HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2021
22. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

938. BGH 3 StR 441/20 – Beschluss vom 12. August 2021 (OLG München)

Mittäterschaft bei aus einer terroristischen Vereinigung heraus begangenen Taten („NSU“; Tatherrschaft; Interesse an der Tat; Anwesenheit am Tatort; Ausführungsstadium; Vorbereitungshandlungen; Planung; legendierende Maßnahmen; psychische Unterstützung; Förderung der ideologischen Ziele der Vereinigung); Beweiswürdigung; Konkurrenzen bei Deliktsserie (Tateinheit; Tatmehrheit).

§ 25 Abs. 2 StGB; § 211 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB; § 261 StPO

1. Mittäter der von einer terroristischen Gruppierung (hier: sog. „NSU“) begangenen Straftaten kann – allgemeinen Grundsätzen entsprechend – auch sein, wer nicht am jeweiligen Tatort anwesend ist. Eine (Mit-)Täterschaft kann insoweit dadurch begründet werden, dass jemand als gleichberechtigtes Mitglied der Vereinigung an der Tatplanung mitwirkt und außerdem

durch legendierende Maßnahmen die ausführenden Vereinigungsmitglieder deckt. Schließlich kann für die Bejahung von Mittäterschaft von Bedeutung sein, dass ein nicht unmittelbar an den Tatausführungen beteiligtes Vereinigungsmitglied Zusagen macht, die für die Erreichung des ideologischen Zwecks der Vereinigung bedeutsam sind (hier u.a.: Veröffentlichung eines Bekennervideos).

2. Auch die psychische Förderung der Tat, insbesondere die Bestärkung des Tatwillens des Handelnden, kann ein relevanter Tatbeitrag im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB sein. Um allein die Annahme von Mittäterschaft – in Abgrenzung zur psychischen Beihilfe – zu tragen, muss der psychischen Förderung allerdings ein erhebliches Gewicht zukommen.

3. Für die Annahme eines tatherrschaftsbegründenden Tatbeitrags im Ausführungsstadium genügt es nicht ohne Weiteres, dass Handlungen zeitlich parallel zur Tatausführung erbracht werden. Erforderlich ist vielmehr, dass der Beteiligte in der Lage ist, die Tatausführung in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Die Möglichkeit einer Begründung von Tatherrschaft bzw. Mittäterschaft jenseits eines Tatbeitrags im Ausführungsstadium bleibt hiervon unberührt.

4. Werden Taten aus einer terroristischen Vereinigung heraus begangen, können sie dem einzelnen Vereinigungsmitglied nicht allein aufgrund dessen Zugehörigkeit zu der Organisation als eigene zugerechnet werden. Vielmehr ist eine mögliche Beteiligung für jede Tat nach den allgemeinen Kriterien zu prüfen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Kriterien, die für das Vorliegen der Vereinigung bedeutsam sind, deswegen für die Qualifizierung der Tatbeteiligung an Gewicht verlören. Vielmehr kann etwa ein weltanschaulich-ideologisches, religiöses oder politisches Ziel der Tatbegehung sowohl den Charakter eines Personenzusammenschlusses bestimmen als auch – unter dem Gesichtspunkt des Interesses an der Tat – in erheblicher Weise für Mittäterschaft sprechen.


Entscheidung

998. BGH 4 StR 156/21 – Beschluss vom 29. Juli 2021 (LG Erfurt)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (nicht geringe Menge: Levometamfetamin); Teileinstellung; Vorsatz (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte; tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte; Vorsatzfassung erst bei Unvermeidbarkeit der Tatbestandsverwirklichung).

§ 29a BtMG; § 154 Abs. 2 StPO; § 114 StGB; § 113 StGB; § 16 Abs. 1 StGB; § 15 StGB

Voraussetzung für eine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat ist nach § 16 Abs. 1 StGB, dass der Täter die Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, bei ihrer Begehung kennt. Die Verwirklichung des Tatbestands muss in subjektiver Hinsicht von einem diese Tatumstände umfassenden Vorsatz des Täters getragen werden. Dies ist der Fall, wenn der Vorsatz zu einem Zeitpunkt vorliegt, in welchem der Täter noch einen für die Tatbestandsverwirklichung kausalen Tatbeitrag leistet. Wird der Vorsatz dagegen erst gefasst, wenn der Täter die Tatbestandsverwirklichung nicht mehr vermeiden kann, fehlt es an einer vorsätzlichen Begehung der Tat.


Entscheidung

925. BGH 3 StR 132/21 – Beschluss vom 14. Juli 2021 (LG Frankfurt am Main)

Unmittelbares Ansetzen zum Erwerb der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe (Zwischenakte; konkrete Rechtsgutsgefährdung; Dichte des Tatplans; neuer Willensimpuls); Verabredung zum Verbrechen; Terrorismusfinanzierung (Entgegennahme von Vermögenswerten).

§ 22 StGB; § 30 Abs. 2 StGB; § 89c StGB; § 22a Abs. 1 Nr. 2 KrWaffKG

1. Ein unmittelbares Ansetzen (§ 22 StGB) erfordert nicht, dass der Täter bereits ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestands verwirklicht hat. In den Bereich des Versuchs einbezogen ist vielmehr auch ein für sich gesehen noch nicht tatbestandsmäßiges Handeln, soweit es nach der Vorstellung des Täters der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals räumlich und zeitlich unmittelbar vorgelagert ist oder nach dem Tatplan im ungestörten Fortgang ohne Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung einmünden soll.

2. Diese abstrakten Maßstäbe bedürfen angesichts der Vielzahl denkbarer Sachverhaltsgestaltungen jedoch stets der wertenden Konkretisierung unter Beachtung der Umstände des Einzelfalles. Ein wesentliches Abgrenzungskriterium ist das aus der Sicht des Täters erreichte Maß konkreter Gefährdung des geschützten Rechtsguts. Auch die Dichte des Tatplans kann für die Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium Bedeutung gewinnen. So sind Handlungen, die keinen tatbestandsfremden Zwecken dienen, sondern wegen ihrer notwendigen Zusammengehörigkeit mit der Tathandlung nach dem Plan des Täters als deren Bestandteil erscheinen, weil sie an diese zeitlich und räumlich angrenzen und mit ihr im Falle der Ausführung eine natürliche Einheit bilden, nicht als der Annahme unmittelbaren Ansetzens entgegenstehende Zwischenakte anzusehen.

3. Bei der Prüfung des unmittelbaren Ansetzens muss das vom Täter zur Verwirklichung seines Vorhabens Unternommene stets zu dem in Betracht kommenden Straftatbestand in Beziehung gesetzt werden. Ob er zu der in diesem Sinne „entscheidenden“ Rechtsverletzung angesetzt hat oder sich noch im Stadium der Vorbereitung befindet, hängt von seiner Vorstellung über das „unmittelbare Einmünden“ seiner Handlungen in die Erfolgsverwirklichung ab. Gegen ein Überschreiten der Schwelle zum Versuch spricht es deshalb im Allgemeinen, wenn es zur Herbeiführung des vom Gesetz vorausgesetzten Erfolges noch eines weiteren – neuen – Willensimpulses bedarf.

4. Ein Entgegennehmen i.S.d. § 89c Abs. 1 Satz 1 StGB erfordert, soweit es um Sachen geht, die Begründung fremd- oder eigennützigen Besitzes. Dafür reicht es aus, wenn der Täter Mitbesitz erlangt. Weder der Gesetzeswortlaut noch der Gesetzeszweck verlangen, dass eine Person allein etwas entgegennimmt. Zudem kommt es nicht darauf an, ob der Vermögenstransfer zwischen Personen stattfindet, welche die im Sinne des angestrebte

Tat gemeinsam begehen wollen. Allerdings fällt allgemein die Annahme von Gegenständen dann nicht unter den Tatbestand, wenn sie im Rahmen eines Austauschverhältnisses durch eine Gegenleistung kompensiert wird und deshalb keinen Vermögenszuwachs zur Folge hat (vgl. zur entsprechenden einschränkenden Auslegung BGH HRRS 2021 Nr. 813).


Entscheidung

945. BGH 5 StR 102/20 – Urteil vom 14. April 2021 (LG Leipzig)

Bandentat und Bandenabrede bei der Verurteilung wegen gewerbs- und bandenmäßigen (Computer-)Betrugs; Anforderungen an die Urteilsgründe (freisprechendes Urteil; Einlassung des Angeklagten; Überprüfung durch das Revisionsgericht); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Hang; Abstinenz; Erfolgsaussicht).

§ 263 Abs. 5 StGB; § 263a StGB; § 64 StGB; § 267 StPO

1. Bandentat und Bandenabrede sind unterschiedliche und jeweils gesondert festzustellende Tatbestandsmerkmale. Zwischen ihnen besteht keine Deckungsgleichheit, auch wenn im Einzelfall aus einer Tat auf eine vorangegangene Vereinbarung geschlossen werden kann. Die Bandenabrede umfasst von vornherein die Begehung einer Mehrzahl künftiger Straftaten. Umstände, die für eine solche, mehrere künftige Taten umfassende Bandenabrede sprechen können, sind je nach den Umständen des Einzelfalles etwa eine Vielzahl gleichartiger Taten innerhalb eines langen Zeitraums, ein eingespieltes arbeitsteiliges Zusammenwirken der Beteiligten oder die gemeinschaftliche Nutzung von Tatwerkzeugen.

2. Spricht das Tatgericht einen Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei, muss es regelmäßig in einer geschlossenen Darstellung die als erwiesen angesehenen Tatsachen feststellen, bevor es in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden können. Denn es ist Aufgabe der Urteilsgründe, dem Revisionsgericht auf diese Weise eine umfassende Nachprüfung der freisprechenden Entscheidung zu ermöglichen

3. In einem Strafurteil ist die Einlassung des Angeklagten zumindest in wesentlichen Grundzügen in einer geschlossenen und zusammenhängenden Darstellung wiederzugeben und unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise zu würdigen. Erst auf dieser Grundlage kann das Revisionsgericht überprüfen, ob der Tatrichter die Bedeutung der Angaben des Angeklagten zutreffend erkannt und bewertet hat und damit den Feststellungen eine erschöpfende Würdigung des Sachverhalts zugrunde liegt.


Entscheidung

940. BGH 3 StR 465/20 – Beschluss vom 5. Mai 2021 (OLG Düsseldorf)

Sukzessive Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (Vollendung; Beendigung; Ausreise).

§ 89a StGB; § 27 StGB

1. Die in der Rechtsprechung anerkannte sog. „sukzessive Beihilfe“ ist grundsätzlich auch im Bereich des § 89a Abs. 2a StGB denkbar. Zweifelhaft (wenngleich vorliegend vom Senat nicht zu entscheiden) ist indes, ob unter Anwendung der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur sukzessiven Beihilfe auch nach der Ausreise des Täters aus der Bundesrepublik Deutschland eine strafbare Förderung der Tat noch bis zu seiner Ankunft im Zielland möglich ist.

2. Eine Straftat nach § 89a Abs. 2a StGB ist spätestens mit der Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland in ein beliebiges anderes Land vollendet, da in diesem Zeitpunkt alle Elemente des gesetzlichen Tatbestandes, der einen Erfolg nicht vorsieht, erfüllt sind. Das in dieser Vorschrift pönalisierte Unternehmen der Ausreise umfasst zwar bereits Handlungen im Versuchsstadium, aber nicht ohne Weiteres auch die anschließende Weiterreise; anderenfalls könnte die Reichweite der Norm unkonturiert erweitert und jegliche (vorsätzliche) Hilfe auf der ggf. längerdauernden Reise – etwa durch später hinzukommende Schleuser oder Reisebegleiter – als strafbare Förderung der Ausreise aus Deutschland angesehen werden.


Entscheidung

992. BGH 2 StR 34/20 – Beschluss vom 28. April 2021 (LG Erfurt)

Mittäterschaft (keine Mitwirkung am Kerngeschehen: Vorbereitungs- und Unterstützungshandlung, Willensrichtung des sich Beteiligenden, wertende Gesamtbetrachtung); Beihilfe; gefährliche Körperverletzung; Landfriedensbruch (Menschenmenge; Bedrohung von Menschen mit einer Gewalttätigkeit aus einer Menschenmenge: gemeinsames „Vorrücken“; kein Mitwirken an der Gewalttätigkeit unmittelbar vor Ort); Beweiswürdigung (mangelnde Erörterung schwerwiegender Verdachtsmomente); unerlaubter Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe; unerlaubter Besitz von Munition; Einziehung von Tatmitteln.

§ 25 Abs. 2 StGB; § 125 StGB; § 74 StGB; § 261 StPO; § 52 WaffG

1. Mittäterschaft im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB erfordert nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Diese Willensrichtung ist keine einfache innere Tatsache und auch nicht davon abhängig, welchen Sinn der Beteiligte seinem Handeln beilegt; ihre Annahme oder Ablehnung ist vielmehr das Ergebnis einer wertenden Gesamtbetrachtung, in die alle festgestellten Umstände einzubeziehen sind. Wesentliche Anhaltspunkte können dabei der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Beteiligten abhängt.

2. Eine Beteiligung im Sinne des § 125 Abs. 1 StGB kann auch im Vorfeld der eigentlichen Tathandlung erfolgen und setzt nicht voraus, dass der Täter oder Teilnehmer unmittelbar vor Ort an der Gewalttätigkeit mitwirkt.

3. Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente ohne Erörterung hinweggeht, ist

ebenso rechtsfehlerhaft wie eine solche, die gewichtige Umstände nicht mit in Betracht zieht, welche die Überzeugung des Tatrichters von der Täterschaft eines Angeklagten in Frage zu stellen geeignet sind.


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

1005. BGH 6 StR 174/21 – Urteil vom 8. September 2021 (LG Lüneburg)

BGHR; Brandstiftung (Begriff der Hütte: Jagdhochsitz; Strafzumessung: minder schwerer Fall; Brandstiftung nicht ausschließlich als „qualifiziertes Sachbeschädigungsdelikt“).

§ 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 306 Abs. 2 StGB

1. Ein Jagdhochsitz kann eine Hütte im Sinne von § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB sein. (BGHR)

2. Der Tatbestand des § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist nicht ausschließlich als „qualifiziertes Sachbeschädigungsdelikt“ zu charakterisieren. Er soll vielmehr auch vor Gemeingefahren schützen, die durch unkontrollierte Brände entstehen können und die durch den Ausschluss auch von abstrakten Gesundheitsgefahren für andere Personen gemindert werden. (Bearbeiter)


Entscheidung

1033. BGH 6 StR 282/20 – Urteil vom 14. Juli 2021 (LG Hannover)

Hannoveraner „Rathausaffäre“; Kognitionspflicht; Untreue (Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht: unzureichende Sachaufklärung; Delegation der Abwehr von Vermögensschäden auf Mitarbeiter; Organisationspflicht; ordnungsgemäße Auswahl des Beauftragten und Kontrolle); Grundsätze der Haushaltsuntreue (keine Restriktion bei Geschehenlassen der Bereicherung eines Dritten an öffentlichen Geldern durch Amtsträger); Betrug durch Unterlassen (Garantenpflicht: keine vermögensrelevante Aufklärungspflicht aufgrund Beamtenstellung als solche; keine Berufung auf Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Rückzahlung überzahlter Bezüge).

§ 263 Abs. 1 StGB; § 266 Abs. 1 StGB; § 13 StGB; § 14 StGB; § 264 StPO

1. Zur Erfüllung der Vermögensbetreuungspflicht kann der Treuepflichtige entweder selbst tätig werden oder im Wege der Arbeitsteilung Dritte hiermit befassen. Delegiert er die Abwehr von Vermögensschäden an Mitarbeiter, konkretisiert sich der Inhalt seiner Vermögensbetreuungspflicht zu einer Organisationspflicht und verlangt neben der ordnungsgemäßen Auswahl des Beauftragten bei Anhaltspunkten für Vermögensschädigungen dessen Kontrolle. Dies folgt aus der Einordnung der Vermögensbetreuungspflicht als Sonderpflicht, für die der Bundesgerichtshof bei Arbeitsteilung in Unternehmen die Haftung des Sonderpflichtigen für ein Organisationsverschulden anerkannt hat. Ob es sich um eine öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Organisationseinheit handelt, macht im Hinblick auf den Pflichteninhalt keinen Unterschied, weil die Sonderpflicht unabhängig davon den Schutz des überantworteten Rechtsguts verlangt.

2. Die ihm obliegende Vermögensbetreuungspflicht verletzt der Täter – hier ein Oberbürgermeister –, wenn er trotz Anhaltspunkten für eine Schädigung des Vermögens – hier des Vermögens der Stadt – weder sich selbst durch Einholung von Informationen eine hinreichende Grundlage verschafft, um beurteilen zu können, ob Zulagenzahlungen an einen Mitarbeiter rechtswidrig und daher abzustellen waren noch den mit der Abwehr der Vermögensschädigung von ihm Betrauten ordnungsgemäß auswählt.

3. Die Auswahl des mit der Abwehr von Vermögensschäden Beauftragten ist nicht ordnungsgemäß, wenn er als Begünstigter von Zulagenzahlungen mit der Prüfung ihrer Rechtmäßigkeit betraut wird. Denn im Falle eines negativen Ergebnisses der Recherchen des Beauftragten muss er mit erheblichen gegen ihn gerichteten Rückzahlungsansprüchen rechnen.

4. Eine Sonderpflicht, wie sie die Vermögensbetreuungspflicht bei § 266 StGB darstellt, kann sowohl durch Tun als auch durch Unterlassen verletzt werden, weil sie von dem Sonderpflichtigen die Sicherung des geschützten Rechtsguts verlangt.

5. Die Möglichkeit einer Übertragung von Vermögensbetreuungspflichten ist durch den Bundesgerichtshof anerkannt. Ob sich die Übertragung der Vermögensbetreuungspflicht nach den Voraussetzungen des § 14 StGB oder denjenigen einer Übernahmegarantenstellung richtet, lässt der Senat dahinstehen.

6. Im Bereich des § 263 StGB, der bei aktiven Begehungsweisen durch das Tatbestandsmerkmal der Täuschung eine kommunikative Beziehung zwischen Täter und Opfer fordert, muss die vermögensrelevante Schutzpflicht gerade auf Aufklärung gerichtet sein, um eine dem Opfervermögen zurechenbare, irrtumsbedingte Vermögensverfügung zu verhindern.

7. Die Beamtenstellung als solche begründet noch keine vermögensrelevante Aufklärungspflicht. Insbesondere besagt die dem beamtenrechtlichen Statusverhältnis innewohnende Treuepflicht des Beamten gegenüber seinem Dienstherrn als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums nichts über eine etwaige Vermögensre-

levanz; mit der Zahlung der Bezüge ist vielmehr das Grundverhältnis des Beamten zu seinem Dienstherrn betroffen.


Entscheidung

982. BGH 1 StR 496/20 – Beschluss vom 19. Mai 2021 (LG Mannheim)

Betrug (Vermögensschaden wegen Wertlosigkeit von Zahlungsansprüchen: kein ausreichender Nachweis durch eine wirtschaftskriminalistisch belegte Zahlungsunfähigkeit des Schuldners); Strafzumessung (strafschärfende Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Stellung).

§ 263 Abs. 1 StGB; § 15a InsO; § 46 StGB

1. Zur Feststellung eines Vermögensschadens wegen Wertlosigkeit von Zahlungsansprüchen gegen ein Unternehmen genügt es nicht, allein auf eine mit wirtschaftskriminalistischen Beweisanzeichen belegte Zahlungsunfähigkeit abzustellen. Diese im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen einer Insolvenzverschleppung nach § 15a InsO anerkannte Vorgehensweise greift bei der Bestimmung eines Vermögensschadens zu kurz. Erforderlich für die konkrete Feststellung des Werts der Zahlungsansprüche im Zeitpunkt der Vermögensverfügungen sind vielmehr das vorhandene Unternehmensvermögen und die zu prognostizierende Unternehmensentwicklung, die – gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe – nach wirtschaftswissenschaftlichen Bewertungsverfahren beziffert und in den Urteilsgründen dargelegt werden müssen (vgl. BVerfGE 126, 170, 224 f.).

2. Aus der beruflichen Stellung eines Angeklagten kann nur dann ein Strafschärfungsgrund hergeleitet werden, wenn sich aus ihr besondere Pflichten ergeben, deren Verletzung gerade im Hinblick auf die abzuurteilende Tat Bedeutung hat. Das ist nicht der Fall, wenn ein ehemaliger Profisportler das ihm deswegen entgegengebrachte Vertrauen missbraucht.


Entscheidung

951. BGH 5 StR 39/21 – Urteil vom 18. August 2021 (LG Kiel)

Rechtsbeugung durch Notveräußerung von Tieren (elementarer Rechtsverstoß; bewusste und schwerwiegende Entfernung von Recht und Gesetz; Verfahrensverstoß; Nachteil einer Partei; unrichtige Rechtsanwendung oder Ermessensausübung; Gesamtbetrachtung; Staatsanwalt als tauglicher Täter; subjektiver Tatbestand; bedingter Vorsatz; überzeugungswidriger Regelverstoß; Sperrwirkung).

§ 339 StGB

1. Als eine Beugung des Rechts im Sinne von § 339 StGB kommen nur elementare Rechtsverstöße in Betracht. Erfasst sind nur Rechtsbrüche, bei denen sich der Richter oder Amtsträger bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache bewusst in schwerwiegender Weise zugunsten oder zum Nachteil einer Partei von Recht und Gesetz entfernt und sein Handeln als Organ des Staates statt an Recht und Gesetz an eigenen Maßstäben ausrichtet.

2. Eine unrichtige Rechtsanwendung oder Ermessensausübung reicht für die Annahme einer Rechtsbeugung selbst dann nicht aus, wenn sich die getroffene Entscheidung als unvertretbar darstellt. Insoweit enthält das Merkmal der Beugung des Rechts ein normatives Element, dem die Funktion eines wesentlichen Regulativs zukommt. Ob ein elementarer Rechtsverstoß vorliegt, ist auf der Grundlage einer wertenden Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände zu entscheiden. Dabei kann neben dem objektiven Gewicht und Ausmaß des Rechtsverstoßes insbesondere Bedeutung erlangen, von welchen Motiven sich der Richter leiten ließ.

3. In subjektiver Hinsicht muss sich der Täter des § 339 StGB bewusst in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernen. Der Senat kann offenlassen, ob dies dahingehend zu verstehen ist, dass ein bewusst überzeugungswidriger Regelverstoß vorliegen muss, es also nicht genügt, wenn der Täter lediglich mit der Möglichkeit einer rechtlich nicht mehr vertretbaren Entscheidung rechnet und sich damit abfindet (vgl. BVerfG HRRS 2020 Nr. 97), oder ob hinsichtlich des Vorliegens eines Rechtsverstoßes bedingter Vorsatz ausreicht (vgl. BGH HRRS 2014 Nr. 293).

4. Eine Rechtsbeugung kann grundsätzlich auch durch einen Verstoß gegen Verfahrensrecht begangen werden. In diesem Fall ist es jedoch erforderlich, dass durch die Verfahrensverletzung die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung zum Vor- oder Nachteil einer Partei begründet wurde, ohne dass allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muss. Daneben kann auch Bedeutung erlangen, welche Folgen der Verstoß für eine Partei hatte, inwieweit die Entscheidung materiell rechtskonform blieb und von welchen Motiven sich der Richter oder Amtsträger bei der Entscheidung leiten ließ.

5. Der Tatbestand der Rechtsbeugung entfaltet Sperrwirkung, so dass Richter oder andere Amtsträger wegen Straftaten, die in einem inneren Zusammenhang mit der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache stehen, nur belangt werden können, wenn sie sich zugleich wegen Rechtsbeugung strafbar gemacht haben. Dies gilt zwar nicht, wenn ein Richter oder Amtsträger im Rahmen seiner Tätigkeit bei Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache eine hiervon unterscheidbare, nicht zwingend durch die Leitung oder Entscheidung der Sache erforderte eigenständige Tat begeht, die für sich alleine gegen Strafgesetze verstößt. Anders verhält es sich aber, soweit die tateinheitliche Straftat nicht gelegentlich der Leitung oder Entscheidung der Rechtssache, sondern gerade durch deren fehlerhafte Entscheidung begangen worden sein soll.

6. Ein Staatsanwalt kann Täter einer Rechtsbeugung sein, wenn er wie ein Richter in einem rechtlich vollständig geregelten Verfahren zu entscheiden hat und dabei einen gewissen Grad sachlicher Unabhängigkeit genießt.


Entscheidung

933. BGH 3 StR 194/21 – Beschluss vom 13. Juli 2021 (LG Bad Kreuznach)

Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen (Person unter 18 Jahren; Obhutsverhältnis; Abhängigkeit; Unter- und Überordnung; Überwachung der Lebensführung; Einzelfallbetrachtung).

§ 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB

Der Tatbestand des § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB setzt voraus, dass zwischen Täter und Opfer ein Verhältnis besteht, kraft dessen eine Person unter 18 Jahren dem Täter zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist. Erforderlich hierfür ist ein Abhängigkeitsverhältnis im Sinne einer Unter- und Überordnung, die den persönlichen, allgemein menschlichen Bereich umfasst, in welchem einer Person das Recht und die Pflicht obliegt, die Lebensführung des Jugendlichen und damit dessen geistig-seelische Entwicklung zu überwachen und zu leiten. Ob ein solches Obhutsverhältnis besteht und welchen Umfang es hat, ist nach den tatsächlichen Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen.


Entscheidung

1021. BGH 6 StR 344/21 – Beschluss vom 24. August 2021 (LG Schweinfurt)

Wohnungseinbruchdiebstahl (Begriff der Wohnung: Nebenräume).

§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB

Beim Tatbestand des Wohnungseinbruchdiebstahls unterfallen Nebenräume dem Wohnungsbegriff dann, wenn sie durch eine unmittelbare Verbindung dem Wohnbereich typischerweise zuzuordnen sind, weil sie – wie etwa die Kellerräume eines Einfamilienhauses – mit der Wohnung räumlich und baulich eine Einheit bilden bzw. so mit ihr verbunden sind, dass keine erheblichen Zugangshindernisse zu den Wohnräumen mehr bestehen.


Entscheidung

1031. BGH 6 StR 182/21 – Beschluss vom 15. Juli 2021 (LG Göttingen)

Betrug (Vermögensverfügung; Vermögensschaden: schadensgleiche Vermögensgefährdung; Stoffgleichheit; Gesamtsaldierung; Schadenskompensation).

§ 263 Abs. 1 StGB

1. Der beim Betrug durch den Täter erstrebte Vorteil muss die Kehrseite des Schadens, das heißt unmittelbare Folge der täuschungsbedingten Vermögensverfügung sein und dem Täter direkt aus dem geschädigten Vermögen zufließen (st. Rspr.) – sog. Stoffgleichheit.

2. Eine solche Stoffgleichheit liegt bei einem Regressanspruch des Kreditgebers gegen einen Kreditvermittler nicht vor, wenn es dem Täter bloß auf den Abschluss des Darlehensvertrages ankommt und aus dem Vermögen des Kreditvermittlers keine Verschiebungen in Richtung des Täters erfolgen.

3. In einer solchen Konstellation kommt indes ein Betrug zum Nachteil des Kreditgebers in Betracht; eine vertragliche Haftungsübernahme durch den Kreditvermittler für den Fall des Ausfalls des Täter schließt den Vermögensschaden nicht grundsätzlich aus. Vielmehr kann die Haftungsübernahme nur dann ein im Rahmen der Gesamtsaldierung zu berücksichtigendes Äquivalent darstellen, wenn der hiermit verbundene Vermögenszuwachs ebenfalls unmittelbar durch die vermögensmindernde Verfügung entsteht (Gesichtspunkt der Schadenskompensation). Bei der Gesamtsaldierung bleiben demgegenüber solche Vermögensmehrungen außer Betracht, die nicht aus der Verfügung resultieren, sondern auf einem anderen rechtlich selbständigen Grund beruhen.


Entscheidung

970. BGH 1 StR 177/21 – Beschluss vom 30. Juni 2021 (LG Mannheim)

Betrug (Vermögensschaden: Eingehungsbetrug, Begründung von konkreten Ansprüchen bereits durch Vertragsschluss).

§ 263 Abs. 1 StGB

Eine vollendete Betrugstat in Gestalt in eines Eingehungsbetrugs bereits durch Abschluss eines Vertrages kommt nur dann in Betracht, wenn nach den konkreten Umständen des Vertragsschlusses und dem jeweiligen Vertragsinhalt bereits mit den jeweiligen Vereinbarungen konkrete Ansprüche auf Leistungen des Vertragspartners begründet werden wären, die aufgrund des täuschungsbedingt unausgewogenen vertraglichen Äquivalenzverhältnisses zu einem messbaren Vermögensnachteil bei beim Vertragspartner führen. Lediglich eine Vorbereitungshandlung liegt hingegen vor, wenn die Leistungspflicht des Vertragspartners von einer noch zu erbringenden Gegenleistung abhängt.


Entscheidung

976. BGH 1 StR 222/21 – Beschluss vom 11. August 2021 (LG Landshut)

Gefährliche Körperverletzung (Eventualvorsatz bei hochgradiger Alkoholisierung oder affektiver Erregung).

§ 223 Abs. 1 StGB; § 224 Abs. 1 StGB; § 15 StGB

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch bei hochgefährlichen Taten im Einzelfall das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes fehlen kann, wenn dem Täter das Risiko der Erfolgsherbeiführung – trotz Kenntnis aller gefahrbegründenden Umstände – infolge einer alkoholischen Beeinflussung oder einer anderen psychischen Beeinträchtigung zur Tatzeit nicht bewusst ist oder er deshalb ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des Erfolgs vertraut (vgl. BGHSt 57, 183 Rn. 26). Hochgradige Alkoholisierung und affektive Erregung gehören daher zu den Umständen, die der Annahme eines bedingten Vorsatzes entgegenstehen können und deshalb ausdrücklicher Erörterung in den Urteilsgründen bedürfen.


Entscheidung

964. BGH 1 StR 83/21 – Urteil vom 29. Juli 2021 (LG Augsburg)

Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Bandendelikten (banden- und gewerbsmäßiger Betrug; hier: falscher Polizeibeamter).

§ 25 Abs. 2 StGB; § 27 Abs. 1 StGB; § 263 Abs. 1, Abs. 5 StGB

1. Schließen sich mehrere Täter zu einer Bande zusammen, um fortgesetzt Straftaten einer bestimmten Deliktsart zu begehen, ist für jede einzelne Tat nach den allgemeinen Kriterien festzustellen, ob sich die anderen Bandenmitglieder hieran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt oder ob sie gegebenenfalls überhaupt keinen strafbaren Beitrag geleistet haben (st. Rspr.). Ebenso wie nicht jeder Beteiligte an einer von einer Bande ausgeführten Tat hierdurch zum Bandenmitglied wird, ist auch nicht jeder Beteiligte an einer Bandentat schon deshalb als deren Mittäter anzusehen (vgl. BGHSt 47, 214, 216 ff.).

2. Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB, wer seinen eigenen Tatbeitrag leistet und diesen so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen (st. Rspr.).

3. Die Frage, ob sich bei mehreren Tatbeteiligten das Handeln eines von ihnen als Mittäterschaft im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB darstellt, ist vom Tatgericht für jede einzelne Tat aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Maßgebliche Kriterien sind dabei der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Beteiligten abhängen müssen (st. Rspr.).


Entscheidung

1001. BGH 4 StR 53/21 – Beschluss vom 21. Juli 2021 (LG Limburg an der Lahn)

Mord (Heimtücke: Ausnutzungsbewusstsein, affektive Durchbrüche, heftige Gemütsbewegungen, Spontaneität des Tatentschlusses, Darlegungsmangel).

§ 211 StGB

1. Das Mordmerkmal der Heimtücke gemäß § 211 Abs. 2 StGB setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Das Ausnutzungsbewusstsein kann im Einzelfall bereits aus dem objektiven Bild des Tatgeschehens abgeleitet werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt. Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat.

2. An einem Ausnutzungsbewusstsein kann es bei affektiven Durchbrüchen oder heftigen Gemütsbewegungen fehlen. Wenn auch nicht jeder dieser Zustände einen Täter daran hindert, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tatbegehung zu erkennen, so kann doch die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass er ohne das erforderliche Ausnutzungsbewusstsein gehandelt hat.

3. Die Prüfung und Entscheidung der Frage, ob der Täter mit dem in subjektiver Hinsicht erforderlichen Ausnutzungsbewusstsein gehandelt hat, ist Tatfrage und unterliegt einer nur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle. In den Urteilsgründen sind die für und gegen die Annahme des Ausnutzungsbewusstseins sprechenden Beweisanzeichen regelmäßig in einer Weise darzulegen, dass die Überprüfung der tatgerichtlichen Entscheidung auf Rechtsfehler möglich ist.


Entscheidung

942. BGH 3 StR 474/20 – Urteil vom 12. August 2021 (LG Koblenz)

Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung (äußeres Erscheinungsbild; Wegnahme; Weggabe; Preisgabe des Fundortes des begehrten Gegenstandes; Gewahrsamsübertragung; Möglichkeit zum Gewahrsamsbruch).

§ 249 StGB; § 253 StGB; § 255 StGB

Die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung erfolgt nach dem äußeren Erscheinungsbild des vermögensschädigenden Verhaltens des Verletzten (st. Rspr.). Wird dieser gezwungen, die Wegnahme der Sache durch den Täter selbst zu dulden, so liegt Raub vor; wird er dagegen zur Vornahme einer vermögensschädigenden Handlung, mithin einer Weggabe, genötigt, so ist – sofern eine Absicht rechtswidriger Bereicherung gegeben ist – eine räuberische Erpressung anzunehmen. Dabei liegt in der Preisgabe des Ortes, an dem der begehrte Gegenstand zu finden ist, noch keine Gewahrsamsübertragung. Vielmehr wird dem Täter lediglich die Möglichkeit zum Gewahrsamsbruch und damit der eigentlichen vermögensschädigenden Handlung durch das Ansichnehmen des jeweiligen Gegenstandes eröffnet.


Entscheidung

995. BGH 4 StR 137/21 – Beschluss vom 19. August 2021 (LG Bochum)

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (Unfall im Straßenverkehr); Diebstahl (Tateinheit: Urkundenfälschung); verminderte Schuldfähigkeit (tatsächliches Einsehen des Unrechts des Tuns zum Tatzeitpunkt); Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Gefährlichkeitsprognose).

§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 242 StGB; § 267 StGB; § 63 StGB; § 21 StGB

1. Unter dem Begriff des Unfalls im Straßenverkehr ist jedes mit dem Straßenverkehr ursächlich zusammenhängende Ereignis zu verstehen, durch das ein Mensch zu Schaden kommt oder ein nicht ganz belangloser Sachschaden verursacht wird.

2. Eine erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat, während die Schuld eines Beschuldigten nicht gemildert wird, wenn er ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen hat.