgies eine interessante Untersuchung gelungen ist, der das Verdienst zukommt, das Determinismus-Indeterminismus-Problem unter Verarbeitung vieler "Klassiker" zu diesem Thema noch einmal anschaulich aufzubereiten und vermeintliche Implikationen eines indeterministischen Weltbildes für die Kriminalwissenschaften aufzuzeigen. In der Auseinandersetzung mit abweichenden Ansichten sowie in der Begründung seines eigenen Standpunktes finden sich zwar gewisse Redundanzen; dies ist wohl aber der Tatsache geschuldet, dass all die von Spilgies untersuchten Implikationen letztlich eine ähnliche Wurzel haben. Insgesamt ist das Buch - nicht zuletzt durch die geschickte Vorankündigungstechnik des Verfassers sowie ein häufig parallelen Aufbau seiner Darstellung - stets gut lesbar.

Drei inhaltliche Monita müssen jedoch - und zwar unabhängig davon, ob man Spilgies’ Standpunkt im Ergebnis teilt oder nicht - erwähnt werden: Zunächst würde man bei einem im Jahr 2004 erschienenen Buch (das in der Einleitung gleich die Diskussion in der FAZ im Herbst 2003 als Beleg für die Aktualität des Themas anführt) auch entweder kurze Ausführungen oder aber zumindest weiterführende Nachweise zur neueren naturwissenschaftlichen Diskussion etwa im Bereich der Neurobiologie erwarten. Des Weiteren wiederholt Spilgies zwar gebetsmühlenartig seinen Standpunkt, wonach eine Abstufung der Willensfreiheit in einem indeterministischen Weltbild nicht möglich sei, macht sich aber nicht die Mühe, sich mit dem der herrschenden Meinung offenbar zugrunde liegenden und hier knapp skizzierten abweichenden Ansatz auch nur auseinander zu setzen und näher zu begründen, warum eine im hier verstandenen Sinne "abgestufte Willensfreiheit" per definitionem nicht existieren können soll. Zuletzt vermisst man bei allem Scharfsinn der Untersuchung einen klaren eigenen Standpunkt des Verfassers dazu, ob er nun in Folge seiner Kritik tatsächlich einen deterministischen Standpunkt einnimmt oder aber die seiner Ansicht nach mit einem indeterministischen Standpunkt unvereinbaren, z.T. zentralen Institute unserer Strafrechtsordnung und Strafrechtspflege abschaffen möchte.

Ebenfalls nicht verschwiegen werden soll ein Punkt, über den man gewiss unterschiedlicher Meinung sein kann: Nach meinen - insoweit vielleicht altmodischen - Empfinden ist es nicht angemessen, zahlreiche namhafte Autoren, die eine vom Standpunkt Spilgies’ abweichende herrschende Meinung vertreten, in derart polemischer Weise des mangelnden Verstandes und offensichtlicher logischer Fehlschlüsse zu bezichtigen, wie Spilgies dies in seiner häufig sehr kämpferischen Sprache tut (vgl. nur S. 57, 78, 80 [Fn. 204], 84/85, 99, 105/106, 125, 126, 134, 171). Es geht dabei weniger um falsche Rücksicht auf Autoritäten durch einen Verfasser, der nach dem Klapptext gegenwärtig gerade Rechtswissenschaft studiert, als vielmehr um einen sachlichen Ton sowie um eine gewisse Bescheidenheit des eigenen Ansatzes, die um so mehr angezeigt ist, wenn zumindest seine Ausarbeitung und Begründung die oben genannten Mängel enthalten.

Prof. Dr. Hans Kudlich, Bucerius Law School, Hamburg