HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2025
26. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


Entscheidung

443. BGH 4 StR 265/24 – Beschluss vom 29. Januar 2025 (LG Essen)

Mitwirkung an Selbsttötung ohne freiverantwortlichen Willensentschluss (Totschlag in mittelbarer Täterschaft; Freiverantwortlichkeit eines Suizidentschlusses: natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit, autonome Entscheidung, realitätsbezogene Abwägung, akute psychische Störung: paranoide Schizophrenie, depressive Episode, Einwilligungslösung, Exkulpationslösung; Täterschaft: Tatherrschaft, Suizidhilfe, Täterwille).

§ 17 StGB; § 20 StGB; § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB; § 212 StGB

1. Die aktive Mitwirkung an der Selbsttötung eines anderen kann als in mittelbarer Täterschaft begangene Tötung strafbar sein, wenn der Selbsttötungsentschluss nicht auf einem freiverantwortlichen Willensentschluss des Suizidenten beruht und der Täter in Kenntnis dessen die Tatherrschaft über das zum Tod führende Geschehen ausübt.

2. Ob ein Suizidentschluss als freiverantwortlich zu bewerten ist, hängt – ähnlich wie die im Rahmen des § 216 StGB zu beantwortende Frage der Ernstlichkeit des Tötungsverlangens – davon ab, ob der Suizident über die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügt und fähig ist, seine Entscheidung autonom und auf der Grundlage einer realitätsbezogenen Abwägung der für und gegen die Lebensbeendigung sprechenden Umstände zu treffen. Der Rechtsgutsinhaber, der sein Leben beenden will, muss in der Lage sein, Bedeutung und Tragweite dieses Entschlusses verstandesmäßig zu überblicken und eine abwägende Entscheidung zu treffen. Hieran kann es namentlich bei Vorliegen einer akuten psychischen Störung fehlen. Insoweit bedarf es der Feststellung konkreter, die Freiverantwortlichkeit ausschließender Umstände.

3. Das Fehlen der Freiverantwortlichkeit hat nicht zur Folge, dass jeglicher Beitrag eines freiverantwortlich handelnden Dritten an der Bildung oder Umsetzung des Suizidentschlusses ohne weiteres als täterschaftliche Fremdtötung zu bewerten wäre. Die Unfreiheit des Suizidenten ist, wie ausgeführt, zwar notwendige, nicht aber zugleich hinreichende Bedingung für eine Strafbarkeit wegen eines in mittelbarer Täterschaft begangenen Tötungs- oder Körperverletzungsdelikts. Hinzutreten muss, dass dem die Selbsttötung Veranlassenden oder Fördernden eine vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft über das zum Suizid führende Geschehen zukommt; er muss das Geschehen mit steuerndem Willen in den Händen halten. Ob dies der Fall ist, richtet sich nicht nach starren Regeln, sondern ist in wertender Betrachtung unter Einbeziehung aller im Einzelfall insoweit maßgeblichen Umstände zu ermitteln.


Entscheidung

403. BGH 1 StR 285/24 – Urteil vom 17. Oktober 2024 (LG Mannheim)

Notwehr (strafrechtlicher Rechtswidrigkeitsbegriff bei der Ausübung von Hoheitsgewalt; Vorliegen einer Notwehrlage: Andauern des Angriffs; Erforderlichkeit der Notwehrhandlung: keine eingeschränkten Notwehrrechte von Polizeibeamten); Erlaubnistatumstandsirrtum (Irrtum über Umstände, die die Erforderlichkeit der Notwehrhandlung begründen); gefährliche Körperverletzung (das Leben gefährdende Behandlung).

§ 32 StGB; § 16 Abs. 1 StGB; § 223 StGB; § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB

1. Die Rechtmäßigkeit des Handelns von staatlichen Hoheitsträgern bei der Ausübung von Hoheitsgewalt bestimmt sich auch im Rahmen des § 32 Abs. 2 StGB weder streng akzessorisch nach der materiellen Rechtmäßigkeit des dem Handeln zugrundeliegenden Rechtsgebiets (meist des materiellen Verwaltungsrechts) noch nach der Rechtmäßigkeit entsprechend dem maßgeblichen Vollstreckungsrecht (vgl. BGHSt 60, 253 Rn. 25 mwN). Die Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Handelns in einem strafrechtlichen Sinne hängt vielmehr lediglich davon ab, dass „die äußeren Voraussetzungen zum Eingreifen des Beamten“ gegeben sind, „er also örtlich und sachlich zuständig“ ist, er die vorgeschriebenen wesentlichen Förmlichkeiten einhält und der Hoheitsträger sein – ihm gegebenenfalls eingeräumtes – Ermessen pflichtgemäß ausübt. Befindet sich allerdings der Hoheitsträger in einem schuldhaften Irrtum über die Erforderlichkeit der Amtsausübung, handelt er willkürlich oder unter Missbrauch seines Amtes, so ist sein Handeln rechtswidrig.

2. Das Notwehrrecht von Polizeibeamten gegenüber Dritten ist nicht allein auf Grund ihrer beruflichen Stellung eingeschränkt ist. Zwar kann bei der Gewichtung von Bedrohungen und einfachen körperlichen Attacken gegen Polizeibeamte in den Blick zu nehmen sein, dass diese darin ausgebildet sind, professionell mit Konfliktsituationen umzugehen, und zumeist über besondere Hilfs- und Schutzmittel verfügen. Das zulässige Maß der erforderlichen und gebotenen Verteidigung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB wird vielmehr auch bei Polizeibeamten durch die konkreten Umstände des Einzelfalles bestimmt, insbesondere durch die Art des Angriffs, die Gefährlichkeit des Angreifers und die dem Angegriffenen zur Verfügung stehenden Abwehrmittel.

3. Das Gesetz verlangt von einem rechtswidrig Angegriffenen nur dann, dass er die Flucht ergreift oder auf andere Weise dem Angriff ausweicht, wenn besondere, sozialethisch begründete Umstände sein Notwehrrecht einschränken. Die Verteidigung ist dann nicht geboten, wenn von dem Angegriffenen aus Rechtsgründen die Hinnahme der Rechtsgutsverletzung oder eine eingeschränkte und risikoreichere Verteidigung zu verlangen ist, etwa, wenn er selbst den Angriff leichtfertig oder vorsätzlich provoziert hat.

4. Hat der Angreifer bereits eine Verletzungshandlung begangen, dauert der Angriff so lange an, wie eine Wiederholung und damit ein erneuter Umschlag in eine Verletzung unmittelbar nach den objektiven Umständen zu befürchten ist.


Entscheidung

478. BGH 5 StR 583/24 – Beschluss vom 14. Januar 2025 (LG Bremen)

Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch beim Betrug (unmittelbares Ansetzen; Täuschungshandlung; vorbereitende vertrauensstiftende Handlungen; unmittelbares Einmünden in die Erfolgsverwirklichung; konkrete Gefährdung des Vermögens aus Tätersicht).

§ 263 StGB; § 22 StGB; § 23 StGB

Für das unmittelbare Ansetzen zum versuchten Betrug gilt:

a) Beim Betrug wird die Grenze zum Versuch in der Regel spätestens dann überschritten, wenn der Täter mit der tatbestandlichen Täuschung das erste Merkmal des Straftatbestandes erfüllt. Eine solche tatbestandliche Täuschung liegt aber noch nicht in jeder irreführenden Einwirkung auf das Vorstellungsbild des Getäuschten, sondern erst in derjenigen, die den Getäuschten irrtumsbedingt zu der schädigenden Vermögensverfügung bestimmt und damit für den Eintritt des Schadens ursächlich wird.

b) Allerdings können schon vorbereitende, noch nicht tatbestandliche Täuschungen einen versuchten Betrug begründen, wenn der Täter mit ihnen eine Handlung vornimmt, die nach dem Tatplan in ungestörtem Fortgang ohne Zwischenschritte unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung einmünden oder in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen soll. Sieht der Tatplan dabei eine Täuschung in mehreren Teilschritten vor, bei der vorbereitende, vertrauensstiftende Handlungen erst im weiteren Verlauf in die tatbestandliche Täuschung einmünden sollen, so stehen der Annahme unmittelbaren Ansetzens bereits durch die erste irreführende Einwirkung auf das Opfer solche Zwischenakte nicht entgegen, die keinen tatbestandsfremden Zwecken dienen, sondern wegen ihrer notwendigen Zusammengehörigkeit mit der Tathandlung nach dem Plan des Täters als deren Bestandteil erscheinen, weil sie an diese zeitlich und räumlich angrenzen und mit ihr im Falle der Ausführung eine natürliche Einheit bilden.

c) Ob der Täter zu der in diesem Sinne „entscheidenden“ Rechtsverletzung angesetzt hat oder sich noch im Stadium der Vorbereitung befindet, hängt von seiner Vorstellung über das „unmittelbare Einmünden“ seiner Handlungen in die Erfolgsverwirklichung ab. Wesentliches Abgrenzungskriterium ist das aus der Sicht des Täters erreichte Maß konkreter Gefährdung des Vermögens seines Opfers.


Entscheidung

432. BGH 2 StR 530/24 – Beschluss vom 7. Januar 2025 (LG Köln)

Notwehr (Gegenwärtigkeit: Wiederholungsgefahr; Verteidigungswille).

§ 32 StGB

Ein gegenwärtiger Angriff dauert nach einer Verletzungshandlung so lange an, wie eine Wiederholung und damit ein erneutes Umschlagen in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten ist. Dabei kommt es auf die objektive Sachlage an. Entscheidend sind dabei nicht die Befürchtungen des Angegriffenen, sondern die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer (neuerlich oder unverändert) fortdauernden Rechtsgutverletzung. Für die Beurteilung der Notwehrlage ist auf den Zeitpunkt der Tathandlung, mithin des Einsatzes des Tatwerkzeugs, abzustellen, so dass es darauf ankommt, wie sich die Situation in diesem Moment darstellte.


Entscheidung

481. BGH 5 StR 733/24 – Beschluss vom 26. Februar 2025 (LG Itzehoe)

Anforderungen an die Prüfung einer ausgeschlossenen oder erheblich geminderten Schuldfähigkeit bei schwerer anderer seelischer Störung.

§ 20 StGB; § 21 StGB

1. Für die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit eines Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, muss in der Regel – notfalls unter Anwendung des Zweifelssatzes – in einem ersten Schritt die Frage beantwortet werden, ob und gegebenenfalls welche relevante Störung beim Angeklagten vorlag. In einem zweiten Schritt ist dann zu prüfen, ob diese tatsächlich festgestellte Störung rechtlich unter eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Auf dieser Grundlage ist in einem dritten Schritt zu klären, ob sich eine von § 20 StGB erfasste Störung auf die Einsichts- oder auf die Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung in einem relevanten Ausmaß ausgewirkt hat.

2. Bei der Feststellung, ob eine seelische Störung so schwerwiegend ist, dass sie eine schwere andere seelische Störung im Sinne des § 20 StGB darstellt, handelt es sich um eine Rechtsfrage. Dabei kommt das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung überhaupt nur dann in Betracht, wenn gewichtige Symptome vorliegen, deren Folgen den Täter vergleichbar schwer belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen. Es liegt nahe, dass eine solche Störung zur Verminderung oder Aufhebung der Schuldfähigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB führt. Die Feststellung einer gleichwohl nicht erheblichen Minderung der Steuerungsfähigkeit bedarf dann einer besonderen Begründung.

3. Die Frage, ob die Steuerungsfähigkeit bei der Tat infolge einer festgestellten schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war, hat das Tatgericht ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen zu beantworten. Hierbei fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt.


Entscheidung

437. BGH 4 StR 56/24 – Beschluss vom 12. Februar 2025 (LG Karlsruhe)

Rücktritt (versuchter Totschlag: Zufahren auf einen Polizeibeamten; Fehlschlag; Abgrenzung von beendetem und unbeendetem Versuch; Erörterungsmangel: Vorstellungsbild des Täters, Rückschlüsse aus dem Nachtatverhalten); nachträgliche Gesamtstrafenbildung (Einbeziehung rechtskräftiger, unerledigter Verurteilungen: Zäsurwirkung der ersten Verurteilung); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (symptomatischer Zusammenhang: überwiegendes Zurückgehen der Anlasstat auf dem Hang, Verhältnis zu Feststellungen zur Schuldfähigkeit; Erfolgsaussicht der Behandlung: tatsächliche Anhaltspunkte, erhöhte prognostische Anforderungen, Therapieunwilligkeit, langjähriger Rauschmittelkonsum); Vorsatz (Tötungsvorsatz: Zufahren auf einen Polizeibeamten; Eventualvorsatz: Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit; Beweiswürdigung; Intoxikation des Angeklagten; psychische Beeinträchtigungen; spontane, unüberlegte Handlungen).

§ 15 StGB; § 24 Abs. 1 StGB; § 55 StGB; § 64 Satz 1 StGB; § 64 Satz 2 StGB

1. Für die Frage, ob der Versuch einer Straftat fehlgeschlagen, beendet oder unbeendet ist, kommt es auf das Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (sog. Rücktrittshorizont). Lässt sich den Urteilsfeststellungen das Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsgerichtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Anderes gilt nur dann, wenn die festgestellte objektive Sachlage sichere Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Angeklagten gestattet.

2. Wenn die neu abzuurteilende Tat vor zwei rechtskräftigen, unerledigten Vorverurteilungen begangen wurde, ist nur mit der Strafe der ersten unerledigten Verurteilung eine nachträgliche Gesamtstrafe zu bilden. Die erste Verurteilung bildet eine Zäsur, so dass die zweite Verurteilung selbständig bestehen zu bleiben hat. Anders liegt es nur, wenn die beiden Verurteilungen untereinander gesamtstrafenfähig sind.

3. Hang im Sinne des § 64 StGB ist eine Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert.

4. Nach der am 1. Oktober 2023 in Kraft getretenen Neufassung des § 64 StGB (BGBl. I Nr. 203, S. 2) muss die Anlasstat „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen. Eine bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat reicht nur noch dann aus, wenn sie andere Ursachen quantitativ überwiegt. Das Vorliegen eines solchen Kausalzusammenhangs ist durch das Tatgericht ggf. unter sachverständiger Beratung positiv festzustellen.

5. Nach der Änderung des § 64 Satz 2 StGB genügt es für eine Unterbringung nicht mehr, dass eine „hinreichend konkrete Aussicht“ besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen. In der Neufassung setzt § 64 Satz 2 StGB nunmehr voraus, dass ein solcher Effekt „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist“.

6. Der Gesetzgeber hat bewusst erhöhte prognostische Anforderungen statuiert, wodurch sich der Einfluss ungünstiger Risikofaktoren wie der Therapieunwilligkeit erhöht. Die Beurteilung einer derartigen Erfolgsaussicht ist im Rahmen einer richterlichen Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonst maßgeblichen, also prognosegünstigen und -ungünstigen Umstände vorzunehmen.

7. Lehnt ein Angeklagter die Therapie im Maßregelvollzug ab, folgt aus dem Erfordernis „tatsächlicher Anhaltspunkte“ zudem, dass für eine positive Anordnungsentscheidung im Urteil konkret darzulegen ist, welche Instrumente im Maßregelvollzug zur Verfügung stehen, mit denen diese Haltung überwunden werden kann.

8. Der Tatentschluss im Hinblick auf einen Totschlag (§ 212 StGB) setzt voraus, dass der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des

erstrebten Zieles Willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten.

9. Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Vorsatzelemente in jedem Einzelfall umfassend zu prüfen und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen zu belegen. Die Prüfung, ob Vorsatz oder bewusste Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich das Tatgericht mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivlage und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände ‒ insbesondere die konkrete Angriffsweise ‒ mit in Betracht zieht.

10. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau stellt die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung zwar einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive als auch für das voluntative Vorsatzelement dar. Der Schluss auf einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz ist allerdings nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter alle nach Sachlage in Betracht kommenden Tatumstände in seine Erwägungen einbezogen hat, die dieses Ergebnis in Frage stellen können. Solche Umstände, die der Annahme eines bedingten Vorsatzes – auch unterhalb der Schwelle der §§ 20, 21 StGB – entgegenstehen können und deshalb ausdrücklicher Erörterung in den Urteilsgründen bedürfen, können etwa eine akute Intoxikation des Angeklagten oder psychische Beeinträchtigungen sein. Gleiches gilt, wenn ein fassbarer Beweggrund für eine so schwere Tat wie die Tötung eines Menschen nicht feststellbar ist, sowie bei spontanen, unüberlegten Handlungen.


Entscheidung

448. BGH 4 StR 523/24 – Beschluss vom 12. März 2025 (LG Arnsberg)

Rücktritt (Fehlschlag: schwere räuberische Erpressung, Rücktrittshorizont, Darstellungsanforderungen); Strafzumessung (Strafrahmenverschiebung: Verhältnis von vertypten Milderungsgründen und minder schwerem Fall, Jugendstrafe).

§ 23 StGB; § 24 StGB; § 49 StGB; § 267 StPO; § 18 Abs. 1 JGG; § 106 Abs. 3 Satz 1 JGG

1. Ein Fehlschlag, der einem strafbefreienden Rücktritt vom Versuch entgegensteht, ist gegeben, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält.

2. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an, den sog. Rücktrittshorizont. Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte, liegt ein Fehlschlag vor. Dabei ist für die Beurteilung auch dann, wenn – wie hier – mehrere die Tat gemeinschaftlich begehen (§ 24 Abs. 2 StGB), allein die persönliche Sicht jedes einzelnen Beteiligten maßgeblich.

3. Die Ober- und die Untergrenze für eine zu verhängende Jugendstrafe ergibt sich allein aus § 18 Abs. 1 (bei Heranwachsenden i.V.m. § 105 Abs. 3 Satz 1 JGG). Die Strafdrohungen des allgemeinen Strafrechts sind nur insoweit von Bedeutung, als in ihnen eine Bewertung des äußeren Tatunrechts zum Ausdruck kommt, das bei der Bestimmung der zurechenbaren Schuld des jugendlichen oder heranwachsenden Täters mit in Ansatz zu bringen ist. Dies gilt namentlich dort, wo sich die Tat, nach Erwachsenenstrafrecht beurteilt, als minder schwerer Fall darstellen würde oder vertypte Milderungsgründe gegeben wären. Dabei handelt es sich aber stets nur um eine Parallelwertung, die anschließend in die jugendstrafrechtliche Betrachtung zu integrieren ist. Die für die Strafrahmenwahl im Erwachsenenstrafrecht möglicherweise bedeutsame Frage, ob ein vertypter Strafmilderungsgrund zur Annahme eines minder schweren Falles führt oder lediglich eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 StGB auslöst, ist in diesem Zusammenhang daher nur insoweit von Bedeutung, als in ihrer Beantwortung im konkreten Fall eine für die jugendstrafrechtliche Betrachtung relevante Abstufung des Tatunwertes zum Ausdruck kommt.


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

436. BGH 4 StR 11/24 – Beschluss vom 25. September 2024 (LG Hagen)

Vergewaltigung („Stealthing“: Einverständnis, Strafzumessung, Regelbeispiel, kein Entfallen der Indizwirkung).

§ 177 StGB

1. Für die Frage, ob eine sexuelle Handlung dem maßgeblichen Willen der betroffenen Person entspricht oder zuwiderläuft, kommt es allein auf die konkret

vorgenommene Handlung und ihr Verhältnis zu dem erkennbar gewordenen Willen dieser Person an.

2. Stimmt eine Person einer (vaginalen) Penetration im Rahmen des Geschlechtsverkehrs – wie hier – ausdrücklich nur unter der Voraussetzung zu, dass ein Kondom verwendet wird, entspricht nur diese Form des Eindringens ihrem eindeutig zum Ausdruck gebrachten Willen. Eine danach ohne Präservativ vorgenommene Penetration geschieht somit gegen den erkennbaren Willen dieser Person und verwirklicht den Tatbestand des § 177 Abs. 1 StGB. Dabei ist es unerheblich, aus welchen Gründen die selbstbestimmungsberechtigte Person diese konkrete sexuelle Handlung ablehnt.

3. Durch den vaginalen Geschlechtsverkehr ist grundsätzlich die Variante der Vollziehung des Beischlafs verwirklicht. Einer hierüber hinausgehenden Feststellung einer besonderen Erniedrigung bedarf es nicht. Die Tat ist dann im Urteilstenor als Vergewaltigung zu bezeichnen, unabhängig davon, ob im Rahmen der Strafzumessung ein besonders schwerer Fall verneint wird.

4. Sind die Voraussetzungen eines Regelbeispiels gegeben, so bestimmt sich der „Regelstrafrahmen” nach dem erhöhten Strafrahmen. Die Indizwirkung des Regelbeispiels kann jedoch durch besondere strafmildernde Umstände entkräftet werden, die für sich allein oder in ihrer Gesamtheit so schwer wiegen, dass die Anwendung des erhöhten Strafrahmens unangemessen erscheint.

5. Im Fall des sog. „Stealthing“ ist die Indizwirkung des Regelbeispiels in § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB nicht generell deshalb zu verneinen, weil die Geschädigte mit geschütztem vaginalem Geschlechtsverkehr einverstanden war. Der Eingriff in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, der sich aus der nicht konsentierten ungeschützten Penetration ergibt, ist nicht teilbar. Er ist auch nicht lediglich ein „Mehr“ in Relation zu der konsentierten sexuellen Handlung.


Entscheidung

461. BGH 3 StR 468/24 – Beschluss vom 4. Februar 2025 (LG Köln)

Volksverhetzung (Coronaschutzmaßnahmen; Verharmlosung von NS-Verbrechen; Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens); Grundrecht der Meinungsfreiheit (revisionsrechtliche Überprüfung der tatgerichtlichen Auslegung einer Äußerung; Prüfung alternativer Deutungsmöglichkeiten).

§ 130 Abs. 3 StGB; Art. 5 GG

1. Das Tatbestandsmerkmal des Verharmlosens ist erfüllt, wenn der Täter das betreffende Geschehen in tatsächlicher Hinsicht herunterspielt, beschönigt, in seinem wahren Gewicht verschleiert oder in seinem Unwertgehalt bagatellisiert beziehungsweise relativiert. Dabei werden alle denkbaren Spielarten agitativer Hetze ebenso wie verbrämter diskriminierender Missachtung erfasst. Es kann sich mithin insbesondere sowohl um ein quantitatives als auch um ein qualitatives Abwerten handeln.

2. Der tatsächliche Gehalt einer – sprachlichen wie bildlichen – Äußerung ist im Wege der Auslegung zu bestimmen; dies ist Tatfrage des Einzelfalls und damit Sache des Tatgerichts. Dem Revisionsgericht ist eine eigene Würdigung versagt. Kommt das Tatgericht zu einem vertretbaren Ergebnis, so hat das Revisionsgericht dessen Auslegung hinzunehmen, sofern sie sich nicht als rechtsfehlerhaft erweist, etwa weil die tatrichterlichen Erwägungen lückenhaft sind, Sprach- und Denkgesetze verletzen oder gegen Erfahrungssätze verstoßen; die rechtliche Prüfung erstreckt sich darauf, ob allgemeine Auslegungsregeln verletzt worden sind.

3. Verbleiben Zweifel am Inhalt der Äußerung oder ist sie mehrdeutig, gebietet eine am Grundrecht der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ausgerichtete Interpretation, auf die günstigere Deutungsmöglichkeit abzustellen, wenn diese nicht ihrerseits ausgeschlossen ist.

4. Eine Abbildung, die insinuiere, den Betroffenen staatlicher Coronaschutzmaßnahmen werde gleiches Unrecht zugefügt wie den Opfern des NS-Völkermordes, kann unter Umständen das historisch einzigartige Unrecht der in Konzentrationslagern vollzogenen Vernichtung von Millionen europäischen Juden und anderen vom nationalsozialistischen Regime verfolgten Gruppen in seinem wahren Gewicht verschleiern und bagatellisiern. Ebenso kann sie geeignet sein, ihre Betrachter aggressiv zu emotionalisieren und bei in Deutschland wohnhaften Überlebenden des Holocausts und Nachkommen der Holocaustopfer ein Klima der Angst und Verunsicherung zu verbreiten.


Entscheidung

447. BGH 4 StR 494/24 – Beschluss vom 11. März 2025 (LG Bochum)

Vorbereitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern (Einwirken: hinreichende psychische Einflussnahme, Hartnäckigkeit; Polizeibeamter als Gegenüber: Maßgeblichkeit der Vorstellung des Täters; untauglicher Versuch); Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (Hang zur Begehung erheblicher Straftaten: Darstellungsanforderungen, konkrete Straftaten, Wahrscheinlichkeitsprognose, Missbrauchstaten, Cybergrooming; Gefährlichkeitsprognose).

§ 22 StGB; § 23 StGB; § 66 StGB; § 176b Abs. 1 StGB; § 267 StPO

1. Das dem § 180b Abs. 1 Satz 2 StGB aF nachgebildete Tatbestandsmerkmal des „Einwirkens“ setzt eine psychische Einflussnahme tiefergehender Art voraus. Es erfasst alle Formen der intellektuellen Beeinflussung, verlangt darüber hinaus aber auch eine gewisse Hartnäckigkeit. Als Mittel kommen wiederholtes Drängen, Überreden, Versprechungen, Wecken von Neugier, Einsatz von Autorität, Täuschung, Einschüchterung, Drohung und auch Gewalteinwirkung in Betracht.

2. Es macht für die Beurteilung des Täterverhaltens im Rahmen der versuchten Vorbereitung eines sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176b Abs. 1 und 3 StGB) keinen wesentlichen Unterschied, ob das digitale Gegenüber tatsächlich ein Kind ist oder – wie etwa bei einem „Polizeibeamten mit einer Alias-Identität“ – nicht.


Entscheidung

463. BGH 3 StR 539/24 – Beschluss vom 4. Februar 2025 (LG Koblenz)


Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (Bestimmtheit; unmissverständliche Strafbewehrung; mündliche Belehrung).

§ 145a StGB; § 68b Abs. 1 StGB

1. Bei einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht empfiehlt es sich dringend, im Urteil den Führungsaufsichtsbeschluss im Wortlaut mitzuteilen.

2. Ein unmissverständlicher schriftlicher Hinweis darauf, dass ein Verstoß gegen die Abstinenzweisung strafbewehrt ist, ist erforderlich, damit der Führungsaufsichtsbeschluss in Ausfüllung des Blankettstraftatbestandes des § 145a Satz 1 StGB die Strafbarkeit eines Weisungsverstoßes begründen kann.

3. Eine Information über die Strafbarkeit von Weisungsverstößen allein im Rahmen einer (mündlichen) Belehrung über die Führungsaufsicht nach § 268a Abs. 3 Satz 2 StPO beziehungsweise §§ 453a, 463 Abs. 1 StPO genügt nicht.

4. Die Rechtmäßigkeit einer strafbewehrten Weisung nach § 68b Abs. 1 StGB ist weitere Voraussetzung für eine Strafbarkeit; sie muss sich daher aus den Urteilsgründen in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise erkennen lassen.


Entscheidung

441. BGH 4 StR 223/24 – Urteil vom 13. März 2025 (LG Mainz)

Betrug (Bewilligung eines Dispositionskredits: Irrtum, Abgrenzung zum Computerbetrug, schadensgleiche Vermögensgefährdung; Strafzumessung: Doppelverwertungsverbot, Berücksichtigung der Schäden von Einzeltaten in einer Tatserie, Regelbeispiele); gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (verkehrsfeindlicher Inneneingriff); gefährliche Körperverletzung (lebensgefährdende Behandlung: Kollision mit Kraftfahrzeug); Kognitionspflicht; Urteilsverkündung (Abweichung von schriftlichen Urteilsgründen und mündlich verkündeter Strafe); Revisionsbeschränkung (Einzelstrafaussprüche bei einer Serie von Vermögensstraftaten; Einziehungsanordnung).

§ 46 Abs. 3 StGB; § 263 StGB; § 263a StGB; § 264 Abs. 2 StPO; § 267 StPO; § 268 StPO; § 344 Abs. 1 StPO

1. Durch die Einbettung von einzelnen Betrugs- oder Computerbetrugstaten in eine Serie kann das Gewicht jeder Einzeltat deutlich erhöht werden. Dabei können nicht nur Vortaten, sondern auch nachfolgende Taten strafschärfend berücksichtigt werden, sofern ein innerer kriminologischer Zusammenhang besteht. Die Höhe der Vermögensschäden kann insoweit in der Strafzumessung berücksichtigt werden, ohne dass dies schon deshalb mit Blick auf das Regelbeispiel des gewerbsmäßigen (Computer-)Betrugs gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB) verstieße.

2. Die gerichtliche Kognitionspflicht gebietet, dass der – durch die zugelassene Anklage abgegrenzte – Prozessstoff durch die vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird. Der Unrechtsgehalt der Tat ist ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrundeliegende Bewertung auszuschöpfen (vgl. § 264 Abs. 2 StPO), soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen.

3. Der Tatbestand des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 StGB kann auch durch einen verkehrsfeindlichen Inneneingriff verwirklicht werden. Ein vorschriftswidriges Verhalten im fließenden Verkehr wird von § 315b StGB jedoch nur erfasst, wenn ein Fahrzeugführer das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt, er mithin in der Absicht handelt, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu „pervertieren“, und es ihm darauf ankommt, hierdurch in die Sicherheit des Straßenverkehrs einzugreifen. Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr erfordert zudem, dass durch den tatbestandsmäßigen Eingriff Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert konkret gefährdet werden. Bei Vorgängen im fließenden Verkehr muss zu einem bewusst zweckwidrigen Einsatz des Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Absicht ferner hinzukommen, dass das Fahrzeug mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz missbraucht wurde.

4. Eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB liegt vor, wenn die Art der Behandlung durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls generell geeignet ist, das Leben zu gefährden, und sein Tun nach seiner Vorstellung auf Lebensgefährdung „angelegt“ ist, er also zumindest eine potentielle Gefährdung des Lebens des Opfers erkennt und billigt.

5. Für den Strafausspruch sind allein die schriftlichen Urteilsgründe maßgeblich. Nur die von sämtlichen Berufsrichtern unterzeichnete Urteilsurkunde bietet die Gewähr dafür, dass die Urteilsausführungen das Ergebnis der Beratung wiedergeben. Die mündliche Urteilsbegründung dient lediglich der vorläufigen Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten.


Entscheidung

429. BGH 2 StR 480/24 – Urteil vom 26. Februar 2025 (LG Köln)

Revisionsbeschränkung (Postpendenzverhältnis; Einziehung: Gewerbsmäßigkeit und erlangtes Etwas); gewerbsmäßiger Bandenbetrug (Gewerbsmäßigkeit: mittelbarer Zufluss des Vorteils, regelmäßige Zuwendungen eines Beteiligten); Beihilfe (Vorsatz: Konkretisierung, zentrale Merkmale der Haupttat, Diebstahl statt Betrug, Schockanrufe); Einziehung (Tatlohn).

§ 15 StGB; § 16 StGB; § 27 StGB; § 73 StGB; § 73c StGB; § 242 StGB; § 263 StGB; § 352 StPO

1. Die Gewerbsmäßigkeit wird durch ein subjektives Moment begründet. Der Täter muss die Absicht haben, sich aus wiederholter Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende, nicht ganz unerhebliche Einnahmequelle zu verschaffen.

2. Für die Annahme von Gewerbsmäßigkeit genügt es, dass die Taten mittelbar als Einnahmequelle dienen sollen. Dies ist auch dann der Fall, wenn der Täter sich selbst geldwerte Vorteile aus der Tat über Dritte verspricht. Die angestrebten Vorteile müssen nicht ein Entgelt aus der Tat

darstellen. Für die Frage eigennützigen Handelns macht es wertungsmäßig keinen Unterschied, ob bei arbeitsteiligem Vorgehen ein Beteiligter die Auskehr (eines Teils) des unmittelbar erlangten gegenständlichen Vorteils oder eine andere Entlohnung erwartet. Auch andere Formen des Tatlohns als unmittelbare Beutegegenstände oder Surrogate stellen finanzielle Vorteile dar, die sich der Täter aus der Tatbegehung verschaffen will.

3. An den Vorsatz des Gehilfen sind geringere Anforderungen als an den des Täters zu stellen. Derjenige, der lediglich eine fremde Tat fördert, braucht Einzelheiten dieser Tat nicht zu kennen und keine bestimmten Vorstellungen von ihr zu haben. Es ist lediglich ein Mindestmaß an Konkretisierung erforderlich. Der Hilfeleistende muss die zentralen Merkmale der Haupttat, namentlich den wesentlichen Unrechtsgehalt und die wesentliche Angriffsrichtung, im Sinne bedingten Vorsatzes zumindest für möglich halten und billigen.

4. Dass es sich bei einem Diebstahl um ein anderes Delikt als einen Betrug handelt, steht der Annahme eines Gehilfenvorsatzes nicht entgegen, sofern es sich nicht um eine grundsätzlich andere Tat handelt. Es kann insoweit ausreichen, wenn der Gehilfe die Möglichkeit erkannte, dass der Haupttäter bei der Ausführung der geplanten Betrugstat die Gelegenheit ergreifen würde, auf anderem Wege als durch Verfügung der überrumpelten Tatopfer an Wertgegenstände zu gelangen.


Entscheidung

449. BGH 4 StR 526/24 – Beschluss vom 26. Februar 2025 (LG Münster)

Beweiswürdigung (relative Fahruntüchtigkeit: Geschwindigkeitsüberschreitung, Mitursächlichkeit einer Alkoholintoxikation für einen Fahrfehler, Abgrenzung zur bloßen Enthemmung); Einziehung von Tatmitteln (Kraftfahrzeug: Verlassen des Unfallortes).

§ 74 Abs. 1 StGB; § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 316 Abs. 1 StGB; § 261 StPO

Relative Fahruntüchtigkeit ist gegeben, wenn die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit zwar unterhalb des Grenzwertes der absoluten Fahruntüchtigkeit liegt, aber aufgrund zusätzlicher Tatsachen der Nachweis alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit geführt werden kann. Erforderlich sind mithin weitere aussagekräftige Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des Kraftfahrzeugführers infolge seiner Alkoholisierung so weit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, zu steuern. Dies hat das Tatgericht anhand einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände zu beurteilen.