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Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Aug./Sept. 2021
22. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

843. BGH 2 StR 109/20 – Urteil vom 31. März 2021 (LG Limburg)

Begehen durch Unterlassen (Garantenstellung unter Geschwistern: ausdrückliche oder konkludente Übernahme von Verantwortung; Garantenstellung im Eltern-Kind-Verhältnis; keine Garantenstellung gegenüber eines Hilfsbedürftigen nach Beistand); Totschlag (bedingter Vorsatz: Abgrenzung von bewusster Fahrlässigkeit, hohe Lebensgefährlichkeit des Verhaltens, grundsätzliche Unbeachtlichkeit der Motive des Täters, Zweifelssatz); unterlassene Hilfeleistung; Körperverletzung mit Todesfolge (Unterlassen).

§ 13 Abs. 1 StGB; § 15 StGB; § 212 StGB; §§ 223, 227 StGB; § 323c StGB; § 264 StPO

1. Unter Geschwistern besteht nicht schon wegen ihrer Verwandtschaft in der Seitenlinie eine Garantenstellung. Nur im Eltern-Kind-Verhältnis liegt mit Blick auf §§ 1618a, 1619 BGB bereits aufgrund einer Verwandtschaft in aufsteigender Linie eine Rechtspflicht zum Handeln nahe.

2. Eine Garantenstellung eines Geschwisterteils kommt etwa in Betracht, wenn es ausdrücklich oder konkludent die Übernahme von Verantwortung erklärt, diese zusätzlich neben den in erster Linie verantwortlichen Eltern übernommen hat und sich insoweit auch sein Vorsatz auf das Bestehen einer Rechtspflicht zum Handeln erstreckt.

3. Allein daraus, dass jemand einem Hilfsbedürftigen beisteht, folgt noch keine Garantenpflicht zur Vollendung einer begonnenen Hilfeleistung.

4. Bedingter Tötungsvorsatz ist nach ständiger Rechtsprechung gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Verhaltens erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des angestrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Bewusste Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten. Diese Grundsätze gelten sowohl für Begehungsdelikte als auch für Unterlassungstaten. Gegenstand des Vorsatzes müssen bei Unterlassungen neben der Untätigkeit aber auch die physisch-reale Handlungsmöglichkeit, der Eintritt des Erfolges, die Quasi-Kausalität sowie die eine objektive Zurechnung begründenden Umstände sein.

5. Für die Beweiswürdigung zur Frage des Tötungsvorsatzes gilt, dass eine hohe Lebensgefährlichkeit des Verhaltens regelmäßig ein wichtiges auf (Eventual-)Vorsatz hinweisendes Beweisanzeichen darstellt. Zwar kann im Einzelfall der Vorsatz fehlen, wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Verhalten zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko des Todes nicht erfasst, oder wenn er trotz erkannter Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut. Das Vertrauen auf einen glimpflichen Ausgang darf aber nicht auf bloßen Hoffnungen beruhen, sondern muss tatsachenbasiert sein. Den Motiven des Täters kommt – anders als bei direktem Vorsatz – bei der Abgrenzung bedingten Tötungsvorsatzes von bewusster Fahrlässigkeit nur unter bestimmten Umständen eine Bedeutung zu.

6. Das Tatgericht hat die für und gegen (bedingten) Tötungsvorsatz sprechenden Tatsachen und Beweisergebnisse in einer Gesamtschau zu würdigen. Einzelindizien dürfen nicht nur isoliert bewertet werden, sondern sie entfalten ihr wahres Beweisgewicht erst, wenn sie auch in der Relation zu den anderen Umständen des Einzelfalls gesehen werden. Erst nachdem das Tatgericht eine Gesamtwürdigung vorgenommen hat und ihm danach unüberwindliche Zweifel verbleiben, hat es zugunsten des Angeklagten zu entscheiden.

7. Eine vorsätzliche Körperverletzung kann durch einen Garanten verwirklicht werden, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges trotz vorhandener Möglichkeit dazu pflichtwidrig nicht abwendet. Ein von § 223 Abs. 1 StGB erfasster Erfolg in Gestalt einer Gesundheitsschädigung kann bereits darin liegen, dass bei einem behandlungsbedürftigen Zustand einer Person die gebotene ärztliche Versorgung nicht bewirkt wird. Die Möglichkeit, sodann auch § 227 StGB durch Unterlassen zu verwirklichen, ist in der Rechtsprechung anerkannt.


Entscheidung

768. BGH 4 StR 68/21 – Beschluss vom 8. Juni 2021 (LG Köln)

Versuch (Tatentschluss); gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (Tatentschluss; Beinaheunfall; verkehrsspezifische Gefahr: Außeneinwirkung ohne Ausnutzung Eigendynamik eines Fahrzeuges); Verbindung und Trennung rechtshängiger Strafsachen (sachliche Zuständigkeit verändernde Verbindung bei Gerichten in unterschiedlichen Bezirken ranghöherer Gerichte).

§ 23 StGB; § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB; § 4 Abs. 2 Satz 2 StPO

1. Der Tatbestand eines versuchten Delikts verlangt in subjektiver Hinsicht (Tatentschluss) das Vorliegen einer vorsatzgleichen Vorstellung, die sich auf alle Umstände des äußeren Tatbestands bezieht.

2. Im Fall des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB muss es der Täter zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen, die Sicherheit des Straßenverkehrs durch einen der Zerstörung, Beschädigung oder Beseitigung von Fahrzeugen oder Anlagen oder der Bereitung von Hindernissen ähnlichen ebenso gefährlichen Eingriff zu beeinträchtigen und dadurch Leib oder Leben anderer oder fremde Sachen von bedeutendem Wert zu gefährden.

3. Als tatbestandsmäßig kommen nur konkrete Gefahren für die benannten Rechtsgüter in Betracht, die über die der Tathandlung innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus zu einem „Beinaheunfall“ geführt haben oder in ihrem Erscheinungsbild einem „Beinaheunfall“ gleichen. Letzteres setzt voraus, dass sich durch die Tathandlung eine verkehrsspezifische Gefahr verwirklicht, die – jedenfalls auch – auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen ist. Bei Außeneinwirkungen, die nicht durch eine vom Täter ausgenutzte Eigendynamik eines Fahrzeugs gekennzeichnet sind, ist eine verkehrsspezifische Gefahr nur dann zu bejahen, wenn der Fortbewegung des vom Eingriff betroffenen Fahrzeugs in einer Weise entgegengewirkt wird, dass gerade infolge der Dynamik des Straßenverkehrs eine konkrete Gefahr für die Fahrzeuginsassen oder das Fahrzeug entsteht.

4. Eine nicht nur die örtliche, sondern auch die sachliche Zuständigkeit ändernde Verbindung kann nur nach § 4 Abs. 2 Satz 2 StPO durch eine Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichtes erfolgen, wenn die Gerichte nicht alle zu dem Bezirk des ranghöheren Gerichts gehören.


Entscheidung

816. BGH 3 StR 488/20 – Beschluss vom 23. Februar 2021 (LG Mönchengladbach)

Feststellung des Tötungseventualvorsatzes bei Verurteilung wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen (Wissens- und Willenselement; normative und psychologische Betrachtung; Beweiswürdigung); Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen (gefahrspezifischer Zusammenhang); Aussetzung mit Todesfolge; Konkurrenzen.

§ 212 StGB; § 15 StGB; § 227 StGB; § 221 StGB; § 52 StGB; § 261 StPO

1. Bedingter Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt

oder sich um des erstrebten Ziels willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Ob ein Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen. Diese Grundsätze gelten sowohl für Begehungsdelikte als auch für Unterlassungstaten.

2. Um das Willenselement des bedingten Tötungsvorsatzes zu belegen, genügen Formulierungen regelmäßig nicht, die beschreiben, was von dem Angeklagten von Rechts wegen zu erwarten gewesen wäre (z. B. („musste“, „durfte nicht“). Vielmehr ist grundsätzlich entscheidend, wovon der Angeklagte nach der auf einer sachlich-rechtlich fehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Überzeugung des Gerichts tatsächlich subjektiv ausging.

3. Beim Delikt der Körperverletzung mit Todesfolge muss zwischen der Körperverletzung und dem Tod nicht lediglich ein Kausalzusammenhang bestehen; zudem muss sich im tödlichen Ausgang gerade eine solche Gefahr verwirklicht haben, die der Körperverletzung in spezifischer Weise anhaftete („spezifischer Gefahrzusammenhang“). Für den Fall einer Begehung durch Unterlassen bedeutet dies, dass der Tatbestand regelmäßig dann nicht erfüllt ist, wenn das Tatopfer auch dann verstorben wäre, wenn der Angeklagte die rechtlich gebotenen Maßnahmen zur ergriffen hätte, deren Vornahme er mit Körperverletzungsvorsatz unterließ.

4. Wenn der Tod des Opfers durch ein im Sinne des § 221 Abs. 1 StGB oder § 227 Abs. 1 StGB tatbestandsmäßiges vorsätzliches Verhalten des Täters verursacht wurde, der Täter mit Tötungsvorsatz aber erst agierte, als das Opfer bereits verstorben war, steht eine Strafbarkeit wegen (vollendeter) Aussetzung mit Todesfolge beziehungsweise Körperverletzung mit Todesfolge ausnahmsweise in Tateinheit mit einer Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags.


Entscheidung

799. BGH 3 StR 84/21 – Urteil vom 1. Juli 2021 (LG Osnabrück)

Anstiftung (doppelter Anstiftervorsatz; Konkretisierung der Haupttat; omnimodo facturus; Beihilfe (Zeitpunkt; Beendigung; Gehilfenvorsatz); gerichtliche Kognitionspflicht.

§ 26 StGB; § 27 StGB; § 264 StPO

1. Als Anstifter strafbar macht sich gemäß § 26 StGB derjenige, der einen anderen vorsätzlich zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat. Vorsatz des Anstifters setzt dabei voraus, dass der Anstifter die vorsätzliche Begehung der Haupttat durch den Haupttäter und das Hervorrufen des Tatentschlusses des Haupttäters durch ihn selbst (sog. doppelter Anstiftervorsatz) zumindest für möglich hält (kognitives Element) und billigend in Kauf nimmt (voluntatives Element). Anstifter kann auch sein, wer kein ideelles oder materielles Interesse am Taterfolg hat. Auf seine Motivation kommt es grundsätzlich nicht an.

2. Bezugsgegenstand der Anstiftung ist eine konkret-individualisierte Tat. Welche zur Tatindividualisierung tauglichen Merkmale jeweils erforderlich sind, entzieht sich dabei einer abstrakt-generellen Bestimmung und kann nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls entschieden werden.

3. Ein zu einer konkreten Tat fest Entschlossener kann nicht mehr zu ihr bestimmt werden (omnimodo facturus); denn in diesem Fall fehlt es an der erforderlichen Kausalität der Anstiftungshandlung. Bis zum Tatentschluss bleibt allerdings ein Bestimmen zu einer konkreten Tat selbst dann noch möglich, wenn der Haupttäter bereits allgemein zu derartigen Taten bereit war und diese Bereitschaft auch aufgezeigt oder sogar selbst die Initiative zu den Taten ergriffen hat.

4. Ein Gehilfenvorsatz setzt voraus, dass der Gehilfe in dem Bewusstsein handelt, durch sein Verhalten das Vorhaben des Haupttäters zu fördern. Nach Beendigung der Haupttat ist Beihilfe zu dieser nicht mehr möglich.

5. Die sich aus § 264 StPO ergebende Kognitionspflicht erfordert, dass der – durch die zugelassene Anklage abgegrenzte – Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird. Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen. Fehlt es daran, so stellt dies einen sachlich-rechtlichen Mangel dar.


Entscheidung

835. BGH 5 StR 477/20 – Urteil vom 24. Juni 2021 (LG Berlin)

Versuchter Totschlag (Beweiswürdigung zum Tötungsvorsatz; anschauliche und konkrete Lebensgefährlichkeit; Rücktritt; unbeendeter und beendeter Versuch).

§ 212 StGB; § 24 StGB; § 261 StPO

1. Die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung (sog. Rücktrittshorizont). Wenn der Täter bei einem Tötungsdelikt den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht, liegt ein beendeter Versuch vor, mit der Folge, dass er für den Eintritt der Straffreiheit entweder den Tod durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum jedenfalls freiwillig und ernsthaft bemühen muss. Rechnet der Täter zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit dem Eintritt des Erfolges, hält er jedoch die Vollendung weiterhin für möglich, liegt ein unbeendeter Versuch vor; für eine Straffreiheit genügt sodann die Aufgabe der weiteren Tatausführung.

2. Eine hohe und zudem anschauliche konkrete Lebensgefährlichkeit der Tatausführung stellt auf beiden Vorsatzebenen das wesentliche auf bedingten Tötungsvorsatz hinweisende Beweisanzeichen dar.


Entscheidung

844. BGH 2 StR 12/21 – Beschluss vom 27. April 2021 (LG Bonn)


Totschlag; Versuch (beendeter Versuch: Vorliegen bei gedanklicher Indifferenz des Täters, Vorliegen bei Kenntnis der die den Erfolgseintritt nahelegenden tatsächlichen Umstände).

§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB; § 212 StGB

1. Ein beendeter Versuch liegt auch dann vor, wenn sich der Täter nach der letzten Ausführungshandlung keine Vorstellung von den Folgen seines bisherigen Verhaltens macht.

2. Diese gedankliche Indifferenz des Täters gegenüber den von ihm bis dahin angestrebten oder doch zumindest in Kauf genommenen Konsequenzen ist eine innere Tatsache, die positiv festgestellt werden muss. Hierzu bedarf es in der Regel einer zusammenfassenden Würdigung aller maßgeblichen objektiven Umstände. Können keine eindeutigen Feststellungen getroffen werden, ist der Zweifelsgrundsatz anzuwenden.

3. Ein Versuch ist auch dann beendet, wenn der Täter Kenntnis der tatsächlichen Umstände hat, die den Erfolgseintritt nach der Lebenserfahrung nahelegen, was bei gefährlichen Gewalthandlungen und schweren Verletzungen, insbesondere bei tief in den Brust- oder Bauchraum eingedrungenen Messerstichen, deren Wirkungen der Täter wahrgenommen hat, auf der Hand liegt.


Entscheidung

772. BGH 1 StR 58/21 – Beschluss vom 16. Juni 2021 (LG Stuttgart)

Rücktritt vom Versuch (Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch: Rücktrittshorizont, keine Vorstellungen des Täters von den Folgen der Versuchshandlung).

§ 24 Abs. 1 StGB; § 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB

Zwar liegt ein beendeter Versuch auch dann vor, wenn sich der Täter im Augenblick des Verzichts auf eine mögliche Weiterführung der Tat keine Vorstellung von den Folgen seines bisherigen Verhaltens macht. Als innere Tatsache muss diese gedankliche Indifferenz des Täters gegenüber den von ihm bis dahin angestrebten oder doch zumindest in Kauf genommenen Konsequenzen aber positiv festgestellt werden.


Entscheidung

748. BGH 2 StR 448/20 – Beschluss vom 11. Mai 2021 (LG Kassel)

Verminderte Schuldfähigkeit (erhebliche Herabsetzung des Hemmungsvermögens: Blutalkoholkonzentration von mehr als drei Promille; Hinweise auf erhaltenes Steuerungsvermögen trotz erheblicher Alkoholisierung, Kompensationsfähigkeit im Bereich grobmotorischer Auffälligkeiten bei Alkoholikern); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Voraussetzungen des Hangs).

§ 21 StGB; § 64 StGB

1. Eine Blutalkoholkonzentration von mehr als drei Promille legt die Annahme einer erheblichen Herabsetzung des Hemmungsvermögens zur Tatzeit nahe. Auch wenn davon auszugehen ist, dass es keinen gesicherten medizinisch-statistischen Erfahrungssatz darüber gibt, dass ohne Rücksicht auf psychodiagnostische Beurteilungskriterien allein wegen einer bestimmten Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit in aller Regel vom Vorliegen einer alkoholbedingt erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit ausgegangen werden muss, ist der im Einzelfall festzustellende Wert doch immerhin ein gewichtiges Beweisanzeichen für eine erhebliche alkoholische Beeinflussung. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass die Wirkungen einer Alkoholaufnahme individuell verschieden sind. Je höher dieser Wert ist, umso näher liegt die Annahme einer zumindest erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit. Maßgeblich für die Frage, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB gegeben sind, ist dementsprechend eine Gesamtwürdigung, in die sowohl die Höhe der Blutalkoholkonzentration als auch psychodiagnostische Kriterien einzustellen sind. Bei einer starken Alkoholisierung lässt sich erheblich verminderte Schuldfähigkeit nur ausschließen, wenn gewichtige Anzeichen für den Erhalt des Hemmungsvermögens sprechen.

2. Als gegen die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit sprechende psychodiagnostische Beurteilungskriterien kommen nur solche Umstände in Betracht, die verlässliche Hinweise darauf geben können, ob das Steuerungsvermögen des Täters trotz der erheblichen Alkoholisierung voll erhalten geblieben ist. Dies gilt auch mit Blick darauf, dass ein Täter nach der Tatbegehung flüchtet. Das Fehlen von Ausfallerscheinungen oder alkoholbedingten Einschränkungen kann zwar grundsätzlich gegen eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit sprechen; doch ist bei alkoholgewöhnten Tätern zu berücksichtigen, dass äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit durchaus weit auseinander fallen können und sich gerade bei Alkoholikern oft eine durch „Übung“ erworbene erstaunliche Kompensationsfähigkeit im Bereich grobmotorischer Auffälligkeiten zeigt.

3. Für einen Hang im Sinne von § 64 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Nicht erforderlich ist das Vorliegen eines Eingangsmerkmals nach § 21 StGB; auch gegen einen voll schuldfähigen kann eine Maßregel nach § 64 StGB angeordnet werden.


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

865. BGH 6 StR 119/21 – Beschluss vom 1. Juni 2021 (LG Regensburg)

BGHSt; Amtsträgerkorruption (Diensthandlung: der sich für ein anderes Amt bei demselben Dienstherrn bewerbende Amtsträger, der sich zur Wiederwahl stellende Amtsträger, Abgrenzung zu der Privathandlung, Abgrenzung der Bestechung und Bestechlichkeit zu der Vorteilsannahme und -gewährung, Bestimmtheit der zukünftigen Diensthandlung).

§ 331 StGB; § 332 StGB; § 333 StGB; § 334 StGB

1. Das Anbieten oder Gewähren von Vorteilen für künftige Diensthandlungen an einen Amtsträger, der sich für ein anderes Amt bei demselben Dienstherrn bewirbt, kann dem Anwendungsbereich der Bestechungsdelikte unterfallen, wenn dem Vorteilsnehmer im Zeitpunkt der Tathandlung bereits allgemein aufgrund seiner Stellung ein weitreichender Aufgabenkreis zugewiesen ist. (BGHSt)

2. Ein Amtsträger, der sich zur Wiederwahl stellt und hierfür in einem Gegenseitigkeitsverhältnis mit seinen – nach seiner Wahl vorzunehmenden – Diensthandlungen stehende Vorteile annimmt, verstößt bereits mit deren Annahme gegen die ihm aufgrund seiner Stellung obliegenden Sonderpflichten zum Schutze der Lauterkeit des öffentlichen Dienstes. Er gefährdet das Vertrauen der Allgemeinheit in diese Lauterkeit, weil er mit seinem Verhalten den Anschein der Käuflichkeit öffentlicher Entscheidungen erweckt. (Bearbeiter)

3. Die Anforderungen an die Bestimmtheit der zukünftigen Diensthandlung dürfen nicht allzu eng gefasst sein, weil ansonsten solche Amtsträger privilegiert würden, die sich nicht nur im Hinblick auf eine einzelne konkrete Diensthandlung, sondern für weite Bereiche ihres Wirkens als käuflich erweisen. Erachten Vorteilsgeber und Vorteilsnehmer die Möglichkeit als gegeben, dass der Amtsträger im Bereich seines Dienstherrn zukünftig mit solchen Aufgaben betraut sein wird, die Grund der Vorteilsgewährung sind, will der Spender nicht nur die allgemeine Ausrichtung der Politik des Wahlbewerbers unterstützen, sondern sich dessen Gewogenheit auch für seine Individualinteressen sichern. (Bearbeiter)

4. Während sich Vorteilsannahme und -gewährung auf die Dienstausübung, d.h. Handlungen, durch die der Amtsträger im öffentlichen Dienst die ihm übertragenen Aufgaben wahrnimmt, mithin die Diensthandlungen im Allgemeinen, beziehen, ist Gegenstand der Bestechung und Bestechlichkeit ein konkretes Verhalten im Rahmen der Dienstausübung. Dienstausübung und Diensthandlung unterscheiden sich demnach lediglich durch den Grad ihrer Konkretisierung. (Bearbeiter)

5. Die Grenze der zum Gegenstand der Dienstausübung gemachten Diensthandlung zur Privathandlung ist – unbesehen verbleibender Unschärfen im Randbereich – erst überschritten, wenn die Tätigkeit in keinerlei funktionalem Zusammenhang mit dienstlichen Aufgaben mehr steht. (Bearbeiter)


Entscheidung

795. BGH 3 StR 21/21 – Urteil vom 2. Juni 2021 (LG Köln)

BGHSt; Begriff der kriminellen Vereinigung (übergeordnetes gemeinsames Interesse; Abgrenzung zu individuellen Einzelinteressen; bezweckte Begehung von Straftaten; Abgrenzung zur Bande; Gesamtwürdigung); Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot durch Mehrfachmilderung; Geldwäsche; Begünstigung.

§ 129 StGB; § 257 StGB; § 261 StGB; § 50 StGB; § 46 Abs. 3 StGB

1. Unter die Legaldefinition der kriminellen Vereinigung können auch Tätergruppierungen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität ebenso wie sonstige Zusammenschlüsse aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität fallen. Erforderlich hierfür ist neben den sonstigen Voraussetzungen, dass der Zusammenschluss ein übergeordnetes gemeinsames Interesse verfolgt. Lediglich individuelle Einzelinteressen der Mitglieder der Gruppierung genügen nicht. Das gemeinsame Interesse muss insbesondere über die bezweckte Begehung der konkreten Straftaten und ein Handeln um eines persönlichen materiellen Vorteils willen hinausgehen. (BGHSt)

2. Zur Ermittlung des für eine Vereinigung konstitutiven übergeordneten gemeinsamen Interesses können im Rahmen einer Gesamtwürdigung die äußeren Tatumstände herangezogen werden. (BGHSt)

3. Ein übergeordnetes gemeinsames Interesse liegt bei Zusammenschlüssen zur Verfolgung weltanschaulich-ideologischer, religiöser oder politischer Ziele regelmäßig bereits mit Blick hierauf vor. Bei der gemeinsamen Begehung von Taten, die auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind und damit letztlich vor allem dem jeweils beteiligten Individuum wirtschaftliche Vorteile bringen sollen, ist dies allerdings nicht ohne Weiteres in gleicher Weise der Fall. Bei der zur Feststellung erforderlichen Gesamtwürdigung gilt im Einzelnen:

a) Zu berücksichtigen sind insbesondere der Umfang und das Ausmaß genutzter – gegebenenfalls auch grenzüberschreitender – organisatorischer Strukturen sowie sachlicher Mittel, eine festgelegte einheitliche Willensbildung, eine interne Sanktionierung von Verstößen gegen gemeinschaftliche Regeln, die Anzahl der Mitglieder, ein von den konkreten Personen losgelöster Be-

stand, eine etwaige Gemeinschaftskasse, die Beanspruchung quasistaatlicher Autorität und die Einflussnahme auf grundlegende gesellschaftliche oder hoheitliche Akteure.

b) Je ausgeprägter solche Kriterien vorliegen, desto eher lässt sich der Schluss ziehen, dass es den einzelnen Personen – gerade im Bereich allgemeiner, auf Gewinnerzielung ausgerichteter Kriminalität – nicht lediglich um ihre individuellen Vorteile, sondern um weitergehende Ziele geht wie beispielsweise den eigenständigen Fortbestand der Organisation um ihrer selbst willen oder ein spezifisches Machtstreben.

c) Da eine Gesamtbetrachtung geboten ist, müssen nicht sämtliche Merkmale in besonderer Weise vorliegen. Entscheidend ist, ob sie insgesamt den Schluss auf die Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses und die damit einhergehende vereinigungstypische Dynamik zulassen. Bedienen sich die Täter beispielsweise ausschließlich des eingerichteten Gewerbebetriebs eines (auch) legal am Markt operierenden Unternehmens, dessen Geschäftszweck nicht primär in der Begehung von Straftaten liegt, vermag allein ein hoher betrieblicher Organisationsgrad den Rückschluss auf ein übergeordnetes Interesse nicht zu begründen. (Bearbeiter)

4. Genügten bereits übereinstimmende Einzelinteressen für die Annahme eines Vereinigungsinteresses im Sinne des § 129 Abs. 2 StGB, wäre ein solches bei der Verwirklichung eines Bandentatbestandes angesichts des übereinstimmenden Willens zu künftiger Straftatbegehung regelmäßig gegeben. Ein sich daraus ergebender weitgehender Gleichlauf von Bande und Vereinigung fügt sich nicht in die Gesamtsystematik des materiellen Strafrechts ein. Denn die bloße Mitgliedschaft in einer Bande ist nicht strafbar, sondern das Handeln als Bandenmitglied lediglich ein Qualifikationsmerkmal oder ein Regelbeispiel für besonders schwere Fälle und demgemäß kein strafbegründendes, sondern strafschärfendes Merkmal. Demgegenüber stellt § 129 Abs. 1 StGB die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung als solche unter Strafe. (Bearbeiter)

5. Gemäß § 50 StGB darf bei der Strafrahmenwahl ein Umstand, der mit anderen Umständen die Annahme eines minder schweren Falles begründet und der zugleich ein besonderer gesetzlicher Milderungsgrund nach § 49 StGB ist (hier: Schadenswiedergutmachung im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs), nur einmal berücksichtigt werden. (Bearbeiter)


Entscheidung

813. BGH 3 StR 302/20 – Beschluss vom 20. Mai 2021 (LG Aachen)

BGHSt; Terrorismusfinanzierung (Tathandlung; Sammeln von Vermögenswerten; Absicht zur Begehung einer Katalogtat; bloße Umwidmung eines zu anderen Zwecken gesammelten Vermögens; Entgegennehmen; Austauschverhältnis; Gegenleistung; wirtschaftliche Besserstellung des Täters); Eingrenzung des Gegenstands der Anklage (Anklagesatz; Lebensvorgang; Tatbegriff; Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft).

§ 89c StGB; § 200 StPO; § 264 StPO

1. Die Tathandlung des Sammelns umfasst neben dem Einsammeln bei anderen Personen das Zusammentragen im Sinne eines Ansammelns. (BGHSt)

2. Die bloße Umwidmung vorhandenen, gegebenenfalls zu anderen Zwecken gesammelten Vermögens begründet keine Strafbarkeit wegen Terrorismusfinanzierung. (BGHSt)

3. Ein Entgegennehmen im Sinne des § 89c Abs. 2 StGB liegt nicht vor, wenn im Rahmen eines Austauschverhältnisses erworbene Vermögenswerte durch eine Gegenleistung kompensiert werden und deshalb keinen Vermögenszuwachs zur Folge haben. (BGHSt)

4. § 89c StGB soll die Finanzierung terroristischer Taten unter Strafe stellen und dadurch solchen Taten die wirtschaftliche Grundlage zu entziehen. Erwirbt indes ein Täter einen Vermögenswert und gibt er dafür etwas Gleichwertiges hin, lässt dies seine wirtschaftliche Situation im Ergebnis unberührt. Eine größere Gefahr für das geschützte Rechtsgut folgt daraus in finanzieller Hinsicht nicht. Sofern sich durch die Entgegennahme das Risiko in der Sache gleichwohl erhöht, etwa beim Erwerb von Utensilien für einen Anschlag oder – wie hier – eines Flugtickets für die Ausreise, beruht dies nicht auf einer veränderten wirtschaftlichen Situation, sondern darauf, dass der Täter ungeachtet seiner Vermögenslage bestimmte Gegenstände erhält. (Bearbeiter)

5. Zu einer Eingrenzung des Gegenstands der Anklage ist vom Anklagesatz auszugehen, der die Schilderung der einem Angeschuldigten angelasteten Tat als historisches Ereignis (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO) enthält. Dabei sind die gesetzlichen Merkmale des ihm vorgeworfenen objektiven und subjektiven Straftatbestandes mit einem entsprechenden äußeren und inneren Zustand oder Vorgang zu belegen. Dies bestimmt den Verfolgungswillen der Staatsanwaltschaft. (Bearbeiter)

6. Enthält der Anklagesatz weitere Angaben, die nicht die angeklagte prozessuale Tat, sondern einen anderen getrennten Lebensvorgang betreffen, so wird dieser hierdurch nicht zum Verfahrensgegenstand im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO. Was dem Verfolgungswillen der Staatsanwaltschaft unterliegt, ist im Zweifel durch Auslegung zu ermitteln, wobei nach den Umständen des Einzelfalls auch das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen herangezogen werden kann. (Bearbeiter)


Entscheidung

849. BGH 2 StR 47/20 – Urteil vom 28. April 2021 (LG Wiesbaden)

BGHSt; Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften (Anderer: Beteiligte an dem dargestellten sexuellen Missbrauch; Besitzverschaffen); schwerer sexueller Missbrauch von Kindern (Täterschaft; Teilnahme einer Person ohne Körperkontakt; kinderpornographische Absicht eines Teilnehmers; Verbreiten); Konkurrenzen; Strafzumessung (straferschwerende Berücksichtigung von verjährten Taten).

§ 184b StGB a.F.; § 176a StGB a.F.; § 52 StGB

1. „Anderer“ im Sinne des § 184b Abs. 2 StGB (in der Fassung des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S.

3007; jetzt: § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB) kann auch ein Beteiligter an dem in einer kinderpornographischen Schrift dargestellten sexuellen Missbrauch sein, dem vom Hersteller dieser Schrift der (erstmalige) Besitz daran verschafft wird. (BGHSt)

2. Vollendetes Besitzverschaffen im Sinne des § 184b Abs. 2 StGB ist – auch in dessen vor der Änderung durch das 49. Strafrechtsänderungsgesetz vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10) geltenden Fassung – nicht nur die tatsächliche Übergabe des körperlichen Gegenstands einer kinderpornographischen Schrift oder eines ihr gleichgestellten Datenträgers. Tatbestandsmäßig ist auch die Übermittlung von Daten, jedenfalls dann, wenn sie zu einer zumindest vorübergehenden Abspeicherung auf einem Datenträger des Empfängers führt. (Bearbeiter)

3. Ausreichend zur Verwirklichung des Tatbestandes des § 184b Abs. 2 aF StGB ist, dass die Videodatei nur an einen einzelnen Empfänger übersandt wird. (Bearbeiter)

4. Es kann als Täter nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 aF StGB nur bestraft werden, wer entweder selbst („eigenhändig“) im Sinne von § 176 Abs. 1 StGB Körperkontakt zu dem Kind aufnimmt oder wer gemäß § 176 Abs. 2 StGB das Kind dazu bestimmt, eine der genannten Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von diesem an sich vornehmen zu lassen. Dies schließt indes nicht aus, dass sich eine Person ohne Körperkontakt zum Tatopfer einer Anstiftung oder einer Beihilfe zum schweren sexuellen Missbrauch gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 aF, §§ 26, 27 StGB schuldig macht. (Bearbeiter)

5. Täter des § 176a Abs. 3 aF StGB sind auch die an einem (schweren) sexuellen Kindesmissbrauch beteiligten Anstifter und Gehilfen, sofern sie in der Absicht handeln, das Geschehen zum Gegenstand einer kinderpornographischen Schrift zu machen, die verbreitet werden soll; die Vorschrift qualifiziert den sexuellen Missbrauch auch für einen Teilnehmer, der mit entsprechender Absicht handelt. (Bearbeiter)

6. Das von § 176a Abs. 3 aF StGB in Bezug genommene „Verbreiten“ umfasst sämtliche Tatmodalitäten des § 184b Abs. 1 und 2 aF StGB. (Bearbeiter)

7. Der schwere sexuelle Missbrauch in kinderpornographischer Absicht gemäß § 176a Abs. 3 aF StGB steht zur Beihilfe zum schweren sexuellen Missbrauch gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 aF StGB in Idealkonkurrenz. (Bearbeiter)

8. Zwischen den Qualifikationen des § 176a aF StGB und den Verschaffungsdelikten nach § 184b Abs. 2 und 4 aF StGB besteht Tateinheit. (Bearbeiter)

9. Verjährte Taten können – wenn auch mit geringerem Gewicht – straferschwerend berücksichtigt werden. (Bearbeiter)


Entscheidung

774. BGH 1 StR 78/21 – Beschluss vom 8. April 2021 (LG Stuttgart)

BGHR; Computersabotage (hier: Verbreitung von Ransomware; Begriff des Veränderns von Daten: Hinzufügen von Einträgen in der Windows-Registry-Datei zum automatischen Laden einer Schadsoftware; Begriff der Datenverarbeitung von wesentlicher Bedeutung: Privatpersonen, Ausschluss von Bagatellfällen); Erpressung; Beihilfe (Tateinheit bei Förderung mehrerer Taten durch einheitliche Unterstützungshandlung).

§ 303a Abs. 1 StGB; § 303b Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 253 Abs. 1 StGB; § 27 StGB

1. Zur Strafbarkeit der Verbreitung eines Erpressungstrojaners über das Internet (sog. Ransomware). (BGH)

2. Ein Verändern von Daten i.S.d. §§ 303a, 303b StGB ist auch das Hinzufügen von Einträgen in der Windows-Registry-Datei, wodurch eine Schadsoftware beim Hochfahren des Rechners automatisch geladen wird, ohne dass der Computernutzer hiervon Kenntnis bekam und sofort der ganze Bildschirm und alle weiteren Fenster vom Sperrbildschirm überdeckt werden, so dass dieser weder minimiert noch geschlossen werden kann. Diese System-Dateien sind taugliche Tatobjekte im Sinne der Legaldefinition des § 202a Abs. 2 StGB. Ein Verändern ist auch beim Herbeiführen von Funktionsbeeinträchtigungen der Daten anzunehmen, die eine Änderung ihres Informationsgehalts oder des Aussagewerts zur Folge haben. (Bearbeiter)

3. Das einschränkende Merkmal einer Datenverarbeitung „von wesentlicher Bedeutung“ sollte nach dem Willen des Gesetzgebers als Filter für Bagatellfälle dienen, die vom Tatbestand nicht erfasst werden. Bei Privatpersonen als Geschädigten ist darauf abzustellen, ob die Datenverarbeitung für die Lebensgestaltung der Privatperson eine zentrale Funktion einnimmt Das ist bei einer gegen den Willen der berechtigten Computernutzer installierte Schadsoftware, die jegliche Nutzung der auf den Geräten gespeicherten Daten unmöglich macht und dadurch der Computer nur durch eine mit einem vollständigen Datenverlust verbundene Neuinstallation des Betriebssystems wieder genutzt werden konnten, anzunehmen. (Bearbeiter)


Entscheidung

864. BGH 4 StR 79/20 – Urteil vom 24. Juni 2021 (LG Aachen)

Verbotenes Kraftfahrzeugrennen (Absicht Erreichung höchstmöglicher Geschwindigkeit: Ziel der möglichst hohen Geschwindigkeit, situativ mögliche Höchstgeschwindigkeit, nicht ganz unerhebliche Wegstrecke, Ausreichen von notwendigem Zwischenziel); bedingter Vorsatz (Abgrenzung von bewusster Fahrlässigkeit; in hohem Maße gefährliche Handlungen; Vertrauen auf guten Ausgang bei erkannter Eigengefährdung bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr); Gefährdung des Straßenverkehrs (falsches Fahren beim Überholen).

§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB; § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB; § 15 StGB

1. Die nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbarkeitsbegründende Absicht muss darauf gerichtet sein, die nach den Vorstellungen des Täters unter den konkreten situativen Gegebenheiten ? wie Motorisierung, Verkehrslage, Streckenverlauf, Witterungs- und Sichtverhältnisse etc. ? maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Nicht

ausreichend ist, dass es dem Täter auf das Erreichen einer „möglichst hohen“ Geschwindigkeit ankommt. Erforderlich ist vielmehr, dass der Täter nach seinen Vorstellungen die situativ mögliche Höchstgeschwindigkeit anstrebt.

2. Für das Absichtsmerkmal ist zu verlangen, dass sich die Zielsetzung des Täters nach seinen Vorstellungen auf eine unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten nicht ganz unerhebliche Wegstrecke bezieht und sich nicht nur in der Bewältigung eines räumlich eng umgrenzten Verkehrsvorgangs erschöpft.

3. Für das Absichtsmerkmal reicht es aus, dass der Täter die höchstmögliche Geschwindigkeit als aus seiner Sicht notwendiges Zwischenziel anstrebt, um ein weiteres Handlungsziel zu erreichen. Dies erfordert konkrete Feststellungen dazu, dass der Täter sein eigenes Handlungsziel gerade durch die Beschleunigung auf die situativ höchstmögliche Geschwindigkeit erreichen möchte, was sich weder aus dem Willen, eine bestimmte Strecke möglichst schnell zurückzulegen, noch aus dem Fluchtmotiv in sogenannten Polizeifluchtfällen ohne Weiteres ergibt.

4. Für die Entscheidung, ob ein Täter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat, kommt es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalls an. Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls ausgelegt sind, kann eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraute. Beim Vorliegen einer solchen Konstellation hat das Tatgericht daher mögliche Gefahren für die eigene körperliche Integrität des Täters in den Blick zu nehmen und sich als vorsatzkritischen Gesichtspunkt mit derjenigen Eigengefährdung auseinanderzusetzen, die nach dem Vorstellungsbild des Täters mit seiner erkanntermaßen das Leben des Tatopfers gefährdenden Vorgehensweise verbunden ist.

5. Ein falsches Fahren beim Überholen im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB liegt vor, wenn der Täter eine der in § 5 StVO normierten Regeln verletzt oder einen anderweitigen Verkehrsverstoß begeht, der das Überholen als solches gefährlicher macht, sodass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Verkehrsverstoß und der spezifischen Gefahrenlage des Überholens besteht.


Entscheidung

777. BGH 1 StR 123/21 – Beschluss vom 31. Mai 2021 (LG München II)

Minder schwerer Fall des Totschlags (Begriff der Misshandlung: kein Körperverletzungserfolg erforderlich, gebotene Gesamtbetrachtung).

§ 213 Alt. 1 StGB; § 212 Abs. 1 StGB

1. Die Strafzumessungsregel des § 213 Alternative 1 StGB setzt das Vorliegen einer Misshandlung im Sinne einer Körperverletzung voraus. Ein Verletzungserfolg ist nicht erforderlich; auch seelische Misshandlungen können genügen. Entscheidend ist demnach nicht, in welchem Umfang das körperliche Wohlbefinden des Täters des Totschlags beeinträchtigt ist, sondern, ob die diesem zugefügten Misshandlungen nach ihrem Gewicht und den Umständen des Einzelfalls geeignet sind, die ?Jähtat als verständliche Reaktion? auf das provozierende Verhalten des anschließend getöteten Opfers erscheinen zu lassen.

2. Ob der vorausgehende Angriff durch das Opfer ausreichendes Gewicht hat, hat das Tatgericht mit Blick auf den für Totschlagsdelikte durch § 213 StGB eröffneten Strafrahmen und auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller dafür maßgebenden Umstände, namentlich unter Berücksichtigung der bisherigen Täter-Opfer-Beziehung und der damit verbundenen Motivationsgenese, zu beurteilen. Die Anwendung des § 213 Alternative 1 StGB kann auch dann geboten sein, wenn die tatauslösende Misshandlung für sich allein genommen zwar keine ?schwere Unbill? ist, sie aber gleichsam der ?Tropfen? ist, der ?das Fass zum Überlaufen bringt?. Das gesamte provozierende Verhalten des Opfers ist einzubeziehen. Lediglich geringfügige Eingriffe in die körperliche oder seelische Unversehrtheit des Täters des Tötungsdelikts sind regelmäßig nicht von ausreichendem Gewicht; die Erheblichkeitsschwelle ist aber bei schmerzhaften Ohrfeigen überschritten.


Entscheidung

845. BGH 2 StR 13/20 – Urteil vom 9. Juni 2021 (LG Aachen)

Erpressung (Vermögensschaden: Verzicht auf die Geltendmachung einer Forderung, Werthaltigkeit der nicht geltend gemachten Forderung).

§ 253 StGB

Eine Erpressung (§ 253 StGB) kann auch dadurch begangen werden, dass der Täter das Tatopfer durch Drohung und Gewalt dazu veranlasst, auf die Geltendmachung einer Forderung zu verzichten, sei es durch Unterlassen geeigneter Maßnahmen zu ihrer Durchsetzung, sei es dadurch, dass es duldet, dass sich der Täter entfernt, ohne seine Personalien anzugeben. Voraussetzung für den Eintritt des vom Tatbestand vorausgesetzten Vermögensschadens ist in diesen Fällen, dass die Forderung werthaltig ist. Wer auf die Geltendmachung einer wertlosen, weil gänzlich uneinbringlichen Forderung verzichtet, erleidet dadurch keinen Vermögensschaden.


Entscheidung

847. BGH 2 StR 279/20 – Beschluss vom 3. Februar 2021 (LG Darmstadt)

Erpresserischer Menschenraub (beabsichtigter Erpressungserfolg: geplanter Zeitpunkt der gewollten erpressten Leistung, Schuldanerkenntnis, formlose Zahlungszusage); Geiselnahme (beabsichtigter Nötigungserfolg: funktionaler und zeitlicher Zusammenhang zwischen Bemächtigung und qualifizierter Nötigung, Erstreben mehrerer Verhaltensweisen, Abgabe eines „Ehrenworts“).

§ 239a Abs. 1 StGB; § 239b Abs. 1 StGB

1. Es fehlt an der Absicht des Ausnutzens der Bemächtigungslage zur Begehung einer Erpressung im Sinne des § 239a Abs. 1 StGB, wenn der Tatplan vorsieht, dass die Leistung, die der Täter erpressen will, erst zu einem Zeitpunkt erfolgen soll, zu dem die Bemächtigungslage beendet ist. Da die Erpressung auf eine vermögensrelevante Handlung, Duldung oder Unterlassung des Opfers

abzielt, muss im Fall des § 239a StGB nach der Vorstellung des Täters eine solche während der Bemächtigungslage stattfinden. Dazu kann etwa die Abgabe eines notariell beglaubigten Schuldanerkenntnisses genügen. Jedoch reicht eine formlose Zahlungszusage mangels Vermögensrelevanz nicht aus.

2. Bei einer Geiselnahme nach § 239b Abs. 1 StGB muss zwischen der Entführung oder Bemächtigung des Opfers und der qualifizierten Nötigung ein funktionaler und zeitlicher Zusammenhang in der Weise bestehen, dass der Täter das Opfer während der Dauer der Zwangslage nötigen will und die abgenötigte Handlung während der Dauer der Zwangslage vorgenommen werden soll. Eine während der Bemächtigung des Opfers vollendete Nötigung ist auch gegeben, wenn der Täter mehrere Verhaltensweisen des Opfers erstrebt, die er zwar nicht sämtlich schon während der Bemächtigungslage realisieren will, von denen er aber zumindest eine Handlung des Opfers in dieser Phase herbeiführt, wenn darin aus seiner Sicht eine bedeutende und eigenständige Vorstufe zu dem angestrebten Erpressungserfolg zu erblicken ist. Ebenso kann eine beliebige Handlung, Duldung oder Unterlassung einen Nötigungserfolg auch im Sinne von § 239b StGB darstellen. Deshalb kann zum Beispiel ein abgenötigtes „Ehrenwort“ des Geschädigten genügen.


Entscheidung

764. BGH 2 StR 454/19 – Urteil vom 7. Oktober 2020 (LG Darmstadt)

Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen (Anvertrautsein: Abhängigkeitsverhältnis, Maßgeblichkeit des Einzelfalls, Orientierung am Schutzzweck der Vorschrift, mangelnde Maßgeblichkeit des Erziehungsstils; Obhutsverhältnis: auch bei Anvertrautsein zur zeitweiligen Betreuung einer unter 16 Jahre alten Person); Ruhen der Verjährung (Erfassung Sexueller Missbrauch von Jugendlichen mit Wirkung zum 27. Januar 2015; Rückwirkung; Ausschluss bei Verjährung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens); Freispruch bei rechtlichem Zusammentreffen von schwererem und leichterem Vorwurf.

§ 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 182 StGB

1. Der Tatbestand des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. und n.F. setzt voraus, dass zwischen Täter und Opfer ein Verhältnis besteht, kraft dessen eine Person unter 16 Jahren dem Täter zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, wobei sich die Begriffe der Erziehung, der Ausbildung und der Betreuung in der Lebensführung in ihrem Bedeutungsgehalt überschneiden. Erforderlich hierfür ist ein Abhängigkeitsverhältnis im Sinne einer Unter- und Überordnung, die den persönlichen, allgemein menschlichen Bereich umfasst, in welchem einer Person das Recht und die Pflicht obliegt, die Lebensführung des Jugendlichen und damit dessen geistig-seelische Entwicklung zu überwachen und zu leiten.

2. Ein Anvertrautsein im Sinne einer Unter- und Überordnung kann außer im schulischen Bereich auch in anderen, den Verhältnissen an einer Schule vergleichbaren Fällen bestehen, etwa im Einzel- oder im Mannschaftssport ebenso in einem anderweitigen Ausbildungsverhältnis. Maßgebend sind in jedem Fall die konkreten, tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls. Bei deren Bewertung muss sich der Tatrichter am Schutzzweck der Vorschrift orientieren, wonach Minderjährige und daher regelmäßig noch nicht ausgereifte Menschen vor sexuellen Übergriffen durch Autoritätspersonen bewahrt werden sollen, denen sie durch einen Vertrauensbeweis überantwortet und damit gewissermaßen in die Hand gegeben sind.

3. Maßgeblich für das Anvertrautsein ist allein, dass der Heranwachsende in die Verantwortung des späteren Täters gegeben worden ist, nicht hingegen, auf welche Art und Weise, also mit welchem Erziehungsstil, der Täter einen ihm möglichen Einfluss im Wege der Über- und Unterordnung auf das Opfer ausübt.

4. Ein Obhutsverhältnis im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB kann auch gegeben sein, wenn die unter 16 Jahre alte Person einem anderen zur (zeitweiligen) Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist.

5. Die Ruhensregelung des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst die Norm des § 182 StGB erst mit Wirkung zum 27. Januar 2015. Diese Regelung gilt zwar auch rückwirkend für vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangene Taten. Ihre Anwendung ist indes ausgeschlossen, wenn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Änderungsgesetzes bereits Verjährung eingetreten war.

6. Auf Freispruch und nicht auf Einstellung des Verfahrens ist zu erkennen, wenn bei rechtlichem Zusammentreffen eines schwereren und eines leichteren Vorwurfs der schwerere nicht nachweisbar, der leichtere aber wegen eines Prozesshindernisses nicht verfolgbar ist.


Entscheidung

860. BGH 4 StR 141/21 – Beschluss vom 7. Juli 2021 (LG Bielefeld)

Körperverletzung mit Todesfolge (Mittäter: Exzesshandlung, Gefahrenzusammenhang).

§ 227 StGB

Ein spezifischer Gefahrenzusammenhang, der den tatbestandlichen Anforderungen des § 227 Abs. 1 StGB genügt, kann in objektiver Hinsicht nur angenommen werden, wenn sich aus Art und Weise des tätlichen Angriffs einzelfallbezogen konkrete tatsächliche Umstände ergeben, welche die Möglichkeit einer tödlichen Eskalation nahelegen.


Entscheidung

829. BGH 5 StR 177/21 – Beschluss vom 6. Juli 2021 (LG Hamburg)

Besonders schwerer Fall des Diebstahls (Schlaf als Hilflosigkeit).

§ 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 StGB

Der „gesunde“ Schlaf fällt nicht ohne weiteres unter den Begriff der Hilflosigkeit im Sinne des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 1. Var. StGB. Anders verhält es sich aber, wenn der Schlaf mit einer krankhaften Störung verbunden ist. Gleiches gilt auch in Fällen, in denen der Schlafende hier – infolge einer erheblichen Alkoholisierung unfähig ist, sich gegen die Wegnahme von in seinem Gewahrsam befindlichen Sachen zu schützen.


Entscheidung

851. BGH 2 StR 355/20 – Urteil vom 9. Juni 2021 (LG Wiesbaden)

Betrug (Bandenmitgliedschaft; gewerbsmäßiges Handeln; Beihilfe); Strafzumessung (Revisibilität der Strafzumessung; Vermögenseinbuße durch Einziehung von Wertersatz kein Strafmilderungsgrund).

§ 263 StGB; § 46 StGB

1. Es steht der Annahme einer Bandenmitgliedschaft nicht entgegen, dass ein Beteiligter nur einen Vordermann in der Organisation kennt.

2. Die Kenntnis der Einzelheiten der durchzuführenden Straftaten und der konkreten Aktivitäten anderer Beteiligter ist nicht zwingende Voraussetzung für eine Bandenmitgliedschaft.

3. Die mit der Einziehung von Wertersatz verbundene Vermögenseinbuße stellt keinen Strafmilderungsgrund dar. Die Einziehung dient allein der Gewinnabschöpfung und damit dem Ausgleich unrechtmäßiger Vermögensverschiebung.


Entscheidung

819. BGH 5 StR 30/21 – Beschluss vom 11. Mai 2021 (LG Hamburg)

Amtsanmaßung kein eigenhändiges Delikt (Mittäterschaft); gewerbs- und bandenmäßiger Betrug.

§ 132 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 263 StGB

Bei einer Tat nach § 132 Var. 1 StGB ist eine Begehung in Mittäterschaft möglich; es handelt sich nicht um ein „eigenhändiges Delikt“.


Entscheidung

862. BGH 4 StR 312/20 – Beschluss vom 10. Juni 2021 (LG Cottbus)

Versuchter Totschlag; bedingter Vorsatz (bedingter Tötungsvorsatz; Abgrenzung von bewusster Fahrlässigkeit); gefährliche Körperverletzung (mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs: gezieltes Anfahren mit einem Kfz).

§ 212 StGB; §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 15 StGB; § 22 StGB

Nach ständiger Rechtsprechung ist der Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeuges nicht ohne weiteres erfüllt, wenn eine Person durch ein gezieltes Anfahren mit einem Kraftfahrzeug zu Fall gebracht wird. Die Annahme des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB setzt in derartigen Fällen vielmehr voraus, dass bereits durch den Anstoß eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens und damit eine körperliche Misshandlung gemäß § 223 Abs. 1 StGB ausgelöst worden ist. Erst infolge des anschließenden Sturzes erlittene Verletzungen, die nicht auf den unmittelbaren Kontakt zwischen Kraftfahrzeug und Körper zurückzuführen sind, können für sich allein die Beurteilung als gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht tragen.


Entscheidung

840. BGH AK 37/21 – Beschluss vom 14. Juli 2021 (AG Karlsruhe)

Dringender Tatverdacht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland (formale Eingliederung in die Organisation mit deren Zustimmung; vom Inland aus agierender Täter); Verstoß gegen Bereitstellungsverbot; Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.

§ 129a StGB; § 129b StGB; § 89a StGB; § 18 Abs. 1 Nr. 1 AWG

1. Die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung nach § 129a Abs. 1 StGB setzt eine gewisse formale Eingliederung des Täters in die Organisation voraus, die einer Vereinigung nicht aufgedrängt werden kann, sondern ihre Zustimmung erfordert. Ob vor diesem Hintergrund ein Täter, der in der Bundesrepublik Deutschland lebt und von Deutschland aus agiert, sich als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland beteiligt, bedarf regelmäßig bereits deshalb besonderer Prüfung, weil er sich nicht im unmittelbaren Betätigungsgebiet der (Kern-)Organisation aufhält; dies gilt insbesondere dann, wenn sich der Täter nie an einem Ort befunden hat, an dem die Vereinigungsstrukturen bestehen.

2. Eine Beteiligungshandlung des Mitglieds kann darin bestehen, unmittelbar zur Durchsetzung der Ziele der Vereinigung beizutragen; sie kann auch darauf gerichtet sein, lediglich die Grundlagen für die Aktivitäten der Vereinigung zu schaffen oder zu erhalten. Ausreichend ist deshalb die Förderung von Aufbau, Zusammenhalt oder Tätigkeit der Organisation. In Betracht kommt etwa ein organisationsförderndes oder ansonsten vereinigungstypisches Verhalten von entsprechendem Gewicht. In Abgrenzung hierzu fehlt es in Fällen einer bloß formalen oder passiven, für das Wirken der Vereinigung bedeutungslosen Mitgliedschaft grundsätzlich an einem aktiven mitgliedschaftlichen Beteiligungsakt.


Entscheidung

807. BGH 3 StR 138/21 – Beschluss vom 16. Juni 2021 (LG Düsseldorf)

Freiheitsberaubung auf andere Weise durch Bedrohung (angedrohtes Übel; gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben; Bedrohung zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung; Konkurrenzen).

§ 239 StGB; § 241 StGB

1. Eine Freiheitsberaubung „auf andere Weise“ durch eine Bedrohung erfüllt den objektiven Tatbestand des § 239 StGB nicht bereits bei jeder Drohung mit einem empfindlichen Übel; das angedrohte Übel muss vielmehr den Grad einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben erreichen. 2. Einer Bedrohung (§ 241 StGB) kommt im Verhältnis zu einer Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) kein eigenständiger Unrechtsgehalt zu, sofern sie ausschließlich der Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung dient.


Entscheidung

848. BGH 2 StR 323/20 – Beschluss vom 16. Februar 2021 (LG Darmstadt)

Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (Weisung: hinreichend bestimmt, Weisungsverstöße; tatbestandsausschließendes Einverständnis; Vorsatz).

§ 145a StGB; § 15 StGB

1. Es steht der Annahme einer hinreichend bestimmten Weisung im Sinne des § 145a StGB nicht im Wege, dass

sich die genauen Termine, an denen sich der Angeklagte bei seinem Bewährungshelfer hätte melden sollen, nicht aus dem gerichtlichen Beschluss ergeben, sondern noch der Festlegung durch den Bewährungshelfer bedurften.

2. Nicht ausgeschlossen ist, dass ein ausgesprochener Verzicht auf einen Gesprächstermin unter bestimmten Voraussetzungen ein den objektiven Tatbestand des § 145a StGB ausschließendes Einverständnis darstellt.