HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2004
5. Jahrgang
PDF-Download

Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Zur Notwendigkeit der Präzisierung des Merkmals der "Gegenwärtigkeit" des Angriffs im Rahmen der Dogmatik zu § 32 Abs. 2 StGB

Von Ass. Dr. jur. Marc André Wiegand und Wiss. Mitarbeiter Benno Zabel BA phil.

Die herkömmliche Dogmatik zu § 32 StGB gerät in Argumentationsschwierigkeiten, sobald sie die Gegenwärtigkeit eines Angriffs begründen muss, der in der Verwirklichung eines Zustandsdelikts liegt. Ursache hierfür ist eine ungeprüfte Übertragung der im Rahmen der einfachen Erfolgsverursachungsdelikte entwickelten Argumentationsmuster auf andere Deliktstypen. Demgegenüber wird im vorliegenden Beitrag der Versuch unternommen, eine Begründung der Gegenwärtigkeit von

Angriffen zu skizzieren, die gleichermaßen für alle Deliktstypen gilt. An eine Kritik der in diesem Zusammenhang immer wieder zitierten Entscheidung RGSt 55, 82 (I. - II.) schließt sich eine Untersuchung der diesbezüglichen Dogmatik an (III.); im Gegensatz zu deren herkömmlicher, freilich problematischen Argumentation, die vornehmlich auf zeitlich-räumliche Verlaufsstrukturen rekurriert, soll hier eine Lösung vorgestellt werden, die den genannten Begründungsansatz im Kontext der mit personalem Handeln verknüpften rechtlichen Geltungsbehauptungen sieht (IV. - VII).

I. Der Ausgangsfall RGSt 55, 82 — Sachverhalt und Urteilsgründe

In der Entscheidung RGSt 55, 82 wird folgender Sachverhalt mitgeteilt:

"Der Angeklagte hat während der Nacht in einer Schutzhütte bei seinen Obstbäumen Wache gehalten; er war von seinem Hunde begleitet und mit geladenem Gewehr ausgerüstet. Am frühen Morgen bemerkte er zwei Männer, die Obst von den Bäumen entwendeten. Auf seinen Anruf ergriffen beide unter Mitnahme des Obstes, das sie gepflückt hatten, die Flucht und leisteten der Aufforderung des Angeklagten, stehen zu bleiben, obwohl er sie durch die Drohung, er werde schießen, unterstützt hatte, keine Folge. Darauf gab der Angeklagte "in der Richtung" der Fliehenden einen Schrotschuß ab, traf einen von ihnen und verletzte ihn nicht unerheblich. Daß dieser Erfolg dem Willen des Angeklagten entsprach, darf dem Zusammenhang der Urteilsgründe entnommen werden."

Das Landgericht Bamberg hatte den Angeklagten von der Anklage der vorsätzlichen gefährlichen Körperverletzung freigesprochen, weil er in Notwehr gehandelt habe. In der Revision machte die Staatsanwaltschaft geltend, dass die Strafkammer zu Unrecht eine Notwehrsituation zugunsten des Angeklagten angenommen habe, da sich die Diebe zu dem Zeitpunkt, als der A. den Schuss abgab, bereits zur Flucht gewendet hatten, weswegen der Angriff auf das Eigentum des A. beendet und somit nicht mehr "gegenwärtig" i. S. des § 53 Abs. 2 RStGB gewesen sei.

Das RG hat demgegenüber das Vorliegen einer Notwehrlage bejaht, und zwar mit einer Begründung, die seitdem in nahezu allen strafrechtlichen Lehrbüchern, Kommentaren und Aufsätzen, die sich diesem Problembereich widmen, repetiert wird. Trotz der großen Zustimmung, die dieser Entscheidung aus der Strafrechtswissenschaft entgegengebracht wurde und immer noch wird, ist die Begründung, derer sich das RG bedient äußerst brüchig, und ist in tragenden Passagen unvereinbar mit der herrschenden Dogmatik zur Notwehr. Das Merkmal der "Gegenwärtigkeit" des Angriffs wird hier in einem Sinn ausgelegt, der deren herkömmlicher Definition entgegenläuft, ohne dass dies vom RG explizit gemacht würde. So richtig die Entscheidung des RG im Ergebnis sein mag, so unzureichend ist sie doch in der Begründung. Die Kritik dieser Entscheidung zwingt zu einer Neubestimmung grundlegender notwehrdogmatischer Begrifflichkeiten.

Zunächst seien die Entscheidungsgründe nachgezeichnet, die im Anschluss daran kritisiert werden sollen.

Der I. Strafsenat des RG beginnt seine Ausführungen mit der Feststellung, dass dem A. zur Aufrechterhaltung seines Gewahrsams und zum Schutz seines Eigentums an dem Obst kein anderes, gleich wirksames Mittel als eben die Abgabe des Schusses zur Verfügung gestanden habe.

In einem zweiten Schritt thematisiert der Senat nun die Frage nach der Gegenwärtigkeit des Angriffs der Obstdiebe. Er stellt klar, dass es hierfür unerheblich sei, ob die mit dem Angriff verbundene Straftat — hier der mittäterschaftlich begangene Diebstahl — vollendet gewesen sei oder nicht. Die Notwehr sei "nicht auf Abwendung und Vereitelung von bestimmten, strafgesetzlich umschriebenen und begrenzten Handlungen beschränkt, sondern zum Schutz gegen Angriffe auf ein bestimmtes Rechtsgut zugelassen"[1], m. a. W.: da die einzelnen Straftatbestände keinen umfassenden Schutz sämtlicher Rechtsgüter bieten, sondern immer nur bestimmte typisierte Formen der Rechtsgutsbeeinträchtigung pönalisieren, das Notwehrrecht aber dem Angegriffenen gerade die rechtliche Möglichkeit eröffnen soll, jede Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter abzuwehren, nicht nur die straftatbestandlich erfassten, so kann es für die Frage, ob ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff vorliegt, schlicht nicht darauf ankommen, ob mit der Rechtsgutsbeeinträchtigung durch den Angreifer auch ein Straftatbestand verwirklicht wurde, mithin kann es auch nicht von Belang sein, ob die Ausführung des in Frage kommenden Straftatbestandes "gegenwärtig" i. S. von "nicht vollendet" ist. Worauf es allein ankommen kann, ist der Umstand, dass bereits oder noch eine Rechtsgutsbeeinträchtigung auf Seiten Angegriffenen vorliegt. Der Angriff — so das RG weiter — sei daher so lange gegenwärtig, bis die aus ihm erwachsende Gefahr für das betroffene Rechtsgut "entweder völlig abgewendet oder umgekehrt endgültig in den Verlust umgeschlagen"[2] sei.

Namentlich bei Angriffen auf Eigentum und Besitz beweglicher Sachen handele es sich für den Berechtigten im Fall des endgültigen Verlustes "nicht mehr um die Erhaltung der Gewalt an der Sache, sondern um ihre Wiedererlangung"[3]; Gewaltanwendung sei gegenüber dem Dieb dann höchstens noch im Rahmen der Selbsthilfe möglich, nicht mehr jedoch durch Notwehr gedeckt. Die Erhaltung der Gewalt an der Sache sei nur solange möglich, wie der Dieb und das von ihm davongetragene Eigentum des Berechtigten diesem noch erreichbar blieben, d. h. solange für den Dieb noch nicht ein Zustand gesicherten Gewahrsams an der Sache bestehe. Entscheidend für die Bejahung der Gegenwärtigkeit des Angriffs ist dem RG zufolge somit die Feststellung, dass "durch

alsbaldigen Zugriff der bedrohte oder streitige Gewahrsam des Berechtigten im unmittelbaren Anschluß an die widerrechtlichen Eingriffe in den Gewahrsam ohne Zeitverlust aufrechterhalten oder wiedergewonnen werden kann"[4]. Solange eine endgültige Beendigung dieses Gewahrsams nicht eingetreten, dem Berechtigten vielmehr die Möglichkeit geblieben sei, auf der Stelle gegen den Dieb einzuschreiten und sich der Sache zu bemächtigen, solange seien die zu dem berechtigten Zweck erforderlichen Maßnahmen durch Notwehr erlaubt.

Die erforderliche zeitliche Unmittelbarkeit sei im vorliegenden Fall nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Diebe sich infolge des Anrufs durch den A. mit ihrer Beute zur Flucht wendeten. Die Umkehr zur Flucht habe nicht die Aufgabe und Beendigung des Angriffs bedeutet, vielmehr sei dieser durch die Mitnahme des gestohlenen Gutes fortgesetzt worden. Daher sei der Angriff gegenwärtig gewesen, folglich habe eine Notwehrlage vorgelegen.

II. Kritik der Urteilsbegründung

Die Entscheidung des RG basiert auf einer doch problematischen Begründung. Außer Frage steht zunächst einmal die Behauptung, dass es für das Vorliegen einer Notwehrsituation nicht darauf ankomme, ob der Angreifer mit seinem Handeln einen Straftatbestand verwirklicht habe, sondern jede Art der Rechtsgutsbeeinträchtigung durch einen anderen einen Angriff i.S. des Notwehrrechts darstellen könne,[5] weshalb es im vorliegenden Fall irrelevant sei, dass die Wegnahmehandlung i.S. von § 242 Abs. 1 StGB bereits vollendet war.

Zweifel an der reichsgerichtlichen Argumentation tauchen aber dann auf, wenn der Senat die Behauptung aufstellt, der Angriff sei so lange gegenwärtig, bis die aus ihm erwachsende Gefahr für das betroffene Rechtsgut "entweder völlig abgewendet oder umgekehrt endgültig in den Verlust umgeschlagen" sei und nun versucht, diesen Grundsatz auf Eigentumsbeeinträchtigungen durch den Angreifer zu übertragen. Auffällig dabei ist, dass der Senat seine Begründung an der Frage des Gewahrsamsverlustes festmacht (wobei er offenbar von einem gegenüber § 242 StGB erweiterten Gewahrsamsbegriff ausgeht[6]), nicht aber daran, ob das Rechtsgut Eigentum verletzt ist.

Der Senat hat gute Gründe, die Frage nach der Beeinträchtigung des Rechtsguts Eigentum nicht zu stellen, denn würde er den Grundsatz, der Angriff sei so lange gegenwärtig, bis die aus ihm erwachsende Gefahr für das betroffene Rechtsgut "entweder völlig abgewendet oder umgekehrt endgültig in den Verlust umgeschlagen" sei, im Hinblick auf das Eigentum thematisieren, würde dies zu einer ungeheuren Ausweitung der Notwehrbefugnis führen: In den Fällen der Eigentumsentziehung besteht die Pointe ja gerade darin, dass das Opfer durch das Handeln des Angreifers seiner Eigentümerposition überhaupt nicht verlustig gehen kann.[7] Solange dem rechtmäßigen Eigentümer die Sache entzogen ist, solange sind seine dem Rechtsgut Eigentum entspringenden und in § 903 BGB positivierten Befugnisse, mit der ihm gehörenden Sache nach Belieben zu verfahren und jeden anderen von der Einwirkung auf die Sache auszuschließen, beeinträchtigt.[8] Das aber hieße nach der vom Reichsgericht aufgestellten allgemeinen Definition, dass der Angriff auf das Rechtsgut Eigentum solange gegenwärtig wäre, wie der Eigentümer die genannten Befugnisse nicht wahrnehmen kann. Nähme man diesen Grundsatz ernst, so hätte in dem vom RG hier entschiedenen Fall der Angeklagte sich auch dann noch auf das Notwehrrecht berufen können, wenn ihm die Obstdiebe zunächst entwischt wären, es ihm jedoch nach mehreren Tagen gelungen wäre, sie ausfindig zu machen und sich seines Eigentums mit Gewalt gegen die "Angreifer" wieder zu bemächtigen.

Um diese Konsequenz zu vermeiden und eine zeitliche Eingrenzung der Notwehrbefugnis zu erreichen, blendet das RG die Frage nach der Beeinträchtigung des Eigentums völlig aus und zieht sich nunmehr auf die Frage nach dem Gewahrsam an den gestohlenen Sachen zurück. Doch erscheint der Gewahrsamsbegriff, wie er herkömmlicherweise im Rahmen von § 242 StGB diskutiert wird, dem RG wiederum zu eng: der für den Diebstahlstatbestand erforderliche Gewahrsamswechsel war ja bereits vollzogen, und da das RG von vornherein (und im Ergebnis wohl auch zurecht) darauf festgelegt scheint, zugunsten des A. eine Notwehrsituation anzunehmen, versucht es nun, mit einem nicht näher umrissenen "sekundären" Gewahrsamsbegriff ein Stadium zu bezeichnen, das in zeitlich-räumlicher Hinsicht zwischen beiden Polen liegt: nämlich zwischen der zu Ausuferungen führenden Bestimmung des Merkmals "gegenwärtig" als Fortdauer der Rechtsgutsbeeinträchtigung einerseits und

der die Notwehrlage auf den bloßen Deliktsvollzug beschränkenden Auslegung andererseits.

Es muss schon verwundern, wenn das RG - unter Verwendung des hier so genannten "sekundären" Gewahrsamsbegriffs - ausführt: "Gerade in dem Zeitpunkt der Unsicherheit der Gewahrsamsverhältnisse, die sich im Fall alsbaldiger Entdeckung der vollendeten Wegnahmehandlung an diese anschließt, eröffnet sich regelmäßig die Gelegenheit zum Kampf um die Sache, innerhalb dessen der Berechtigte sich die Macht über sie zu erhalten sucht, und daran kann er nicht dadurch gehindert sein, daß im Rechtssinn sein Gewahrsam in dem Sinne verloren ist, wie es für den strafrechtlichen Begriff der 'Wegnahme' angenommen ist(...)"[9] Das ist eigentlich keine Begründung, sondern vielmehr die Beschreibung einer Handlungssituation, der von vornherein die Wertung zu Grunde liegt, dass der Eigentümer in dieser Lage notwehrberechtigt sei. Das Merkmal der "Gegenwärtigkeit" des Angriffs wird vom RG nicht wirklich ausgelegt, vielmehr erscheint das Urteil stets von der Vermutung getragen, dass eben ein gegenwärtiger Angriff vorliege.

Vom gleichen Grundton ist die einleitende Feststellung des RG getragen, dass es sich solange "um die Abwehr eines noch fortdauernden gegenwärtigen Angriffs" handelte, wie "die Diebe, und mit ihnen das Eigentum des Angeklagten, das sie davontrugen, diesem erreichbar blieben".[10] Weshalb die Antwort auf die Frage, wann der Angriff gegenwärtig sei, davon abhängen soll, ob der Angegriffene Diebe und Diebesgut noch erreichen kann, bleibt dunkel. Den Ausgangspunkt der Argumentation, die doch eigentlich auf der Angreiferseite ansetzen müsste, bilden - ebenso wie bei der Schilderung des "Kampfes um die Sache" - umgekehrt die Reaktionsmöglichkeiten des geschädigten Eigentümers. Das aber kann im Hinblick auf eine dogmatisch befriedigende Lösung schon allein deswegen nicht richtig sein, weil die faktischen Reaktionsmöglichkeiten des Angegriffenen erst in Bezug auf die Mittel thematisiert werden können, mit denen der Angegriffene dem Angreifer entgegentreten darf, sprich: in Bezug auf das in § 32 StGB (bzw. § 53 a. F.) positivierte Merkmal der "erforderlichen Verteidigung", deren systematisches Prius gerade aber der gegenwärtige rechtswidrige Angriff ist.[11] Solange nicht feststeht, ob der Angriff gegenwärtig ist, verbietet es sich, unter Vermutung der Gegenwärtigkeit des Angriffs die Verteidigungshandlung zu thematisieren, um mithilfe der tatsächlichen Eingriffsmöglichkeiten, die sich dem Angegriffenen bieten, eben diese Gegenwärtigkeit zu erweisen. Die Frage nach den dem Angegriffenen zu Gebote stehenden Verteidigungsmitteln ist gegenüber der Frage nach der Gegenwärtigkeit des Angriffs logisch nachrangig und in dieser Reihenfolge auch von § 32 StGB normiert. Dies darf eine Urteilsbegründung nicht unberücksichtigt lassen.

III. Kritik der Dogmatik zum Merkmal der "Gegenwärtigkeit" in § 32 StGB

Die Dogmatik zum Notwehrrecht wurde - wie nicht wenige dogmatische Figuren des Allgemeinen Teils des Strafrechts - hauptsächlich anhand der einfachen Erfolgsverursachungsdelikte entwickelt.[12] Insbesondere sind die herkömmlichen Definitionen des Merkmals der Gegenwärtigkeit auf Angriffssituationen zugeschnitten, in denen die Rechtsgutsverletzung auf der Seite des Angegriffenen immer schon in der Weise unmittelbar mit dem Verhalten des Angreifers verbunden ist, dass mit dem Ende der Angriffshandlung die Rechtsgutsverletzung nicht mehr reversibel ist: Bei der von der Rspr. gebrauchten Formel, wonach der Angriff dann gegenwärtig ist, wenn er unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch fortdauert[13], denkt man unwillkürlich an die Zerstörung der Sache durch den Angreifer, oder aber an die körperliche Misshandlung, die dieser seinem Opfer zufügt, an Situationen also, in denen der mit der Rechtsgutsverletzung einhergehende äußere Handlungsvollzug durch eine zeitlich und räumlich klar abgrenzbare Verlaufsstruktur gekennzeichnet und damit die Einordnung des Angriffs als "gegenwärtig" i. S. des § 32 StGB naheliegend zu sein scheint.

Mit der genannten Formel qualifiziert die Literatur aber auch solche Angriffsweisen als gegenwärtig i. S. von § 32 Abs. 2 StGB, die in der Verwirklichung eines Dauerdelikts, bspw. eines Hausfriedensbruchs oder einer Freiheitsberaubung, bestehen.[14] Das Opfer einer Freiheitsberaubung dürfe sich - so die allgemeine Meinung - während der gesamten Dauer seines Eingesperrtseins mit

allen erforderlichen Mitteln wehren.[15] Der Angriff soll selbst dann noch als gegenwärtig gelten, "wenn der Täter einer Freiheitsberaubung nichts mehr aktiv zu deren Aufrechterhaltung unternimmt, sondern das eingesperrte Opfer nur noch sitzen lässt"[16], denn auch dadurch intensiviere er die Verletzung des Rechtsguts Fortbewegungsfreiheit. Im Gegensatz zu einer durch ein Erfolgsdelikt herbeigeführten Rechtsgutsverletzung scheint die Beurteilung der Situation hier durch eine weniger klar definierte Verlaufsstruktur erschwert zu sein.

Im Bereich der Zustandsdelikte - namentlich bei § 242 StGB - ist nun die Einordnung eines Angriffs als "gegenwärtig" auf der Grundlage einer Konstruktion zeitlicher und räumlicher Verlaufsstrukturen überhaupt nicht mehr überzeugend.[17] Dies zeigt sich auch in der Argumentation Kühls, die sich eingehend mit der Problematik befasst und die Schwächen der reichsgerichtlichen Begründung noch am deutlichsten formuliert: Die sich an die Wegnahme der Sache anschließende Beutesicherungsphase, so Kühl, könne zwar als weiterer Angriff gewertet werden, der die Gefahr des Verlustes der Sache intensiviere. Gleichwohl dürfe "der Eigentums-Angriff nicht bis zum endgültigen Verlust der Sache ausgedehnt werden"; er sei "vielmehr bereits dann beendet, wenn der zeitliche und räumliche Bezug zur Tat (d. h. hier: dem ersten Angriff, der in der Wegnahme lag) verloren gegangen" sei. "Nur die sofort aufgenommene Verfolgung des Diebes" lasse "dessen Flucht noch als Angriff erscheinen"[18]. Obwohl beteuert wird, dass die "mit der Wegnahme der Sache gegebene Vollendung des Diebstahls gem. § 242" nicht "die entscheidende Zäsur" sei, "da Angriffe i. S. v. § 32 II nicht auf straftatbestandsmäßige Weise vorgetragen werden"[19] müssten, bildet in der Argumentation Kühls die Vollendung der Wegnahme eben doch eine Zäsur, die das Ende des ersten Angriffs (nämlich der Wegnahme) und den Beginn des zweiten, sich an die Tat anschließenden, Angriffs markieren soll. Der zweite Angriff soll nur solange gegenwärtig sein, wie er sich in einen hinreichenden zeitlichen und räumlichen Bezug zum ersten Angriff, zur Tat, bringen lasse. Diese Argumentation vermeidet zwar den Fehler des reichsgerichtlichen Ansatzes, der die Frage nach der Beeinträchtigung des Eigentums durch den Dieb außen vor lässt, doch überwindet sie die damit verbundenen Schwierigkeiten nicht, da Kühl daran festhält, dass die Frage nach der Gegenwärtigkeit des Angriffs im Hinblick auf die Reaktionsmöglichkeiten des geschädigten Eigentümers beantwortet werden muss, und er kein Kriterium dafür angibt, weshalb die weiterhin stattfindende Rechtsgutsbeeinträchtigung keinen gegenwärtigen Angriff darstellen soll. Letztlich wird das Problem, bis zu welchem Zeitpunkt die Gegenwärtigkeit des Angriffs bestehen soll, durch die Konstruktion eines zweiten Angriffs, der in der Flucht der Diebe gesehen wird, von Kühl nur auf eine andere Ebene verschoben.

Die hier angesprochene Frage bezieht sich indes nicht nur auf den Bereich der Eigentumsdelikte, ja beschränkt sich auch nicht - allgemeiner gesprochen - auf den Bereich der Zustandsdelikte, sondern betrifft ein generelles Notwehrproblem: Es geht darum, dass beim Aufeinandertreffen von Handlungsvollzug und dadurch bedingtem rechtswidrigen Zustand die zeitliche und räumliche Verlaufsstruktur jedenfalls kein hinreichendes Abgrenzungskriterium dafür abgibt, bis zu welchem Zeitpunkt der Angriff als "gegenwärtig" i. S. des § 32 StGB einzustufen ist.

Vielmehr gilt es zu zeigen - so die These, die im folgenden entwickelt werden soll -, dass die Frage nach der Gegenwärtigkeit des Angriffs nur dann sinnvoll beantwortet werden kann, wenn man zugleich die dem Angriffsbegriff zugrundeliegenden interpersonalen Handlungsstrukturen erfasst, da nur so die Notwehrlage als ein prozesshafter Typus der Beeinträchtigung des Rechtsverhältnisses begriffen werden und dementsprechend die Ableitung der einzelnen Merkmale gelingen kann.

IV. Gegenwärtigkeit des Angriffs und Intentionalität des Handlungsvollzugs

Obgleich sich das aufgeworfene Problem nicht auf den Bereich der Zustandsdelikte beschränkt, empfiehlt es sich, nochmals an diese Deliktsgruppe anzuknüpfen: Hier zeigt sich am deutlichsten eine (argumentationslogische) Differenz von objektunmittelbarem Handlungsvollzug und durch diesen bedingten rechtswidrigen Zustand, der jedoch nicht losgelöst vom objektunmittelbaren Handlungsvollzug betrachtet werden darf, was nichts anderes heißt, als dass Handlungsvollzug und rechtswidriger Zustand Teile einer einheitlichen Handlungs- bzw. Verhaltensstruktur sind[20] - eine Differenz, die deswegen so

charakteristisch (zentral) ist, weil sie bei allen Delikten vorliegt, und zwar - in herkömmlicher dogmatischer Diktion - im Sinne eines Verhältnisses von normwidrigem Verhalten und Rechtsgutsverletztheit.

Diese zunächst abstrakten Bestimmungen haben indes nicht unerhebliche Bedeutung für eine dogmatisch präzise Erfassung der Gegenwärtigkeit des Angriffs im Rahmen von § 32 Abs. 2 StGB. - Begreift man normwidriges Verhalten und Rechtsgutsverletztheit nicht als einheitliches Interaktionsgefüge, sondern löst sie im Wege einer schematischen Betrachtung aus diesem Begründungszusammenhang heraus, dann ergeben sich die anhand der eingangs erwähnten Reichsgerichtsentscheidung aufgezeigten Bewertungsprobleme. Denn bei konsequenter Anwendung der herkömmlichen Interpretation des § 32 Abs. 2 StGB, wonach ein Angriff "jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtlich geschützter Güter oder Interessen" ist, ergibt sich, dass sowohl objektunmittelbarer Handlungsvollzug (im Ausgangsfall: die Wegnahme des Obstes) als auch die Perpetuierung der Eigentumsentziehung (im Ausgangsfall: die Mitnahme des Obstes) Angriffsqualität haben können. Der Ansatz, bei der Definition des Angriffs von einer durch menschliches Verhalten drohenden Verletzung rechtlich geschützter Güter oder Interessen auszugehen, ist deswegen nicht hinreichend, weil auch § 34 StGB über den Gefahrbegriff an eine drohende Güter- oder Interessenverletzung anknüpft und die Anwendung von § 34 StGB nach allgemeiner Meinung nicht dadurch ausgeschlossen ist, dass die Entstehung der Gefahr auf menschlichem Handeln basiert[21].

Letztlich wird mit der oben genannten Definition nur erklärt, dass entweder ein Angriff oder eine Gefahr vorliegt, womit jedenfalls für die Bestimmung der Gegenwärtigkeit des Angriffs nichts gewonnen ist.

1. Zur Bestimmung des "Angriffs"

Gerade weil - wie eben gezeigt - die herkömmliche Definition des Angriffsbegriffs gleichermaßen Angriffs- und Gefahrsituationen umfasst, ist es für die Bestimmung der Gegenwärtigkeit des Angriffs unerlässlich, zugleich den Angriffsbegriff dahingehend zu präzisieren, dass er den Mangel der oben genannten Definition vermeidet, d. h. Gefahrsituationen ausschließt.

Die These lautet dementsprechend, dass - ausgehend von einem Oberbegriff der (drohenden) Rechtsgutsverletztheit, der der (Erlaubnis-)Tatbestandsstruktur sowohl des § 32 wie auch des § 34 StGB zugrunde liegt - "Angriff" als besondere Form von Handlungsvollzug, konkret als besondere Form der Bewirkung von Rechtsgutsverletztheit (Rechtsgutsverletzung) entwickelt und dementsprechend verstanden werden muss.[22]

Angriff und Gefahr als unterschiedliche Formen drohender Rechtsgutsverletztheit beziehen sich zunächst auf den bereits oben eingeführten, dort aber noch nicht näher präzisierten Begriff des Interaktionsgefüges. D.h. Angriff und Gefahr verwirklichen sich in einem Kontext personaler Freiheitsspielräume, innerhalb dessen das einzelne Rechtssubjekt immer schon mit den Wünschen und Überzeugungen, vor allem aber mit den damit verbundenen und sich in der gemeinsamen äußeren Welt manifestierenden Entscheidungen anderer Rechtssubjekte, konfrontiert ist, wobei sich diese Rechtssubjekte selbst als tatmächtig begreifen und daher ihre Entscheidungen auch in diesem Sinne umsetzen.[23] Für das Strafrecht - und nicht zuletzt für § 32 StGB - sind freilich nur bestimmte Entscheidungstypen von Interesse, nämlich solche, die sich - allgemein gesprochen - in der Beeinträchtigung von Rechtspositionen anderer Subjekte niederschlagen.[24]

Indes verweist das jeder handlungsvermittelten (verobjektivierten) Entscheidung inhärente Wissen um die eigene Tatmächtigkeit nicht nur auf die Beeinträchtigung von Rechtspositionen in ihrer (abstrakten) Äußerlichkeit, sondern auch und vor allem auf die diesen zugrunde liegende Missachtung der Rechtspersonalität bzw. des anerkannten Rechtsstatus des Betroffenen.[25]

Dies deshalb, weil mit der Umsetzung einer autonom getroffenen Entscheidung zugleich die Richtigkeit und Gültigkeit dieser Entscheidung zum Ausdruck gebracht wird, und zwar insbesondere auch - sofern andere Rechtssubjekte davon (unmittelbar) betroffen sind - die Gültigkeit dieser Entscheidung nicht nur für den Handelnden selbst, sondern auch für andere.[26] Die von dem einen Rechtssubjekt getroffene Entscheidung kann der Entscheidung eines anderen Rechtssubjekts zuwiderlaufen, ja mehr noch: sie kann dadurch, dass sie die Entscheidung eines anderen Rechtssubjekts durch die eigene Entscheidung negiert, überhaupt die Erheblichkeit jener Entscheidung leugnen und damit die rechtlich gesicherte Autonomie des Betroffenen in Frage stellen.[27]

Das heißt zunächst, dass durch die Entscheidung eine Dualität von Geltungsbehauptungen [28] entsteht: einerseits nämlich eine rechtswidrige Geltungsbeanspruchung durch das Verhalten des Verletzenden, andererseits eine rechtserhaltende Geltungsgarantie durch das Handeln des Betroffenen - eine Situation, die im Rahmen des § 32 StGB und bezogen auf den Betroffenen - in der wohl herrschenden Dogmatik - neben der Thematisierung des "Individualschutzes" - herkömmlicherweise mit dem Titel "Rechtsbewährungsprinzip" bzw. "Verteidigung der Rechtsordnung" bezeichnet wird.[29] Nun soll die gegenwärtig mit Vehemenz geführte Diskussion, ob man eher einer monistischen oder vielmehr einer dualistischen Position (Notwehrbegründung) zu folgen habe, vorliegend nicht aufgenommen oder gar entschieden,[30] sondern lediglich betont werden, dass vom hier vorgestellten Standpunkt aus beide zu Recht geltend gemachte Aspekte nur als zwei Merkmale ein und desselben Phänomens, nämlich des der (rechtlichen) Praxis (Lebensform) begriffen werden können. - Gerade deshalb kann auch das die sogenannte Notwehrhandlung auslösende Verhalten des Verletzenden im Rahmen der von § 32 StGB umschriebenen Konstellation als Rechtsgeltungsangriff bezeichnet und bestimmt werden.[31]

Würde man jedoch den Widerstreit von Rechtsgeltungsbehauptungen als alleiniges Merkmal des Angriffs i. S. von § 32 StGB identifizieren, beginge man denselben Fehler wie die herrschende Notwehrdogmatik: das eigentlich Gemeinsame von Angriffs- und Gefahrbegriff gäbe man als Spezifikum des Angriffsbegriffs aus. - Denn mit Richtigkeits- oder Geltungsbehauptungen sind natürlich auch solche Entscheidungen verbunden, deren Folgen andere Rechtssubjekte nur höchst mittelbar beeinflussen und damit eine Lage herbeiführen, die man eher als Gefahr- denn als Angriffssituation zu qualifizieren geneigt sein wird.

Daher ist, um zu einer tragfähigen Bestimmung zu gelangen, ein zusätzlicher gedanklicher Schritt notwendig, der die Besonderheit einer Rechtsgutsverletztheit durch Angriff deutlich macht.

Dieser zusätzliche Schritt wird dadurch gemacht, dass über den Aspekt des Wissens um die eigene Tatmächtigkeit hinaus eine (ausdrücklich rechtsnegierende) Intentionalität der Rechtsgeltungsbehauptung gefordert wird, und zwar eine Intentionalität, die nicht gleichzusetzen ist mit einer "Zielgerichtetheit" im Sinne einer "bloßen" Objektfixierung. Statt dessen ist hervorzuheben, dass dann, wenn man den sich bei der Abwehr von Rechtsgutsverletzungen ergebenden Konflikt als eine Frage sich widersprechender Geltungsbehauptungen von Rechtssubjekten aufgewiesen hat, Bezugspunkt der Intentionalität

auch nur dieses interpersonale Verhältnis sein kann. Konkreter formuliert: Was ein bestimmtes Verhalten zum Angriff macht, ist die - freilich objektstufig, also über einen äußeren Gegenstand, vermittelte[32] - intentionale Missachtung der rechtlich gesicherten Geltungsbehauptung des Betroffenen durch Verdrängung aus der ihm zustehenden Rechtsposition.[33] Indem aber die rechtsbewahrende Geltungsbehauptung des Betroffenen als irrelevant gegenüber der eigenen rechtswidrigen Geltungsbehauptung dargestellt wird, wird die Missachtung der Rechtspersonalität des Betroffenen diesem gegenüber explizit kundgetan.[34] Genau hierin unterscheiden sich Gefahr und Angriff: Wenn auch bei Vorliegen einer Gefahr die zu erwartende Rechtsgutsbeeinträchtigung insofern gewichtiger sein kann, als die äußeren Auswirkungen der Realisierung dieser Gefahr einen erheblichen Umfang annehmen oder ein hochstehendes Rechtsgut beeinträchtigt ist, so ist der Angriff doch stets in dem (normativen) Sinne intensiver, dass die mit der Rechtsgutsbeeinträchtigung verbundene Missachtung der Rechtspersonalität zum Ausdruck gebracht wird. Diese erhöhte normative Intensität des Angriffs ist auch der Grund für die weitergehenden Befugnisse, die einem Angegriffenen gegenüber einem Gefahrbetroffenen zustehen.[35]

2. Rechtsgutsverletztheit und Gegenwärtigkeit

Die vorgenommene Angriffsbestimmung muss sich notwendig auf die Auslegung des Merkmals der Gegenwärtigkeit in § 32 StGB auswirken. Die Gegenwärtigkeit ist kein abstrakter Begriff in dem Sinne, dass sie losgelöst von der Bestimmung des Angriffs thematisiert werden könnte, vielmehr sind beide Begriffe, Angriff wie Gegenwärtigkeit, als auf einander verweisend zu verstehen.[36] Das heißt: Wenn der Angriff als explizite Kundgabe der Missachtung der Rechtspersonalität eines anderen aufgefasst wird, dann kann auch die Gegenwärtigkeit nicht nur unter dem Blickwinkel der äußeren Beeinträchtigung von Rechtsgutsobjekten betrachtet werden, sondern muss in gleichem Maße auf das zugrunde liegende interpersonale Verhältnis abstellen, womit zugleich die für den Angriffsbegriff oben erwähnte notwendige Intentionalität der Verletzungshandlung angesprochen ist. Über die Bestimmung des Angriffs als Ausdruck der Missachtung hinaus ermöglicht die Thematisierung der Gegenwärtigkeit allerdings eine Konkretisierung der Notwehrlage insofern, als die geforderte Intentionalität nun auch an eine zeitlich-räumliche Verlaufsstruktur zurückgebunden wird. Es geht also bei der Bestimmung der Notwehrlage nicht abstrakt um die Missachtung der Rechtspersonalität, sondern um das intentionalitätsgebundene Vollzugsmoment dieser Missachtung. Kurz: Der gegenwärtige Angriff als Handlungsform ist einerseits zwar intentionalitätsgetragen, andererseits und zugleich stellt die Realisierung der Intentionalität die Angriffsverwirklichung dar. - Erst vor dem Hintergrund dieser Argumentation kann man dann auch davon sprechen, dass der Angriff gegenwärtig ist, wenn er "unmittelbar bevorsteht, begonnen hat oder noch fortdauert"[37].

"Gegenwärtiger Angriff" i. S. des § 32 Abs. 2 StGB ist demnach die in einem Handlungsvollzug unmittelbar zum Ausdruck kommende Missachtung einer fremden Rechtsposition.

V. Wiederaufnahme von RGSt 55, 82 - Lösung nach der vorgetragenen Begründungsstruktur

Die Lösung der Frage, welchen Charakter eine fortdauernde Eigentumsentziehung haben muss, um als gegenwärtiger Angriff i. S. d. § 32 StGB gelten zu können, ist also nicht - wie Rspr. und wohl auch die überwiegende Auffassung in der heutigen Literatur dies tun - vermittelst einer Reduktion des Handlungsgefüges allein auf das Problem der Rechtsgutsbeeinträchtigung zu gewinnen, sei es durch ein zweckbestimmtes Oszillieren zwischen Eigentums- und Gewahrsamsbegriff wie in RGSt 55, 82, oder wie z. B. bei Kühl durch die Konstruktion eines der Verwirklichung von § 242 StGB nachfolgenden zweiten Angriffs.[38]

Die Begründung, die im Ausgangsfall zur Bejahung einer Notwehrlage führt, muss vielmehr und zunächst darauf abstellen, dass das Entwenden des Obstes im Beisein des Eigentümers insofern über die Bedeutung eines bloßen körperlichen Ansichbringens hinausweist, als der konkrete Handlungskonflikt von Seiten der Diebe die Behauptung in sich birgt, der Eigentümer sei zur Wahrnehmung und Ausübung seiner Rechtsposition nicht berechtigt, ja mehr noch: Im Grunde geht die Behauptung dahin, dass seine unmittelbar zur Geltung gebrachte Eigentümerstellung als solche negiert wird. Es handelt sich mithin um eine explizite und durch den Handlungsvollzug intendierte Missachtung der in der Eigentümerstellung zum Ausdruck gebrachten Rechtspersonalität, die sich auch und gerade noch in der Flucht manifestiert, ist letztere doch unmittelbar auf die Reaktion des Verfolgers als Eigentümer bezogen, die wiederum nicht anders denn als rechtsbewahrende Geltungsbehauptung verstanden werden muss.

Die normative Intensität der Konfrontation lässt sich freilich dann nicht mehr begründen, wenn - und damit wird auch vorliegend der qualitative Unterschied zwischen Angriffs- und Gefahrbegriff offenkundig - der Konflikt insofern eine vermittelte Form annimmt, als er keine gegenseitig auf sich beziehenden (un-) rechtlichen Geltungsbehauptungen und damit auch keine explizite Kundgabe der Missachtung der Rechtspersonalität mehr zum Gegenstand hat, so dass er kein einheitliches, in sich geschlossenes Handlungsgefüge mehr bildet. In dem Augenblick, in dem der Eigentümer die Verfolgung der Diebe aufgegeben hätte, hätte er aufgehört, die auf seine Eigentümerstellung bezogene Rechtsgeltungsbehauptung den Dieben gegenüber zu artikulieren und damit die ursprüngliche Einheitlichkeit des Interaktionsgefüges aufgebrochen. Anders gewendet: Es hätte eben an der für die Notwehrlage typischen normativ vermittelten Konfrontationsstruktur gefehlt. Damit ist auch klar, dass in dem Zeitpunkt, in dem die Diebe sich erfolgreich der Verfolgung durch den Eigentümer entzogen hätten, auch kein Angriff i. S. des § 32 StGB mehr vorgelegen hätte. Nach diesem Zeitpunkt bliebe, was die strafrechtliche Bewertung angeht, nur noch Raum für die Anwendung des § 34 StGB.[39]

VI. Übertragbarkeit auf Erfolgs- und Dauerdelikte

Der oben vorgetragene Lösungsansatz beschränkte sich bisher auf den Bereich der Zustandsdelikte, insbesondere auf einen durch die Verwirklichung von § 242 StGB begründeten Angriff. Er gilt indes genauso für den Bereich der Erfolgs- und Dauerdelikte.

Bei den Erfolgsdelikten erscheint die Anwendung der oben vertretenen Argumentation beinahe schon selbstverständlich: In der Verletzungshandlung manifestiert sich die Missachtung der Rechtspersonalität des Anderen. Der daraus erwachsende Erfolg stellt nicht nur den Gipfelpunkt der Kundgabe dieser Missachtung dar, sondern auch deren Ende. Pointiert formuliert: Die Rechtsgutsverletzung i. S. der Erfolgsherbeiführung markiert hier eo ipso die Grenze der Gegenwärtigkeit des Angriffs.[40]

Die Typik der Dauerdelikte besteht nun gerade darin, dass sich die (Rechtsguts-)Verletzung nicht punktuell ("sektorenspezifisch") fixiert und manifestiert, so dass mit einmaliger Ausführungshandlung bereits das Ende der Gegenwärtigkeit eines diesbezüglichen Angriffs vorläge, vielmehr äußert sie sich in einer besonderen Form fortrealisierender Beeinträchtigung der individuellen Rechtssphäre.[41] Anders gesprochen: Mit dem Typus des Dauerdelikts wird immer schon auf eine originäre (Handlungs-)Struktur der Verletzung bestimmter Rechtsgüter verwiesen; eine originäre Struktur, die sich auch aus der besonderen Zuordnung des Rechtsguts zum Rechtsgutsträger äußert; sowohl die Fortbewegungs-, wie die Willensentscheidungsfreiheit als auch das Hausrecht sind keine Rechtspositionen, die man objektstufig distanziert von Rechtsgutsträger denken kann, obwohl sie doch die handlungsvermittelte Bezogenheit auf den anderen

geradezu fordern.[42] - Aus dieser originären (Handlungs-)Struktur folgt schließlich, dass in der Beeinträchtigung dementsprechend geschützter Rechtsgüter auch die Kundgabe der Missachtung der Rechtspersonalität eines anderen liegt, ja liegen muss. Zugleich wird damit deutlich - und hier bietet es sich an, mit den oben erarbeiteten Termini zu operieren - dass es um eine unrechtliche Geltungsbehauptung geht, die nicht nur einmalig geäußert, sondern (notwendig, weil der deliktstypischen Verletzung inhärent) permanent aufrechterhalten wird.[43] Diese permanent aufrecht erhaltene Geltungsbehauptung bestimmt schließlich den Rahmen dessen, was regelmäßig unter dem Titel der "Gegenwärtigkeit" des Angriffs thematisiert wird.

Die hier vorgenommene Argumentation zur Bestimmung der Gegenwärtigkeit des Angriffs steht nun auch nicht im Widerspruch zu den Ausführungen im Rahmen der Zustandsdelikte. Ein solcher Widerspruch könnte nur dann vermutet werden, wenn man allein - wie oben bereits kritisiert - auf zeitlich-räumliche Verlaufsstrukturen rekurrierte. Im Unterschied zu Dieben, die - anders als im Ausgangsfall - sich mit ihrer Beute entfernt und gesicherten Gewahrsam erlangt haben, unternimmt derjenige, der sein Opfer eingesperrt und sich dann vom Tatort entfernt hat, sehr wohl noch weiterhin einen Angriff auf den Eingesperrten. - In der Dauerdeliktstypik liegt es gerade, und darauf wurde ja eben auch ausdrücklich hingewiesen, dass dem Betroffenen die unrechtliche Geltungsbehauptung nicht zuletzt qua involviertem Rechtsgut permanent zu Bewusstsein gebracht, ihm also dauerhaft kundgetan wird, und zwar dergestalt, dass er die erhöhte normative Intensität des Handlungskonflikts unmittelbar erlebt. Zwar besteht auch bei demjenigen, dessen Eigentum in der oben genannten Form entzogen wurde, eine dauerhafte Beeinträchtigung seiner Rechtsposition als Eigentümer, gleichwohl ist diese Art der unrechtlichen Geltungsbehauptung - und zwar schon aufgrund der spezifischen Zuordnung von Rechtsgut und Rechtsgutsträger - sehr viel vermittelter: Es fehlt eben an der Einheitlichkeit eines durch gegenseitig auf sich beziehende (un-)rechtliche Geltungsbehauptungen konstituierten Handlungsgefüges und damit an der Einheitlichkeit und Intensität der (straf-) rechtlich zu bewertenden Konfrontationsstruktur.

VII. Zusammenfassung

Da Rspr. und herrschende Lehre als Kriterium für die Gegenwärtigkeit eines Angriffs i. S. von § 32 Abs. 2 StGB vorrangig auf den zeitlichen und räumlichen Zusammenhang von Verletzungshandlung und Verletzungserfolg abstellen, entstehen Begründungsprobleme bei der Lösung derjenigen Fälle, bei denen der Erfolg in der Herbeiführung eines rechtswidrigen Zustandes besteht, der unabhängig von der Beendigung der Verletzungshandlung fortdauert. Daran zeigt sich, dass die herrschende Lehre nicht über die begrifflichen Instrumentarien verfügt, die notwendig sind, um die normativen Grenzen der Gegenwärtigkeit eines Angriffs zu bestimmen. Um diesen Begründungsproblemen zu begegnen, wird an eine Notwehrkonzeption angeknüpft, die den Grund des durch § 32 StGB beschriebenen Konflikts in der Infragestellung der objektiven Geltung des Rechtsverhältnisses erblickt, die der Angreifer durch sein Handeln zum Ausdruck bringt. Davon ausgehend wird unter einem "gegenwärtigen Angriff" i. S. des § 32 Abs. 2 StGB die in einem Handlungsvollzug unmittelbar zum Ausdruck kommende Missachtung einer fremden Rechtsposition verstanden.


[1] RGSt 55, 82 (84)

[2] RGSt ebd.

[3] RGSt ebd.

[4] RGSt ebd.

[5] So wohl die ganz überwiegende Auffassung, vgl. Schönke/ Schröder/ Lenckner, 26. Auflage 2001, § 32 Rn. 4; Stratenwerth, Strafrecht Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2000, § 9 Rn. 67; zur Kasuistik siehe NK-Herzog, 3. Lfg. (31.12.1995), § 32 Rn. 14 f. - Weshalb die Antwort bezüglich der "gegenwärtigen Bedrohungslage" je nach dabei tangiertem Rechtsgut unterschiedlich ausfallen könne. Geilen, Jura 1981, 208.

[6] Kritisch zu den vom RG in dieser Entscheidung verwendeten unterschiedlichen Gewahrsamsbegriffen v. Liszt/Schmidt, Deutsches Strafrecht, 25. Aufl. 1927, S. 186 Fn. 8.

[7] Dies gilt jedenfalls für die Fälle der Sachentziehung; Fragen der Vermischung, Verbindung oder Verarbeitung seien hier einmal ausgeklammert, vgl. hierzu Gössel, in: 140 Jahre Goltdammer's Archiv für Strafrecht 1993, S. 39 (48).

[8] Aus zivilrechtlicher Perspektive: Palandt/ Bassenge, 61. Aufl. 2002, v § 903 Rn. 1 dort m.w.N. sowie § 903 Rn. 2 ff. - Nur selten wird die Problematik und Typizität rechtlicher Besitz-, Eigentums- respektive Zuordnungsbeziehungen aus strafrechtlicher Sicht explizit thematisiert. Vgl. aber die Analyse bei Kahlo, in: Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts 1995, S. 123 (134 ff.), dort noch mit Hinweis auf die diesbezüglichen Ausführungen Mayers, JZ 1962, S. 617 ff.; zur unhinterfragten Argumentationsstruktur im Rahmen der gegenwärtigen dogmatischen (Notwehr-)Diskussion vgl. nur die Ausführungen bei SK-Günther, 31. Lfg. (September 1999), § 32 Rn. 81.

[9] RGSt 55, 82 (84).

[10] RGSt a. a. O., 83 f.

[11] Zur Notwehrdogmatik im Allgemeinen vgl. an statt vieler: Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts. Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1996, § 32 I ff.; Frister, Die Notwehr im System der Notrechte, GA 1988, 291 ff.; Köhler, Strafrecht Allgemeiner Teil, 1997, S. 260 ff.; Kratzsch, Grenzen der Strafbarkeit im Notwehrrecht, 1961; Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2002, § 7 Rn. 21 ff.; Ludwig, "Gegenwärtiger Angriff", "drohende" und "gegenwärtige Gefahr" im Notwehr und Notstandsrecht, 1991; Otto, Grundkurs Strafrecht. Allgemeine Strafrechtslehre, 6. Aufl. 2000, § 8 Rn. 17 ff. Pawlik, ZStW 114 (2002), S. 259 ff. sowie Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil 1, 3. Aufl. 1997, § 15 Rn. 1 ff.

[12] Vgl. Kühl, in: FS-Triffterer 1996, S. 159 ff.; darüber hinaus die (historische) Darstellung der Notwehrrechtsentwicklung bei Köhler (Fn. 11), S. 261 f., die das sehr deutlich zum Ausdruck bringt. - In vielen Lehrbüchern bildet sich diese Genese noch heute in der Darstellung bzw. Behandlung des "Gegenwärtigkeitsaspekts" ab; problematisch erscheint jedoch, dass sie dann häufig in wenig reflektierter, ja fast schon stereotyper Weise fortgeschrieben wird. Vgl. nur Wessels/ Beulke, Strafrecht Allgemeiner Teil, 32. Aufl. 2002, § 8 Rn. 328, wo die in Rede stehende Problematik mit der lapidaren Bemerkung abgetan wird, dass gegen den flüchtenden Dieb Notwehr zulässig sei. Anders, vor allem tiefergehender Kühl, (Fn. 11), § 7 Rn. 45 ff. Zur dezidierten Auseinandersetzung, auch und gerade mit der Position des Letztgenannten, sogleich im Text.

[13] Vgl. BGHSt 27, 336 (339) sowie BGH StV 1995, 463; aus der Literatur sei hier nur die zusammenfassende Darstellung bei Geilen, (Fn. 5), 206 erwähnt.

[14] Vgl. nur Roxin, (Fn. 11), § 15 Rn. 28.

[15] Kühl (Fn. 11), § 7 Rn. 45.

[16] Ebenda.

[17] Zum Diskussionsstand Geilen, (Fn. 5), 205; Kühl, (Fn. 11), § 7 Rn. 39 ff.

[18] Kühl, Jura 1993, S. 63.

[19] Kühl, (Fn. 18), S. 62 f.

[20] Der hier verwendete Topos der einheitlichen Handlungs- bzw. Verhaltensstruktur i.S.e. (individuellen) welt- und normativgebundenen Seinsweise hebt insofern und zunächst (nur) auf die im Grunde schon von Welzel zur Geltung gebrachte Überzeugung ab, dass (strafrechtlich relevante) Handlungen bzw. Handlungskonflikte ([Interessens-]Kollisionen) jedenfalls nicht auf dem Hintergrund hypostasierender Erklärungsparadigmata begriffen werden können. Es gehe - in Welzels Worten - gerade nicht um eine aufzuweisende Museumswelt, und demzufolge seien die Rechtsgüter auch keine Museumsstücke. "Die Meinung", so Welzel weiter, "daß das Verbrechen Rechtsgutsverletzung ist, geht von der Vorstellung aus, daß der ursprüngliche Zustand der Rechtsgüter der der Verletzungslosigkeit, der Freiheit und Sicherheit vor Verletzungen sei; erst das Verbrechen trägt an das Rechtsgut die Verletzung heran." Die soziale Wirklichkeit des Rechts, so betont Welzel schließlich, sei aber ganz anders zu verstehen. "In Wirklichkeit gibt es Rechtsgüter nur, wenn und soweit sie in "Funktion" sind, d.h. soweit sie im sozialen Leben wirkend und Wirkungen empfangend darin stehen. [...] Der Sinn des Rechts besteht nicht darin, daß es von unverletzt gedachten Rechtsgütern alle verletzenden Einwirkungen abwehrt, sondern daß es von den unzähligen Funktionen, in denen das Rechtsgut wirkend und leidend darinsteht, die für ein sittlich-geordnetes Gemeinschaftsdasein Unverträglichen auswählt und verbietet. [...] Rechtsgüterschutz gibt es nur im Hinblick auf bestimmt geartete Rechtsgüterbeeinträchtigungen! Daher ist Rechtsgüterschutz nur unter Hinzunahme einer bestimmt gearteten Beeinträchtigung rechtlich denkbar." (Herv. d. Verf.). Studien zum System des Strafrechts, Abhandlungen zum Strafrecht und zur Rechtsphilosophie, S. 140 f. (abgedruckt bereits in ZStW 58 (1939), S. 491 ff.). - Diesbezüglich heute in ähnliche Richtung argumentierend Köhler, (Fn. 11), S. 22 ff. sowie Schild, AK-StGB, vor § 13 Rn. 73 ff. (insbes. 89 ff.); ders., in: GK-Wollschläger, 2000, S. 41 ff.

[21] Vgl. nur LK-Hirsch, 11. Aufl. 1994, § 34 Rn. 35; Lackner/ Kühl, 24. Auflage 2001, § 34 Rn 2; NK-Neumann, 4. Lfg. (10.01.1997), § 34 Rn. 52; Schönke/ Schröder/ Lenckner/ Perron, (Fn. 5), § 34 Rn 16 m. w. N. Zum Verhältnis von Angriffs- und Gefahrbegriff vgl. auch Ludwig, (Fn. 11), S. 82 ff.

[22] Von der Argumentationslogik, d.h. vom begriffsbestimmten Ausgangspunkt wohl ähnlich Klesczewski, in: FS-E. A Wolff 1998, S. 225 (236 ff.).

[23] Grundlegend dazu schon Kant, Metaphysik der Sitten, in: Werke (herausgg. v. Weischedel, 11. Aufl. 1997), Bd. 8, S. 326 ff.; ders., Kritik der praktischen Vernunft (Die Kritiken - herausgg. v. Weischedel, 3. Aufl. 1997), S. 138 ff. sowie Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (herausgg. v. Hoffmeister 4. Aufl. 1955), § 29; für die aktuelle ([rechts-]philosophische) Diskussion sei verwiesen auf Gerhardt, Selbstbestimmung. Das Prinzip der Individualität, S. 231 ff., 273 ff. und 311 ff. Im Kontext der Entwicklung vornehmlich strafrechtlicher bzw. strafrechtsdogmatischer Begründungszusammenhänge vgl. v. a. E. A. Wolff, Kausalität von Tun und Unterlassen 1965, S. 57 ff.; außerdem Kahlo, Das Problem des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs bei den unechten Unterlassungsdelikten 1990, S. 269 (296 ff.); ders., Unterlassung als Kriminaldelikt 2001, S. 197 ff. sowie Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat 1989, S. 142 ff. und passim.

[24] Zur damit angesprochenen diffizilen, wenngleich notwendigen Unterscheidung von moralischen und rechtlichen Teilpraxen und deren Bedeutung im Rahmen der Analyse von Verhaltenskonflikten vgl. Höffe, Vernunft und Recht, S. 19 ff. und passim; ders., Kategorische Rechtsprinzipien, S. 136 ff.

[25] Zum Verhältnis von Rechtsstatus und Rechtspersönlichkeit siehe die Überlegungen bei Köhler, (Fn. 11), S. 9 ff. und (im Anschluß an Hegel), Schild, in: Anerkennung 2000, S. 37 (39 ff.).

[26] Zur Problematik des damit zugleich angesprochenen (Rechts-)Begriffs der Anerkennung vgl. nur Habermas, Die Einbeziehung des Anderen 1996; Honneth, Kampf um Anerkennung 1992; Siep, Anerkennung als Prinzip praktischer Philosophie 1979 sowie - und vor allem vom Standpunkt des Rechts argumentierend - Köhler, in: Anerkennung 2000, S. 91 ff. - Gegen eine Rechtsbegründung auf der Grundlage systematisch begriffener Anerkennungsstrukturen (was dann folglich auch für das Notwehrrecht gelten müßte) Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft 1997, S. 35 ff.; ders., ZStW 107 (1995), S. 843 ff. - Auf die der Auseinandersetzung um die Bedeutung des Begriffs der Anerkennung für die (Straf-)Rechtsbegründung zugrunde liegende Polarität der Positionen, Teilnehmerperspektive einerseits (Köhler, E. A. Wolff), Beobachterperspektive andererseits (Jakobs, Lesch, Pawlik) kann vorliegend nicht weiter eingegangen werden. Dazu aber Schild, Krit. Jb. d. Phil. Beiheft 1 1998, S. 81 ff.

[27] Die Umsetzung der Entscheidung, nämlich der Entscheidung, einen anderen in seiner (geschützten) Rechtsposition zu verletzten, ist deshalb immer auch Ausdruck des Aufkündigens objektstufiger Anerkennungsstrukturen, eine Akt der Oktroyierung partikularer Willkür.

[28] Vgl. hierzu ähnlich Köhler (Fn. 11), S. 271 ("Rechtsbehauptung"); damit soll an dieser Stelle nur zum Ausdruck gebracht werden, dass die Ausbildung und Struktur von Normativität grundsätzlich empraktisch gedacht und verstanden werden muss; m.a.W.: unrechtliche (oder wie für die "Notwehrlage" formuliert: rechtswidrige) Handlungen werden dadurch und insoweit identifiziert (bzw. juristisch re-konstruiert respektive formalisiert), als man sie im Kontext einer durch den Menschen mitgenerierten und mitgarantierten Rechtspraxis begreift. - Die Konstruktion bzw. das In-Anschlag-bringen irgendwelcher (formaler) Deutungsmuster kann - schon aufgrund ihrer formalen Struktur - jedenfalls keine tragfähige (hinreichende) Begründung bilden, vgl. nur Schild, GA 1995, S. 105 ff.

[29] Vgl. nur Roxin, (Fn. 11), § 15 I Rn. 1 ff. m.w.N.

[30] Zur aktuellen Diskussion und Auseinandersetzung um eine überzeugende Notwehrbegründung vgl. vor allem die Beiträge von Kargl, ZStW 110 (1998), S. 38; Klesczewski, (Fn. 22), S. 230 ff.; Kühl, (Fn. 11), § 7 Rn. 6 ff.; Pawlik, (Fn. 11), S. 259 ff.; Renzikowski, Notstand und Notwehr, S. 76 ff.; Roxin, ZStW 93 (1981), S. 77; Seelmann, ZStW 89 (1977), S. 45 sowie Wagner, Individualistische oder überindividualistische Notwehrbegründung 1984. - Insbesondere Pawlik hat in seinem eben genannten Aufsatz - und das scheint wohl der wesentliche Verdienst desselben zu sein - darauf hingewiesen, dass die Debatte um die Begründung des Notwehrrechts, wenn sie denn in Zukunft fruchtbringend(er) sein soll, die starren Strukturen der jeweiligen Erklärungsmuster verlassen und - nicht zuletzt in Anlehnung an bzw. im Ausgang von Kant und Hegel - neue, die herkömmliche Unterscheidung unterlaufende, Begründungswege suchen muss. S. 265 ff., 282 ff., 289 ff. und passim.

[31] Vgl. auch Köhler (Fn. 11), S. 266 ff. und passim; in ähnlicher Weise schon fixiert und thematisiert bei Schmidhäuser, in: FS-Honig, S. 185 (195).

[32] "Objektstufig vermittelt" meint also die Welt- und Handlungsgebundenheit der Entscheidung des Angreifers, hier bezogen auf den Angegriffenen.

[33] Der damit offensichtlich angesprochene Topos der Interpersonalität - so könnte man einwenden - ist jedoch kein originäres Strukturmerkmal der Notwehrkonstellation, sondern lässt sich doch wohl auch in dem von § 34 StGB umschriebenen Handlungs- bzw. Verhaltenskonflikt aufweisen. In der Tat wird man dies - ohne dass hier jedoch vertieft darauf eingegangen werden kann - zu bejahen haben (es folgt im Grunde schon aus der Struktur der Rechtspraxis als Lebensform).

Der entscheidende, d.h. der qualitative Unterschied liegt jedoch gerade in der besonderen Erfassung von Rechtspersonalität als Interpersonalität in § 32 StGB begründet. - Während die Beeinträchtigung der Rechtspersonalität im Rahmen des § 34 StGB vornehmlich unter dem Gesichtspunkt zentrifugaler oder doch jedenfalls güterschutzvermittelter Verlaufsstrukturen gesehen werden muß, ist der Aspekt der Rechtspersonalität bei § 32 StGB gerade ausdrücklicher Gegenstand rechtsnegierender, also absolut zweckvermittelter Intentionalität.

[34] Mit dem Abheben auf diese "explizite Kundgabe" ist letztlich nichts anderes gemeint als die in Fn. 33 bereits angesprochene Überzeugung, dass die Person des Angegriffenen im Kontext der Notwehrsituation Gegenstand rechtsnegierender und insoweit absolut zweckvermittelter Intentionalität ist.

[35] Insofern unterscheidet sich die vorliegende Überzeugung auch von einer Auffassung, die das Angriffsverhalten schon begrifflich als "final-aggressives Vorgehen" verstehen will, so aber Bertuleit, JA 1989, 21. - Entscheidend ist, und insofern ist die vorgelegte Typisierung auch in der Sache angemessener, dass damit auch fahrlässige bzw. leichtsinnige Bedrohungen erfasst werden können, denn Rechtsgutsbezogenheit i.S. der im Text angesprochenen Intentionalität wie die im Kontext einer bestimmten (rechtsgutsverletzenden) Handlungsstruktur zum Vorschein kommende normative Intensität sind ohne Zweifel auch originäre Merkmale sorgfaltswidrigen Handelns. Zu dieser Problematik vgl. auch Kühl, (Fn. 11), § 7 Rn. 28 und Roxin (Fn. 11), § 15 Rn. 10.

[36] Die herrschende Notwehrdogmatik "denkt" nicht zuletzt die Notwehrlage ausschließlich bzw. vornehmlich vom merkmalsgrundierten und insoweit "definitionsgestuften" Prüfungsschema aus; weshalb es auch nicht verwundert, dass die begriffliche Bedeutung der Topoi "Angriff", "gegenwärtig" und "rechtswidrig" im Grunde gar keine Rolle mehr spielt. Nicht zu übersehen bei Wessels/ Beulke (Fn. 12), § 8 Rn. 325 ff. Zur Spezifik der Differenz von Merkmal und Begriff vgl. Schild, Die "Merkmale" der Straftat und ihres Begriffs 1979.

[37] So die inzwischen fast einhellige Definition in Rechtsprechung und Literatur, vgl. BGH NJW 1973, 255; Otto, Jura 1999, 552, Wessels/ Beulke, (Fn. 12), § 8 Rn. 328. - Auf die Problematik einer Notwehrrechte auslösenden Bedrohung durch Unterlassen kann vorliegend nicht vertieft eingegangen werden. Nur so viel: Auch in dieser Konstellation kommt die Annahme eines Angriffs dann aber eben auch nur dann in Betracht, wenn sie die im Text entwickelte (Handlungs-)Qualität erreicht. Zum Diskussionsstand Kühl, (Fn. 11), § 7 Rn. 29 bzw. Roxin, (Fn. 11), § 15 Rn. 11.

[38] So in Jura 1993, S. 62 f.

[39] Dass die Abgrenzung des "gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs" von der "gegenwärtigen (nicht anders abwendbaren) Gefahr" gleichwohl schwierig sein kann zeigt die Erörterung bei Kühl, (Fn. 11), § 7 Rn. 35 m.w.N.

[40] Das wird zutreffenderweise sowohl in Rechtsprechung wie in der Literatur einhellig unterstellt.

[41] Eine "besondere Form sich fortrealisiernder Beeinträchtigung" insoweit, als die allgemeine Typisierung einer Rechtsverletzung als fortrealisierende Beeinträchtigung grundsätzlich auch auf Formen der Zustandsdelikte zutrifft; was man unschwer an dem hier in Rede stehenden Fall erkennen kann. Denn mit Verlust des unmittelbaren Besitzes an dem Obst und der sich daran anschließenden Flucht der Diebe realisiert sich selbstredend die konkrete Beeinträchtigung (zunächst) fort. Um so mehr ist dies der Fall, wenn - anders als in RGSt 55, 82 - die Flucht darüber hinaus auch glückt, vgl. dazu auch noch im Text. - Zur Dauerdeliktsspezifik vgl. Köhler, (Fn. 11), S. 128, 535, 688; zur dogmatischen Angriffsbestimmung auf dem Hintergrund dieser Deliktsform siehe nur Kühl (Fn. 11), § 7 Rn. 45 sowie LK-Spendel, § 32 Rn. 115.

[42] Zwar kann man auch bezüglich der Erfolgsdelikte darauf verweisen, dass bei diesen Rechtsgut und Rechtsgutsträger nicht (immer) objektstufig distanziert gedacht werden können; der Unterschied liegt freilich gerade in der bei diesem Deliktstypus überhaupt möglichen (und insofern mitzudenkenden) Verletzungsstruktur als Unrechtsstruktur. - Zu Besonderheiten in diesem Bereich vgl. Roxin, (Fn. 11), § 10 Rn. 105; dort insbesondere zum dogmatisch nicht immer einfach zu erfassenden Verhältnis von Dauerdelikt, Tätigkeitsdelikt und Erfolgsdelikt.

[43] Es kann insofern gerade nicht (abstrakt) um einen fortdauernden "deliktischen Willen" gehen, wie aber offensichtlich Roxin (Fn. 11), § 10 Rn 105, zu glauben scheint. - Abgesehen davon, dass nicht wirklich deutlich wird, wie man sich einen solchen fortdauernden "deliktischen Willen" rechtspraktisch, also "handlungsvollzugsspezifisch" vorzustellen hat, wird mit einem solchen Topos das Problem eher verschleiert als offen gelegt. Denn der doch wohl zentrale Aspekt bei der Bewertung einer solchen Tatperspektive, einer solchen Deliktsstruktur ist nicht derjenige einer mehr oder weniger unterstellen "Willensperpetuierung", sondern (auch hier) derjenige einer "Rechtsanmaßung" i. S. einer auf partikularen (unrechtlichen) Interessen beruhenden (Fehl- bzw. Unrechts-)Entscheidung des Täters.