HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

September 2004
5. Jahrgang
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Schrifttum

Eva Dedy, Ansätze einer Reform des Ermittlungsverfahrens, Duncker & Humblot, Berlin 2002, Schriften zum Prozessrecht, Bd. 169, 249 Seiten, ISBN 3-428-10751-9

Die Forderung nach einer Gesamtreformierung des Strafprozessrechts (S.73) zugrundelegend, möchte Eva Dedy mit Ihrer Arbeit "Ansätze einer Reform des Ermittlungsverfahrens" einen "Beitrag zur Diskussion um die Reform des Strafprozeßrechts leisten" (S. 76). Sich nicht einer Reform der Hauptverhandlung, sondern des Ermittlungsverfahrens zuzuwenden, führt Sie dabei auf den Bedeutungs- und Funktionswandel des Ermittlungsverfahrens zurück, wonach dieses nicht mehr nur ein vorbereitendes, stoffsammelndes Verfahren sei, dessen Feststellungen nicht in das Hauptverfahren hineinwirken (S. 76, 77). Vielmehr komme dem Ermittlungsverfahren heute eine das Ergebnis des gesamten Strafverfahrens prägende und bestimmende Wirkung zu, nach der "die entscheidenden Weichen für das Ergebnis der Hauptverhandlung bereits im Ermittlungsverfahren gestellt werden" (S. 77). Trotz der Feststellung von Dedy, dass Teilreformen einzelner Abschnitte der Strafprozessordnung nur eingebettet in den Kontext einer Gesamtreform des Strafprozessrechts sinnvoll seien (S. 75, 76), beschränkt Sie sich ausdrücklich "ohne Rücksicht auf den Rahmen eines Gesamtkonzepts" (S.75) auf die Darstellung der wichtigsten Reformanliegen und die Haupttendenzen der Reformbemühungen hinsichtlich des Ermittlungsverfahrens.

Bevor Dedy auf jenes "Grundkonzept eines reformierten Ermittlungsverfahrens" (S. 16) eingeht, widmet Sie den ersten Teil Ihrer Arbeit einer ausführlichen Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der Strafprozessordnung und ihrer Reformversuche. Dedy stellt schlussfolgernd im zweiten Teil heraus, dass viele der gesetzlichen Reformversuche auf jeweils ganz konkrete und aktuelle Bedürfnisse zurückgingen und diese daher oft verschiedene oder gar gegensätzliche Züge trugen (S. 65, 68). Wenn man den Ertrag jener "Novellengesetzgebung" (S. 65) nach Dedy auch nicht unterschätzen dürfe (S. 68), so bedingen solche Teilreformen den Nachteil einer Störung des aufeinander abgestimmten Systems der Strafprozessordnung (S. 69).

Auf das Abhängigkeitsverhältnis und den wichtigen Einfluss des materiellen Strafrechts auf das Strafprozessrecht weist Dedy, wenn auch in einer sehr knappen Weise, im dritten Teil Ihrer Arbeit hin, bevor Sie sich anschließend im vierten und größten Teil den Ihrer Ansicht nach wichtigsten Reformanliegen im Hinblick auf das Ermittlungsverfahren zuwendet. Dabei stellt Sie die in den bisherigen Reformvorschlägen wenig beachtete Erkenntnis voran, "dass es zwei verschiedene Arten von Beschuldigten gibt" (S.78), den leugnenden und den geständigen Angeklagten, welche das Ziel einer günstigen Verfahrensgestaltung auf verschiedenen Wegen, nämlich einmal durch Konfrontation und das andere Mal durch Kooperation, zu erreichen versuchen (S.79). Dedy leitet daraus ab, dass auch für das Ermittlungsverfahren zwei verschiedene Modelle, das kontradiktorische und das kooperative, bestehen sollten, wobei diese nicht als sich ausschließendes Gegensatzpaar, sondern als sich ergänzende Varianten zu begreifen seien (S. 79, 80).

Als erstes der "Hauptinhaltspunkte eines kontradiktorischen Ermittlungsverfahrens" (S. 80) stellt Dedy die Reform der Untersuchungshaft heraus, welche "als Entzug der persönlichen Freiheit die schärfste verfahrensrechtliche Zwangsmaßnahme"(S. 80) darstelle. Dedy

untersucht insofern bestehende Reformbedürfnisse, zum Beispiel hinsichtlich der Verbesserung der Haftentscheidungsgrundlagen, einer automatischen Haftprüfung, der Einrichtung einer besonderen, den Bereich der geringfügigen Kriminalität ausschließenden Zulässigkeitsschwelle für die Untersuchungshaft sowie auch in Bezug auf etwaige die Verfahrensdurchführung sichernden Alternativen zum Haftbefehl und die Haftgründe der Schwere der Tat und der Wiederholungsgefahr (S. 87-111).

Den zweiten Eckpfeiler des kontradiktorischen Ermittlungsverfahrens bilden nach Dedy die zukünftig zu erweiternden und zu stärkenden Teilhaberechte des Beschuldigten. Unter nochmaligem, kurzem Wiederaufgreifen der Erkenntnis vom Bedeutungswandel des Ermittlungsverfahrens mit seiner weichenstellenden prägenden Wirkung für den weiteren Verfahrensverlauf (S. 113, 114) müsse nach Dedy gelten, "daß in dem Maße, in dem die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens wächst, auch seine Ergebnisse die Gewähr einer kontradiktorischen Bestandsaufnahme bieten sollten" (S. 114).

Als mit großen Defiziten behaftete Teilhaberechte untersucht Dedy daher anschließend die Benachrichtigungsrechte des Beschuldigten sowie die verschiedenen Anwesenheitsrechte des Verteidigers und Beschuldigten, etwa bei der Vernehmung von Mitbeschuldigten, Zeugen und Sachverständigen durch Polizei und Staatsanwaltschaft, bei polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen, in Verfahren zur Identitätsfeststellung, bei Untersuchungen des Beschuldigten durch Sachverständige oder bei Gegenüberstellungen zur Identifizierung (S. 111-135). Die diesbezüglich von Dedy nachfolgend aufgestellten Forderungen nach einer Erweiterung und Stärkung der Benachrichtigungs-, Frage- und Beanstandungsrechte sowie der Protokollierungsbefugnisse münden im Falle einer Verletzung der erweiterten Anwesenheitsrechte in eine für das reformierte Strafverfahren vorgeschlagene sog. "Hauptverhandlungsverwertungsverbotsklausel" (S. 146 ff.), die eine "der Kernthesen der Reform der Anwesenheitsrechte im Ermittlungsverfahren" (S. 146) darstelle.

Anschließend widmet sich Dedy dem ebenfalls auszubauenden Recht auf Akteneinsicht als "zweiten Stützpfeiler wirksamer Teilhabe im Ermittlungsverfahren" (S. 148) und geht hier einer Konkretisierung der Klausel der "Gefährdung des Untersuchungszwecks" sowie - unter kurzgehaltener Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EGMR - dem Gesichtspunkt eines eigenen Akteneinsichtsrechts des Beschuldigten nach. Zuletzt macht Dedy Vorschläge für eine Ausdehnung der notwendigen Verteidigung im Ermittlungsverfahren und wendet sich dem Thema der Beweiserhebungen im Ermittlungsverfahren zu, wobei Sie bezüglich einer eigenen Ermittlungstätigkeit des Verteidigers der Frage nach einer insofern erforderlichen gesetzlichen Normierung nachgeht (S. 203 ff).

Im Anschluss an die Ausführungen zum kontradiktorischen Ermittlungsverfahren richtet Dedy ihr Augenmerk nun auf das kooperative Ermittlungsverfahren: Unter Aufgreifen der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH zur Zulässigkeit verfahrensbeendender Absprachen untersucht Dedy in ausführlicherer Weise Inhalt und zu beachtende Grenzen von Absprachen sowie die Folgen gescheiterter Absprachen, wobei zwischen fehlgeschlagenen Verständigungsanbahnungen und nicht eingehaltenen Absprachen zu differenzieren sei (S. 219 ff.).

Dedy stellt in ihrer Arbeit die ihrer Ansicht nach wichtigsten Themen einer zukünftigen Reformierung der Ermittlungsverfahrens in leicht verständlicher und nachvollziehbarer Weise dar. Wenn Sie sich auch ausdrücklich auf diese "Haupttendenzen der Reformbemühungen hinsichtlich des Ermittlungsverfahrens" (S.76) beschränkt, wäre es in Anbetracht dessen, dass - was die Autorin selbst feststellt - Teilreformen nur im Rahmen eines Gesamtkonzeptes sinnvoll sind, wünschenswert gewesen, wenn solchermaßen bestehende Bezüge und weiterführende Fragen zu den verschiedenen übergreifenden Gesamtzusammenhängen aufgeworfen und diskutiert worden wären. Auch innerhalb der von Dedy dargestellten Reformanliegen hinsichtlich des Ermittlungsverfahrens erscheint die Diskussion der sich dabei stellenden Probleme und etwaiger Auseinandersetzungen zwischen Schrifttum und Rechtsprechung teilweise etwas kurz. Neben einer verstärkten Auseinandersetzung mit für eine Diskussion zumindest offen stehenden Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention wäre auch ein rechtsvergleichender Blick auf die Erfahrungen anderer Staaten, die dem Ermittlungsverfahren - unter, wenn auch nicht unumstrittener und derzeit vermehrt diskutierten Lockerung des Unmittelbarkeitsprinzips der Hauptverhandlung - eine größere Bedeutung zumessen, interessant gewesen. Mit den verschiedenen, von Dedy dargestellten Reformanliegen des kontradiktorischen und kooperativen Ermittlungsverfahrens zeigt Dedy jedoch in klarer Weise auf, dass die Einflussmöglichkeiten des Beschuldigten zur Verteidigung im Ermittlungsverfahren in einer umfassenden und differenzierten Art und Weise auszubauen sind, um der das gesamte weitere Verfahren wesentlich prägenden, weichenstellenden Bedeutung des Ermittlungsverfahrens und einer bereits hier zu gewährleistenden wehrhaften Beschuldigtenstellung tatsächlich gerecht zu werden.

Oberassistentin Dr. Daniela Demko (LLM), Zürich