HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2003
4. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht

1. Schwerpunkt Allgemeiner Teil des StGB


Entscheidung

BGH 2 StR 251/02 - Beschluss vom 20. Dezember 2002 (LG Aachen)

BGHSt; BGHR; strafbefreiender Rücktritt beim Versuch eines unechten Unterlassungsdelikt (Erfolgsverhinderung; sicherste oder optimale Möglichkeit der Erfolgsverhinde-rung; beendeter Versuch; ernsthaftes Bemühen; Einschal-tung Dritter; Zurechenbarkeit); Abgrenzung von Unter-lassen und aktivem Tun.

§ 24 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz StGB; § 13 StGB.

1. Ein gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz StGB straf-befreiender Rücktritt vom Versuch eines unechten Unter-lassungsdelikts setzt nicht voraus, dass der Täter, der die Vollendung der Tat erfolgreich verhindert und dies auch anstrebt, unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsver-hinderung die sicherste oder "optimale" gewählt hat. (BGHSt)

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht der Versuch des Unterlassungsdelikts insoweit dem be-endeten Versuch des Begehungsdelikts gleich (BGH NJW 2000, 1730); die Anforderungen an die Rücktritts-leistung des Alleintäters bestimmen sich daher nach § 24 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz oder nach § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB. (Bearbeiter)

3. Dass der Täter sich zur Abwendung des Erfolges der Hilfe Dritter bedient, steht einem strafbefreienden Rück-tritt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts-hofs jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die im Ergeb-nis erfolgreiche Einschaltung Dritter nicht nur zum Schein erfolgt und von der Absicht getragen ist, das be-drohte Rechtsgut zu retten. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 4 StR 281/02 - Beschluss vom 29. Oktober 2002 (LG Rostock)

BGHR; Rücktritt vom Versuch bei einem mehraktigen Unterlassungsdelikt (beendeter fehlgeschlagener Ver-such; Grund der Strafbefreiung beim Rücktritt); Miss-handlung von Schutzbefohlenen; schwere Körperverlet-zung.

§ 13 Abs. 1 StGB; § 24 Abs. 1 StGB; § 225 StGB; § 226 Abs. Nr. 3 StGB

1. Zum Rücktritt vom Versuch bei einem mehraktigen Unterlassungsdelikt. (BGHR)

2. Der Rücktritt des Unterlassenstäters ist nach den Grundsätzen des beendeten Versuchs beim Begehungs-delikt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StGB zu beurtei-len (vgl. NJW 2000, 1730, 1732). Gelingt es dem Täter, die Vollendung der Tat zu verhindern, kommt es nicht darauf an, wann er sich zur Rettung des Opfers ent-schloss, was er in der Zwischenzeit tat oder unterließ und welche Vorstellungen oder Beweggründe insbesondere dafür maßgeblich waren, dass er zunächst keine Ret-tungsmaßnahmen ergriff (BGH NStZ 1981, 388; BGHR § 24 Abs. 1. S. 1 Freiwilligkeit 14). (Bearbeiter)

3. Bei einem mehraktigen Geschehen ist der Rücktritt hinsichtlich des ersten Tatabschnitts nur dann ausge-schlossen, wenn dieser als ein bereits fehlgeschlagener Versuch zu erachten ist (vgl. BGHSt 34, 53, 55; 44, 91, 94). Von einem solchen, auch durch spätere Handlungen nicht mehr rücktrittsfähigen fehlgeschlagenen Versuch ist - bei aktivem Tun - nur dann auszugehen, wenn der Täter nach dem Misslingen des vorgestellten Tatablaufs zu der Annahme gelangt, er könne die Tat nicht mehr ohne zeitliche Zäsur mit den bereits eingesetzten oder anderen bereitliegenden Mitteln vollenden, so dass ein erneutes Ansetzen notwendig sei, um zum gewünschten Ziel zu gelangen (BGHSt 41, 368, 369 m.w.N.). (Bearbeiter)

4. Der Grund der Strafbefreiung wurzelt in der freiwilli-gen Änderung der Verhaltensrichtung, solange der Täter alle unerlaubten Risiken noch in der Hand hat (BGH NJW 2000, 1730, 1732 m.w.N.). Daher erstreckt sich ein Rücktritt auf sämtliche vorangegangene Tatabschnitte, soweit er auf die Abwendung der durch diese geschaffe-nen, ungehindert fortwirkenden Gefahren zielt. (Bearbeiter)

2. Schwerpunkt Besonderer Teil des StGB


Entscheidung

BGH 3 StR 161/02 - Urteil vom 5. Dezember 2002 (LG Düsseldorf)

BGHSt; Betrug (Irrtum bei Zweifeln des Opfers; Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit der Wahrheit; Viktimologie: Leichtfertigkeit und Mitverschulden des Opfers; Feststellung eines Irrtums bei arbeitsteilig tätigen Unternehmen, Körperschaften und Personenmehrheiten; Vermögensschaden im Sozialversicherungsrecht bei Honorarauszahlungen: Kompensationsverbot - konkrete Vermögensgefährdung; Prozessrisiko); Strafzumessung beim Betrug.

§ 263 StGB; § 46 StGB

1. Zur Tatbestandsmäßigkeit des Irrtums bei Zweifeln des Opfers. (BGHSt)

2. Zu den Anforderungen an die Feststellung eines Irrtums beim Betrug zum Nachteil von arbeitsteilig tätigen Unternehmen, Körperschaften und Personenmehrheiten. (BGHSt)

3. Der BGH hält an der bisherigen Rechtsprechung zur Tatbestandsmäßigkeit des Irrtums bei Zweifeln des Opfers fest. Ein tatbestandsmäßiger Irrtum i.S.d. § 263 StGB kann auch dann vorliegen, wenn das Opfer zwar erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der vom Täter gemachten Angaben hat, ihre Wahrheit aber immerhin noch für möglich hält (vgl. BGH wistra 1990, 305; 1992, 95, 97). Auf die Vermeidbarkeit des Irrtums durch mögliche sorgfältige Nachprüfungen kommt es jedenfalls dann nicht an, wenn die Täuschung dem Täter zur Geltendmachung eines gesetzlichen oder vertraglichen Anspruches dient und somit das Opfer in der Freiheit, die Erfüllung wegen Zweifeln zu verweigern, durch das mit der Weigerung verbundene Prozessrisiko beschränkt ist. (Bearbeiter)

4. Selbst leichtfertige Opfer werden durch das Strafrecht geschützt (st. Rspr., vgl. BGHSt 34, 199, 201; BGH wistra 1992, 95, 97). (Bearbeiter)

5. Bestand innerhalb einer als Betrugsopfer in Frage kommenden Körperschaft oder eines arbeitsteilig tätigen Unternehmens der Verdacht, dass Ansprüche gegen die Körperschaft oder das Unternehmen aufgrund unwahrer Angaben geltend gemacht werden, erfordert die Annahme einer irrtumsgetragenen Verfügung regelmäßig tatrichterliche Feststellungen darüber, wer im konkreten Fall auf welcher Grundlage mit welchen Vorstellungen die Entscheidung über die Erbringung der vom Täter begehrten Leistung getroffen hat. Entsprechende Untersuchungen können unterbleiben, wenn ohnehin ein Irrtum verneint und unter der Prämisse, dass der Angeklagte jedenfalls einen Irrtum der zuständigen Sachbearbeiter für möglich hielt, versuchter Betrug angenommen werden soll. (Bearbeiter)

6. Ein Vermögensschaden liegt nach der für den Bereich des Sozialversicherungsrechts geltenden streng formalen Betrachtungsweise (vgl. BGH NStZ 1995, 85 f.) schon dann vor, wenn eine Honorarauszahlung an einen nicht zur Teilnahme am kassenärztlichen Honorarsystem Berechtigten erfolgt. Eine Einschränkung dieser Rechtsprechung scheidet jedenfalls für Fälle aus, in denen der tatsächliche Honorarempfänger aufgrund persönlicher Mängel (konkret: Vorstrafen) eine kassenärztliche Zulassung überhaupt nicht hätte erhalten können. Eine Schadenskompensation durch den Umstand, dass den Kassen Aufwendungen in gleicher Höhe bei anderweitiger Behandlung der Patienten erspart geblieben sind, kommt nicht in Betracht. (Bearbeiter)

7. Die tatsächliche objektive Erbringung der abgerechneten Leistungen sowie ihre fachgerechte Ausführung kann erheblich strafmildernd berücksichtigt werden. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 5 StR 276/02 - Urteil vom 9. Dezember 2002 (LG Dresden)

BGHR; Verletzung von Dienstgeheimnissen (Fall Heitmann / Giesen; Geheimnis - normative Geheimhaltungsbedürftigkeit bei rechtswidrigem Verhalten - Verschwiegenheitspflicht; offenkundige Tatsachen; allgemein zugängliche Daten); (mittelbare) Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen (Hinwirken auf ein gesetzmäßiges Verhalten durch einen Datenschutzbeauftragten); externes Weisungsrecht des Justizministers.

§ 353b Abs. 1 Satz 1 StGB; § 23 Abs. 5 SächsDSG; § 4 Abs. 1 SächsDSG; § 146 GVG

1. Strafbarkeit nach § 353b Abs. 1 Satz 1 StGB liegt mangels Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen nicht vor, wenn ein Datenschutzbeauftragter mit der Veröffentlichung datenschutzrechtlicher Verstöße auch auf ein gesetzmäßiges Verhalten hinwirkt. (BGHR)

2. Geheimnisse im Sinne dieser Vorschrift sind Tatsachen, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt und zudem geheimhaltungsbedürftig sind. Darunter fallen auch personenbezogene Umstände, die vertraulich zu behandeln sind. Sie müssen dem betreffenden Amtsträger im inneren Zusammenhang mit seiner Diensttätigkeit bekannt geworden sein (vgl. BGHSt 46, 339, 340 f.; BGH NStZ 2000, 596, 598). In diesem Sinne kann auch rechtswidriges Handeln Dritter im Einzelfall eine geheimhaltungsbedürftige Tatsache darstellen (vgl. BGHSt 20, 342, 354 ff.). (Bearbeiter)

3. Ein Amtsträger, der wie der Angeklagte zur Kontrolle der Gesetzestreue eines anderen Amtsträgers berufen ist, kann wichtige öffentliche Interessen nicht durch die Offenbarung eines Gesetzesverstoßes gefährden, wenn er die Öffentlichkeit auch als Verbündeten gewinnen will, um auf ein gesetzmäßiges Verhalten hinzuwirken. (Bearbeiter)

4. Zu einer infolge seiner parteipolitischen Motivation rechtswidrigen Handeln Ausübung des externen Weisungsrechts nach § 146 GVG durch einen Justizminister (Fall Heitmann, Bearbeiter).


Entscheidung

BGH 4 StR 103/02 - Urteil vom 4. Dezember 2002 (LG Cottbus)

Rechtliche Verhinderung eines Richters am Unterschreiben des Urteils; gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr; gefährlicher Eingriff in den Schienenverkehr; bedingter Vorsatz; objektiv hoch gefährliches Handeln; Gefahr (abstrakte, konkrete); Kausalität; Beinahe-Unfall.

§ 315 b Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB; § 275 Abs. 2 StPO; § 15 StGB; § 16 StGB

1. Greift der Täter in den fließenden Verkehr ein, indem er Hindernisse auf der Fahrbahn bereitet oder Gegenstände auf fahrende Fahrzeuge wirft, kann § 315 b Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 StGB auch dann erfüllt sein, wenn die Tathandlung unmittelbar zu einem bedeutenden Fremdsachschaden führt und dieser Erfolg sich als Steigerung der durch die Tathandlung bewirkten abstrakten Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs darstellt. (BGHSt)

2. Der Senat hält an der bisherigen Rechtsprechung fest, wonach §§ 315, 315 b StGB einen doppelten Erfolg in dem Sinne voraussetzen, dass der Täter durch seine tatbestandliche Handlung zunächst eine abstrakte Gefahrenlage geschaffen haben muss, die sich daraufhin zu einer konkreten Gefahr für die geschützten Rechtsgüter ("Beinahe-Unfall") verdichtet hat (zweistufige Kausalität). Indessen bedarf es keiner zeitlichen Zäsur zwischen abstrakter und konkreter Gefahr, so dass auch ein unmittelbares Umschlagen der abstrakten in die konkrete Gefahr innerhalb von "Minutenbruchteilen" tatbestandsmäßig sein kann. Es genügt, wenn beide Gefahren gedanklich noch voneinander zu trennen sind. (Bearbeiter)

3. Der Schutzzweck des § 315 b StGB ist insoweit restriktiv auszulegen, als unter einer konkreten Gefahr im Sinne der Norm nur verkehrsspezifische Gefahren verstanden werden dürfen, also solche, die auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen sind. Dies kann durch Ausnutzung der Eigendynamik des vom Täter selbst benutzten Fahrzeugs, durch die Dynamik eines von einem anderen Verkehrsteilnehmer genutzten Fahrzeugs oder durch das Zusammenwirken beider Kräfte erfolgen. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 4 StR 297/02 - Urteil vom 12. Dezember 2002 (LG Rostock)

BGHR; Verdeckungsmord (Unterlassen nach Tötungsversuch; andere Tat - Zäsur; bedingter Vorsatz; Garantenstellung; Ingerenz; Rücktritt); Totschlag; Anstiftung (beliebige Anstiftungsmittel; Tatherrschaft).

§ 211 Abs. 2 StGB; § 212 StGB; § 13 Abs. 1 StGB; § 15 StGB; § 24 StGB; § 26 StGB

1. Hat der Täter das Tatopfer mit (bedingtem) Tötungsvorsatz misshandelt und unterlässt er es anschließend, zur Verdeckung dieses Geschehens Maßnahmen zur Rettung des (zunächst) überlebenden Opfers einzuleiten, so ist eine Strafbarkeit wegen Verdeckungsmordes durch Unterlassen auch dann nicht gegeben, wenn zwischen dem Handlungs- und Unterlassensteil eine zeitliche Zäsur liegt. (BGHR)

2. Der Tatbestand des Verdeckungsmordes kann auch durch ein Unterlassen verwirklicht werden (vgl. BGH NJW 2000, 1730, 1732). Das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht setzt jedoch gemäß § 211 Abs. 2 StGB voraus, dass der Täter die Tötungshandlung vornimmt oder - im Falle des Unterlassens - die ihm zur Abwendung des Todeseintritts gebotene Handlung unterlässt, um dadurch eine andere Straftat zu verdecken. Dabei steht der Annahme eines Verdeckungsmordes nicht bereits entgegen, dass sich schon die zu verdeckende Vortat gegen die körperliche Unversehrtheit des Opfers richtet und im unmittelbaren Anschluss in die Tötung zur Verdeckung des vorausgegangenen Geschehens übergeht (BGHSt 35, 116; NStZ 2000, 498; 2002, 253). Handelt der Täter jedoch von Anfang an mit - sei es auch nur bedingtem - Tötungsvorsatz, so liegt auch dann keine zu verdeckende Vortat im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB vor, wenn er im Zuge der Tatausführung die Tötung zusätzlich auch deshalb herbeiführen will, um seine vorherigen Tathandlungen zu verdecken. Allein das Hinzutreten der Verdeckungsabsicht als (weiteres) Tötungsmotiv macht die davor begangenen Einzelakte nicht zu einer "anderen" Tat (st. Rspr., vgl. BGH NStZ 2000, 498, 499; 2002, 253). (Bearbeiter)

3. Die Rechtslage ist nach der Rechtsprechung anders zu beurteilen, wenn zwischen einer (zunächst erfolglosen) Tötungshandlung und der erneuten mit Verdeckungsabsicht vorgenommenen zweiten Tötungshandlung eine deutliche zeitliche Zäsur liegt. Fasst der Täter dann den Entschluss, das (zumindest aus seiner Sicht zunächst überlebende) Opfer nunmehr auch deshalb zu töten, um die Aufdeckung des versuchten Tötungsdelikts zu verhindern, wird das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht als erfüllt angesehen, da sich die Tötungshandlung auf eine zunächst abgeschlossene, mithin "andere" Tat bezieht (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Verdeckung 11; BGH NStZ 2002, 253). Gegenstand dieser Rechtsprechung waren jedoch ausschließlich Fälle, in denen das nachfolgende Tötungsgeschehen durch positives Tun verwirklicht worden war. (Bearbeiter)

4. Welcher Mittel sich der Anstiftende bedient, ist gleichgültig; taugliches Anstiftungsmittel kann auch eine Drohung sein. Dass der Angeklagte die Tatherrschaft gehabt hat, ändert daran nichts. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 4 StR 260/02 - Beschluss vom 28. November 2002 (LG Bochum)

Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels (Begriff des Glücksspiels - Sportwetten "Oddset"; Maßstab des Durchschnittsspielers; Zufallselement bei der Fußballwette; Sachverständige; Veranstalter; Veranstalten).

§ 284 Abs. 1 1. Alt. StGB; § 1 Abs. 1 Satz 1 des Sportwettengesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen; § 72 StPO

1. Das Wesen des Glücksspiels im Sinne des § 284 StGB besteht nach allgemeiner Auffassung darin, dass die Entscheidung über Gewinn und Verlust nach den Vertragsbedingungen nicht wesentlich von den Fähigkeiten, den Kenntnissen und der Aufmerksamkeit der Spieler abhängt, sondern allein oder hauptsächlich vom Zufall (BGHSt 2, 274, 276; 29, 152, 157; 36, 74, 80).

2. Maßgebend für die Beurteilung sind dabei die Spielverhältnisse, unter denen das Spiel eröffnet ist und gewöhnlich betrieben wird, also die Fähigkeiten und Erfahrungen des Durchschnittsspielers (BGHSt 2, 276). Den Maßstab hierfür bildet das Publikum, für das das Spiel eröffnet ist, nicht der geübtere oder besonders geübte Teilnehmer. Ist ein Spiel danach ein Glücksspiel, so behält es diese Eigenschaft auch für den besonders geübten oder versierten Spieler, der den Spielausgang besser abschätzen kann als ein weniger geübter oder versierter (BGH aaO).

3. Ein Glücksspiel liegt auch dann vor, wenn der Spielerfolg nicht allein vom Zufall abhängt, dem Zufallselement aber ein Übergewicht zukommt. Das Überwiegen des Zufalls wird jedoch nicht bereits dadurch in Frage gestellt, dass über den Ausgang anhand bestimmter Kriterien eine begründete Vorhersage getroffen werden kann, sofern der Ausgang von weiteren wesentlichen Unsicherheitsfaktoren bestimmt wird, die für den Spieler weder beeinflussbar noch vorausberechenbar sind (vgl. auch BGHSt 2, 139, 140/141).

4. Gerade der eher "unbedarfte" Spieler bedarf des Schutzes vor den Gefahren des Glücksspiels.

5. Bei der Frage, ob und in welchem Maße auch der kenntnisreiche "Durchschnittsspieler" die Entscheidung über Gewinn und Verlust beeinflussen kann, mit der Folge, dass bei einem entsprechenden Zurücktreten des Zufallsmoments ein Geschicklichkeitsspiel und kein Glücksspiel anzunehmen wäre, handelt es sich um eine Frage tatsächlicher Art, die einer tatrichterlichen einzelfallorientierten Abgrenzung - gegebenenfalls mit Hilfe eines Sachverständigen - unter Berücksichtigung der einzelnen in Betracht kommenden Spielvorgänge bedarf.

6. Veranstalter im Sinne des § 284 Abs. 1 1. Alt. StGB ist, wer verantwortlich und organisatorisch den äußeren Rahmen für die Abhaltung des Glücksspiels schafft und der Bevölkerung dadurch den Abschluss von Spielverträgen ermöglicht. Diese Voraussetzungen kann der Angeklagte dadurch erfüllt haben, dass er zur Durchführung des Spielbetriebes unter einer eigenen Firmenbezeichnung Räumlichkeiten anmietete, Angestellte beschäftigte, die erforderliche Ausstattung bereitstellte, Wettprogramme auslegte, Einzahlungen der Spieler entgegennahm und Gewinne auszahlte.

7. Der Begriff des "Veranstaltens" setzt nicht notwendig voraus, dass der Täter mit eigenen finanziellen Interessen am Ergebnis des Spielbetriebes tätig wird.


Entscheidung

BGH 4 StR 411/02 - Urteil vom 4. Dezember 2002 (LG Neubrandenburg)

Begünstigung (Abhängigkeitsverhältnis zur Vortat); Bedrohung; Förderung der Prostitution (milderes Gesetz; ProstG); Beweiswürdigung (Inbegriff der Hauptverhandlung).

§ 257 StGB; § 241 StGB; § 180a Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F.; § 2 Abs. 3 StGB

Die Begünstigung gemäß § 257 StGB steht in einem solchen inneren Abhängigkeitsverhältnis zur Vortat (vgl. BGHSt 14, 156, 158 zu § 257 StGB aF; BGH wistra 1999, 103, 104), dass der eigenständige Schutzzweck des § 257 StGB, der Sicherung von Vorteilen aus rechtswidrigen Taten, die gemäß § 11 Nr. 5 StGB den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen, entgegenzuwirken, seinen spezifischen Unrechtsgehalt verliert, wenn der Bezugstatbestand wegfällt (vgl. BGHSt aaO).


Entscheidung

BGH 3 StR 296/02 - Urteil vom 21. November 2002 (LG Wuppertal)

Keine Beschränkung der Revision bei natürlicher Handlungseinheit; Vorsatz (Schluss aus äußeren Umständen; Anforderungen an die Überzeugungsbildung; Beweiswürdigung); tätige Reue (besonders schwere Brandstiftung; Löschen durch Zuhilfenahme Dritter); Entwidmung eines zur Wohnung von Menschen dienenden Gebäudes.

§ 15 StGB; § 16 StGB; § 318 StPO; § 344 Abs. 1 StPO; § 261 StPO; § 306 StGB; § 306 e Abs. 2 StGB

1. Ein Rechtsmittel kann nicht wirksam auf einzelne von mehreren Taten beschränkt werden, die wegen natürlicher Handlungseinheit zur Tateinheit verbundenen sind. Dies gilt auch dann, wenn das angegriffene Urteil zwischen den tateinheitlich verbundenen Taten rechtsirrtümlich Tatmehrheit angenommen hat.

2. Ob ein Täter die von ihm für möglich gehaltenen Folgen seines Handelns gebilligt hat, kann - sofern er dies bestreitet - vor allem durch Rückschlüsse aus dem äußeren Tatgeschehen festgestellt werden.

3. Es steht der tätigen Reue im Sinne des § 306 e Abs. 2 StGB nicht entgegen, dass das Löschen des Feuers von vornherein dem Tatplan des Angeklagten entsprach. Denn für die Freiwilligkeit gelten die zum Rücktritt vom Versuch entwickelten Grundsätze, nach denen es allein darauf ankommt, ob der Rücktritt einer autonomen Entscheidung des Täters entspringt oder durch von seinem Willen unabhängige zwingende Hinderungsgründe veranlasst wird. Der Beweggrund zum Rücktritt muss jedoch nicht sittlich billigenswert sein. Daher sind auch eine "Reue über das angerichtete Unrecht" oder eine "Rückkehr zur Legalität" nicht erforderlich.

4. Ein eigenhändiges Löschen ist gemäß § 306 e Abs. 2 StGB nicht erforderlich; es kann durch die Hilfe Dritter verwirklicht werden.


Entscheidung

BGH 4 StR 462/02 - Beschluss vom 10. Dezember 2002 (LG Bochum)

Schwere Brandstiftung (Inbrandsetzen; Wohngebäude; Kellerraum); tätige Reue (kein eigenhändiges Handeln).

§ 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 306e StGB

1. Ein Kellerraum in einem Wohngebäude kann Tatobjekt des § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Alternative des Inbrandsetzens sein, wenn das Feuer wesentliche Gebäudeteile erfasst hat oder es sich - zum Beispiel von der Holzverlattung einer Tür oder Trennwand aus - auf Gebäudeteile ausbreiten kann, die für den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Gebäudes, also das Wohnen, wesentlich sind. Holzwände, die einzelne Kellerabteile abtrennen, stellen keine wesentlichen Teile eines Wohngebäudes dar (vgl. BGH NJW 1999, 299). Ihr Inbrandsetzen erfüllt daher den äußeren Tatbestand des § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB nur, wenn das Feuer auf wesentliche Gebäudeteile, die zu Wohnzwecken dienen, übergreifen konnte.

2. Die Vorschrift der tätigen Reue gemäß § 306 e StGB fordert kein eigenhändiges Löschen. Vielmehr darf sich ein Angeklagter der Hilfe Dritter wie zum Beispiel der Feuerwehr bedienen (BGH StV 1997, 518).


Entscheidung

BGH 1 StR 366/02 - Beschluss vom 19. Dezember 2002 (LG Nürnberg-Fürth)

Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen (Anwendung bei privaten Veranstaltern; Anlehnung an die Bestimmungen der VOB/A; Verstöße eines Angebots gegen die VOB/A: Verspätung; natürliche Handlungseinheit; abstraktes Gefährdungsdelikt).

§ 298 Abs. 1 StGB; § 52 StGB; § 25 Nr. 1 VOB/A

1. § 298 Abs. 1 StGB erfasst nicht nur Vergabeverfahren der öffentlichen Hand, sondern jedenfalls dann auch Ausschreibungen durch private Veranstalter, wenn das Vergabeverfahren in Anlehnung an die Bestimmungen der VOB/A ausgestaltet ist.

2. Auch die Abgabe eines verspäteten Angebotes reicht zur Vollendung des Tatbestands von § 298 Abs. 1 StGB aus. Ein Angebot wird nicht dadurch unbeachtlich, dass es gemäß § 25 Nr. 1 VOB/A der Ausschließung unterliegt.

3. § 298 Abs. 1 StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt.


Entscheidung

BGH 3 StR 299/02 - Urteil vom 21. November 2002 (LG Berlin)

Betätigung für eine verbotene Organisation; Vereinsverbot; PKK; Auslegung einer Äußerung im Licht der Meinungsfreiheit; richterliche Aufklärungspflicht.

§ 244 Abs. 2 StPO; § 18 Satz 2 Vereinsgesetz; § 20 Abs. 1 Nr. 4 Vereinsgesetz; Art. 5 Abs. 2 GG

Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG Danach ist Voraussetzung für jede rechtliche Würdigung einer Äußerung die zutreffende Erfassung ihres Sinns. Ziel der zur Erfassung notwendigen Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Maßgeblich ist daher weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Empfänger erkennbar waren. Wenn ein Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrundelegt, ohne vorher andere mögliche Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben, verstößt es gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit (vgl. BVerfGE 82, 43, 52 = NJW 1990, 1980 = NStZ 1990, 383).


Entscheidung

BGH 4 StR 432/02 - Beschluss vom 3. Dezember 2002 (LG Bielefeld)

Letztes Wort des Angeklagten (Wiedereintritt in die Beweisaufnahme; Beruhen; Entbehrlichkeit); Freiheitsberaubung (Sich Bemächtigen; unerhebliche Beeinträchtigung der Fortbewegungsfreiheit bei körperlicher Auseinandersetzung).

§ 239 StGB; § 258 Abs. 2 und 3 StPO; § 337 StPO

Der Tatbestand der Freiheitsberaubung setzt keine bestimmte Dauer der Entziehung der persönlichen Bewegungsfreiheit voraus; es reicht vielmehr grundsätzlich auch eine nur vorübergehende Einschränkung aus (vgl. BGHSt 14, 314, 315). Andererseits stellt nicht jedes auch nur kurzzeitige Festhalten des Gegners im Verlauf einer körperlichen Auseinandersetzung, das zu einer zeitlich nur unerheblichen Beeinträchtigung der Fortbewegungsfreiheit führt, eine Freiheitsberaubung im Sinne des § 239 StGB dar.


Entscheidung

BGH 2 StR 332/02 - Beschluss vom 4. Dezember 2002 (LG Koblenz)

Betrug (Stoffgleichheit; Schaden; Vermögensverfügung; Vermögensvorteil; Anlagebetrug: Schneeballsystem; Betrugsvorsatz: Hoffnung, das Risiko werde ausbleiben).

§ 263 StGB; § 15 StGB

1. Der Tatbestand des Betruges setzt voraus, dass der vom Täter erstrebte Vermögensvorteil und der verursachte Vermögensschaden einander entsprechen (BGHSt 6, 115, 116). Der Vorteil muss die Kehrseite des Schadens, d. h. unmittelbare Folge der täuschungsbedingten Vermögensverfügung sein und dem Täter direkt aus dem geschädigten Vermögen zufließen ("Stoffgleichheit").

2. Der Betrugsvorsatz wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Täter hoffte, es werde letzten Endes alles gutgehen und das Risiko werde sich nicht realisieren (vgl. BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vorsatz 1 und 2). Die Feststellung, dass der Angeklagte die Anleger über das Verlustrisiko getäuscht hat, ist an sich geeignet, die Annahme eines Schädigungsvorsatzes im Sinne eines Gefährdungsvorsatzes zu tragen. Wer einem anderen eine sichere Kapitalanlage vorspiegelt, obwohl er tatsächlich mit der Möglichkeit eines Totalverlustes rechnet, kann eine täuschungsbedingte Gefährdung des eingesetzten Geldes des Getäuschten billigen.


Entscheidung

BGH 4 StR 451/02 - Beschluss vom 10. Dezember 2002 (LG Halle)

Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen (Verfahrenshindernis der Strafverfolgungsverjährung; Obhutsverhältnis; zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut)

§ 174 StGB; § 78 Abs. 1 Satz 1 StGB

Zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist eine Person nur, wenn ein Verhältnis bestand, kraft dessen dem Angeklagten das Recht und die Pflicht oblag, die Lebensführung der Jugendlichen und damit deren geistig-sittliche Entwicklung zu überwachen und zu leiten (vgl. BGHSt 41, 137, 138 ff.; BGHR StGB § 174 Abs. 1 Obhutsverhältnis 1). Es muss ein dem Schutzzweck des § 174 entsprechendes Abhängigkeitsverhältnis dargetan sein.


Entscheidung

BGH 2 StR 419/02 - Beschluss vom 27. November 2002 (LG Frankfurt am Main)

Hehlerei; Absatzvorgang; Tateinheit; Tatmehrheit; Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; Verkündungsversehen (Berichtigung von offensichtlichen Zählfehlern durch den Tatrichter).

§ 259 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB; 64 StGB; § 260 Abs. 1 StPO; § 268 StPO

1. Wirkt der Hehler durch dieselben Handlungen am Absatz von Beute mit, die aus mehreren Vortaten stammt, so begeht der Hehler dennoch nur um eine Tat.

2. Der Tenor eines Urteils, das die Anzahl der abgeurteilten Taten falsch angibt, darf auch vom Tatrichter selbst berichtigt werden, wenn der Fehler für alle Verfahrensbeteiligten offensichtlich ist und seine Behebung darum auch nicht den entfernten Verdacht einer inhaltlichen Änderung des Urteils begründen kann.