hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 112

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 395/04, Urteil v. 07.12.2004, HRRS 2005 Nr. 112


BGH 1 StR 395/04 - Urteil vom 7. Dezember 2004 (LG München)

Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (Hang zu erheblichen Straftaten bei Eigentums- und Vermögensdelikten: pflichtgemäßes Ermessen des Tatrichters und restriktive Auslegung).

§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Unterbringung nach § 66 Abs. 2 StGB liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Zudem steht dem Tatrichter, der allein in der Lage ist, eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Täters vorzunehmen, bei der seiner Ermessensausübung vorgelagerten Feststellung eines Hangs zu erheblichen Straftaten ein nur begrenzt revisionsgerichtlicher Kontrolle unterliegender Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 4; BGH JZ 1980, 532).

2. Was unter "erheblichen Straftaten" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu verstehen ist, lässt sich nicht allgemein sagen. Das gesetzliche Beispiel der Verursachung "schweren wirtschaftlichen Schadens" stellt jedenfalls klar, dass auch die Gefahr einer Schädigung des Vermögens die Sicherungsverwahrung rechtfertigen kann. Allerdings kommen die in der Regel zum Bereich der mittleren Kriminalität gehörenden Vermögensdelikte als Grundlage dieser Maßregel nur dann in Betracht, wenn sie einen hohen Schweregrad aufweisen und den Rechtsfrieden empfindlich stören (BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 2; BGHSt 24, 153; 24, 160). Der Schweregrad bestimmt sich in erster Linie nach Art und Umfang des Eingriffs, des Weiteren nach dem Ausmaß des Schadens (BGH aaO). Da der Gesetzgeber die Sicherungsverwahrung auf ganz schwere Fälle der Kriminalität beschränken wollte, ist insoweit eine restriktive Auslegung geboten.

Entscheidungstenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 3. Mai 2004 wird verworfen.

Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Dem Angeklagten liegt zur Last, in der Zeit von Dezember 2000 bis April 2001 von dem Gastwirt R. und in der Zeit von März bis August 2003 von dem Zahntechnikermeister L. Geldbeträge als Darlehen in der Absicht erlangt zu haben, diese nicht zurückzuzahlen. Bezüglich des R. handelte es sich um zwei Fälle mit einer Gesamtsumme von 30.000 DM, bezüglich des L. um 35 Fälle mit einer Gesamtsumme von 157.500 €. Der Angeklagte spiegelte den Geschädigten vor, er benötige das Geld für Edelsteingeschäfte. Als Sicherheit übergab er ihnen Smaragde, denen ein beigefügtes Gutachten eines Gemmologen einen Wert weit über den Darlehenssummen zuschrieb, während es sich in Wirklichkeit um geringwertige Industriesmaragde handelte. Seit dem Jahre 1990 war der Angeklagte bereits fünfmal wegen Vermögensstraftaten - davon dreimal wegen Taten, die den hier zugrundeliegenden Fällen vergleichbar sind - verurteilt worden. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in zwei Fällen - unter Einbeziehung zweier Einzelstrafen von elf Monaten und zwei Monaten aus einer früheren Verurteilung - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und wegen Betrugs in 35 Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte und auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die die Anordnung der Sicherungsverwahrung erstrebt.

Das Rechtsmittel ist nicht begründet. Die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB liegen hier vor. Das Landgericht sieht den Angeklagten auch rechtsfehlerfrei als Hangtäter an. Von der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat die - sachverständig beratene - Kammer jedoch Abstand genommen, weil bei dem Angeklagten kein Hang zu erheblichen Straftaten (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB), namentlich zu solchen, durch die schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, festgestellt werden könne. Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.

Die Unterbringung nach § 66 Abs. 2 StGB liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Zudem steht dem Tatrichter, der allein in der Lage ist, eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Täters vorzunehmen, bei der seiner Ermessensausübung vorgelagerten Feststellung eines Hangs zu erheblichen Straftaten ein nur begrenzt revisionsgerichtlicher Kontrolle unterliegender Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 4; BGH JZ 1980, 532). Diesen hat das Landgericht mit der Verneinung eines Hangs zu erheblichen Straftaten nicht überschritten.

Was unter "erheblichen Straftaten" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu verstehen ist, läßt sich nicht allgemein sagen. Das gesetzliche Beispiel der Verursachung "schweren wirtschaftlichen Schadens" stellt jedenfalls klar, daß auch die Gefahr einer Schädigung des Vermögens die Sicherungsverwahrung rechtfertigen kann. Allerdings kommen die in der Regel zum Bereich der mittleren Kriminalität gehörenden Vermögensdelikte als Grundlage dieser Maßregel nur dann in Betracht, wenn sie einen hohen Schweregrad aufweisen und den Rechtsfrieden empfindlich stören (BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 2; BGHSt 24, 153; 24, 160). Der Schweregrad bestimmt sich in erster Linie nach Art und Umfang des Eingriffs, des weiteren nach dem Ausmaß des Schadens (BGH aaO). Da der Gesetzgeber die Sicherungsverwahrung auf ganz schwere Fälle der Kriminalität beschränken wollte, ist insoweit eine restriktive Auslegung geboten.

Das Landgericht geht von diesen Grundsätzen aus und kommt bei deren Anwendung zu dem Ergebnis, daß ein Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten nicht festgestellt werden könne, weil die bisherigen Taten des Angeklagten sich in einem Rahmen gehalten hätten, der nur in einem einzigen Fall zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr geführt habe. Die zum Teil nicht geringen Schadensbeträge würden relativiert durch die konkreten Verhältnisse der Opfer, die nicht ausschließbar dem Angeklagten nur das Geld überlassen hätten, das sie entbehren konnten. Im Fall des Geschädigten L. sei der Gesamtschadensbetrag zwar unvergleichbar höher als in früheren Fällen, die Einzelbeträge hielten sich jedoch im Rahmen der Vortaten, und insbesondere habe hier im Hinblick auf die kaum nachvollziehbare Leichtgläubigkeit des Geschädigten eine besondere Konstellation vorgelegen, die sich kaum noch einmal wiederholen werde.

Mit diesen Ausführungen hält sich das Landgericht im Rahmen zulässiger tatrichterlicher Würdigung. Die Annahme, die Taten seien angesichts ihres Erscheinungsbildes und ihrer Begehungsweise nicht geeignet, den Rechtsfrieden in besonders schwerwiegender Weise zu stören, ist jedenfalls vertretbar. Erörterungsmängel sind nicht ersichtlich. Daß es sich um eine verhältnismäßig hohe Zahl von Einzeltaten handelte, liegt in den Besonderheiten des Falles des Geschädigten L. begründet und fällt schon deshalb nicht entscheidend ins Gewicht. Auch von einer besonders hohen Rückfallgeschwindigkeit, die gegebenenfalls zu berücksichtigen wäre, kann im Hinblick darauf, daß der Angeklagte wegen einschlägiger Betrugstaten zuletzt im Jahre 1996 - Tatzeit: 1993 - und nur noch im Jahre 2002 wegen einer weiteren Vermögensstraftat verurteilt wurde, nicht ausgegangen werden.

HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 112

Externe Fundstellen: StV 2005, 129

Bearbeiter: Karsten Gaede