HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2005
6. Jahrgang
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II. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

73. BGH 1 ARs 31/03 - Beschluss vom 13. Mai 2004

Anfrageverfahren; Entziehung der Fahrerlaubnis (Ungeeignetheit; spezifischer Zusammenhang zwischen Anlasstat und Verkehrssicherheit; Rechtsprechung des BVerwG); Zusammenhangstaten; Begründungsanforderungen im Urteil; redaktioneller Hinweis.

§ 132 GVG; § 69 StGB; § 2 Abs. 4 StVG; § 267 Abs. 6 StPO; § 2 RsprEinhG

1. Die Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis kommt bei sogen. Zusammenhangstaten (1. Alternative des § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB) auch dann in Betracht, wenn die Verkehrssicherheit nicht konkret beeinträchtigt worden ist, die Tat und ihre Umstände aber dennoch den unmittelbaren Schluss auf die charakterliche Unzuverlässigkeit und damit die Ungeeignetheit des Täters tragen.

2. Der Begriff der Eignung umfasst nicht nur die persönliche Gewähr für die regelgerechte Ausübung der Fahrerlaubnis, also die Beachtung der Vorschriften des Straßenverkehrsrechts. Wer eine Fahrerlaubnis inne hat, der muss auch die Gewähr für eine im umfassenden Sinne verstandene Zuverlässigkeit dahin bieten, dass er die Erlaubnis auch sonst nicht zur Begehung rechtswidriger Taten (bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges) ausnutzen und missbrauchen werde.

3. Für die Bewertung als "ungeeignet" zum Führen von Kraftfahrzeugen reicht die begründete Annahme aus, der Täter werde weitere sogen. Zusammenhangstaten im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB begehen, ohne dass durch diese konkret Verkehrssicherheitsbelange beeinträchtigt werden müssten. Es genügt die Besorgnis, er werde die Fahrerlaubnis erneut zu Taten auch nicht-verkehrsrechtlicher Art missbrauchen.

4. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht dem nach dem Anfragebeschluss beabsichtigten Rechtssatz entgegen. Dies könnte gem. § 2 RsprEinhG zur Anrufung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes zwingen.


Entscheidung

82. BGH 2 StR 367/04 - Beschluss vom 12. November 2004 (LG Koblenz)

Ablehnung eines Beweisantrags (Beweis des Gegenteils; zweifelhafte Sachkunde eines Sachverständigen; Widersprüche zwischen schriftlichem und mündlichem Gutachten); Objektivität eines Sachverständigen (abwertende Beschreibungen des Angeklagten); Darlegungsanforderungen bei Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus; reformatio in peius; Verschlechterungsverbot.

§ 244 Abs. 4 StPO; § 20 StGB; § 63 StGB; § 267 StPO; § 358 Abs. 2 StPO

1. Die Grenzen zwischen diagnostischen Zuordnungen psychischer Störungen mögen fließend und die Einordnung unter eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB schwierig sein. Dennoch ist das Tatgericht verpflichtet, zum einen konkrete Feststellungen zu den handlungsleitenden Auswirkungen der Störung zum Zeitpunkt der Tat (§ 20 StGB) zu treffen und zum anderen auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung von Persönlichkeit, Lebensgeschichte, Lebensumständen und Verhalten des Angeklagten und der Anlasstat in nachprüfbarer Weise darzulegen, worin der "Zustand" des Beschuldigten besteht und welche seiner Auswirkungen die Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) gebieten.

2. Die bloße Angabe einer Diagnose in einem psychiatrischen Gutachten ersetzt weder die Feststellung eines der Merkmale des § 20 StGB, noch belegt sie das Vorliegen eines Zustands im Sinne des § 63 StGB. Entscheidend für die inhaltliche Brauchbarkeit des Gutachtens ist, ob es wissenschaftlich hinreichend begründete Aussagen über den Zusammenhang zwischen einer diagnostizierten psychischen Störung und der Tat enthält, welche Gegenstand des Verfahrens ist. Es ist also - unabhängig von der Einordnung unter ein Eingangsmerkmal des § 20 StGB - im Einzelnen konkret darzulegen, ob und ggf. wie sich die Störung auf das Einsichts- oder Hemmungsvermögen des Beschuldigten tatsächlich ausgewirkt hat.

3. Das zur Frage der Schuldfähigkeit und zu den Voraussetzungen des § 63 StGB einzuholende Gutachten wird zwar auf Verhaltensbeschreibungen, wertungsbehaftete Charakterisierungen und alltagssprachliche Umsetzungen klinischer Befunde nicht verzichten können, um die Diagnose rational nachvollziehbar und für das Gericht verständlich und überprüfbar zu machen. Eine Häufung von Beschreibungen, die die Grenze zwischen der Darstellung von Befundtatsachen und allgemein persönlichen Abwertungen überschreiten, kann jedoch die Objektivität des Gutachters in Frage stellen.

4. Das Gericht, das sich zur Prüfung der Voraussetzungen der §§ 20, 63 StGB der Hilfe eines Sachverständigen zu bedienen hat (§ 246 a StPO), muss dessen Tätigkeit überwachen und leiten. Dazu gehört insbesondere auch die Prüfung, ob Grundlagen, Methodik und Inhalt des Gutachtens den anerkannten fachwissenschaftlichen Anforderungen genügen.


Entscheidung

112. BGH 1 StR 395/04 - Urteil vom 7. Dezember 2004 (LG München)

Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (Hang zu erheblichen Straftaten bei Eigentums- und Vermögensdelikten: pflichtgemäßes Ermessen des Tatrichters und restriktive Auslegung).

§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB

1. Die Unterbringung nach § 66 Abs. 2 StGB liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Zudem steht dem Tatrichter, der allein in der Lage ist, eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Täters vorzunehmen, bei der seiner Ermessensausübung vorgelagerten Feststellung eines Hangs zu erheblichen Straftaten ein nur begrenzt revisionsgerichtlicher Kontrolle unterliegender Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 4; BGH JZ 1980, 532).

2. Was unter "erheblichen Straftaten" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu verstehen ist, lässt sich nicht allgemein sagen. Das gesetzliche Beispiel der Verursachung "schweren wirtschaftlichen Schadens" stellt jedenfalls klar, dass auch die Gefahr einer Schädigung des Vermögens die Sicherungsverwahrung rechtfertigen kann. Allerdings kommen die in der Regel zum Bereich der mittleren Kriminalität gehörenden Vermögensdelikte als Grundlage dieser Maßregel nur dann in Betracht, wenn sie einen hohen Schweregrad aufweisen und den Rechtsfrieden empfindlich stören (BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 2; BGHSt 24, 153; 24, 160). Der Schweregrad bestimmt sich in erster Linie nach Art und Umfang des Eingriffs, des Weiteren nach dem Ausmaß des Schadens (BGH aaO). Da der Gesetzgeber die Sicherungsverwahrung auf ganz schwere Fälle der Kriminalität beschränken wollte, ist insoweit eine restriktive Auslegung geboten.


Entscheidung

116. BGH 1 StR 493/04 - Beschluss vom 24. November 2004 (LG Landshut)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Anwendung nur bei zumindest mittlerer Kriminalität; erhebliche weitere rechtswidrige Straftat: Schluss aus Anlasstat oder der Ausgestaltung der konkret zu befürchtenden Taten; Gesamtwürdigung; symptomatischer Zusammenhang).

§ 63 StGB

1. Nur Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinragen, rechtfertigen die für den Betroffenen außerordentlich beschwerende Maßnahme einer Unterbringung gemäß § 63 StGB (vgl. BVerfGE 70, 279, 312; BGHSt 27, 246, 248; st. Rspr.). Auch muss aufgrund einer umfassenden Würdigung von Tat und Täter eine höhere oder doch bestimmte, jedenfalls über die bloße Möglichkeit hinausreichende Wahrscheinlichkeit zu bejahen sein, dass der schuldunfähige Täter infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

2. Die Erheblichkeit drohender Taten kann sich, ohne dass weitere Darlegungen erforderlich wären, aus dem Anlassdelikt selbst ergeben, z. B. bei Verbrechenstatbeständen; auch bei Vergehen mag, ohne dass dies hier einer abschließenden Entscheidung bedürfte, eine solche Annahme vielfach nahe liegen. Ergibt sich die Erheblichkeit der drohenden Taten nicht ohne weiteres aus dem Deliktscharakter als solchem, kommt es auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an, da das Gesetz keine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände vorgenommen hat.


Entscheidung

79. BGH 2 StR 362/04 - Beschluss vom 8. Dezember 2004 (LG Frankfurt)

Einziehung (Tatmittel).

§ 74 StGB

1. Zwar können gemäß § 74 Abs. 1 StGB als Tatwerkzeuge nicht nur solche Gegenstände eingezogen werden, die zur eigentlichen Begehung der Tat Verwendung finden bzw. nach der Planung des Täters hierzu bestimmt sind, sondern alles, was die Tat überhaupt ermöglicht und zu ihrer Durchführung dient oder hierzu erforderlich ist. Jedoch reicht die nur gelegentliche Benutzung eines Gegenstandes im Zusammenhang mit der Tat nicht aus. Erforderlich ist darüber hinaus, dass sein Gebrauch gezielt die Verwirklichung des deliktischen Vorhabens fördert bzw. nach der Planung des Täters fördern soll (vgl. BGHR StGB § 74 Abs. 1 Tatmittel 7).

2. Gegenstände, die sowohl zur Tatbegehung als auch weiteren Zwecken dienen, unterliegen gleichwohl der Einziehung (vgl. BGHR StGB § 74 Abs. 1 Tatmittel 4).


Entscheidung

89. BGH 2 StR 444/04 - Beschluss vom 15. Dezember 2004 (LG Wiesbaden)

Erlös aus Betäubungsmittelgeschäften (Einziehung; Verfall).

§ 73 StGB; § 74 StGB

Der Erlös aus Betäubungsmittelgeschäften ist kein Gegenstand, der im Sinne von § 74 Abs. 1 StGB durch die Straftat hervorgebracht worden ist. Daher kommt eine Einziehung nur in Betracht, wenn der jeweilige konkrete

Geldbetrag zur Durchführung weiterer Betäubungsmittelgeschäfte "bestimmt" war und diese Geschäfte wiederum Gegenstand der Anklage sind (vgl. BGHR StGB § 74 Abs. 1, Tatmittel 1 und 2). In Betracht kommt vielmehr regelmäßig ein gewinnabschöpfender Verfall gemäß §§ 73 ff. StGB.


Entscheidung

102. BGH 3 StR 246/04 - Urteil vom 2. Dezember 2004 (LG Kiel)

Verfall (Zusammenhang zwischen Straftat und Vermögensgegenstand; Entreicherung; Absehen vom Verfall; Ermessensausübung).

§ 73 StGB; § 73c StGB

1. Für die Anordnung des Verfalls gem. §§ 73 ff StGB braucht beim Angeklagten vorhandenes Vermögen keinen konkreten oder unmittelbaren Bezug zu den Straftaten zu haben, derentwegen der Verfall angeordnet werden soll.

2. Von der Anordnung des Verfalls darf grundsätzlich nicht nach § 73 c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB abgesehen werden, soweit der Angeklagte insgesamt über Vermögen verfügt, das wertmäßig nicht hinter dem anzuordnenden Verfallbetrag zurückbleibt. Daher ist der Tatrichter regelmäßig gehalten, den gesamten Erlös aus den Straftaten zu ermitteln, um auf diese Weise den Verfallbetrag festzustellen, und diesem den Wert des vorhandenen Nettovermögens des Angeklagten gegenüberzustellen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Angeklagte unter Umständen über nicht nur unerhebliches Vermögen verfügt.