HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Aug./Sept. 2011
12. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Pleiten, Pech und Pannen – Ein Blick auf die revisionsgerichtliche Praxis der strafverfahrensrechtlichen Rügeverkümmerung

Zugleich Besprechung von BGH HRRS 2011 Nr. 775 = BGH 3 StR 485/10 vom 28.6.2011*

Von RA Klaus-Ulrich Ventzke, Hamburg

I.

Bei der Suche nach Anhaltspunkten für erfolgversprechende Verfahrenrügen fiel der Blick des Revisionsverteidigers des von dem LG Oldenburg am 08.07.2010 wegen verschiedener Betäubungsmittelstraftaten zu neun Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilten Beschwerdeführers auf die Schilderung der Endphase der Hauptverhandlung in dem ursprünglichen Hauptverhandlungsprotokoll (§§ 271 Abs. 1, 273 Abs. 4 StPO). Es berichtete von folgendem Verfahrensgang:

Die Beweisaufnahme wurde geschlossen, die Schlußanträge gehalten. Der Angeklagte hatte das letzte Wort, er wurde befragt, ob er selbst noch etwas zur Verteidigung auszuführen habe und – so das Protokoll wörtlich – "erklärte sich". Die Hauptverhandlung wurde unterbrochen. Die Kammer trat nochmals in die Beweisaufnahme ein, beschloß eine Teileinstellung gem. § 154 Abs. 2 StPO und gab einen rechtlichen Hinweis zu zwei der später abgeurteilten Straftaten. Die Beweisaufnahme wurde erneut geschlossen. Was vor Urteilsberatung und Verkündung des angefochtenen Urteils geschah, hielt das Protokoll wie folgt fest:

"Die Staatsanwältin, die Verteidigerin und der Angeklagte wiederholten ihre Anträge."

Mußte die Lektüre dieser Protokollpassage den Verteidiger – erst recht nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des BGH vom 23.04.2007 zur Zulässigkeit der rügevernichtenden Protokolländerung [1] – veranlassen, über die Frage nachzudenken, ob eine sie aufgreifende Verfahrensrüge gem. § 258 Abs. 2 und 3 StPO geeignet sein könnte, den Bestand des Urteils zu gefährden? Die Verneinung dieser Frage schien sich aufzudrängen, weil die revisionsrechtlichen Möglichkeiten auf der Hand lagen, der (vermeintlichen) Beweiskraft der Protokollpassage zur Begründung einer derartigen Verfahrensrüge den Garaus zu machen; der 3. Strafsenat sollte dann auch das ihm zur Verfügung stehende revisionsrechtliche Instrumentarium im einzelnen auf dessen Tauglichkeit durchmustern, eine solchermaßen hergeleitete Rüge zu entkräften.

  • War die Passage nicht einer Auslegung dahingehend zugänglich, daß die Formulierung "Anträge" auch die früheren "Erklärungen" des Angeklagten umfaßte? Immerhin erwies sich die revisionsgerichtliche Rechtsprechung seit jeher als durchaus phantasievoll, wenn es darum ging, einem Hauptverhandlungsprotokoll einen mit einer erhobenen Verfahrensrüge nicht zu vereinbarenden Inhalt zu entnehmen. Nur beispielhaft eine Entscheidung des 1. Strafsenats des BGH, die die Rüge betrifft, der Tatrichter sei seiner sich aus §§ 231b Abs. 2, 231a Abs. 2 StPO ergebenden Verpflichtung nicht ausreichend nachgekommen, den wieder an der Hauptverhandlung teilnehmenden Angeklagten über den in dessen Abwesenheit erfolgten Gang der Beweisaufnahme zu unterrichten:

    "Im Protokoll muss als wesentliche Förmlichkeit nur die Unterrichtung, nicht aber ihr Inhalt im Einzelnen beurkundet werden (…). Ausweislich des von der Revision wiedergegebenen Sitzungsprotokolls wurde der Angeklagte S. nach seiner Wiederzulassung `über den Inhalt der weiteren Zeugenvernehmung H. informiert´ (RB Rechtsanwalt R. S. 23). Der Begriff `Inhalt der Vernehmung´ umfasst nicht nur den Inhalt der Zeugenaussage an sich, sondern auch den Gang der Vernehmung – sprich die damit in Zusammenhang stehenden Anträge, Erklärungen, Beschlüsse sowie die Vorlage von Augenscheinsobjekten. Das Vorbringen der Revision bezüglich der unzulänglichen Unterrichtung steht damit im Widerspruch zur Sitzungsniederschrift (§ 273 StPO) und ist nicht nachgewiesen." [2]

    Diesen Weg zur Erledigung der Verfahrensrüge geht der 3. Strafsenat des BGH [3] – anders als vom Generalbundesanwalt angeregt – nicht. Vielmehr weist er darauf hin, es komme zwar nicht darauf an, ob der Begriff "letztes Wort" im Hauptverhandlungsprotokoll auftauche, solange deutlich erkennbar bleibe, "dass das Gericht den Angeklagten befragt und ihm Gelegenheit gegeben hat, sich als letzter zu äußern", teilt indes apodiktisch mit, vorliegend könne er dies "aus der vom Landgericht [4] hier gewählten Formulierung (…) nicht ableiten."
  • Führte diese Einschätzung dann nicht zwanglos zu der ebenfalls vorauszusehenden Beurteilung, die erwogene Verfahrensrüge sei jedenfalls deshalb unbehelflich, weil die Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls mit der Folge in Fortfall geraten sei, daß der tatsächliche Verfahrensgang im Weg des Freibeweises zu klären war, soweit dem nicht ohnehin das revisionsrechtliche Rekonstruktionsverbot entgegenstand? Auch insoweit war die revisionsgerichtliche Rechtsprechung bis zuletzt durchaus kreativ. Hierfür ein Beispiel aus der Rechtsprechung des 2. Strafsenats des BGH, das eine Rüge der Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (§§ 250 S. 2, 256 Abs. 1 StPO) zum Gegenstand hat:

    "Näherer Erörterung bedarf allein zu Fall 3 die Rüge, die Verlesung des Berichtes des Klinikums K. vom 8. Dezember 2008 verstoße gegen § 256 Abs.  1 Nr. 2 StPO, weil sie zumindest auch zum Nachweis des versuchten Tötungsdelikts zum Nachteil des Nebenklägers gedient habe. Der Generalbundesanwalt hat sich der Rüge angeschlossen. Sie greift jedoch nicht durch. Ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO ist nicht bewiesen. Im Protokoll (Bl. 95 Bd. II) heißt es, `dass der Vermerk über die Aufnahme des Klinikums K. vom 8.12.2008, Bl. 127 f. Bd. I d.A. … von dem Vorsitzenden verlesen´ wurde. Diese Formulierung lässt vor dem Hintergrund, dass der betreffende Arztbericht im Zusammenhang mit der Vernehmung des Nebenklägers in die Hauptverhandlung eingeführt wurde, die Möglichkeit offen, dass die Verlesung nicht nach §  256 Abs. 1 Nr. 2 StPO im Urkundsbeweis, sondern zum Zwecke des Vorhalts im Rahmen dieser Vernehmung erfolgte. Für die Annahme eines bloßen Vernehmungsbehelfs könnte – außer dem Umstand, dass §  256 StPO nicht ausdrücklich genannt wird – insbesondere sprechen, dass das Schriftstück nicht als Attest oder Gutachten, sondern als `Vermerk´ bezeichnet wird. Soweit der Generalbundesanwalt auf die Formulierung im Urteil hinweist, dass die Feststellungen zu den Verletzungen auch auf der Verlesung des ärztlichen Attestes beruhten (UA 19), könnte mit Rücksicht darauf allenfalls in Betracht gezogen werden, das Landgericht habe bei seiner Überzeugungsbildung ein Beweismittel verwertet, das nicht Gegenstand der Hauptverhandlung war. Insoweit hätte es jedoch der – vom Beschwerdeführer nicht erhobenen – Verfahrensrüge bedurft, das Landgericht habe seine Überzeugung entgegen § 261 StPO nicht aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpft:" [5]

    Die Auswüchse dieser Praxis [6] zurechtzustutzen, war ein nicht unwesentliches Anliegen des Großen Senats gewesen, das ihn veranlaßte, das formalisierte Protokollberichtigungsverfahren zu
  • entwickeln.[7] Dieser Gedanke war in der Folgezeit zuerst vom 5. Strafsenat des BGH [8] fruchtbar gemacht worden. Er wies darauf hin, er entnehme dieser Grundsatzentscheidung "eine substantielle Änderung des Strafverfahrensrechts [9] dahingehend, dass Protokollmängel in erster Linie im Protokollberichtigungsverfahren zu beseitigen sind", so daß "daneben eine offensichtliche Lückenhaftigkeit des Protokolls, die abweichende Feststellungen im Freibeweisverfahren zuließe, nunmehr lediglich in Fällen krasser Widersprüchlichkeit des Protokollinhalts in sich angenommen werden (dürfte)." Dieses Argument vertiefte später der 2. Strafsenat des BGH [10] ; weniger grundsätzlich ansetzend hatte der 1. Strafsenat des BGH [11] bereits wiederholt Gelegenheit zu dem Hinweis gehabt, eine rügeverkümmernde Protokolländerung könne nicht durch bloße Abgabe dienstlicher Erklärungen bewirkt werden. Diesem (überzeugenden) Ansatz schließt sich der 3. Strafsenat in seiner Entscheidung vom 28.06.2011 an und erteilt deshalb der wiederum gegenteiligen Auffassung des Generalbundesanwalts eine Absage. Ihr hält er vor allem entgegen, im Vergleich zu dem richterrechtlich entwickelten "förmlichen Berichtigungsverfahren biete das Freibeweisverfahren nur geringere verfahrensrechtliche Sicherungen für die Ermittlung des wahren Sachverhalts." [12] Ob er damit die von ihm parallel zum Protokollberichtigungsverfahren zur Bekämpfung sog. unwahrer Verfahrensrügen entwickelte Mißbrauchslösung [13], die gerade auf die Aussagekraft dienstlicher Erklärungen vertraute, aufgibt, läßt der Senat freilich nicht erkennen. Argumentativ schlüssig wäre eine derartige Konsequenz. [14]
  • War es dann aber nicht von vornherein [15] ein abergläubischer Versuch, als Revisionsverteidiger auf der Grundlage der Ursprungsfassung des Protokolls, das immerhin eine Äußerung des Angeklagten nach der erneuten Schließung der Beweisaufnahme dokumentierte, die Verletzung des letzten Worts zu rügen, da sich jedenfalls das Ergebnis eines sicher zu erwartenden Protokollberichtigungsverfahrens von selbst verstand?

II.

Das, was die Urkundspersonen nach Eingang der Revisionsbegründung hätten veranlassen müssen, wenn ihre sichere Erinnerung [16] die Unrichtigkeit des protokollgestützten Beschwerdevorbringens ergab, schien nämlich überschaubar und leicht handhabbar zu sein. [17] Das Protokollberichtigungsverfahren bewegt sich gegenüber dem betroffenen Revidenten über vier Stufen:

  • Stufe 1: Bekanntmachung der Absicht der Protokolländerung unter Beifügung aussagekräftiger dienstlicher Erklärungen der Urkundspersonen sowie Gewährung rechtlichen Gehörs hierzu. [18]
  • Stufe 2: Bei substantiiertem Widerspruch des Beschwerdeführers Einholung dienstlicher Erklärungen der anderen Verfahrensbeteiligten und erneute Gewährung rechtlichen Gehörs.
  • Stufe 3: Protokollberichtigung auf der Grundlage eines insbesondere im Fall streitiger Protokolländerung begründeten (beweiswürdigenden) Beschlusses.
  • Stufe 4: Überprüfungs- und Aufklärungsmöglichkeit des Revisionsgerichts im herkömmlichen Freibeweisverfahren unter Geltung der Beweisregel: "Im Zweifel für die Ursprungsfassung".
1.

Blickt man in die überraschend [19] wenigen Entscheidungen des BGH, denen eine erfolgreiche Rügeverkümmerung zugrunde liegt, so scheint die vor immerhin vier Jahren von dem Großen Senat gefundene Lösung jedenfalls dann ohne weiteres praktisch handhabbar zu sein, wenn einerseits die Befürworter der konkreten Rügeverkümmerung in detailliierter Weise den "wirklichen" Verfahrensgang belegen konnten und andererseits die Verteidiger der Ursprungsfassung des Protokolls dem argumentativ nichts Substantielles entgegenzusetzen hatten. Besonders deutlich macht dies ein – die Protokollberichtigung im Fall einer Inbegriffsrüge (§ 261 StPO) auf Stufe 4 billigender – Beschluß des 3. Strafsenats des BGH [20] :

"Die Berichtigungsentscheidung hält auch in der Sache der Überprüfung stand; der Senat hat aufgrund der umfangreichen und substantiierten Begründung keine Zweifel an der Richtigkeit des berichtigten Protokolls (vgl. BGH – GS – aaO 317). Die Strafkammervorsitzende und der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle haben nicht lediglich pauschal einen Fehler der Sitzungsniederschrift behauptet, sondern zum betreffenden Geschehen während der Hauptverhandlung detailreiche Angaben gemacht und mehrere markante, die tatsächliche Verlesung belegende Umstände benannt. Die Vorsitzende hat unter Angabe zahlreicher Einzelheiten erklärt, sich sicher zu sein, dass der Inhalt der Vernehmungen im ausdrücklichen Einvernehmen mit allen Verfahrensbeteiligten verlesen worden sei. Dies sei in der Ursprungsfassung des Hauptverhandlungsprotokolls auch so notiert gewesen. Der Protokollführer hat ausgeführt, er habe die konkrete positive Erinnerung daran, dass die Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung verlesen worden sei. Wenn er die Bekundungen im Nachhinein durchlese, kämen ihm einzelne Passagen sofort wieder in Erinnerung; dieses Erinnern könne nur aus der Hauptverhandlung rühren, da ihm die Akten zuvor nicht vorgelegen hätten. Als Grund für die fehlerhafte Endfassung des Protokolls komme nur eine zwischenzeitliche Löschung der entsprechenden Passagen im Computer in Betracht; dies sei jedoch trotz intensiver Bemühungen nicht mehr aufklärbar. Auch der beisitzende Richter, beide Schöffen, die Nebenklägervertreterin sowie – wenn auch mit gewissen Einschränkungen – die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft konnten sich an die Verlesung erinnern. Der beisitzende Richter hat ausgeführt, er sei sich sicher, dass die Verlesung erfolgt sei, was sich auch seinen während der Hauptverhandlung gefertigten handschriftlichen Aufzeichnungen entnehmen lasse. Die entsprechenden Mitschriften sind seiner Stellungnahme beigefügt, was dieser ein zusätzliches Gewicht verleiht. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft hat sich dahin geäußert, sie verfüge über eine Notiz, wonach die Verlesung für den dritten Hauptverhandlungstag geplant gewesen sei. Sie sei auch beschlossen worden. Sie vermöge sich allerdings nicht mehr `sicher´ zu erinnern, ob der Beschluss auch ausgeführt worden sei. Beide Schöffen – die keine vorherige Aktenkenntnis hatten – und die Nebenklägervertreterin haben in getrennten Erklärungen ausgeführt, sie könnten sich an die Verlesung der Niederschriften erinnern. Unter diesen Umständen ist trotz der entgegenstehenden Äußerungen der Verteidiger für Zweifel daran, dass lediglich ein Protokollierungsfehler vorlag, kein Raum; eine weitere Aufklärung des Geschehens im Freibeweisverfahren ist nicht veranlasst."

Dieser Befund wird durch ein Gegenbeispiel bestätigt: Weil ihm die dem Protokollberichtigungsbeschluß zugrundeliegenden dienstlichen Erklärungen der Urkundspersonen nicht beweiskräftig erschienen, hat der 2. Strafsenat des BGH [21] unlängst gleichsam spiegelbildlich [22] im Fall einer an das Selbstleseverfahren anknüpfenden Inbegriffsrüge (§§ 261, 249 Abs. 2 StPO) den eher halbherzig unternommenen Versuch einer Rügeverkümmerung scheitern lassen. Prägnant heißt es in dieser Entscheidung:

"Die vorliegend durch die Vorsitzende und die Protokollführerin erfolgte Berichtigung des Protokolls hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, denn die Berichtigungsentscheidung wird nicht durch die in Bezug genommenen dienstlichen Erklärungen der beiden Urkundspersonen getragen. Grundlage einer jeden Protokollberichtigung ist die sichere Erinnerung der Urkundspersonen. Fehlt es hieran, kann ein Protokoll nicht mehr berichtigt werden (BGHSt 51, 298, 314, 316). Die vorliegenden dienstlichen Erklärungen der beiden Urkundspersonen enthalten keinen Hinweis darauf, dass hinsichtlich der in den Anlagen 3 und 4 aufgeführten Urkunden gemäß § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO durch die Vorsitzende in der Hauptverhandlung eine Feststellung der Kenntnisnahme getroffen und diese von der Protokollführerin lediglich nicht protokolliert wurde. Die in den dienstlichen Erklärungen enthaltene Behauptung, das Selbstleseverfahren sei durchgeführt worden, ist demgegenüber unbeachtlich."
2.

Was geschieht aber, wenn die Urkundspersonen das Protokollberichtigungsverfahren nicht oder aber fehlerhaft durchführen? Insbesondere: Darf das Revisionsgericht die Einleitung des Verfahrens anregen oder gar aktiv dafür Sorge tragen, daß es ordnungsgemäß – sei es hinsichtlich der Partizipationsrechte des Beschwerdeführers, sei es hinsichtlich der übrigen teils formellen, teils inhaltlichen Voraussetzungen – umgesetzt wird? Schon wegen des mit (zu) viel Pathos bemühten Kriteriums "Wahrheit" im Begründungszusammenhang der Entscheidung des Großen Senats[23] neigt man intuitiv dazu, diese Frage einerseits ohne weiteres zu bejahen, andererseits für den Fall überschießender revisionsgerichtlicher Bemühungen um eine wirksame Rügeverkümmerung auf das Verfahren gem. § 24 StPO zu verweisen. Jedenfalls ersteres hat auch der 1. Strafsenat des BGH [24] so gesehen:

"Eine Protokollberichtigung ist aber ersichtlich bislang nicht vorgenommen worden. Der Senat schließt jedoch aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts aus, dass der Strafausspruch auf der ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls unterlassenen Verlesung des Urteils vom 31. März 2003 beruht. Er kann deshalb von der im Hinblick auf die dienstlichen Stellungnahmen der Berufsrichter und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft an sich gebotenen Rücksendung der Strafakten an das Landgericht zur Prüfung, ob eine Protokollberichtigung vorzunehmen ist, absehen."
a)

Bemerkenswerterweise haben manche Revisionsgerichte versucht, einen anderen Weg einzuschlagen. Dem OLG Hamm [25], von dem die einschlägige Leitentscheidung stammt, bot sich anhand der Akte das folgende atemberaubende Bild der Bemühungen der Urkundspersonen einer Kleinen Strafkammer des LG Essen, einer Inbegriffsrüge (§ 261 StPO) im Nachhinein die Grundlage zu entziehen:

"Mit Verfügung vom 4. August 2008 übersandte die Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf die Rüge der Verletzung des § 261 StPO die Akten dem Landgericht mit der Bitte um Prüfung, ob ggfls. eine Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls dahin in Betracht komme, dass die türkischen Registerauszüge in Augenschein genommen worden seien.
Daraufhin verfügte die Strafkammervorsitzende am 14. August 2008:
`V
1. Vermerk: Ich bin mir sicher, dass wir ins Register gesehen haben.
2. U.m.A. Frau S…. (Protokollführerin = Zusatz des Senats), Bl.721 haben Sie noch eine Erinnerung?´
Zu dieser Verfügung findet sich folgende Antwort
`zu 1 + 2 gen. 30.9.08 S…´
Darüber hinaus findet sich folgende Protokollergänzung auf Seite 3 des Hauptverhandlungsprotokolls:
`Die türkischen Registerauszüge lagen vor und wurden zu Beweiszwecken in Augenschein genommen gen. 30.9.2008 S…´
Am 7. Oktober 2008 erließ die Strafkammervorsitzende folgenden Beschluss:
`V
`In pp wird das Protokoll vom 06.06.2008 dahingehend ergänzt, dass die türkischen Registerauszüge in Augenschein genommen worden sind. Das Register ist in der Verhandlung in Augenschein genommen und erörtert worden. Dies ist versehentlich nicht im Protokoll vermerkt worden.
Landgericht Essen Strafkammer XIII
Essen, 07.10.2008
2. Frau S.. mit der Bitte um Genehmigung des Beschlusses
3. Protokoll mit dem Berichtigungsbeschluss verbinden und de(m) Verteidiger erneut zustellen
4 u.m.A. der StA
-hier-
zur Durchführung des Revisionsverfahrens´.
Der Ziffer 2 dieser Verfügung vom 7. Oktober 2008 ist handschriftlich hinzugefügt: `ges. u. gen. 08.10.08 S.´"

Das über eine derartige Unprofessionalität erkennbar erzürnte Revisionsgericht ließ kurzerhand die Verfahrensrüge auf der Grundlage der ursprünglichen Protokollfassung durchgreifen. Knapp beschied es die Verfahrensbeteiligten hierzu:

"Vorliegend haben sich die Strafkammervorsitzende und die Protokollführerin nicht an das vom Bundesgerichtshof geforderte Verfahren gehalten (…), sondern in Kenntnis der erhobenen Verfahrensrüge das Protokoll durch Beschluss vom 7. Oktober 2008 ohne vorherige Anhörung der Revisionsführerin und ohne ausreichende nachvollziehbare Begründung berichtigt. Sowohl die Effektivität des Rechtsmittels der Revision als auch das verbürgte Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren gebieten es in diesem Fall, die spätere Berichtigung des Protokolls außer acht zu lassen und dem Revisionsgericht seiner Entscheidung das Protokoll in der ursprünglichen Fassung zu Grunde zu legen."

Nicht einmal der Hauch einer Begründung ist freilich dieser Entscheidung zu entnehmen: Warum sollten trotz der grundsätzlichen Billigung des Protokollberichtigungsverfahrens durch das Oberlandesgericht "sowohl die Effektivität des Rechtsmittels der Revision als auch das verbürgte Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren" den Rückgriff auf die Ursprungsfassung des Protokolls erzwingen? Auf dieses – sich schon in der Terminologie verratende – Begründungsdefizit weist der 3. Strafsenat des BGH in seiner Entscheidung vom 28.06.2011 [26] ebenso zutreffend hin wie auf den Umstand, daß die "ordnungsgemäße Neuvornahme einer an einem solchen Mangel leidenden, aber im übrigen statthaften strafprozessualen Maßnahme" ungeeignet sei, prozessuale Teilhaberechte des Angeklagten zu verletzen. Man gerät unwillkürlich ins Grübeln, ob die Unzulänglichkeit der Begründung dieses Ergebnisses einem Rest revisionsrichterlichen Unbehagens an einer konsequenten Umsetzung der Rügeverkümmerungslösung geschuldet sein könnte.

b)

Daß es in Oldenburg dreier (z.T. durch den BGH veranlaßter) Anläufe [27] bedurfte, bis das Protokollberichtigungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden war, befremdet zwar, dürfte damit aber nicht gegen deren Statthaftigkeit sprechen. Folgendes war geschehen:

  • 05.11.2010: Nach Eingang der Revisionsbegründung gaben die Urkundspersonen der Rüge die Grundlage entziehende dienstliche Erklärungen ab und faßten ohne jede Anhörung des Beschwerdeführers einen Protokollberichtigungsbeschluß.
  • 21.03.2011: Nach Rückgabe der Vorgänge durch den Senat an das Landgericht erging ein weiterer inhaltsgleicher Beschluß der Urkundspersonen, der freilich außer Acht ließ, daß der nunmehr immerhin angehörte Beschwerdeführer der Protokolländerung am 15.03.2011 widersprochen hatte (Stufe 2).
  • 17.05.2011: Nach erneuter Rückleitung der Akte trafen die Urkundspersonen eine Entscheidung, die vollumfänglich der Überprüfung durch das Revisionsgericht auf Stufe 4 standhielt. [28]
c)

Damit waren aber für den 3. Strafsenat noch nicht alle Hürden argumentativ überwunden, um die Verfahrensrüge scheitern zu lassen. Er mußte (vgl. § 132 Abs. 2 GVG) sich nämlich noch mit dem Umstand auseinandersetzen, daß der 2. Strafsenat des BGH im Ergebnis der Rechtsprechung des OLG Hamm gefolgt war. Bereits in dem vom 3. Strafsenat allein zitierten Beschluß vom 14.07.2010 [29] hatte der 2. Strafsenat die Akten nicht an das Tatgericht zurückgesandt, sondern die Rüge, die Anklageschrift sei nicht verlesen worden, durchgreifen lassen, nachdem auf staatsanwaltschaftlichen Hinweis die Urkundspersonen nur – allerdings sie (und damit das Protokoll) inhaltlich in Frage stellende – dienstliche Erklärungen abgegeben, diese aber nicht in ein förmliches Berichtigungsverfahren hatten münden lassen:

"Der Senat sieht keine Veranlassung die Akten zum Zwecke der Einleitung eines Protokollberichtigungsverfahrens zurückzusenden (vgl. insoweit BGH, wistra 2009, 484 [30]). Die Akten waren dem Vorsitzenden der Kammer bereits durch den Vertreter der Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf die Rüge der nicht verlesenen Anklage zurückgesandt worden, ohne dass ein Berichtigungsverfahren eingeleitet wurde. Beide Urkundspersonen haben in Kenntnis dieser Rüge lediglich dienstliche Erklärungen abgegeben. Eine nochmalige Rücksendung ist vor diesem Hintergrund nicht geboten und käme überdies dem Fall einer Wiederholung eines nicht ordnungsgemäßen Verfahrens unter Verletzung des Rechts des Angeklagten auf ein faires Verfahren gleich (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 271 Rn. 26a)."

In seiner bereits in anderem Zusammenhang erörterten Entscheidung vom 22.12.2010 [31], die eine das Selbstleseverfahren betreffende Protokollberichtigung der inhaltlichen Überprüfung auf Stufe 4 nicht standhalten ließ, führte der 2. Strafsenat diese Rechtsprechung fort und

verweigerte den Urkundspersonen mit der folgenden Begründung eine Nachbesserungsoption:

"Eine Rücksendung der Akten zum Zwecke der Wiederholung des Berichtigungsverfahrens verbietet das Recht der Angeklagten auf ein faires Verfahren (vgl. BGH StV 2010, 575 [32]; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl., § 271 Rn. 26a). Die Akten waren der Kammer bereits durch den Generalbundesanwalt unter Hinweis auf die Rüge des fehlerhaft durchgeführten Selbstleseverfahrens und mit der Anregung zurückgesandt worden, ein Berichtigungsverfahren durchzuführen, falls insoweit lediglich ein Protokollierungsmangel vorliege. Beide Urkundspersonen haben in Kenntnis dessen lediglich behauptet, das Selbstleseverfahren sei ordnungsgemäß durchgeführt worden, ohne sich zu der im Protokoll fehlenden Feststellung zu verhalten. Sie haben ihre dienstlichen Erklärungen auch nach dem erfolgten Widerspruch der Beschwerdeführer nicht ergänzt bzw. unter Angabe der ihre Erinnerung stützenden tatsächlichen Umstände erneuert und den übrigen Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis gebracht."

Die Begründungstiefe dieser Entscheidungen reicht freilich über diejenige des OLG Hamm nicht wesentlich hinaus. Was meint es, die "nochmalige Rücksendung (sei) vor diesem Hintergrund nicht geboten und käme überdies dem Fall einer Wiederholung eines nicht ordnungsgemäßen Verfahrens unter Verletzung des Rechts des Angeklagten auf ein faires Verfahren gleich"?

d)

Der 3. Strafsenat läßt derartige Begründungsversuche mit Recht nicht durchgreifen, umgeht aber letztlich eine Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung[33], indem er

  • die Entscheidung vom 22.12.2010 unerwähnt läßt,
  • den Beschluß vom 14.07.2010 als reine Einzelfallentscheidung bewertet, da sie nicht – wie vorliegend – die Wiederholung eines unter Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG wirkungslosen Berichtigungsverfahren betreffe, sondern die "abweichende Fallkonstellation, dass das Tatgericht [34] bereits von der Staatsanwaltschaft die Gelegenheit zur Protokollberichtigung erhalten, hiervon aber abgesehen hatte." [35]

Wieso dieser Umstand ein tragfähiges, in den Entscheidungen des 2. Strafsenats ohnehin nicht aufscheinendes Differenzierungskriterium sein soll, bleibt unklar. Plausibel wäre dieser Einwand möglicherweise, wenn die Urkundspersonen trotz Anregung durch am Revisionsverfahren Beteiligte überhaupt keine rügebezogenen Äußerungen aktenkundig gemacht hätten. Hatten sie hingegen den Protokollinhalt immerhin dem Grunde nach sachlich in Frage stellende Erklärungen abgegeben, ist – wohlgemerkt: in der Konsequenz der Entscheidung des Großen Senats zur Rügeverkümmerung – keinerlei sachlicher Grund für das Revisionsgericht ersichtlich, nicht selbst darauf hinzuwirken, daß diese Äußerungen in einen Kontext eingebettet wurden, der mit den formellen wie materiellen Vorgaben des Protokollberichtigungsverfahren zu vereinbaren war. Kommt es auf diesem gewiß ebenso mühsam wie kläglich anmutenden Weg, der von der Entscheidung des Großen Senats vorgezeichnet wird, zu einer Protokollberichtigung, ist diese Vorgeschichte im Rahmen der Überprüfung auf Stufe 4, also bei der revisionsgerichtlichen Beweiswürdigung zur Belastbarkeit der Begründung der die Rügeverkümmerung vornehmenden Entscheidung der Urkundspersonen, von dem Revisionsgericht nachvollziehbar in den Blick zu nehmen.

Der Beschwerdeführer wird es im Hinblick auf den Bestand seiner Verfahrensrüge indes – anders als der Senat [36] in seiner Schlußüberlegung glaubt – als gleichermaßen problematisch empfinden, wenn das Revisionsgericht die Akten zweimal an die Urkundspersonen zurücksendet, damit das Protokollberichtigungsverfahren formal korrekt durchgeführt wird, oder aber dem Versuch der Staatsanwaltschaft, die Urkundspersonen zu motivieren, nicht nur rügeverkümmernde dienstliche Erklärungen abzugeben, sondern entsprechend den Vorgaben des Großen Senats zu verfahren, einen weiteren eigenen Versuch folgen läßt, die Protokollverantwortlichen zu einer rechtsprechungskonformen Vorgehensweise anzuhalten. Daß der Revident nur im letzteren Fall das Verhalten des Revisionsgerichts "als unzulässigen Druck auf die allein verantwortlichen Urkundspersonen missverstehen könnte, das Protokoll doch noch zu seinem Nachteil zu ändern" [37], ist gänzlich fernliegend, stellt zudem in diesem Zusammenhang kein Kriterium zur Harmonisierung der Entscheidungen von 2. und 3. Strafsenat dar und dürfte allein mit dem horror pleni [38] des Senats zu erklären sein. Alles andere ist eine Frage des Befangenheitsrechts.[39]

e)

Daß sich die Revisionsgerichtsbarkeit schon schwertut, einheitlich und mit einer gewissen argumentativen Stringenz die eigenen Kompetenzen im revisionsrichterlich entwickelten Protokollberichtigungsverfahren zu bestimmen, ist im übrigen Wasser auf die Mühlen derjenigen, die – wie der Verfasser[40] – in der mit plakativer Wahrheitsrhetorik unterfütterten Etablierung der Rügeverkümmerung keinen strafverfahrensrechtlichen Fortschritt zu erblicken vermögen.


* Der Entscheidung liegt der unter I. und II. 2. b) geschilderte Sachverhalt zugrunde (a.a.O. Rn. 21, 22 f., 28 f.). Das landgerichtliche Urteil wurde wegen sachlichrechtlicher Mängel weitgehend aufgehoben (a.a.O. Rn. 2 – 18).

[1] GSSt 1/06 HRRS 2007 Nr. 600.

[2] 1 StR 301/07 HRRS 2008 Nr. 98, Rn. 9 f.; vgl. auch BGH 3 StR 38/08 HRRS 2008 Nr. 641, Rn. 2.

[3] A.a.O. Rn. 25.

[4] Gemeint: Urkundspersonen.

[5] 2 StR 444/09 HRRS 2010 Nr. 152, Rn. 6 ff.

[6] Repräsentativ: HansOLG Hamburg StV 2004, 298 mit Anm. Ventzke.

[7] A.a.O. Rn. 61: "Eine Änderung der Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung begegnet zudem der Tendenz zur Ausweitung der Rechtsprechung zu offensichtlichen Mängeln des Protokolls (ebenso BGHR StPO § 274 Beweiskraft 29). Diese Rechtsprechung (vgl. BGH NJW 2001, 3794; NStZ 2000, 546) geht mittlerweile sehr weit; ihr fehlen – jedenfalls in Grenzfällen – hinreichend klare und verlässliche Konturen. Diese Tendenz ist gerade vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Folgen der relativen Unbeachtlichkeit der Protokollberichtigung als nicht mehr tragbar empfunden werden. In der Literatur wird hierzu vorgebracht, die Senate suchten in Grenzfällen geradezu nach Möglichkeiten der Durchbrechung der formellen Beweiskraft der Sitzungsniederschrift (Detter StraFo 2004, 329, 330; Park StraFo 2004, 335, 338, 340; krit. auch Docke/v. Döllen/Momsen StV 1999, 583 f.; Kuhn NJW-Spezial 2006, 567; Ventzke StV 2004, 300 f.)."

[8] 5 StR 169/09 HRRS 2010 Nr. 192, Rn. 6.

[9] Zu dieser Formulierung kritisch Wohlers, in: Wehe dem, der beschuldigt wird…., Ergebnisband des 34. Strafverteidigertages, 2011, S. 103, 122 ("freudsche Fehlleistung").

[10] 2 StR 158/10 HRRS 2010 Nr. 683, Rn. 7 ff.

[11] 1 StR 423/09 vom 02.09.2009, S. 3 (bei HRRS nicht erfaßt); 1 StR 264/10 HRRS 2010 Nr. 946, Rn. 8; vgl. auch 1 StR 3/10 HRRS 2010 Nr. 141, Rn. 5.

[12] A.a.O. Rn. 26.

[13] 3 StR 284/05 HRRS 2006 Nr. 713 i.V.m. Nrn. 456, 611; dazu z.B. Dahs NStZ 2007, 241 ff.; H. Wagner StraFo 2007, 496 ff.

[14] Vgl. zum Problem Ventzke HRRS 2008, 180, 184 ff., 187 f.; Dehne-Niemann wistra 2011, 213, 214 f. Andererseits könnte es sich – wie hinsichtlich der Ausnahme für das besonders widersprüchliche Protokoll in der Entscheidung des 5. Strafsenats (offen gelassen in: 2 StR 386/10 a.a.O. Rn. 11) – in der Logik der bisherigen Rechtsprechung aufdrängen, aus rein pragmatischen Gründen diesen Ansatz als letzten Rettungsanker nicht explizit aufzugeben, um auf ihn zurückgreifen zu können, falls er bei Scheitern des formalisierten Protokollberichtigungsverfahrens geeignet sein könnte, ein dem Revisionsgericht "sachgerecht" erscheinendes Ergebnis herbeizuführen (vgl. dazu Ventzke NStZ 2011, 481 ff.).

[15] Das gilt erst recht angesichts der angenommenen Verpflichtung der Revisionsverteidigung zu hauptverhandlungsbezogenen Rekonstruktionsbemühungen (vgl. zuletzt BGH 1 StR 500/10 HRRS 2010 Nr. 1064, Rn. 12 f.; vgl. im übrigen Ventzke StV 2006, 459, 461 zu BVerfG StraFo 2005, 512 f.).

[16] Z.B. BGH 1 StR 620/09 HRRS 2010 Nr. 145, Rn. 13 ff.

[17] So im Ergebnis aus Sicht der Strafjustiz Gemählich, in: Festschrift für Stöckel, 2010, S. 225 ff. Vgl. auch Barthe DRiZ 2011, 239 ff.

[18] Ob und ggfls, welche Bemühungen die Urkundspersonen auf dieser Stufe zur Auffrischung ihres Gedächtnisses entfalten dürfen, ist bisher noch nicht entschieden worden. Freilich dürfte es fernliegen, etwa dem Vorsitzenden zu ge-statten, vorab mit anderen Teilnehmern der Hauptverhandlung den "wahren" Sachverhalt gemeinsam zu ermitteln.

[19] Die Befürchtung, die Rechtsprechung werde sich diesem Verfahren so intensiv zuwenden, wie es die Revisionsgerichtsbarkeit im Fall des § 354 Abs. 1a StPO bis zur Entscheidung des BVerfG getan hatte (vgl. Senge StraFo 2006, 309, 311 ff.), hat sich offenbar nicht bestätigt, sofern nicht entweder schon von dessen bloßer Existenz eine präventive Wirkung auf potentielle Beschwerdeführer ausgegangen ist oder aber sich einschlägige Fälle in nicht begründeten Beschlüssen gem. § 349 Abs. 2 StPO verbergen

[20] HRRS 2008 Nr. 725, Rn. 8 ff.; vgl. auch für Stufe 1: BGH 1 StR 51/08 HRRS 2008 Nr. 398, Rn. 3 ff. (Verletzung des § 67 Abs. 2 JGG).

[21] 2 StR 386/10 HRRS 2011 Nr. 353, Rn. 8.

[22] Keinen unmittelbaren Bezug zum Protokollberichtigungsverfahren weisen (zutreffend begründete) Entscheidungen auf, in denen es vorrangig um die Frage geht, welche Verfahrenstatsache überhaupt Gegenstand der Protokollierung und damit potentieller Berichtigung ist (vgl. für das Selbstleseverfahren BGH 2 StR 54/09 HRRS 2009 Nr. 752, Rn. 4; 2 StR 280/09 HRRS 2009 Nr. 953, Rn. 4 ff.; 3 StR 76/10 HRRS 2010 Nr. 892, Rn. 4 ff.; dazu krit. Dehne-Niemann a.a.O. S. 215 ff.).

[23] A.a.O. Rn. 47 ff.: "Auch die Revisionsgerichte sind der Wahrheit verpflichtet; wenn prozessual erhebliche Tatsachen aus der tatrichterlichen Hauptverhandlung der Klärung bedürfen, muss grundsätzlich der wahre Sachverhalt, wie er sich zugetragen hat, maßgeblich sein (vgl. BGHSt 36, 354, 358 f.). Dies spricht entscheidend dafür, die Regelung des §  274 StPO in einer Weise auszulegen, welche die inhaltliche Richtigkeit der Sitzungsniederschrift gewährleistet. Allerdings wird dem entgegengehalten, dass §  274 StPO nach dem Willen des Gesetzgebers der Zweckmäßigkeit Vorrang vor der Wahrheit einräume (so BGHSt 2, 125, 128; 26, 281, 283). Dieser Vorrang gilt aber schon jetzt nicht uneingeschränkt. Denn damit wäre der unstreitige Grundsatz nicht vereinbar, dass – (…) – Protokollberichtigungen und distanzierende Erklärungen der Urkundspersonen beachtlich sind, wenn sie das Revisionsvorbringen bestätigen (vgl. BGHSt 4, 364; BGH NStZ 1988, 85; RGSt 19, 367, 369 f.; 21, 323, 324 f.; 57, 394, 396 f.; OLG Köln NJW 1952, 758). Der Wahrheitspflicht würde nicht dadurch Genüge getan, dass die Wahrheit in eine `materielle´ und eine `formelle´ bzw. `prozessuale Wahrheit´ aufzuspalten wäre. Die Beweisregel des § 274 StPO schafft keinen von der (objektiven) Wahrheit abweichenden Wahrheitsbegriff (so aber Cüppers NJW 1950, 930, 931 ff.; 1951, 259; Dahs, StraFo 2000, 181, 185; Jahn JuS 2007, 91 Fn. 3; Park StraFo 2004, 335, 337; Schneidewin MDR 1951, 193; vgl. auch RGSt 43, 1, 6). Die Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO verändert nicht die Tatsachen, macht nicht aus Unwahrheit Wahrheit (vgl. Detter StraFo 2004, 329, 334; ebenso Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren 1980 S. 157, der aber `in diesem Ausnahmefall eine Lüge (für) prozessual zulässig´ hält)." Vgl. hierzu nur H. Wagner GA 2008, 442 ff.; Knauer, in: Festschrift für Widmaier, 2008, S. 291 ff.; Ventzke HRRS 2008, 180 ff.; Dehne-Niemann ZStW 2009, 321 ff.

[24] 1 StR 423/09 a.a.O. S. 3 (meine Hervorhebung).

[25] 5 Ss 506/08 vom 10.03.2009, Rn. 7 ff., 28 (juris); ebenso: OLG Hamm III-3 RVs 49/10 vom 12.10.2010, Rn. 12 ff., 18 (juris).

[26] A.a.O. Rn. 30; eine Begründung findet sich auch nicht bei Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl. (2011), § 271, Rn. 26a.

[27] A.a.O. Rn. 22 f., 28 f.

[28] Mit dieser Entscheidung dürfte freilich auch klargestellt sein, daß das Protokollberichtigungsverfahren nicht nur die klassischen Fälle der "falschen" negativen Beweiskraft – die Verlesung der Anklageschrift bleibt unerwähnt – betrifft, sondern jede – etwa die Verlesungsmodalitäten einer Urkunde betreffende – Unzulänglichkeit der Protokollierung. Folglich dürfte auch für Entscheidungen wie 2 StR 444/09 kein Raum mehr sein, da dann auf diesem Wege zu klären wäre, was sich hinter der von dem Beschwerdeführer für seine Rüge einer Verletzung des § 250 S. 2 StPO in Bezug genommenen Protokollstelle verbarg (vgl. auch Ventzke HRRS 2010, 461, 467).

[29] 2 StR 158/10 HRRS 2010 Nr. 6, Rn. 10.

[30] = 1 StR 423/09 a.a.O. S. 3.

[31] 2 StR 386/10 a.a.O. Rn. 9.

[32] Richtig: 675.

[33] so möglicherweise auch BGH 4 StR 56/11 vom 29.06.2011, Rn. 3 a.E.

[34] Wiederum gemeint: Urkundspersonen.

[35] A.a.O. Rn. 31.

[36] A.a.O. Rn. 31.

[37] So: Rn. 31.

[38] Vgl. auch R. Hamm, in: Wehe dem, der beschuldigt wird, a.a.O. S. 59 ff.

[39] Dunkel bleibt freilich bei alledem weiter, warum es immer noch Urkundspersonen gibt, denen die praktische Beherzigung der Entscheidung des Großen Senats derartige Schwierigkeiten bereitet. Die notorische Rechtsfehleranfälligkeit des Selbstleseverfahrens stellt ein vergleichbares forensisches Rätsel dar.

[40] HRRS 2008, 180 ff.