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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Mai 2025
26. Jahrgang
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1. Der absolute Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO setzt voraus, dass die Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person stattgefunden hat, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt. Hierzu gehört grundsätzlich auch ein Dolmetscher, wenn ein Angeklagter der deutschen Sprache nicht mächtig und daher die Zuziehung nach § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG erforderlich ist. (Bearbeiter)
2. Hat ein gerichtlich bestellter Dolmetscher als solcher an der Verhandlung tatsächlich teilgenommen, ist seine Abwesenheit nicht deshalb zu fingieren, weil Ablehnungsgründe gegen seine Person vorgelegen haben. (BGHR)
1. Zur Reichweite der gerichtlichen Anordnung der audiovisuellen Vernehmung eines Zeugen. (BGHR)
2. Ein Beschluss über die audiovisuelle Vernehmung nach § 247a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 StPO entfaltet regelmäßig Wirkung für alle während der Hauptverhandlung durchgeführten Vernehmungen der entsprechenden Person (hier: der Nebenklägerin). Der Wortlaut des § 247a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 StPO zielt nicht auf einzelne Vernehmungen oder Vernehmungsteile ab; die Regelung bezieht sich vielmehr allgemein auf den Umgang mit dem schutzbedürftigen Beweismittel. Eine begrenzte zeitliche Wirkung eines einmal gefassten Beschlusses, beispielsweise auch hinsichtlich einzelner Vernehmungstage, lässt sich der Vorschrift nicht entnehmen. (Bearbeiter)
3. Die Situation einer zweiten Vernehmung nach Entlassung des Zeugen in den Fällen des § 247a StPO ist eine andere als in den Fällen, in denen während der Vernehmungen gemäß § 247 Abs. 1 StPO der Angeklagte aus dem Sitzungszimmer entfernt oder gemäß §§ 171b f. GVG die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird. Die Unterschiede in der Eingriffsintensität und der prozessualen Wirkung einer Anordnung nach § 247a Abs. 1 Satz 1 StPO erfordern es nicht, die für Maßnahmen nach §§ 171b f. GVG und § 247 StPO gebotene, strenger formalisierte Handhabung zu übertragen. (Bearbeiter)
1. Einem Richter ist es nicht verwehrt, zwecks Förderung des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten auch außerhalb der Hauptverhandlung Kontakt aufzunehmen. Dabei hat er aber stets die gebotene Zurückhaltung zu wahren, um jeden Anschein der Parteilichkeit zu vermeiden. Ob ein Angeklagter aus der einseitigen Fühlungnahme des Gerichts mit einem anderen Verfahrensbeteiligten außerhalb der Hauptverhandlung eine Besorgnis der Befangenheit ableiten kann, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, unter anderem davon, ob er Grund zu der Annahme hat, ein solches Gespräch könne sich zu seinen Ungunsten auswirken.
2. Die Besorgnis der Befangenheit kann es insbesondere begründen, wenn der Vorsitzende einseitig mit dem Sitzungsvertreter der Staatsanwalt wesentliche Fragen des Falles in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in einer Weise erörtert hat, die an sich der geheimen Kammerberatung vorzubehalten gewesen wäre, ohne dies sofort oder zumindest zeitnah gegenüber allen anderen Beteiligten offenzulegen.
3. In einem solchen Fall kann sich ein Berufsrichter im Regelfall auch nicht dadurch entlasten, dass er den betreffenden Schriftverkehr oder entsprechende Gesprächsvermerke zur Hauptakte nimmt. Denn es bleibt ungewiss, wann die anderen Verfahrensbeteiligten (erneut) die Hauptakten einsehen.
4. Es ist weder Aufgabe der Staatsanwaltschaft noch des Tatgerichts, die Erfolgsaussichten einer Verfahrensrüge zu würdigen. Tut dies ein Mitglied des Tatgerichts dennoch hinsichtlich der Rüge, ein gegen ihn gerichteter Befangenheitsantrag sei zu Unrecht abgelehnt worden, kann dies die Besorgnis der Befangenheit verstärken.
5. Der maßgebliche Begriff des § 24 Abs. 2 StPO ist die „Unparteilichkeit“. Das – durch eine dienstliche Erklärung vielleicht ausgeräumte – Festlegen auf eine Verurteilung ist nur ein – wenngleich gewichtiger – Unterfall für eine nicht mehr hinreichend anzunehmende Unparteilichkeit.
1. Hält sich die durch ein Gericht verhängte Strafe im Rahmen eines Verständigungsvorschlages, dem die Staatsanwaltschaft nicht zugestimmt hat, so gilt: Allein dieser Umstand deutet nicht darauf hin, dass das Gericht nach durchgeführter Hauptverhandlung keine schuldangemessene Strafe bestimmt, sondern lediglich eine vorherige Zusage eingehalten hat. Dagegen spricht in einem solchen Fall schon, dass eine Verständigung gerade nicht zustande gekommen ist.
2. Lässt sich der Angeklagte einseitig auf einen gescheiterten Verständigungsvorschlag ein und gesteht, obwohl es zuvor nicht zu einer Verständigung nach § 257c StPO gekommen ist, stellt dies keine informelle oder illegale Absprache dar. Der Angeklagte genießt bei einem solchen Verhalten nicht den Schutz des § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO;
er muss vielmehr mit einer Verwertung seines Geständnisses auch bei einer letztlich höheren Strafe rechnen. Bleibt das Gericht nach offener Mitteilung, welchen Wert es einem Geständnis einräumt, bei seiner Einschätzung angesichts unveränderter Sachlage, ist dies für sich gesehen nicht Ausdruck einer unzulässigen Selbstbindung, sondern einer fairen, konsequenten Verhandlungsführung und seiner strafzumessungsrechtlichen Kompetenz.
Die Verpflichtung zur audiovisuellen Aufzeichnung einer Vernehmung gemäß § 136 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StPO ist eine bloße Ordnungsvorschrift. Ein Beweisverwertungsverbot kommt allenfalls bei einem bewussten Verstoß oder einem objektiv willkürlichen Vorgehen durch die Strafverfolgungsbehörden in Betracht.
1. Verwendung und Verwertung von im Ausland erhobenen Daten (hier: aus dem sog. EncroChat-Komplex) sind nicht an speziellen Verwendungsbeschränkungen der deutschen Strafprozessordnung zu messen. Vielmehr ist lediglich den ihnen zugrundeliegenden Wertungen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG HRRS 2025 Nr. 1).
2. Voraussetzung für den Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung ist u.a., dass die darin angegebene Ermittlungsmaßnahme „in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen“ angeordnet werden könnte (Art. 6 Abs. 1 Buchst. b RL EEA). Diese Regelung verlangt indes nicht, dass der auf die Übermittlung bereits erhobener Daten gerichtete Erlass einer Europäischen Ermittlungsanordnung denselben materiellrechtlichen Voraussetzungen unterliegt, wie sie im Anordnungsstaat (hier: Deutschland) für die Erhebung der Beweise gelten. Es müssen lediglich die Voraussetzungen erfüllt sein, die nach dem Recht des Anordnungsstaates für die Übermittlung solcher Beweise für einen vergleichbaren innerstaatlichen Fall vorgesehen sind.
3. Wird ein später in die Hauptverhandlung eingeführter Beweis durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden im Ermittlungsverfahren rechtmäßig gewonnen, muss er für die Überzeugungsbildung des Tatgerichts verwertet werden. Dies gilt auch, wenn sich die rechtliche Bewertung der verfolgten Tat im Laufe des Verfahrens mit der Folge ändert, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Beweisgewinnung im Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht mehr vorliegen. Hängt die Rechtmäßigkeit für die Ermittlungsmaßnahme von dem Vorliegen des Verdachts für eine gesetzlich bestimmte Tat (sogenannte Katalogtat) ab, so setzt die Verwertung der durch sie gewonnenen tatsächlichen Erkenntnisse für die tatrichterliche Überzeugungsbildung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung nur voraus, dass die Beweise mit dem Verdacht der (Katalog-)Tat im Zusammenhang stehen.
1. Ein Verwertungsverbot aus § 136a Abs. 3 Satz 2, § 163a Abs. 3 Satz 2 StPO kommt nur bei Aussagen in Betracht, die der Beschuldigte in einer Vernehmung macht. Eine solche Vernehmung im Sinne der Strafprozessordnung liegt nur vor, wenn der Vernehmende der Auskunftsperson (also dem Beschuldigten, dem Zeugen oder dem Sachverständigen) in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihr Auskunft (eine „Aussage“) verlangt. Daran fehlt es, wenn der Beschuldigte ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass er mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand nicht vernommen wird, er aber gleichwohl ungefragte Aussagen im Rahmen einer rechtsmedizinischen Untersuchung bzw. der Spurensicherung tätigt.
2. Unter dem Gesichtspunkt der Selbstbelastungsfreiheit kann ein Verwertungsverbot für Aussagen gegeben sein, die der Beschuldigte in einer vernehmungsähnlichen Situation macht. Vernehmungsähnliche Situationen sind insofern dadurch gekennzeichnet, dass die Strafverfolgungsbehörden private oder verdeckt ermittelnde Personen veranlassen, den Beschuldigten gegen seinen Willen zu einer Selbstbelastung zu drängen und Äußerungen zum Tatgeschehen zu entlocken. Eine Verletzung der Selbstbelastungsfreiheit kommt in diesen Fällen insbesondere dann in Betracht, wenn der Beschuldigte sich zuvor auf sein Schweigerecht berufen hat und die Ermittlungsbehörden durch das heimliche oder täuschende Ausfragen versuchen, dem Beschuldigten Angaben zu entlocken, die sie in einer Vernehmung nicht erlangen konnten. Reine Spontanäußerungen unterliegen demgegenüber in dieser Hinsicht in der Regel keinem Verwertungsverbot.
1. Eine Wiedereinsetzung aufgrund unzureichender Akteneinsicht setzt voraus, dass diese trotz angemessener Bemühungen unterblieben ist. Dabei kann es im Einzelfall eine naheliegende und sich aufdrängende Möglichkeit sein, bei dem Tatgericht nach den gesuchten Aktenteilen nachzufragen.
2. Im Hauptverfahren ist es Aufgabe des Gerichts, zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Daher besteht grundsätzlich kein Raum, der Verteidigung durch Aussetzung oder Unterbrechung der Hauptverhandlung oder durch die Feststellung der Erforderlichkeit von Reisekosten gesonderte zeitliche oder finanzielle Ressourcen für eigene Ermittlungen zur Verfügung zu stellen. Vielmehr steht es ihr offen, die gerichtliche Aufklärungspflicht durch Anträge oder Anregungen zu aktualisieren sowie eine etwaige Verletzung der Pflicht in der Revision geltend zu machen.
3. Unabhängig davon sind dem Verteidiger eigene Ermittlungen nicht verwehrt. Allerdings besteht im Regelfall kein Grund, diese von Seiten des Gerichts zu unterstützen.
4. Der Wortlaut des § 7 Abs. 1 Nr. 10 VStGB lässt es zu, unter dem Verfolgen einer Gruppe auch solche Handlungen zu verstehen, die mit der entsprechenden Intention eine andere Person treffen. Anders als § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VStGB bezieht sich der Straftatbestand nicht ausdrücklich auf ein „Mitglied der Gruppe“. Nach der Rechtsprechung internationaler Strafgerichte, von der abzuweichen kein Anlass besteht, können zu der verfolgten Gruppe darüber hinaus auch solche Personen gezählt werden, die der Täter als dieser zugehörig ansieht.
1. § 246a Abs. 3 StPO schreibt für den Fall, dass die Unterbringung eines Angeklagten in der Sicherungsverwahrung in Betracht kommt, zwingend nicht nur die Vernehmung eines Sachverständigen, sondern auch die Untersuchung des Angeklagten durch den Sachverständigen vor.
2. Der bloße Kontakt während der Hauptverhandlung, der Gelegenheit zur ausführlichen Befragung durch den Sachverständigen bietet, genügt hierfür nicht. Die Untersuchung muss „maßnahmespezifisch“ sein.
3. Weigert sich der Angeklagte, sich einer Exploration zu unterziehen, darf eine Untersuchung nur dann unterbleiben, wenn sie ohne seine Mitwirkung oder gegen seinen Widerstand kein verwertbares Ergebnis erbringen könnte.
1. Bei der Bewertung voneinander abweichender Gutachten ist erforderlich, dass das Tatgericht die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen der Sachverständigen im Urteil wiedergibt. Es ist gehalten, die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen, an die die Schlussfolgerungen eines Gutachtens anknüpfen, und die Schlussfolgerungen selbst wenigstens insoweit im Urteil mitzuteilen, als dies zum Verständnis der Gutachten und zur Beurteilung ihrer gedanklichen Schlüssigkeit für das Revisionsgericht erforderlich ist.
2. Für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Anforderungen an die Rücktrittsleistung des Täters kommt es darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont). Wenn der Täter nach seinem Kenntnisstand nach der letzten Ausführungshandlung in zutreffender Einschätzung der durch die Tathandlung verursachten Gefährdung des Opfers oder in Verkennung der tatsächlichen Ungeeignetheit seiner Handlung den Erfolgseintritt für möglich hält, ist der Versuch beendet; rechnet der Täter dagegen nach der letzten Ausführungshandlung nach seinem Kenntnisstand (noch) nicht mit dem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges, und sei es auch nur in Verkennung der durch seine Handlung verursachten Gefährdung des Opfers, so ist der Versuch unbeendet, wenn die Vollendung aus der Sicht des Täters noch möglich ist.
3. Rechnet der Täter zunächst nicht mit einem tödlichen Ausgang, ist auch eine umgekehrte Korrektur des Rücktrittshorizontes möglich, wenn er in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat. In diesem Fall liegt ein beendeter Versuch vor.
Bei Bewilligung der Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Revisionseinlegungsfrist beginnt die Revisionsbegründungsfrist erst mit der Zustellung des die Wiedereinsetzung gewährenden Beschlusses zu laufen. Dies gilt auch für den Fall, dass das angefochtene Urteil bereits vollständig abgefasst und wirksam zugestellt worden ist.
Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung dient nicht dazu, formale Mängel in der Revisionsbegründung (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) zu heilen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge kommt daher nur in besonderen Prozesssituationen in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint.
Ein Zuständigkeitswechsel nach § 42 Abs. 3 JGG setzt die vollständige Eröffnung des Hauptverfahrens durch das ursprünglich angegangene Gericht voraus. In das Recht der Staatsanwaltschaft, bis zu diesem Zeitpunkt ihre erhobene Anklage zurückzunehmen und andernorts anhängig zu machen, darf nicht durch gerichtliche Beschlüsse nach § 42 Abs. 3 JGG (oder § 12 Abs. 2 StPO) eingegriffen werden.
Die Abänderung einer gerichtlichen Entscheidung, die mit einem Rechtsmittel nicht angefochten werden kann, ist auch im Wege der Gegenvorstellung grundsätzlich nicht möglich. Eng begrenzte Ausnahmen gelten allenfalls zur Beseitigung anders nicht heilbarer unerträglicher Rechtsmängel oder besonders gravierender Verfahrensfehler.