HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2025
26. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

470. BGH 5 StR 287/24 – Urteil vom 27. Februar 2025 (LG Leipzig)

BGHSt; faktische Geschäftsführung bei Firmenbestattungen (Mitglied des Vertretungsorgans; organtypische Tätigkeiten; tatsächliche Übernahme; Auftreten nach Außen; Gesamtbetrachtung; Insolvenzverschleppung; Bankrott).

§ 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 283 Abs. 1 StGB; 15a Abs. 4 Nr. 1, Abs. 1 InsO

1. Zur faktischen Geschäftsführung bei Firmenbestattungen. (BGHSt)

2. Nur die Mitglieder des Vertretungsorgans einer juristischen Person können Täter einer Insolvenzverschleppung nach § 15a Abs. 4 und Abs. 1 Satz 1 InsO sein und nur diesen wird die für einen täterschaftlichen Bankrott notwendige Schuldnereigenschaft der Gesellschaft nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB zugerechnet. Mitglied des Vertretungsorgans im Sinne dieser Vorschriften ist nicht nur der hierzu förmlich Bestellte, sondern auch derjenige, der diese Stellung faktisch übernommen hat. (Bearbeiter)

3. Ob eine Person aufgrund der faktischen Übernahme als Mitglied des Vertretungsorgans im Sinne der § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO anzusehen ist, hängt nicht ohne Weiteres davon ab, ob eine Mehrzahl von „klassischen Merkmalen“ aus dem Kernbereich der Unternehmensleitung erfüllt sind. Es ist vielmehr schon im Ansatz verfehlt, die Subsumtion der konkreten Verhältnisse des Einzelfalles unter ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal durch das schematische Abarbeiten eines Kriterienkatalogs zu ersetzen. (Bearbeiter)

4. Bei Unternehmen ohne werbende Aktivität ist eine Vertretung der Gesellschaft nach außen nicht ohne Weiteres eine zwingende Voraussetzung einer faktischen Organstellung. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit faktischer Organe beruht nicht auf einem durch einen bestimmten Außenauftritt begründeten Rechtsschein, sondern auf der rein tatsächlichen Übernahme der Organstellung. Wenn die Gesellschaft überhaupt nur noch in geringem Maße oder gar nicht mehr am Rechtsverkehr teilnimmt, hat das Fehlen einer Vertretung nach außen nur sehr begrenzte

Aussagekraft. Die für werbende Unternehmen entwickelten Kriterien können nur eingeschränkt Anwendung finden, wenn der Unternehmenszweck nur noch in der Abwicklung der Geschäftstätigkeit besteht. (Bearbeiter)

5. Ob jemand die Rolle des Vertretungsorgans faktisch übernommen hat, kann nur im Rahmen einer Gesamtschau der konkreten Verhältnisse der jeweiligen Gesellschaft beurteilt werden, weshalb die Urteilsfeststellungen ein hinreichendes Bild von diesen ergeben müssen. (Bearbeiter)


Entscheidung

406. BGH 1 StR 376/24 – Beschluss vom 28. November 2024 (LG Hagen)

Vorenthalten von Arbeitgeberbeiträgen (erforderlicher Zusammenhang zwischen dem Machen von unrichtigen oder unvollständigen Angaben und dem Vorenthalten; Verwenden von nachgemachten Belegen: Vorlage gegenüber der Einzugsstelle erforderlich); Umsatzsteuerhinterziehung (Verkürzung von Steuern bei Anmeldesteuern: erforderliche Feststellungen zum Vorliegen einer Steuervergütung).

§ 266a Abs. 2, Abs. 4 Nr. 2 StGB; § 370 Abs. 1 AO; § 168 Satz 2 AO

Soweit § 266a Abs. 2 StGB voraussetzt, dass der Taterfolg des Vorenthaltens von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung durch die unrichtigen oder unvollständigen Angaben über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen oder das In-Unkenntnis-Lassen der Einzugsstelle über solche Tatsachen („dadurch“) eingetreten sein muss, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwischen den das Unrecht des Tatbestands prägenden Tathandlungen und dem Vorenthalten als deren Folge keine strikte äquivalente Kausalität in dem Sinne erforderlich, dass der Arbeitgeber ohne die Tathandlung – also bei ordnungsgemäßen Angaben – die Beiträge gezahlt haben müsste. Der Zusammenhang ist vielmehr, wie im Fall des gleichlautenden § 370 Abs. 1 AO, funktional zu verstehen.


Entscheidung

424. BGH 2 StR 21/25 – Beschluss vom 25. Februar 2025 (LG Rostock)

Konkurrenzen (räuberische Erpressung; Raub; mitbestrafte Vortat); Jugendstrafe (schädliche Neigungen: erhebliche Persönlichkeitsmängel, frühere eingestellte Verfahren, Rückfälligkeit; Schwere der Schuld: jugendspezifische Bestimmung; Strafzumessung: Erziehungsgedanke, Schwere der Schuld).

§ 249 StGB; § 250 StGB; § 255 StGB; § 17 Abs. 2 JGG; 18 Abs. 2 JGG

1. Schädliche Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2 Alt. 1 JGG können in der Regel nur angenommen werden, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel, aus denen sich eine Neigung zur Begehung von Straftaten ergibt, schon vor der Tat angelegt waren und im Zeitpunkt des Urteils noch gegeben sind und deshalb weitere Straftaten zu befürchten sind.

2. Der Schuldgehalt der Tat eines Jugendlichen ist jugendspezifisch zu bestimmen. Die Schwere der Schuld im Sinne des § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG bemisst sich nicht vorrangig nach dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat und ihrer Einordnung nach dem allgemeinen Strafrecht. Vielmehr ist in erster Linie auf die innere Tatseite abzustellen, also darauf, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit des Täters sowie dessen Tatmotivation in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Der Unrechtsgehalt ist aber insofern von Belang, als aus ihm Rückschlüsse auf die innere Tatseite und damit die Schwere der Schuld gezogen werden können. Diese bemisst sich nach dem Gewicht der Tat und der persönlichkeitsbezogenen Beziehung des Täters zu dieser. Welche Bedeutung dabei den einzelnen Zumessungsgesichtspunkten zukommt, hängt vom Einzelfall ab. Das Tatgericht hat dazu eine umfassende Abwägung aller relevanten Umstände vorzunehmen.

3. Auch wenn eine Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld verhängt wird, ist bei der Bemessung der Jugendstrafe der das Jugendstrafrecht beherrschende Erziehungsgedanke (§ 2 Abs. 1, § 18 Abs. 2 JGG) vorrangig zu berücksichtigen. Grundsätzlich ist zwar die Bewertung des Ausmaßes des in einer Straftat hervorgetretenen Unrechts auch bei der Bestimmung der Höhe der Jugendstrafe zu beachten. Die Begründung darf aber nicht wesentlich oder gar ausschließlich nach solchen Zumessungserwägungen vorgenommen werden, die auch bei Erwachsenen in Betracht kommen. Die Bemessung der Jugendstrafe erfordert vielmehr von der Jugendkammer, das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe unter erzieherischen Gesichtspunkten abzuwägen. Die Urteilsgründe müssen daher in jedem Fall erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden ist. Eine formelhafte Erwähnung der erzieherischen Erforderlichkeit der verhängten Jugendstrafe genügt insoweit nicht.


Entscheidung

460. BGH 3 StR 452/24 – Beschluss vom 18. März 2025 (LG Kleve)

Mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung (Beihilfetaten als vorgesehene Straftaten der Vereinigung); Straftaten nach dem KCanG.

§ 129 StGB; § 27 StGB; § 34 KCanG

Bei den Straftaten, auf deren Begehung Zweck oder Tätigkeit der Vereinigung gerichtet ist, kann es sich auch um Beihilfetaten handeln. Daher können der Verkauf und die Lieferung von speziell für professionelle Cannabisplantagen vorgesehenen Gegenständen im Einzelfall nicht lediglich „neutrale Handlungen“, sondern solche Beteiligungshandlungen darstellen, die gerade auf die Begehung von Straftaten gemäß § 34 KCanG abzielen.


Entscheidung

399. BGH 1 StR 62/25 – Beschluss vom 3. April 2025 (LG Traunstein)

Unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln (Täterschaft; Konkurrenzverhältnis zum unerlaubten Handeltreiben: Verklammerung).

§ 29 Abs. 1 Nr. 1 StGB

Wer Betäubungsmittel selbst über die Grenze verbringt, ist grundsätzlich auch dann Täter der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln, wenn er nur unter dem Einfluss eines Dritten in dessen Interesse handelt (vgl. BGHSt 38, 315).