HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2021
22. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

721. BGH 6 StR 142/21 - Beschluss vom 18. Mai 2021 (LG Weiden)

Berücksichtigung einer EU-ausländischen Strafe bei der Strafzumessung (Bemessung des Nachteilsausgleichs im Urteil: Orientierung an den allgemein Strafzumessungsgründen bei der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe).

Art. 3 Abs. 1 EURaBes 2008/675; § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB; § 55 Abs. 1 StGB

Der Senat lässt dahingestellt, ob er der Auffassung des 1. Strafsenats zur Notwendigkeit eines bezifferten Nachteilsausgleichs bei noch nicht vollstreckten, nach den Grundsätzen der deutschen Strafrechtsordnung hypothetisch gesamtstrafenfähigen EU-ausländischen Strafen folgen könnte.


Entscheidung

706. BGH 2 StR 67/21 - Beschluss vom 28. April 2021 (LG Darmstadt)

Bildung der Gesamtstrafe (Härteausgleich nach Vollstreckung einer Geldstrafe durch Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe).

§ 54 StGB

Zwar ist es regelmäßig keine Härte, wenn deshalb, weil eine Geldstrafe bereits vollstreckt ist, eine Freiheitsstrafe nicht erhöht wird; anderes gilt jedoch dann, wenn die Geldstrafe durch Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt wurde.


Entscheidung

688. BGH 5 StR 151/21 - Beschluss vom 8. Juni 2021 (LG Leipzig)

Strafzumessung und Strafrahmenwahl bei einem besonders schweren Fall der Nötigung.

§ 240 Abs. 1, Abs. 4 StGB

Es ist nicht zulässig, Umstände, die bei der Strafrahmenwahl einen besonders schweren Fall (hier: der Nötigung) begründet haben, mit ihrem vollen Gewicht bei der konkreten Strafzumessung schärfend zu berücksichtigen. Das gilt nicht nur für die Modalitäten, die ein Regelbeispiel darstellen, sondern auch für Straferschwerungsgründe, die in ihrem Schweregrad als den Regelbeispielen gleichwertig angesehen werden.


Entscheidung

650. BGH 1 StR 82/21 - Beschluss vom 19. Mai 2021 (LG Karlsruhe)

Strafzumessung (strafschärfende Berücksichtigung von Verhalten, in dem eine eingeschränkte Steuerungsfähigkeit zum Ausdruck kommt).

§ 46 StGB; § 21 StGB

Vor dem Hintergrund des Regelungszwecks des § 21 StGB verbietet es sich regelmäßig, das Verhalten, in dem die eingeschränkte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Ausdruck kommt, strafschärfend zu dessen Lasten in die Strafzumessung einzustellen.


Entscheidung

732. BGH 6 StR 224/21 - Beschluss vom 2. Juni 2021 (LG Hildesheim)

Strafaussetzung (Kriminalprognose; fehlende Unrechtseinsicht: zulässiges Verteidigungsverhalten); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Hang: fehlende Suchterkrankung).

§ 56 Abs. 1 StGB; § 64 StGB

1. Fehlende Unrechtseinsicht darf nicht zum Nachteil des die Tat bestreitenden Angeklagten gewertet werden; denn auch im Rahmen des § 56 StGB darf einem Angeklagten ein die Grenzen des Zulässigen nicht überschreitendes Verteidigungsverhalten nicht angelastet werden (st. Rspr.)

2. Das Tatgericht darf bei der Frage nach dem Bestehen eines Hanges im Sinne des § 64 StGB nicht bloß auf eine fehlende Suchterkrankung des Angeklagten abstellen. Es muss vielmehr näher prüfen, ob bei dem Angeklagten eine durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Alkohol zu konsumieren, gegeben ist.


Entscheidung

669. BGH 3 StR 343/20 - Beschluss vom 20. April 2021 (LG Osnabrück)

Besonders schwerer Fall des Betruges (Gewerbsmäßigkeit)

§ 263 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 5 StGB

Die Gewerbsmäßigkeit i.S.d. § 263 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 5 StGB setzt stets ein eigennütziges Handeln voraus und damit einen vom Täter erstrebten Vermögenszufluss an sich selbst. Sie ist ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 2 StGB; deshalb kann der Gehilfe nur dann nach §§ 263 Abs. 5, 27 StGB verurteilt werden, wenn er selbst gewerbsmäßig handelt.


Entscheidung

685. BGH 5 StR 120/20 - Urteil vom 12. Mai 2021 (LG Lübeck)

Grundsätze der Strafzumessung (Einzel- und Gesamtstrafenzumessung; revisionsgerichtliche Überprüfbarkeit); Strafaussetzung zur Bewährung (Begründungsanforderungen; revisionsgerichtliche Überprüfbarkeit).

§ 46 StGB; § 54 StGB; § 56 StGB

1. Die Einzel- und Gesamtstrafenzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts, dessen Aufgabe es ist, aufgrund der Hauptverhandlung die wesentlichen belastenden und entlastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen.

2. Auch die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 Abs. 1 und 2 StGB) ist Aufgabe des Tatgerichts, dem auch insoweit ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat. Es ist aber erforderlich, dass das Urteil in einer der revisionsrechtlichen Überprüfung zugänglichen Weise die dafür maßgebenden Gründe mitteilt. Für die Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bis zu zwei Jahren sind daher zunächst Ausführungen zum Vorliegen einer günstigen Legalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB notwendig. Ferner muss das Tatgericht besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB darlegen, welche die Strafaussetzung zur Bewährung trotz des Unrechts- und Schuldgehalts, der sich in der Strafhöhe widerspiegelt, als nicht unangebracht erscheinen lassen.


Entscheidung

733. BGH 6 StR 341/20 - Urteil vom 2. Juni 2021 (LG Bückeburg)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Gefahrenprognose: ausschlaggebender Zeitpunkt); Hinzuziehung von Sachverständigen (Abweichung vom Inhalt des Gutachtens; Auseinandersetzung mit Darlegungen des Sachverständigen); Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (Hang; Gefährlichkeit); beeinträchtigte Steuerungsfähigkeit (schwere andere seelische Störung; Pädophilie).

§ 63 StGB; § 20 StGB; § 21 StGB; § 66a Abs. 1 Nr. 3 StGB; § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB

1. Zwar ist das Tatgericht nicht gehindert, vom Gutachten eines vernommenen Sachverständigen abzuweichen, weil dieses stets nur Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein kann (st. Rspr.). Will es aber eine Frage, für deren Beurteilung es sachverständige Hilfe in Anspruch genommen hat, im Widerspruch zum Gutachten beantworten, muss es die Gründe hierfür in einer Weise erörtern, die dem Revisionsgericht die Nachprüfung ermöglicht, ob es das Gutachten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat. Hierzu bedarf es einer erschöpfenden Auseinandersetzung mit den Darlegungen des Sachverständigen, insbesondere auch zu den Gesichtspunkten, auf die das Gericht seine abweichende Auffassung stützt

2. Für die Gefahrenprognose für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Urteils ausschlaggebend, wohingegen nur mögliche positive Entwicklungen in der Zukunft außer Betracht zu bleiben haben (st. Rspr.).

3. Eine Pädophilie kann im Einzelfall zwar das vierte Eingangsmerkmal des § 20 StGB (nunmehr „schwere andere seelische Störung“) erfüllen und eine hierdurch erheblich beeinträchtigte Steuerungsfähigkeit begründen (st. Rspr.). Dies setzt aber voraus, dass die Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz der devianten Handlungen, Ausbau des Raffinements und gedankliche Einengung des Täters auf diese Praktiken auszeichnen; hierfür bedarf es einer umfassenden Gesamtschau der Täterpersönlichkeit und seiner Taten.


Entscheidung

734. BGH 6 StR 406/20 - Urteil vom 20. Mai 2021 (LG Verden)


Strafmilderung oder Absehen von Strafe (Aufklärungshilfe; Anforderungen an wesentlichen Aufklärungserfolg: Angaben des Angeklagten; Präklusion).

§ 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG; § 49 Abs. 1 StGB; § 30 Abs. 1 BtMG; § 31 Satz 3 BtMG; § 46b Abs. 3 StGB

Zwar setzt die Annahme eines wesentlichen Aufklärungserfolgs im Sinne des § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG weder den Erlass eines Haftbefehls gegen die von dem Täter belastete Person noch deren Verurteilung oder Festnahme voraus. Erforderlich ist aber, dass der Täter – noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens – die von ihm belastete Person so genau bezeichnet hat, dass diese identifiziert und zur Festnahme ausgeschrieben werden könnte (st. Rspr.).


Entscheidung

708. BGH 4 StR 1/21 - Beschluss vom 11. Mai 2021 (LG Bochum)

Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte (Beziehungsgegenstände: nicht gesamtes elektronisches Gerät, sondern enthaltenes Speichermedium; Einziehungsentscheidung: keine Entscheidung zur Berücksichtigung im Rahmen der Strafzumessung; Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: vorrangige Prüfung weniger einschneidender Maßnahmen zur Erreichung des Einziehungszwecks); Beschränkung der Verfolgung (revisionsgerichtliche Überprüfung nur auf eine Verfahrensrüge).

§ 74 StGB; § 184b Abs. 6 Satz 1 StGB; § 154a Abs. 2 StPO

1. Eine Einziehungsentscheidung nach § 74 StGB hat den Charakter einer Nebenstrafe und stellt damit eine Strafzumessungsentscheidung dar. Wird dem Täter auf diese Weise ein ihm zustehender Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen, ist dies deshalb als ein bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der daneben zu verhängenden Strafe und insoweit im Wege der Gesamtbetrachtung der den Täter betreffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen.

2. Es kann vorliegend offenbleiben, ob auch eine zwingende Einziehungsentscheidung gemäß § 184b Abs. 6 Satz 1 StGB im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen ist, sofern ein Gegenstand von nicht unerheblichem Wert betroffen ist.

3. Beziehungsgegenstände im Sinne des § 184b Abs. 6 Satz 1 StGB sind nicht etwa ein (gesamtes) Mobiltelefon oder ein (gesamter) Laptop, sondern nur die in ihnen verbauten und zur Bildspeicherung genutzten Speichermedien.

4. Sowohl für die Anordnung gemäß § 184b Abs. 6 Satz 1 StGB als auch für eine solche nach § 74 Abs. 1 StGB gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 74f StGB), so dass gegebenenfalls von den Möglichkeiten des § 74f Abs. 2 StGB Gebrauch gemacht werden muss. Danach können Einziehungen zunächst vorbehalten bleiben und weniger einschneidende Maßnahmen anzuordnen sein, wenn auch auf diese Weise der Einziehungszweck erreicht werden kann. Dies kann bei einer Speicherung von Bilddateien durch deren endgültige Löschung geschehen.

5. Eine Überprüfung des Urteils mit Blick auf eine Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 2 StPO kann im Revisionsverfahren nicht auf die Sachrüge erfolgen. Anders als eine Verfahrenseinstellung nach § 154 StPO führt eine Verfahrensbeschränkung nach § 154a StPO kein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis herbei, da eine Verfahrensbeschränkung nach § 154a StPO nur dazu führt, dass der Angeklagte während ihrer Dauer wegen der ausgeschiedenen Tatteile strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, aber nicht die Frage betrifft, ob diese Tat überhaupt abgeurteilt werden darf. Zudem bleibt die Wirkung einer Verfahrensbeschränkung nach § 154a StPO auch deshalb deutlich hinter derjenigen nach § 154 StPO zurück, weil die Anforderungen an eine Wiedereinbeziehung des abgetrennten Teils bei § 154a StPO geringer sind. So kann gemäß § 154a Abs. 3 Satz 1 StPO eine Wiedereinbeziehung in jeder Lage des Verfahrens ohne einen – wie in § 154 Abs. 5 StPO vorgesehenen – Gerichtsbeschluss erfolgen. Etwaige Fehler im Verfahren über die Wiedereinbeziehung, wie ein Verstoß gegen die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs, müssen demnach mit einer Verfahrensrüge geltend gemacht werden.


Entscheidung

717. BGH 6 StR 113/21 - Beschluss vom 1. Juni 2021 (LG Frankfurt)

Urteilsgründe (keine Nacherzählung des Gangs der Hauptverhandlung); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Symptomwert der Anlasstat; hinreichend konkrete Erfolgsaussicht; Prognosemaßstab).

§ 267 StPO; § 261 StPO; § 64 StGB

1. Bei der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt muss die konkrete Anlasstat im Hang ihre Wurzel finden, also Symptomwert für diesen haben, indem sich in ihr die hangbedingte Gefährlichkeit des Täters äußert (st. Rspr.).

2. Bei Taten, die nicht auf die Erlangung von Rauschmitteln selbst oder von Geld zu deren Beschaffung abzielen, bedarf die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Hang und Anlasstat besonderer hierfür sprechender Umstände.

3. Der Prognosemaßstab, ein Therapieerfolg erscheine „nicht von vornherein ausgeschlossen“, entspricht dem des § 64 Abs. 2 StGB a.F., den das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1994 für verfassungswidrig erklärt hat, und ist rechtsfehlerhaft.