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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Mai 2025
26. Jahrgang
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1. Eine Schwurgerichtskammer verletzt möglicherweise die sich aus dem Recht auf ein faires Verfahren ergebenden Mindestanforderungen an die Wahrheitserforschung, wenn sie einen Beweisantrag auf Vernehmung eines im Ausland befindlichen, aber für eine audiovisuelle Vernehmung zur Verfügung stehenden und aussagebereiten Entlastungszeugen ablehnt.
2. Eine Aussetzung des weiteren Vollzuges der in dem Verfahren verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe im Wege einer einstweiligen Anordnung kommt gleichwohl nicht in Betracht, wenn der Beschwerdeführer auch im Falle einer Aufhebung der Verurteilung der ihm zur Last gelegten Anstiftung zum Mord weiterhin dringend verdächtig bleibt und sich die Gefahr aufdrängt, dass er sich dem Verfahren entziehen würde.
1. Die Zurückweisung eines Klageerzwingungsantrags als unzulässig ist mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbar, wenn das Oberlandesgericht sie darauf stützt, dass die Generalstaatsanwaltschaft über die Beschwerde des Anzeigenerstatters nicht durch förmlichen Bescheid, sondern lediglich im Wege der Dienstaufsicht entschieden habe. Dies gilt umso mehr, wenn das Gericht zugleich die Auffassung vertritt, eine förmliche Bescheidung seiner Beschwerde könne der Anzeigenerstatter nicht mit einem Untätigkeitsantrag nach § 23 EGGVG erreichen.
2. Die Rechtsschutzgarantie wirkt über das gerichtliche Verfahren hinaus auch in ein vorgelagertes behördliches Verfahren hinein, wenn eine solche Vorwirkung für die Inanspruchnahme effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes erforderlich ist.
3. Mit der Rechtsschutzgarantie ist es nicht vereinbar, die Zulässigkeit eines Klageerzwingungsantrags von der gerichtlich nicht durchsetzbaren Sachbehandlung durch die Strafverfolgungsbehörden abhängig zu machen.
1. Die Anordnung der Fortdauer einer seit (weit) über zehn Jahren vollzogenen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in einem „Altfall“ genügt nicht den verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen in Bezug auf die Annahme einer psychischen Störung, wenn die zuletzt beauftragten Sachverständigen eine solche überwiegend verneint haben und das Gericht lediglich eine Reihe in jüngerer Zeit noch festgestellter Persönlichkeitsauffälligkeiten des Untergebrachten benennt, ohne diese wissenschaftlich einzuordnen und ohne darzulegen, inwieweit diese insgesamt die Kriterien einer Persönlichkeitsstörung erfüllen.
2. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326 = HRRS 2011 Nr. 488) beeinträchtigt die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus ein schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen, wenn dieser die Anlasstaten vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl I S. 160) begangen hat (sog. Altfälle).
3. Die Fortdauer der Unterbringung ist in diesen Fällen nur verhältnismäßig, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und wenn bei ihm eine psychische Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Therapieunterbringungsgesetzes (ThUG) und Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK besteht. Dem trägt die Übergangsregelung des Art. 316f Abs. 2 EGStGB Rechnung.
4. Bei dem Begriff der psychischen Störung im Sinne des Art. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der mit den überkommenen Kategorisierungen der Psychiatrie nicht deckungsgleich ist und der weder eine Einschränkung der Schuldfähigkeit nach den §§ 20, 21 StGB noch einen subjektiven Leidensdruck des Betroffenen voraussetzt. Erfasst sind vielmehr auch spezifische Störungen der Persönlichkeit, des Verhaltens, der Sexualpräferenz oder der Impuls- und Triebkontrolle, wie insbesondere eine dissoziale Persönlichkeitsstörung. Ob die Merkmale einer psychischen Störung im Einzelfall erfüllt sind, haben die Gerichte – regelmäßig auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens – eigenständig zu prüfen.
5. Bei langandauernden Unterbringungen erhöhen sich aufgrund des zunehmenden Gewichts des Freiheitsanspruchs die Anforderungen an die Begründung einer Fortdauerentscheidung und die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte. Die Gerichte müssen Art und Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten des Untergebrachten darlegen und dabei auf die Besonderheiten des Einzelfalles eingehen. Soweit sie von den Feststellungen des zuletzt beauftragten Sachverständigen abweichen, haben sie dies sorgfältig zu begründen.
6. Das Rechtsschutzbedürfnis für die verfassungsgerichtliche Überprüfung einer Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung besteht angesichts des damit verbundenen tiefgreifenden Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht auch dann fort, wenn die angegriffene Entscheidung prozessual überholt ist, weil zwischenzeitlich eine erneute Fortdauerentscheidung ergangen oder Unterbringung für erledigt erklärt worden ist.
1. Ein Oberlandesgericht überspannt die Darlegungsanforderungen an einen Klageerzwingungsantrag nicht, wenn es beanstandet, dass der Anzeigenerstatter, der eine Strafverfolgung von Polizeibeamten wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt erstrebt, für die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes wesentliche Umstände nicht benannt und insbesondere nicht mitgeteilt hat, dass er vor dem gegen ihn gerichteten Reizgaseinsatz alkoholisiert einen Rettungseinsatz behindert und einen Platzverweis ignoriert hatte und dass gegen ihn deshalb ein Strafverfahren wegen Beleidigung, Bedrohung und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet worden war.
2. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO so auszulegen, dass der Klageerzwingungsantrag den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Inhalt der angegriffenen Bescheide und die Gründe für ihre Unrichtigkeit in groben Zügen wiedergeben und eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthalten muss, der bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage rechtfertigt.