HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2017
18. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

995. BGH 3 StR 172/17 - Urteil vom 27. Juli 2017 (LG Regensburg)

Beweiswürdigung beim Tötungseventualvorsatz (objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlicher Indikator; Wissenselement; Willenselement; ambivalente Beweiszeichen; Fehlen eines nachvollziehbaren Tötungsmotivs; keine Vorausplanung der Tat; Alkoholisierung; Umfang der revisionsgerichtlichen Prüfung; keine Beweisregel); Anforderungen an die Urteilsgründe bei Freispruch aus tatsächlichen Gründen; öffentliches Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen bei akustischen Äußerungen (Wahrnehmbarkeit für einen größeren Personenkreis); Intensität ausländerfeindlicher Parolen bei der Volksverhetzung.

§ 261 StPO; § 267 StPO; § 15 StGB; § 86a StGB; § 130 StGB; § 212 StGB

1. Zwar ist die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Tötungsvorsatzes, weshalb bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen das Vorliegen beider Elemente naheliegt. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Tatrichter der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung bei der Prüfung der subjektiven Tatseite von Rechts wegen immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen hätte. Darin läge vielmehr eine vom Einzelfall gelöste Festlegung des Beweiswerts und der Beweisrichtung eines bestimmten Indizes,

die einer unzulässigen, dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) widersprechenden Beweisregel nahekäme.

2. Im Rahmen des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfordert die Tatvariante des öffentlichen Verwendens von Kennzeichen die Wahrnehmbarkeit für einen größeren, durch persönliche Beziehungen nicht zusammenhängenden Personenkreis begründet. Entscheidend ist somit nicht die Öffentlichkeit des Verwendungsortes an sich, sondern die vom Täter nicht überschaubare kommunikative Wirkung der Verwendung, mithin die Möglichkeit der Wahrnehmung durch einen größeren Personenkreis. Bei einer akustischen Äußerung kommt es deshalb darauf an, ob diese in einer Art und Weise abgegeben wurde, dass sie von einem größeren Personenkreis tatsächlich wahrgenommen wurde bzw. hätte wahrgenommen werden können.

3. § 130 Abs. 1 StGB setzt einen in besonderer Weise qualifizierten Angriff gegen (u.a.) Teile der Bevölkerung voraus, wozu auch die in Deutschland dauerhaft lebenden Ausländer gehören. Erforderlich ist ein im Vergleich zu den Beleidigungsdelikten gesteigerter Unrechtsgehalt, etwa bei schwerwiegenden Formen der Missachtung, die durch ein besonderes Maß an Gehässigkeit und Rohheit geprägt sind und die Angegriffenen als insgesamt minderwertig und ohne Existenzrecht in der Gemeinschaft abqualifizieren. Die Anwendbarkeit der Vorschrift auf ausländerfeindliche Parolen ist im Einzelfall anhand dieses Maßstabs zu prüfen.


Entscheidung

1062. BGH 2 StR 362/16 - Beschluss vom 22. August 2017 (LG Aachen)

Anstiftung (doppelter Anstiftervorsatz).

§ 26 StGB

1. Der Anstifter hat für die Haupttat ebenso einzustehen wie der Angestiftete selbst. Sein Vorsatz muss daher auch auf die Ausführung der in ihren wesentlichen Merkmalen oder Grundzügen konkretisierten (Haupt-) Tat bezogen sein.

2. Der Anstiftervorsatz muss die fremde Haupttat jedoch nicht in allen Einzelheiten, sondern nur in ihren Hauptmerkmalen erfassen. Ausreichend konkretisiert ist er zumindest dann, wenn er diejenigen Umstände umfasst, aus denen sich die durch die eigene Anstiftungshandlung verursachte fremde rechtswidrige Tat soweit erkennen lässt, dass sie dem Tatbestand einer Strafnorm zugeordnet werden kann.

3. Das tatbestandliche Geschehen muss in der Vorstellung des Anstiftenden als wenigstens umrisshaft individualisiertes Geschehen erscheinen. Insoweit genügt bedingter Vorsatz. Dieser liegt auch dann vor, wenn der Täter aus Gleichgültigkeit mit jeder eintretenden Möglichkeit einverstanden ist.


Entscheidung

1008. BGH 3 StR 299/17 - Beschluss vom 22. August 2017 (LG Düsseldorf)

Anforderungen an die Feststellungen zu einem fehlgeschlagenen Versuch bei Eingreifen eines Dritten (subjektives Scheitern der Tat; physische Unmöglichkeit; freiwillige Abstandnahme).

§ 24 StGB

1. Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn die Tat nach dem Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Hält er dagegen die Vollendung der Tat im unmittelbaren Handlungsfortgang noch für möglich, wenn auch mit anderen Mitteln, dann ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten.

2. Wird der Täter durch eine andere Person von der Tatbegehung abgehalten, bedarf es für die Annahme eines nicht mehr rücktrittsfähigen fehlgeschlagenen Versuchs Feststellungen dazu, dass der Handelnde sein Vorgehen aufgrund des Einschreitens des Dritten als gescheitert ansieht oder dass ihm die Tatbegehung hierdurch anderweitig unmöglich wird. Dagegen bleibt ein Rücktritt möglich, wenn der Täter das Eingreifen der anderen Person zum Anlass für eine freiwillige Abstandnahme von der Tat nimmt.


Entscheidung

1021. BGH 5 StR 303/17 - Beschluss vom 23. August 2017 (LG Görlitz)

Anforderungen an die Feststellungen bei der Rücktrittsprüfung (unbeendeter Versuch; beendeter Versuch; Rücktrittshorizont; Tätervorstellung; Korrektur des Rücktrittshorizonts; alsbaldiges Erkennen des Irrtums; Abstandnahme von weiteren Ausführungshandlungen).

§ 24 StGB

1. Die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach dem Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont. Bei einem Tötungsdelikt liegt demgemäß ein unbeendeter Versuch vor, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Todes erforderlich oder zumindest ausreichend ist. Ein beendeter Tötungsversuch ist hingegen anzunehmen, wenn er den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht.

2. Eine Korrektur des Rücktrittshorzionts ist in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdeliktes ist danach nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber nach alsbaldigem Erkennen seines Irrtums von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt. Lässt sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfungen nicht stand


Entscheidung

1084. BGH 4 StR 324/17 - Beschluss vom 16. August 2017 (LG Dortmund)


Unterschlagung (Konkurrenzen: Subsidiarität gegenüber Tötungsdelikten).

§ 246 Abs. 1 StGB

Geht das Gericht unter Anwendung des Zweifelssatzes davon aus, dass der Angeklagte den Wegnahme- bzw. Zueignungsvorsatz erst nach Abschluss der Tötungshandlung gefasst hat liegt Tateinheit zwischen dem Tötungsdelikt und dem Vermögensdelikt vor, weil der Zweifelssatz, der zur Verneinung von Mord aus Habgier geführt hat, bei der Beurteilung der Konkurrenzen nochmals heranzuziehen ist. Ein Schuldspruch wegen Mordes in Tateinheit mit Unterschlagung kommt dennoch nicht in Betracht, weil aufgrund der Subsidiaritätsklausel in § 246 Abs. 1 StGB die Unterschlagung hinter das Tötungsdelikt zurücktritt.


Entscheidung

1027. BGH AK 42/17 - Beschluss vom 7. September 2017

Haftprüfung (Fristberechnung bei neu hinzutretendem Tatvorwurf); dringender Tatverdacht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung (Begriff der Mitgliedschaft); versuchte Anstiftung zu einem Verbrechen (Grad der Konkretisierung der projektierten Tat).

§ 112 StPO; § 121 StPO; § 122 StPO; § 30 StGB; § 129a StGB; § 129b StGB

1. Die mitgliedschaftliche Beteiligung setzt allgemein voraus, dass der Täter sich, getragen von beiderseitigem übereinstimmendem Willen und angelegt auf eine gewisse Dauer, in die Organisation eingliedert, sich ihrem Willen unterordnet und eine aktive Tätigkeit zur Förderung ihrer Ziele entfaltet. Nicht zwingend erforderlich ist dagegen, dass Stellung und Funktion des Angeklagten innerhalb der Organisation näher bekannt sind.

2. Die versuchte Anstiftung nach § 30 Abs. 1 StGB erfordert nicht, dass die Art und Weise der Ausführung sowie Ort und Zeit des projektierten Verbrechens in den Einzelheiten festgelegt sind. Jedoch muss dieses - aus der Sicht des Initiators - so weit konkretisiert sein, dass der präsumtive Haupttäter es „begehen könnte, wenn er wollte“.


Entscheidung

1071. BGH 4 StR 215/17 - Beschluss vom 27. September 2017 (LG Kaiserslautern)

Unechtes Unterlassungsdelikt (Quasi-Kausalität).

§ 13 Abs. 1 StGB

Bei dem unechten Unterlassungsdelikt ist die sog. Quasi-Kausalität erforderlich, wonach ein Unterlassen nur dann mit dem tatbestandsmäßigen Erfolg als „quasiursächlich“ in Zurechnungsverbindung gesetzt werden kann, wenn dieser beim Hinzudenken der gebotenen Handlung entfiele, wenn also die gebotene Handlung den Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert hätte.


Entscheidung

1070. BGH 4 StR 190/17 - Beschluss vom 2. August 2017 (LG Baden-Baden)

Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen; verminderte Schuldfähigkeit (gerichtliche Nachforschungen zu altersbedingten psychischen Veränderungen).

§ 20 StGB; § 21 StGB

1. Zwar besteht nach der Rechtsprechung nicht bei jedem Täter, der jenseits einer bestimmten Altersgrenze erstmals Sexualstraftaten begeht, Anlass, der Frage einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit oder gar einer Schuldunfähigkeit nachzugehen.

2. Jedoch sind die Prüfung dieser Frage und ihre Erörterung im Urteil jedenfalls dann veranlasst, wenn neben der erstmaligen Sexualdelinquenz in hohem Alter weitere Besonderheiten in der Person des Täters bestehen, die geeignet sind, auf die Möglichkeit einer durch Altersabbau bedingten Enthemmtheit hinzudeuten.


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

1083. BGH 4 StR 317/17 - Beschluss vom 31. August 2017 (LG Frankenthal)

Schwere Körperverletzung (Abgrenzung der Tatbestandsvarianten: geistige Krankheit Siechtum, geistige Behinderung); Grundsätze der Strafzumessung (anlasslose Tat; Berücksichtigung psychischer Defekte).

§ 226 Abs. 1 StGB; § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB

1. Da der Tatbestand der schweren Körperverletzung allein die Folgen für das Tatopfer in den Blick nimmt, ist eine an medizinischen Kriterien orientierte Auslegung des Begriffs der geistigen Krankheit angezeigt, wonach im Ausgangspunkt sämtliche krankheitswertige Schäden an der psychischen Gesundheit erfasst werden.

2. Dagegen widerspräche es dem Sinn und Zweck der Vorschrift, den Begriff der „geistigen Krankheit“ inhaltlich an dem enger gefassten Merkmal der krankhaften seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB auszurichten, da hier allein die tatbezogene Schuldfähigkeit des Täters in Rede steht. Das organische Psychosyndrom – welches nach der ICD-10-Klassifikation als psychische Krankheit eingeordnet wird– ist als krankheitswertiger psychischer Schaden somit vom Tatbestand erfasst.

3. Aus dem Wortlaut der Vorschrift („verfallen“) und einem Vergleich zu den sonstigen Tatbestandsvarianten ergibt sich, dass die geistige Krankheit nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend sein darf.

4. Die Tatbestandsvariante des Siechtums ist zu verneinen, wenn nicht zu erwarten ist, dass sich das Krankheitsbild des Opfers verschlechtert, es nach wie vor zu eigenständiger Lebensführung in der Lage ist und seine allgemeine Erwerbsfähigkeit um weniger als 50 % gemindert ist.

5. Für die Annahme einer geistigen Behinderung ist nur Raum, wenn Störungen der Gehirntätigkeit nicht bereits als geistige Krankheit zu qualifizieren sind.

6. Dass das Opfer keinen Anlass zur Tat geboten hat, darf – als Fehlen eines Strafmilderungsgrundes – nicht strafschärfend berücksichtigt werden.

7. Tatmodalitäten und Tatmotive dürfen dann nicht uneingeschränkt strafschärfend berücksichtigt werden, wenn sie ihre Ursache in einem psychischen Defekt finden, der seinerseits die Tatschuld mindert.


Entscheidung

1087. BGH 4 StR 349/17 - Beschluss vom 30. August 2017 (LG Itzehoe)

Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (Schüsse auf ein Fahrzeug im Straßenverkehr; Versuch).

§ 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB; § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB

1. Eine Verurteilung wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr setzt bei Schüssen auf Fahrzeuge im Straßenverkehr voraus, dass die konkrete Gefahr für eines der in § 315b Abs. 1 StGB genannten Schutzobjekte jedenfalls auch auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte (Dynamik des Straßenverkehrs) zurückzuführen ist.

2. Daran fehlt es, wenn der Schaden ausschließlich auf der durch die Pistolenschüsse freigesetzten Dynamik der auftreffenden Projektile beruht. Um insoweit auch nur zu einer Verurteilung wegen Versuchs zu gelangen, hätte der Angeklagte in seine Vorstellung aufnehmen und billigen müssen, dass es infolge des Schusses zu einem Beinahe-Unfall kommen kann.


Entscheidung

1020. BGH 5 StR 268/17 - Urteil vom 6. September 2017 (LG Chemnitz)

Irrtum und Vermögensschaden bei täuschungsbedingter Hingabe eines Darlehens als vermeintliche Kapitalanlage (Beweiswürdigung beim Irrtumsmerkmal; keine Schätzung einer Irrtumsquote in Fällen mit individueller Motivation zur Verfügung; „Schneeballsystem“; Anlagebetrug; Vermögensverhältnisse des Schuldners; Unsicherheit der Rückzahlung; Minderwert des Rückzahlungsanspruchs; voraussichtliche Zahlungsfähigkeit; wirtschaftliche Betrachtung).

§ 263 StGB; § 261 StPO

1. In einfach gelagerten (potenziellen) Betrugsfällen standardisierter, auf massenhafte Erledigung ausgerichteter Abrechnungsverfahren kann das Tatgericht unter Umständen ausnahmsweise ohne Rechtsfehler eine Irrtumsquote schätzen, insbesondere wenn es um Kleinbeträge geht (vgl. hierzu BGH HRRS 2013 Nr. 387). In Fällen mit individueller Motivation zur Leistung ist hingegen grundsätzlich der Irrtum eines jeden Verfügenden konkret festzustellen.

2. Beim Anlagebetrug kann auf einen Irrtum immer schon dann geschlossen werden, wenn der Täter vorspiegelt, das Geld werde in einer Kapitalanlage angelegt, es aber – wie von vorneherein beabsichtigt – nur für eigene Zwecke oder die Aufrechterhaltung eines „Schneeballsystems“ verbraucht. In derartigen Fällen kann sich das Tatgericht rechtsfehlerfrei aus der Vernehmung einiger Anleger oder aus den äußeren Umständen die Überzeugung verschaffen, alle Anleger hätten irrtumsbedingt ihre von vorneherein verlorene „Geldanlage“ getätigt.

3. Für die Feststellung eines Vermögensschadens bei täuschungsbedingter Hingabe eines Darlehens sind die Vermögensverhältnisse des Schuldners und dessen Rückzahlungswille entscheidend. Erreicht etwa zum Zeitpunkt der Darlehenshingabe die (voraussichtliche) Zahlungsfähigkeit des Schuldners zu den Fälligkeitszeitpunkten einen Grad an Unsicherheit, der über das übliche, von den Beteiligten vorausgesetzte und auch in Kauf genommene Maß an Risiken hinausgeht, ist der Rückzahlungsanspruch minderwertig. Dieser Minderwert ist nach wirtschaftlichen Maßstäben zu bestimmen.


Entscheidung

1019. BGH 5 StR 222/17 - Urteil vom 5. September 2017 (LG Cottbus)

Vollendete Brandstiftung bei gemischt genutztem Gebäude (teilweise Zerstörung durch Brandlegung; Beeinträchtigung der Nutzbarkeit als Wohnung; Vorstellung eines verständigen Wohnungsinhabers; fehlende Nutzbarkeit für eine nicht unbeträchtliche Zeit; für Renovierungsarbeiten tatsächlich benötigte Zeit; erhebliche Verrußungen); Beweiswürdigung zum subjektiven Tatbestand bei der Brandstiftung (innere Tatsachen beim leugnenden Angeklagten; Rückschlüsse aus dem äußeren Tatgeschehen; Gesamtwürdigung).

§ 306 StGB; § 306a StGB; § 306b StGB; § 261 StPO

1. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BGH HRRS 2013 Nr. 470) liegt bei einem wie hier gemischt, d.h. teils wohnlich, teils gewerblich genutzten Gebäude eine vollendete Brandstiftung gemäß § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Taterfolgsvariante der teilweisen Zerstörung durch Brandlegung vor, wenn ein zum selbstständigen Gebrauch bestimmter, dem Wohnen dienender Teil eines einheitlichen Gebäudes durch die Brandlegung zum Wohnen nach den allgemein an die teilweise Zerstörung zu stellenden Anforderungen unbrauchbar geworden ist.

2. Eine teilweise Zerstörung in diesem Sinne ist anzunehmen, wenn infolge der brandbedingten Einwirkung das Tatobjekt einzelne von mehreren der auf das Wohnen gerichteten Zweckbestimmungen nicht mehr erfüllen kann, wobei hierzu insbesondere der Aufenthalt, die Nahrungsversorgung und das Schlafen zählen. Maßstab ist insofern die Vorstellung eines verständigen Wohnungsinhabers, wobei Unbrauchbarkeit zu Wohnzwecken erst anzunehmen ist, wenn eine Wohnung infolge des

Brandes für eine nicht unbeträchtliche Zeit nicht mehr zu diesem Zweck genutzt werden kann.

3. Ob die Zeitspanne der Nutzungseinschränkung oder -aufhebung für eine teilweise Zerstörung durch Brandlegung ausreicht, ist objektiv, ebenfalls anhand des Maßstabs eines „verständigen Wohnungsinhabers“ zu beurteilen. Hierbei ist auf die Zeit abzustellen, die für die tatbedingt erforderlichen Renovierungsarbeiten tatsächlich benötigt wird.

4. Erhebliche Verrußungen können grundsätzlich genügen, um einen Taterfolg in Gestalt der teilweisen Zerstörung durch Brandlegung anzunehmen. Dafür bedarf es aber durch die Verrußung selbst oder deren Beseitigung hervorgerufene Beeinträchtigungen der Nutzbarkeit der Wohnung in dem vorgenannten Sinn.


Entscheidung

1016. BGH 3 StR 412/17 - Beschluss vom 19. September 2017 (LG Köln)

Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (Sich-Unterweisen-Lassen; kommunikativer Akt; Unterrichtung in spezifischen Kenntnissen und Fähigkeiten; Begehung über das Internet; kein Unterweisungserfolg erforderlich; Unterweisungstätigkeit ausreichend).

§ 89a StGB

1. Die Tathandlungsalternative des Sich-Unterweisen-Lassens i.S.v. § 89a Abs. 2 Nr. 1 StGB ist spiegelbildlich zu derjenigen des Unterweisens auszulegen. Beide Begehungsvarianten erfordern einen kommunikativen Akt zwischen Unterweisendem und Unterwiesenem, der die Unterrichtung in spezifischen Kenntnissen und Fähigkeiten im Sinne des § 89a Abs. 2 Nr. 1 StGB zum Gegenstand hat. Der kommunikative Akt kann auch - wie hier - über ein Forum des Internets vorgenommen werden. Er muss darauf gerichtet sein, dass der Unterwiesene die Handlung, über die ihm Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden, nach Abschluss der Unterrichtung ausführen kann.

2. Die Tathandlungsalternativen des § 89a Abs. 2 Nr. 1 StGB setzen indes keinen Unterweisungserfolg in dem Sinne voraus, dass das Unterweisungsziel auch erreicht wird; vielmehr reicht eine bloße Unterweisungstätigkeit aus. Die Vorschrift verlangt nicht, dass der Unterwiesene im Anschluss an den kommunikativen Akt die Herstellung oder den Umgang mit den in § 89a Abs. 2 Nr. 1 StGB beschriebenen Mitteln oder die dort genannten Fertigkeiten selbständig beherrscht.


Entscheidung

1036. BGH 4 StR 116/17 - Beschluss vom 29. August 2017 (LG Aachen)

Rücktritt vom Versuch (Rücktritt bei Beteiligung mehrerer Personen: Voraussetzungen); falsche uneidliche Aussage (Strafmilderungsgrund der rechtzeitigen Berichtigung der falschen Angabe: Anwendbarkeit auf den Teilnehmer).

§ 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB; § 24 Abs. 2 StGB; § 153 Abs. 1 StGB; § 158 Abs. 1 StGB; § 26 Abs. 1 StGB

§ 158 Abs. 1 StGB ist über den Wortlaut der Vorschrift (Täter) hinaus auch zugunsten von Teilnehmern anwendbar.


Entscheidung

1090. BGH 4 StR 381/17 - Beschluss vom 14. September 2017 (LG Dessau-Roßlau)

Sexueller Missbrauch von Kindern (Konkurrenz zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern).

§ 176 Abs. 1 StGB; § 176a Abs. 1 StGB

1. Der Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern wird durch den Qualifikationstatbestand des vollendeten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verdrängt.

2. Tateinheit kann lediglich ausnahmsweise dann anzunehmen sein, wenn in der Verwirklichung des Grunddelikts ein gegenüber der Qualifikation selbständig zu berücksichtigender Unrechtsgehalt liegt, der den Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers vertieft hat.


Entscheidung

1015. BGH 3 StR 362/17 - Beschluss vom 5. September 2017 (LG Hildesheim)

Teilweise Zerstörung eines Gebäudes durch Inbrandsetzen (für das ganze Objekt zwecknötiger Teil; Unbrauchbarkeit für einzelne Zweckbestimmungen; Deckenverkleidung als wesentlicher Gebäudebestandteil); sachlich-rechtlich fehlerhafte Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (konkrete Darlegungen zur Auswirkung einer festgestellten Störung – hier: hirnorganisch bedingte Minderbegabung – auf die Steuerungsfähigkeit; Impulsdurchbruch; belastende Situation; Vergleich des Verhaltens mit voll schuldfähigen Menschen).

§ 20 StGB; § 21 StGB; § 63 StGB; § 306 StGB; § 306a StGB

1. Ein Gebäude ist im Sinne des § 306a Abs. 1 StGB teilweise zerstört, wenn für eine nicht nur unerhebliche Zeit ein für das ganze Objekt zwecknötiger Teil oder dieses wenigstens für einzelne seiner wesentlichen Zweckbestimmungen unbrauchbar wird oder wenn einzelne seiner Bestandteile, die für einen selbständigen Gebrauch bestimmt oder eingerichtet sind, vernichtet werden. Wird ein Patientenzimmer durch ein Feuer in einem Klinikgebäude für 14 Wochen unbrauchbar, sind diese Voraussetzungen regelmäßig nicht erfüllt.

2. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Dies macht eine konkrete Darlegung erforderlich, in welcher Weise sich die festgestellte Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB auf den Täter und seine Handlungsmöglichkeiten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit auswirkte.


Entscheidung

1004. BGH 3 StR 182/17 - Beschluss vom 26. Juli 2017 (LG Trier)

Subjektiver Tatbestand des Diebstahls (Zueignungsabsicht bei der Wegnahme von anschließend wieder weggeworfenen Behältnissen ohne den erwarteten werthaltigen Inhalt); Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Sachverständigen – auch bzgl. der Erfolgsaussichten – bei Erwägung einer Unterbringung.

§ 64 StGB; § 242 StGB § 246a StPO

1. Enthält ein Behältnis, das der Täter in seinen Gewahrsam bringt, nicht die vorgestellte werthaltige Beute, auf die es ihm bei der Tat allein ankommt, und entledigt er sich - nachdem er dies festgestellt hat - deswegen des Behältnisses sowie des ggf. darin befindlichen, ihm nutzlos erscheinenden Inhalts, so kann er mangels Zueignungsabsicht bezüglich der erlangten Beute nicht wegen eines vollendeten, sondern nur wegen versuchten (fehlgeschlagenen) Diebstahls bestraft werden.

2. Der Tatrichter ist grundsätzlich verpflichtet, einen Sachverständigen anzuhören, wenn nach den Umständen des Einzelfalls eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt in Betracht kommt und deshalb eine Anordnung dieser Maßregel konkret zu erwägen ist (§ 246a Satz 2 StPO). Diese muss sich auch auf die Behandlungsaussichten beziehen (§ 246a Abs. 1 StPO). Nur wenn der Tatrichter die Maßregelanordnung allein in Ausübung seines Ermessens nicht treffen will und diese Entscheidung von sachverständigen Feststellungen unabhängig ist, ist er von dieser Verpflichtung befreit.


Entscheidung

1060. BGH 2 StR 335/15 - Urteil vom 16. August 2017 (LG Marburg)

Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung; räuberische Erpressung (keine Abwendung vom wirtschaftlichen Vermögensbegriff; wirtschaftlicher Wert von Betäubungsmitteln).

§ 261 StPO; § 253 Abs. 1; § 255 Abs. 1 und 2 StGB

1. Der Senat geht unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts von einem wirtschaftlichen Vermögensbegriff aus. Daran hält der Senat nach Durchführung des Anfrageverfahrens fest.

2. Auf der Grundlage eines wirtschaftlichen Vermögensbegriffs ergibt sich, dass derjenige, der einen Rauschgifthändler mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Herausgabe von Drogen nötigt, um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, sich der räuberischen Erpressung schuldig macht.

3. Betäubungsmittel besitzen bei wirtschaftlicher Betrachtung einen erheblichen Wert, der auch einen besonderen Anreiz dazu bietet, damit Handel zu treiben, obwohl nahezu jeder nicht von einer staatlichen Genehmigung getragene Umgang damit bei Strafandrohung verboten ist. Die Rechtsordnung kennt im Bereich der Vermögensdelikte kein wegen seiner Herkunft, Entstehung oder Verwendung schlechthin schutzunwürdiges Vermögen. Maßgeblich ist, ob dem Besitz ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt, was regelmäßig zu bejahen ist, wenn mit dem Besitz wirtschaftlich messbare Gebrauchsvorteile verbunden sind.


Entscheidung

1040. BGH 4 StR 607/16 - Beschluss vom 8. Juni 2017 (LG Bochum)

Erpresserischer Menschenraub (Absicht, die Sorge um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung auszunutzen: erforderlicher zeitlicher und funktionaler Zusammenhang zwischen Entführungslage und beabsichtigter Erpressung); räuberische Erpressung (finaler Zusammenhang zwischen Drohung vermögensschädigender Handlung).

§ 239a Abs. 1 StGB; § 253 Abs. 1 StGB; § 255 StGB

1. Eine Strafbarkeit wegen erpresserischen Menschenraubes gemäß § 239a Abs. 1 StGB erfordert im sog. Zweipersonenverhältnis in subjektiver Hinsicht neben dem Vorsatz des Täters bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale, dass er beim Entführen oder Sichbemächtigen des Opfers die Absicht hat, dessen Sorge um sein Wohl zu einer Erpressung auszunutzen.

2. Dies setzt voraus, dass sich nach der Vorstellung des Täters die Bemächtigungssituation in gewissem Umfang stabilisieren und neben den Nötigungsmitteln des § 253 StGB eigenständige Bedeutung für die Durchsetzung der erpresserischen Forderung erlangen wird (vgl. BGH NStZ 2007, 32 f.). Darüber hinaus muss aus der Sicht des Täters zwischen der Entführungs- oder Bemächtigungslage und der beabsichtigten Erpressung ein solcher funktionaler und zeitlicher Zusammenhang hergestellt werden, dass dem Opfer die erstrebte Vermögensverfügung noch während der Dauer der Zwangslage abgenötigt werden soll; der Tatbestand ist deshalb nicht erfüllt, wenn die dem Opfer abgepresste Handlung erst nach der Freilassung erfolgen soll (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 109 f.).


Entscheidung

1047. BGH 1 StR 389/17 - Beschluss vom 11. Oktober 2017 (LG Nürnberg-Fürth)

Konkurrenzen (Raub und räuberischer Diebstahl).

§ 249 StGB; § 252 StGB

Zwischen den Tatbeständen des Raubes und des räuberischen Diebstahls besteht zwar Gesetzeseinheit in der Weise, dass der Raub grundsätzlich den räuberischen Diebstahl verdrängt. Anders ist es allerdings, wenn die Nötigungshandlung in der Beendigungsphase schwerer wiegt, weil erst nach der Vollendung der Wegnahme ein Qualifikationstatbestand verwirklicht wurde. In diesem Fall verdrängt der zur Sicherung der Beute aus dem vorhergehenden Raub begangene besonders schwere räuberische Diebstahl den Tatbestand des Raubes StGB.