HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2003
4. Jahrgang
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II. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

BGH 2 StR 261/02 - Urteil vom 13. November 2002 (LG Mainz)

BGHSt; BGHR; Sicherungsverwahrung (Entbehrlichkeit einer Einzelstrafe von mindestens drei Jahren; Vorverurteilung; Katalogtaten; Vergewaltigung; Rückfall erheblicher Schwere).

§ 66 Abs. 3 Satz 1 StGB; § 177 Abs. 2 StGB

Die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB setzt nicht notwendig eine Vorverurteilung zu einer Einzelstrafe von mindestens drei Jahren voraus. Als Vorverurteilung im Sinne dieser Vorschrift genügt eine entsprechend hohe Gesamtfreiheitsstrafe jedenfalls dann, wenn dieser ausschließlich Katalogtaten zugrundeliegen. (BGHSt)


Entscheidung

BGH 2 StR 302/02 - Beschluss vom 15. November 2002 (LG Frankfurt am Main)

Verfassungswidrigkeit der Vermögensstrafe (Bestimmtheitsgrundsatz); Verschlechterungsverbot; kumulative Geldstrafe.

§ 43a StGB; § 41 StGB; § 358 Abs. 2 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG

1. Wegen der Verfassungswidrigkeit der Vermögensstrafe (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. März 2002 - 2 BvR 794/95) entbehren Verurteilungen zu einer Vermögensstrafe nunmehr der rechtlichen Grundlage.

2. Die Vermögensstrafe ist gegenüber einer Freiheitsstrafe die mildere Sanktion. Wegen des revisionsrechtlichen Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 StPO) kann daher im Falle der allein zugunsten des Angeklagten eingelegten Revision die vom Tatgericht ohne Berücksichtigung der Vermögensstrafe eigentlich für tat- und schuldangemessen erachtete Freiheitsstrafe nicht ohne weiteres an die Stelle der Vermögensstrafe treten. Vielmehr ist eine erneute tatrichterliche Strafzumessung erforderlich.

3. Bei der erneuten Strafzumessung ist namentlich die Möglichkeit einer Verurteilung zu einer kumulativen Geldstrafe gem. § 41 StGB zu prüfen, da sie ihrerseits gegenüber der Vermögensstrafe die mildere Sanktion darstellt, so dass das Verschlechterungsverbot nicht entgegensteht.


Entscheidung

BGH 4 StR 458/02 - Beschluss vom 3. Dezember 2002 (LG Münster)

Entziehung der Fahrerlaubnis (Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen; Vermutung bei Katalogtaten; Gesamtwürdigung; Betäubungsmitteltransport).

§ 69 StGB

1. Anders als bei der Begehung einer der in § 69 Abs. 2 StGB aufgeführten rechtswidrigen Taten begründet allein der Umstand, daß der Täter ein Kraftfahrzeug zur Begehung von Straftaten benutzt hat, nicht bereits eine Regelvermutung für seine charakterliche Unzuverlässigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen; die Rechtsprechung verlangt deshalb in diesen Fällen regelmäßig eine nähere Begründung der Entscheidung aufgrund einer umfassenden Gesamtwürdigung (st. Rspr.; zuletzt Senatsbeschluss vom 5. November 2002 - 4 StR 406/02).

2. Ein Erfahrungssatz, dass jeder Täter, der Betäubungsmittel in einem Kraftfahrzeug transportiert, deshalb zu besonders riskanter Fahrweise entschlossen ist, um sich im Zweifel auch um den Preis der Gefährdung anderer durch Flucht in einer Feststellung zu entziehen, besteht in dieser Allgemeinheit nicht (Senatsbeschluss vom 5. November 2002 - 4 StR 406/02).


Entscheidung

BGH 3 StR 401/02 - Urteil vom 19. Dezember 2002 (LG Osnabrück)

Vorsatz (Wollen; Wissen); Strafzumessung bei der Vergewaltigung (Strafrahmenverschiebung - Erörterungspflicht; Ehe; Strafschärfung bei zweifacher Erfüllung eines Regelbeispiels; keine Strafmilderung wegen Untersuchungshaft).

§ 15 StGB; § 177 Abs. 2 StGB; § 177 Abs. 5 StGB; § 46 StGB; § 112 StPO

1. Der ausdrücklichen Begründung, warum der Regelstrafrahmen und nicht der des Grundtatbestandes nach § 177 Abs. 1 StGB oder gar der des minder schweren Falles nach § 177 Abs. 5 StGB angewendet worden ist, bedarf es nur, wenn der Sachverhalt eine solche Prüfung nahelegt und eine Erörterung in den Urteilsgründen als Grundlage einer revisionsrechtlichen Nachprüfung geboten ist. Liegt die Heranziehung eines niedrigeren Strafrahmens in Anbetracht der gesamten Umstände fern, ist eine solche Erörterung aus sachlich-rechtlichen Gründen nicht geboten (BGH StV 1981, 541).

2. Der Freiheitsentzug durch Untersuchungshaft als solcher stellt bei Verhängung einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe wegen der vollen Anrechenbarkeit nach § 51 StGB grundsätzlich keinen strafmildernd zu berücksichtigenden Nachteil für den Angeklagten dar (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 18; BGH wistra 2001, 105). Anders mag dies sein, wenn im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten wie eine besondere Beeindruckung eines Täters durch den Freiheitsentzug, die dazu führte, dass gegen ihn eine Bewährungsstrafe verhängt werden konnte (BGH NStZ 1994, 242).


Entscheidung

BGH 4 StR 343/02 - Urteil vom 12. Dezember 2002 (LG Dortmund)

Sicherungsverwahrung (Hang; verschiedenartige Symptomtaten; eingewurzelte Neigung zu Sexualdelikten innerhalb von Beziehungen; Gefährdung der Allgemeinheit auch bei Beziehungstaten).

§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB

1. Handelt es sich bei den Straftaten, die die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung begründen (sog. Symptomtaten), um solche ganz verschiedener Art, die überdies unterschiedliche Rechtsgüter verletzen, ist ihr Indizwert für einen verbrecherischen Hang des Täters besonders sorgfältig zu prüfen und zu begründen (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 10).

2. Einer Gefährdung der Allgemeinheit im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB stünde nicht entgegen, dass von der naheliegenden Gefahr erheblicher Übergriffe in erster Linie Menschen im sozialen Nahbereich des Angeklagten betroffen wären.


Entscheidung

BGH 4 StR 435/02 - Beschluss vom 5. November 2002 (LG Paderborn)

Strafaussetzung zur Bewährung (besonderer Umstand der begonnenen Therapie; längere Heilbehandlung); exhibitionistische Handlung.

§ 56 Abs. 2 StGB; § 176 Abs. 3 Nr. 1 StGB

Die Vollstreckung einer wegen einer exhibitionistischen Handlung gemäß § 176 Abs. 3 Nr. 1 StGB verhängten Freiheitsstrafe kann trotz ungünstiger Zukunftsprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn zu erwarten ist, dass der Täter erst nach einer längeren Heilbehandlung keine weiteren einschlägigen Taten mehr begehen wird (§ 183 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 StGB; vgl. BGH StV 1996, 605 f.; BGHR StGB § 183 Abs. 3 Heilbehandlung, längere 2, 3, 4).


Entscheidung

BGH 1 StR 454/02 - Beschluss vom 11. Dezember 2002 (LG Traunstein)

Aussetzung der Strafe zur Bewährung (erforderliche Sozialprognose; besondere Umstände; missverständliche Formulierung).

§ 56 Abs. 2 StGB

Die gegebene positive Sozialprognose kann nach ständiger Rechtsprechung auch für die Beurteilung bedeutsam sein, ob Umstände von besonderem Gewicht i.S. von § 56 Abs. 2 StGB vorliegen (BGH NStZ 1997, 434 m.w.N.). Der Tatrichter darf die Frage daher nicht offen lassen.


Entscheidung

BGH 2 StR 391/02 - Beschluss vom 13. November 2002 (LG Kassel)

Anrechnung bereits geleisteter Bewährungsauflagen; nachträgliche Gesamtstrafe; Urteilsgründe.

§ 56 f StGB; § 267 StPO

Widerruft das Gericht im Rahmen einer erneuten Verurteilung die Bewährungsaussetzung einer Strafe aus einer früheren Verurteilung, so hat es gem. § 56 f Abs. 3 StGB darüber zu entscheiden, ob es im Rahmen der Bewährung bereits erbrachte Leistungen des Angeklagten anrechnet. Hierzu genügt es nicht, wenn im Urteil lediglich allgemein auf "§ 56 f StGB" Bezug genommen wird. Vielmehr ist die Anrechnung durch eine die Strafvollstreckung verkürzende Anrechnung auf die Gesamtfreiheitsstrafe zu bewirken.