HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Aug./Sept. 2025
26. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


Entscheidung

875. BGH 1 StR 457/24 – Urteil vom 30. April 2025 (LG Stuttgart)

Tatrichterliche Beweiswürdigung (erforderliche Darstellung im Urteil: Sachverständigengutachten, Einlassung des Angeklagten); Totschlag (Tötungsvorsatz: Gefährlichkeit der vorgenommenen Handlungen als Indiz).

§ 261 StPO; § 212 StGB; § 16 StGB

1. Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters setzt objektive Grundlagen voraus, welche aus rationalen Gründen den – der revisionsgerichtlichen Überprüfung zugänglichen – Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung daher, wenn die vom Tatrichter gezogenen Schlussfolgerungen sich so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie nur noch einen Verdacht zu begründen vermögen. Dabei gehören von gesicherten Tatsachenfeststellungen ausgehende statistische Wahrscheinlichkeitsrechnungen zu den Mitteln der logischen Schlussfolgerung, welche dem Tatrichter grundsätzlich ebenso offenstehen wie andere mathematische Methoden (vgl. BGHSt 36, 320, 325).

2. Die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ist ein wesentlicher Indikator für einen bedingten Vorsatz. Darüber hinaus bedarf es jedoch einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls, in welche neben der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung auch die vom Täter gewählte konkrete Angriffsweise, seine Persönlichkeit, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind (st. Rspr.).


Entscheidung

877. BGH 2 StR 24/25 – Beschluss vom 4. Juni 2025 (LG Erfurt)

Bandenmäßige Einfuhr von Cannabis (Versuch: unmittelbares Ansetzen, Einfuhr in einem Kraftfahrzeug erst kurz vor Erreichen der Hoheitsgrenze oder Zoll- oder Kontrollstelle); Verabredung zur bandenmäßigen Einfuhr von Cannabis; Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis; Selbstleseverfahren (Unterlassen der Bescheidung eines Widerspruchs: Beruhen, gleichwertige Alternative zur Urkundenverlesung); Strengbeweisverfahren (Verwertung eines möglicherweise nicht im Strengbeweisverfahren eingeführten Durchsuchungsbeschlusses: Rekonstruktionsverbot); Verfahrensrüge (Beweisverwertungsverbot: Anforderungen an den Tatsachenvortrag, Klarheit der Angriffsrichtung, SkyECC-Daten, unvollständiger und irreführender Vortrag); Strafzumessung (Berücksichtigung der Einziehung von Tatmitteln; Umfang der Urteilsaufhebung).

§ 22 StGB; § 30 Abs. 2 StGB; § 46 StGB; § 74 Abs. 1 StGB; § 74c Abs. 1 StGB; § 34 KCanG; § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 337 Abs. 1 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO

1. Der Versuch der Einfuhr von Betäubungsmitteln oder von Cannabis beginnt frühestens mit Handlungen, die in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen sollen oder die in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen und das geschützte Rechtsgut unmittelbar gefährden. Das unmittelbare Ansetzen unterscheidet sich dabei von Fall zu Fall einerseits nach der Art des Transportmittels und andererseits danach, ob der Täter eigenhändig oder mittels eines anderen handelt. Der Versuch der Einfuhr von Betäubungsmitteln in einem Kraftfahrzeug beginnt regelmäßig erst kurz vor Erreichen der Hoheitsgrenze oder der vor ihr eingerichteten Zoll- oder Kontrollstelle.

2. Auf dem Unterlassen der Bescheidung eines Widerspruchs gegen das Selbstleseverfahren kann ein Urteil regelmäßig nicht beruhen, weil dieses Verfahren eine gleichwertige Alternative zum Verlesen einer Urkunde ist. Anderes kann lediglich dann gelten, wenn sich gerade die besondere Form der Urkundeneinführung auswirkt und dieses Defizit auch nicht kompensiert worden ist.


Entscheidung

936. BGH 4 StR 182/25 – Beschluss vom 3. Juni 2025 (LG Detmold)

Versuch (unmittelbares Ansetzen: nach Tätervorstellung nicht beeinflussbarer Zwischenschritt, schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, Abhängigkeit der Tatbegehung von der Bereitschaft des Kindes); Vorbereitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern (Konkurrenzen: sexueller Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt, Tateinheit).

§ 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB; § 176 Abs. 1 StGB; § 176b Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 176c Abs. 1 Nr. 2 lit. a StGB

1. Nach § 22 StGB versucht eine Straftat, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt. Noch nicht tatbestandsmäßige Handlungen erfüllen diese Voraussetzung nur, wenn sie nach dem Tatplan der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals so dicht vorgelagert sind, dass das Geschehen bei ungestörtem Fortgang ohne weitere Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung einmündet.

2. Wirkt der Täter durch Vorzeigen eines pornographischen Inhalts auf das geschädigte Kind ein, um es zu sexuellen Handlungen zu bewegen, steht die selbständig unter Strafe gestellte Vorbereitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176b Abs. 1 Nr. 1 StGB) zum sexuellen Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt (§ 176a Abs. 1 Nr. 3 StGB) im Verhältnis der Tateinheit. Dem Einwirken auf ein Kind mit einem pornographischen Inhalt einerseits und dem Einwirken auf ein Kind, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen, andererseits kommt jeweils ein eigenständiger Unrechtsgehalt zu.


Entscheidung

939. BGH 4 StR 461/24 – Beschluss vom 23. April 2025 (LG Aurich)

Konkurrenzen (rechtliche Handlungseinheit: Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, Zäsur durch fehlgeschlagenen Versuch); Fehlschlag (Rücktrittshorizont; Abweichen vom Tatplan; Darstellungsanforderungen: Beweiswürdigung).

§ 22 StGB; § 24 StGB; § 52 Abs. 1 StGB; § 53 Abs. 1 StGB; § 308 Abs. 1 StGB; § 261 StPO; § 267 Abs. 1 StPO

1. Bei einem mehraktigen Tatgeschehen liegt gleichwohl nur eine Tat im Rechtssinne vor, wenn zwischen gleichgelagerten, strafrechtlich erheblichen Betätigungen ein derart unmittelbarer Zusammenhang besteht, dass sich das gesamte Handeln des Täters objektiv auch für einen Dritten als ein einheitlich zusammengehöriges Tun darstellt, und die einzelnen Handlungen durch ein subjektives Element miteinander verbunden sind. Ein zeitlicher Abstand zwischen den Einzelakten steht der Annahme einer Tat im Rechtssinn dann entgegen, wenn dieser erheblich ist und einen augenfälligen Einschnitt bewirkt. Eine Handlungseinheit endet spätestens mit dem Fehlschlag eines Versuchs, von dem der Täter nicht mehr strafbefreiend zurücktreten kann.

2. Ein Fehlschlag, der einem strafbefreienden Rücktritt vom Versuch entgegensteht, ist gegeben, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt, oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an, den sog. Rücktrittshorizont. Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte, liegt ein Fehlschlag vor. Hingegen liegt ein Fehlschlag nicht bereits darin, dass der Täter die Vorstellung hat, er müsse von seinem Tatplan abweichen, um den Erfolg herbeizuführen. Lässt sich den Urteilsfeststellungen das Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsgerichtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

3. Beim Versuch der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und Sachbeschädigung muss der Umstand, dass eine weitere Sprengvorrichtung nicht unmittelbar am Tatort vorhanden ist, nicht für sich genommen zur Annahme eines Fehlschlag führen. Kann der Täter sogleich einen Ersatz beschaffen und mühelos auf eine zweite Sprengvorrichtung zurückgreifen, sind weitere Feststellungen erforderlich.


Entscheidung

918. BGH 2 StR 598/24 – Urteil vom 26. März 2025 (LG Aachen)

Rücktritt (versuchter Raub; Fehlschlag: Abgrenzung zum unbeendeten Versuch, Flucht nach Verlust einer Waffe); Mord (Verdeckungsabsicht: andere Tat, durchgängiger Tötungsvorsatz, Hinzutreten von Verdeckungsabsicht); Beweiswürdigung (Tötungsvorsatz; Bewertung einer Einlassung des Angeklagten: Auswirkung der Einstufung als Schutzbehauptung auf die Würdigung der übrigen Einlassung).

§ 15 StGB; § 22 StGB; § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 211 Abs. 2 Var. 9 StGB; § 249 StGB; § 250 StGB; § 251 StGB; § 261 StPO

1. Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte, liegt ein Fehlschlag vor und scheidet ein Rücktritt vom Versuch nach allen Varianten des § 24 Abs. 1 oder 2 StGB aus.

2. Allein das Hinzutreten der Verdeckungsabsicht als weiteres Tötungsmotiv macht die davor begangenen

Einzelakte bei durchgängigem Tötungsvorsatz nicht zu einer anderen Tat.

3. An die Bewertung der Einlassung eines Angeklagten sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel. Das Tatgericht ist aufgrund des Zweifelssatzes nicht gehalten, Bekundungen des Angeklagten, für deren Richtigkeit es keine zureichenden Anhaltspunkte gibt, ohne Weiteres als unwiderlegt hinzunehmen, nur weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt. Vielmehr hat es sich aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme eine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit solcher Angaben zu bilden. Dies gilt umso mehr, wenn objektive Beweisanzeichen festgestellt sind, die mit Gewicht gegen den Wahrheitsgehalt der Einlassung des Angeklagten sprechen. Wertet das Tatgericht Teile der Angaben als unzutreffende Schutzbehauptungen, sind die weiteren Teile als möglicherweise ebenfalls wahrheitswidriges Verteidigungsvorbringen besonders kritisch zu betrachten.

4. Der Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB) ist ein erfolgsqualifiziertes Delikt, das auch versucht werden kann, indem der Einsatz der im Sinne des § 249 StGB tatbestandsmäßigen Gewalt eine zugleich (bedingt) vorsätzlich vorgenommene Tötungshandlung ist, die aber den qualifizierten Erfolg nicht herbeiführt (sog. versuchte Erfolgsqualifizierung).


Entscheidung

1009. BGH 5 StR 744/24 – Urteil vom 7. Mai 2025 (LG Hamburg)

Rücktritt vom Versuch (Fehlschlag; unbeendeter und beendeter Versuch; Freiwilligkeit; Rücktrittshorizont).

§ 24 Abs. 1 StGB

1. Maßgeblich für die Frage eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 StGB ist das Vorstellungsbild des Täters im Zeitpunkt unmittelbar nach Abschluss der letzten tatbestandlichen Ausführungshandlung, der sogenannte Rücktrittshorizont. Ein Rücktritt vom Versuch scheidet von vornherein aus, wenn der tatbestandsmäßige Erfolg nach dem Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr herbeigeführt werden kann und der Täter dies erkennt oder subjektiv eine Herbeiführung des Erfolgs nicht mehr für möglich hält; dann liegt ein sogenannter Fehlschlag vor. Erst wenn ein Fehlschlag ausscheidet, kommt es nach § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB auf die Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch und bei letzterem auf die Frage der Freiwilligkeit der Aufgabe im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB an.

2. Freiwilligkeit im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB bedeutet, dass der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und er die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich hält, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert, noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen. Auch insoweit ist allein die subjektive Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung maßgeblich.

3. Die Tatsache, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt oder der Täter erst nach dem Einwirken eines Dritten von der weiteren Tatausführung Abstand nimmt, stellt für sich genommen die Freiwilligkeit eines Rücktritts nicht in Frage. Maßgebend ist, ob der Täter noch „aus freien Stücken“ handelt oder aber Umstände vorliegen, die zu einer die Tatausführung hindernden äußeren Zwangslage führen oder eine innere Unfähigkeit zur Tatvollendung auslösen. Erst wenn durch von außen kommende Ereignisse aus Sicht des Täters ein Hindernis geschaffen worden ist, das der Tatvollendung zwingend entgegensteht, ist er nicht mehr Herr seiner Entschlüsse und der Rücktritt als unfreiwillig anzusehen.


Entscheidung

938. BGH 4 StR 261/24 – Urteil vom 22. Mai 2025 (LG Chemnitz)

Konkurrenzen (Sachbeschädigung: Steinwurf von Autobahnbrücke, Tateinheit bei mehreren Geschädigten, kein höchstpersönliches Rechtsgut; Beruhen); Täter-Opfer-Ausgleich und Schadenswiedergutmachung (mehrere Geschädigte; friedensstiftender Ausgleich: Feststellungsbedarf bezüglich subjektiver Bewertung durch die Geschädigten, objektive Prüfung); Einziehung von Tatmitteln (Erörterungsmangel: Wert des Einziehungsgegenstandes, Berücksichtigung in der Strafzumessung; Ermessensausübung, Ermessensreduzierung auf Null).

§ 46a StGB; § 52 Abs. 1 StGB; § 74 Abs. 1 StGB; § 303 Abs. 1 StGB; § 267 Abs. 3 StPO; § 337 Abs. 1 StPO

1. § 52 Abs. 1 StGB erfasst zwar den Fall, dass dasselbe Strafgesetz durch eine Handlung mehrmals verletzt wird (sog. gleichartige Idealkonkurrenz). Ob eine mehrere taugliche Tatobjekte beeinträchtigende Handlung dann aber zu einer mehrmaligen oder lediglich zu einer in ihrem Gewicht gesteigerten einmaligen Gesetzesverletzung führt, hängt von dem in Rede stehenden Tatbestand ab. Stellt dieser auf die Verletzung von Gesamtheiten ab und werden keine höchstpersönlichen Rechtsgüter geschützt, so führt eine handlungseinheitliche Beeinträchtigung mehrerer Tatobjekte selbst dann nicht zu einer mehrfachen Verwirklichung des Tatbestandes, wenn verschiedene Rechtsgutträger geschädigt worden sind.

2. Voraussetzung für eine Strafrahmenverschiebung nach § 46a StGB ist in Fällen, in denen durch eine Straftat Rechtsgüter mehrerer Personen verletzt sind, dass hinsichtlich jedes Geschädigten zumindest eine Variante des § 46a StGB erfüllt ist. Es reicht nicht aus, dass ein Ausgleich nur in Bezug auf einzelne von mehreren Geschädigten gegeben ist.

3. Für die Annahme eines friedensstiftenden Ausgleichs i.S.v. § 46a StGB kommt es nicht allein auf die – selbst einvernehmliche – subjektive Bewertung von Tatopfer und Täter an. Erforderlich ist vielmehr vorrangig eine Prüfung, ob die konkret erfolgten oder angebotenen Leistungen des Täters nach einem objektivierenden Maßstab als so erheblich anzusehen sind, dass damit das Unrecht der Tat als ausgeglichen erachtet werden kann. Scheidet dies mit Blick auf die Schwere des Tatvorwurfs aus, bedarf es keiner weiteren Feststellungen, ob und inwieweit die Geschädigten eine schriftliche und mündliche Entschuldigung des Angeklagten einschließlich der Ankündigung einer Kompensationsbereitschaft als Ausgleich akzeptiert haben.


Entscheidung

995. BGH 5 StR 222/25 – Beschluss vom 15. Juli 2025 (LG Görlitz)

Schuldunfähigkeit (Persönlichkeitsstörung als schwere andere seelische Störung).

§ 20 StGB

Die von einem psychiatrischen Sachverständigen diagnostizierte Persönlichkeitsstörung kann die Annahme einer schweren anderen seelischen Störung (vgl. § 20 StGB) nur dann begründen, wenn sie Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen wie eine krankhafte seelische Störung. Der Täter muss aufgrund der Störung aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt haben.


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

942. BGH 4 StR 495/24 – Urteil vom 10. April 2025 (LG Bochum)

BGHSt; schwere Körperverletzung (Tätowierung im Gesicht; erhebliche Entstellung: anstößige Wortbotschaft, Möglichkeit zur Verdeckung der Entstellung; dauernde Entstellung: objektive Zurechnung, Nachtatverhalten des Opfers, Möglichkeit zur Beseitigung der Entstellung durch Lasertherapie, Ablehnung einer Behandlung aus finanziellen Gründen; Absicht); Körperverletzung (körperliche Misshandlung: Tätowierung); Konkurrenzen (gefährliche und schwere Körperverletzung: Tateinheit oder Konsumtion; Bedrohung mit einem gegen das Leben gerichteten Verbrechen und Nötigung: Tateinheit oder Konsumtion).

§ 52 Abs. 1 StGB; § 223 Abs. 1 StGB; § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB; § 226 Abs. 2 StGB; § 240 Abs. 1 StGB; § 241 Abs. 2 StGB

1. Zur dauerhaften und erheblichen Entstellung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB bei einer Gesichtstätowierung. (BGHSt)

2. Eine Tätowierung im Sinne eines Durchstechens der Haut bei gleichzeitiger Einbringung eines Farbmittels ist ein erheblicher invasiver Eingriff in die Körpersubstanz und stellt damit jedenfalls eine körperliche Misshandlung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB dar. (Bearbeiter)

3. Eine erhebliche Entstellung i.S.d. § 226 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB setzt voraus, dass die Tat zu einer Beeinträchtigung des Aussehens des Geschädigten führt, die sich als eine Verunstaltung der Gesamterscheinung des Verletzten darstellt, welche in ihren Auswirkungen dem Gewicht der geringsten Fälle des § 226 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB gleichkommt. Ob eine derartige Verunstaltung vorliegt, bemisst sich nach der Wahrnehmung der Verletzung des Geschädigten durch seine Umwelt, selbst wenn diese nur in bestimmten Lebenssituationen – etwa beim Baden oder Ausziehen der Kleidung – stattfindet. Danach können etwa auffällige Narben im Gesicht aufgrund ihres Hervortretens in allen Lebenslagen und der damit prägenden, das Opfer als Verletzten stigmatisierenden Wirkung als entstellend anzusehen sein. Bei der Beurteilung einer Entstellung ist die Beschaffenheit und Lage der Verletzung sowie die Beeinträchtigung des Geschädigten im Einzelfall zu berücksichtigen. Allein der Umstand, dass die Narbe oder Verletzung deutlich sichtbar ist, soll dabei für sich genommen noch nicht ausreichen, um eine Entstellung anzunehmen. (Bearbeiter)

4. Eine Tätowierung im Gesicht ist ebenso wie eine markante Narbe aufgrund der deutlichen, vom Hautbild abweichenden Färbung grundsätzlich geeignet, das Aussehen eines Menschen erheblich zu verändern. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Betroffene bislang im Gesicht nicht tätowiert war. (Bearbeiter)

5. Die Tätowierung eines Wortes im Gesicht ist jedenfalls dann entstellend, wenn dem Gesicht des Geschädigten dadurch ein Merkmal hinzugefügt wird, das ihm eine bis dahin nicht vorhandene Bestimmung gibt und ihn von dem bisherigen Zustand abweichend charakterisiert, und wenn die Wortbotschaft durch weite Teile der Bevölkerung als anstößig wahrgenommen und mit dessen Träger identifiziert wird. (Bearbeiter)

6. Die (tatsächlich wahrgenommene) Möglichkeit, eine Veränderung des Erscheinungsbildes – etwa mit den Haaren – zu verdecken, ändert jedenfalls dann nichts an der entstellenden Wirkung der Veränderung, wenn sie lediglich in solcher Weise verborgen wird, dass sie in besonderen Lebenssituationen doch wahrnehmbar wäre. (Bearbeiter)

7. Dauernd i.S.d. § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist eine Entstellung, wenn sie zu einer unbestimmt langwierigen Beeinträchtigung des Aussehens des Geschädigten führt. Es genügt, wenn die Behebung bzw. nachhaltige Verbesserung des ‒ länger währenden ‒ Krankheitszustandes nicht abgesehen werden kann. Dabei kommt es dem Täter zugute, wenn die zumindest teilweise Wiederherstellung konkret wahrscheinlich ist. Für die Beurteilung ist im Grundsatz der Zeitpunkt des Urteils maßgeblich. Eine Dauerhaftigkeit scheidet damit aus, wenn die schwere Folge im Urteilszeitpunkt beseitigt ist. Ebenso fehlt es an einer Dauerhaftigkeit, wenn eine Behandlung der Verletzung zu dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt des Urteils bereits begonnen hat und im Rahmen der zu diesem Zeitpunkt zu stellenden Prognose davon auszugehen ist, dass eine Beseitigung der schweren Folge in absehbarer Zeit erreicht sein wird. (Bearbeiter)

8. Die insoweit freie Entscheidung eines Geschädigten, sich keiner (kosmetischen) Operation, etwa einer Lasertherapie zur Entfernung einer Tätowierung, zu unterziehen, lässt die Dauerhaftigkeit der Entstellung nicht entfallen. Dem Täter sind die Folgen seiner Verletzungshandlung trotz dieser Möglichkeit – außer in extrem gelagerten Konstellationen, wie etwa der Böswilligkeit –, unabhängig von dem Kriterium der Zumutbarkeit, objektiv zurechenbar. Dies gilt auch in Fällen, in denen der Geschädigte die Behandlung nicht vornimmt, weil sie ihm finanziell nicht möglich ist bzw. nicht möglich erscheint. (Bearbeiter)

9. Absicht im Sinne des § 226 Abs. 2 StGB liegt vor, wenn es dem Täter auf die Tatfolge ankommt. (Bearbeiter)

10. Gesetzeseinheit in Form der Konsumtion ist nur dann anzunehmen, wenn der Unrechtsgehalt der fraglichen Handlung durch einen der anzuwendenden Straftatbestände bereits erschöpfend erfasst werden würde. (Bearbeiter)

11. Der Senat neigt– ebenso wie der 2. und 3. Strafsenat – dazu, Idealkonkurrenz zwischen einer vollendeten gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB und einer vollendeten schweren Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB anzunehmen. Es scheint zweifelhaft, ob beim Zurücktreten der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB im Wege der Konsumtion auch das spezifische Tatunrecht, das mit dem wissentlichen und willentlichen Einsatz der Waffe oder des gefährlichen Werkzeugs verbunden ist, angemessen zum Ausdruck kommt. (Bearbeiter)

12. Der Senat neigt – ebenso wie der 1., 5. und 6. Strafsenat – dazu, abweichend von der bis zum 2. April 2021 ergangenen Rechtsprechung Idealkonkurrenz zwischen einer Bedrohung und einer (vollendeten oder versuchten) Nötigung anzunehmen, wenn die Nötigungshandlung in der Bedrohung mit einem gegen das Leben gerichteten Verbrechen besteht. Angesichts der durch das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30. März 2021 (BGBl. I S. 441 i.V.m. S. 442) für die Bedrohung mit einem Verbrechen gemäß § 241 Abs. 2 StGB auf zwei Jahre erhöhten Strafrahmenobergrenze sowie der unterschiedlichen geschützten Rechtsgüter, nämlich der Freiheit der Willensentschließung und -betätigung bei § 240 StGB einerseits und des subjektiven Rechtsfriedens des Einzelnen bei § 241 StGB andererseits, erscheint die Annahme von Konsumtion zweifelhaft.


Entscheidung

931. BGH 4 StR 74/25 – Beschluss vom 22. Mai 2025 (LG Koblenz)

Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (besonders schwerer Fall: Kraftfahrzeug, Waffe, gefährliches Werkzeug, unbenannter besonders schwerer Fall); schwerer gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (verkehrsfeindlicher Inneneingriff; Unglücksfall: Sachschaden, Freirammen des Wegs auf der Flucht vor der Polizei).

§ 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB; § 114 Abs. 2 StGB; § 315 Abs. 3 Nr. 1 lit. a StGB; § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB

1. Ein Kraftfahrzeug kann nicht als Waffe im Sinne von § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Alt. 1 StGB (auch in Verbindung mit § 114 Abs. 2 StGB) angesehen werden.

2. Ein Kraftfahrzeug erfüllt auch nicht die Voraussetzungen eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne von § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB (auch in Verbindung mit § 114 Abs. 2 StGB). Dies gilt auch dann, wenn ein Kraftfahrzeug unter krasser Pervertierung seines Zwecks als Fortbewegungsmittel dazu missbraucht wird, Sachen zu zerstören oder Menschen zu verletzen.

3. Es kann in diesen Fällen naheliegen, die Verwendung des Kraftfahrzeugs rechtlich als unbenannten besonders schweren Fall im Sinne von § 113 Abs. 2 Satz 1 StGB bzw. § 114 Abs. 2, § 113 Abs. 2 Satz 1 StGB zu würdigen. Die hierfür gebotene Gesamtbetrachtung und die Würdigung der einzelnen Umstände ist – ebenso wie die Strafzumessung im engeren Sinne – in erster Linie Aufgabe des Tatrichters.

4. Der Qualifikationstatbestand des schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach § 315b Abs. 1 Nr. 3, 315 Abs. 3 Nr. 1 StGB setzt voraus, dass es dem Täter darauf ankommt, einen Unglücksfall dadurch herbeizuführen, dass sich die durch seine Tathandlung im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB verursachte konkrete verkehrsspezifische Gefahr verwirklicht. Hingegen muss seine Absicht nicht auf die Herbeiführung eines Personenschadens gerichtet sein, vielmehr reicht auch die Absicht aus, einen Sachschaden zu verursachen. Dies ist auch der Fall, wenn der Angeklagte beabsichtigt, seinen Weg durch absichtlich herbeigeführte Kollisionen mit fremden Fahrzeugen „freizurammen“. Verfolgt er hierbei mit seiner Flucht ein weiter gehendes Ziel, ist dies ohne Bedeutung.


Entscheidung

953. BGH 3 StR 40/25 – Beschluss vom 16. April 2025 (LG Krefeld)

Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten (unbefugte Weitergabe von Intimbildern an Dritte); Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen (gegen Anblick geschützter Intimbereich).

§ 184k Abs. 1 Nr. 3 StGB; § 201a Abs. 1 Nr. 5 StGB

1. Die Strafvorschrift der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten in § 201a Abs. 1 StGB pönalisiert auch Fallkonstellationen, in denen die Bildaufnahme befugt hergestellt wurde, sodann aber unbefugt verwendet wird, und sanktioniert somit den nachträglichen Vertrauensbruch. Dabei können auch Selbstaufnahmen des Opfers Gegenstand der unbefugten Weitergabe sein. Bei Nacktfotos in normaler Bildqualität ist zudem ohne Weiteres der höchstpersönliche Lebensbereich der gezeigten Person betroffen.

2. Die Vorschrift in § 184k Abs. 1 StGB stellt die Herstellung von Bildern nur dann unter Strafe, wenn die genannten Körperbereiche „gegen Anblick“ geschützt sind. Dieses Tatbestandsmerkmal umfasst in Abgrenzung zu § 201a Abs. 1 StGB allein die Verdeckung der abgebildeten intimen Körperteile durch Kleidung oder sonstige am Leib getragene Sichtbarrieren, nicht aber den Sichtschutz durch einen Raum.

3. Für eine tateinheitliche Verwirklichung von § 201a Abs. 1 StGB und § 184k Abs. 1 StGB bleibt nur Raum in Fällen,

in denen der Täter eine doppelte Sichtbarriere durch sowohl eine bauliche Vorrichtung als auch Kleidung überwindet, etwa beim „Upskirting“ in einer Wohnung oder Umkleidekabine.


Entscheidung

1044. BGH 6 StR 418/24 – Beschluss vom 5. Februar 2025 (LG Saarbrücken)

Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung (Qualifikation: Verwendung eines anderen gefährlichen Werkzeugs, Diazepamtropfen).

§ 177 Abs. 8 Nr. 1 Var. 2 StGB

Diazepamtropfen unterfallen nicht dem Begriff des gefährlichen Werkzeugs im Sinne des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Var. 2 StGB. Der 6. Strafsenat schließt sich insoweit der Rechtsauffassung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (HRRS 2024 Nr. 1612) an.


Entscheidung

952. BGH 3 StR 37/25 – Beschluss vom 25. Juni 2025 (LG Koblenz)

Computerbetrug (Täuschung über Identität und Zahlungswilligkeit; keine Täuschung über Zahlungsfähigkeit bei Fehlen einer automatisierten Bonitätsprüfung).

§ 263a StGB

Verwendet die Angeklagte bei Online-Bestellungen Personalien eines Dritten, ist es für die Strafbarkeit nach § 263a StGB unerheblich, dass keine automatisierte Bonitätsprüfung vorgenommen wurde, weil in diesem Fall eine Täuschung nicht nur über die Zahlungsfähigkeit, sondern auch über die Identität und die Zahlungswilligkeit gegeben ist. Soweit in der obergerichtlichen Rechtsprechung ein solch automatisierter Prüfvorgang im Rahmen des § 263a StGB als erforderlich angesehen wird (vgl. OLG Karlsruhe NJW 2009, 1287, 1288; OLG Hamm NJW 2024, 3307, 3308), betreffen diese Entscheidungen andere Lebenssachverhalte, die insbesondere durch ein Handeln im eigenen Namen gekennzeichnet waren. Daher kommt es nicht darauf an, ob dieser Rechtsansicht – was sich jedenfalls nicht von selbst versteht – beizutreten wäre.


Entscheidung

914. BGH 2 StR 493/24 – Beschluss vom 21. Mai 2025 (LG Meiningen)

Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern in kinderpornographischer Absicht (doppeltes Absichtserfordernis); Korrektur eines Schuldspruchs (Herstellen kinderpornographischer Schriften; Sichverschaffen kinderpornographischer Schriften: Konkurrenz zur Tatvariante des Besitzes).

§ 176a Abs. 3 StGB; § 184b StGB a.F.

Die Begehung der Missbrauchstat bloß in der Absicht, eine kinderpornographische Schrift bzw. einen kinderpornographischen Inhalt herzustellen, ohne sie anderen zugänglich zu machen, reicht für die Erfüllung des Qualifikationstatbestands des § 176a Abs. 3 StGB nicht aus. Es reicht auch nicht aus, wenn der Tatgegenstand ein reproduzierbarer Dateninhalt ist. Vielmehr muss der Täter anschließend eine Handlung im Sinne einer der (nunmehr) in § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 StGB strafbewehrten Verbreitungsvarianten intendieren (Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung).


Entscheidung

1043. BGH 6 StR 412/24 – Urteil vom 19. März 2025 (LG Saarbrücken)

Schwerer Raub (Beisichführen einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs: zur Verfügung stehen).

§ 249 Abs. 1 StGB; § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) StGB

Das Merkmal des Beisichführens im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) StGB setzt zwar nicht voraus, dass der Täter (oder ein anderer Beteiligter) die Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug in der Hand hält oder wenigstens am Körper trägt. Die Waffe oder das gefährliche Werkzeug muss ihm aber „zur Verfügung stehen“, das heißt bei einem mitgebrachten Gegenstand, dass dieser sich für den Täter in Griffweite befindet und er sich seiner jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand oder ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann.


Entscheidung

941. BGH 4 StR 477/24 – Urteil vom 8. Mai 2025 (LG Paderborn)

Besonders schwerer Raub (Verwenden des gefährlichen Werkzeugs bei der Tat: Drohen mit dem Werkzeug und spätere Wegnahme mit einfacher Gewalt, Versuchsbeginn, enger zeitlich-räumlicher Zusammenhang; Beweiswürdigung: Darstellungsanforderungen).

§ 22 StGB; § 249 Abs. 1 StGB; § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB; § 261 StPO; § 267 Abs. 1 StPO

1. § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verlangt, dass das gefährliche Werkzeug „bei der Tat“ verwendet wird. Erforderlich ist ein Einsatz der Waffe oder des gefährlichen Werkzeugs im Zeitraum zwischen Versuchsbeginn und Tatbeendigung. Ein Verwenden lediglich im Vorbereitungsstadium reicht zur Verwirklichung des Qualifikationstatbestands des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht aus. Der Versuch des besonders schweren Raubes beginnt, wenn der Täter im Sinne des § 22 StGB nach seiner Vorstellung von der Tat unmittelbar zur qualifizierten Nötigungshandlung ansetzt und dabei die Wegnahme unmittelbar nachfolgen soll.

2. Auch wenn die eigentliche Wegnahmehandlung (z.B. das Entreißen einer Tasche) letztendlich nur mit einfacher Gewalt ausgeführt wird, kann der Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs zu einer Drohung einen Schuldspruch wegen besonders schweren Raubes tragen, wenn eine einheitliche Wegnahmeabsicht vorliegt, die Wegnahme in engem zeitlich-räumlichen Zusammenhang zu der Drohung steht und der Geschädigte noch unter dem Einfluss der durch den Vorhalt des Werkzeugs zum Ausdruck gebrachten Bedrohung steht, diese also noch willensbeugend wirkt.

3. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Überzeugungsbildung grundsätzlich selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung nähergelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatgericht dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Lü-

ckenhaft wäre die Beweiswürdigung dabei nur dann, wenn sich nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängende Erörterungen unterbleiben; das Maß der gebotenen Darlegung hängt dabei von der jeweiligen Beweislage ab.


Entscheidung

987. BGH 5 StR 181/25 – Beschluss vom 3. Juni 2025 (LG Berlin I)

Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs beim besonders schweren Raub (Wahrnehmung des Nötigungsmittels durch das Opfer; Androhung; Zwangslage).

§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB

Das Tatbestandsmerkmal des Verwendens i.S.d. § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB umfasst jeden zweckgerichteten Gebrauch eines objektiv gefährlichen Tatmittels und bezieht sich auf den Einsatz des Nötigungsmittels zur Verwirklichung des Raubtatbestands. Das Verwenden setzt daher voraus, dass der Täter eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug gerade als Mittel entweder der Ausübung von Gewalt gegen eine Person oder der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gebraucht, um die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache zu ermöglichen. Im Fall der Drohung muss das Tatopfer das Nötigungsmittel und die Androhung seines Einsatzes wahrnehmen, anderenfalls wird es nicht in die von § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB vorausgesetzte qualifizierte Zwangslage versetzt und es fehlt an einem vollendeten Verwenden des Drohmittels.


Entscheidung

944. BGH 4 StR 576/24 – Urteil vom 22. Mai 2025 (LG Dortmund)

Heimtücke (Arg- und Wehrlosigkeit: Beweiswürdigung, offen feindseliger Angriff, kurze Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und unmittelbarem Angriff, Eindringen in eine Wohnung, Versuchsbeginn, aggressiv geführte Kommunikation zwischen Geschädigtem und Angeklagtem, kein wirksamer Widerstand; Ausnutzungsbewusstsein); Substantiierung einer Verfahrensrüge gegen die Ablehnung von Beweisanträgen (Wiedergabe der im Beweisantrag benannten Unterlagen: Bezugnahme auf an anderer Stelle der Revisionsbegründung wiedergegebene Unterlagen; fehlende Auseinandersetzung mit Umständen, die gegen das Revisionsvorbringen sprechen; Konkretisierung eines Beweisantrag: bloße Benennung eines Beweisziels, Händigkeit des Täters); Einziehung (Tatwaffe: fehlende Feststellung des Eigentums des Angeklagten, fehlende Ermessensausübung, Beruhen, Sicherungseinziehung, Ermessensreduzierung auf Null); Revisionsbeschränkung (Beschränkung auf den Schuldspruch ohne Feststellungen bei gleichzeitigem Vortrag gegen die Feststellungen: Heimtücke, Arglosigkeit, Wehrlosigkeit).

§ 22 StGB; § 74 StGB; § 74b Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 211 Abs. 2 Var. 5 StGB; § 244 Abs. 3 StPO; § 244 Abs. 4 StPO; § 244 Abs. 6 StPO; § 261 StPO; § 337 Abs. 1 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 42a Abs. 1 Nr. 2 WaffG; § 54 Abs. 2 WaffG

1. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs, also beim Eintritt der Tat in das Versuchsstadium, nicht mit einem gegen sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet.

2. Ohne Bedeutung ist dabei, ob das Opfer die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt. Das Opfer kann auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen.

3. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Diesem obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen; seine aufgrund der Hauptverhandlung gewonnene Überzeugung ist für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend. Die Schlussfolgerungen des Tatgerichts brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung nähergelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre. Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei oder verneint es – wie hier – die Verwirklichung eines bestimmten Straftatbestandes, weil es vorhandene Zweifel nicht zu überwinden vermochte, ist dies vom Revisionsgericht deshalb in aller Regel hinzunehmen. Das Revisionsgericht kann die tatrichterliche Beweiswürdigung nur auf Rechtsfehler hin überprüfen. Solche liegen in sachlich-rechtlicher Hinsicht vor, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht berücksichtigt worden sind, naheliegende Schlussfolgerungen nicht erörtert worden sind oder einzelne Beweisanzeichen nur isoliert bewertet worden sind und die gebotene umfassende und erschöpfende Gesamtwürdigung aller Beweisergebnisse unterblieben ist. Rechtsfehler bei der Beweiswürdigung liegen ferner vor, wenn die Beweiswürdigung in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Tatgericht überspannte Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt hat.

4. Ein Beweisantrag setzt die Behauptung einer bestimmten Beweistatsache voraus. Dies erfordert, dass der tatsächliche Vorgang oder der Zustand bezeichnet wird, der mit dem benannten Beweismittel unmittelbar belegt werden kann. Nicht ausreichend ist die Benennung eines Beweisziels, also der Folgerung, die das Gericht nach Auffassung des Antragstellers aus von ihm nicht näher umschriebenen tatsächlichen Vorgängen oder Zuständen ziehen soll. Ob der Antragsteller eine hinreichend konkrete Beweisbehauptung aufstellt, ist gegebenenfalls durch Auslegung zu ermitteln. Hierbei dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Dies gilt insbesondere für einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens; denn insoweit ist der Antragsteller vielfach nicht in der Lage, die seinem Beweisziel zugrundeliegenden Vorgänge oder Zustände exakt zu bezeichnen.

5. Zur Substantiierung einer Verfahrensrüge gegen die Ablehnung eines Beweisantrags genügt es nicht, wenn Unterlagen, die in dem Beweisantrag benannt wurden, an anderer Stelle der Revisionsbegründung wiedergegeben werden, sofern in dem Rügevortrag darauf nicht ausdrücklich Bezug genommen wird. Darauf kommt es jedoch nicht an,

wenn ein Teil der im Beweisantrag aufgezählten Beweismittel überhaupt nicht, also auch nicht in der Begründung einer der anderen Rügen, sicher identifizierbar vorliegt. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, anhand der Akte zu ermitteln, ob die in einem Beweisantrag (unter Angabe von Seitenzahlen) bezeichneten Dokumente identisch mit solchen sein könnten, die in der Revisionsbegründung zu anderen Rügen vorgelegt worden sind.


Entscheidung

866. BGH 1 StR 191/25 – Beschluss vom 23. Juni 2025 (LG München II)

Betrug (besonders schwerer Fall: Versicherungsbetrug, Absicht der Vortäuschung eines Versicherungsfalls bereits bei Brandstiftung erforderlich).

§ 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 StGB

Das Regelbeispiel des Versicherungsbetrugs setzt voraus, dass bereits bei Begehung der Brandstiftung die Absicht vorlag, später einen Versicherungsfall vorzutäuschen. Das bloße spätere Ausnutzen einer eigenen oder fremden Brandstiftung erfüllt das Regelbeispiel nicht.