Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
April 2005
6. Jahrgang
PDF-Download
1. Eine richterlich angeordnete oder gestattete Durchsuchung wird nicht dadurch rechtswidrig, dass sie unzureichend dokumentiert worden ist. Eine unzureichende Dokumentation der richterlichen Entscheidung führt nicht zu einem Beweisverwertungsverbot. (BGHR)
2. Ein substantiierter Widerspruch eines Verfahrensbeteiligten - der bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt erfolgen muss -, mit dem geltend gemacht wird, die unzureichend dokumentierte richterliche Entscheidung über die Anordnung einer Durchsuchung sei rechtsfehlerhaft, hat allerdings zur Folge, dass das Tatgericht einen insoweit unklaren Sachverhalt freibeweislich aufklären muss. (Bearbeiter)
3. Ein fernmündlicher Antrag des Staatsanwalts auf Gestattung der Durchsuchung und eine fernmündliche Gestattung der Durchsuchung durch den Ermittlungsrichter genügen in Eilfällen den formellen Anforderungen an einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss im Sinne des § 105 Abs. 1 StPO. (Bearbeiter)
4. Selbst wenn einer Person willkürlich der Beschuldigtenstatus vorenthalten worden sein könnte, schließt eine anzunehmende aktuelle Kenntnis des Angeklagten von
seinem Schweigerecht ein Verwertungsverbot hinsichtlich der bei der vermeintlichen Zeugenvernehmung getroffenen Aussagen aus. (Bearbeiter)
1. Eine etwaig gegen das Konfrontationsrecht des Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK verstoßende Vernehmung eines Ermittlungsrichters über die Vernehmung eines Belastungszeugen, an der weder der Beschuldigte noch der Verteidiger haben teilnehmen können, kann Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK nur dann verletzen, wenn die Verteidigung der Vernehmung des Ermittlungsrichters nicht widerspricht.
2. Der Wahlverteidiger kann ohne nähere Angabe von Gründen und ohne vorherige Rücksprache mit dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren auf die Wahrung des Konfrontationsrechts bei der richterlichen Vernehmung gemäß § 168c StPO wirksam verzichten, selbst wenn dem Angeklagten als Rechtsinhaber hierdurch das Konfrontationsrecht vollständig verloren geht. Insbesondere bedarf es in einer solchen Verfahrenslage keiner ausgleichenden Bestellung eines Pflichtverteidigers zur Wahrung des Konfrontationsrechts.
1. Lässt ausländisches Verfahrensrecht die Anwesenheit der Verteidigung bei einer Rechtshilfevernehmung zu, müssen der Angeklagte und der Verteidiger gemäß § 224 Abs. 1 StPO über den Termin benachrichtigt werden. Anderenfalls kann die im Wege der Rechtshilfe erfolgende Vernehmung nicht als richterliche Vernehmung verlesen werden.
2. Bei Vernehmungen im Ausland brauchen grundsätzlich nur die für das ausländische Gericht maßgebenden Verfahrensvorschriften eingehalten zu werden.
3. Das Protokoll einer unter Verletzung der Benachrichtigungspflicht erfolgten richterlichen Vernehmung kann als Protokoll einer anderen - nichtrichterlichen - Vernehmung gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO nF verlesen werden (vgl. BGH NStZ 1998, 312; BGH StV 2002, 584). Der Tatrichter muss sich dann allerdings des minderen Beweiswertes des Beweismittels bewusst sein.
1. Die Entscheidung über die Vereidigung eines Zeugen trifft auch nach der Neufassung des § 59 StPO durch das 1. JuMoG der Vorsitzende im Rahmen der Sachleitung. Seine Entscheidung bedarf keiner Begründung, ist aber als wesentliche Förmlichkeit in das Protokoll aufzunehmen (§ 273 Abs. 1 StPO).
2. Das Gericht entscheidet über die Frage der Vereidigung eines Zeugen auf die Rüge eines Beteiligten hin (§ 238 Abs. 2 StPO). Unterbleibt die Rüge, so verliert der Beteiligte insoweit die Möglichkeit, einen etwaigen Verfahrensverstoß mit der Revision zu rügen (Präklusion).
Nach § 354 Abs. 1 b StPO ist der Angeklagte grundsätzlich so zu stellen, als sei die Bildung einer Gesamtstrafe außer Betracht geblieben.
1. Der Einwand, die Strafkammer sei unter Verletzung von § 76 Abs. 2 GVG überbesetzt oder unterbesetzt, muss entsprechend § 222 b Abs. 1 StPO auch dann bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache geltend gemacht werden, wenn die namentliche Mitteilung der beteiligten Richter nicht entsprechend § 222 a StPO erfolgt ist, sofern die Entscheidung, ob die Strafkammer mit zwei oder drei Berufsrichtern besetzt
ist, gem. § 76 Abs. 2 GVG mit dem Eröffnungsbeschluss getroffen und bekannt gemacht wurde.
2. Der Senat neigt - obiter - der Ansicht zu, dass eine gemessen an § 76 Abs. 2 GVG fehlerhafte Besetzung einer Strafkammer mit drei Berufsrichtern mit der Revision angegriffen werden kann.
1. Die unter Übergehung der Staatsanwaltschaft erfolgende Zusicherung einer Strafobergrenze kann beim Vorliegen weiterer Umstände die Besorgnis der Befangenheit gegenüber den beteiligten Richtern begründen (vgl. BGHSt 45, 312, 315 ff.).
2. Es ist nicht grundsätzlich unzulässig, das Ergebnis einer Zwischenberatung mitzuteilen, nach dem das Gericht im Fall eines Geständnisses eine Strafobergrenze von sieben Jahren Gesamtfreiheitsstrafen nicht ohne einen entsprechenden Hinweis überschreiten werde (BGHSt 42, 46; 43, 195, 207; vgl. auch BGHSt 38, 102, 104 f., zum Fall einer "Absprache").
1. Aus einem unterschiedlichen Einlassungsverhalten bei mehreren Vernehmungen oder in verschiedenen Verfahrensabschnitten als solchem dürfen keine Schlüsse zum Nachteil des Angeklagten gezogen werden (st. Rspr. vgl. BGH NStZ 1999, 47 m. w. N.). Soweit sich der Angeklagte aber grundsätzlich zur Sache geäußert hat und nur zu bestimmten Punkten eines einheitlichen Geschehens keine Angaben gemacht hat, kann dies zu seinem Nachteil berücksichtigt werden (BGH aaO). Dabei kommt es nicht darauf an, ob Fragen nicht beantwortet wurden oder ob der Vernommene, von sich aus einen Vorgang schildert und dabei einen wesentlichen Punkt eines einheitlichen Geschehens nicht nennt.
2. Das Tatgericht kann eine Tatsache nicht ohne Weiteres auf die Aussage eines Zeugen stützen, dem es nur teilweise glaubt. In diesem Fall ist eine eingehende Begründung für die Abstützung auf den Zeugen erforderlich (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 332 f. m. w. N.).
1. "Außerordentlich" im Sinne von § 47 GVG sind Sitzungen nur dann, wenn sie wegen des zusätzlichen Bedarfs an Hauptverhandlungstagen anberaumt werden, weil eine sachgemäße Durchführung der zu terminierenden Hauptverhandlung an den ordentlichen Sitzungstagen nicht möglich ist. Sie müssen also zusätzlich zu ordentlichen Sitzungen und nicht an ihrer Stelle abgehalten werden.
2. Stellt sich der Sitzungstag des ersten Hauptverhandlungstages der Sache nach nicht als außerordentlicher, sondern als lediglich verlegter ordentlicher Sitzungstag dar, etwa weil der vorherige ordentliche Sitzungstag gar nicht genutzt wurde, so sind die für den ordentlichen Sitzungstag ausgelosten Hauptschöffen zur Teilnahme an der Hauptverhandlung berufen, nicht gem. § 47 GVG Schöffen von der Hilfsschöffenliste.
3. Ein auf einer nicht mehr vertretbaren Auslegung beruhender Besetzungsfehler kann nicht deshalb hingenommen werden, weil der Fehler nicht in der Absicht geschehen ist, den Angeklagten seinem gesetzlichen Richter zu entziehen, sondern auf einem Rechtsirrtum beruht.
Zwar gehört die Beurteilung der Zuverlässigkeit einer Auskunftsperson, zumal des Angeklagten, zum Wesen richterlicher Rechtsfindung. Vom Richter wird erwartet, dass er über die zur Ausübung seines Amtes erforderliche Menschenkenntnis und Fähigkeit verfügt, Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Der Hinzuziehung eines Sachverständigen kann es, und zwar auch hinsichtlich der Aussagen des Angeklagten, aber dann bedürfen, wenn die Eigenart des Einzelfalles eine außergewöhnliche Sachkunde erfordert (vgl. BGH NStZ 1987, 182). Auch soweit hiervon der Angeklagte betroffen ist, stehen der Hinzuziehung eines Sachverständigen, jedenfalls wenn der Angeklagte umfassende Angaben gemacht hat, keine strafverfahrensrechtlichen Hinderungsgründe entgegen. Das Gericht ist jedenfalls nicht gehindert (§ 244 Abs. 2 StPO), sich insoweit sachverständiger Hilfe zu bedienen.
Nach § 249 Abs. 2 StPO ist jedoch erforderlich, dass die Schöffen tatsächlich vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis nehmen, diese also lesen. Der Vorsitzende muss die entsprechende Feststellung über die Kenntnisnahme in das Protokoll aufnehmen (§ 249 Abs. 2 Satz 3 StPO). Dabei handelt es sich um eine wesentliche Förmlichkeit im Sinne des § 273 StPO (vgl. BGHR StPO § 249 Kenntnisnahme 1).
Auch § 33a StPO eröffnet dem Obergericht nicht die Möglichkeit der sachlichen Überprüfung unanfechtbarer Entscheidungen eines Untergerichts. Das rechtliche Gehör gemäß § 33a StPO hat vielmehr das Gericht nachzuholen, das die nicht anfechtbare Entscheidung erlassen hat.
Das gemeinschaftliche obere Gericht kann im Rahmen einer Entscheidung nach § 13 Abs. 2 StPO nur die Vereinbarung der Gerichte ersetzen, bei denen die Verfahren anhängig sind, nicht aber die Übereinstimmung der zuständigen Staatsanwaltschaften.
Bei der Frage, ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt, sind insbesondere die Art und Schwere des Tatvorwurfs, die Art und Weise der Ermittlungen, die Komplexität des Sachverhalts, das Verhalten des Beschuldigten sowie die durch das Verfahren entstehenden Belastungen für den Beschuldigten zu berücksichtigen. Zu berücksichtigende Faktoren sind dabei insbesondere der durch die Verzögerungen der Justizorgane verursachte Zeitraum der Verfahrensverlängerung, die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des Tatvorwurfs, der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrensgegenstandes sowie das Ausmaß der mit der Dauer des schwebenden Verfahrens für den Betroffenen verbundenen besonderen Belastungen. Entscheidend ist auch, ob die Sache insgesamt in angemessener Frist verhandelt worden ist, wobei eine gewisse Untätigkeit innerhalb einzelner Verfahrensabschnitte dann nicht zu einer Verletzung von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK führt, wenn dadurch die Gesamtdauer des Verfahrens nicht unangemessen lang wird.