HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2005
6. Jahrgang
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Schrifttum

Folker Bittmann (Hg.), Insolvenzstrafrecht. Handbuch für die Praxis, de Gruyter, Berlin 2004, XXXV, 855 S., gebunden, ISBN 3-89949-121-1, 98 €

I. Liest man Vorwort und/oder Klappentext des hier anzuzeigenden "Handbuchs für die Praxis" so wird rasch klar, dass es sich - je nach Sichtweise - um ein völlig neuen Entwurf bzw. um ein Experiment handelt: Das Insolvenzstrafrecht soll in all seinen Bezügen, d.h. einschließlich der insolvenz- und gesellschaftsrechtlichen Grundlagen (wie man bei der Lektüre des Werkes dann jedoch merkt: darüber hinaus auch noch z.B. mit seinen strafverfahrensrechtlichen Verflechtungen) dargestellt werden. Da die Verfasser um den Herausgeber Bittmann mit diesem Konzept tatsächlich ernst gemacht haben, kann wenig erstaunen, dass - trotz einer bis an die Grenzen der guten Lesbarkeit gehenden geringen Schriftgröße - insgesamt ein voluminöses Werk mit über 850 Seiten zusammengekommen ist.

II. Das Buch, an dem rund ein Dutzend Verfasser unterschiedlicher Fachrichtungen und aus unterschiedlichen Berufsfeldern mitgewirkt haben, ist auf der ersten Ebene sehr übersichtlich in sechs sinnvoll zusammengestellte Kapitel gegliedert: Die Informationsbeschaffung im Zusammenhang mit Insolvenzverfahren, die gesellschaftsrechtlichen Funktionsträger, die materiell-rechtliche Strafbarkeit nach verschiedenen Strafvorschriften, Sonderfälle eines strafrechtlichen Risikos für bestimmte Berufsträger bzw. in bestimmten Konstellationen, ausgewählte strafprozessuale Verfahrensfragen sowie ausgewählte Aspekte des Zwischen- und Hauptverfahrens.

1. Das erste Kapitel über Informationsbeschaffung im Insolvenz(straf)verfahren beginnt in seinem § 1 mit einem Abschnitt über die Informationsbeschaffung der Staatsanwaltschaft und die Gestaltung des Ermittlungsverfahrens. Dieser, weitgehend aus der Feder Bittmanns stammende, Teil ist im wesentlichen (durchaus nicht in einem negativen Sinne) recht allgemein gehalten und gibt einen Überblick über die internen Vorgänge bei der Aufnahme von (insolvenzstrafrechtlichen) Ermittlungen einschließlich praktischer Hinweise (wie z.B. zum Aktenaufbau, vgl. Rn. 44, oder Verfügungsmuster, vgl. Rn. 283 ff., 287 ff.). Bittmann "drückt" sich jedoch auch nicht um die Behandlung rechtlicher Streitfragen, so etwa bei seinen Bemühungen um das richtige Verständnis der Verwendungsbeschränkungen nach § 97 I 3 InsO (vgl. Rn. 16 ff.). Eine Reihe von strafprozessualen Grundlagen

- z.B. hinsichtlich der Voraussetzung einer Beschlagnahme - werden fast kommentarartig breit erläutert. Knapper fallen dagegen die Teile von Joecks und Schulze über die Informationsbeschaffung bei anderen Behörden (insbesondere Steuerbehörden und Arbeitsverwaltung) aus.

Für Juristen ganz außerordentlich interessant ist die instruktive Einführung in "Die Buchhaltung als wesentliche Informationsquelle" von Martinez Ferber (§ 2). Die Ausführungen wirken zwar - jedenfalls für den bilanzrechtlich und betriebswirtschaftlich nur unvollkommen vorgebildeten Rezensenten - teilweise sehr technisch und dezidiert betriebswirtschaftlich; gerade dadurch werden sie jedoch auch sehr konkret und können für Strafjuristen damit einen guten Einstieg in die Beschäftigung mit der Buchhaltung bilden.

§ 3 behandelt die Rolle der Gerichte (Ermittlungsrichter, aber auch Haftrichter) im Ermittlungsverfahren in recht allgemeiner Form. Dabei wirkt freilich - bei allem Verständnis für den (vielleicht auch berufsrollenbedingten) Verfolgungseifer von Bittmann - die massive Kritik am Institut des Richtervorbehalts für strafprozessuale Zwangsmaßnahmen zumindest sub specie der Bedeutung, welche das Bundesverfassungsgericht dieser richterlichen Kontrolle zubilligt, etwas befremdlich.

§ 4 schließlich behandelt anwaltliche Strategien im Ermittlungsverfahren (und über den Titel des Abschnitts hinaus auch schon im zeitlichen Stadium vorher). Was Ferner hierzu ausführt, ist ein Beispiel für ein im wahren Wortsinne partizipatorisches Eingreifen im Ermittlungsverfahren, wenn es etwa darum geht, dass auch die Einigung mit Gläubigern organisiert werden kann usw.

2. Das ungefähr ebenso lange (ca. 150 S.) zweite Kapitel beschäftigt sich mit den gesellschaftsrechtlichen Funktionsträgern:

Diese werden zunächst in § 5 ausführlich dargestellt, wobei ein besonderes Schwergewicht auf der Funktion des Geschäftsführers (einschließlich seiner Weisungsgebundenheit und deren Grenzen) liegt, aber auch Themen wie die Gesellschafterversammlung, der Aufsichtsrat, der faktische Geschäftsführer (samt seiner möglichen strafrechtlichen Verantwortung für verschiedene Tatbestände) der Strohmann oder die Rolle der Liquidatoren nicht fehlen.

In § 6 werden die Pflichten eben dieser Funktionsträger im Vorfeld der "Krise" (welche trotz vielfacher Überschneidungen von der Insolvenzreife abzugrenzen ist) beschrieben, d.h. insbesondere die Pflicht zur Kapitalerhaltung, der sonstige Schutz des Gesellschaftsvermögens sowie allgemeine Treuepflichten. Diese Pflichten wirken auch nach Eintritt der Krise fort, mit dem sich § 7 beschäftigt. Im Mittelpunkt steht hier insbesondere die Prüfung der (ebenfalls kommentarartig bereit dargestellten) Insolvenzeröffnungsgründe sowie die aus der Insolvenzantragspflicht resultierenden Konsequenzen.

In § 8 werden die Konsequenzen des Insolvenzeröffnungsverfahrens, d.h. die Wirkungen zwischen dem Antrag auf Eröffnung und dem Eröffnungsbeschluss näher beschrieben, während in § 9 die Auswirkungen des eröffneten Verfahrens nachgezeichnet werden. Auch dies geschieht umfangreich und - wie im Vorwort angekündigt - unter substantiierter Darstellung der insolvenzrechtlichen Rechtslage (etwa einschließlich einer näheren Beschreibung der Rolle der Verfahrensbeteiligten oder der Konstitution der Insolvenzmasse). Das zweite Kapitel schließt mit dem relativ kurzen § 10 über die Pflichten, die sich nach Abweisung eines Insolvenzantrags (etwa mangels Masse) ergeben können.

3. Den umfangmäßigen Schwerpunkt des Buches bilden naturgemäß die fast 300 Seiten langen Ausführungen über die mögliche Strafbarkeit der Beteiligten nach den verschiedenen Strafvorschriften.

Den Auftakt bildet in § 11 die Insolvenzverschleppung, welche bekanntlich in verschiedenen Vorschriften unter Strafe gestellt ist und von Bittmann am Beispiel des - wohl praxisrelevantesten - § 84 GmbHG dargestellt wird. Obwohl - um ein permanentes Zurückblättern zu vermeiden - eine knappe Wiederholung der gerade für dieses Delikt so wichtigen Insolvenzeröffnungsgründe ohne Zweifel auch im Kontext des § 84 GmbHG sinnvoll ist, erscheint doch fraglich, ob diese Gründe nach der übersichtlichen Darstellung von Gruber in § 7 (vgl. oben) nochmals in diesem Umfang erörtert werden müssen, der z.B. zum Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit (Rn. 55-75) mit sieben Seiten sogar noch eine Seite länger ausfällt als der eigentlich diesem Thema gewidmete Abschnitt in § 7 (vgl. Rn. 9-32).

§ 12 ist dem Bankrott, §§ 283, 283 a StGB, gewidmet. Bittmann geht hier auf Auswirkungen der Auslegung der Vorschrift durch die Insolvenzrechtsreform ein und bringt auf insgesamt rund 90 Seiten kommentarhafter Darstellung eine ausführliche Auseinandersetzung mit allen Tatbestandsmerkmalen und den wesentlichen Problemen des Tatbestandes. Vergleichsweise kürzer fallen demgegenüber die §§ 13 (Verletzung der Buchführungspflichten, § 283 b StGB, 4 Seiten) und 14 (Gläubigerbegünstigung, § 283 c StGB, 16 Seiten) aus.

Nach diesen Insolvenzdelikten des StGB im eigentlichen Sinn wird noch eine Reihe weiterer Vorschriften dargestellt, welche im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Krise eines Unternehmens typischerweise eine Rolle spielen können. § 15 behandelt dabei den Betrug, was schon deswegen zu begrüßen ist, weil der (z.B. Lieferanten-)Betrug nicht zuletzt aufgrund der häufigen Strafanzeigen, die in diesem Bereich von den Lieferanten eingehen, um die Zahlungsmoral des Schuldners zu verbessern, die Ermittlungsbehörden besonders oft beschäftig. Dies ändert freilich nichts daran, dass die allgemeinen Ausführungen zum Betrug in diesem Kontext länger ausfallen, als es unbedingt nötig gewesen wäre (vgl. nur die Schilderung des interessanten, aber mit dem hier in Rede stehenden Problem nicht zusammenhängenden Fall

des KG zum vorgetäuschten Versprechen, die Ehefrau des Betrugsopfers umzubringen, in Rn. 31).

Mit rund 40 Seiten ebenfalls relativ umfangreich dargestellt ist die Untreue (§ 266 StGB). Ausgesprochen instruktiv ist hier die (einer ebenfalls relativ breiten allgemeinen Einführung folgende) Darstellung der verschiedenen tauglichen Täter innerhalb eines Unternehmens in Rn. 55 ff. In der Frage, ob ein entsprechender Funktionsträger tauglicher Täter einer Tat nach § 266 StGB sein kann, spiegelt sich letzten Endes ja nichts anderes wider, als die für die Untreue nach h.M. konstitutive und in ihren Details stets ausgesprochen umstrittene qualifizierte Vermögensbetreuungspflicht.

Vier kurze Abschnitte auf insgesamt nur rund 17 Seiten sind in §§ 17-20 dem Kreditbetrug (§ 265 b StGB), dem Subventionsbetrug (§ 264 StGB), der Unterschlagung (§ 246 StGB) sowie der Vereitelung der Zwangsvollstreckung (§ 288 StGB) gewidmet. Anders als in seiner Darstellung des Betrug (§ 15, vgl. oben) hat sich Schulze hier offenbar bewusst zurückgenommen, so dass die Erläuterungen die allgemeinen Fragen der genannten Vorschriften in der Regel nicht tiefer thematisieren als erforderlich; für den hier verfolgten Zweck erscheint mir aber für diese Vorschriften (denen zumindest teilweise im Insolvenzfall auch keine vertiefte Bedeutung zukommt) der gewählte Umfang absolut ausreichend.

Einen Schwerpunkt der Untersuchung bildet dagegen (auf rund 50 S.) wieder völlig zu Recht das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt nach § 266 a StGB, welcher seinen praktischen Anwendungsbereich fast ausschließlich in der Situation von Unternehmenskrisen hat. Auch hier werden alle Merkmale mehr oder weniger kommentarartig aufgebreitet, wobei Bittmann (der in früheren Veröffentlichungen ein Anhänger der Lohnzahlungstheorie gewesen ist) auch hier zwar eine Kritik an der nunmehr Gesetz gewordenen Lohnpflichttheorie übt (Rn. 64 ff.), jedoch zutreffend darauf hinweist, dass sie zumindest im Ausgangspunkt nun de lege lata so hinzunehmen sei. Bei der für eine Strafbarkeit nach § 266a StGB u.U. problematischen Leistungsfähigkeit des Schuldners (vgl. Rn. 71 ff.) billigt Bittmann die Rechtsprechung des BGH (und h.M.), welche grundsätzlich von einem Vorrang der Verpflichtung zur Abgabe der Beiträge zur Sozialversicherung ausgeht. Soweit diese allerdings aus dem Arbeitgeber aufgrund der späteren Fälligkeit erwachsenen Liquiditätsvorteilen abgeleitet wird (vgl. Rn. 77 f.), ist dieses Argument jedenfalls auf dem Boden der Lohnpflichttheorie problematisch, da hier eine Zahlungspflicht ja auch besteht, wenn der Lohn tatsächlich gar nicht ausgezahlt (und dementsprechend auch kein Beitragsanteil einbehalten) worden ist. Bittmann sieht dieses Problem auch selbst (vgl. Rn. 81), meinte sie jedoch mit einer "Anleihe" bei der im übrigen nicht mehr vertretbaren Lohnzahlungstheorie praktikabel lösen zu können (vgl. Rn. 82), indem eine Vorsorgepflicht zur Bewahrung der Sozialabgaben mit der Auszahlung des Nettoentgelts eintritt, was freilich streng genommen auch bereits einen Vorrang der Abgabepflichten vor der Lohnzahlungspflicht voraussetzt. Auch die in der neueren Rechtsprechung des BGH anerkannte rechtfertigende Wirkung des § 64 GmbHG wird von Bittmann kritisch gesehen; jedenfalls sei selbst auf der Basis dieser Rechtsprechung ein Rechtfertigungsgrund nur während der Drei-Wochen-Frist des § 64 GmbHG anzuerkennen und damit eine Strafbarkeit regelmäßig nicht ausgeschlossen, sondern zeitlich nur hinausgeschoben (vgl. Rn. 89 ff.).

Relativ knapp fällt schließlich wieder § 22 zur Schuldnerbegünstigung, § 283 d StGB. aus.

4. Ein gewisses "Sammelbecken" von - thematisch jedoch durchaus zusammenhängenden und daher auch sinnvoll im Zusammenhang behandelten - Sonderproblemen stellt das vierte Kapitel über "Besondere strafrechtliche Risiken" dar. Dabei behandeln die §§ 23 bis 26 die mögliche strafrechtliche Verantwortlichkeit des Insolvenzverwalters unter einer Vielzahl denkbarer Aspekte von der Untreue bis zum verbotenen Insiderhandel. Damit werden auch solche Strafbarkeitsrisiken berücksichtigt, die sich nicht unmittelbar aus der Amtsstellung des Insolvenzverwalters, sondern auch aus seiner Vertretungsbefugnis für die Masse ergeben. Die §§ 27 bis 30 behandeln Strafbarkeitsrisiken auf Seiten von Banken, Beratern, "professionellen Unternehmensbestattern" sowie den Mitgliedern von Gläubigerpools.

§ 31 schließlich bildet den Abschluss des vierten Kapitels und befasst sich mit der Untreue im (qualifizierten) faktischen Konzern. Dabei wird insbesondere auch auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen im "Vulkanurteil" eingegangen; wenn in Rn. 27 die Rede davon ist, es sei noch ungeklärt, "inwiefern diese neuere Rechtsprechung (...) auch auf die strafrechtliche Beurteilung solcher Vorfälle nach § 266 durchschlägt", so scheint leider gerade in diesem wichtigen Feld der Bearbeitungsstand des Buches "nur" beim 1.4.2004, nicht beim teilweise noch erreichten 1.6.2004 (vgl. Vorwort, S. V) zu liegen (vgl. die Entscheidung des 5. Strafsenats 5 StR 73/03 vom 13.5.2004 zur Untreue durch AG-Vorstandsmitglieder zum Nachteil einer abhängigen GmbH im Fall Bremer Vulkan, NJW 2004, 2248 = HRRS 2004 Nr. 604).

5. Das fünfte und sechste Kapitel schließlich befasst sich mit prozessualen Fragestellungen, wobei im fünften Kapitel die Komplexe "Deal" und Gewinnabschöpfung, im sechsten Kapitel die Rolle von Staatsanwaltschaft, Gericht, Finanzbehörden und Verteidigung behandelt wird.

Der Abschnitt über die Verständigung im Strafverfahren (sog. Deal) behandelt ebenfalls fast handbuchartig die damit zusammenhängenden Fragestellungen, wobei im Mittelpunkt die Zulässigkeit und Grenzen der Verständigung über den Urteilsinhalt (selbstverständlich unter Berücksichtigung der Leitentscheidung BGHSt 43, 195) sowie die prozessuale Behandlung einer fehlgeschlagenen Vereinbarung stehen. § 33 über "Gewinnabschöp-

fung und Rückgewinnungshilfe" enthält einen Überblick über die materiell-rechtlichen Regelungen der §§ 73 ff. StGB sowie über prozessrechtliche Grundlagen.

Der kurze § 34 über die Staatsanwaltschaft beschäftigt sich insbesondere mit den verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Abschlussverfügung, d.h. mit Verfahrenseinstellungen aus Opportunitätsgründen sowie mit dem Vorgehen in Fällen, in denen eine solche nicht möglich ist (Verwarnung, Strafbefehl oder Anklageerhebung). Ebenfalls recht knapp werden in § 35 und 36 die Rolle des Gerichts in Zwischen- und Hauptverfahren sowie die Beteiligung der Finanzbehörden beschrieben. Mit etwas über 20 Seiten wieder ausführlicher wird in § 37 die mögliche Rolle der Verteidigung erörtert, wobei im Mittelpunkt Verteidigungsstrategien in der Hauptverhandlung stehen. Unter ihnen werden etwa mögliche Zuständigkeitsrügen, Ablehnungsanträge, Aussetzungsanträge oder Beweisanträge beschrieben. Die Ausführungen sind hier freilich mit Blick auf das eigentliche Thema sehr unspezifisch gehalten; exemplarisch: in Rn. 72 ff. wird zwar auf rund zwei Seiten das Plädoyer des Verteidigers hinsichtlich seiner Bedeutung, seines Ablaufs und seiner Gestaltung beschrieben, es fehlt dabei jedoch jeglicher Hinweis auf eventuelle Spezifika in Zusammenhang mit Insolvenzstrafverfahren.

III. Aus dem - notwendigerweise ganz stark gerafften - Eindruck der vorhergehenden Ausführungen dürfte deutlich gewesen sein, dass Herausgeber und Verfassern eine wirklich imposante Leistung gelungen ist. Ob sie tatsächlich ein "großer Wurf" ist, wage ich noch nicht zu prognostizieren: Denn wie in der Darstellung des Inhalts ebenfalls an mehreren Stellen deutlich wurde (und noch an vielen anderen Stellen hätte aufgezeigt werden können), erliegt das Buch an vielen Stellen der Versuchung, auch sehr allgemeine Überlegungen allzu breit und gelegentlich auch zu unspezifisch darzustellen. Auch finden sich teilweise mehr Redundanzen, als zur Vermeidung ständigen Hin- und Herblättern unverzichtbar gewesen wären.

Möglicherweise ist jedoch vor allem der erste Einwand nur die verzerrte Perspektive eines Strafrechtlers, da der Rezensent etwa die zivilrechtlichen Überlegungen zum Insolvenzrecht oder zu den Funktionsträgern bei der Gesellschaft ebenso wie die bilanzrechtlichen bzw. betriebswirtschaftlichen Ausführungen zur Buchführung ganz und gar nicht als zu lang (sondern für das richtige Verständnis als durchaus erforderlich) empfunden hat. Möglicherweise ist daher das, was man in seiner eigenen Disziplin (wenngleich vielleicht nicht als Manko, so doch zumindest) als entbehrlich empfindet, für den Leser, der eine jeweils andere - aber dennoch mit dem Komplex Insolvenzstrafrecht zusammenhängende - Heimatdisziplin hat, gerade der große Vorteil des Buches: Das eingangs erwähnte und vom Herausgeber betonte Konzept, das Insolvenzstrafrecht in all seinen Facetten und mit all seinen Grundlagen wirklich umfassend darzustellen. Und wer - dies jedenfalls aus strafrechtlicher Perspektive - tatsächlich ehrlich zu sich selbst ist, wird wohl eingestehen müssen, dass er auch in den Bereichen "seiner" Disziplin jedenfalls dann, wenn er nicht tagtäglich mit den entsprechenden Fragestellungen zu tun hat, relativ rasch an den Punkt stößt, an den er zur Absicherung ohnehin noch einmal in einem Kommentar nachschlagen würde. Dies kann man sich jedoch mit Hilfe des Handbuchs zum Insolvenzstrafrecht häufig ersparen, da auch zu Vorfragen der Umfang der Darstellung sowie die Anzahl der Nachweise hinter einem Handkommentar keinesfalls zurückstehen. Von daher bietet das Buch für jeden - egal aus welcher Perspektive - mit dem Insolvenzstrafrecht Beschäftigten einen großen Fundus des verfügbaren Wissens einerseits sowie wichtige weiterführende Informationen aus möglicherweise weniger genau beherrschten Bereichen andererseits. Auf diese Weise ermöglicht es die Behandlung eines insolvenzstrafrechtlichen Falles gleichsam aus einem Guss (wenngleich auch aus verschiedenen Federn) und dürfte damit das sich selbst gesetzte Ziel eigentlich erreicht haben. Nach meinem Dafürhalten ist dem Buch zu wünschen, dass die von ihm angesprochenen Leser dies ähnlich beurteilen und es am Markt freundlich aufnehmen.

Professor Dr. Hans Kudlich, Universität Erlangen

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Franz Isak und Alois Wagner , Strafvollstreckung. 7., neubearbeitete Aufl., 2004. Handbuch der Rechtspraxis, Band 9. Verlag C. H. Beck, München. 676 Seiten, gebunden. ISBN 3-406-51235-6. Preis 66 €.

Das Handbuch "Strafvollstreckung", das zum zweiten Mal von den beiden Autoren Isak - einem ehemaligen leitenden Oberstaatsanwalt, Vorsitzenden einer Strafvollstreckungskammer und Strafrichter - und Wagner - dem Leiter einer Justizvollzugsanstalt und ehemaligen Rechtspfleger bei einer Staatsanwaltschaft - verantwortet wird, befindet sich nunmehr auf dem Stand vom Jahreswechsel 2002/2003, nachdem es zuletzt 4 Jahre zuvor aktualisiert worden war. Es dürfte sich dabei zur Zeit um das ausführlichste und umfassendste Praxisbuch zur Strafvollstreckung handeln. Es soll schon hier darauf hingewiesen werden, dass mit Praxis die Justizpraxis, die Praxis der Strafvollstreckungsbehörden, Strafvollzugsbehörden und Gerichte gemeint ist. Die Autoren sehen völlig davon ab, die Praxis des Rechtsgebiets aus der Perspektive des in der Strafvollstreckung tätigen Strafverteidigers zu erläutern. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass sämtliche im Text zahlreich abgedruckten Formulare, Formulierungsbeispiele bzw. Muster für Anschreiben, Anträge, Verfügungen, gerichtlichen Entscheidungen etc. für die Justiz bestimmt sind und praktische Hinweise ebenfalls nur deren Vorgehen betreffen. Angesichts des beruflichen Hintergrunds der Autoren darf vernünftigerweise nichts anderes erwartet werden. Überdies macht der Umstand, dass deren Ausführungen ganz aus der Sichtweise der Justiz heraus erfolgen, das

Werk gerade (auch) für den Strafverteidiger wertvoll. Diesem wird ein außergewöhnlich tiefer und unverstellter Einblick in das Denken, die Entscheidungsabläufe und -bedingungen seines Gegenübers auf der Seite der Justiz gegeben. Dies liefert ihm zahlreiche wichtige Informationen und Anregungen für seine Verteidigertätigkeit, die er aus einem Buch eines Verteidigerkollegen vielleicht nicht erlangen könnte. Allerdings muss er diesen "Input" gewissermaßen transformieren und selbstständig in taktisch und rechtlich richtiges Verteidigungshandeln umsetzen. Um das Handbuch zu einer für den Verteidiger praktisch noch leichter zu nutzenden Arbeitshilfe zu machen, sei vorgeschlagen, für die Neuauflage als Koautor einen Strafverteidiger mit einschlägigen Erfahrungen zu gewinnen, der ergänzende praktische (und taktische) Hinweise aus Verteidigersicht sowie Muster für Schriftsätze und Anträge beisteuern könnte. Diese Ergänzungen müssten den Text nicht übermäßig aufblähen.

Trotz der Unüberschaubarkeit des Themas soll versucht werden, einen Überblick über den Aufbau und Inhalt des Werks zu geben: Gemäß ihren beruflichen Erfahrungen haben die Autoren die Bearbeitung der Thematik aufgeteilt: Wagner bearbeitete das weit umfangreichere erste Buch (S. 1-559) - Strafvollstreckung - mit Ausnahme des 12. Teils (S. 498-532) - zur Amtshilfe und Rechtshilfe in Strafsachen - während Isak das zweite Buch zu den gerichtlichen Entscheidungen in der Strafvollstreckung und im Strafvollzug (S. 559-661) und den 12. Teil des ersten Buches abdeckt. Nach den einführenden Bemerkungen finden sich gleich im ersten Teil (S. 1-39, allgemeine Grundsätze der Strafvollstreckung) die praktisch durchaus relevanten und zur Lektüre empfohlenen Ausführungen zur Zuständigkeit der Strafvollstreckungsbehörden und insbesondere zur Zuständigkeit des Rechtspflegers und zur Abgrenzung von dessen Kompetenzen von denen des Staatsanwalts einerseits und denen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle andererseits (S. 6-17). Ebenfalls hervorgehoben werden soll die sehr übersichtliche Darstellung der Rechtsbehelfe und Rechtsmittel in der Strafvollstreckung (S. 19-25). Es folgen Ausführungen zur Pflichtverteidigung, zur Rechtskraft als Vollstreckungsvoraussetzung, dem allgemeinen Pflichten der Vollstreckungsbehörde - namentlich der Pflicht zur Vollstreckung mit Nachdruck und Beschleunigung (§ 2 Abs. 1 StVollstrO) die den Begehren der Verteidigung häufig entgegensteht - und zur geschäftlichen Behandlung der Strafvollstreckungssachen. Dahinter verbergen sich erhellende Bemerkungen zur Aktenführung in der Strafvollstreckung, insbesondere zum Inhalt des Vollstreckungshefts und zur Registerführung (S. 34-39), die man als (noch unerfahrener) Verteidiger zu schätzen weiß.

Der zweite Teil behandelt die Vollstreckung von Freiheitsstrafen (S. 39-185). Gewissermaßen chronologisch wird die Einleitung der Vollstreckung (durch die sogenannte Vollstreckungsverfügung), die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Justizvollzugsanstalten (gemäß dem Vollstreckungsplan der Länder), die Ladung zum Strafantritt, die Verschubung der Verurteilten in die zuständige Anstalt, die Einweisung des Verurteilten, der Vorführungsbefehl und der (Vollstreckungs-) Haftbefehl und evtl. notwendige Fahndungsmaßnahmen geschildert. Auch für den Verteidiger von großer Bedeutung sind die sehr eingehend behandelte korrekte Strafzeitberechnung (S. 87-129), die Reihenfolge und mögliche Unterbrechungen der Vollstreckung (S. 129-146), sowie schließlich der Abschluss der Vollstreckung und besondere Vollstreckungsverfahren (etwa die Vollstreckung von nachträglich gebildeten Gesamtstrafen, S. 157-174, und das Absehen von der Vollstreckung gegenüber Ausländern, § 456a StPO, S. 180-185). § 456a StPO kann für den Verteidiger (und dessen ausländischen Mandanten) die Chance auf eine ansonsten nicht denkbare Verkürzung der Haftzeit eröffnen. Die Bereitschaft, etwaige (aussichtslose) Rechtsmittel im Strafverfahren zurückzunehmen sowie die Bereitschaft, die gegen die - bei Haftstrafen ab ca. drei Jahren zumeist drohende - Ausweisung (§ 45 ff AuslG) und Abschiebung ( § 49 AuslG) umgehend rechtskräftig werden zu lassen, kann nicht selten zur Entlassung beträchtlich vor dem 2/3-Zeitpunkt (§ 57 Abs. 1 StGB; in Baden-Württemberg etwa ist der 7/12-Zeitpunkt üblich) oder - wohl seltener - der Halbstrafe (§ 57 Abs. 2 StGB) führen. Aus der Sicht der Justiz hat dies den Vorteil, dass die entsprechenden (aufwändig vorzubereitenden) Entscheidungen überflüssig gemacht und potenziell weiter gefährliche Straftäter schnellstmöglich außer Landes gebracht werden. Maßgeblich für die Entscheidung des zuständigen (Vollstreckungs-)Staatsanwalts (§ 1 Nr. 1 BegrenzVO) sind in erster Linie die in den jeweiligen Bundesländern unterschiedlichen Richtlinien der Justizministerien bzw. der Generalsstaatsanwaltschaften. Das Buch von Isak/Wagner beschreibt leider nur die allgemeinen Gesichtspunkte, die eine Rolle zu spielen haben (S. 182); sehr interessant wäre hier zumindest der Abdruck der Richtlinien eines Bundeslandes oder jedenfalls die Angabe der Fundstellen, da diese Rechstquellen nicht für jeden Verteidiger ohne weiteres verfügbar oder auffindbar sind. Lesenswert sind die knappen aber wichtigen Ausführungen (S. 184) zur grundsätzlich obligatorischen Nachholung (d. h. Fortsetzung) der Vollstreckung, wenn der Verurteilte freiwillig in das Bundesgebiet zurückgekehrt. Hervorzuheben wäre eventuell gewesen, dass dann in der Praxis auch eine Strafrestaussetzung zur Bewährung regelmäßig nicht mehr durchsetzbar sein wird.

Der dritte Teil (S. 185-243) handelt von der Vollstreckung von Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen, Themen der Unterabschnitte sind die Einforderung und Beitreibung ( S. 190-220), die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe (S. 220-236) und die Abwendung der Vollstreckung durch freie Arbeit (S. 236-243). In diesem Zusammenhang behandelt die Autoren eingehend die weiterhin strittige Frage, ob eine Strafrestaussetzung gemäß § 57 StGB auch bei der Ersatzfreiheitsstrafe möglich ist und verneinen dies mit beachtlichen rechtssystematischen Gründen (S. 234/235, vgl. auch OLG Stuttgart Justiz 1986, 469; anderer Ansicht OLG Koblenz NStZ 1987, 120; 1995, 254). Eingehend wird auch die Abwendungsbefugnis durch Erbringung freier, unentgeltlicher und gemeinnütziger Arbeitsleistungen (gemäß Art. 293 EGStGB i. V. m. den unterschiedlichen Rechtsverord-

nungen der Länder; deren Abdruck wäre hilfreich gewesen, s.o.) besprochen. Die Justiz steht diesem - vielleicht nicht allgemein bekannten - Rechtsinstitut insbesondere aufgrund der Kosten der Haft anscheinend sehr aufgeschlossen gegenüber (S. 236). Ablehnungsgründe sind insbesondere Anhaltspunkte dafür, dass der Verurteilte freie Arbeit nicht leisten will oder kann (S. 239). Der vierte Teil (S. 243-246) zur Vermögensstrafe ist durch das (dort zusammengefasste) Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 2002 (NJW 2002, 1779), durch das § 43a StGB für verfassungswidrig und nichtig erklärt wurde, überflüssig geworden. Im fünften Teil (Vollstreckung von Maßregeln der Besserung und Sicherung) findet man nach allgemeinen Vorbemerkungen zunächst Ausführungen zu den freiheitsentziehenden Maßregeln (S. 251-291). Im Mittelpunkt steht dabei das Verhältnis zur daneben zu verbüßenden Freiheitsstrafe, insbesondere die Vollstreckungsreihenfolge (S. 268-287). Es folgt die Erörterung der Maßregeln ohne Freiheitsentziehung (S. 291-310), Führungsaufsicht (S. 291-301), Entziehung der Fahrerlaubnis (S. 301-306) und Berufsverbot (S. 306-310). Der sechste Teil (S. 310-336) behandelt die Vollstreckung von dem Strafen und Nebenfolgen, von besonderer praktischer Relevanz sind hier das Fahrverbot (S. 313-323) und Verfall, Einziehung etc. (S. 326-332). Im siebten Teil (S. 336-169) wird die Vollstreckung von Entscheidungen nach dem OWiG behandelt, im achten Teil die Vollstreckung von Ordnungsgeldern und Zwangsgeldern etc. (S. 369-380). Von deutlich größerer praktischer Bedeutung sind die Ausführungen im neunten Teil zur Vollstreckung der Sanktionen gegen Jugendliche und Heranwachsende (S. 380-429). Hervorzuheben sind die Ausführungen zur Vollstreckungszuständigkeit des Jugendrichters (S. 387-390, statt wie üblich der Staatsanwaltschaft), die Darstellung der wenig übersichtlich geregelten Anfechtung der Vollstreckungsentscheidungen im Jugendstrafverfahren (S. 396-399), sowie der Durchführung der Vollstreckung der für des Jugendstrafrecht typischen Erziehungsmaßregeln (S. 401-404), Zuchtmittel (S. 404-409) insbesondere des Jugendarrestes (S. 409-419). Bündig (S. 419-427) fällt demgegenüber die Abhandlung zur Vollstreckung der Jugendstrafe aus. Der zehnte Teil (S. 429-458), der die sogenannten Nebengeschäfte der Vollstreckung behandelt, nämlich Mitteilungs- und Unterrichtungspflichten etc., dürfte vordergründig nur für den im Bereich der Strafvollstreckung tätigen Beamten interessant sein, es ist jedoch auch für den Verteidiger und dessen Mandanten bedeutsam, welche Stellen im Anschluss an Akte der Strafvollstreckung Mitteilung in Strafsachen (S. 431 ff; eine sehr übersichtliche tabellarische Darstellung der Mitteilungsempfänger und Mitteilungsanlässe) erhalten bzw. welche Mitteilungen an das Verkehrszentralregister (S. 438 ff) oder das Bundeszentralregister ( S. 442 ff) erfolgen. Dies kann das berufliche und private Leben des Mandanten bzw. dessen Resozialisierung nicht unerheblich beeinflussen, da sich an die Mitteilungen häufig weitere Rechtsfolgen in anderen Bereichen anschließen.

Der elfte Teil (S. 458-498) behandelt die Vollstreckungshindernisse im weiteren Sinne (Amnestie, Immunität, Spezialität der Auslieferungsbewilligung, Vollstreckungsverjährung, Strafausstand (Hafturlaub), Vollstreckungsaufschub, Vollzugsuntauglichkeit, Zurückstellung der Strafvollstreckung gem. §§ 35, 36 BtMG und Gnadenmaßnahmen). Aus der Sicht der Verteidigung dürften besonders die letzten fünf Themen von besonderem Interesse sein; die Ausführungen zur Vollzugsuntauglichkeit aus gesundheitlichen Gründen bzw. wegen sonstiger Lebensgefahr zeigen deutlich, dass insbesondere wegen der Möglichkeit des Strafvollzugs in Justizvollzugskrankenhäusern und der strengen Maßstäbe der Praxis die Bejahung der Haftunfähigkeit des Mandanten nur ganz selten zu erreichen sein dürfte (vgl. S. 475 ff). Eingehend und überzeugend - insbesondere hervorragend mit Rechtsprechungsnachweisen belegt - sind auch die Ausführungen zu den §§ 35, 36 BtMG (S. 480-490). Es ist hervorzuheben, dass hiernach die Zurückstellung von der Vollstreckung - i. d. R. einer Haftstrafe - auch dann möglich ist, wenn der Zusammenhang zwischen Straftat und Betäubungsmittelabhängigkeit nicht durch die Urteilsgründe belegt ist, da daraus nur eine widerlegliche Vermutung erwächst und der Vollstreckungsbehörde bei entsprechenden Anhaltspunkten aufgegeben ist, den Sachverhalt eigenständig zu ermitteln und zu beurteilen (vgl. S. 480; OLG Oldenburg StV 2001,467; OLG Frankfurt NStZ-RR 1998, 314). Wichtig ist auch der Hinweis, dass der neueren Rechtsprechung zufolge auch wegen ambulanter Drogenentziehungstherapien bei staatlich anerkannten Einrichtungen die Vollstreckung von Freiheitsstrafen zurückgestellt werden kann und die Zeiten in der Regel auf die Straftat anzurechnen sind, wenn durch die ambulante Therapie keine geringeren Anforderungen an den Verurteilten gestellt werden (S. 481, 487); dies eröffnet der Verteidigung positive Gestaltungsmöglichkeiten, ähnlich wie die Möglichkeit, mit der Therapie bereits vor der Verurteilung zu beginnen (S. 487). Die Ausführungen zum Gnadenrecht sind zwar knapp, bieten aber die Fundstellen der Gnadenordnung sämtlicher Bundesländer (S. 491-493). Der 12. Teil (S. 498-532) beschäftigt sich mit der Rechtshilfe und Amtshilfe in Strafsachen; dieses auch für die Verteidigung sehr interessante Rechtsgebiet wird leider in ausgeprägter Weise aus der Sicht der Justiz dargestellt. Zum Doppelbestrafungsverbot des Art. 54 SDÜ (S. 530) wird noch die durch eine neue Entscheidung des EuGH (NStZ 2003, 332) überholte Rechtsauffassung deutscher Revisionsgerichte, dass nämlich nur von Gerichten getroffene abschließende Entscheidung zum Strafklageverbrauch führen, wiedergegeben. Die Klarstellung des Europäischen Gerichtshofs, staatsanwaltschaftliche Einstellungsentscheidungen etwa nach § 153a StPO hätten dieselbe Folge, konnte wohl aufgrund des frühen Redaktionsschlusses nicht mehr berücksichtigt werden. Der 13. Teil (S. 532-559) behandelt die Kosten in Strafsachen und Bußgeldsachen und ist für den Verteidiger insoweit von Bedeutung, als er selbst betroffen ist; die Autoren geben einen knappen Einblick in die Praxis der Justiz, die Gebühren und Auslagen des Verteidigers zu berechnen ( S. 551-557).

Das wesentlich kürzere zweite Buch (S. 558-661) behandelt die gerichtlichen Entscheidungen in der Strafvollstreckung und im Strafvollzug. Der Hauptvorzug der

Ausführungen - etwa gegenüber den Kommentierungen in den Standardkommentaren - liegt in der systematischen und - wo es möglich ist - chronologischen Schilderung des gerichtlichen Verfahrens in der Strafvollstreckung: Im ersten Teil werden zunächst allgemeine Verfahrensfragen geklärt (S. 559-582). Auch für den Verteidiger nützlich sind die Ausführungen zur sachlichen und örtlichen Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer (S. 558-569), besonders die übersichtliche und verständliche Darstellung der Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen dem Gericht des ersten Rechtszugs und der Strafvollstreckungskammer im Hinblick auf die durch die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bei der letzteren eintretenden Zuständigkeitskonzentration (§ 462a Abs. 1 Satz 1 StPO). Im Anschluss werden die einzelnen gerichtlichen Entscheidungen in der Strafvollstreckung erörtert (S. 582-623). Im Vordergrund steht hier die Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes (§§ 57 ff StGB) unter verfahrensrechtlichen, aber auch unter materiellrechtlichen Gesichtspunkten; gerade diese Kombination ist als nützlich anzusehen; die systematische und übersichtliche Darstellung der Voraussetzungen der Zulässigkeit und Begründetheit des Aussetzungsantrags und des Inhalts positiver bzw. negativer Entscheidungen ist uneingeschränkt empfehlenswert (S. 597-608). Gleiches gilt für die Ausführungen zur Überwachung der Bewährung und nachträglicher Entscheidungen, insbesondere im Widerrufsverfahren (S. 610-614). Äußerst knapp fallen leider - wohl wegen des Redaktionsschlusses im Dezember 2002 - die Ausführungen zum Verfahren der Anordnung einer vorbehaltenen Sicherungsverwahrung aus, die durch Gesetz vom 21. August 2002 (BGBl I 2002, S. 3344) eingeführt wurde. Aus demselben Grund konnten die Autoren zur nachträglichen Sicherungsverwahrung überhaupt nicht Stellung nehmen. Im zweiten Teil werden knapp die Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer nach dem Strafvollzugsgesetz abgehandelt (S. 623-631), ebenso knapp im dritten Teil die Entscheidungen nach dem IRG (S. 631-639). Der vierte Teil behandelt die Entscheidungen des erstinstanzlichen Gericht in Fragen der Strafvollstreckung (S. 639-658). Hier ist die sorgfältige Darstellung der nachträglichen Gesamtstrafenbildung (§§ 460 StPO, 55 StGB) zu loben (S. 642-654). Der fünfte Teil schließlich schildert kurz den Rechtsweg nach § 23 EGGVG gegen Justizverwaltungsakte in der Strafvollstreckung (S. 658-660).

Fazit: Das Handbuch der Strafvollstreckung ist für den Verteidiger eine Fundgrube. Es könnte, wenn es dessen Sichtweise stärker einbezieht (s.o.), in diesem Bereich auch für diesen konkurrenzlos nützlich werden. Für Justizangehörige, die in der Strafvollstreckung tätig sind, dürfte es mit seinen praktischen Hilfestellungen, insbesondere den zahlreichen Mustern für unterschiedlichste Entscheidungen jedenfalls zu Beginn der Tätigkeit eine wichtige Stütze, wenn nicht gar unentbehrlich sein. Es sollte jedem auf diesem Gebiet tätigen Richter, Staatsanwalt oder Rechtspfleger zur Verfügung stehen.

Rechtsanwalt Markus Rübenstahl, mag. iur Karlsruhe

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Gabriele Jansen, Zeuge und Aussagepsychologie, C.F. Müller; Heidelberg 2004; 39, 90 €; ISBN 3-8114-0861-5.

Max Alsbergs vielzitierte, aus dem Vorwort zur ersten Auflage seines " Der Beweisantrag im Strafprozeß" (1930, S. 1) stammende Äußerung, das Beweisproblem sei schlechthin das Zentralproblem des Strafprozesses, liegt 75 Jahre zurück. Gleichwohl führte erst die Diskussion über die Verzahnung rechts- und sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts dazu, daß die normative Kopflastigkeit des juristischen Arbeitens, insbesondere im Rahmen der Diskussion über die Juristenausbildung in Frage gestellt wurde. Die "Tatsachenfeststellung vor Gericht" - so der Titel des hierbei Schrittmacherdienste leistenden und einer Neuauflage harrenden Werkes von Bender/Röder/Nack - geriet in den Fokus der Aufmerksamkeit nicht nur der Verfasser von Lehrplänen für Studiengänge und Fortbildungsveranstaltungen: Die vermeintlichen Hilfswissenschaften - z.B. Vernehmungslehre, Glaubwürdigkeitslehre, Kriminalistik - wurden in ihrem Stellenwert für die forensische (nicht nur polizeiliche) Praxis erkannt. Daß ihre Beherrschung oder wenigstens die Beachtung ihrerpotentiellen Bedeutung für den richterlichen Überzeugungsbildungsprozeß unumgänglich ist, um das Fehlurteilsrisiko zu reduzieren, wurde, wenn auch manchmal widerwillig anerkannt, und zwar theoretisch wie praktisch: Ersteres manifestierte sich in der Entwicklung des Schrifttums: Zunehmend wurde durch Überblicksartikel aus der Feder von Strafjuristen (z.B. Nack, StraFo 2001, 1 ff; Neuhaus, StraFo 2001, 8 ff., 406 ff.; 2002, 254 ff.; 2004, 117 ff. ) versucht, die entsprechenden Erkenntnisse der Praxis zugänglich zu machen, eine Entwicklung, die durch das exzeptionelle Handbuch von Ulrich Eisenberg (Das Beweisrecht der StPO, 4. Auflage) gekrönt wurde. Gleichzeitig wurden auch fachwissenschaftliche Publikationen für den praktisch tätigen Strafjuristen zugänglich: Erinnert sei nur für den Bereich der forensisch-psychologischen Glaubhaftigkeitsbeurteilung an die Kette der Veröffentlichungen von Günter Köhnken, Max Steller und Luise Greuel, die ihren vorläufigen Abschluß in dem Handbuch "Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage" (1998), der Habilitationsschrift von Greuel und dem Handbuchartikel von Steller/Volbert in der 4. Auflage des von Venzlaff/Foerster herausgegebenen Kompendiums "Psychiatrische Begutachtung" gefunden hat. Flankiert wurde diese Publikationsentwicklung durch Veröffentlichungen zu (spektakulären) Strafverfahren, in denen beispielsweise die Glaubhaftigkeitsbegutachtung über das Schicksal der Angeklagten entschied (vgl. zuletzt eindringlich Eisenberg, JR 2004, 358 ff.). Mit dieser Entwicklung korrespondierte praktisch eine vor allem von dem 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs vorangetriebene Öffnung der Rechtsprechung einschließlich der revisionsgerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten gegenüber den Erkenntnissen etwa der forensischen Psychologie. Paradigmatisch hierfür steht die auch in ihrer revisionsverfahrensrechtlichen Vorbereitung innovative Entscheidung dieses Senats zur Überprüfung von Glaubhaftigkeitsgutachten (BGHSt 45, 164 ff.), die unlängst für Schuldfähigkeitsgutachten eine

adäquate Fortschreibung durch eine Entscheidung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs gefunden hat (2 StR 367/04 vom 12.11.2004). Diese eher auf die Beweisaufnahme und die Partizipation der Verfahrensbeteiligten an ihr bezogene Rechtsprechung wird durch eine stetige Strukturierung der Anforderungen an die tatgerichtliche Beweiswürdigung in kritischen Fallkonstellationen (vgl. Ventzke, HRRS 2004, 340/342 m.w.N) abgerundet.

Vor diesem Hintergrund sind die Erwartungen des Lesers hoch, wenn in der bewährten Reihe "Praxis der Strafverteidigung" als Band 29 ein "Zeuge und Aussagepsychologie" betiteltes Werk einer Strafverteidigerin vorgelegt wird, die bereits mit erfahrungsfundierten Veröffentlichungen auf diesem Gebiet hervorgetreten ist. Was erwartet er konkret? Oder anders gefragt: Wo besteht in der Literatur eine gerade aus praktischer Sicht zu schließende Lücke? Die Antwort scheint klar: Vor allem für "Einsteiger" erscheint die Präsentation einerseits der einschlägigen juristischen Vorgaben, andererseits der außerstrafrechtlichen Erkenntnisse und ihre - möglicherweise an Einzelfällen illustrierte - Zusammenführung und Umsetzung in Handlungsempfehlungen hilfreich.

Das stellt auch den Ausgangspunkt der Verfasserin dar, die allerdings die Literaturlage eher skeptischer einschätzt (Rn. 3 ff.). Ihr Werk untergliedert sie in vier Abschnitte: "§ 1 Zeugenaussage", "§ 2 Zeugenvernehmung", "§ 3 Aussagepsychologische Begutachtung" und "§ 4 Prozesse". Ein praxisorientierter Anhang und ausführliche, gut handhabbare Literatur- und Stichwortverzeichnisse runden die Arbeit ab. Um mit der größten Enttäuschung zu beginnen: Wer sich in § 4 die - und sei es exemplarische - Dokumentation eines konkreten Strafverfahrens erhofft, wird enttäuscht: Der Abschnitt umfasst zwei Seiten und erschöpft sich in einer Literaturliste zu den Wormser Mißbrauchsverfahren und dem Montessori-Verfahren (Rn. 579 - 581). Gerade für den Berufsanfänger oder denjenigen Verteidiger, der mit derartigen Verfahren nur ausnahmsweise befaßt ist, hätte es eine erhebliche Erleichterung beim Nachvollzug der theoretischen Ausführungen bedeutet, wäre vor dem Hintergrund der abgedruckten Arbeitshilfen zur Zeugenvernehmung und Beurteilung der Qualität von psychologischen Gutachten (Rn. 582 ff., 586 ff.) ein derartiges Anwendungsbeispiel anschaulich präsentiert worden: Wie muß in diesen Fallkonstellationen ein Beweisantrag aufgebaut werden? Wie pflegen Gerichte typischerweise zu entscheiden? Wie kann oder muß hierauf reagiert werden? Welche Beweisermittlungsmöglichkeiten etwa zur Aussagegenese gibt es? Wie lassen sich konkrete Gutachtenmängel aufzeigen? Wie sieht eine Aussageanalyse anhand eines konkreten Vernehmungsprotokolls aus? All dies wäre naturgemäß an einem konkreten - möglicherweise auch völlig unspektakulären - Fall wesentlich anschaulicher aufzuzeigen gewesen (vgl. auch Eisenberg a.a.O. S. 358 ff.).

Jansen begreift ihre Arbeit - und das erscheint im Ausgangspunkt schlüssig - als Kommentar zu der von ihr im Wortlaut abgedruckten (Rn. 585) Leitentscheidung BGHSt 45, 164. Auf die jeweils einschlägigen Urteilspassagen kommt sie auch im laufenden Text - druckgraphisch hervorgehoben - zu sprechen, sie bilden gleichsam das Rückgrat ihrer Ausführungen. Gewöhnungsbedürftig und die Lektüre nicht unbedingt erleichternd ist der Umstand, daß Jansen sich ausdrücklich (S. 3 a.E.) damit bescheidet, die Erkenntnisse Dritter z. T. in indirekter Rede zu referieren.

Jansen wählt den Einstieg über eine kurze rechts- und wissenschaftsgeschichtliche Darstellung der Entwicklung von Zeugenbeweis und Aussagepsychologie (Rn. 7 ff.), die in eine erste skizzenhafte Schilderung der BGH-Rechtsprechung und der methodischen Prinzipien der Aussagepsychologe einmündet (Rn. 26 ff., 31 ff.). Nach einer Auseinandersetzung mit den Begriffen der Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit (Rn. 69 f.) wird die "BGH-Rechtsprechung zur aussagepsychologischen Begutachtung" (vor Rn. 71) ausführlich und thematisch gut strukturiert dargestellt (Rn. 72 - 127), wobei z.T. aber nur schlagwortartig die einschlägigen Fundstellen wiedergegeben werden. Eine Analyse der Rechtsprechung und etwaiger ihr immanenter Brüche und Schwächen findet sich - der praktischen Zielsetzung des Buches entsprechend - nicht. Im nächsten Abschnitt (Rn. 128 - 243) wird die Vernehmungslehre - "technisch" wie rechtlich - z.T. mit aus der Literatur übernommenen Befragungsbeispielen erschöpfend dargestellt. Die im Text enthaltenen Querverweise gestatten hierbei auch die stichwortorientierte Nutzung des Buches als Nachschlagewerk zur Klärung von Einzelfragen. Der quantitativ umfangreichste Abschnitt (Rn. 244 - 578) widmet sich sodann der "aussagepsychologischen Begutachtung" (Rn. 244) in all ihren rechtlichen wie tatsächlichen Facetten. Hervorzuheben ist hierbei die durch Beispiele und Übersichten ergänzte umfassende Schilderung der Fragen der Aussagekompetenz und ihrer Untersuchung (Rn. 258 ff.), die auch eine Einführung in die Gedächtnispsychologie enthält (Rn. 275 ff.). Dabei orientiert sich die Darstellung insoweit an der Trias Wahrnehmung (Rn. 259 ff.), Erinnerung (Rn 275 ff.) und Wiedergabe (Rn. 319 ff.). Im Zusammenhang mit den detailliert dargestellten Diagnosemethoden wird auch auf auszuschöpfende Quellen für weitere Anknüpfungstatsachen hingewiesen (Rn. 371 ff.). Während sich diese Ausführungen mehr auf die Untersuchungsinstrumente wie Testverfahren beziehen (Rn. 324 ff.), wird in einem gesonderten Abschnitt die Problematik der Exploration dargestellt (Rn. 375 ff.). Besonders wichtig sind insoweit die auf die Aussagegenese bezogenen Erläuterungen (Rn. 379 ff.). Hieran anknüpfend tritt Jansen sodann in eine ausführliche Darstellung der für eine Fehlerquellenanalyse wesentlichen Aspekte ein (Rn. 413 ff.), so u.a die Suggestionsproblematik (Rn. 417 ff, 434 ff.) sowie die unselige Rolle parteilicher Befragungen, insbesondere der sog. Aufdeckungsarbeit bei der Generierung nicht valider Aussagen (Rn. 465 ff.; 467 ff.). Der forensisch wichtigen - "Warum sollte der Zeuge die Unwahrheit sagen, Herr Verteidiger?" - Frage nach der Motivation falscher Aussagen wendet sich die Verfasserin in einem weiteren Abschnitt zu (Rn. 477 ff.). Der Abschnitt § 3.11 befaßt sich mit den Maßstäben der sog. kriterienorientierten Aussageanalyse, des von dem BGH als Methode der Wahl angesehe-

nen Glaubhaftigkeitsprüfungsansatzes, und vermittelt - zum Teil in Aufnahme der einleitenden Ausführungen (Rn. 31 ff.) - das notwendige Basiswissen. Nur ganz kurz kommt Jansen darauf zu sprechen, daß diese Analyse nicht dazu führen darf, daß einer Falsifizierung der Aussage anhand sog. Außenkriterien (Rn. 546) keinerlei Aufmerksamkeit (§ 244 Abs. 2 und 3 StPO) mehr zugewandt wird. Wer kennt nicht die prozessuale Situation, in der ein sog. Opferzeugen schonendes Tatgericht sich darauf beschränkt, nur tiefbetroffen von ihm die Aussageund von dem Sachverständigen ihre Zertifizierung als glaubhaft entgegenzunehmen, ohne zu prüfen, welche Objektivierungsmöglichkeiten bestehen?

Der Begutachtungsakt (Rn. 547 ff.) und seine dokumentierte Umsetzung (Rn. 552 ff.) runden thematisch diesen Abschnitt ab. Untersuchungshaftrechtlichen Folgerungen aus der revisionsgerichtlichen Rechtsprechung (dringender Tatverdacht bei Aussage gegen Aussage?) und wiederaufnahmerechtlichen Problemen (methodenkritische Gutachten als neue Beweismittel?) wendet sich Jansen leider nicht zu. Ohnehin kommen verfahrenstaktische Hinweise, etwa zur Einholung eigener Gutachten, etwas kurz, wie sich schlaglichtartig auch daraus ergibt, daß das Stichwortverzeichnis (S. 283) den Begriff "Beweisantrag"schlicht nicht nennt

Alles in allem: Der Verteidiger wird sich hinsichtlich der aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet der Aussagepsychologie, insbesondere zur Frage der methodischen Absicherung der kriterienorientierten Aussageanalyse, anhand der Primärquellen ebenso auf dem Laufenden halten müssen wie hinsichtlich der Tendenzen der einschlägigen revisionsgerichtlichen Rechtsprechung. Um dies kompetent tun, also überhaupt die richtigen Fragen stellen zu können, wird er auch ohne weiteres auf das benutzerfreundlich gestaltete Buch von Jansen zurückgreifen können.

Rechtsanwalt Klaus-Ulrich Ventzke, Hamburg

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Dirk Quasten, Die Judikatur des Bundesgerichtshofs zur Rechtsbeugung im NS-Staat und in der DDR, 2003, 295 Seiten, 78 Euro, Berlin: Duncker & Humblot, ISBN 3-428-10920-1

Karl Binding beklagte in seinem Lehrbuch im Zusammenhang mit dem Rechtsbeugungstatbestand eine "geradezu unerhörte Liederlichkeit" der Amtsführung mancher Richter. Demgegenüber kam Josef Esser in seinem Werk "Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts" zu dem Befund, dass "die elementaren Weisheiten des Richters und seine Kunst" sich "glücklicherweise der Druckerschwärze der Gesetzblätter" entzögen. Überraschend ist nicht die Gegensätzlichkeit dieser Verdikte, sondern der Umstand, dass Esser diesen Satz in der Nachkriegszeit schrieb, nachdem sich so mancher Richter wegen ebenjener Druckerschwärze an seinen Händen mit dem Vorwurf der Rechtsbeugung konfrontiert sah. Aber: Machen sich Richter strafbar, wenn sie menschenverachtende Gesetze vollstrecken, die ihnen ein Unrechtsregime in die Gesetzblätter diktiert hat? Soll man von ihnen verlangen, dass sie sich auf überpositives Recht berufen, um sich dem Normbefehl unrechten Rechts zu verweigern? Quasten, der in seiner Kölner Dissertation die Rechtsprechung des BGH in den Strafverfahren gegen Richter der beiden totalitären Regime analysiert, verneint dies.

Bevor sich der Verfasser aber mit dieser Frage auseinandersetzt, stellt er die höchstrichterliche Konstruktion dar, welche es dem BGH ermöglichte, "Lippenbekenntnisse" (S. 114) zugunsten des Naturrechts abzulegen, ohne dass dies in der Überzahl der Fälle zur Strafbarkeit der angeklagten Richter führte: Indem der BGH für den Rechtsbeugungstatbestand direkten Vorsatz forderte, war der Grundstein für die "Schaffung eines Standesprivilegs" gelegt (S. 36), welcher sich auf der Auffassung des BGH gründete, der Rechtsbeugungstatbestandes diene der Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit. Dies wird vom Verfasser zu Recht kritisiert, wählt der BGH doch (ergebnisorientiert) eine Prämisse, welche die wesentliche Funktion des Rechtsbeugungstatbestands ausklammert: Er begrenzt vor allem die richterliche Macht durch strafrechtliche Verantwortungszuweisung. Nicht zu teilen vermag man freilich die Kritik des Verfassers an der vom BGH postulierten "Sperrwirkung" der Rechtsbeugung auch gegenüber Vorsatztaten - diese ist systematisch zwingend und führt allein wegen der (unberechtigten) Verengung der Rechtsbeugung zu schwer nachvollziehbaren Ergebnissen. Unterstützung verdient der Verfasser wiederum in seiner Ablehnung der Rechtsprechung des BGH zu den "Scheinverfahren": Der BGH folgerte in derartigen Fällen zwar aus der Feststellung übermäßig vieler formeller und materieller Rechtsfehler, dass es sich nicht mehr um Rechtsanwendung, sondern um "Willkür" gehandelt habe (S. 70), erachtete die Urteile aber nicht als nichtig und konnte somit die Sperrwirkung auch derartiger Willkürurteile gegenüber dem Vorwurf des Totschlags aufrecht erhalten. Komplettiert wird das "Standesprivileg" durch die Rechtsprechung, nach welcher sich ein durch die NS-Ideologie verblendeterer Richter auf einen vorsatzausschließenden Irrtum berufen könne, was Quasten mit dem überzeugenden Einwand kontert, dass der Richter, welcher sich sehenden Auges sogar über positives Recht hinwegsetze, allein über die Erlaubtheit solcher "Rechtsfortbildung" irre.

Einen Großteil der Arbeit nimmt die rechtsphilosophische Kernfrage ein, ob die Rechtsbeugung lediglich die Verfehlung des positiven Rechts oder auch die "Sünde wider dem rechtlichen Geist" sanktioniere, wie Spendel im Leipziger Kommentar meint. Quasten verdeutlicht zunächst, wie sich Richter und Rechtsprechung in der Weimarer Republik auf überpositive Grundsätze beriefen, um sich von der "subjektiven Meinung des Gesetzgebers" lösen und ihre "antirepublikanischen" Vorstellungen durchsetzen zu können (S. 79). Sodann widerlegt er die These Radbruchs, der Positivismus habe die Richterschaft gegenüber dem NS-Staat wehrlos gemacht: Es

sei vielmehr der Austausch von Gesetzesauslegung durch die "Einlegung der NS-Weltanschauung" in die Gesetze gewesen, welcher das NS-Regime stabilisiert habe (S. 85 f.). Gegen eine Öffnung des Rechtsbeugungstatbestandes für überpositives Naturrecht spricht nach Ansicht Quastens, dass sich Richter mit gleichem Recht auf die Gültigkeit von "NS-Naturrecht" berufen könnten, wie ihnen die Nachkriegsjustiz menschengerechtes Richten abverlangt habe (S. 89). Spätestens an dieser Stelle wäre dem Anliegen des Verfassers gedient gewesen, wenn er einen Überblick über das Verständnis der verwendeten Termini "Naturrecht" und "NS-Naturrecht" gegeben hätte. Vor allem hätte er darlegen müssen, wann und weshalb auch bloße NS-Ideologie unter der Kategorie "Naturrecht" normative Verbindlichkeit hätte erlangen können. Dies hätte zu der Frage führen müssen, ob Naturrecht nur das sein kann, was sich "bei allen Kulturvölkern auf dem Boden übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der Zeit herausgebildet habe", oder ob sich das Naturrecht ebenso relativ zur jeweiligen Gesellschaftsverfasstheit verhält wie das positive Recht. Der BGH hat sich zur erstgenannten Formulierung bekannt, anhand welcher er die NS-Gesetze und ihre Anwendung prüfte. Der Verfasser, der die Säuberung der Gesetze von den im Sinne Radbruchs unrechten Gesetzen zusätzlich als Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot und das Rückwirkungsverbot brandmarkt, will der nationalsozialistischen Weltanschauung aber dann keinen Geltungsanspruch für die Bestimmung des "richtigen Rechts" zubilligen, wenn sie zwar mit Macht durchgesetzt wurde, nicht aber Ausdruck in formellen Gesetzen fand: Die Begründung, auch der NS-Staat habe seine "Daseinsberechtigung" durch Gesetze "manifestiert" (S. 120), verschließt freilich die Augen vor der Tatsache, dass sich das NS-Regime in entscheidenden Momenten - man denke an den "Röhm-Putsch" - nicht lange mit Gesetzen aufhielt, seine Existenz also mittels Gewalt und Zwang stabilisierte. Gesetze stellten dabei nicht mehr dar als schlichte Legalitätssignaturen der Macht.

Seine formalistische Spielart des Positivismus begründet der Verfasser näher im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des Richterunrechts in der DDR. Zuvor nutzt er einen langen Abschnitt über das anzuwendende Recht für die Darlegung, die Rechtsbeugung schütze individuelle Rechtsgüter. Er begründet dies mit dem unzutreffenden Vorwurf, die herrschende Auffassung unterscheide nicht zwischen Handlungsobjekt (dies ist - anders als der Verfasser insinuiert [S. 172]. - die Norm im konkreten Rechtsstreit) und Rechtsgut (also das Vertrauen der Allgemeinheit in eine funktionierende Rechtsordnung). Sodann bekräftigt er seine Auffassung, jede andere (menschenrechtsorientierte) Auslegung des DDR-Rechts verstoße gegen das Rückwirkungsverbot. Bemerkenswert ist aber, dass ausgerechnet der positivistisch denkende Verfasser die Alternative, ein rückwirkendes Gesetz einzuführen, durch eine naturrechtliche Wendung ablehnt: Der Positivismus - jedenfalls in der von Quasten vertretenen Variante - sei dem "Gerechtigkeitsprinzip verpflichtet" (S. 201), so dass das Rückwirkungswirkungsverbot und das Gesetzlichkeitsgebot "unabdingbar" seien (S. 207). Hier aber muss man dem Verfasser vorhalten, dass er nicht begründet, weshalb sich die Verpflichtung auf den Gerechtigkeitsgedanken in der Gewährleistung des nulla-poena-Grundsatzes erschöpfen soll und andere Gerechtigkeitsprinzipien ausgeklammert werden. In seinem letzten Teil verdeutlicht Quasten durch eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung zu den DDR-Fällen, dass der BGH sein offenes Gelöbnis, die Fehler der Nachkriegszeit nicht wiederholen zu wollen, nur bei der Einordnung ideologischer Verblendung als Verbotsirrtumeinlöst, zugleich aber mittels der Restriktion des Rechtsbeugungstatbestandes auf Fälle eines "elementaren Rechtsbruch im Sinne schwerer Menschenrechtsverstöße" selbst in eklatanten Fällen eine Rechtsbeugung verneinen konnte. Das Urteil des Verfassers lautet auch hier: "unangemessene Privilegierung der Richterschaft" (S. 252).

Die oft inkonsistente, teils ergebnisorientierte, teils gar an der politischen Couleur (S. 150) ausgerichtete Rechtsprechung offengelegt zu haben, ist ein Verdienst Quastens. Seine ideologiekritische, formal-positivistische Position führt freilich zu einem Ergebnis, welches er nur an einer verdeckten Stelle anspricht: Das Strafrecht ist kein Mittel zur Wiedergutmachung der Folgen von Systemunrecht (S. 234). Diese Auffassung kann sich auf gute rechtstheoretische Gründe stützen und ist rechtspolitisch durchaus modern. Doch bleibt die Frage, ob man eine Wendegesellschaft erfolgreich stabilisieren kann, ohne dem berechtigten Solidaritätsverlangen der Opfer, das sich zumeist in der Forderung nach strafrechtlicher Schuldzuweisung artikuliert, Genüge getan zu haben.

Wiss. Ass. Dr. Michael Kubiciel, Regensburg

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