HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2005
6. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen


Anmerkungen zu BGH 2 StR 30/05, Urteil vom 15. Juni 2005 (= HRRS 2005 Nr. 530) - Betrug durch Lastschriftreiterei

Von Staatsanwalt Jürgen Heinze, Hanau

Mit dem nun ersten strafgerichtlichen BGH-Urteil zur sog. "Lastschriftreiterei" hat der 2. Strafsenat grundlegend und ausführlich klargestellt, dass das missbräuchliche Ausnutzen des Lastschriftverfahrens durch einen ansonsten zahlungsunfähigen Zahlungsempfänger, der sich mittels Lastschrift(en) einen Kredit verschafft - genauso wie die entsprechende missbräuchliche "Wechsel- und Scheckreiterei" - als Betrug zum Nachteil der betroffenen Gläubigerbank strafbar ist. Der Senat stellt hierbei ausdrücklich auf ein konkludentes täuschendes Handeln des Zahlungsempfängers ab, wenn dieser Lastschrift(en) seiner betroffenen Gläubigerbank ohne einen Hinweis darauf vorlegt, dass die betreffende Lastschrift nicht Instrument des bargeldlosen Zahlungsverkehrs ist, sondern ihm zur "Kreditschöpfung mittels Kreditlastschrift" dienen soll. Damit hat der BGH für solche Fallgestaltungen dem Zahlungsempfänger eine generelle Aufklärungsobliegenheit gegenüber der Bank auferlegt.

Der Entscheidung kommt für den strafrechtlichen Schutz des Lastschriftverkehrs eine ganz erhebliche praktische Bedeutung zu. Die Staatsanwaltschaften im gesamten Bundesgebiet hatten und haben sich seit etwa 2-3 Jahren in großem Umfang mit - teils aus dem Ausland agierenden und auch gegenseitig konkurrierenden - Vermittlern zu beschäftigen. Diese gewinnen zum einen gezielt insolvente oder sich jedenfalls in erheblichen Liquiditätsschwierigkeiten befindliche Personen mit Kreditbedarf und zum anderen kurzfristige Geldgeber für ein System der "Lastschriftreiterei" zum Nachteil der betroffenen Banken. In der Regel kennen sich die Geldgeber und die Zahlungsempfänger nicht. Die Geldgeber stellen auf Geheiß der Vermittler Lastschriften zugunsten der Zahlungsempfänger aus - im Wissen, dass die daraufhin von ihren Konten abgebuchten Gelder ihnen nach einem Widerruf wieder ohne Verlustrisiko gutgeschrieben werden müssen. Hierbei werden oftmals und ebenfalls auf Geheiß der Vermittler Umsatzgeschäfte durch den Zahlungsempfänger mit Scheinrechnungen vorgetäuscht, damit die Darlehensgeschäfte durch die Geldgeber bzw. Vermittler als Factoring-Geschäfte getarnt werden können. Die Geldgeber erhalten für ihr Mitwirken sodann über den Marktverhältnissen liegende Zinsen, die Vermittler vereinnahmen von den insolventen Lastschrift-Zahlungsempfängern wucherische Provisionen bzw. "Gebühren" in einer Gesamthöhe von 20 bis 25 Prozent der kreditierten Summe und die Zahlungsempfänger erhalten so kurzfristige Kredite zum "Löcherstopfen" ihrer anderen drückenden Verbindlichkeiten, die sie ansonsten mangels Kreditwürdigkeit bei der Bank nicht (mehr) erhalten hätten. Hierbei entwickelt sich im Einzelfall zwangsläufig jeweils ein "Schneeballsystem" mit einem sich ständig steigernden Kreditbedarf des Zahlungsempfängers, da dieser neben seinen sonstigen Gläubigern auch den Vermittler mitsamt dessen Geldgebern - weit über Kreditmarktzins - finanzieren muss. Die betroffene ahnungslose Bank ist wehrlos. Sie kann bei Widerruf der Lastschrift die Rückbuchung an den Zahlungspflichtigen bzw. dessen Zahlstelle aufgrund des "Abkommens über das Lastschriftverfahren" nicht verweigern. Sie wird mithin in ihrer Funktion als Zahlstelle bei einem Widerspruch (Rücklastschrift) des Darlehensgebers als Zahlungspflichtigem in die Rolle eines Bürgen für den Lastschriftempfänger gezwungen. Das Darlehensrisiko wird von dem Darlehensgeber auf die Bank als Zahlstelle verlagert. Der Bank verbleibt letztlich aus einem solchen "Schneeballsystem" mangels Rückgriffsmöglichkeit auf Vermögenswerte des insolventen Zahlungsempfängers der alleinige finanzielle Schaden. Dieser beziffert sich allein aus den bislang bekannt gewordenen bundesweiten Ermittlungsvorgängen zwischenzeitlich auf einen Betrag im hohen zweistelligen Millionenbereich. Es ist aufgrund des Ausnahmecharakters von Strafanzeigen der Banken gegen Kunden von einer ganz erheblich darüber liegenden Dunkelziffer mit einem gesamten Schadensvolumen im dreistelligen Millionenbereich auszugehen.

Mit identischen Fallgestaltungen waren bereits andere Obergerichte befasst. In allen Fällen wurde eine Betrugsstrafbarkeit bejaht. So führte am 18.11.2004 das Oberlandesgericht München im Rahmen einer als unbegründet verworfenen weiteren Haftbeschwerde[1] zum Betrugstatbestand unter anderem aus, es sei der betroffenen Bank verschwiegen worden, dass sie dazu missbraucht wurde, das Risiko der Darlehensrückzahlung zu tragen. Hätte die Bank dies gewusst, hätte sie die Lastschriften nicht vorgenommen. Das Risiko der Banken werde in solchen Fällen gegenüber üblichen Lastschriften um ein Vielfaches erhöht; denn es sei nur dann nötig, sich eine Risikoabwälzung für ein Darlehen zu erschleichen, bei welchem bei Nichtrückzahlung die Lastschriftermächtigung widerrufen wird, wenn ansonsten keine legal vereinbarten Sicherheiten zur Verfügung stehen. Dies sei nicht vergleichbar mit dem (ansonsten geschäftsüblichen) Fall, dass Lastschriften widerrufen werden, weil Gewährleistungsansprüche geltend gemacht werden. Das Risiko, das die Bank hierbei eingehe, sei kalkulierbar, zumal bei Gewährleistungsansprüchen in der Regel nicht die gesamte Forderung betroffen sei. Ganz anders sei es bei Auszahlung eines Darlehens. Dessen Zweck bestehe ja in der Regel darin, andere Schulden abzudecken, so dass das geflossene Geld bestimmungsgemäß verbraucht werde und in der Regel auch kein weiteres da sei. An-

dernfalls hätte der Empfänger kein Darlehen gebraucht. Auch dem Oberlandesgericht München zufolge bedeutet dies bei "Kreditlastschriften" fast zwangsläufig, dass die Bank auf nichts mehr zurückgreifen kann, wenn der Widerruf bei ihr eingeht. Dieses Risiko, das bei ansonsten abgeschlossenen Darlehensverträgen der Darlehensgeber (bewusst) trägt, sei übertragen worden, ohne die Bank als (faktische) Darlehensgeberin darauf hinzuweisen. Die so Handelnden würden meinen, auf diese Weise einen Vertrag zu Lasten Dritter schließen zu können, ohne dass dieser Dritte zustimmen müsse. Das OLG München hat weiter ausgeführt, dass auch klar gewesen sei, dass die Banken bei Kenntnis niemals zugestimmt hätten. Dies ergebe sich schon daraus, dass Banken das Risiko der Bezahlung von Forderungen - etwa im Weg der Bankbürgschaft - nur nach dessen Prüfung und gegen Zahlung von Zinsen übernehmen, wie allgemein bekannt sei. Dass die Bank mit der Lösung, wonach sie das Risiko trug, andere aber die Zinsen einzögen, einverstanden gewesen sein könnte, beurteilt das OLG München zutreffend als abwegig. Ein "Mitverschulden" der tätigen Bank wegen unzureichender Überwachung ändere an der Verantwortlichkeit des Beschuldigten für den eingetretenen Schaden nicht einmal zivilrechtlich etwas.

Dieser Argumentation hat sich das Oberlandesgericht Stuttgart[2] am 25.01.2005 ebenfalls im Rahmen der Verwerfung einer weiteren Haftbeschwerde angeschlossen und ausgeführt, es werde konkludent erklärt, dass eine werthaltige fällige Forderung besteht, für die der zur Einziehung Ermächtigte bereits eine Gegenleistung, etwa die Lieferung von Waren, erbracht habe. Tatsächlich sei die eingezogene Forderung jedoch insofern wertlos, als durch ihren Einzug immer auch der in gleicher Höhe bestehende und allein durch die Möglichkeit des fristgemäßen Widerrufs der Lastschrift "gesicherte" Darlehensrückzahlungsanspruch des Lastschriftenempfängers gegen den Einziehungsberechtigten ausgelöst worden sei. Der Einziehungsberechtigte sei zur Rückführung des Kredits regelmäßig nur durch Aufnahme eines neuen - wiederum im Wege des Lastschrifteneinzugs ausgezahlten - Darlehens in der Lage, zumal er aus der jeweiligen ausbezahlten Darlehenssumme bis zu 20 Prozent an Vermittlungsprovision zu entrichten gehabt habe. Die hierin gegenüber dem normalen Ausfallrisiko beim Lastschrifteneinzug liegende Risikomaximierung zu Lasten der Inkassobank führe bei dieser zu einer schadensgleichen Vermögensgefährdung in Höhe des per Lastschrift eingezogenen Darlehensbetrages.

Nicht Gegenstand der vorliegenden BGH-Entscheidung war die Frage, ob solche (vorgetäuschte) Factoring-Geschäfte über nicht bestehende Forderungen und entsprechende Darlehensgewährungen durch die an diesem Schneeballsystem Beteiligten nicht auch als unerlaubte Bankgeschäfte nach § 54 Abs.1 KWG strafbar sind. In einem ähnlich gelagerten Fall hat das AG Gera hierzu am 10.11.2004 entschieden, dass ein Verstoß gegen § 54 Abs.1 Nr.2 KWG vorliegt, wenn solche kurzfristigen Kreditgeschäfte mittels Lastschrifteinzug durch den Zahlungsempfänger geschäftsmäßig betrieben werden.[3] Nimmt dabei der Zahlungsempfänger von verschiedenen Geldgebern faktische Darlehensbeträge gegen Zinsen - namentlich getarnt als "Gebühren bzw. Provisionen" - in nicht unerheblichem Umfang an, bestehe die Gefahr, dass er ohne kaufmännische Buchführung den Überblick verliere. Insoweit liege ein geschäftsmäßiges Handeln vor, weshalb der Zahlungsempfänger nach der gut begründeten Auffassung des AG Gera für solche Einlagengeschäfte i.S. des § 1 Abs.1 Satz 2 Nr.1 KWG jeweils einer nach § 32 Abs.1 Satz 1 KWG erforderlichen Erlaubnis bedarf. Die komplexe Thematik kann im Rahmen dieser Urteilsanmerkung nicht vertieft werden.

Das AG Gera hat, ebenso wie das Oberlandesgericht Stuttgart in der oben genannten Entscheidung, im übrigen Tateinheit zu dem (gewerbsmäßigen) Betrug angenommen.


[1] OLG München, Beschluss vom 18.11.2004 - 2 Ws 1110/04, unveröffentlicht.

[2] OLG Stuttgart, Beschluss vom 25.01.2005 - 5 HEs 149/04, unveröffentlicht.

[3] AG Gera, Urt.v.10.11.2004 - 750 Js 32484/03 - 10 Ls, in NStZ-RR 2005, 213 ff.