HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2005
6. Jahrgang
PDF-Download

Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Aufgedeckt! Muss der verdeckte Ermittler in der Hauptverhandlung aussagen?

Verwertung der Ergebnisse eines verdeckten Ermittlers in der Hauptverhandlung im österreichischen Strafprozess - Zur Entscheidung OGH 13 Os 153/03 - Urteil vom 18. Februar 2004 (LGSt Graz) = HRRS 2005 Nr. 303 (in diesem Heft).

Von Univ.-Ass. Dr. Christian Rosbaud, LL.M. (Salzburg)

I.  Einleitung

Die hier vorzustellende Entscheidung des österreichischen Obersten Gerichtshofs (OGH) ist von grundlegender Bedeutung. Sie wurde in Österreich bereits mehrfach und im Grundsatz zustimmend besprochen. [1] Die Verwendung und Verwertung von Ergebnissen eines verdeckten Ermittlers in der Hauptverhandlung (HV) wird in Österreich und Deutschland gleichermaßen lebhaft diskutiert. Neben der gleichgelagerten Problematik ist diese Entscheidung aus deutscher Sicht auch deswegen von Interesse, weil der OGH in seiner Begründung auf das in diesem Zusammenhang betroffene Fragerecht nach Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK Bezug nimmt. [2] Wenngleich im Unterschied zu Österreich die EMRK in Deutschland nicht im Verfassungsrang steht, sondern lediglich den Rang eines einfachen Bundesgesetzes einnimmt (Art. 59 Abs. 2 GG), so ist doch die einschlägige Rspr. des EGMR zu berücksichtigen. [3]

II.  Sachverhalt und Problemstellung

Die Entscheidung ist aufgrund des komplexen Sachverhalts und der komprimierten Darstellung nicht leicht zugänglich und enthält gleich mehrere bedeutsame Aussagen. [4] Für den hier interessierenden Zusammenhang lässt sich der Sachverhalt folgendermaßen darlegen:

Die Beschuldigten wurden bei der Übergabe von 4,5kg Heroin an einen verdeckten Ermittler des Bundesministeriums für Inneres (BMI) festgenommen. In der HV konnte der verdeckte Ermittler nicht vernommen werden, weil das BMI dessen Identität nicht preisgab. Das Gericht vernahm daher einen anderen Polizeibeamten über die ihm gegenüber gemachten Äußerungen des verdeckten Ermittlers. Dieser erhob zudem den vom verdeckten Ermittler verfassten Bericht zu seiner Aussage. Die erstinstanzliche Verurteilung (wegen Einfuhr, Ausfuhr und Inverkehrsetzen von Suchtmittel in übergroßer Menge nach § 28 Abs. 2, 3 und 4 SuchtmittelG [vergleichbar mit dem deutschen BtMG] und wegen krimineller Vereinigung gem § 278 öStGB) stützte sich maßgeblich auf diese Aussage und daher auch auf den erwähnten Bericht.

Der Einsatz von verdeckten Ermittlern (bzw. V-Leuten und anonymen Informanten) ist für die Verbrechensaufklärung und -bekämpfung im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität unverzichtbar geworden. [5] In der Praxis stellt sich allerdings das Problem, dass der verdeckte Ermittler nicht als Zeuge in der Hauptverhandlung (HV) auftreten soll. Dies gefährdet nämlich u.U. seine persönliche Sicherheit bzw. verunmöglicht jedenfalls seinen weiteren Einsatz als verdeckter Ermittler. [6] Die vorgesetzte Dienstbehörde gibt daher in aller Regel unter Berufung auf das Amtsgeheimnis (§ 151 Abs. 1 Ziff. 2 öStPO, Art. 20 Abs. 3 Bundes-VerfassungsG, § 46 öBeamtendienstrechtsG) die Identität des verdeckten Ermittlers nicht bekannt (so genannte Auskunftssperre oder Sperrerklärung). [7] Das Gericht kann deshalb den verdeckten Ermittler nicht zur HV laden, geschweige denn

vernehmen. Die Praxis umging dieses Problem bisher dadurch, dass in der HV der Bericht des verdeckten Ermittlers verlesen und/oder eine andere Person (ein Polizeikollege, Führungsoffizier, Leiter der verdeckten Ermittlung) über die vom verdeckten Ermittler diesem gegenüber gemachten Äußerungen vernommen wurde (Verhörsperson bzw. Zeuge vom Hörensagen). [8] In beiden Fällen kam es zur Beweisführung aufgrund so genannter Beweissurrogate. Diese Vorgehensweise ist aus der Sicht des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (§ 258 öStPO) und des Fragerechts des Angeklagten (Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK) nicht unproblematisch. Den Tathergang hat nämlich nur der verdeckte Ermittler unmittelbar wahrgenommen, nicht aber der Zeuge vom Hörensagen. [9] Vor allem aber kann der Angeklagte den ihn belastenden verdeckten Ermittler nicht selbst befragen und dessen Angaben in Zweifel ziehen, was mit Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK nur schwer vereinbar ist. [10] Das österr. Schrifttum hat sich daher seit jeher gegen die Verwendung und Verwertung von Beweissurrogaten im Falle eines verdeckten Ermittlers ausgesprochen. [11]

III.  Der Bericht des verdeckten Ermittlers und die Verhörsperson in der HV

Der OGH hat mit der hier vorgestellten Entscheidung der bisherigen erstinstanzlichen Praxis, die die erwähnten Beweissurrogate in der HV verwendete und im Urteil verwertete, ein Ende gesetzt. [12] Demnach kann weder der Bericht eines verdeckten Ermittlers in der HV verlesen noch eine andere Person über die vom verdeckten Ermittler gemachten Äußerungen vernommen und diese Beweismittel im Urteil verwertet werden. [13] Die dogmatische Begründung für die von der hL und nunmehr von der Rsp vertretenen Ansicht basiert auf § 252 öStPO, der die Verlesung von Schriftstücken in der HV regelt. Diese Bestimmung lautet: [14]

"§ 252. (1) Gerichtliche und sonstige amtliche Protokolle über die Vernehmung von Mitbeschuldigten und Zeugen, andere amtliche Schriftstücke, in denen Aussagen von Zeugen oder Mitbeschuldigten festgehalten worden sind, Gutachten von Sachverständigen sowie technische Aufnahmen über die Vernehmung von Mitbeschuldigten (§ 179a Abs. 2) oder Zeugen (§ 162a) dürfen bei sonstiger Nichtigkeit nur in folgenden Fällen verlesen oder vorgeführt werden:

 

1. wenn die Vernommenen in der Zwischenzeit gestorben sind; wenn ihr Aufenthalt unbekannt oder ihr persönliches Erscheinen wegen ihres Alters, wegen Krankheit oder Gebrechlichkeit oder wegen entfernten Aufenthaltes oder aus anderen erheblichen Gründen füglich nicht bewerkstelligt werden konnte;

4. wenn über die Vorlesung Ankläger und Angeklagter einverstanden sind.

(2) Augenscheins- und Befundaufnahmen, gegen den Angeklagten früher ergangene Straferkenntnisse sowie Urkunden und Schriftstücke anderer Art, die für die Sache von Bedeutung sind, müssen vorgelesen werden.

(4) Die Bestimmungen des Abs. 1 dürfen bei sonstiger Nichtigkeit nicht umgangen werden."

1.  Unzulässigkeit einer Verlesung des Berichts des verdeckten Ermittlers

Der OGH stellt zunächst im Anschluss an das Schrifttum klar, dass der vom verdeckten Ermittler verfasste Bericht ein "amtliches Schriftstück" i.S. des § 252 Abs. 1 öStPO darstellt und somit den Verlesungsbeschränkungen dieser Bestimmung unterliegt. Denn der "Bericht des verdeckten Ermittlers … wurde als amtliches Schriftstück mit dem Ziel errichtet, dessen Aussage festzuhalten". [15] Der verdeckte Ermittler ist Beamter des BMI und zur regelmäßigen Berichterstattung über seine Tätigkeit verpflichtet. Der Bericht über das Tatgeschehen dient gerade dazu, seine unmittelbaren Wahrnehmungen über tatsächliche Vorgänge festzuhalten. Im strafprozessualen Sinne handelt es sich daher um eine schriftliche Aussage eines Zeugen; und weil der verdeckte Ermittler den Bericht als Beamter in seiner behördlichen Funktion erstellt, ist sein Bericht auch als amtliches Schriftstück i.S. des § 252 Abs. 1 öStPO zu qualifizieren. Im Ergebnis ist daher dem OGH zuzustimmen: der vom verdeckten Ermittler verfasste Bericht über den Tathergang unterliegt den Verlesungsbeschränkungen des Abs. 1 des § 252 öStPO. [16]

Eine Verlesung des Berichts in der HV ist daher ausschließlich in den Ausnahmefällen des § 252 Abs. 1 Ziff. 1 bis 4 öStPO zulässig, wobei im gegenständlichen Zusammenhang die Ziff. 1 und 4 von Bedeutung sind. Weitgehend unproblematisch sind die Voraussetzungen der Ziff. 4. Danach kommt eine Verlesung des Berichts in Betracht, wenn der Angeklagte und der Staatsanwalt damit einverstanden sind. In aller Regel verweigert allerdings der Angeklagte sein Einverständnis zu der hier in Frage stehenden Verlesung. [17] In der Praxis ist daher vor allem eine Verlesung nach Ziff. 1 leg. cit. in Erwägung zu ziehen. Diese Bestimmung setzt voraus, dass ein "persönliches Erscheinen [des Zeugen] … aus anderen erheblichen Gründen füglich nicht bewerkstelligt werden" kann. Bisher haben die Gerichte die Auskunftssperre (Sperrerklärung) des BMI als einen solchen "erheblichen Grund" i.S. der Ziff. 1 angesehen [18] und daher den Bericht des verdeckten Ermittlers verlesen.

Nach der gegenständlichen Entscheidung des OGH ist jedoch in Hinkunft die "durch innerstaatliche Amtsverschwiegenheit bedingte Unmöglichkeit, das Erscheinen eines Zeugen zu bewerkstelligen, … grundsätzlich nicht als Verlesungsermächtigung" nach § 252 Abs. 1 Ziff. 1 öStPO zu begriffen. Die Auskunftssperre (Sperrerklärung) des BMI ist demzufolge kein "erheblicher Grund" i.S. der Ziff. 1, der das persönliche Erscheinen des verdeckten Ermittlers verhindert (zur Ausnahme siehe unten 3.). Diese Argumentation leuchtet ein, wenn man sich die übrigen Ausnahmegründe der Ziff. 1 vor Augen hält. Der Wortlaut der in Ziff. 1 genannten Fälle stellt nämlich ausschließlich auf tatsächliche Hindernisse ab (Tod, Krankheit, Gebrechlichkeit, unbekannter Aufenthalt). Rechtliche Hindernisse werden daher von Ziff. 1 nicht erfasst. Denn rechtliche Umstände, die eine Vernehmung in der HV verhindern, werden in den Ziff. 2a bis 4 des § 252 Abs. 1 öStPO abschließend normiert. [19] Bei der vom BMI erteilten Auskunftssperre handelt es aber sich nicht um ein tatsächliches Hindernis, das seine Ursache in einer faktischen Begebenheit hat, sondern um ein rechtliches Hindernis. Der Grund für das Nichterscheinen wird nämlich von einem staatlichen Organ aufgrund einer rechtlichen Ermächtigung erst geschaffen. [20] Das BMI verweigert die Bekanntgabe der Identität nicht wegen Krankheit oder unbekannten Aufenthalts des verdeckten Ermittlers, sondern wegen Bestehens des Amtsgeheimnisses (Art. 20 Abs. 3 B-VG, § 46 BDG), also aufgrund eines in der Rechtsordnung beruhenden Umstandes. Die Rechtsordnung anerkennt das Amtsgeheimnis auch im Bereich des Strafverfahrensrechtes. Gem. § 151 Abs. 1 Ziff. 2 öStPO dürfen nämlich Staatsbeamte (und daher auch verdeckte Ermittler), die durch ihr Aussage das Amtsgeheimnis verletzen würden, nur dann vernommen werden, wenn die vorgesetzte Dienstbehörde (also das BMI) sie von der Verschwiegenheitspflicht entbunden hat. Und das hat das BMI aufgrund seiner Sperrerklärung gerade nicht getan.

Bemerkensweiterweise ist in Österreich - im Unterschied zu Deutschland[21] - die Frage, ob das Strafgericht die Sperrerklärung durch die Polizei auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüfen darf, bisher nicht näher untersucht worden. Einzig Hinterhofer weist auf das Spannungsverhältnis zum verfassungsgesetzlich geschützten Prinzip der Trennung von Justiz und Verwaltung hin.[22]

Da somit die Auskunftssperre (Sperrerklärung) des BMI "bloß" ein rechtliches Hindernis darstellt, eine Verlesung nach § 252 Abs. 1 Ziff. 1 öStPO aber ausschließlich bei tatsächlichen Hindernissen zulässig ist, kann der Bericht des verdeckten Ermittlers in der HV nicht im Rahmen dieses Ausnahmetatbestandes vorgetragen werden. Ein Verstoß gegen dieses Verlesungsverbot und eine Verwertung des Berichts im Urteil begründen die Nichtigkeit der Entscheidung (§ 281 Abs. 1 Ziff. 3 öStPO). Für die Praxis bedeutet dies, dass eine Verlesung nur dann zulässig ist, wenn ihr der Angeklagte zustimmt (§ 252 Abs. 1 Ziff. 4 öStPO). [23]

Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass eine Verlesung des Berichts nach § 252 Abs. 2 öStPO ausscheidet. Diese Bestimmung statuiert eine Verlesepflicht für "Augenscheins- und Befundaufnahmen, gegen den Angeklagten früher ergangene Straferkenntnisse sowie Urkunden und Schriftstücke anderer Art". Auf den ersten Blick könnte man meinen, der Bericht des verdeckten Ermittlers sei als ein "Schriftstück anderer Art" einzuordnen.[24] Eine solche Argumentation verbietet sich jedoch mit Blick auf den systematischen Zusammenhang von Abs. 1 und Abs. 2. Die in Abs. 2 erwähnten "Urkunden und Schriftstücke anderer Art" betreffen nämlich nur solche Schriftstücke, die gerade nicht unter das Verlesungsverbot nach Abs. 1 fallen (sic. "anderer Art"). [25]Andernfalls wäre die Verlesungsbeschränkung des Abs. 1 ohnehin zwecklos. Aus der Sicht des Gesetzgebers wäre es nämlich sinnwidrig, für bestimmte Schriftstücke in Abs. 1 ein Verlesungsverbot anzuordnen und für dieselben Schriftstücke im nächsten Abs. eine Verlesungspflicht zu normieren.

2.  Unzulässigkeit einer Einvernahme der Verhörsperson als Zeuge vom Hörensagen

Da der Bericht des verdeckten Ermittler nicht gegen den Willen des Angeklagten in die HV eingebracht werden kann, ist als nächstes zu klären, ob eine andere Person (z.B. der Führungsoffizier) über die vom verdeckten Ermittler ihr gegenüber gemachten Äußerungen in der HV vernommen werden darf. Der OGH hat allerdings auch dieser Vorgehensweise in Übereinstimmung mit dem Schrifttum [26] eine Absage erteilt. Das Verlesungsverbot des § 252 Abs. 1 öStPO ist nämlich zusätzlich durch ein Umgehungsverbot des § 252 Abs. 4 öStPO abgesichert. Danach darf der Inhalt jener Schriftstücke, die von einer Verlesung gem. § 252 Abs. 1 öStPO ausgeschlossen sind, nicht durch andere Maßnahmen in die HV eingebracht werden. Eine solche Umgehung des Verlesungsverbotes führt gem. § 252 Abs. 4 öStPO zur Nichtigkeit (d.h. Anfechtbarkeit) des Urteils (§ 281 Abs. 1 Ziff. 3 öStPO).

Wie oben gezeigt fällt der Bericht des verdeckten Ermittlers unter das Verlesungsverbot des § 252 Abs. 1 öStPO. Gem. Abs. 4 leg. cit. kann daher auch der Inhalt des Berichts nicht durch die Vernehmung des Führungsoffiziers oder einer Verhörsperson (z.B. eines anderen Polizeibeamten) in die HV eingebracht werden, weil dies eine Umgehung des Verlesungsverbotes nach § 252 Abs. 1 öStPO darstellt. Der Führungsoffizier oder andere Polizeibeamte dürfen lediglich darüber Auskunft geben, was sie selber unmittelbar wahrgenommen haben, wie z.B. ob sie am Körper des verdeckten Ermittlers Verletzungen gesehen haben u.ä., nicht aber darüber, was der verdeckte Ermittler angab, wahrgenommen zu haben. [27]

Im Ergebnis kann also gem. § 252 Abs. 4 öStPO der Inhalt des Berichts des verdeckten Ermittlers auch nicht durch einen Zeugen vom Hörensagen zum Gegenstand der HV und des Urteils gemacht werden. Mit der Entscheidung, dass der Bericht des verdeckten Ermittlers nicht nach § 252 Abs. 1 Ziff. 1 verlesen werden darf, hat der OGH konsequenterweise auch die Einvernahme des Führungsoffiziers hinsichtlich der vom verdeckten Ermittler gemachten Angaben als eine Umgehung i.S. des § 252 Abs. 4 öStPO gewertet und das betreffende Urteil des Erstgerichtes als nichtig kassiert.

3.  Ausnahme bei außergewöhnlich schwerwiegenden Straftaten?

Wenngleich der OGH in der Auskunftssperre (Sperrerklärung) des BMI keinen "erheblichen Grund" für das Nichterscheinen des verdeckten Ermittlers in der HV sieht und daher die Verlesung dessen Berichts für unzulässig erklärt (siehe oben 1.), so hat er doch die Möglichkeit einer Verlesung nicht kategorisch ausgeschlossen. Der OGH hat nämlich die Frage aufgeworfen, ob die "innerstaatliche Amtsverschwiegenheit einen erheblichen Grund im Sinn dieser Bestimmung darstellen könnte, wenn im Verfahren wegen einer außergewöhnlich schwer wiegenden Straftat die schriftlich festgehaltenen Angaben eines besonders schutzbedürftigen Zeugen unverzichtbar erscheinen". [28] Mit diesem Hinweis hat der OGH auf ein wenig beachtetes Problem aufmerksam gemacht, das weder in der Rsp. des EGMR noch im einschlägigen Schrifttum geklärt ist. [29] Er ließ die Beantwortung dieser Frage letztlich offen, weil seiner Ansicht nach für eine

nähere Auseinandersetzung mit dieser Problemstellung in vorliegenden Fall "keine Anhaltspunkte zu erkennen" waren. Da es in der gegenständlichen Entscheidung um den Verkauf von 4,5kg Heroin (d.h. 1,33kg Heroinbase) durch eine kriminelle Vereinigung ging, steht zumindest fest, dass darin keine außergewöhnlich schwerwiegende Straftat zu sehen ist. Ferner müsse es sich bei den zu verlesenden Angaben um solche eines besonders schützbedürftigen Zeugen handeln, die zudem unverzichtbar erscheinen. Dies ist aufgrund des dem Erkenntnis zugrunde liegenden Sachverhalts bei einem verdeckten Ermittler nicht pauschal anzunehmen, sondern bedarf weiterer Hinweise. [30] Insgesamt hat der OGH jedenfalls eine äußerst restriktive Handhabung der Ausnahmemöglichkeit vorgegeben.

4.  Einschlägige Anforderungen des Frage- und Konfrontationsrechts nach Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK

a)   Die hier vorgestellte Entscheidung bedeutet nicht nur eine grundlegende Änderung in der bisherigen österreichischen Judikatur; sie ist auch deswegen von besonderem Interesse, weil der OGH damit das Frage- und Konfrontationsrecht des Angeklagten gem. Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK sicherstellt. [31] Der OGH geht zwar in seiner Begründung nicht näher auf die entsprechenden Erfordernisse der EMRK ein; er kehrt jedoch klar hervor, dass im konkreten Fall eine Verlesung des Berichts des verdeckten Ermittlers ein Verstoß gegen das Unmittelbarkeitsprinzip darstellt und dieses "mit dem Fragerecht nach Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK normativ verknüpft" ist. Zur Begründung verweist er auf das zahlreiche einschlägige Schrifttum, das die bisherige nationale Gerichtspraxis als Verstoß gegen das Frage- und Konfrontationsrecht nach der EMRK kritisiert hat. [32]

Nach Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK hat der Angeklagte das Recht den Belastungszeugen unmittelbar zu befragen. Als solcher gilt nur jene Person, welche die belastenden Tatsachen selbst direkt wahrgenommen hat. [33] Daher ist nur der verdeckte Ermittler und nicht z.B. der Führungsoffizier oder ein anderer Zeuge vom Hörensagen ein Belastungszeuge. Die Befragung durch den Angeklagten muss allerdings nicht zwingend in der HV erfolgen. Nach der Rsp. des EGMR ist das Fragerecht nämlich nur dann verletzt, wenn der Beschuldigte in keiner Phase des Verfahrens, also weder im Ermittlungsverfahren noch in der HV die Möglichkeit hat, den Belastungszeugen (also den verdeckten Ermittler) zu befragen. [34] Die Vernehmung ausschließlich einer Verhörsperson (also eines Zeugen vom Hörensagen, wie z.B. des Führungsoffiziers) kann die Befragung des Belastungszeugen jedoch nicht ersetzen und ist konventionswidrig. [35]

In der dem OGH zugrunde liegenden Entscheidung konnte der Angeklagte den Belastungszeugen weder im Vorverfahren (Ermittlungsverfahren) noch in der HV, sondern nur einen den verdeckten Ermittler vernehmenden Polizisten (Verhörsperson) direkt befragen. Zudem wurde der schriftliche Bericht des verdeckten Ermittlers verlesen und dem Urteil zu Grunde gelegt. Indem der OGH diese Vorgehensweise als Verstoß gegen das - "mit dem Fragerecht nach Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK normativ verknüpfte" - Unmittelbarkeitsprinzip wertete, sichert er in Übereinstimmung mit der oben geschilderten Rsp. des EGMR dem Angeklagten dessen Frage- und Konfrontationsrecht.

b)   Fraglich ist allerdings, ob die vom OGH angedeutete Ausnahme des Verlesungsverbotes (oben 3.) mit dem Fragerecht nach Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK vereinbar ist. Der OGH legte sich zwar nicht fest, ob der Bericht des verdeckten Ermittlers (gem. § 252 Abs. 1 Ziff. 1 öStPO) verlesen werden könnte, wenn "im Verfahren wegen einer außergewöhnlich schwer wiegenden Straftat die schriftlich festgehaltenen Angaben eines besonders schutzbedürftigen Zeugen unverzichtbar erscheinen". Er schloss diese Möglichkeit aber auch nicht grundsätzlich aus und verweist u.a. auf die Entscheidung des EGMR in van Mechelen u.a. gegen die Niederlande. [36]

Eine einschlägige Judikatur des EGMR zu dieser Frage liegt derzeit nicht vor. [37] In van Mechelen lässt der Gerichtshof offen, ob die Verwertung von Beweissurrogaten

in außergewöhnlichen Fällen nicht doch als zulässig zu erachten sei. Voraussetzung ist dabei, dass die nationalen Gerichte ausreichend begründen können, weshalb ein derart weitreichender Eingriff in das Fragerecht des Angeklagten unbedingt notwendig (erforderlich) sei. [38] In einem solchen Fall wäre möglicherweise die Verlesung des Berichts eines verdeckten Ermittlers konventionskonform, auch wenn der Angeklagte den Ermittler nicht direkt befragen konnte. [39]

Die vom OGH angedachte Ausnahme scheint den Überlegungen des EGMR dem Grunde nach zu entsprechen; sie ermöglicht nämlich eine Verlesung nur in äußerst restriktiv zu handhabenden Ausnahmefällen. Zunächst verlangt der OGH, dass es sich um eine außergewöhnlich schwerwiegende Straftat handelt. Zudem müssen der Zeuge besonders schutzbedürftig und die Verlesung unverzichtbar erscheinen. In einer neueren Entscheidung betont der OGH, dass ein verdeckter Ermittler nicht pauschal als besonders schutzbedürftig einzuordnen sei; seine evidente Gefährdung sei vielmehr näher zu substanziieren. Ferner seien zuerst alle Schutzmöglichkeiten für seine Vernehmung auszuschöpfen (siehe dazu unten IV.). [40] Gerade der letzte Aspekt entspricht der Rsp. des EGMR, wonach ausreichende und die Verteidigungsrechte weniger einschränkende Maßnahmen vorrangig einzusetzen sind. [41] Auch ein Abstellen auf die besondere Schutzbedürftigkeit des Zeugen deckt sich mit der Judikatur des EGMR. Die besondere Gefährdung ist dabei eigens nachzuweisen. Die bloße Tatsache, dass es sich um einen verdeckten Ermittler handelt, bildet auch nach der Entscheidung in van Mechelen keine Rechtfertigung für eine Einschränkung der Verteidigungsrechte. [42] Nicht abschließend geklärt ist allerdings, ob das Kriterium der außergewöhnlich schwer wiegenden Straftat konventionskonform ist. [43] In van Mechelen haben sich die nationalen Gerichte ebenfalls auf die Schwere der Straftat gestützt, und im konkreten Fall hat der EGMR diesem Argument nicht ausdrücklich widersprochen. Nach Gaede hat jedoch der EGMR in jüngeren Entscheidungen wiederholt betont, dass die Rechte des Art. 6 EMRK unabhängig von der Art und Schwere des vorgeworfenen Deliktes zu gewähren sind. [44] Davon ausgehend müsste sich eine Verlesung des Berichts in außergewöhnlichen Fällen an einem anderen Kriterium als der Schwere der Straftat orientieren. Unabhängig davon ist für eine etwaige Ausnahmekonstellation jedenfalls zu beachten, dass sich ein Schuldspruch nicht allein oder in einem entscheidenden Ausmaß auf den Bericht des verdeckten Ermittlers gründen darf. [45]

Ob für die in van Mechelen erwähnte Ausnahme in der Praxis überhaupt ein Anwendungsbereich besteht, also eine Verwertung von Beweissurrogaten tatsächlich in Betracht kommt, wird im deutschen Schrifttum bestritten. Der EGMR stelle nämlich für die Verwertbarkeit von Zeugenaussagen, die mit Hilfe optischer und akustischer Abschirmung zustande kommen, sehr hohe Anforderungen auf; und diese greifen in das Fragerecht des Angeklagten wesentlich weniger ein als die Verlesung des Berichts eines verdeckten Ermittlers. Die Heranziehung von Beweissurrogaten unter gänzlichem Verzicht auf eine Befragung durch den Angeklagten müsste konsequenterweise noch strengere Maßstäbe erfüllen; damit sei aber die Verwendung von Beweissurrogaten praktisch ausgeschlossen. [46]

IV.  Konsequenzen für die Praxis: Möglichkeiten zur Verwertung der Ergebnisse des verdeckten Ermittlers

Die vorliegende Entscheidung des OGH hat für die strafgerichtliche und auch kriminalpolizeiliche Praxis bedeutsame Auswirkungen: Das Strafgericht kann den Bericht des verdeckten Ermittlers, den der Angeklagte in keiner Phase des Verfahrens befragen konnte, in der HV nur

dann verlesen und im Urteil verwerten, wenn der Angeklagte einer Verlesung zustimmt. Liegt das entsprechende Einverständnis des Angeklagten nicht vor, führt die Verwertung des Berichts zur Nichtigkeit des Urteils (§ 281 Abs. 1 Ziff. 3 i.V.m. § 252 Abs. 1 öStPO). In diesem Fall ist wegen des Umgehungsverbotes (§ 252 Abs. 4 öStPO) auch die Einvernahme einer Verhörsperson ausgeschlossen; eine solche führt gem. Abs. 4 ebenfalls zur Nichtigkeit nach § 281 Abs. 1 Ziff. 3 öStPO.

Für die Kriminalpolizei bedeutet diese Entscheidung: Soll die Anonymität des verdeckten Ermittlers weiterhin gewahrt bleiben, so sind ausreichende andere Beweismittel bereitzustellen, die eine Überführung des Täters auch ohne die Aussage des verdeckten Ermittlers ermöglichen. Burgstaller weist darauf, dass der vermehrte Einsatz des sog. "kleinen Lausch- und/oder Spähangriffs" gem. § 149d Abs. 1 Ziff. 2 öStPO hier hilfreich sein könnte. [47] Bestehen genügend andere Beweise, ist aus kriminalpolizeilicher Sicht ein Verzicht auf die Aussage des verdeckten Ermittlers ohnehin am sinnvollsten, um ihn auch zukünftig einsetzen zu können. [48]

In bestimmten Fällen kann allerdings auf die Aussage des verdeckten Ermittlers nicht verzichtet werden. Aufgrund der hier vorgestellten Entscheidung ist dann dem Angeklagten Gelegenheit zur Ausübung seines Fragerechts zu geben. Zum Schutz des verdeckten Ermittlers weist der OGH darauf hin, dass es "dem Gericht unbenommen [bleibt], der Sicherheitsbehörde die Anwendung von Verfahrensvorschriften in Aussicht zu stellen, welche geeignet erscheinen, dieser den weiteren verdeckten Einsatz des Ermittlers zu ermöglichen." [49]

Die geltende StPO sieht mehrere Möglichkeiten zum Schutz des verdeckten Ermittlers für seine Vernehmung vor. Eine ausführliche Darstellung dieser Maßnahmen liefert Hinterhofer [50]. An dieser Stelle seien beispielhaft genannt: die Einvernahme unter Verschweigen sämtlicher persönlicher Daten (anonyme Zeugenvernehmung, § 166a öStPO) [51] und der Ausschluss der Öffentlichkeit (§ 229 Abs. 2 öStPO) [52] oder des Angeklagten [53]. Aus praktischer Sicht sind vor allem Abschirmungsmaßnahmen, wie z.B. Videovernehmung (§ 250 Abs. 3 öStPO) [54] oder Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes des Zeugen [55] von besonderer Bedeutung. Bei diesen Vernehmungsmethoden ist die Rsp. des EGMR zu beachten, wonach sich ein Schuldspruch nicht einzig allein oder in einem entscheidenden Ausmaß auf eine anonyme Aussage gründen darf. [56]

Eine optische oder akustische Abschirmung des Zeugen wird von der h.M. in Österreich abgelehnt. [57] Diese Ansicht stützt sich auf die Rsp. des EGMR in van Mechelen [58], wonach der Beschuldigte oder zumindest sein Verteidiger den Zeugen soweit optisch und akustisch wahrnehmen können muss, dass er dadurch einen persönlichen Eindruck von seinem Aussageverhalten und seinen Reaktionen gewinnen kann. Demgegenüber weisen Korn und Hinterhofer auf eine neuere Zulässigkeitsentscheidung des EGMR in Kok [59] hin, nach der u.U. eine optische Abschirmung mit Art. 6 EMRK vereinbar sei und plädieren für eine großzügigere Anwendung alternativer Verhörmethoden. [60]

V.  Zusammenfassung

Die hier vorgestellte Entscheidung bringt eine grundlegende Richtungsänderung für die Einbringung von Ergebnissen eines verdeckten Ermittlers in die HV. Bisher wurde bei einer Auskunftssperre (Sperrerklärung) des BMI, die eine Einvernahme des verdeckten Ermittlers verhinderte, dessen Bericht in der HV verlesen bzw. eine Verhörsperson über die vom verdeckten Ermittler gemachten Aussage vernommen und diese Angaben dem Urteil zu Grunde gelegt. Nach der neuen Judikatur des OGH ist - in Übereinstimmung mit der Rsp. des EGMR zum Fragerecht des Angeklagten gem. Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK - diese Vorgehensweise nunmehr unzulässig. Inzwischen haben sich der 14. und 15. OGH-Senat der hier vorgestellten Entscheidung angeschlossen, [61] so dass

man bereits von einer gefestigten Judikatur sprechen kann. [62]

Soll also der verdeckte Ermittler nicht in der HV aussagen - weil dadurch seine Person gefährdet bzw. seine weitere Einsetzbarkeit verunmöglicht wird -, so kann in Hinkunft sein Bericht nur mit Zustimmung des Angeklagten verlesen und im Urteil verwertet werden. Gegen den Willen des Angeklagten ist eine Verlesung und Verwertung unzulässig; die Auskunftssperre (Sperrerklärung) fällt nämlich unter keinen Ausnahmetatbestand der Ziff. 1 bis 3 des § 252 Abs. 1 öStPO. Ein Verstoß gegen das Verlesungsverbot des § 252 Abs. 1 öStPO begründet die Nichtigkeit des Urteils. Unzulässig ist es ferner, eine Verhörsperson oder den Führungsoffizier über den Inhalt des Berichts zu vernehmen; dies stellt nämlich eine Umgehung des Verlesungsverbotes nach § 252 Abs. 1 öStPO dar, die gem. Abs. 4 leg. cit. ebenfalls zur Nichtigkeit des Urteils führt.

In Zukunft sind verdeckte Ermittlungen in einem noch stärkeren Ausmaß danach auszurichten, dass sie ausreichend solche Beweise erbringen, die eine Überführung des Täters auch ohne die Aussage des verdeckten Ermittlers ermöglichen. Ist hingegen eine Aussage des verdeckten Ermittlers unerlässlich, so können für seine Vernehmung entsprechende Schutzmaßnahmen angeordnet werden, wie z.B. anonyme Zeugenvernehmung oder Abschirmungsmaßnahmen. Die weitere Entwicklung in diesem letzten Bereich wird mit Spannung zu verfolgen sein, weil einerseits das neue Vorverfahren in Österreich alternative Verhörmöglichkeiten für das Gericht vorsieht und u.U. auch der EGMR eine großzügigere Vernehmungsmethode zulassen könnte.


[1]  Burgstaller, Entscheidungsanmerkung, Juristische Blätter [JBl] 2004, 596; Hinterhofer, Zur Einbringung der Ergebnisse einer verdeckten Ermittlung in die Hauptverhandlung. Zugleich eine Anmerkung zu OGH 18. 2. 2004, 13 Os 153/03, Österreichische Juristen-Zeitung [ÖJZ] 2004, 637; Köck, Wie kann man die Ergebnisse verdeckter Ermittler in die Hauptverhandlung eines Strafverfahrens einbringen? Bemerkungen zu OGH 18. 2. 2004, 13 Os 153/03, (österr.) Richter-Zeitung [öRZ] 2004, 189; Tipold, Zur Zulässigkeit der Verlesung von Berichten verdeckter Ermittler in der Hauptverhandlung, Juristische Ausbildung und Praxisvorbereitung [JAP] 2004/2005, 8.

[2]   Auf eine mögliche Vorbildwirkung der OGH-Entscheidung für die deutsche Rechtsprechung weist Lagodny (NStZ 2005 [in Druck]) hin.

[3]   Siehe z.B. BGH 1 StR 111/02 - Beschluss vom 26. September 2002; BGHSt 45, 321, 328 f.; 46, 93, 97.

[4]   Burgstaller, JBl 2004, 596 l.Sp.

[5]   Zur Abgrenzung von V-Leuten und verdeckten Ermittlern und anonymen Informanten näher Fuchs, Verdeckte Ermittler - anonyme Zeuge, ÖJZ 2001, 495 ff.; Hinterhofer, Zeugenschutz und Zeugnisverweigerungsrechte im österreichischen Strafprozess (2004), S. 60; Lesch, V-Mann und Hauptverhandlung - die Drei-Stufen-Theorie nach Einführung der §§ 68 III, 110b III StPO und 172 Nr 1a GVG, StV 1995, 542; Makrutzki, Verdeckte Ermittlungen im Strafprozeß (2000), S. 31 ff.

[6]   Zur Gefährdung und ihren Erscheinungsformen näher Hinterhofer, Zeugenschutz (FN 1), S. 35 ff. m.w.N.

[7]   Hinterhofer, ÖJZ 2004, 638 l.Sp.; näher ders., Der Schutz gefährdeter Zeugen im österreichischen Strafprozess, Journal für Strafrecht [JSt] 2003, 45 m.N. - In Österreich ist die verdeckte Ermittlung in § 54 Abs. 3 SicherheitspolizeiG geregelt. Das deutsche Recht sieht die Geheimhaltung der Identität verdeckter Ermittler in § 110b Abs. 3 StPO vor.

[8]   Siehe Hinterhofer, ÖJZ 2004, 638.

[9]    In einer früheren Entscheidung hat der OGH die Problematik hinsichtlich einer Beurteilung der Glaubwürdigkeit bei Vernehmung eines Zeugen vom Hörensagen, also z.B. des Vorgesetzten des verdeckten Ermittlers, auf den Punkt gebracht: Indem der Vorgesetzte über die Ausführungen des verdeckten Ermittlers aussage, "übernimmt [er] vor Gericht die Rolle des Zeugen [der er gar nicht war] … über den Tathergang, übt aber zugleich quasirichterliche Funktionen aus, wenn er die Persönlichkeit und Glaubwürdigkeit des Gewährsmannes [d.h. des verdeckten Ermittlers] beurteilt. Die Beweisführung und Überzeugungsbildung liegen dabei im Dunkeln. Das bedeutet, schließlich, dass der Beamte eine dem Gericht zukommende Wertung vornimmt, die dem Richter selbst zwangsläufig verwehrt ist, weil er die Person des - auf dem Umweg über den Beamten - Aussagenden gar nicht kennt." OGH 12 Os 177/69 - Urteil vom 11.02.1970 m.w.N (SSt 41/7).

[10]   Burgstaller, JBl 2004, 596; näher Hinterhofer, Zeugenschutz (FN 1), S. 64 m.w.N.

[11]   Siehe z.B. Bertel/Venier, Strafprozessrecht7 (2004), Rn. 616; Fuchs, ÖJZ 2001, 500 f.; Hinterhofer, JSt 2003, 46 m.N.; Schmoller, öRZ 2000, 158; Schwaighofer, ÖJZ 1996, 133 f.; S. Seiler, Strafprozessrecht7 (2004), Rn. 63; E. Steininger, öAnwBl 1994, 87. - Keine Bedenken gegen eine Verwertung dieser Beweissurrogate bestehen allerdings dann, wenn StA und Beschuldigter der Verlesung des Berichts des verdeckten Ermittlers zustimmen (§ 252 Abs. 1 Ziff. 4 öStPO). - Zum Meinungsstand in Deutschland vgl. z.B. Rogall, SK-StPO Vor § 48 Rn. 79 ff und jüngst Korn, Defizite bei der Umsetzung der EMRK im deutschen Strafverfahren - V-Leute, Lockspitzel, Telefonüberwachung von Rechtsanwälten (2005), [in Druck] (Teil 1.C.II.3.) m.w.N.

[12]   Hinterhofer, ÖJZ 2004, 638; siehe auch Burgstaller, JBl 2004, 596; Köck, öRZ 2004, 191.

[13]   Zu einer vom OGH erwähnten Ausnahmekonstellation siehe unten 3. u. 4.b. Eine Verlesung und Verwertung des Berichts ist allerdings dann möglich, wenn der StA und der Angeklagte der Verlesung zustimmen (§ 252 Abs. 1 Ziff. 4 öStPO); die Verwertung erfolgt dann aber mit Einverständnis des durch den Bericht belasteten Angeklagten, wodurch dieser bewusst auf sein Fragerecht verzichtet.

[14]   I.d.F. StPO-Novelle 2005, öBGBl I 2004/164. Die für die weitere Erörterung maßgeblichen Passagen sind durch Unterstreichung hervorgehoben.

[15]   OGH, 13 Os 153/03 - Urteil vom 18. Februar 2004 = HRRS 2005 Nr. 303. So schon Fuchs, ÖJZ 2001, 500; im Anschluss daran Zerbes, Anonyme Zeugen im Strafprozess, in: Cottier/Rüetschi/Sahlfeld (Hrsg.), Information und Recht (2002), S. 397; Hinterhofer, Zeugenschutz (FN 1), S. 62.

[16]   OGH, 13 Os 153/03 - Urteil vom 18. Februar 2004 = HRRS 2005 Nr. 303: "Beweiserhebungsverbot (= Beweisgewinnungsverbot; vgl. Schmoller, JRP 2002, 251 [252, FN 9]) des § 252 Abs. 1 StPO".

[17]   Sofern der Angeklagte nicht ohnehin geständig ist, wird er einer Verlesung des ihn belastenden Berichts des verdeckten Ermittlers kaum zustimmen. Eine Zustimmung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Ein bloßes Schweigen bzw. das Fehlen eines Widerspruchs gilt nach dem OGH allerdings nicht als Zustimmung; OGH 15 Os 64/04 - Urteil vom 11. August 2004 m.N.; näher S. Seiler, Strafprozessrecht7 (2004) Rn. 661.

[18]   Siehe z.B. OGH 14 Os 40/95 - Urteil vom 18. April 1995.

[19]   Hinterhofer, Videovernehmungen und deren Verwertbarkeit im österreichischen Strafprozess, öRZ 2000, 244.

[20]   So schon OGH, 12 Os 63/70 - Urteil vom 15. April 1970 (SSt 41/17); OGH 12 Os 95/90 - Urteil vom 23. August 1990 und für das Schrifttum siehe Fuchs, ÖJZ 2001, 500 f.; Hinterhofer, JSt 2003, 46; ders., ÖJZ 2004, 638 f.; Schmoller, Unverwertbares Beweismaterial im Strafprozeß, in: Strafprozeß- und Strafvollzugsreform nach dem StRÄG 1987, ÖJK-Tagung 1988 (1989) 105, 165, 171; Schwaighofer, ÖJZ 1996, 127; ders., Moos-FS (1997), 318, 321.

[21]   Siehe z.B. Rogall, SK-StPO Vor § 48 Rn. 83 ff.

[22]   Siehe Hinterhofer, Zeugenschutz (FN 1), S. 61; dieses Spannungsverhältnis besteht auch für das mit 01.01.2008 in Kraft tretende neue Vorverfahren (Ermittlungsverfahren) nach dem StrafprozessreformG (siehe Hinterhofer a.a.O m.N. für Stellungnahmen aus dem verfassungsrechtlichen Schrifttum).

[23]   Die übrigen Ausnahmetatbestände der Ziff. 2 bis 3 des § 252 Abs. 1 öStPO kommen für den Bericht des verdeckten Ermittlers schon vom Wortlaut her nicht in Betracht.

[24]   Die Entscheidung OGH 15 Os 181/98 - Urteil vom 17. Dezember 1998, ließ eine Verlesung nach Abs. 2 leg. cit. noch zu; sie ist aber vereinzelt geblieben und durch die hier referierte Judikatur überholt.

[25]   Zu den Schriftstücken anderer Art gehört etwa ein Tagebuch (OGH 11 Os 128/96 - Urteil vom 05. November 1996) oder eine eidesstättige Erklärung (OGH 13 Os 21/01 - Urteil vom 06. Juni 2001).

[26]   Nachw. in FN 11.

[27]   Fuchs, ÖJZ 2001, 501.

[28]   OGH 13 Os 153/03 - Urteil vom 18. Februar 2004 (= HRRS 2005 Nr. 303) m.V.a. Danek und Kirchbacher, Referate zum 15. ÖJT 2003 [im Druck] sowie EGMR, Van Mechelen u.a. gg. die Niederlande, ÖJZ-MRK 1998/15, 274).

[29]   Siehe unten 4.b.

[30]   So ausdrücklich das - die hier vorgestellte Entscheidung bestätigende - Erkenntnis des OGH 15 Os 63/04 - Urteil vom 11. August 2004: die nicht näher substanziierte Mitteilung im Bericht über die verdeckte Ermittlung, wonach eine Namhaftmachung des verdeckt eingesetzten Beamten aus Gründen der persönlichen Sicherheit nicht möglich sei, lässt nicht den Schluss auf eine evidente Gefahr für die persönliche Sicherheit des verdeckten Ermittlers zu.

[31]   Zum Konfrontationsrecht zuletzt Walther, Zur Frage eines Rechts des Beschuldigten auf "Konfrontation von Belastungszeugen", GA 2003, 204 sowie dies., U.S. Supreme Court zum Konfrontationsrecht: Ohne Mitwirkung der Verteidigung kein Beweistransfer - also ein Meilenstein für die Beschuldigtenrechte?, HRRS 2004, 310.

[32]   Nachw. in FN 12.

[33]   EGMR, Kostovski gg. die Niederlange, StV 1990, 481 (Ziff. 23, 40); für die deutsche Rsp. siehe z.B. BGH, StV 1996, 471; NStZ 1993, 292; wistra 2003, 111; siehe z.B. auch Renzikowski JZ 1999, 609 und für Österreich Hinterhofer, JSt 2003, 47.

[34]   In Lüdi gg. die Schweiz stellte der EGMR ein Verletzung des Fragerechts gem. Art. 6 EMRK fest, weil das Gericht die schriftlichen Angaben eines verdeckten Ermittlers im Strafurteil verwertete, obwohl der Angeklagte bzw. sein Verteidiger in keine Phase des Verfahrens diesen Belastungszeugen befragen und seine Glaubwürdigkeit in Frage stellen konnten (EGMR, Lüdi gg. die Schweiz, EuGRZ 1992, 300 = NJW 1992, 3088).

[35]   EGMR, Windisch gg. Österreich, StV 1991, 193 (194): Hier konnte der Angeklagte in der HV lediglich jene Polizeibeamten befragen, die die anonymen Belastungszeugen im Vorverfahren vor der Polizei vernommen hatten. Die Belastungszeugen selbst konnte der Beschuldigte wiederum in keiner Phase des Verfahrens befragen. Siehe Hinterhofer, Zeugenschutz (FN 1), S. 64 m.w.N. für Darstellungen zur einschlägigen EGMR-Judikatur.

[36]   Siehe FN 28.

[37]   Nach Korn, Defizite (FN 11), Fn. 244 (Teil 1.C.I.3.b.bb.(3)) wäre eine solche im Fall Haas gg. Deutschland, appl. no. 73047/01, zu erwarten.

[38]   Korn, Defizite (FN 11), (Teil 1.C.I.3.b.bb.(3)) m.V.a. EGMR, Van Mechelen u.a. gg. die Niederlande, StV 1997, 617 (Ziff. 60).

[39]   Siehe Korn, Defizite (FN 11), (Teil 1.C.I.3.b.bb.(3)), m.V.a. Esser, Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht (2002), S. 672.

[40]   OGH 15 Os 63/04 - Urteil vom 11. August 2004.

[41]   EGMR, Van Mechelen u.a. gg. die Niederlande, StV 1997, 617 (Ziff. 58).

[42]   EGMR, Van Mechelen u.a. gg. die Niederlande, StV 1997, 617 (Ziff. 60): Die operationellen Erfordernisse der Polizei bieten für sich alleine keine ausreichende Rechtfertigung. Ziff 61: Der Gerichtshof ist auch nicht davon überzeugt worden, dass der Appellationsgerichtshof sich ausreichend bemüht hat, die Gefahr von Repressalien gegen die Polizeibeamten oder ihre Familien zu beurteilen.

[43]   Das Beurteilungskriterium der Schwere einer Straftat verwendet auch der BGH im Rahmen des Einsatzes von so genannten Hörfallen (BGHSt GS 42, 139, 154 ff.). Im Hinblick auf den Schutz vor Selbstbelastung gem. Art. 6 Abs. 1 EMRK sind solche Maßnahmen allerdings problematisch; siehe EGMR, Allan gg. Großbritannien, StV 2003, 257 m. Anm. Gaede (262: zur erwähnten Rsp. des BGH).

[44]   Gaede, StV 2003, 262 m.V.a. die zum Schutz vor Selbstbelastung gem. Art. 6 Abs. 1 EMRK ergangenen Erkenntnisse EGMR, Heaney u. McGuinness gg. Ireland , Rep. 2000-XII, Ziff. 57 f.; EGMR, Teixeira de Castro gg. Portugal , StV 1999, 127 (Ziff. 36). - Die einschlägigen Stellen in diesen Entscheidungen lauten: "The general requirements of fairness contained in Article 6 apply to criminal proceedings in respect of all types of criminal offences without distinction from the most simple to the most complex" bzw. "apply to proceedings concerning all types of criminal offence, from the most straightforward to the most complex". Es bedarf allerdings einer näheren Untersuchung, ob der Begriff "komplexe strafbare Handlung" ("complex criminal offence") tatsächlich mit "schwer wiegendes Verbrechen" ("serious crime") gleichgesetzt werden kann.

[45]   Siehe in Bezug auf eine anonyme Aussage EGMR, Van Mechelen u.a. gg. die Niederlande, StV 1997, 617 (Ziff. 55) m.V.a. EGMR, Doorson gg. die Niederlande, ÖJZ 1996, 715 (Ziff. 76).

[46]   Siehe z.B. Korn, Defizite (FN 11), (Teil 1.C.I.3.b.bb.(3)) m.w.N.; Esser, Weg (FN 11), S. 672, 678; Wohlers, Trechsel-FS (2002), S. 813 (823); zurückhaltender Renzikowski, JZ 1999, 612; Krauß, V-Leute im Strafprozeß und die Europäische Menschrechtskonvention (1999), S. 145 ff.

[47]   Burgstaller, JBl 2004, 597; ebenso Köck, öRZ 2004, 191.

[48]   Zum Schutz des Zeugen durch Verzicht auf seine Vernehmung und die damit verbundenen Probleme siehe Hinterhofer, JSt 2003, 44 f.

[49]   OGH, 13 Os 153/03 - Urteil vom 18. Februar 2004 = HRRS 2005 Nr. 303.

[50]   Hinterhofer, Zeugenschutz (FN 1), S. 57-108.

[51]   Dazu und den Grenzen dieser Möglichkeit näher Hinterhofer, Zeugenschutz (FN 1), S 68 ff. und Burgstaller, JBl 2004, 597 sowie Köck, öRZ 2004, 191 f.

[52]   Näher Hinterhofer, Zeugenschutz (FN 1), S. 82 ff.

[53]   Näher Hinterhofer, Zeugenschutz (FN 1), S. 86 ff.

[54]   Näher Hinterhofer, Zeugenschutz (FN 1), S. 90 ff.

[55]   Näher Hinterhofer, Zeugenschutz (FN 1), S. 96 f. - Das mit 1. Jänner 2008 in Kraft tretende StrafprozessreformG (BGBl I 2004/19) sieht nunmehr in § 162 leg. cit. ausdrücklich eine Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes des Zeugen vor. Ob auch die Stimme des Zeugen verändert werden kann, ist fraglich; zum Ganzen siehe Burgstaller, JBl 2004, 597 sowie Köck, öRZ 2004, 192 ff.

[56]   EGMR, Van Mechelen u.a. gg. die Niederlande, StV 1997, 617 (Ziff. 55) m.V.a. EGMR, Doorson gg. die Niederlande, ÖJZ 1996, 715 (Ziff. 76).

[57]   Z.B. E. Steininger, öAnwBl 1994, 87; Fuchs, ÖJZ 2001, 500; Schwaighofer, ÖJZ 1996, 133; Zerbes Anonyme Zeugen (FN 15) 389, 391. Näher zum Ganzen Hinterhofer, JSt 2003, 82 ff.

[58]   EGMR, Van Mechelen u.a. gg. die Niederlande (StV 1997, 617 [Ziff. 60]).

[59]   EGMR, Kok gg. die Niederlande (appl.no. 43149/98 vom 4. Juli 2000).

[60]   Näher zum Ganzen m.w.N. Hinterhofer, Zeugenschutz (FN 1), S. 96 ff. und für Deutschland Korn, Defizite (FN 11), [Teil 1.C.I.3.b.bb.(2) und Teil 1.C.III].

[61]   OGH, 15 Os 63/04 - Urteil vom 11. August 2004 und OGH, 14 Os 197/04 - Urteil vom 05. Oktober 2004. In der zweiten Entscheidung konnte der OGH das Urteil nicht wegen Verstoßes gegen das Verlesungsverbot (§ 252 Abs. 1 öStPO) kassieren, weil der Angeklagte diesen Verstoß nicht eigens als Nichtigkeitsgrund gerügt hatte. Zur Aufhebung des Schuldspruches kam es allerdings wegen der - als nichtig relevierten - Vernehmung der Verhörsperson gem. § 252 Abs. 4 öStPO.

[62]   Insgesamt vertreten somit bereits drei von fünf Strafsenaten des OGH die hier vorgestellte Rechtsansicht.