HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2017
18. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

997. BGH 3 StR 57/17 - Urteil vom 27. Juli 2017 (OLG Frankfurt am Main)

BGHSt; Strafbarkeit von Leichenschändungen in bewaffneten Konflikten (Leichnam als nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person; Analogieverbot; Völkergewohnheitsrecht; außer Gefecht gesetzte Kämpfer; „hors combat“; entwürdigende oder erniedrigende Behandlung; Fotografieren mit aufgespießten Köpfen; schwerwiegender Verstoß; Gräueltat; Kriegsverbrechen; IGH-Statut; nichtinternationaler oder internationaler Konflikt); Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers bei der Strafrahmenwahl.

§ 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB; Art. 20 GG; Art. 103 Abs. 2 GG

1. Zur Strafbarkeit von Leichenschändungen nach § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB. (BGHSt)

2. Die nach § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB strafbewehrte schwerwiegende entwürdigende oder erniedrigende Behandlung einer nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person erfasst auch Verstorbene; die Vorschrift dient insoweit dem Schutz der Totenehre bzw. der über den Tod hinaus fortwirkenden Würde des Menschen (vgl. bereits BGH HRRS 2016 Nr. 928). Die Strafbewehrtheit von Leichenschändungen in bewaffneten Konflikten ist insoweit dem gesicherten Bestand des Völkergewohnheitsrechts zuzurechnen. (Bearbeiter)

3. Es stellt keinen Verstoß gegen das Analogieverbot dar, Verstorbene als nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende „Personen“ im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB anzusehen. Der Begriff „Person“ ist nach allgemeinem Sprachgebrauch im Wesentlichen gleichbedeutend mit „Mensch“. Er erfasst gleichermaßen lebende und tote Menschen; ob der betreffende Mensch lebendig oder tot ist, wird durch Beifügung des entsprechenden Adjektivs deutlich gemacht. (Bearbeiter)

4. Zu den nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen gehören in einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt unter anderem solche Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden (vgl. § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB). Dazu gehören u.a. feindliche Kämpfer, die „hors de combat“, das heißt außer Gefecht gesetzt, sind. (Bearbeiter)

5. Als „Behandeln“ im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB kommt jedes unmittelbar auf das Opfer bezogene Verhalten in Betracht. Eine physische Einwirkung ist nicht zwingend erforderlich. Ausreichend ist, dass sich das Verhalten unmittelbar auf die Person bezieh.t Wer sich mit abgetrennten und auf Stangen aufgespießten Köpfen getöteter Personen fotografieren lässt, „behandelt“ diese daher im Sinne der erwähnten Norm. (Bearbeiter)

6. Nach der Intention des Gesetzgebers sollen durch die Formulierung „in schwerwiegender Weise“ in § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB insbesondere Beleidigungen von nur geringer Schwere vom Anwendungsbereich des Tatbestands ausgenommen werden Dieses Merkmal bedarf indes im Hinblick auf den Verbrechenscharakter des § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB und die damit verbundene Mindeststrafandro-

hung von einem Jahr Freiheitsstrafe vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Gebots schuldangemessenen Strafens einer einschränkenden Auslegung. (Bearbeiter)

7. Als Kriegsverbrechen erfasst das IStGH-Statut nur solche entwürdigenden oder erniedrigenden Behandlungen, welche die Würde des Betroffenen in solchem Ausmaß verletzen, dass die betreffende Tat als Gräueltat anzusehen ist. Ausschlaggebend ist insoweit ein objektiver Maßstab, bei dem der kulturelle Hintergrund des jeweiligen Opfers zu berücksichtigen ist. Dementsprechend ist auch der Anwendungsbereich des § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB auf solche Taten zu beschränken, durch welche die Würde des Betroffenen in einem Ausmaß verletzt wird, dass sich die Tat aus der Sicht eines objektiven Beobachters unter Berücksichtigung des kulturellen Hintergrundes des Opfers als Gräueltat darstellt, wenn also das Verhalten des Täters grauenhaft bzw. grauenerregend erscheint. (Bearbeiter)

8. Bloße Beschimpfungen, Beleidigungen oder sonstige nicht mit physischer Einwirkung verbundene entwürdigende oder erniedrigende Behandlungen Verstorbener sind demgegenüber grundsätzlich nicht geeignet, als Gräueltat angesehen zu werden. Etwas anderes kann nur gelten, wenn ein derartiges Verhalten ausnahmsweise gleichermaßen grauenhaft bzw. grauenerregend erscheint wie eine durch körperliche Einwirkung begangene Gräueltat. So kann es sich verhalten, wenn der Angeklagte sich in einer Pose, die Überlegenheit und Gnadenlosigkeit vermittelt, in unmittelbarer Nähe zu abgetrennten, auf Metallstangen gespießten Köpfen von Soldaten fotografieren lässt, da dies an deren vorangegangene entwürdigende und erniedrigende Behandlung anknüpft. (Bearbeiter)

9. Unter einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 8 Abs. 1 VStGB sind Auseinandersetzungen zu verstehen, bei denen Streitkräfte innerhalb eines Staates gegen organisierte bewaffnete Gruppen oder solche Gruppen untereinander kämpfen, sofern die Kampfhandlungen von einer gewissen Dauer und Intensität sind. Die Erfordernisse einer gewissen Organisationsstruktur der betreffenden Gruppen sowie der Intensität und Dauer der bewaffneten Auseinandersetzungen stellen sicher, dass bloße innere Unruhen, Spannungen, Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen nicht als bewaffnete Konflikte eingestuft werden. (Bearbeiter)

10. Es ist dem Gesetzgeber grundsätzlich unbenommen, Art und Mindestmaß der Strafe zu bestimmen, die er für die Begehung einer Straftat androht. Die Festlegung eines Strafrahmens beruht auf einem nur in Grenzen rational begründbaren Akt gesetzgeberischer Wertung. Ein Verstoß gesetzlicher Strafdrohungen gegen den Schuldgrundsatz und das Übermaßverbot kommt deshalb nur in Betracht, wenn die gesetzliche Regelung - gemessen an der Idee der Gerechtigkeit - zu schlechthin untragbaren Ergebnissen führt. (Bearbeiter)


Entscheidung

1049. BGH 1 StR 519/16 - Urteil vom 8. August 2017 (LG Chemnitz)

Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels (Wesen des Glücksspiels; nicht unbeträchtlicher Einsatz eines Vermögenswertes); Steuerhinterziehung (Schätzung von Besteuerungsgrundlagen: Anforderungen an die Zuschätzungen und deren Darstellung); Grundsätze der Strafzumessung (Zusammentreffen von Freiheitsstrafe und Einzelgeldstrafen).

§ 46 StGB; § 284 Abs. 1 StGB; § 370 Abs. 1 AO

1. Das Wesen eines Glücksspiels besteht nach allgemeiner Auffassung darin, dass die Entscheidung über Gewinn und Verlust nach den Vertragsbedingungen nicht wesentlich von den Fähigkeiten, den Kenntnissen und der Aufmerksamkeit der Spieler abhängt, sondern allein oder hauptsächlich vom Zufall.

2. Um Glücksspiel im Sinne des § 284 StGB annehmen zu können, bedarf es eines nicht unerheblichen Einsatzes eines Vermögenswertes. Einsatz ist jede Vermögensleistung, die in der Hoffnung auf Gewinn und mit dem Risiko des Verlustes an den Gegenspieler oder Veranstalter erbracht wird, wobei es sich wegen der notwendigen Abgrenzung zum bloßen Unterhaltungsspiel um einen Einsatz handeln muss, der nicht ganz unbeträchtlich ist.

3. Ob ein Einsatz als nicht ganz unbeträchtlich einzuordnen ist, bestimmt sich jedenfalls bei jedermann offenstehenden Glücksspielen nach den gesellschaftlichen Anschauungen. Dabei kann das Kriterium des erforderlichen Aufwands für eine anderweitige unterhaltende Veranstaltung zur Orientierung herangezogen werden. Danach dürfte derzeit ein möglicher Verlust von mehr als 10 € in der Stunde auf ein Glücksspiel hindeuten.

4. Im Steuerstrafverfahren ist die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen zulässig, wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, die tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss sind. Die Darstellung der gewählten Schätzungsmethode ist jedoch rechtsfehlerhaft, wenn sich eine einheitliche Verfahrensweise der Aufstellung der errechneten Verkürzungsbeträge nicht entnehmen lässt und die Aufstellung auch nicht durchgängig ermöglicht, dass für jede Steuerart und jeden Steuerabschnitt gesondert die Berechnung der verkürzten Steuern im Einzelnen nachvollzogen werden kann.

5. Ob beim Zusammentreffen einer Freiheitsstrafe mit Einzelgeldstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe gebildet wird oder eine Geldstrafe oder Gesamtgeldstrafe selbständig neben der Freiheitsstrafe ausgesprochen wird, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Dabei hat es unter Berücksichtigung der allgemeinen Strafzumessungserwägungen zu prüfen, ob eher eine längere Gesamtfreiheitsstrafe oder eine kürzere Freiheitsstrafe neben einer Geldstrafe den Strafzwecken entspricht. Die Verhängung einer Geldstrafe neben einer Freiheitsstrafe bildet die Ausnahme; sie bedarf daher – anders als der Regelfall der Gesamtstrafenbildung – regelmäßig besonderer Begründung.


Entscheidung

1017. BGH 3 StR 490/16 - Urteil vom 27. Juli 2017 (LG Koblenz)


Untreue (Vermögensbetreuungspflicht; Nachteil; gegenseitige Verträge; Unkenntnis des Vermögensinhabers von der Verfügbarkeit der Gegenleistung; Kompensation; objektive Betrachtung; individueller Schadenseinschlag; Abgrenzung zu „schwarzen Kassen“); Deliktsserie bei Korruptionsdelikten (allgemeine Willensübereinkunft zur fortgesetzten Deliktsbegehung; Verantwortlichkeit für einen Geschäftsbetrieb; konkrete Beteiligung am Einzeldelikt; Konkurrenzen; Tateinheit; Tatmehrheit; natürliche Handlungseinheit; Gewerbsmäßigkeit bei Vorteilsnehmer oder Vorteilsgeber; mittelbare Gewinnerzielung über Gesellschaftsbeteiligung; vorteilsbegünstigter Dritter); Strafzumessung (minder schwerer Fall; Gesamtwürdigung aller strafzumessungserheblichen Umstände; bestimmendes Gewicht einzelner Umstände).

§ 25 StGB; § 27 StGB; § 46 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB; § 266 StGB; § 331 StGB; § 332 StGB; § 333 StGB; § 334 StGB; § 335 StGB

1. Im Rahmen des § 266 StGB wird eine den Vermögensnachteil hindernde Kompensation bei gegenseitigen Verträgen nicht ohne Weiteres dadurch ausgeschlossen, dass der Vermögensinhaber keine Kenntnis von der Existenz und Verwendbarkeit einer erlangten Gegenleistung hat. Ein tatsächlicher Vermögenszuwachs verliert nicht allein deshalb seine kompensierende Wirkung, weil er dem Vermögensinhaber bis zur Aufdeckung der Tat nicht bekannt war. Das gilt jedenfalls dann, wenn sich der Vermögensinhaber die Kenntnis, etwa durch eine Inventur, verschaffen könnte. Mit der Verbringung von Geld in sog. „schwarze Kassen“ ist diese Konstellation nicht ohne Weiteres vergleichbar.

2. Verabreden sich Mehrere, auf eine bestimmte Weise fortgesetzt eine Vielzahl von Straftaten zu begehen, so hat dies nicht zur Folge, dass alle auf Grund der allgemeinen Willensübereinkunft ausgeführten Taten der Serie den an der Abrede Beteiligten als gemeinschaftlich begangen im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen wären. Vielmehr ist gesondert für jeden von ihnen und jede einschlägige Tat zu beurteilen, inwieweit der Einzelne hieran als (Mit-)Täter, Anstifter oder Gehilfe mitgewirkt oder ob er hierzu gegebenenfalls überhaupt keinen tatfördernden Beitrag geleistet hat.

3. Die unter 2. genannten Grundsätze, die für die Zurechnung von auf Grund einer Bandenabrede ausgeführten Taten an die Bandenmitglieder entwickelt wurden und inzwischen gefestigte Rechtsprechung sind (vgl. etwa BGH HRRS 2013 Nr. 442), sind ohne weiteres auf andere Formen einer allgemeinen Willensübereinkunft zur fortgesetzten Deliktsbegehung zu übertragen. Die (Mit-)Verantwortlichkeit für einen Geschäftsbetrieb, dessen sich die Handelnden abredegemäß für die Ausführung der einzelnen Taten bedienen, vermag für sich gesehen eine individuelle Beteiligung an dem Einzeldelikt nicht zu begründen.

4. Erfüllt ein Mittäter hinsichtlich aller oder einzelner Taten einer Deliktsserie sämtliche Tatbestandsmerkmale in eigener Person oder leistet er für sämtliche oder einige Einzeltaten zumindest einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten, soweit nicht natürliche Handlungseinheit vorliegt, als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Erbringt dagegen ein Mittäter oder Gehilfe im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktserie Tatbeiträge, durch die alle oder je mehrere Einzeldelikte der Mit- bzw. Haupttäter gleichzeitig gefördert werden, so sind ihm diese insoweit als tateinheitlich begangen zuzurechnen, weil sie in seiner Person durch den jeweiligen einheitlichen Beitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ob die (Mit-)Täter die einzelnen ihnen zurechenbaren Delikte tatmehrheitlich begangen haben, ist demgegenüber ohne Belang.

5. Gewerbsmäßig handelt, wer die Absicht hat, sich durch wiederholte Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende, nicht ganz unerhebliche Einnahmequelle zu verschaffen. Dass der Täter tatbedingt tatsächlich Einnahmen erzielt, ist indes nicht erforderlich. Bei Korruptionsdelikten kann gewerbsmäßig nicht nur der Vorteilsannehmende handeln, der sich aus den Bestechlichkeitstaten eine Einnahmequelle erschließen will, sondern auch der Gewährende, bei dem sich aus den Bestechungstaten nur mittelbar Einnahmen infolge der pflichtwidrigen Diensthandlungen ergeben können. Dabei ist nicht erforderlich, dass die Vorteile dem Täter direkt zufließen sollen; insbesondere reicht es aus, wenn er beabsichtigt, von ihnen über eine von ihm beherrschte Gesellschaft zu profitieren.


Entscheidung

1050. BGH 1 StR 573/16 - Beschluss vom 10. August 2017 (LG Stade)

Betrug (Vermögensschaden: Schadensberechnung bei Hingabe eines Darlehens); Steuerhinterziehung durch Unterlassen (Verstoß gegen eine insolvenzrechtlich begründete Aufklärungs- und Mitwirkungspflicht).

§ 263 Abs. 1 StGB; § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO

1. Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtung unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des Gesamtwertes seines Vermögens führt (Prinzip der Gesamtsaldierung. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswertes unmittelbar vor und nach der Verfügung.

2. Ob und in welchem Umfang die Hingabe eines Darlehens einen Vermögensschaden bewirkt, ist daher durch einen für den Zeitpunkt der Darlehenshingabe anzustellenden Wertvergleich mit dem Rückzahlungsanspruch des Darlehensgläubigers zu ermitteln. Die Werthaltigkeit des Rückzahlungsanspruchs wird dabei durch die Bonität des Schuldners und den Wert der bestellten Sicherheiten bestimmt. Ein Schaden entsteht nur, wenn die vorgespiegelte Rückzahlungsmöglichkeit nicht besteht und auch gegebene Sicherheiten wertlos oder minderwertig sind. Auch bei einer eingeschränkten oder fehlenden finanziellen Leistungsfähigkeit des Schuldners entsteht demnach insoweit kein Schaden, wenn und soweit der getäuschte Gläubiger über werthaltige Sicherheiten verfügt, die sein Ausfallrisiko abdecken und – ohne dass der Schuldner dies vereiteln könnte – mit unerheblichem zeitlichen und finanziellen Aufwand realisierbar sind. Ein Minderwert des Rückzahlungsanspruchs, etwa infolge einer Täuschung über die

Bonität, kann mithin durch den Wert hinreichend werthaltiger und liquider Sicherheiten kompensiert werden.

3. Der Verstoß gegen eine insolvenzrechtlich begründete Aufklärungs- und Mitwirkungspflicht erfüllt nicht ohne weiteres den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Tatbestandsmäßig ist nur pflichtwidriges Unterlassen gegenüber den Finanzbehörden. Nach ständiger Rechtsprechung kann Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist und nicht derjenige, der nur „bewirkt, dass die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen werden“.


Entscheidung

1028. BGH 1 StR 306/16 - Beschluss vom 16. Mai 2017 (LG München I)

Betrug (Vermögenschaden: Prinzip der Gesamtsaldierung, Ermittlung des Werts von Aktien); unrichtige Darstellung der Verhältnisse einer Kapitalgesellschaft (Begriff der Unrichtigkeit).

§ 263 Abs. 1 StGB; § 331 Nr. 1 HGB

1. Wurde der Getäuschte bei § 263 Abs. 1 StGB zur Ausübung der Option zur Zeichnung von Aktien veranlasst, sind bei der für die Schadensbestimmung erforderlichen Gesamtsaldierung der Wert (Marktwert) der (vermeintlich) erworbenen Aktien und der hierfür entrichtete Kaufpreis miteinander zu vergleichen. Für die erworbenen Aktien ist zunächst ein Verkehrs- oder Marktwert ggf. unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen zu ermitteln (vgl. BGH NJW 2016, 3543). Dabei wird der vereinbarte Kaufpreis der Aktien als Anhaltspunkt für den maßgeblichen Marktwert zu berücksichtigen sein. Ein wichtiges Indiz dafür, dass der Kaufpreis dem Marktwert entsprach, wäre der Umstand, dass die vermeintlich erworbenen Aktien auch anderen Anlegern am Markt für denselben Stückpreis angeboten und verkauft wurden (vgl. BGHSt 61, 149). Bei einer Bewertung des Vermögensschadens anhand des vereinbarten Stückpreises muss im Blick behalten werden, dass der Erwerb von Aktien auch immer das zukünftige Gewinnerwartungspotential eines Unternehmens zum Ausdruck bringt und diese Erwartung gerade nicht den gegenwärtigen wirtschaftlichen Wert der Gegenleistung widerspiegelt. Insofern wäre der Kaufpreis der Aktie jedenfalls um derartige Erwartungen zu bereinigen (vgl. NStZ-RR 2015, 374).

2. Die unrichtige Darstellung der Verhältnisse einer Kapitalgesellschaft beschränkt sich nicht auf unwahre Angaben. Unrichtig können nicht nur Aussagen über Tatsachen, sondern auch – evtl. auf zutreffenden Tatsachen beruhende – Schlussfolgerungen, wie Bewertungen, Schätzungen und Prognosen sein.


Entscheidung

1041. BGH 1 StR 180/17 - Beschluss vom 26. Juli 2017 (LG Frankfurt am Main)

Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (Beendigung).

§ 266a Abs. 1 und 2 StGB

Taten nach § 266a Abs. 1, Abs. 2 StGB sind erst beendet, wenn die Beitragspflicht erloschen ist, sei es durch Beitragsentrichtung oder Wegfall des Beitragsschuldners.


Entscheidung

998. BGH 3 StR 69/17 - Urteil vom 4. Mai 2017 (LG Hannover)

Strafbare Teilnahme an der unerlaubten Einreise trotz etwaiger Straflosigkeit des Einreisenden (Vorrang des Rückführungsverfahrens; persönlicher Strafaufhebungsgrund; Prozesshindernis): Flüchtlingsschutz trotz Durchreise durch einen europäischen Drittstaat; Beweiswürdigung; Strafzumessung.

§ 261 StPO; § 46 StGB; § 95 AufenthG; Art. 31 Abs. 1 Genfer Flüchtlingskonvention

1. Eine Strafbarkeit wegen Teilnahme an der unerlaubten Einreise eines Ausländers scheitert nicht an einer etwaigen Straflosigkeit des Einreisenden, sofern diese aus dem Vorrang des Rückführungsverfahrens folgt, der von der sogenannten „Rückführungsrichtlinie“ in ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof angeordnet wird (vgl. bereits zu § 96 AufenthG BGH HRRS 2017 Nr. 421). Dabei muss der Senat nicht entscheiden, in welchen Fallkonstellationen und unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen die Regelungen der Rückführungsrichtlinie einer Bestrafung von Drittstaatsangehörigen entgegenstehen.

2. Eine etwaige Straflosigkeit des unerlaubt Einreisenden wirkt sich jedenfalls deshalb nicht auf die Strafbarkeit des Teilnehmers aus, weil es auch mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH und die darin angestellten Erwägungen, die sich auf einer praktischen Ebene bewegen, nicht geboten ist, den Vorrang des Rückführungsverfahrens dadurch zu erreichen, dass schon die Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des illegalen Aufenthalts verneint werden. Vielmehr kann aus diesem Vorrang allenfalls die persönliche Straflosigkeit der illegal Aufhältigen bzw. Eingereisten oder ein diesbezügliches (partielles) Bestrafungsverbot hergeleitet werden, was etwa durch die Annahme eines persönlichen Strafaufhebungsgrundes oder eines Prozesshindernisses realisiert werden kann.


Entscheidung

1079. BGH 4 StR 298/17 - Beschluss vom 12. September 2017 (LG Bochum)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Konkurrenzen).

§ 29a Abs. 1 BtMG

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verwirklicht der gleichzeitige Besitz unterschiedlicher Betäubungsmittelmengen den Tatbestand des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln nur einmal.

2. Dient der Besitz an den Betäubungsmitteln dem Zweck der gewinnbringenden Weiterveräußerung, tritt die Strafbarkeit wegen Besitzes hinter das täterschaftlich begangene unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zurück, während zwischen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und Besitz Tateinheit besteht.

3. Besitzt der Täter Betäubungsmittel teils zur gewinnbringenden Weiterveräußerung und teils zu anderen Zwecken, geht lediglich der Besitz an der zum Handel bestimmten Betäubungsmittelmenge im Handeltreiben mit Betäubungsmitteln auf. Für die anderen Zwecken dienende Menge verbleibt es dagegen bei der Strafbarkeit wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln.

Zwischen dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und dem gleichzeitigen Besitz der davon nicht betroffenen Betäubungsmittelmenge besteht Tateinheit.

4. Mangels Wertgleichheit hat der Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht die Kraft, selbständige, die Voraussetzungen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG erfüllende Taten des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge untereinander zur Tateinheit zu verbinden. Demgegenüber werden an sich selbständige Taten der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durch einen einheitlichen Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer materiellrechtlichen Tat verklammert.


Entscheidung

1014. BGH 3 StR 331/17 - Beschluss vom 22. August 2017 (LG Koblenz)

Bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Beisichführen; jederzeitige Gebrauchsbereitschaft; Zugriffsmöglichkeit ohne Zeitaufwand; mehrere Einzelakte; gleichzeitiger Zugriff auf Betäubungsmittel und Waffe); keine Begehung während laufender Bewährung bei lediglich noch ausstehendem Beschluss über Straferlass; rechtsfehlerhafte Berechnung des Vorwegvollzugs.

§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG; § 56a StGB; § 56g StGB; § 67 StGB

1. Bewaffnetes Handeltreiben im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG setzt voraus, dass der Täter die Schusswaffe (oder den sonstigen Gegenstand) bei der Tat mit sich führt, sie also bewusst gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat, dass er sich ihrer jederzeit bedienen kann. Das ist der Fall, wenn dem Täter die Waffe in Griffnähe oder zumindest so zur Verfügung steht, dass ihm der Zugriff hierauf ohne nennenswerten Zeitaufwand möglich ist.

2. Setzt sich die Tat aus mehreren Einzelakten zusammen, so reicht es zur Tatbestandserfüllung aus, wenn der qualifizierende Umstand nur bei einem Einzelakt verwirklicht ist. Jedoch erfordert § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG für diesen Fall, dass der Täter zugleich Betäubungsmittel und Waffe in der Weise verfügungsbereit hält, dass er beim Umgang mit dem Betäubungsmittel jedenfalls ohne nennenswerten Zeitaufwand auf die Waffe zugreifen kann; es genügt insoweit, dass der Täter sowohl die Waffe als auch das Betäubungsmittel dergestalt in der Verwahrung hält, dass ihm der gleichzeitige Zugriff hierauf möglich wäre.


Entscheidung

1030. BGH 2 StR 280/17 - Urteil vom 6. September 2017 (LG Erfurt)

Bewaffnetes unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Bestimmung des sonstigen Gegenstands zur Verletzung von Personen).

§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG

Der Tatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG setzt voraus, dass der Täter den bei der Tat mit sich geführten Gegenstand, wenn es sich bei diesem nicht um eine Schusswaffe handelt, zur Verletzung von Personen bestimmt hat. Um dieses Qualifikationsmerkmal zu verwirklichen, bedarf es einer darauf gerichteten Zweckbestimmung des Täters. Eine solche Zweckbestimmung muss grundsätzlich vom Tatrichter näher festgestellt und begründet werden.