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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 939

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 461/24, Beschluss v. 23.04.2025, HRRS 2025 Nr. 939


BGH 4 StR 461/24 - Beschluss vom 23. April 2025 (LG Aurich)

Konkurrenzen (rechtliche Handlungseinheit: Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, Zäsur durch fehlgeschlagenen Versuch); Fehlschlag (Rücktrittshorizont; Abweichen vom Tatplan; Darstellungsanforderungen: Beweiswürdigung).

§ 22 StGB; § 24 StGB; § 52 Abs. 1 StGB; § 53 Abs. 1 StGB; § 308 Abs. 1 StGB; § 261 StPO; § 267 Abs. 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Bei einem mehraktigen Tatgeschehen liegt gleichwohl nur eine Tat im Rechtssinne vor, wenn zwischen gleichgelagerten, strafrechtlich erheblichen Betätigungen ein derart unmittelbarer Zusammenhang besteht, dass sich das gesamte Handeln des Täters objektiv auch für einen Dritten als ein einheitlich zusammengehöriges Tun darstellt, und die einzelnen Handlungen durch ein subjektives Element miteinander verbunden sind. Ein zeitlicher Abstand zwischen den Einzelakten steht der Annahme einer Tat im Rechtssinn dann entgegen, wenn dieser erheblich ist und einen augenfälligen Einschnitt bewirkt. Eine Handlungseinheit endet spätestens mit dem Fehlschlag eines Versuchs, von dem der Täter nicht mehr strafbefreiend zurücktreten kann.

2. Ein Fehlschlag, der einem strafbefreienden Rücktritt vom Versuch entgegensteht, ist gegeben, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt, oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an, den sog. Rücktrittshorizont. Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte, liegt ein Fehlschlag vor. Hingegen liegt ein Fehlschlag nicht bereits darin, dass der Täter die Vorstellung hat, er müsse von seinem Tatplan abweichen, um den Erfolg herbeizuführen. Lässt sich den Urteilsfeststellungen das Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsgerichtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

3. Beim Versuch der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und Sachbeschädigung muss der Umstand, dass eine weitere Sprengvorrichtung nicht unmittelbar am Tatort vorhanden ist, nicht für sich genommen zur Annahme eines Fehlschlag führen. Kann der Täter sogleich einen Ersatz beschaffen und mühelos auf eine zweite Sprengvorrichtung zurückgreifen, sind weitere Feststellungen erforderlich.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 12. Juni 2024

a) mit den Feststellungen zum inneren Tatgeschehen aufgehoben, soweit dieser in den Fällen III. 7. und III. 8. der Urteilsgründe verurteilt worden ist, sowie

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „vorsätzlichen“ Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit Sachbeschädigung, versuchten Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit versuchter Sachbeschädigung, Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sowie vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr, unter Einbeziehung der Strafe aus einem Strafbefehl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und eine isolierte Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis verhängt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

1. Nach den Feststellungen zu den Taten III. 7. und III. 8. der Urteilsgründe begaben sich der Angeklagte und sein Mittäter einem zuvor gemeinschaftlich gefassten Tatplan gemäß am späten Abend des 14. Mai 2023 zu einem Anwesen in W., um eine Sprengstoffexplosion eines in der Nähe abgestellten hochpreisigen Pkw des Typs „BMW X6 M50d“ herbeizuführen. Halter des Fahrzeugs war ein Onkel des Angeklagten, der - nach Auffassung des Angeklagten - ihm noch Lohn aus einem beendeten Arbeitsverhältnis schuldete.

a) Gegen 23:12 Uhr (Tat Ziffer III. 7. der Urteilsgründe) übergab der Angeklagte seinem Mittäter eine „unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung“, die dieser um 23:12 Uhr auf dem Fahrzeug ablegte, bevor er die Zündschnur entzündete. Der Angeklagte sicherte die Tat hinter einer Hecke gegen Entdeckung ab. Die Explosion ging fehl, da sich die Sprengvorrichtung als defekt erwies und lediglich die Zündschnur abbrannte. Als der Angeklagte und sein Mittäter dies erkannten, entfernten sie sich vom Tatort, da sie keine weitere Sprengvorrichtung unmittelbar am Tatort zur Verfügung hatten, um ihr Vorhaben zu Ende zu führen, was beiden auch bewusst war.

b) Sodann fassten sie den weiteren gemeinschaftlichen Tatentschluss, den zuvor gefassten Tatplan mit einem anderen Sprengsatz zu vollenden, den sie jedoch zunächst organisieren mussten. Der Angeklagte entfernte sich vom gemeinsamen Treffpunkt unmittelbar in der Nähe des Grundstücks, um einen weiteren Sprengsatz zu beschaffen. Mit diesem begab sich sein Mittäter erneut zu dem genannten Anwesen, während der Angeklagte das Tatgeschehen wiederum hinter der Hecke absicherte. Gegen 23:31 Uhr legte sein Mittäter den Sprengsatz auf dem genannten Fahrzeug ab, entzündete die Zündschnur und entfernte sich rasch (Tat Ziffer III. 8. der Urteilsgründe). Die Sprengvorrichtung explodierte nach wenigen Sekunden und richtete an dem Fahrzeug einen wirtschaftlichen Totalschaden an. Der Wagen wurde durch mannigfaltige Deformationen, Abriss von Karosseriebauteilen und Glasbruch weitestgehend, insbesondere im Bereich der Motorhaube und der Windschutzscheibe, zerstört. Die Reparaturkosten beliefen sich auf 58.823,53 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer bei einem Wiederbeschaffungswert von 51.260,50 Euro. Auch das Wohnanwesen wurde - wie von beiden Tätern zumindest billigend in Kauf genommen - in Mitleidenschaft gezogen. Insoweit betrug die Schadenssumme 14.765,40 Euro.

2. Das Landgericht hat dieses Geschehen als versuchtes Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit versuchter Sachbeschädigung gemäß § 308 Abs. 1, § 303 Abs. 1, §§ 22, 23 Abs. 1, § 52 StGB (Tat III. 7. der Urteilsgründe) und als ein weiteres „vorsätzliches“ Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit Sachbeschädigung gemäß § 308 Abs. 1, § 303 Abs. 1, § 52 StGB (Tat III. 8. der Urteilsgründe) gewertet. Aufgrund der Fehlzündung der ersten Sprengvorrichtung sei für die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts kein Raum, weil ein Fehlschlag vorliege. Dies sei dann der Fall, wenn der Täter bei der letzten Ausführungshandlung davon ausgehe, den Taterfolg mit den bereits eingesetzten oder den zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr erreichen zu können, ohne dass eine ganz neue Handlung oder Kausalkette in Gang gesetzt werde. So liege der Fall hier, denn aufgrund der Fehlzündung und der Tatsache, dass der Angeklagte und sein Mittäter am Tatort keine weitere Sprengvorrichtung zur Verfügung gehabt hätten, sei es ihnen mit den vorhandenen Mitteln nicht mehr möglich gewesen, eine Explosion zu verursachen. Durch das Besorgen einer neuen Sprengvorrichtung sei eine neue Kausalkette in Gang gesetzt worden.

II.

1. Die konkurrenzrechtliche Beurteilung der Fälle III. 7. und III. 8. der Urteilsgründe als zwei tatmehrheitlich begangene Taten hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Bei einem mehraktigen Tatgeschehen liegt gleichwohl nur eine Tat im Rechtssinne vor, wenn zwischen gleichgelagerten, strafrechtlich erheblichen Betätigungen ein derart unmittelbarer Zusammenhang besteht, dass sich das gesamte Handeln des Täters objektiv auch für einen Dritten als ein einheitlich zusammengehöriges Tun darstellt, und die einzelnen Handlungen durch ein subjektives Element miteinander verbunden sind (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 2024 - 4 StR 253/23, NStZ-RR 2024, 142; Beschluss vom 6. Juli 2021 - 4 StR 100/21, NStZ-RR 2022, 46; Beschluss vom 24. Januar 2019 - 5 StR 480/18, NStZ 2020, 345 Rn. 5; Urteil vom 16. Mai 1990 - 2 StR 143/90, NStZ 1990, 490, 491). Ein zeitlicher Abstand zwischen den Einzelakten steht der Annahme einer Tat im Rechtssinn dann entgegen, wenn dieser erheblich ist und einen augenfälligen Einschnitt bewirkt (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 - 5 StR 480/18, NStZ 2020, 345 Rn. 5; Urteil vom 28. August 1984 - 1 StR 427/84, StV 1986, 293). Eine Handlungseinheit endet spätestens mit dem Fehlschlag eines Versuchs, von dem der Täter nicht mehr strafbefreiend zurücktreten kann (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 - 5 StR 480/18, NStZ 2020, 345 Rn. 5; Beschluss vom 8. Oktober 2008 ‒ 4 StR 233/08, NStZ 2009, 628).

Ein Fehlschlag, der einem strafbefreienden Rücktritt vom Versuch entgegensteht, ist gegeben, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt, oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an, den sog. Rücktrittshorizont (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 3. Januar 2024 - 5 StR 406/23 Rn. 22 mwN). Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte, liegt ein Fehlschlag vor (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2025 - 4 StR 523/24 Rn. 3 mwN). Hingegen liegt ein Fehlschlag nicht bereits darin, dass der Täter die Vorstellung hat, er müsse von seinem Tatplan abweichen, um den Erfolg herbeizuführen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2015 - 4 StR 92/15 Rn. 10). Lässt sich den Urteilsfeststellungen das Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsgerichtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2020 - 4 StR 587/19 Rn. 5).

b) Dies hat die Strafkammer nicht grundsätzlich verkannt. Ihre Annahme, im Fall III. 7. der Urteilsgründe liege ein fehlgeschlagener Versuch vor, vermag der Senat mangels tragfähig belegter Feststellungen zum Rücktrittshorizont aber nicht zu überprüfen. Denn die Beweiswürdigung erweist sich insoweit als unklar und lückenhaft.

aa) Ihre Überzeugung davon, dass der Angeklagte den Versuch der Explosionsherbeiführung und Sachbeschädigung für fehlgeschlagen hielt, stützt die Strafkammer maßgeblich darauf, dass es dem Angeklagten und seinem Mittäter nach der Fehlzündung des ersten Sprengsatzes mit den vorhandenen Mitteln am Tatort nicht möglich war, eine Explosion herbeizuführen, sondern hierfür eine neue Sprengvorrichtung zu besorgen und damit eine neue Kausalkette in Gang zu setzen war, um ihr Vorhaben zu Ende zu führen. Damit verkürzt die Strafkammer ihre Betrachtung auf den Umstand, dass eine weitere Sprengvorrichtung nicht unmittelbar am Tatort vorhanden war. Sie zieht nicht in Erwägung, ob die Umstände der sogleich eingeleiteten Ersatzbeschaffung darauf hindeuten könnten, dass dem Angeklagten nach dem Erkennen der Fehlzündung sehr wohl - gar aufgrund einer anfänglichen vorsorglichen Planung - vor Augen stand, mühelos auf eine zweite Sprengvorrichtung zurückgreifen zu können.

bb) Soweit die Strafkammer ihre Überlegungen zu einem fehlenden einheitlichen Willen ergänzend - in ihrer konkurrenzrechtlichen Beurteilung - auf zeitliche Gesichtspunkte stützt, verharrt dies auf der bloßen Betrachtung eines Zeitraums von ca. 20 Minuten zwischen der ersten und der zweiten Entzündung, der zusätzlich für die Annahme einer „Zäsur“ sprechen soll. Obwohl sich dies aufdrängte, werden hierbei nicht die von der Strafkammer als glaubhaft behandelten Angaben des Mittäters erörtert, wonach sich beide Täter nach der Fehlzündung zunächst wiederfanden, dann wieder trennten, der Mittäter wartete, während der Angeklagte einen neuen Sprengsatz holte, und dieser bereits nach fünf bis zehn Minuten mit einer neuen Sprengvorrichtung wiederkehrte, die er unter der Jacke trug. Soweit die Strafkammer die Glaubhaftigkeit der Angaben des Mittäters auf die ausgewerteten Funkzellendaten stützt, teilen die Urteilsgründe zudem lediglich allgemein gehalten mit, dass sich das Mobiltelefon des Angeklagten „am späteren Abend des 14.05.2023 und insbesondere zur Tatzeit“ in der Funkzelle befand, die den Tatort versorgt, ohne nähere Zeiträume zu erörtern, in denen eine Verbindung zu der Funkzelle bestand. Konkrete Feststellungen, die auf die Notwendigkeit einer weiträumigeren Beschaffung des zweiten Sprengsatzes hindeuten, lassen sich den Urteilsgründen damit auch ihrem Gesamtzusammenhang nach nicht entnehmen.

c) In dem in der Beschlussformel ersichtlichen Umfang war der Schuldspruch daher aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben und im neuen Rechtsgang ggf. ‒ widerspruchsfrei ‒ ergänzt werden. Der Wegfall der in den Fällen III. 7. und III. 8. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen zieht den Wegfall der Gesamtstrafe unter Beibehaltung der Feststellungen nach sich.

2. Eine Erstreckung der Aufhebung auf den nicht revidierenden Mitangeklagten S. kann unterbleiben, weil der Senat auszuschließen vermag, dass sich diese zu seinen Gunsten auswirken und zu einer noch milderen Jugendstrafe führen könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 1991 - 3 StR 112/91, juris Rn. 6; Schmitt in Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl., § 357 Rn. 16 mwN).

3. Im Übrigen hat die rechtliche Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 939

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede