HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2005
6. Jahrgang
PDF-Download

IV. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

197. BGH 5 StR 191/04 - Beschluss vom 12. Januar 2005 (LG Kaiserslautern)

BGHR; Zwangsmittelverbot bei anhängigem Steuerstrafverfahren (nemo tenetur se ipsum accusare; Abgabe von Steuererklärungen für nachfolgende Besteuerungszeiträume; strafrechtliches Verwendungsverbot; kein Ausschluss anderweitiger Ermittlungen im Sinne der Selbstanzeige; Suspendierung der Erklärungspflicht); auffallend späte Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (Verstoß gegen das faire Verfahren; Strafzumessungslösung).

Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 6 Abs. 1 EMRK; § 370 AO; § 371 AO; § 393 Abs. 1 AO; § 152 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO

1. Bei Anhängigkeit eines Steuerstrafverfahrens rechtfertigt das Zwangsmittelverbot (nemo tenetur se ipsum accusare) nicht, die Abgabe von Steuererklärungen für nachfolgende Besteuerungszeiträume zu unterlassen. Allerdings besteht für die zutreffenden Angaben des Steuerpflichtigen, soweit sie zu einer mittelbaren Selbstbelastung für die zurückliegenden strafbefangenen Besteuerungszeiträume führen, ein strafrechtliches Verwendungsverbot. (BGHR)

2. Das Verwendungsverbot bedeutet nicht, dass bei nunmehr zutreffenden Angaben, jedoch bei Fehlen der sonstigen Voraussetzungen des § 371 AO die Wirkungen einer strafbefreienden Selbstanzeige zugute kommen. Ergeben sich für die Ermittlungsbehörden anderweitige Verdachtsmomente (etwa aus Kontrollmitteilungen) für das Vorliegen einer Steuerstraftat, sind sie nicht gehindert, diese zu verfolgen. Allein ein Rückgriff auf die wahrheitsgemäßen Angaben des Steuerpflichtigen ist ihnen verwehrt. (Bearbeiter)

3. Der Senat braucht im vorliegenden Fall nicht darüber zu entscheiden, wie weit das Verwendungsverbot im Einzelfall reicht. Im vorliegenden Fall hat die Angeklagte überhaupt keine Erklärungen abgegeben. Insoweit ist allerdings darauf hinzuweisen, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht vor der Bestrafung strafbaren Verhaltens schützt, sondern lediglich vor einem rechtlichen Zwang zur Selbstbelastung und einer darauf beruhenden strafrechtlichen Verurteilung. (Bearbeiter)

4. Nach § 152 Abs. 2 StPO sind die Ermittlungsbehörden verpflichtet, bei Vorliegen eines Anfangsverdachts ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Bei der Frage, ob zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die einen Anfangsverdacht begründen, steht den Ermittlungsbehörden ein Beurteilungsspielraum zu (BGHSt 37, 48, 51). Nutzen die Ermittlungsbehörden diesen Beurteilungsspielraum missbräuchlich aus, kann dies den Grundsatz des fairen Verfahrens gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verletzen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn ein Steuerstrafverfahren wegen Hinterziehung von Veranlagungssteuern erst nach Abschluss der Veranlagungsarbeiten eingeleitet wird, obwohl bereits zeitlich früher zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Steuerverkürzung vorlagen und mit dem Zuwarten allein erreicht werden soll, dass der Beschuldigte wegen einer vollendeten Tat und nicht nur wegen einer versuchten Steuerhinterziehung verfolgt werden kann, weil mit Einleitung des Ermittlungsverfahrens die Strafbarkeit wegen Nichtabgabe der Steuererklärung entfällt (vgl. BGHR AO § 393 Abs. 1 Erklärungspflicht 3). (Bearbeiter)

5. Ein solches pflichtwidriges Verhalten der Ermittlungsbehörden, welches mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens unvereinbar wäre, führt indes nicht etwa dazu, dass eine Verurteilung wegen vollendeter Steuerhinterziehung ausscheidet. Es ist jedoch vom Tatrichter bei der Festsetzung der Rechtsfolgen zu berücksichtigen (vgl. zu dem ähnlich gelagerten Problem eines Lockspitzeleinsatzes BGHSt 45, 321). (Bearbeiter)

6. Will die Revision eine missbräuchlich späte Einleitung des Ermittlungsverfahrens beanstanden, bedarf es grundsätzlich einer entsprechenden Verfahrensrüge. Mit dieser müssen dem Revisionsgericht alle Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich ergibt, dass bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine Anfangsverdachtslage vorlag, die zur Einleitung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens hätte führen müssen. Darüber hinaus ist darzulegen, aus welchen Umständen der Revisionsführer den Schluss herleitet, die Ermittlungsbehörden hätten aus sachfremden Erwägungen und somit willkürlich von einer früheren Einleitung abgesehen. (Bearbeiter)


Entscheidung

200. BGH 5 StR 301/04 - Urteil vom 12. Januar 2005 (LG Aachen)

Steuerhinterziehung (überhöhter Hinterziehungsschaden: fehlerhafter Ansatz der Körperschaftsteuer und der Einkommensteuer; Gesamtbetrachtung bei Körperschaftshinterziehung und korrespondierender Einkommensteuerhinterziehung); Strafzumessung (Vermeidung von Doppelbelastungen; Kompensationsverbot; begrenzte Revisibilität).

§ 370 AO; § 370 Abs. 4 Satz 3 AO; § 46 StGB

1. Verurteilt der Tatrichter einen Angeklagten wegen einer als geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH begangenen Körperschaftsteuerhinterziehung, so muss der Angeklagte bei der Ausurteilung der korrespondierenden Einkommensteuerhinterziehung - wegen der hier gebotenen Gesamtbetrachtung der begangenen Steuerhinterziehungen - strafzumessungsrechtlich so behandelt werden, als ob für die Gesellschaft steuerehrlich gehandelt wurde. Mithin ist bei der Bemessung des dem Angeklagten bei seiner Einkommensteuer strafrechtlich vorzuwerfenden Hinterziehungsbetrages einerseits zwar die Brutto-vGA (unter Einschluss der bei der Gesellschaft anfallenden Körperschaftsteuer) in Ansatz zu bringen, andererseits aber - fiktiv - der bei steuerehrlichem Ver-

halten der Gesellschaft beim Gesellschafter abzuziehende Körperschaftsteuerbetrag anzurechnen (vgl. bereits BGH wistra 1990, 193, 194).

2. Zwar berühren zur Verdeckung einer Steuerhinterziehung nicht geltend gemachte Vorsteuererstattungsansprüche wegen des in § 370 Abs. 4 Satz 3 AO normierten Kompensationsverbotes nicht den tatbestandlichen Hinterziehungsschaden (vgl. BGH wistra 1991, 107); bei der Gewichtung der Tat im Rahmen der Strafzumessung sind sie aber in der Regel - im Wege der Schätzung - zu beachten (vgl. BGHR AO § 370 Abs. 1 Strafzumessung 6).


Entscheidung

198. BGH 5 StR 271/04 - Urteil vom 12. Januar 2005 (LG Dresden)

(Gewerbsmäßige) Steuerhinterziehung (Verhältnis zwischen der Abgabe falscher Umsatzsteuerjahreserklärungen zu den vorangegangenen falschen monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen: Tatmehrheit, Steuerverkürzung auf Zeit bzw. auf Dauer im Einzelfall; Suspendierung).

§ 370 AO; § 370a AO; § 18 Abs. 1 UStG; § 46 StGB; § 53 StGB; § 393 AO

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt der Abgabe einer falschen Umsatzsteuerjahreserklärung (§ 18 Abs. 3 UStG) im Verhältnis zu den vorangegangenen unzutreffenden monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen in demselben Kalenderjahr (§ 18 Abs. 1 UStG) in steuerstrafrechtlicher Hinsicht ein selbständiger Unrechtsgehalt zu. Beiden Arten von Steuererklärungen kommt ein eigenständiger Erklärungswert zu, der auch durch die Zusammenfassung in der Jahreserklärung nicht deckungsgleich wird (BGHR AO § 370 Abs. 1 Konkurrenzen 13). Materiellrechtlich handelt es sich jeweils um selbständige Taten im Sinne von § 53 StGB.

2. Die Abgabe falscher Umsatzsteuervoranmeldungen ist grundsätzlich als Steuerverkürzung auf Zeit gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO zu behandeln und erst in der Abgabe der falschen Jahreserklärung die endgültige Steuerverkürzung eine Steuerverkürzung auf Dauer (vgl. BGHR aaO m.N.).

3. Diese rechtstechnische gesetzliche Systematik zur zeitnahen Steuererfassung und -erhebung schöpft steuerstrafrechtlich den Unrechtsgehalt der Taten indessen dann nicht mehr aus, wenn der Täter von Anfang an, das heißt schon bei Abgabe der falschen Umsatzsteuervoranmeldungen beabsichtigt, eine Steuerverkürzung auf Dauer zu bewirken, oder er die Finanzverwaltung dauerhaft pflichtwidrig in Unkenntnis über die von ihm bewirkten Umsätze belassen und keine zutreffende Jahreserklärung abgeben will. In solchen Fällen geht die Hinterziehung auf Zeit in eine solche auf Dauer über, mit der Folge, dass der gesamte monatlich erlangte Vorteil als vom Vorsatz umfasstes Handlungsziel bei der Strafzumessung zu berücksichtigen ist (st. Rspr., BGHSt 43, 270, 276; BGH NStZ 2000, 38; BGH wistra 1997, 262 f.).


Entscheidung

188. BGH 4 StR 519/04 - Beschluss vom 1. Februar 2005 (LG Dortmund)

Mittäterschaftlich begangene bandenmäßige Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Zurechnung der einzelnen Tat nach den Grundsätzen der Beteiligungsformen, nicht infolge der Bandenmitgliedschaft).

§ 25 Abs. 2 StGB; § 30a Abs. 1 BtMG

1. Die Feststellung der Bandenmitgliedschaft eines Angeklagten genügt für sich allein jedoch nicht, um ihm jede im Rahmen der Bande begangene Tat zurechnen zu können. Vielmehr sind die Mitgliedschaft in der Bande einerseits und die mittäterschaftliche Begehung andererseits begrifflich und tatsächlich voneinander zu trennen (vgl. BGHSt 47, 214, 216).

2. Die Zurechnung einer Bandentat richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsprechung zu den Beteiligungsformen der §§ 25 f. StGB (vgl. BGHSt aaO S. 218). Dazu hätte es zumindest der Feststellung bedurft, dass der Beschwerdeführer auch in diesem Fall in die Tatplanung eingeweiht war und die Tatausführung in irgendeiner Weise unterstützt hat.