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HRR-Strafrecht
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juli 2002
3. Jahrgang
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1. Bei der Prüfung, ob die Aufklärungspflicht die Ladung eines benannten Zeugen im Ausland gebietet, sind neben dem Gewicht der Strafsache die Bedeutung und der Beweiswert des weiteren Beweismittels vor dem Hintergrund des Ergebnisses der bisherigen Beweisaufnahme einerseits und der zeitliche und organisatorische Aufwand der Ladung und Vernehmung mit den damit verbundenen Nachteilen durch die Verzögerung des Verfahrens andererseits unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit abzuwägen. (BGHR)
2. Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann die Vernehmung eines Auslandszeugen abgelehnt werden, wenn sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Maßgebendes Kriterium dabei ist, ob die Erhebung des Beweises ein Gebot der Aufklärungspflicht ist (BGHSt 40, 60, 62). Die Möglichkeit, nach dieser Vorschrift einen Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen abzulehnen, erfasst nicht nur Fälle der voraussichtlichen Unergiebigkeit der Zeugenaussage oder der Unerreichbarkeit des Zeugen, sondern grundsätzlich auch solche Fallgestaltungen, in denen der Aufenthalt eines Zeugen zwar bekannt, aber damit zu rechnen ist, dass er entweder einer Ladung nicht folgen oder im Falle seines Erscheinens keine Angaben zur Sache machen werde. Dies gilt insbesondere für Zeugen, die der Beteiligung an der Tat verdächtig sind und denen deswegen ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zusteht. (Bearbeiter)
Ist eine rechtswidrige Tat zur Zeit der Urteilsverkündung und des Revisionsverfahrens eine Katalogtat nach § 395 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StPO, so ist dies für die Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand des Nebenklägers in der Revisionsinstanz maßgebend, auch wenn die Tat zum Zeitpunkt ihrer Begehung noch nicht nach einer der im Katalog aufgeführten Vorschriften strafbar war. § 2 Abs. 3 StGB gilt für diese Bewertung nicht.
Die in § 341 Abs. 1 StPO für die Einlegung der Revision gebotene Schriftform verlangt nicht unbedingt eine Unterschrift. Es genügt vielmehr zur Wahrung der Schriftform, dass aus dem Schriftstück in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise ersichtlich ist, von wem die Erklärung herrührt und dass es sich nicht lediglich um einen Entwurf handelt, sondern dass das Schriftstück mit Wissen und Wollen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist. Die Urheberschaft kann sich etwa aus dem Briefkopf und dem computergeschriebenen Diktatzeichen eines Rechtsanwalts ergeben.
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Sachlich-rechtliche Fehler können indessen vorliegen, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist. Insbesondere muss die Beweiswürdigung erschöpfend sein: Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinander zusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente ohne Erörterung hinweggeht, ist fehlerhaft. Schließlich dürfen die Anforderungen an eine Verurteilung nicht überspannt werden. Dabei ist zu beachten, dass eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und von niemandem anzweifelbare Gewissheit nicht erforderlich ist, vielmehr ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit genügt, das vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht zulässt. Der Zweifelssatz darf schließlich erst nach einer solchen erschöpfenden Würdigung des gesamten Beweisergebnisses zur Anwendung kommen. Das Ergebnis eines Glaubwürdigkeitsgutachtens kann den Richter bei der gebotenen umfassenden Bewertung der Indiztatsachen lediglich unterstützen (vgl. BGH NStZ 1999, 153; BGHR StPO § 261 Einlassung 5; Beweiswürdigung 16).
2. Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof für unterschiedliche Fallgestaltungen, bei denen im Kern "Aussage gegen Aussage" steht, besondere Anforderungen an die Tragfähigkeit einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. So hat er etwa in Fällen, in denen die Aussage des einzigen Belastungszeugen in einem wesentlichen Detail als bewusst falsch anzusehen war, auf dessen Angaben jedoch die Verurteilung gestützt werden soll, verlangt, dass Indizien für deren Richtigkeit vorliegen müssen, die außerhalb der Aussage selbst liegen (vgl. BGHSt 44, 256, 257). Steht "Aussage gegen Aussage" und hängt die Entscheidung im Wesentlichen davon ab, welchen Angaben das Tatgericht folgt, sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären. Das gilt vor allem dann, wenn ein Zusammenhang mit familiären Auseinandersetzungen nicht von vornherein auszuschließen ist (BGH NStZ 1999, 45; NStZ 2000, 496). Die Aussage eines "Zeugen vom Hörensagen" vermag für sich genommen ohne zusätzliche Indizien einen Schuldspruch nicht zu tragen (BGHSt 44, 153, 158).
3. Die Verurteilung des Angeklagten kann allein auf die Angaben des vermeintlichen Opfers gestützt werden, die dieses gegenüber Dritten gemacht und in ihren handschriftlichen Abschiedszeilen angesprochen hat. Allerdings sind hier strenge Anforderungen an die Tragfähigkeit einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung zu stellen.
Völlig ungeeignet im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ist ein Zeuge als Beweismittel nur dann, wenn das Gericht ohne Rücksicht auf das bisher gewonnene Beweisergebnis feststellen kann, dass sich mit ihm das in dem Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nach sicherer Lebenserfahrung nicht erzielen lässt. Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die absolute Untauglichkeit muss sich aus dem Beweismittel im Zusammenhang mit der Beweisbehauptung selbst ergeben. Ein geminderter, geringer oder zweifelhafter Beweiswert darf nicht mit völliger Ungeeignetheit gleichgesetzt werden.
Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO ist das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt. Verändert sich im Laufe eines Verfahrens das Bild eines Geschehens, auf das die Anklage hinweist, so ist entscheidend, ob die "Nämlichkeit der Tat" trotz dieser Abweichung noch gewahrt ist. Dies ist der Fall, wenn - ungeachtet gewisser Differenzen - bestimmte Merkmale die Tat weiterhin als einmaliges, unverwechselbares Geschehen kennzeichnen (vgl. BGH NJW 1999, 802, insoweit in BGHSt 44, 256 nicht abgedruckt; BGH NStZ-RR 1998, 304).
Auch anlässlich einer aus anderen Gründen zulässigen Revision des Nebenklägers unterliegt die Strafzumessung des Tatrichters, die gem. § 400 Abs. 1 Alt 1 StPO nicht Gegenstand einer zulässigen Revision sein kann, nicht der Überprüfung durch das Revisionsgericht.