HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2005
6. Jahrgang
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IV. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

113. BGH 1 StR 420/03 - Urteil vom 16. Dezember 2004 (LG München I)

BGHSt; unrichtige Darstellung des Vermögensstandes gemäß § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG bei Quartalsberichten über Umsätze und Erträge gemäß §§ 53, 54 BörsZulV (Gesamtbilddarstellung; Eindruck der Vollständigkeit; Fall EM.TV; ad-hoc-Mitteilung); Recht auf ein faires Verfahren (keine bindende Zusage des Gerichts bei gescheiterter Verfahrensabsprache; kein Vertrauensschutz bei Äußerungen des Gerichts außerhalb der Hauptverhandlung; Protokollierungspflicht; Offenlegungsobliegenheit); Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit (Prüfung nach Revisionsgrundsätzen; entbehrliche Anhörung des Sachverständigen; Beweiserhebungspflicht nach § 245 StPO); Bestimmtheit der unrichtigen Darstellung über die Verhältnisse der Gesellschaft gemäß § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG; Zweifel an der Verfassungskonformität der Strafbarkeit der Kurs- und Marktmanipulation (Unrechtskontinuität; Bestimmtheit); redaktioneller Hinweis.

§ 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG; §§ 53 BörsZulV; § 54 BörsZulV; § 20a WpHG; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 103 Abs. 2 GG; Art. 7 ERMK; § 354a Abs. 1a StPO; § 245 Abs. 1 StPO; § 74 StPO

1. Quartalsberichte über Umsätze und Erträge (§§ 53, 54 BörsZulV) geben die Verhältnisse der Aktiengesellschaft über den Vermögensstand wieder, wenn sie ein Gesamtbild über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft ermöglichen und den Eindruck der Vollständigkeit erwecken. BGHSt)

2. Die Unrechtskontinuität zwischen § 88 Nr. 1 BörsG aF und §§ 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 39 WpHG aF ist gegeben. (Bearbeiter)

3. Äußerungen des Gerichts außerhalb der Hauptverhandlung können zugunsten eines Angeklagten keinen Vertrauensschutz begründen, der nur durch einen förmlichen Hinweis wieder zu beseitigen wäre (BGH NStZ 2004, 342; BGHR StPO vor § 1 faires Verfahren Vereinbarung 14). Vertrauensbegründend im Sinne des Grundsatzes des fair trial sind nur solche Absprachen oder Zusicherungen, die protokolliert sind (vgl. BGH NStZ 2004, 342; BGH NStZ 2004, 338; BVerfG StV 2000, 3). (Bearbeiter)

4. Die Beweiserhebungspflicht des § 245 Abs. 1 StPO wird durch die Ladung bestimmt. Die Auskunftsperson (Sachverständiger oder Zeuge) muss nur in der Eigenschaft vernommen werden, in der sie vorgeladen worden ist. (Bearbeiter)


Entscheidung

120. BGH 4 StR 164/04 - Urteil vom 9. Dezember 2004 (LG Münster)

Bandenmäßiger Betäubungsmittelhandel (Auslegungsgrundsätze zur Bande; keine Bande bei Beteiligten auf der Verkäuferseite und der Käuferseite; eingespieltes Bezugs- und Absatzsystem); Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Maßgeblichkeit der Abrede; Bewertungseinheit).

§ 30 a Abs. 1 BtMG; § 29 BtMG

1. Nach der neueren Rechtsprechung (vgl. BGHSt 46, 321) setzt der Begriff der Bande den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im einzelnen noch ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Delikttyps zu begehen. Abweichend von der früheren Rechtsprechung ist ein "gefestigter Bandenwille" oder ein "Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse" nicht mehr erforderlich. Die Mitglieder der Bande können vielmehr in der Bande ihre eigenen Interessen an einer risikolosen und effektiven Tatausführung und Beute- oder Gewinnerzielung verfolgen (BGHR BtMG § 30 a Bande 10).

2. Wesentliches Element einer Bande ist danach eine auf eine gewisse Dauer angelegte Verbindung mehrerer Personen zur zukünftigen gemeinsamen Deliktsbegehung (BGHSt 46, 321, 329), wobei Mitglied einer Bande auch sein kann, wem nach der - stillschweigend möglichen - Bandenabrede, nur Aufgaben zufallen, die sich bei wertender Betrachtung als Gehilfentätigkeiten darstellen (BGHSt 47, 214). An einer Verbindung zur gemeinsamen Tatbegehung fehlt es aber, wenn sich Beteiligte eines Drogengeschäfts - sei es auch in einem eingespielten Bezugs- und Absatzsystem - lediglich jeweils auf der Verkäufer- und Erwerberseite gegenüberstehen (vgl. BGH StraFo 2004, 253).

3. Für die Tatbestandsverwirklichung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln kommt es maßgeblich auf die vom Täter getroffene Abrede über das nach seiner Vorstellung zu liefernde Betäubungsmittel und nicht auf die (spätere) tatsächliche Lieferung an (BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 30).