HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Aug./Sept. 2011
12. Jahrgang
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Prozessdokumentation

Einstellungsantrag des Manhattan District Attorney in der Strafsache gegen Dominique Strauss-Kahn

Vorbemerkung

Herausgeber und Redaktion dieser Zeitschrift haben beschlossen, den am 22.8.2011 gestellten Einstellungsantrag des Manhattan District Attorney (Staatsanwaltschaft der Stadt New York) in der Sache "The People of the State of New York against Dominique Strauss-Kahn" in einer deutschen Übersetzung zu veröffentlichen. Das geschieht zum einen, um aktuellen Informationsinteressen entgegenzukommen.[1] Vor allem aber geht es uns darum, dieses beeindruckende Dokument vor schneller Vergessenheit zu bewahren.

Beeindruckend ist es in mehrfacher Hinsicht. Das verhaltene Pathos, mit dem die Autoren in den Eingangsbemerkungen sich dazu bekennen, es sei Sache der Staatsanwaltschaft, "not that it shall win a case, but that justice shall be done" (nicht einen Fall zu gewinnen, sondern der Gerechtigkeit Genüge zu tun), es sei das zweigestaltige Ziel des (Straf-)Rechts, "that guilt shall not escape or innocence suffer" (dass weder Schuld davonkommen noch Unschuld leiden dürfe), ist sicherlich berührend, hierbei aber nicht entscheidend. Eindrucksvoll ist vor allem die in diesem Antrag kraftvoll demonstrierte Entschlossenheit, der Lüge keinen Platz zu lassen, selbst wenn die Wahrheit in der Schwebe bleibt.

Das geschieht um den Preis massiver Selbstkritik. Selten hat eine Staatsanwaltschaft mit einer so detaillierten Begründung einbekannt, den Inszenierungen einer – wie sich im Zuge der weiteren Ermittlungen zeigte – gestörten Person aufgesessen zu sein. Deutsche Strafjuristen, die ihr System im Vergleich mit dem der Vereinigten Staaten gern hochgemut als Hort des Rechtsstaats verstehen, sind selten in der Lage, Justizirrtümer so zügig und unverblümt einzuräumen. Wenn es geschieht, dann meist zu spät.[2]

Bemerkenswert sind auch manche Randüberlegungen des Einstellungsantrags. Dass zunächst zehn Zeuginnen zu den Liebespraktiken eines Angeklagten gehört werden, ehe sich das Gericht der Einvernahme des angeblichen Vergewaltigungsopfers zuwendet[3], wäre in New York City eine von vornherein unzulässige Beweisführung gewesen.[4]

Die Übersetzung haben freundlicherweise unter kurzfristiger Zurückstellung anderer Arbeiten Petra Dischinger und Silke Rasche gefertigt. Diese ist an einigen wenigen Stellen durch den Verfasser dieser Vorbemerkung den juristischen Begrifflichkeiten angepasst worden. Die Anzeigeerstatterin wird zum Zwecke besserer Lesbarkeit (und in Anpassung an den Originaltext, in dem durchweg von "complainant" gesprochen wird) als "Klägerin" bezeichnet. Des Weiteren finden sich in der Übersetzung einige kurze Erläuterungen. Wo die Originalfassung besonders markante Formulierungen enthält, wurden diese in englischer Sprache eingerückt.

Gerhard Strate

***

SUPREME COURT DES STAATES NEW YORK

COUNTY NEW YORK: BEZIRK 51

DAS VOLK DES STAATES NEW YORK

– gegen –

DOMINIQUE STRAUSS-KAHN,

Angeklagter

 

 

EMPFEHLUNG ZUR

EINSTELLUNG DES VERFAHRENS

Anklage 02526/2011

[Eingangsstempel des Gerichts mit Datum 22. August 2011]

ZUSAMMENFASSENDE DARSTELLUNG

Der Staat New York ("the People") beantragt, die oben genannte Anklage fallenzulassen, in welcher der Angeklagte beschuldigt wird, der Klägerin am 14. Mai 2011 in einem Hotel im Zentrum von Manhattan sexuelle Gewalt angetan zu haben. Die zur Last gelegten Verbrechen verpflichten die Staatsanwaltschaft, über jeden berechtigten Zweifel hinaus ("beyond a reasonable doubt") zu

beweisen, dass zwischen dem Angeklagten und der Klägerin sexuelle Handlungen stattgefunden haben und dass der Angeklagte dabei körperliche Gewalt ("forcible compulsion") [definiert im § 130.00 des New York Penal Code]ausgeübt und ohne ihr Einverständnis gehandelt hat. Nach umfangreichen Ermittlungen ist klar geworden, dass der Nachweis dieser beiden entscheidenden Merkmale – Ausübung von körperlicher Gewalt und fehlendes Einverständnis – einzig und allein von der Aussage der Klägerin in der Verhandlung abhängen würde. Zwar belegt das physische, wissenschaftliche und sonstige Beweismaterial, dass der Angeklagte einen hastigen sexuellen Kontakt mit der Klägerin hatte, jedoch beweist es für sich genommen nicht die Behauptung, dass es sich dabei um einen erzwungenen, nicht einvernehmlichen Kontakt gehandelt habe. Neben der Klägerin und dem Angeklagten gibt es keine weiteren Zeugen für den Vorfall. Es steht außer Frage, dass eine Urteilsjury ("trial jury") [Geschworene, die über die Schuld des Angeklagten entscheiden], um den Angeklagten für schuldig zu befinden, über jeden berechtigten Zweifel hinaus von der Glaubwürdigkeit der Klägerin überzeugt sein muss. Es ist in der Tat so, dass der Fall mit ihrer Aussage steht und fällt.

Zum Zeitpunkt der Anklageerhebung sprach für uns alles dafür, dass die Klägerin glaubhaft sei. Bei den weiteren Ermittlungen zur Beweisaufnahme nach Erhebung der Anklage ergaben sich jedoch Umstände, die ihre Zuverlässigkeit als Zeugin in diesem Fall als äußerst fragwürdig erscheinen lassen. Die Tatsache, dass eine Person in der Vergangenheit gelogen oder strafbare Handlungen begangen hat, führt nicht zwangsläufig dazu, dass wir als Anklagevertreter diese Person für unglaubwürdig halten oder sie als Zeuge in einem Verfahren nicht zulassen. Die Art und die Häufigkeit der unwahren Aussagen der Klägerin machen es uns jedoch unmöglich, ihre Version der Ereignisse über jeden berechtigten Zweifel hinaus für glaubhaft zu erachten, was auch immer zwischen ihr und dem Angeklagten tatsächlich vorgefallen sein mag. Wenn wir ihr jedoch nicht über jeden berechtigten Zweifel hinaus Glauben schenken, können wir auch von den Geschworenen nicht verlangen, dies zu tun.[5]

Nachfolgend schildern wir zusammengefaßt die Umstände, die uns zu dieser Schlussfolgerung geführt haben. Es ist in diesem Fall nicht etwa so, dass hier eine Klägerin einer unverhältnismäßig strengen Prüfung unterzogen oder besonders hohe Maßstäbe an sie angelegt worden wären. Im Gegenteil: wir sehen uns mit einer Situation konfrontiert, in der es zunehmend klarer wird, dass die Glaubwürdigkeit der Klägerin selbst der elementarsten Überprüfung nicht standhält. Die Klägerin hat, kurz zusammengefasst, wechselnde und widersprüchliche Versionen der Ereignisse im Zusammenhang mit dem behaupteten Übergriff geliefert, sodass wir nunmehr weder mit hinreichender Sicherheit sagen können, was am 14. Mai 2011 tatsächlich geschehen ist, noch, welche Version der Abläufe die Klägerin in der Verhandlung schildern würde . In praktisch jeder Vernehmung zur Sache durch die Staatsanwälte hat sie, trotz zum Teil flehentlicher Appelle, einfach nur die Wahrheit zu sagen, unwahre Aussagen gemacht, in wichtigen wie in weniger wichtigen Fragen ("on matters great and small"), in vielen Fällen hinsichtlich ihres persönlichen Hintergrunds und in einigen auch im Hinblick auf die Umstände des Vorfalls selbst. So hat sie beispielsweise in zwei Vernehmungen lebhaft, mit vielen Details überzeugend geschildert, wie sie in ihrem Heimatland schon einmal vergewaltigt worden sei. Inzwischen gesteht sie, dass diese Schilderung frei erfunden gewesen sei. Außerdem hat sie Anklagevertretern und der Anklagejury ("grand jury") [Geschworene, die darüber entscheiden, ob die öffentliche Anklage erhoben werden soll oder nicht]gegenüber Schilderungen über den Ablauf ihrer Handlungen unmittelbar nach der Begegnung mit dem Angeklagten vorgetragen, von denen sie mittlerweile zugibt, dass sie falsch sind. Dieses Verhaltensmuster, die Unwahrheit zu sagen, legt die Klägerin bereits seit langem an den Tag, auch schon bevor sie mit dieser Staatsanwaltschaft in Kontakt kam. Unsere Ermittlungen haben ergeben, dass die Klägerin auch früher zahlreiche Falschaussagen gemacht hat, die zum Teil bei staatlichen Behörden aktenkundig dokumentiert sind und von denen einige unter Eid bzw. der Androhung einer Bestrafung wegen Meineids ("under oath or penalty of perjury") erfolgten. All diese Lügen müssten im Falle der Verhandlung den Geschworenen gegenüber offengelegt werden. Die Wirkung dessen wäre verheerend.

Schließlich führten wir sorgfältige Untersuchungen durch, um an Beweismaterial zu kommen, das etwas über die Art des sexuellen Kontakts zwischen Klägerin und Angeklagtem aussagen könnte. Sämtliches Beweismaterial, das hinsichtlich der strittigen Fragen der Ausübung körperlicher Gewalt und der fehlenden Einvernehmlichkeit relevant sein könnte, ist schlicht unschlüssig.

Wir geben diese Empfehlung nicht leichtfertig. Unsere schwerwiegenden Bedenken über die Zuverlässigkeit der Klägerin machen es unmöglich, eine Antwort auf die Frage zu finden, was am 14. Mai 2011 in der Hotelsuite des Angeklagten wirklich geschehen ist. Eine weitere strafrechtliche Verfolgung dieser Sache ist deshalb ausgeschlossen. Deshalb empfehlen wir – mit allem Respekt –, die Anklage fallenzulassen.

GRUNDSÄTZE STAATANWALTSCHAFTLICHER ARBEIT

Die den Staatsanwälten verliehene gewaltige Macht ist gepaart mit einzigartigen Verpflichtungen. Staatsanwälte dürfen sich nicht verstehen als eifrige Verfechter von Mandanteninteressen, sondern haben einen breiteren Pflichtkreis, und zwar gegenüber der Gesellschaft, dem Opfer und dem Beschuldigten:

Der [Staatsanwalt] ist nicht etwa der Vertreter einer gewöhnlichen Partei in einem Rechtsstreit, sondern der einer Hoheitsgewalt, deren Verpflichtung, unparteiisch zu regieren, ebenso zwingend ist wie ihre Verpflichtung,

die Regierungsgewalt überhaupt auszuüben, und der es daher bei der strafrechtlichen Verfolgung nicht darum geht, einen Fall zu gewinnen, sondern dass der Gerechtigkeit Genüge geleistet wird ("that justice shall be done"). Als solcher ist er in einem ganz eigenen und streng festgelegten Sinne ein Diener des Gesetzes, dessen zweigestaltiges Ziel es ist, dass Schuld nicht entkommt und die Unschuld nicht leidet ("that guilt shall not escape or innocence suffer"). [6]

Sowohl die in New York geltenden Regeln professionellen Verhaltens, welche den berufsethischen Grundsätzen in praktisch allen Gerichtsbezirken entsprechen, als auch die Leitlinien zur Strafrechtspflege der amerikanischen Anwaltsvereinigung ("Criminal Justice Standards" der "American Bar Association") beruhen auf der Überzeugung, dass es die Sache des Staatsanwalts ist, Gerechtigkeit zu suchen, statt einfach nur Fälle zu gewinnen.[7]

Staatsanwälte müssen sich an die speziellen Regeln halten, die unsere Sonderstellung innerhalb des Rechtssystems widerspiegeln. Von größter Bedeutung ist hierbei, dass Staatsanwälte dem besonders hohen Anspruch an eine Verurteilung gerecht werden: Den Nachweis der Schuld jenseits vernünftiger Zweifel. Dieses Erfordernis "beruht auf einer fundamentalen Wertentscheidung unserer Gesellschaft, die besagt, dass es weitaus schlimmer ist, einen Unschuldigen zu verurteilen, als einen Schuldigen straflos davonkommen zu lassen".[8]

Diese Beweisführungsregel leitet die Entscheidungen der Staatsanwälte bereits dann, wenn sie darüber befinden müssen, ob ein Fall weiterverfolgt wird, nicht etwa nur die Geschworenen bei der Findung des Schuldspruchs. Zu Beginn eines Falls sehen sich die Anklagevertreter häufig gedrängt, Entscheidungen über eine mögliche Anklage zu treffen, noch bevor alle maßgeblichen Tatsachen bekannt sein können bzw. bevor sämtliche für ein Verfahren erforderlichen Ermittlungsschritte abgeschlossen sind. Im Einklang mit den in New York geltenden Standesregeln für Juristen kann gegen einen Beschuldigten Anklage erhoben werden, wenn ein hinreichender Tatverdacht besteht ("probable cause"). [9] Allerdings ist es schon seit Generationen so, dass die Anklagevertreter im Bezirk New York bei der Entscheidung darüber, ob ein Verbrechen zur Verhandlung gebracht werden soll, darauf bestehen, dass sie persönlich über jeden Zweifel hinaus von der Schuld des Angeklagten überzeugt sind und sich in der Lage sehen, diese Schuld den Geschworenen gegenüber auch zu beweisen. Sowohl in den Grundregeln für das Verhalten von Staatsanwälten auf Bundesebene als auch in den Leitlinien zur Strafrechtspflege der amerikanischen Anwaltsvereinigung wird anerkannt, dass die Anklagevertreter auch die Funktion eines "Schrankenwärters" ("gatekeeper") haben, indem sie eine unabhängige Würdigung der Beweise vornehmen, bevor es zur Hauptverhandlung kommt.[10]

Die Grundprinzipien, nach denen die Staatsanwaltschaft arbeitet, sind daher eindeutig. Falls der Anklagevertreter nach sorgfältiger Beurteilung des Sachverhalts nicht über jeden Zweifel hinaus davon überzeugt ist, dass der Angeklagte schuldig ist, so muss er oder sie die Weiterführung des Verfahrens ablehnen. Auch wenn die beständige Sorge um die Opfer von Verbrechen für jeden Anklagevertreter dieser Behörde ein wesentliches Anliegen ist, so darf diese Sorge nicht dazu führen, dass wir unsere Verpflichtung vernachlässigen, allein auf der Basis von Beweisen und Tatsachen zu handeln und hierbei stets eingedenk zu bleiben der bei einer Strafverfolgung geltenden hohen Anforderungen an die Beweislast.

VERFAHRENSRECHTLICHER HINTERGRUND

Der Angeklagte wurde am 14. Mai 2011 festgenommen, am nächsten Tag in einer Gegenüberstellung von der Klägerin identifiziert und vom New York City Police Department ("NYPD") [Polizeibehörde der Stadt New York] verhaftet. Am 15. Mai 2011 beantragte die Staatsanwaltschaft die Eröffnung eines Strafverfahrens aufgrund von Verbrechen ("felony complaint"), wobei dem Beschuldigten die Verbrechen zur Last gelegt wurden, wegen derer er später auch angeklagt wurde und die nachfolgend im Einzelnen aufgeführt sind. Am 16. Mai 2011 wurde der Angeklagte vor dem Strafgericht ("Criminal Court") zur Anklage vernommen und blieb danach trotz eines Antrags auf Haftentlassung gegen Zahlung einer Kaution auf Antrag der Staatsanwaltschaft in Haft. Gemäß CPL § 180.80 [CPL = Criminal Procedure Law – Strafprozessordnung] musste die Staatsanwaltschaft innerhalb von 144 Stunden einer Anklagejury Beweise vorlegen und Anklage erheben, um die Entlassung aus der Haft zu verhindern. Auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Beweislage beschloss die Staatsanwaltschaft, dass der Fall einer Anklagejury vorgelegt werden solle . Dies geschah am 18. Mai 2011; der Beschuldigte zog es vor, vor der Anklagejury nicht auszusagen. Diese sprach sich noch am selben Tag für die öffentliche Anklage aus.

Die Anklage (Aktenzeichen 02526/2011) gegen Dominique Strauss-Kahn enthielt folgende Vorwürfe: Zwei Anklagepunkte wegen strafbarer sexueller Handlungen ersten Grades ("Criminal Sexual Act in the First Degree") gemäß Strafgesetz § 130.50 (1), einen Anklagepunkt wegen versuchter Vergewaltigung ersten Grades ("Attempted Rape in the First Degree") gemäß Strafgesetz §§ 110/130.35 (1), einen Anklagepunkt wegen sexuellen Missbrauchs ersten Grades ("Sexual Abuse in the First Degree") gemäß Strafgesetz § 130.65 (1), einen Anklagepunkt wegen Freiheitsberaubung zweiten Grades ("Unlawful Imprisonment in the Second Degree") gemäß Strafgesetz § 135.05, einen Anklagepunkt wegen unsittlicher Berührung ("Forcible Touching") gemäß Strafgesetz § 130.52 sowie einen Anklagepunkt wegen sexuellen

Missbrauchs dritten Grades ("Sexual Abuse in the Third Degree") gemäß Strafgesetz § 130.55.

Am 19. Mai 2011 beantragte der Angeklagte erneut seine Freilassung gegen Kaution, woraufhin eine Kaution in Höhe von 1 Million $ in bar plus 5 Millionen $ an sonstigen Sicherheiten festgesetzt wurde. Die Kautionsauflagen umfassten die Herausgabe des Reisepasses des Angeklagten, seinen Hausarrest im Bezirk New York sowie die elektronische Überwachung auf seine eigenen Kosten. Am 6. Juni 2011 wurde er zur Anklage vernommen, bekannte sich nicht schuldig und sein Verteidiger stellte einen schriftlichen Antrag auf Akteneinsicht. Der Fall wurde auf den 18. Juli 2011 vertagt.

Am 30. Juni 2011 legte die Staatsanwaltschaft in einem Schreiben an den Verteidiger des Angeklagten entlastende Informationen hinsichtlich der Klägerin offen, im Einklang mit den Pflichten der Staatsanwaltschaft gemäß CPL § 240.20, Regel 3.8 der "New York Rules of Professional Conduct" [Standesregeln für Anwälte] sowie dem Fall Brady v. Maryland, 373 U.S. 83 (1963) und den daraus abgeleiteten Lehrsätzen ("its doctrinal progeny"). Der Fall wurde aufgrund eines erneuten Kautionsantrags auf den 1. Juli 2011 vorverlegt. Zu diesem Zeitpunkt ließ das Gericht den Angeklagten gegen ein Kautionsversprechen auf Antrag des Angeklagten und mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft frei, unter der Auflage, dass der Reisepass und die Reisepapiere des Angeklagten bei der Staatsanwaltschaft verbleiben sollten. Am 7. Juli 2011 wurde der Fall mit Einverständnis beider Parteien vom 18. Juli auf den 1. August 2011 verlegt, um beiden Parteien weitere Ermittlungen zu ermöglichen. Am 26. Juli 2011 wurde der Fall erneut auf den 23. August 2011 verlegt.

ENTWICKLUNG DER ERMITTLUNGEN

A. Voruntersuchung und Anklageerhebung

Am 14. Mai 2011 berichtete die Klägerin, eine Reinigungskraft im Hotel Sofitel in der 44. Straße West in Manhattan, zunächst dem Sicherheitsdienst des Hotels und später dem NYPD [Polizeibehörde der Stadt New York], dass ihr vom Angeklagten in dessen Hotelsuite sexuelle Gewalt angetan worden sei. Zunächst berichtete sie ihrem unmittelbaren Vorgesetzten kurz nach ihrer Begegnung mit dem Angeklagten, dessen Suite (Nr. 2806) zu reinigen man ihr aufgetragen hatte, von dem Vorfall. Dieser Vorgesetzte rief einen etwas höheren Vorgesetzten hinzu, dem gegenüber die Klägerin ihre Behauptung wiederholte. Der zweite Vorgesetzte benachrichtigte Mitarbeiter des Hotelsicherheitsdienstes und der Hotelleitung, die wiederum das NYPD informierten. Die Klägerin wurde von uniformierten Beamten sowie Kriminalbeamten des NYPD vernommen und später am Nachmittag zu einer medizinischen Untersuchung in ein nahegelegenes Krankenhaus gebracht.

Die Klägerin berichtete den Beamten des NYPD und später den Staatsanwälten, dass der Angeklagte, kurz nachdem sie dessen Suite zur Verrichtung der Reinigungstätigkeiten betreten hatte, nackt aus dem Schlafzimmer der Suite gekommen sei, dann auf sie zugegangen sei und ihr ohne ihr Einverständnis an die Brüste gefasst habe. Laut Klägerin habe der Angeklagte die Tür der Suite geschlossen, sie ins Schlafzimmer gedrängt, sie dann auf das Bett gestoßen und versucht, ihr seinen Penis gewaltsam in den Mund zu schieben, wobei sein Penis mit ihren geschlossenen Lippen in Berührung gekommen sei. Die Klägerin behauptete, der Angeklagte habe sie dann mit körperlicher Gewalt noch weiter in die Suite hineingezwungen, indem er sie durch einen engen Korridor schob. Laut ihrer Aussage habe er ihr das Kleid ihrer Uniform nach oben und ihre Strümpfe teilweise nach unten gezogen, unter ihren Slip gegriffen und ihr fest an den äußeren Vaginalbereich gefasst. Schließlich, so berichtete die Klägerin weiter, habe der Angeklagte sie auf die Knie gezwungen, ihr gewaltsam den Penis in den Mund geschoben, ihren Kopf festgehalten und ejakuliert. Diese sexuelle Handlung ereignete sich nach Angabe der Klägerin am Ende des innerhalb der Suite gelegenen Korridors in unmittelbarer Nähe zum Badezimmer der Suite. Laut ihrer Aussage spuckte die Klägerin das Sperma des Angeklagten sofort auf den Teppich des Korridors der Suite und spie weiterhin aus, während sie unverzüglich aus der Suite floh.

Das NYPD stellte fest, dass der Angeklagte auf einen Flug der Air France vom John-F.-Kennedy-Flughafen nach Europa gebucht war. Um ca. 16:45 Uhr wurde er von Kriminalbeamten des Port Authority Police Department [Polizei der Hafenbehörde, die auch für die Flughäfen zuständig ist] aufgefordert, das Flugzeug zu verlassen, und schließlich festgenommen.

Bereits am Tag des Vorfalls und auch an Tagen danach wurde die Klägerin von Beamten der Manhattan Special Victims Squad der NYPD [Spezialeinheit der New Yorker Polizei für Sexualdelikte] sowie von weiteren erfahrenen Ermittlern und Staatsanwälten verhört, unter anderem von Mitarbeitern der Abteilung für Sexualdelikte der Staatsanwaltschaft. Wie in allen Fällen, in denen der Nachweis eines Verbrechens von der Aussage eines Zeugen abhängt, erklärten die Anklagevertreter, von denen sie vernommen wurde, der Klägerin, dass ihre früheren und ihre gegenwärtigen Lebensumstände einer eingehenden Prüfung unterzogen werden würden. Die Klägerin erklärte sich bereit, mit der Staatsanwaltschaft zusammenzuarbeiten und dabei wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Im Laufe dieser anfänglichen Vernehmungen durch Anklagevertreter und Polizisten, in denen es darum ging, einerseits die Einzelheiten des Vorfalls und andererseits den Hintergrund und die Lebensgeschichte der Klägerin abzuklopfen, erschien diese durchaus glaubwürdig. Ihre Schilderung des Tathergangs war plausibel und inhaltlich konsistent, dies auch nach mehrfacher Wiederholung an verschiedenen Tagen gegenüber Kriminalbeamten der Special Victims Squad und Anklagevertretern.

Bei den Ermittlungen in der Zeit zwischen dem Vorfall und dem 18. Mai ergaben sich keine Warnsignale hinsichtlich des persönlichen Hintergrunds der Klägerin. Sie hatte bereits seit mehr als drei Jahren im Hotel Sofitel gearbeitet, in ihrer Personalakte fanden sich keinerlei Anzeigen von Vorfällen oder Abmahnungen, und ihre Vorgesetzten beschrieben sie als mustergültige Mitarbeiterin. Sie hatte keine Vorstrafen und der

United States Immigration Court [Einwanderungsgericht] hatte ihr Asyl gewährt. Zwar merkte sie an, dass sie zunächst mit einem Visum und Papieren in die Vereinigten Staaten eingereist sei, die eigentlich auf eine andere Person ausgestellt waren, aber sie gab diese Tatsache freimütig zu. Schließlich war aufgrund der vorliegenden Sachlage davon auszugehen, dass die Klägerin vorher nicht von einem Aufenthalt des Angeklagten im Hotel gewusst hatte – was es ihr eventuell ermöglicht hätte, eine Begegnung zwischen ihm und ihr zu inszenieren – und dass sie die Suite des Angeklagten in der Erwartung betreten hatte, diese sei leer.

Andere Anhaltspunkte passten zu der Aussage, dass es sich um einen nicht einvernehmlichen sexuellen Kontakt zwischen dem Angeklagten und der Klägerin gehandelt habe. Wie weiter oben beschrieben, vertraute sich die Klägerin unverzüglich zwei Vorgesetzten an[11], die beide innerhalb der ersten 48 Stunden der Ermittlungen vernommen wurden und angaben, sie habe aufgelöst gewirkt. Laut vorläufigem Ergebnis einer DNA-Analyse, die vom Office of Chief Medical Examiner (OCME) [etwa: Dienststelle des leitenden Gerichtsmediziners] durchgeführt worden war, wurde in mehreren Flecken im oberen Bereich der Hoteluniform der Klägerin Sperma festgestellt, in dem die DNA des Angeklagten nachgewiesen wurde. Diese vorläufigen gerichtsmedizinischen Erkenntnisse gaben zwar nicht darüber Aufschluss, ob es sich bei dem Kontakt zwischen dem Angeklagten und der Klägerin um einen erzwungenen Kontakt gehandelt hatte, aber immerhin belegten sie, dass eine sexuelle Handlung zwischen beiden stattgefunden hatte. Die Ermittlungen in diesem frühen Stadium ergaben außerdem, dass es sich offenbar um eine kurze Begegnung gehandelt hatte, was ebenfalls darauf hindeutete, dass die sexuelle Handlung wahrscheinlich nicht aus einem einvernehmlichen Kontakt resultierte.

Die Ermittlungen vor der Anklageerhebung hatten ergeben, dass der Angeklagte das Hotel hastig verlassen hatte.[12] Es war aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt, wohin sich der Angeklagte unmittelbar nach Verlassen des Hotels begeben hatte.[13] Was allerdings sehr wohl bekannt war, war die Tatsache, dass der Angeklagte später am Nachmittag des 14. Mai 2011 auf dem John-F.-Kennedy-Flughafen ein Flugzeug der Air France nach Europa bestiegen hatte und dass er ein französischer Staatsbürger war. Noch vor seiner Anhörung hatte man festgestellt, dass der Angeklagte als französischer Staatsbürger nicht zu Strafverfolgungszwecken an die Vereinigten Staaten ausgeliefert werden würde.

Auf der Grundlage der zahlreichen Befragungen der Klägerin und gestützt auf die Auswertung sämtlicher zu diesem Zeitpunkt vorliegender Beweise kamen die Beamten des NYPD und die Anklagevertreter, die in dieser anfänglichen Phase der Ermittlungen mit der Klägerin gesprochen hatten, unabhängig voneinander zum selben Schluss: Alle hielten die Klägerin für glaubwürdig und die Eröffnung eines Strafverfahrens für gerechtfertigt. Daher wurde der Fall vor eine Anklagejury gebracht und es wurde öffentlich Anklage erhoben.

B. Weitere Ermittlungen

Vom Tag der Anklage bis heute hat die Bezirksstaatsanwaltschaft weiterhin umfassende und weitreichende Ermittlungen über den Angeklagten, die Klägerin und zu den Fakten des vorliegenden Falls durchgeführt. Hierbei wurden auch die Ergebnisse der körperlichen Untersuchung der Klägerin und des Angeklagten sowie wissenschaftliche Untersuchungen forensischen Beweismaterials einbezogen, das von beiden Personen und deren Kleidung stammt. Polizei- und Kriminalbeamte, Zivilpersonen, medizinisches Personal, Kriminaltechniker und medizinische Sachverständige wurden als Zeugen gehört. Dokumente, Aufzeichnungen und weitere Beweismittel wurden zusammengetragen und analysiert, darunter Daten von elektronischen Kommunikationsmedien, finanzielle und geschäftliche Aufzeichnungen, medizinische Dokumentation, Überwachungsvideos aus dem Hotel Sofitel und von anderen Orten, Polizeiakten sowie Akten anderer mit der Strafverfolgung befasster Behörden und staatlicher Stellen.

Da zum Beweis der zur Last gelegten Verbrechen eine glaubhafte Aussage der Klägerin erforderlich war, befragten Staatsanwälte und Ermittler diese wiederholt zu ihrer persönlichen Lebensgeschichte, ihren gegenwärtigen Lebensumständen und den Einzelheiten des Vorfalls selbst. In den Vernehmungen vom 14. Mai bis zum 7. Juni 2011 gab die Klägerin den Anklagevertretern und Ermittlern detaillierte Auskünfte über den Vorfall, ihre persönliche Lebensgeschichte und ihre gegenwärtigen Lebensumstände. Am 7. Juni 2011 machte der Anwalt der Klägerin die Staatsanwaltschaft darauf aufmerksam, dass seine Mandantin bei der Darstellung ihrer persönlichen Lebensgeschichte nicht die Wahrheit gesagt habe, dies gelte auch für die Schilderung einer angeblichen früheren Vergewaltigung. In weiteren Vernehmungen am 8., 9. und 28. Juni 2011[14] gab die Klägerin dann selbst zu, den Staatsanwälten gegenüber in einigen Punkten ihrer persönlichen Lebensgeschichte und ihrer gegenwärtigen Lebensumstände nicht die Wahrheit gesagt zu haben.

In der Vernehmung vom 28. Juni gab die Klägerin in Anwesenheit ihres Anwalts vor drei Staatsanwälten und einem Ermittler zu, dass sie auch bei der Schilderung der Abläufe, die sich unmittelbar nach dem Vorfall abgespielt hatten, nicht nur gegenüber den Staatsanwälten nicht die Wahrheit gesagt habe, sondern auch vor der Anklagejury in diesem wichtigen Punkt gelogen habe. In einem Schreiben mit Datum 30. Juni 2011 setzte die Staatsanwaltschaft das Gericht und den Verteidiger des Angeklagten von den Falschaussagen der Klägerin sowie über weitere potenziell entlastende Informationen in Kenntnis.

Vom 1. Juli 2011 bis zum heutigen Tag setzte die Behörde ihre Ermittlungen in diesem Fall fort, vernahm weitere Zivilpersonen, wissenschaftliche und medizinische Sachverständige als Zeugen, verschaffte sich zusätzliche Daten und wertete diese aus, analysierte weitere forensische Ergebnisse des OCME und wertete weitere Informationen aus, die vom Anwalt der Klägerin und vom Verteidiger des Angeklagten zur Verfügung gestellt wurden. Am 27. Juli 2011 trafen sich die Anklagevertreter auch noch einmal mit der Klägerin; an diesem Tag schilderte sie die Ereignisse unmittelbar nach ihrer Begegnung mit dem Angeklagten erneut in einer erheblich geänderten Version.

GRÜNDE FÜR DIE EMPFEHLUNG ZUR EINSTELLUNG DES VERFAHRENS

Der Staatsanwaltschaft kommt im Strafverfahren die schwerwiegende Aufgabe zu, die Schuld eines Beschuldigten über jeden berechtigen Zweifel hinaus ("beyond a reasonable doubt") zu beweisen. Die Unaufrichtigkeit der Klägerin hat jedoch aus einer ganzen Reihe von Gründen, von denen wir im Folgenden einige darlegen, dazu geführt, dass es unmöglich ist, ihr Glauben zu schenken. Da wir der Zeugenaussage der Klägerin nicht über jeden Zweifel hinaus glauben können, können wir auch die Geschworenen nicht bitten, dies zu tun. Die verbleibenden Beweismittel reichen nicht aus, um zu beweisen, dass die Tatbestände der zur Last gelegten Verbrechen erfüllt sind. Wir sehen uns daher sowohl aus juristischer als auch aus ethischer Sicht gezwungen zu beantragen, dass das Verfahren eingestellt werden möge.

I. Die Zeugenaussage der Klägerin bei der Verhandlung ist nicht verlässlich genug, um über jeden berechtigten Zweifel hinaus Beweiskraft zu erbringen

Die Klägerin hat im Laufe zahlreicher Befragungen unvereinbare Versionen der Abläufe, die sich unmittelbar nach ihrer Begegnung mit dem Angeklagten abspielten, vorgetragen, sodass wir uns nicht mehr in der Lage sehen festzustellen, was tatsächlich vorgefallen ist, und uns nicht darauf verlassen können, dass die Klägerin in diesem Punkt eine wahrheitsgemäße Aussage machen wird. Sie hat bereits eine Reihe von Falschaussagen gemacht, sowohl gegenüber den Staatsanwälten dieses Verfahrens als auch in ihrer Vergangenheit. Einige dieser Aussagen erfolgten unter Eid oder der Androhung einer Strafverfolgung wegen Meineids, einige davon stellen betrügerische Handlungen ("fraudulent acts") dar.

A. Fortgesetzte Widersprüchlichkeit der Darstellungen der Klägerin hinsichtlich des zur Last gelegten Vorfalls

Version eins . Vom Tag des Vorfalls bis zum 28. Juni 2011 sagte die Klägerin gegenüber den Staatsanwälten wiederholt aus, dass sie nach dem sexuellen Kontakt mit dem Angeklagten sofort aus dessen Suite geflohen und zum anderen Ende des Flurs der 28. Etage gelaufen sei. Sie sagte weiterhin aus, dass sie, nachdem sie auf dem Teppich des Flurs der 28. Etage ausgespuckt habe, dort voller Angst geblieben sei, bis sie zufällig ihren Vorgesetzten getroffen habe. Daraufhin hätten sie beide zusammen die Suite 2806 betreten. Dort habe sie angefangen, ihrem Vorgesetzten zu erzählen, was zwischen ihr und dem Angeklagten geschehen sei. Nachdem ein zweiter Vorgesetzter hinzugekommen sei, habe sie dies noch einmal erzählt. Von den Anklagevertretern befragt, warum sie im Flur der 28. Etage geblieben sei und nicht zum Schutz ein leeres Zimmer auf dieser Etage aufgesucht und von dort ihre Vorgesetzten oder Sicherheitspersonal angerufen habe, antwortete sie, dass an allen anderen Zimmern auf der Etage "Bitte nicht stören"-Schilder gehangen hätten und sie daher keinen Zutritt gehabt habe.

Version zwei . In einer Befragung am 28. Juni 2011 schilderte die Klägerin in Anwesenheit ihres Anwalts die Abläufe unmittelbar nach dem Vorfall in der Suite des Angeklagten ganz anders. Zu Beginn dieser Befragung gab sie zum ersten Mal zu, dass sie in diesem entscheidenden Punkt den Staatsanwälten gegenüber nicht die Wahrheit gesagt und auch bei ihrer Aussage vor der Anklagejury gelogen habe . Sie trug eine neue Version dieser Ereignisse vor und behauptete nun, sie sei, nachdem sie das Zimmer des Angeklagten verlassen habe, direkt in ein anderes Zimmer (2820) gegangen, um dort Reinigungsarbeiten zu Ende zu führen. Sie beschrieb diese mit genauen Einzelheiten und erzählte, sie habe auf dem Fußboden Staub gesaugt und die Spiegel und weitere Möbelstücke in diesem Zimmer saubergemacht. Sie berichtete weiter, dass sie, nachdem sie ihre Arbeiten in Zimmer Nr. 2820 beendet habe, in die Suite des Angeklagten zurückgekehrt sei und damit begonnen habe, diese ebenfalls zu säubern. Sie gab an, dass sie, als sie danach zu einem Wäscheschrank auf dem Flur der 28. Etage gegangen sei, um sich benötigte Materialien zu holen, ihrem Vorgesetzten begegnet sei, woraufhin sie beide zusammen in die Suite 2806 zurückgekehrt seien. Anstatt ihrem Vorgesetzten sofort von dem Vorfall mit dem Angeklagten zu berichten, habe die Klägerin ihm eine hypothetische Frage dahingehend gestellt, ob es Gästen gestattet sei, sich Bediensteten "mit Gewalt aufzuzwingen" ("force themselves on staff members") und ihrem Vorgesetzten erst auf dessen Drängen hin berichtet, was geschehen sei. Angesichts der Bedeutung dieser neuen Darstellung, die im Widerspruch zu ihrer unter Eid abgegebenen Aussage vor der Anklagejury stand, befragten die Staatsanwälte sie im Verlauf dieser Vernehmung am 28. Juni dazu sehr intensiv.

Da die Klägerin nun angab, das Zimmer Nr. 2820 betreten zu haben, besorgten sich die Staatsanwälte die Protokolle der elektronischen Schlüsselkarten für dieses Zimmer. Diese Protokolle, die durch eine Person, die nicht

Mitglied der Staatsanwaltschaft ist, auch dem Anwalt der Klägerin zugänglich gemacht wurden, zeigten, dass die Klägerin das Zimmer 2820 um 12:26 Uhr betreten hatte und noch in derselben Minute (ebenfalls um 12:26 Uhr) auch das Zimmer des Angeklagten betrat. Die überaus kurze Zeitspanne, die die Klägerin in Zimmer 2820 verbrachte, widerlegt ihre Aussage, wonach sie in diesem Zimmer diverse Reinigungsarbeiten vorgenommen habe, bevor sie in die Suite des Angeklagten zurückkehrte.

Version drei. In einer späteren Befragung am 27. Juli 2011 änderte die Klägerin ihre Darstellung dessen, was sie unmittelbar nach ihrer Begegnung mit dem Angeklagten getan habe, erneut. An diesem Tag sagte sie, sie habe das Zimmer 2820 bereits früher am Vormittag des 14. Mai gereinigt. Unmittelbar nach dem Vorfall habe sie die Suite 2806 verlassen und sei um die Ecke gerannt, wie sie ursprünglich ausgesagt habe, und nicht gleich in Zimmer 2820. Als sie gesehen habe, wie der Angeklagte mit dem Aufzug davonfuhr, habe sie das Zimmer 2820 für einen kurzen Augenblick betreten, um einige Reinigungsutensilien herauszuholen. Ihre Aussage vom 28. Juni bestritt sie und bestand darauf, diese sei entweder vom Dolmetscher falsch übersetzt worden oder aber die Staatsanwälte hätten sie missverstanden.[15] Angesichts der ausgedehnten Befragungen zu diesen Ereignissen im Anschluss an ihre Ausführungen und ihrer Beteuerung am 28. Juni, dass die Schilderung, die sie an diesem Tag vorgetragen habe, der Wahrheit entspreche, ist dies jedoch nicht glaubhaft. Von entscheidender Bedeutung ist, dass sie sich fähig glaubte, ihre frühere Aussage exakt vor denselben Staatsanwälten zu verleugnen, die diese Aussage am 28. Juni gehört hatten; dies stellt ihre Glaubwürdigkeit auf einer ganz grundsätzlichen Ebene in Frage.[16]

Wie immer man die vorliegende Beweislage auch bewertet: der Staatsanwaltschaft ist es nicht gelungen, von der Klägerin eine konsistente Schilderung der Abläufe um den zur Last gelegten Vorfall zu erlangen – ein Aspekt, der in einem gerichtlichen Verfahren von zentraler Bedeutung wäre. Die unterschiedlichen Versionen ihrer Darstellung beschädigen nicht nur die Vertrauenswürdigkeit der Klägerin als Zeugin, sie machen es auch schwierig festzustellen, was in der kritischen Zeitspanne zwischen 12:06 und 12:26 Uhr wirklich vorgefallen ist. Wir haben kein Vertrauen, dass die Klägerin, wenn sie in der Verhandlung als Zeugin aufgerufen würde, zu diesem Thema die Wahrheit sagen würde.[17]

B. Anhaltende Falschaussagen der Klägerin, unter anderem falsche Behauptung einer früheren Vergewaltigung
1. Behauptung einer Vergewaltigung

Im Rahmen einer Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft am 16. Mai 2011 sprach die Klägerin unaufgefordert davon, dass sie bereits einmal von einer Gruppe von Soldaten in ihrem Haus in Guinea vergewaltigt worden sei. Bei einer Befragung am 30. Mai 2011 berichtete sie genaue und eindrucksvolle Details zu der Anzahl und dem Erscheinungsbild der Angreifer und der Anwesenheit ihrer zweijährigen Tochter bei dem Angriff, die ihr nach ihrer Aussage aus den Armen gerissen und auf den Boden geworfen wurde. Bei beiden Befragungen machte sie auf sichtbare Narben aufmerksam, von denen sie behauptete, dass sie auf den Übergriff zurückzuführen seien. In beiden Fällen schilderte die Klägerin die Vergewaltigung auf äußerst bewegende und überzeugende Weise: sie weinte, sprach stockend und wirkte verständlicherweise verstört; bei der ersten Befragung legte sie sogar ihren Kopf auf die Arme vor sich auf den Tisch.

In nachfolgenden Vernehmungen am 8. und 9. Juni 2011 gab die Klägerin gegenüber den Staatsanwälten zu, den Übergriff frei erfunden zu haben. Auf die Frage nach dem Grund hierfür erklärt sie zunächst, dass sie bezüglich der Vergewaltigung durch die Gruppe von Soldaten gelogen habe, weil sie diesen Vorfall in ihrem Asylantrag angegeben habe, und dass sie von den Angaben in diesem Antrag nicht habe abweichen wollen; sie erklärte darüber hinaus, dass sie zu dem Zeitpunkt dieser Schilderung gegenüber den Staatsanwälten nicht unter Eid gestanden habe. Auf den Vorhalt, dass in ihrem schriftlichen Asylantrag diese Vergewaltigung nicht erwähnt werde, erklärte sie, dass sie diese Vergewaltigung sowie weitere Einzelheiten zu ihrem Leben in Guinea erfunden hatte, und zwar mithilfe eines nicht namentlich genannten Mannes, der sie bei der Stellung des Asylantrags beraten habe. Sie erzählte den Staatsanwälten, dass dieser Mann ihr eine Tonbandkassette mit der fiktiven Schilderung einer Vergewaltigung gegeben habe, die sie auswendig gelernt hätte. Schließlich, so erklärte sie den Staatsanwälten,

habe sie sich entschieden, die Vergewaltigung in ihrem schriftlichen Antrag nicht zu erwähnen. [18]

Es liegt auf der Hand, dass bei einem Fall, in dem eine Klägerin einen Angeklagten eines sexuellen Übergriffs beschuldigt, eine frühere falsche Aussage über eine anderen sexuellen Übergriff sehr bedeutsam ist. Es ist auch sehr bedeutsam, dass dies gegenüber der Staatsanwaltschaft bewusst falsch behauptet wurde, und zwar auf höchst glaubhafte Weise – genauso, wie sie die Begegnung mit dem Angeklagten schilderte. Von höchster Bedeutsamkeit ist ihre Fähigkeit, diese Fiktionen mit voller Überzeugung als Fakten zu präsentieren.

Staatsanwälte weisen gegenüber den Geschworenen häufig darauf hin, dass dem Verhalten eines Zeugen in der Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit eine Schlüsselrolle zukomme, und auch ein Richter nimmt dies in seine Rechtsbelehrung der Geschworenen auf. In diesem Fall stützt sich der Nachweis der Tatbestandsmerkmale "körperliche Gewaltausübung" und "fehlendes Einvernehmlichkeit" auf eine einzige Zeugin, die Klägerin. Dass sie zuvor erfahrene Staatsanwälte und Ermittler davon überzeugen konnte, schon einmal Opfer eines gewaltsamen – allerdings erfundenen – sexuellen Übergriffs gewesen zu sein – und dies mit dem gleichen Verhalten, das sie wahrscheinlich in der Verhandlung zur Schau stellen würde –, ist verheerend. Die Erkenntnis, dass ihre überzeugend wirkende Art nicht als verlässliches Maß für ihre Ehrlichkeit gelten kann, gepaart mit den aufgedeckten Falschaussagen in den Vernehmungen, lässt uns zwingend zu dem Schluss kommen, dass wir von der Schuld des Angeklagten nicht länger über jeden berechtigten Zweifel hinaus überzeugt sind und von den Geschworenen keinen Schuldspruch verlangen können, der auf der Aussage dieser Klägerin beruht. [19]

2. Falschaussagen unter Eid

Ebenso wichtig ist, dass die Klägerin eingeräumt hat, unter Eid Falschaussagen gemacht zu haben, und zwar bei der Aussage vor der Anklagejury, die über die aktuelle Klageerhebung befunden hat, und auch in Schriftstücken mit eidesstattlichen Versicherungen, die sie bei US-Behörden eingereicht hat. In einem solchen Fall, in dem die Aussagen der Klägerin für den Beweis der zur Last gelegten Verbrechen über jeden berechtigten Zweifel hinaus entscheidend sind, ist die Tatsache, dass sie vor einer Anklagejury zu dem zur Last gelegten Vorfall falsche Angaben gemacht hat und Schriftstücke mit falschen eidesstattlichen Versicherungen eingereicht hat, höchst schädlich.

3. Weitere Unaufrichtigkeiten

Neben ihrer falschen Schilderung einer Vergewaltigung und falschen Aussagen unter Eid oder an Eides Statt war sie im Hinblick auf so viele weitere Dinge gegenüber den Strafverfolgungsbehörden unehrlich, dass wir ihr schlechterdings nicht mehr glauben können. Zum Beispiel hat sie wiederholt Formulare unterschrieben, von denen sie mittlerweile zugibt, dass sie falsche Angaben enthielten, um weiterhin in einer Sozialwohnung für Geringverdiener wohnen zu können; dabei verschwieg sie absichtlich ihr Einkommen aus der Beschäftigung im Hotel Sofitel. Die Klägerin war auch bei einer ganzen Reihe von weiteren Themen wie ihrer Lebensgeschichte, ihrem Hintergrund, ihren gegenwärtigen Lebensumständen und ihren persönlichen Beziehungen wiederholt unaufrichtig.

Außerdem verschwieg die Klägerin bei der Beantwortung von Routinefragen der Staatsanwaltschaft zu ihren Einkommensverhältnissen Zahlungseingänge von insgesamt fast 60.000 US-Dollar auf ihrem Girokonto, die sie von Personen aus vier verschiedenen Staaten erhalten hatte. Als sie darauf angesprochen wurde, erklärte sie, dass sie ihrem Verlobten in Arizona [20] erlaubt habe, ihr Girokonto für Einzahlungen zu benutzen; sie gab an, davon ausgegangen zu sein, dass diese Geldmittel für eine Geschäftstätigkeit mit Kleidung und Accessoires bestimmt waren. Manchmal, sagte sie, habe er sie gebeten, Geld abzuheben, das er eingezahlt hatte, und das Geld einem seiner Geschäftspartner in New York City zu übergeben. Sie behauptete, nicht zu wissen, wie viel Geld auf diese Weise über ihr Konto gelaufen sei. Sie stritt zwar ab, von diesen Banktransaktionen in irgendeiner Art und Weise profitiert zu haben, doch blieben Teile von jeder Einzahlung häufig auf ihrem Konto.

Angesichts des Umstandes, dass sie einen Zivilanwalt beauftragt hatte, war sie außerdem bereits am 16. Mai 2011 nach möglichen finanziellen Beweggründen gefragt worden. Sie erklärte unmissverständlich, dass sie kein Interesse daran habe, aufgrund ihrer Beteiligung an diesem Fall Geld zu erhalten. Sie behielt diese Position auch bei anderen Vernehmungen vor und nach Klageerhebung bei und sagte bei einer Gelegenheit sehr emotional, dass niemand sie "kaufen" könne. Allerdings führte die Klägerin sehr zeitnah zu diesen Einlassungen ein aufgezeichnetes Telefongespräch mit ihrem inhaftierten Verlobten, in dem die Möglichkeit einer finanziellen

Entschädigung aufgrund des Vorfalls am 14. Mai 2011 erwähnt wurde. [21] Auch wenn nichts Verwerfliches darin zu erkennen ist, in einer Zivilklage von einem Beschuldigten eine Entschädigung zu verlangen, so ist doch das Bestreiten finanzieller Interessen durch die Klägerin für ihre Glaubwürdigkeit wichtig.

In der Summe: die Klägerin war fortwährend, gelegentlich in einer unerklärlichen Weise, unwahrhaftig, und zwar in der Beschreibung von Dingen mit großer und solchen mit geringer Bedeutung. In unseren wiederholten Befragungen konnten daher der tatsächliche Ablauf des zur Last gelegten Vorfalls und ihr wahrer persönlicher Hintergrund nicht ermittelt werden ("remained elusive" – blieb flüchtig).

II. Die physischen und sonstigen Beweise belegen keine Ausübung von körperlicher Gewalt oder fehlende Einvernehmlichkeit

Die physischen, medizinischen und sonstigen Beweise in diesem Fall sind für die strittigen Fragen der Ausübung von körperlicher Gewalt und der fehlenden Einvernehmlichkeit von begrenztem Wert. Die Beweise ergeben schlüssig, dass es zwischen dem Angeklagten und der Klägerin am 14. Mai 2011 zu einer sexuellen Begegnung kam. Die Beweise beweisen oder bekräftigen jedoch nicht, dass ihre Begegnung unter Ausübung von Zwang geschah oder die Einvernehmlichkeit fehlte; außerdem werden bestimmte Aspekte der Schilderung des Hergangs durch die Klägerin durch die Beweise nicht bestätigt.

A. Beweismittel am Tatort

Nach der ersten Schilderung der Klägerin zum Tathergang wurden zwei Orte im Hotel Sofitel von der Spurensicherung ("Crime Scene Unit") der NYPD untersucht: Suite 2806, wo sich der Vorfall ereignete, sowie der Bereich am Ende des Korridors in der 28. Etage, den die Klägerin in ihren ersten Schilderungen als den Ort nannte, wohin sie direkt nach dem Vorfall gerannt war. [22] Die Spurensicherung identifizierte fünf verschiedene Bereiche im Korridor von Suite 2806, wo eventuell Körperflüssigkeiten wie Sperma oder Speichel vorhanden sein könnten. [23] Am Folgetag entfernte die Spurensicherung den Teppich aus dem Korridor der Suite sowie die Tapete von der Korridorwand und übergab diese Beweismittel an die forensische Abteilung ("Forensic Biology Department") des OCME. Vorab­analysen durch das OCME ergaben fünf Bereiche des Teppichs, in denen Körperflüssigkeit enthalten war. Einer dieser Flecken, der sich ca. 1,80 bis 2,40 Meter von der Stelle entfernt befand, von der die Klägerin gesagt hatte, dass dort der sexuelle Übergriff stattgefunden habe, ergab einen positiven Sper­ma- und Amylase-Befund und enthielt eine Mischung aus der DNA des Angeklagten und der DNA der Klägerin. Weder die übrigen Flecken auf dem Teppich noch der einzelne Fleck auf der Tapete enthielten DNA der Klägerin oder des Angeklagten. [24]

Am 14. Mai 2011 wurde die Hoteluniform der Klägerin, bestehend aus einem Kleid und einer Schürze, bei ihr von Polizeibeamten sichergestellt und an die forensische Abteilung des OCME weitergeleitet. Drei Flecken im oberen Bereich des Kleides enthielten Sperma; zwei der drei Flecken enthielten Amylase, die zu Sperma, Speichel oder Scheidensekret passte. Aus den drei Flecken ergab sich ein einziges DNA-Profil, das dem des Angeklagten entsprach. Weitere Abstriche, die im Rahmen der forensischen Untersuchung des sexuellen Übergriffs vom Körper der Klägerin genommen wurden, enthielten weder Sperma noch Amylase und führten daher nicht zu DNA-Ergebnissen. Ebenso führte die Untersuchung von Abschürfungen unter ihren Fingernägeln zu keinen Ergebnissen.

Abschürfungen unter den Fingernägeln der linken Hand des Angeklagten enthielten sein eigenes DNA-Profil; Abschürfungen unter den Fingernägeln seiner rechten Hand führten zu keinen Ergebnissen. Ein Penisabstrich des Angeklagten ergab einen positiven Spermabefund und enthielt das DNA-Profil des Angeklagten, ebenso ein Fleck auf den Boxershorts, die bei ihm kurz nach seiner Verhaftung sichergestellt wurden. Zwei kleine Blutflecke auf den Boxershorts des Angeklagten enthielten seine DNA, ebenso ein einzelner kleiner Blutfleck auf dem obersten Bettlaken in der Suite. Diese Flecken schienen mit dem untersuchten Vorfall nicht in Zusammenhang zu stehen, da der Angeklagte zum Zeitpunkt seiner Verhaftung unter einer Hauterkrankung litt, bei der die Haut seiner Hände blutete. Die Erkrankung und das Bluten waren für die Beamten bei der Festnahme deutlich sichtbar und auch auf Fotos zu erkennen, die von den Händen des Angeklagten bei seiner Festnahme gemacht wurden. Die Klägerin hat auch nicht erwähnt, dass sie während des Vorfalls blutete oder dass einer von ihnen sich eine Verletzung zuzog, die geblutet haben könnte; auf der Kleidung oder dem Körper der Klägerin wurde ebenfalls kein Blut gefunden.

Zum Zeitpunkt des Vorfalls trug die Klägerin zwei Paar Strumpfhosen (ein dunkleres und ein helleres Paar). [25] Unter diesen zwei Strumpfhosen trug sie einen Slip. Am 14. Mai 2011 stellten Polizeibeamten diese Kleidungsstücke bei der Klägerin sicher, nachdem sie zum Krankenhaus gebracht worden war, und leiteten sie an das OCME zur Untersuchung weiter. Die DNA des Angeklagten fand sich in Form von Epithelzellen sowohl auf dem inneren als auch dem äußeren Bund beider Strumpfhosen sowie auf dem Bund des Slips. Die DNA des Angeklagten, ebenso aus Epithelzellen, fand sich auch auf dem äußeren Zwickel der helleren Strumpfhose, aber nicht auf dem inneren oder äußeren Zwickel der dunkleren Strumpfhose oder des Slips. Da eine Person Gewebe anfassen kann, ohne dabei unbedingt ihre DNA zu hinterlassen, legen diese Befunde nahe, dass der Angeklagte die Unterwäsche der Klägerin berührt hat, aber weder widerlegen noch bestätigen sie die Aussage der Klägerin, dass der Angeklagte seine Hand unter ihre Unterwäsche geschoben und fest in ihren Genitalbereich gefasst hat.

Am 16. Mai 2011 kam die Spurensicherung erneut in die Hotelsuite. Sie nahm unter anderem Abstriche von dem Waschbecken in der Gästetoilette der Suite und stellte auch einige gebrauchte Handtücher aus dem Badezimmer sicher. Die Klägerin hatte angegeben, dass sie nach dem Vorfall und während des Aufenthalts in der Suite zusammen mit ihrem Vorgesetzten am 14. Mai 2011 in das Waschbecken der Gästetoilette gespuckt hatte. Die beiden Abstriche von dem Waschbecken wurden zusammen mit den Handtüchern an das OCME weitergeleitet, und bei allen ergaben sich negative Spermabefunde sowie positive Amylasebefunde. Das OCME konnte nicht ausreichend Material aus den Abstrichen von dem Waschbecken gewinnen, um ein DNA-Profil zu erstellen.

B. Medizinische und klinische Beweise
1. Körperliche Untersuchung

Am Tag des Vorfalls wurde die Klägerin von einer examinierten Krankenschwester untersucht, die als erfahrener SAFE Examiner im St. Luke’s Roosevelt Hospital tätig ist. Bei ihrer ersten Untersuchung stellte sie keine sichtbaren Verletzungen der Klägerin fest und verzeichnete in den Behandlungsunterlagen, dass diese keine Verwundungen am Körper oder der Mundhöhle erlitten habe. Der einzige Befund, den sie festhielt, war eine "Rötung", die sie bei der gynäkologischen Untersuchung feststellte. Sie konnte nicht mit hinreichender medizinischer Sicherheit sagen, dass diese "Rötung" direkt auf den Vorfall zurückführen war, nicht einmal, dass es eine Verletzung oder eine Prellung war. Sie erklärte, dass dieser Befund auf den durch die Klägerin geschilderten Vorfall zurückzuführen sein könnte, aber auch viele andere Ursachen haben könnte.

Nach Anklageerhebung zog die Staatsanwaltschaft einen Arzt mit großer Erfahrung auf dem Gebiet von forensischen Untersuchungen nach sexuellen Übergriffen hinzu. Dieser Sachverständige nahm Einsicht in die Behandlungsunterlagen der Klägerin vom 14. Mai 2011 und stimmte mit der Einschätzung des SAFE Examiner überein, dass die festgestellte rötliche Färbung ein sehr unspezifischer Befund war, der auch ganz andere Ursachen haben konnte als eine Verletzung, unter anderem jede Art von Reibung, Reizung oder Entzündung des Bereichs. Dieser Sachverständige war des Weiteren der Auffassung, es sei zwar möglich, dass die Rötung durch die von der Klägerin beschriebene Berührung entstanden ist, hielt dies aber nicht für wahrscheinlich.

2. Schulterverletzung

Im Krankenhaus klagte die Klägerin zunächst über Schmerzen in der linken Schulter, deren Schwere sie auf einer Skala von 0 bis 10 gegenüber der diensthabenden Krankenschwester mit 5 einstufte. Laut den Behandlungsunterlagen nahmen die Schmerzen mit zunehmender Verweildauer in der Notaufnahme deutlich ab. Bei der ärztlichen Untersuchung in der Notaufnahme hatte die Klägerin keine Gelenkschmerzen, und es wurden keine Röntgenaufnahmen veranlasst. Bei der Klägerin wurde eine Muskelzerrung und Prellung diagnostiziert, auch wenn keine Quetschung oder Schwellung ihrer Schulter festgestellt wurde. Sie bekam im Krankenhaus keine Schmerzmittel. Ihr wurde auch kein Rezept für solche Medikamente ausgestellt.

In mehreren Vernehmungen in den Tagen nach dem Vorfall wurde die Klägerin gefragt, ob sie bei dem Vorfall eine Verletzung erlitten habe; sie antwortete stets, dass ihre Schulter an dem Tag des Vorfalls wehgetan habe, aber dass es am Folgetag wieder viel besser gewesen sei. Bei diesen frühen Vernehmungen zeigte die Klägerin keinerlei Schmerzen und klagte auch nicht über Schmerzen oder Beschwerden, auch nicht bei heftigeren Körperbewegungen in Anwesenheit der Staatsanwälte und Ermittler. Angesichts dieser wiederholten Aussage, dass sie keine Verletzungen erlitten habe, sowie der ärztlichen Diagnose wurde der Vorwurf der Körperverletzung nicht Bestandteil der Klage und auch nicht der Anklagejury vorgelegt. [26]

Am 13. Juni 2011 unterrichtete der Anwalt der Klägerin die Staatsanwaltschaft davon, dass die Klägerin starke Schmerzen in ihrer Schulter verspüre, die eine direkte ärztliche Behandlung erforderten und sie vernehmungsunfähig machten. Am 22. Juni 2011 diagnostizierte der Orthopäde der Klägerin mittels einer Kernspintomografie eine Typ-2-SLAP-Läsion der linken Schulter sowie eine Schleimbeutelentzündung und Sehnenentzündung, konnte aber keine Aussage zum Beginn der Erkrankung oder zu ihrer Ursache machen. Nachdem die Klägerin über weitere Symptome wie Taubheit und Kribbeln in ihren Fingern klagte, wurde sie einem weiteren Arzt zur Untersuchung ihrer Halswirbelsäule vorgestellt. Nach unserer Kenntnis hat dieser Arzt keine Diagnose gestellt.

Über ihren Anwalt ließ die Klägerin nunmehr gegenüber der Staatsanwaltschaft mitteilen, dass sie sich die Typ-2-

SLAP-Läsion bei der Begegnung mit dem Angeklagten zugezogen habe. Bislang hat sie der Staatsanwaltschaft jedoch nicht die Erlaubnis erteilt, ärztliche Unterlagen in Bezug auf die Zeit vor dem Vorfall einzusehen, um festzustellen, ob bei ihr bereits vorher eine Schulterverletzung vorlag. Zudem hat die Staatsanwaltschaft einen renommierten Orthopäden beauftragt, sämtliche Unterlagen zu der Schulterverletzung zu analysieren. Dieser Sachverständige kam zu dem Schluss, dass mit hinreichender medizinischer Sicherheit die Verletzung, wenn es sich überhaupt um eine Verletzung handelte, [27] wahrscheinlich durch eine "wiederholte Bewegung der oberen Extremität über den Kopf hinweg in einer abgespreizten und nach außen gedrehten Stellung" verursacht wurde, wie sie ein Leichtathlet bei Überkopfwürfen einnehmen kann. Um die Läsion auf der Kernspintomografie der Klägerin auf eine einzelne Verletzung zurückführen zu können, wie die Klägerin sie beschrieben hatte, hätte die Läsion nach Auffassung des Sachverständigen mit hinreichender medizinischer Sicherheit mit "erheblichen Schmerzen" einhergehen müssen, "und zwar nicht nur in den ersten zwölf Stunden, sondern mindestens in den ersten paar Tagen". Darüber hinaus würde er "nicht erwarten, dass die Schmerzen … in den ersten achtundvierzig Stunden vollständig abklingen, aber ungefähr achtundzwanzig Tag später wieder auftreten."

Angesichts mehrerer Faktoren im Zusammenhang mit der behaupteten Verletzung, insbesondere der Feststellungen des Sachverständigen, wird der behauptete sexuelle Übergriff, der dem Angeklagten in der Anklage zur Last gelegt wird, durch die Schulterverletzung nicht gestützt. [28]

3. Beschädigungen an der Strumpfhose

Wie oben beschrieben, trug die Klägerin zum Zeitpunkt des Vorfalls zwei Paar Strumpfhosen. Zum Zeitpunkt der Sicherstellung und auch später beim OCME fiel auf, dass die hellere Strumpfhose Beschädigungen aufwies. Eine dieser Beschädigungen ist etwa 7,5 cm lang und befindet sich am Zwickel, direkt neben der mittleren Naht des Kleidungsstücks. Die andere Beschädigung, die sich auf der Höhe des oberen Endes des Oberschenkels oder der Hüfte befindet, ist ca. 3,8 cm lang.

Als die Strumpfhose sichergestellt wurde, gestand die Klägerin gegenüber dem SAFE Examiner – und später gegenüber Polizeibeamten und Anklagevertretern – freimütig ein, dass sie nicht wisse, ob die Beschädigungen auf das Verhalten des Angeklagten zurückzuführen seien oder ob sie mit dem Vorfall nichts zu tun hätten. Nach allgemeiner Lebenserfahrung können Beschädigungen an Nylonstrumpfhosen ganz unterschiedliche Ursachen haben, unter anderem normale Abnutzung. Darum könnten wir gegenüber den Geschworenen nicht die Auffassung vertreten, dass die Beschädigungen an der Strumpfhose der Klägerin die Behauptung eines erzwungenen sexuellen Kontakts untermauern.

C. Zeitablauf des behaupteten Übergriffs und Handlungen des Angeklagten in der unmittelbaren Folgezeit

Die relativ kurze Dauer der Begegnung zwischen dem Angeklagten und der Klägerin legte zunächst den Schluss nahe, dass der sexuelle Akt wahrscheinlich nicht einvernehmlich war. Insbesondere zeigten Protokolle der elektronischen Schlüsselkarten des Hotels, dass die Klägerin die Suite 2806 zum ersten Mal um 12:06 Uhr betreten hatte, und Telefonaufzeichnungen ergaben später, dass der Angeklagte um 12:13 Uhr mit seiner Tochter telefoniert hatte. [29] Dementsprechend muss das, was auch immer zwischen der Klägerin und dem Angeklagten tatsächlich vorgefallen sein mag, in ungefähr sieben bis neun Minuten vorbei gewesen sein. Aber da die Klägerin keine zutreffende und widerspruchsfreie Schilderung der unmittelbaren Folgezeit des Vorfalls abgegeben hat, ist es unmöglich, die Dauer der Begegnung festzustellen. Dass der Angeklagte um 12:13 Uhr ein kurzes Telefonat geführt hat, ist nicht entscheidend dafür, wann die Begegnung stattgefunden hat, wie lange sie andauerte oder wo sich die Klägerin zwischen 12:06 und 12:26 Uhr befand. Jegliche Schlussfolgerungen, die denkbarerweise aus dem Zeitablauf der Begegnung gezogen werden könnten, werden zwangsläufig dadurch geschwächt, dass der Zeitablauf selbst nicht sicher ermittelt werden kann.

D. Unverzügliche Mitteilung des Vorfalls

Die Zeugen, denen sich die Klägerin unverzüglich anvertraut hat ("prompt outcry witnesses"), wurden mehrfach vernommen und erschienen glaubhaft. Beide Zeugen gaben an, die Klägerin habe aufgelöst gewirkt, als sie ihnen von der Begegnung mit dem Angeklagten berichtete. Aber da wir, wie oben näher beschrieben, der Klägerin keinen Glauben schenken können, und sie zudem in der Lage ist, Gefühle effektvoll in Szene zu setzen, ist die Beweisbedeutung des Umstandes, dass sie den Vorfall unverzüglich mitgeteilt habe, stark abgeschwächt ("the

strength and effect of the available prompt outcry evidence is greatly dimished"). Zu berücksichtigen ist auch, dass die aktuelle Version der Klägerin, wie sie sich unverzüglich ihrem direkten Vorgesetzten anvertraut habe, mit bestimmten Aspekten der Schilderung dieses Vorgesetzten nicht übereinstimmt.

E. Weitere Anschuldigungen wegen sexuellen Fehlverhaltens des Angeklagten

Während der Anhängigkeit dieses Verfahrens erlangte die Staatsanwaltschaft Kenntnis davon, dass eine Frau in Frankreich, ……, den Angeklagten ebenfalls eines sexuellen Übergriffs beschuldigt. Nach Erhebung der Anklage berichtete …… öffentlich, dass der Angeklagte sie bei einem Interview in Frankreich im Jahr 2003 in einem leeren Appartement versucht habe zu vergewaltigen. [30] Es erscheint jedoch unwahrscheinlich, dass es der Staatsanwaltschaft gestattet wäre, in ihre Beweisführung Aussagen von …… zu diesem behaupteten Übergriff einzubeziehen. [31]

SCHLUSS

Aus den vorgenannten Gründen spricht sich der Staat New York ("the People") mit allem gebührenden Respekt dafür aus, das Verfahren mit dem Aktenzeichen 02526/2011 einzustellen. Ein diesbezüglicher Antrag wurde noch bei keinem anderen Richter oder Gericht gestellt.

Datum:

New York, New York

22. August 2011

Achtungsvoll unterbreitet,

/Unterschrift/

Joan Illuzzi-Orbon

Assistant District Attorney

/Unterschrift/

John (Artie) McConnell

Assistant District Attorney

G E N E H M I G T:

 

/Unterschrift/

JOHN IRWIN

Deputy Chief, Trial Division


[1] Eine Kopie des Originaldokuments findet sich im Internet unter: http://www.courts.state.ny.us/whatsnew/pdf/dsk_motion_to_dismiss.pdf

[2] Vgl. nur aktuell den Fall Horst Arnold, der erst zehn Jahre nach dem ersten Urteil und nach fünf Jahren voll verbüßter Haft von dem Vorwurf der Vergewaltigung wegen erwiesener Unschuld (so die Urteilsgründe des LG Kassel) freigesprochen wurde; hierzu: Gisela Friedrichsen, "Von vorn bis hinten erfunden", in DER SPIEGEL Nr. 33/2011 (vom 15.8.2011).

[3] Wie in dem unsäglichen Verfahren gegen Jörg Kachelmann vor dem LG Mannheim.

[4] Vgl. den Einstellungsantrag unter II. E (am Ende).

[5] Dieser Antrag erläutert die Grundlagen für unser Ersuchen, das durch die Anklagejury eingeleitete Verfahren fallenzulassen. Er behauptet nicht abschließende tatsächliche Feststellungen. Allein: wir haben nicht länger die Überzeugung, dass der Angeklagte jenseits jeder berechtigten Zweifel schuldig ist.

[6] Berger v. United States , 295 U.S. 78, 88 (1935).

[7] Siehe New York Rules of Prof’l Conduct R. 3.8 cmt. 1, 6B (2011); ABA Standards for Criminal Justice: Prosecution Function 3-1.2(b), (c).

[8] In re Winship, 397 U.S. 358, 372 (1970) (Harlan, J., übereinstimmend).

[9] New York Rules of Prof’l Conduct R. 3.8(a) (2011); Model Rules of Prof’l Conduct R. 3.8(a) (2010).

[10] Siehe U.S. Dep’t of Justice, United States Attorneys’ Manual § 9-27.220 (1997); ABA Standards for Criminal Justice: Prosecution Function 3-3.9(b)(i).

[11] Die Tatsache, dass ein Opfer eines sexuellen Übergriffs unverzüglich jemandem von dem Vorfall berichtet ("prompt out­cry"), ist als Indiz zur Untermauerung der Annahme, dass ein Delikt sexueller Gewalt vorliegt, zulässig, siehe People v. McDaniel, 81 N.Y.2d 10, 16 (1993), auch wenn sie für sich genommen keinen Beweis für die Tatbestandsmerkmale des Verbrechens darstellt.

[12] Ermittler und Anklagevertreter vernahmen die Hotelangestellten, die den Angeklagten beim Auschecken um etwa 12:28 Uhr in der Hotelhalle bedienten; außerdem befragten sie den Front Office Manager des Hotels.

[13] Erst bei der Vernehmung am 6. Juni 2011 gab die Verteidigung bekannt, der genaue Aufenthaltsort des Angeklagten zwischen dem Zeitpunkt, zu dem er das Hotel verlassen hatte, und seiner Ankunft am John-F.-Kennedy-Flughafen sei ein in Manhattan zwischen der 51. und der 52. Straße gelegenes Restaurant gewesen.

[14] Am 9. Juni 2011 rief der Anwalt der Klägerin bei der Staatsanwaltschaft an und brach die laufende Vernehmung seiner Mandantin ab. Von diesem Zeitpunkt an stand die Staatsanwaltschaft bis zum 28. Juni 2011 mit dem Anwalt der Klägerin in Verhandlung, um die Wiederaufnahme der Vernehmung zu erwirken, jedoch ohne Erfolg. Erst am 28. Juni, d. h. 19 Tage nach Abbruch der Vernehmung, erschien die Klägerin zur Fortsetzung der Befragung.

[15] Die Klägerin stellte im Verlauf der zahlreichen Befragungen durch Ermittler und Anklagevertreter unter Beweis, dass sie sehr wohl in der Lage ist, Englisch zu sprechen und zu verstehen. Manchmal korrigierte sie sogar die Übersetzung ihrer Äußerungen durch den Dolmetscher. Bemerkenswerterweise tat sie dies jedoch nicht während der ausführlichen Befragung zu diesem Aspekt in der Vernehmung am 28. Juni.

[16] Es bleibt zumindest die Frage, ob die Klägerin, sofern überhaupt, sofort aus der Suite gerannt ist, nachdem der Angeklagte ejakuliert hatte. In dem Bericht des Sexual Assault Forensic Examiner ("SAFE")[Arzt mit speziellen gerichtsmed. Kenntnissen für die Untersuchung von Opfern sexueller Gewalt], der die Klägerin am Tag der Verletzung untersuchte, ist beschrieben, wie die Klägerin die Ejakulation des Angeklagten schilderte. Dort heißt es: "Die Patientin berichtet, er habe sich angezogen und dann den Raum verlassen, und er habe während des Vorfalls nichts zu ihr gesagt." Dieser Bericht deutet darauf hin, dass der Angeklagte zuerst wegging, wenn auch der SAFE Examiner einräumt, es sei möglich, dass in dem Bericht unterschiedliche Teile der Erzählung der Klägerin in einem Satz zusammengefasst wurden.

[17] Siehe New York Rules of Prof’l Conduct R. 3.3(a)(3) Hiernach darf ein Rechtsanwalt nicht wissentlich Aussagen zu Beweiszwecken darbieten oder verwerten, von denen er weiß, dass sie nicht wahr sind, außerdem kann ein Rechtsanwalt sich weigern, solche Aussagen vortragen zu lassen, von denen er berechtigterweise annehmen darf, dass sie nicht wahr sind; id. R. 3.3 cmt. 6A (Anklagevertreter haben zusätzlich die Pflicht, "unwahre Aussagen, die der Staat bereits zu Beweiszwecken dargelegt hat, zu korrigieren", außerdem müssen Anklagevertreter das Gericht davon in Kenntnis setzen, wenn sie erfahren, dass ein Zeuge der Anklage falsch ausgesagt hat); id. cmt. 9.

[18] In den Vernehmungen am 9. und 28. Juni erklärte die Klägerin, dass sie in ihrem Heimatland in der Vergangenheit tatsächlich vergewaltigt worden war, allerdings bei einem gänzlich anderen Vorfall als dem, den sie bei ihren früheren Vernehmungen beschrieben hatte. In den Vernehmungen der Klägerin ließen sich keine Anhaltspunkte erkennen, anhand derer dieser Vorfall hätte untersucht oder auf seinen Wahrheitsgehalt hin überprüft werden können.

[19] Zuweilen waren die falschen Schilderungen der Klägerin geradezu von Gefühlausbrüchen begleitet. Einmal wurde sie von einem Staatsanwalt zu einer bestimmten persönlichen Sache befragt, worauf sie ruhig mit Nein antwortete. Zwei Tage später wurde sie noch einmal genauer zu demselben Thema befragt. Daraufhin warf sie sich auf den Boden und wälzte sich dort unter Tränen herum; nachdem sie sich wieder gefasst hatte, sagte sie, dass sie die Frage des Staatsanwalts nicht beantworten könne. Bei einer späteren Befragung kam der Staatsanwalt noch einmal auf dasselbe Thema zurück. Diesmal bejahte die Klägerin die Frage in sachlichem Ton.

[20] Der Verlobte der Klägerin wurde in Arizona wegen einer Verabredung zum Handel mit Marihuana verurteilt, nachdem er verdeckten Ermittlern der Polizei ca. 36.500 US-Dollar für den Ankauf einer großen Menge von Marihuana übergeben hatte. Die Klägerin erklärte, dass sie keinerlei Informationen darüber habe, ob Gelder auf ihrem Konto Erlöse aus Drogenhandel sein könnten.

[21] Dieses Telefonat wurde von zwei Übersetzern für Fulfulde beglaubigt ins Englische übersetzt. Auch wenn die beiden Übersetzungen bei einer wortwörtlichen Transkription voneinander abweichen, so stimmen sie doch im Wesentlichen darin überein, dass diskutiert wurde, mithilfe eines Anwalts Geld zu machen. Am 8. August 2011 reichte die Klägerin eine Zivilklage auf die Zahlung von nicht näher beziffertem Schadenersatz gegen den Angeklagten ein.

[22] Da die Klägerin erst am 28. Juni 2011 aussagte, dass sie in Zimmer 2820 gewesen war, wurde dieses Zimmer von der Spurensicherung nicht untersucht.

[23] Der ermittelnde Beamte nahm Abstriche von jedem Bereich zur Untersuchung in der forensischen Abteilung des OCME. Sie ergaben einen negativen Befund in Bezug auf Sperma und Amylase, ein Enzym in Sperma, Speichel und anderen Körperflüssigkeiten, auch Scheidensekret.

[24] Drei der übrigen Flecken auf dem Teppich enthielten Sperma und DNA von drei unbekannten männlichen Personen, und ein weiterer Fleck enthielt Amylase sowie eine Mischung von DNA dreier weiterer unbekannter Personen. Der Fleck auf der Tapete enthielt Sperma und DNA einer vierten unbekannten männlichen Person. Da es keine Hinweise darauf gibt, dass eine weitere Person während des Vorfalls anwesend war, stehen die Umstände, unter denen die nicht identifizierte DNA dorthin kam, in keinem Zusammenhang mit dem untersuchten Vorfall.

[25] Bei Übergabe an das OCME befand sich das hellere Paar Strumpfhosen in dem dunkleren Paar.

[26] Nach dem Recht des Staates New York setzt Körperverletzung den Nachweis der "Beeinträchtigung des körperlichen Zustands oder starke Schmerzen" voraus. Penal Law § 10.00 (9).

[27] Der Orthopäde hat zwar keine definitive Stellungnahme abegeben, war aber doch der Meinung, dass der Kernspintomografie-Befund im Rahmen des Normalen sein konnte. Nach seiner "Erfahrung sowie der Erfahrung anderer führen Kernspintomografie-Aufnahmen von Radiologen zu häufig zur Diagnose einer SLAP-Läsion. Es ist möglich, dass der sich aus der Kernspintomografie ergebende Befund eine normale Variante ist, da frühere SLAP-Läsionen dieses Typs vorliegen, ohne dass die damit zusammenhängenden Symptome auftreten, das heißt eine normale Variante."

[28] In einer Vernehmung am 27. Juli 2011 gab die Klägerin zum ersten Mal an, dass sie aufgrund des festen Griffs des Angeklagten in ihren Vaginalbereich in den ersten Tagen nach dem Vorfall Schmerzen beim Harnlassen gehabt habe. Die Behandlungsunterlagen verzeichnen keine Beschwerden dieser Art; die Klägerin hat diese Beschwerden vor dem 27. Juli auch gegenüber Anklagevertretern nie erwähnt, ganz im Gegensatz zu ihrer späteren Aussage.

[29] Am Tag des Vorfalls gab es möglicherweise eine Abweichung von zwei Minuten zwischen der Zeit, die in den Protokollen der elektronischen Schlüsselkarten im Hotelsystem angegeben war, und der tatsächlichen Zeit, sodass die aufgezeichneten Zeiten gegenüber der tatsächlichen Zeit um zwei Minuten nach vorne versetzt sein könnten. Uns wurde zwar mitgeteilt, dass die genauen Telefonzeiten im Mobilsystem an die tatsächliche Zeit angepasst werden; dennoch kann der genaue Zeitablauf aufgrund der Abweichung im Hotel nicht mit Sicherheit festgestellt werden.

[30] Claire Chartier & Delphine Saubaber, Pourquoi je porte plainte contre DSK, L’Express, 4. Juli 2011, siehe http://www.lexpress.fr/actualite/societe/justice/tristane-banon-pourquoi-je-porte-plainte-contre-dsk_1009151.html (letzter Zugriff am 19. August 2011).

[31] Siehe People v. Molineux, 168 N.Y. 264 (1901) (erklärt die begrenzte Zulässigkeit von Beweismitteln, dass der Angeklagte ein nicht zur Last gelegtes Verbrechen begangen hat); People v. Vargas, 8 N. Y.2d 856, 858 (1966) (Ablehnung von Beweisen für ein früheres sexuelles Fehlverhalten, die nur dazu dienen sollten, der Klägerin Glaubwürdigkeit zu verleihen). Bei dem vorliegenden Fall würde man zu demselben Schluss kommen, wenn sich weitere glaubwürdige Zeugen zu früheren Begegnungen ähnlich der von /geschwärzt/ melden würden.