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Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 547/01, Beschluss v. 09.04.2002, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 547/01 - Beschluss vom 9. April 2002 (LG Paderborn)

Ablehnung eines Beweisantrags; Aufklärungspflicht; völlig ungeeignetes Beweismittel; Beruhen; Verbot der Beweisantizipation.

§ 244 StPO; § 338 Nr. 8 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Völlig ungeeignet im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ist ein Zeuge als Beweismittel nur dann, wenn das Gericht ohne Rücksicht auf das bisher gewonnene Beweisergebnis feststellen kann, dass sich mit ihm das in dem Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nach sicherer Lebenserfahrung nicht erzielen lässt. Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die absolute Untauglichkeit muss sich aus dem Beweismittel im Zusammenhang mit der Beweisbehauptung selbst ergeben. Ein geminderter, geringer oder zweifelhafter Beweiswert darf nicht mit völliger Ungeeignetheit gleichgesetzt werden.

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 4. Juli 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen "gemeinschaftlichen schweren Raubes, tateinheitlich begangen in 14 Einzelakten, wobei es in 5 Fällen beim Versuch blieb", zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt und die Einziehung verschiedener Gegenstände angeordnet. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben jeweils mit einer Verfahrensrüge Erfolg; auf die weiteren Verfahrensrügen und auf die Sachbeschwerden kommt es deshalb nicht an.

1. Mit Recht beanstanden die Revisionen die Ablehnung eines Beweisantrages.

a) Der Rüge liegt folgendes Prozessgeschehen zugrunde:

Gegenstand des Verfahrens ist ein bewaffneter Raubüberfall in einem Spielkasino zum Nachteil von 14 Kasinogästen. Nach den Feststellungen trugen die beiden Täter zur Maskierung Wollmützen mit Augenschlitzen (Kopfmasken) und zusätzlich im Mundbereich Staubmasken. Die Angeklagten haben eine Beteiligung an dem Überfall bestritten.

Am zweiten Hauptverhandlungstag stellte der Verteidiger des Angeklagten Y. den Antrag, acht - bereits am ersten Verhandlungstag vernommenen - Tatzeugen eine in der Nähe des Tatorts aufgefundene Kopfmaske, die erst zu diesem Termin zur Verfügung stand, vorzuhalten. Die Zeugen würden dann bestätigen, dass keiner der Täter eine derartige Kopfmaske getragen habe, die Kopfmasken der Täter schwarz und nicht lindgrün gewesen seien, sie einen anderen Schnitt und die Mund- und Augenöffnungen andere Formen gehabt hätten. Diesem Beweisantrag hat sich der Verteidiger des Angeklagten Ö. angeschlossen. Das Landgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Zeugen seien ungeeignete Beweismittel: Durch das plötzliche, mit sofortigem Schußwaffengebrauch einhergehende maskierte Auftreten der Täter sei ein derartiges Klima von Angst und Schrecken hervorgerufen worden, dass keine auch nur annähernd präzise Beobachtungen hätten gemacht werden können; zudem sei es in dem Lokal dunkel gewesen und die Täter hätten über den Wollmasken weiße Staubmasken getragen, so dass erhebliche Teile der Wollmasken verdeckt gewesen seien. Unter diesen Umständen erscheine es ausgeschlossen, dass von einem der Zeugen nachvollziehbare Angaben über Art und Farbe der Wollmasken gemacht werden könnten.

b) Mit dieser Begründung durfte der Beweisantrag nicht abgelehnt werden. Völlig ungeeignet im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ist ein Zeuge als Beweismittel nur dann, wenn das Gericht ohne Rücksicht auf das bisher gewonnene Beweisergebnis feststellen kann, dass sich mit ihm das in dem Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nach sicherer Lebenserfahrung nicht erzielen lässt. Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die absolute Untauglichkeit muss sich aus dem Beweismittel im Zusammenhang mit der Beweisbehauptung selbst ergeben. Ein geminderter; geringer oder zweifelhafter Beweiswert darf nicht mit völliger Ungeeignetheit gleichgesetzt werden (st. Rspr., vgl. nur BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 4, 12, 13, 14, 15, 16).

Eine Ungeeignetheit der Beweismittel in diesem Sinne liegt hier nicht vor: Das Landgericht hat die Ablehnung des Beweisantrages allein mit dem nach dem Ergebnis der schon durchgeführten Beweisaufnahme voraussichtlich zu erwartenden geringen Beweiswert der Beweiserhebung begründet (es seien nämlich keine "nachvollziehbaren Angaben" zu erwarten). Umstände dafür, dass die von den Angeklagten benannten Zeugen bei Durchführung der beantragten Beweisaufnahme zur weiteren Sachaufklärung nichts hätten beitragen können, sind jedoch nicht ersichtlich. Nach den Feststellungen ist das Gegenteil der Fall; denn mehrere Tatzeugen hatten die Maskierung der Täter - wenn auch in Farbe und Form unterschiedlich - beschrieben (UA 14 f.). Es liegt daher nahe, dass die benannten Zeugen nach Vorhalt der sichergestellten Maske weiterführende Angaben hätten machen können.

c) Auf der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrages kann das angefochtene Urteil beruhen, weil das Landgericht dem Umstand, dass die beim Tatort aufgefundene, mit DNA-Spuren des Angeklagten Y. behaftete Wollmütze bei dem Überfall verwendet worden sei, maßgebliche Indizwirkung für die Täterschaft der Angeklagten beigemessen hat (UA 13 ff., 30 ff.). Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass die Strafkammer zu einer anderen Überzeugungsbildung gelangt wäre, wenn sie die beantragten Beweise erhoben und sich die Beweisbehauptung bestätigt hätte, dass die Täter des Überfalls die aufgefundene Kopfmaske nicht benutzt haben.

2. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass das Landgericht, sofern es sich erneut von der Täterschaft der Angeklagten überzeugen sollte, nähere Feststellungen zu einem möglichen Rücktritt von den nur versuchten Einzelakten (§ 24 Abs. 2 StGB) zu treffen haben wird.

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2002, 242; StV 2002, 352

Bearbeiter: Ulf Buermeyer