HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2007
8. Jahrgang
PDF-Download

Schrifttum

Stephan Barton: Einführung in die Strafverteidigung; 413 Seiten; 28,00,-; ISBN 978-3-406-54233-6; Verlag C.H. Beck, München 2007.

Wie Gaede bereits in der Juni-Ausgabe dieser Zeitschrift festgestellt hat, ist in jüngster Zeit eine deutliche Zunahme strafrechtlicher Literatur zu verzeichnen, die sich jedoch nahezu ausschließlich an den Strafverteidiger richtet. Diese Entwicklung spricht für eine zunehmende Versachlichung dieses lange zu Unrecht geschmähten Rechtsgebietes und zugleich eine Professionalisierung der strafverteidigenden Anwaltschaft.

Dennoch ist die Literatur, von klassischen Studienbüchern einmal abgesehen, vielfach auf den strafrechtlichen Praktiker beschränkt oder richtet sich an den (werdenden) Fachanwalt. Auch die Universität hat das Thema der Strafverteidigung bisher nur in Teilen entdeckt und eine "Lehre der Strafverteidigung" scheint sich noch nicht etabliert zu haben. De facto fehlt insbesondere eine gezielte methodische Vermittlung von strafverteidigungsrelevantem Wissen an Studenten, Referendare und auch junge Anwälte, weswegen sich Stephan Barton auch besonders an diesen Leserkreis wendet. Da auf der anderen Seite die Relevanz strafrechtlicher Fragestellungen in nahezu allen Rechtsgebieten eine deutliche Zunahme verzeichnet, klafft zwischen diesem Ausbildungszustand und den praktischen Erfordernissen eine deutliche Lücke. Diese versucht Stephan Barton mit seinem nun vorgelegten Buch zu schließen. Vorausgeschickt sei, dass dieser Versuch als äußerst gelungen bezeichnet werden darf.

Bereits das Vorwort beginnt mit einer Einschränkung, die der Komplexität des Themas geschuldet ist. Bartons Ziel ist nicht die Vermittlung von "Rezeptwissen", sondern eine grundlegende Einführung in die Thematik der Strafverteidigung. Er selbst spricht von einer Lehre der Defensologie. Konsequenterweise beginnt das Buch mit einer Hinführung zur Strafverteidigung (§ 1), die Sinn und Bedeutung dieses Berufsfeldes in anschaulicher Weise darstellt. In der folgenden Beschreibung der mit der Berufsausübung zusammenhängenden Fragen teilt Barton diese in materielle, formelle und praktisch-professionelle Dimensionen auf (§ 2). Hierunter versteht er zunächst die materielle Gegenwehr gegen die Strafverfolgung. Die formelle Dimension stellt für ihn die Vornahme förmlicher prozessualer Handlungen im Verfahren dar, die nur von einem dienstleistenden Berufsexperten (praktisch-professionelle Dimension) vorgenommen werden könne. Dieser Beschreibung schließt sich eine Tätigkeitsdarstellung der Berufsaufgaben des Verteidigers an, die Barton wiederum in Schutz- und Beistandsaufgaben differenziert.

In § 3 wendet sich Barton den "Perspektiven der Strafverteidigung" zu. Während hier zunächst auf die im Gegensatz zu Richter und Staatsanwalt differente Sichtweise hingewiesen wird, entwickelt der Autor im Folgenden eine "Philosophie der Verteidigung". Mit den weithin bekannten Zitaten von Alsberg und Jungfer charakterisiert er die Strafverteidigung als "ethische Mission", die zwar vom Glauben an den Rechtsstaat geprägt sei, aber vor dem Hintergrund der Unschuldsvermutung auch eine kühle Skepsis und juristische Rationalität verlange. Barton erarbeitet damit ein ideengeschichtliches Grundgerüst für einen Beruf, der mitunter beträchtlichen öffentlichen Anfeindungen ausgesetzt ist. Dies tut er freilich nicht ohne zu verkennen, dass dieses im praktischen Alltag einmal gehörig ins Wanken geraten kann.

Das Kapitel wird abgerundet von einem beruflichen Leitbild, das Barton in Anlehnung an das berühmte Dahs´sche Zitat als "Kampf für den Rechtsstaat" verstanden haben will. Es orientiert sich insgesamt am Bild eines kompetenten, wissenschaftlich gebildeten und professionellen Verteidigers, der gewissenhaft mit den Mitteln des Gesetzes kämpft und gleichermaßen seinem Mandanten wie dem Recht dient.

Dieser Teil des Buches wäre unvollständig ohne auf die Anforderungen hinzuweisen, die der Beruf erfordert. Hierzu zählt Barton neben den rein formellen Anforderungen vor allem ein erhebliches Maß an Frustrationstoleranz, die Fähigkeit zum Umgang mit menschlichem Leid, Mut, Beharrlichkeit und nicht zuletzt die Erlangung von Schlüsselqualifikationen, auf die weiteren Verlauf noch einzugehen sein wird. Auch hier stellt es sich als konsequent dar, wenn darauf hingewiesen wird, dass ein solch hohes Berufsethos in der Realität Schaden nehmen kann.

Insgesamt ist vor allem dieser einführende Teil des Buches ein wesentliches Verdienst Bartons, legitimiert es doch den, vor allem in der Öffentlichkeit nicht unumstrittenen, Beruf des Verteidigers in äußerst anschaulicher Weise. Aufgrund der vornehmlich studentischen Zielgruppe ist eine solche Klarstellung notwendig, da sie viele Vorurteile auszuräumen vermag und den Blick über die übliche richterliche oder staatsanwaltschaftliche Sichtweise hinaus öffnet.

Im 2. Teil befasst sich der Autor mit dem "Recht der Strafverteidigung". Hierin beschreibt Barton zunächst die rechtlichen Grundlagen (§ 4) und vor allem den Streit um die (Organ-) Stellung des Verteidigers, der letztlich wesentliche Aspekte der Unabhängigkeit und Freiheit des Verteidigers berührt. Die Fronten in dieser Frage sind verhärtet, wobei insbesondere die Rechtsprechung und die überwiegende Literatur von einer Organstellung ausgehen, "gewichtige Stimmen" in der Literatur dies jedoch verneinen. Barton gelangt nach der Darstellung der verschiedenen Meinungen zu dem Ergebnis, dass der praktische Wert der Auseinandersetzung begrenzt ist und die Diskussion vielmehr in großer Nähe zu Fragen der Strafbarkeit des Verteidigers stehe. Diese Tatsache mache dann aber eine ausführliche Auseinandersetzung mit den für die Verteidigung maßgeblichen Rechtsgrundlagen notwendig und dürfe nicht auf die Frage der Stellung als "Organ" beschränkt bleiben.

Folgerichtig wendet sich Barton dann den Prozessrechten sowie der Stellung des Verteidigers im Verfahren (§ 5) zu, wobei hier Aspekte des Konsultationsrechts, der notwendigen Verteidigung (§ 140 StPO), der Ausschließung des Verteidigers (§ 138a StPO) im Vordergrund stehen. Nicht unerwähnt bleiben auch die wichtigen Fragen des Akteneinsichtsrechts, sowie die wesentlichen Prozesshandlungen. Schließlich werden in § 6 die Rechtspflichten und Obliegenheiten des Verteidigers behandelt. Barton teilt diesen Abschnitt in zivil-, straf- und berufsrechtliche Rechtspflichten sowie prozessuale Obliegenheiten auf. Insbesondere die lehrreichen und mit ausreichend weiterführender Literatur versehenen Passagen über die zivilrechtliche Haftung und die strafrechtlichen Aspekte der Verteidigertätigkeit dürfen wohl uneingeschränkt auch erfahreneren Rechtsanwälten empfohlenen werden. Aufgrund einer zunehmenden praktischen Relevanz kann jedes übernommene Mandat ohne vertiefte Kenntnisse in diesem Bereich leicht zu einer existenzgefährdenden Angelegenheit werden.

Im Bereich der Obliegenheiten wendet sich Barton den Präklusionsvorschriften und prozessualen Mitwirkungspflichten zu, wobei er besonders auf die vom BGH entwickelte Widerspruchslösung eingeht. Deren Missachtung habe zwar keine "unmittelbaren (Rechts-) Folgen", führe aber zum Verlust prozessualer Chancen und unter Umständen zu haftungsrechtlichen Konsequenzen.

Im 3. Teil wendet sich Barton der Methodik der Strafverteidigung zu. Von enormer Wichtigkeit ist hier die gleich zu Beginn aufgestellte Forderung Bartons nach einer wissenschaftlich reflektierten Verteidigungsmethodik (§ 7). Der Autor beschreibt anschaulich die differente Herangehensweise an einen Fall im Gegensatz zu einem Strafrichter bzw. Staatsanwalt. Im Vordergrund stehe aber auch hier die Notwendigkeit einer "akademischen" Herangehensweise, die nicht auf eine "charismatische" Verteidigung baut, sondern vielmehr auf methodisch- fundierten Grundlagen basieren muss. Auch wenn für Barton im Strafverfahren noch viel Raum für Phantasie und Kreativität des Verteidigers besteht, entbindet ihn dies nicht von einer professionellen Bearbeitung des Mandats. Auch diese Tatsache ist der Professionalisierung der Strafverteidigung geschuldet.

In Anlehnung an die betriebswirtschaftliche Planungstheorie sei für eine methodische Verteidigung zunächst die Ausgangslage zu ermitteln. Als wesentliche Aufgabe folgt hiernach die Bestimmung eines Soll-Zustandes, der Alternativen zu der zu erwartenden gerichtlichen oder staatsanwaltlichen Entscheidung aufzeigen soll. Die Erlangung dieses Ziels ist dann im Rahmen der Verteidigungskonzeption zu definieren, indem die hierfür notwendigen Schritte festgelegt werden.

Im weiteren Verlauf des Kapitels geht Barton auf die verschiedenen Bereiche ein und stellt die für den Verteidiger so wichtige Bestandsaufnahme (§ 8) dar, wobei er einen Schwerpunkt auf die dem Verteidiger zugänglichen Informationsquellen, wie Akteneinsicht, den Mandanten selbst und die eigenen Ermittlungen legt. Im Rahmen der Entwicklung von Alternativen (§ 9) werden die wesentlichen Verteidigungsgründe im materiellen und prozessualen Bereich erläutert. Barton versteht hierunter alle Umstände, die geeignet sind, gegen die Anklage ins Feld geführt zu werden oder die zu einer Besserstellung des Beschuldigten führen können. Hilfreich ist auch, dass in diesem Zusammenhang die möglichen "Ausstiegstellen" für das Anbringen dieser Gründe in Form des § 170 Abs. 2 und der §§ 153 ff. StPO nochmals systematisch dargestellt werden. Letztlich befasst sich dieses wichtige Kapitel mit den verschiedenen Instrumenten, also Prozesshandlungen und Realakten, zur Durchsetzung der von ihm entwickelten Alternativen. Einen Schwerpunkt bildet hierbei die oftmals schwierige Frage nach der Einlassung des Mandanten oder dessen Schweigen. Hierzu findet sich, neben der gelungenen Aufbereitung des Problems, eine Übersicht, die in jedem Fall wertvolle Hilfestellungen zu leisten vermag.

Wegen seiner Aktualität ist noch auf ein zusätzliches Kapitel über die Rechtsgestaltung (§ 10) hinzuweisen, das mit einem arbeitsstrafrechtlichen Beispiel versehen ist. Hierin geht der Autor auf die Notwendigkeiten einer vertragsgestalterischen oder präventiv- wirkenden Tätigkeit des Verteidigers ein, die aus einem steigenden strafrechtlichen Risiko, insbesondere für Wirtschaftunternehmen, resultiert. Hier wäre zu wünschen gewesen, dass sich Barton dem schwierigen Feld der Vertragsgestaltung unter Vermeidung strafrechtlicher Risiken etwas ausführlicher widmete. Aufgrund des Anstiegs kautelarjuristischer Klausuren wird dieses Feld sicher an Relevanz in der universitären Ausbildung oder dem Referendariat gewinnen.

Im 4. Teil befasst sich der Autor mit den "Schlüsselqualifikationen für Strafverteidiger". Anschaulich, ist dieses Gebiet den meisten Studenten oder Referendaren doch fremd, beschreibt Barton die Grundzüge der Kommunikationstheorie und führt in sozialpsychologische Forschungen mit Relevanz zum Strafverfahren ein (§ 12). Die am Ende stehende Forderung, auch der Verteidiger dürfe im Rahmen seines Agierens die anerkannten Perseveranz-, Redundanz-, Aufmerksamkeits- und Schulterschlusseffekte nicht außer Acht lassen, ist uneingeschränkt zu unterstützen, treten diese im Strafverfahren doch allzu häufig auf. Auch wenn die alleinige Kenntnis des Vorhandenseins dieser Probleme, diese nicht zu beheben vermag, hilft es doch bestimmte Verfahrensläufe besser einzuordnen.

Im Weiteren finden sich einführende Erläuterungen in die Problemkreise der Gesprächsführung (Mandantengespräch, (§ 13)), die Vernehmungslehre (Zeugenbefragung, (§ 14)) und die Rhetorik (Plädoyer (§15)).

Am Ende positiv hervorzuheben ist, dass Barton in Zusammenarbeit mit seinem im Bielefeld ansässigen Lehrstuhl ergänzend vier Fälle im Internet (www.mootcourt.de) anbietet, die "buchbegleitend" gelöst werden können und auf deren Inhalt im Buch Bezug genommen worden ist.

Auch wenn sich die Zielrichtung des mit vielen Schautafeln ausgestatteten Buches vorzugsweise an Studenten richtet, wäre dessen Anwendungsbereich damit zu Unrecht verkürzt. Das Werk vermag vielmehr auch jedem im Strafrecht tätigen Rechtsanwalt einen wertvollen Dienst zu leisten. Es kann durchaus helfen, die eigene Tätigkeit dogmatisch zu untermauern und einige wichtige Grundlagen des Berufs für sich selbst wieder neu zu definieren.

Dem einführenden Charakter des Buches folgend sind die einzelnen Kapitel kurz und einführend geschrieben, einen weitergehenden Anspruch verfolgt Barton aber auch ausdrücklich nicht. Hier erleichtert zudem der ausführliche Literaturapparat die weitere Einarbeitung in einzelne Gebiete. Im Ergebnis bleibt abzuwarten, ob dieses Werk der Grundstein für die von Barton geforderte akademische Lehre der Defensologie werden wird. Sein Verdienst liegt aber auf jeden Fall darin, dass es der Strafverteidigung zu einer weiteren und langfristigen "Professionalisierung von unten" verhelfen wird.

Dr. Christoph Mangold, Rechtsanwalt, Görg Partnerschaft von Rechtsanwälten, cmangold@goerg.de, Frankfurt am Main.

***

Karsten Gaede: Fairness als Teilhabe - Das Recht auf konkrete und wirksame Teilhabe durch Verteidigung gem. Art. 6 EMRK; Duncker & Humblot 2007, Strafrechtliche Abhandlungen - Bd. 185, 992 Seiten, ISBN 978-3-428-12272-1, EUR 114,00, Berlin 2007.

I. Die in Art. 6 Abs. 3 EMRK benannten Verteidigungsrechte sind verbreiteter Ansicht nach integraler Bestandteil des Gesamtrechts auf ein faires Strafverfahren in dem Sinne, dass die Verletzung eines der Teilrechte nicht zwingend zum Verstoß gegen das Gesamtrecht führe. Vielmehr komme es, so liest man allenthalben, auf eine Gesamtbetrachtung an (vgl. nur Meyer-Goßner, 50. Aufl. 2007, Art. 6 EMRK, Rn. 22). Selbstverständlich ist solche Restriktion keineswegs, zumal sich der EGMR in der richtungsweisenden Pakelli-Entscheidung (NStZ 1983, 373) zu einer weiteren Prüfung des Gesamtrechts auf ein faires Verfahren nicht veranlasst sah, weil dessen Verletzung mit der Missachtung eines Teilrechts bereits feststehe. Andererseits leistete auch der Gerichtshof (scheinbar) seinen Beitrag zur ominösen Gesamtbetrachtungslehre, indem er in zahlreichen anderen Entscheidungen die Ansicht vertrat, die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren einschließlich seiner Einzelausprägungen sei im Wege der Gesamtbetrachtung festzustellen. Immerhin zählt trotz solcher rechtlichen Inkonsistenz heute, mehr als drei Jahrzehnte seit der Anerkennung des Fair-trial-Grundsatzes als herausragendes Menschenrecht, eines aber doch zum gesicherten Bestand: Art. 6 EMRK gewährt nicht nur theoretische Verteidigungsrechte, sondern garantiert dem Beschuldigten ein Recht auf konkrete und wirksame Teilhabe im Sinne einer "realistic chance"; eigentlich eine Selbstverständlichkeit, denn nur theoretisch bereit gestellter, im Ergebnis aber unwirksamer Rechtsschutz ist in Wahrheit kein Rechtsschutz.

Man sollte meinen, ein derart langer Zeitraum hätte genügen müssen, die Garantie der Verteidigungsrechte nicht nur zu konturieren, sondern sogar im Detail zu bestimmen. Indes: Aus dem Umstand, dass der Begriff des fairen Verfahrens ethisch zwar hoch stehend, juristisch aber eher wolkig ist, wird jedenfalls in Deutschland abgeleitet, der Grundsatz des fairen Verfahrens sei lediglich ein Programmsatz ohne rechtlichen Eigenwert (E. Müller NJW 1976, 1063, 1066; Hörnle Rechtstheorie 2004, 175, 192 und 194). Praktische Erfahrung lehrt außerdem, dass die Konkretisierung des Art. 6 Abs. 1 EMRK durch die Rechtsprechung des EGMR hierzulande nicht selten nur als Ansammlung von Einzelfallentscheidungen wahrgenommen wird. Die Folgen waren und sind fatal: In nicht wenigen Bereichen bleibt die Entwicklung in Deutschland zurück. Defizite bei der Umsetzung

der EMRK im deutschen Strafverfahren finden sich insbesondere im Bereich des Lockspitzel-Einsatzes und der Telefonüberwachung von Rechtsanwälten (vgl. dazu jüngst: Dörthe Korn, Defizite bei der Umsetzung der EMRK im Deutschen Strafverfahren, Salzburg 2005).

Mit seiner für eine Dissertation nur als opulent zu bezeichnenden Arbeit macht sich Gaede daran, die Ursachen der beschriebenen Missstände aufzudecken und anschließend ein Konzept zu ihrer Beseitigung zu entwickeln. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist zweierlei: Erstens, so Gaede treffend, wirke sich die Garantie effektiver Teilhabe deshalb nicht konkret aus, weil die EMRK allgemein als bloßer Mindeststandard wahrgenommen wird. So stelle etwa der BGH Vorschriften der StPO Art. 6 Abs. 3 lit. c.) EMRK als Mindeststandard gegenüber, mit dem eine nähere Auseinandersetzung überflüssig sei, da das nationale Prozessrecht mehr gewähre als die Konvention verlange (vgl. etwa BGHSt 47, 233, 235 f. und 237; ebenso: Meyer-Goßner, 50. Aufl. 2007, Art. EMRK 6 Rn. 4 f.). Mit dieser Abqualifizierung werde die Konvention einschließlich der Rechtsprechung des Gerichtshofes aus der täglichen Praxis gedrängt. Zweitens kranke der gegenwärtige Auslegungsstand daran, dass keine klare Grundvorstellung über das maßstabsetzende Gesamtrecht auf ein faires Verfahren bestehe (329): Wie solle die nähere Bestimmung der in Abs. 3 benannten Verteidigungsrechte gelingen, wenn sie im Lichte eines Gesamtrechtes auszulegen seien, dessen Reichweite und Inhalt weitestgehend so unbestimmt ist, dass sie die Verwirklichung als praktizierbares Recht in Frage stellen? Der Revisionsrechtler könnte ergänzen: Wie soll die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren gerügt, welche Tatsachen müssen im Hinblick auf § 344 Abs. 2 S. 2 StPO vorgetragen werden, wenn das, was das Recht gewährt, so unklar ist?

II. 1. Gaede startet seine Untersuchung mit einer Hervorhebung des Prinzips der autonomen Konventionsauslegung, wonach die Regeln der EMRK vom EGMR völkerrechtlich eigenständig, d. h. ohne Bindung an ein eventuell abweichendes national geprägtes Vorverständnis zu interpretieren sind. Es folgt eine ausführliche und überaus lehrreiche Darstellung der vom Gerichtshof angewandten Methoden der Konventionsauslegung (81 ff.) und des daraus für Art. 6 EMRK folgenden Ergebnisses: Die Vorstellung, die EMRK weise einen im Vergleich zum nationalen Strafverfahrensrecht geringeren Regelungsgehalt auf, der sich auf wenige fundamentale Garantien mit universellem Charakter beschränke, sei falsch (143 ff.).

2. Dann beginnt Gaede mit der Analyse der für das Thema zentralen Bestimmung des Art. 6 EMRK. Zunächst stellt er den gegenständlichen und zeitlichen Anwendungsbereich der Vorschrift dar und wendet sich den hier liegenden Problemen zu (Begriff der strafrechtlichen "Anklage", 166 ff.; Anwendbarkeit im Ermittlungsverfahren, 191), bevor er sich dem aktuellen Stand der Auslegung von Art. 6 EMRK widmet; erst den gerichtsbezogenen Garantien in Abs. 1 (213), dann den flankierenden Verfahrensrechten unter besonderer Würdigung der durch Abs. 2 gewährleisteten Unschuldsvermutung (228) und im Schwerpunkt schließlich den benannten Verteidigungsrechten des Abs. 3 (S. 233 ff.).

Im Anschluss an diese Zustandsbeschreibung(en) entwickelt Gaede seine Lösung, die mit der Bestimmung der dogmatischen Struktur des Art. 6 EMRK beginnt (339). Die verschiedenen Begründungslinien des Menschenrechts auf ein faires Verfahren werden ausführlich nachgezeichnet: das angelsächsische Verständnis (344), die Sichtweise des reformierten kontinentaleuropäischen Inquisitionsverfahrens (349), die philosophischen Ansätze von Kant (353) und Hegel (357); schließlich die Ideen der Legitimation durch Verfahren i. S. v. Niklas Luhmann (363) und John Rawls (366). Aus all diesen historisch gewachsenen Prozessperspektiven schält Gaede den Gedanken der Teilhabe am Verfahren als Grundgehalt des fairen Strafverfahrens heraus (387). Diese Erkenntnis ist zwar nicht neu; der Teilhabe-Ansatz findet seit Jahren seine Bestätigung in zahlreichen Entscheidungen des EGMR. Neu ist jedoch die Intensität der wissenschaftlichen Durchdringung und Aufhellung. Denn mit Gaede wertet ein Autor erstmals die für die Entwicklung einer europäischen Fairness-Dogmatik in Deutschland, England und in der Schweiz verfügbare rechtsphilosophische und straf(verfahrens)rechtliche Literatur aus, und zwar, soweit ersichtlich, in seiner Gesamtheit. Hier wird Grundlagenforschung im besten Sinne geleistet.

3. Freilich hilft der Teilhabe-Ansatz bei der Lösung konkreter Probleme im Zusammenhang mit den Verteidigungsrechten nicht weiter. Gaede untersucht daher eingehend die in das faire Verfahren integrierte formelle Verteidigung als besondere Form der Wahrnehmung der Verteidigungsrechte des Angeklagten (502) und setzt sie in Beziehung zum Gesamtrecht. Das Fazit:

Die Rechte aus Art. 6 EMRK sind solche des Angeklagten, nicht des Verteidigers (588). Der Verteidiger dient primär der effektiven Verwirklichung des Teilhaberechts des Angeklagten. Er kann die Angeklagtenrechte ausüben, muss sich hierbei jedoch auf den "aufgeklärten Willen" des Angeklagten zurückführen lassen; man könnte von einem Konsensgebot sprechen. Wichtiger sind gewiss zwei weitere Ergebnisse: Eine allgemeine Einstufung als Organ der staatlichen Rechtspflege, aus der eine Einschränkung oder Verpflichtung zugunsten der strafverfolgenden Rechtspflege gefolgert werden könnte, schließt Art. 6 EMRK aus; und: Die Grenzen des Verteidigerhandelns bestimmen sich nach Auffassung von Gaede grundsätzlich nach Art. 6 EMRK (vertiefend: 629 ff.).

4. Das folgende Kapitel ist der "Bestimmung des Schutzbereiches des Rechts auf Teilhabe durch Verteidigung" gewidmet. Die gemeinsame Wurzel der in Art. 6 Abs. 3 EMRK genannten Einzelrechte sieht Gaede im "Fundamentalgrundrecht" des rechtlichen Gehörs (613 ff.). Hervorzuheben ist, dass sich die Ausführungen keineswegs in abstrakten Erwägungen erschöpfen, sondern handfeste Konsequenzen entwickelt werden, etwa das Recht auf einen durchsetzbaren Beweiserhebungsanspruch im Ermittlungsverfahren (661) - eine Forderung, die man nach den bekannten und alarmierenden Forschungsergebnissen von Karl Peters und Regina Lange zu den Fehlerquellen im Strafverfahren nicht nachdrücklich genug unterstützen kann. Noch ein weiteres Beispiel sei an dieser Stelle herausgegriffen, nämlich die in der Praxis allzu oft missachtete Beteiligung der Verteidigung bei der

Auswahl des Sachverständigen. Zwar bestehe, so Gaede, kein aus Art. 6 EMRK herzuleitendes allgemeines Recht auf Bestellung eines zwar von der Verteidigung ausgewählten, jedoch vom Staat finanzierten Sachverständigen. Es sei aber eine verbreitete Erfahrung, dass es im Bereich der Erfahrungswissenschaften wesentlich darauf ankomme, aus welcher "Schule" der beauftragte Gutachter stammt. Denn nach ihr richte sich, welche zwar vertretbare, aber eben nicht unbestrittene wissenschaftliche Methode er seinem Gutachten zu Grunde legt. Damit sei aber schon die Wahl der Methode Ausdruck einer persönlichen Wertung mit der Folge, dass der Person des Gutachters erhebliche Bedeutung für das erörterte Gutachten selbst zukomme; nicht selten nehme sie die Entscheidung des Gerichts praktisch vorweg. Deshalb dürfe, so Gaede weiter, die Entscheidung, welcher Sachverständige zu bestellen sei, nicht ohne vorherige Gewährung rechtlichen Gehörs getroffen werden. Andernfalls könne von einer wirksamen Verteidigungsteilhabe hinsichtlich des Sachverständigenbeweises nicht gesprochen werden (658). Dieser Forderung kann man nicht nachdrücklich genug unterstützen:

Der ständig wachsende Einfluss der Sachverständigen auf den Ausgang eines Strafverfahrens im Sinne eines "iudex facti" ( Mayer, in: Mezger-FS [1954], S. 455, 465; warnend schon Mittermaier GA 1853, 1, 2; aus neuerer Zeit etwa Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 7. Aufl. 2005, Rn. 187) ist heute längst als wesentliches Problem des Sachverständigenbeweises erkannt. Eine Untersuchung an der Universität Tübingen zur Frage der Abweichung strafrichterlicher Entscheidungen von zuvor erstatteten psychiatrischen Gutachten hat ergeben, dass in 155 untersuchten Fällen lediglich fünf Mal vom Gutachtenergebnis abgewichen wurde: in drei dieser Fälle nahmen die Strafkammern die Voraussetzungen des § 21 StGB nicht an, obgleich die Sachverständigen zur Bejahung der tatsächlichen Voraussetzungen gelangt waren; in den beiden anderen Fällen war es umgekehrt ( Foerster, in: Schreiber-FS[2003], S. 81, 82 f. ). Wenn also auch nicht de jure, so bestimmen die Psychosachverständigen den Ausgang des Verfahrens doch de facto. Verwundern kann das kaum: Insbesondere im Bereich der Psychowissenschaften ist anerkannt, dass es in weiten Bereichen nicht möglich ist, der Strafjustiz eine kontrollierbare Methode anzubieten, wie die sachverständig festgestellten Befunde zur Beantwortung bestimmter Rechtsfragen (Schuld, Gefährlichkeit, Hang usw.) umgesetzt werden können. (ausf. Eisenberg , in. Jung-FS[2007], S. 127, 128). Deshalb kommt der Person des Sachverständigen, wie Gaede richtig erkennt, nicht selten eine den Prozess entscheidende Bedeutung zu (zu den subjektiven Aspekten der psychiatrischen Begutachtung ausf. Rode/Legnaro StV 1995, 498; zutr. Duttge, NStZ 2003, 375: "nicht hinzunehmen"). Der Sache nach wird er oft zum "Richter in weiß" ( Schreiber, in: Wassermann-FS[1985], S. 1007, 1010).

5. Gaede beschreibt dann die Schranken des Rechts auf Teilhabe durch Verteidigung. Zunächst geht er unter spezifischem EMRK-Blickwinkel kurz auf die Frage ein, ob es immanente Grenzen der Teilhabe durch Missbrauch von Verfahrensrechten geben könne (669) und gelangt zu dem Ergebnis, dass das allgemeine Missbrauchsverbot des Art. 17 EMRK im Zusammenhang mit Art. 6 EMRK praktisch bedeutungslos sei (681). Ansonsten, so arbeitet Gaede heraus, setzten legitime Einschränkungen im konkreten Einzelfall voraus, dass widerstreitende wichtige öffentliche Interessen in einer den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz berücksichtigenden Begründung dargelegt werden; sie müssten eine Einschränkung des eröffneten Schutzbereichs strikt notwendig machen und dürften, was nicht überrascht, den Wesensgehalt des Rechts nicht aufgeben. Der Umfang möglicher Einschränkungen könne sich aber, führt Gaede weiter aus, bei einer Zurechenbarkeit zum Angeklagten vergrößern. Außerdem setzten Einschränkungen den Ausgleich der durch die Einschränkungen entstehenden Verteidigungsnachteile voraus. Dieser Ausgleich müsse im Verfahren selbst vorgenommen werden und durch konkret zu benennende, geeignete Verfahrensinstitute erfolgen (727). Interessant ist, dass sich Gaede in diesem Zusammenhang gegen eine Differenzierung nach Art und Schwere der betroffenen Straftaten ausspricht (709) - ein Weg, der gerade in Deutschland zur Einschränkung von Verfahrensrechten gern beschritten wird (vgl. etwa BGHSt 42, 139 ff.).

Den in der Abhandlung geäußerten Bedenken kann nur beigepflichtet werden, denn die angesprochene Differenzierung läuft im Ergebnis auf die Gewährung von hard law allein für denjenigen hinaus, der sich eines geringen oder allenfalls mittleren Vergehens schuldig gemacht haben soll: Er kann sich auf die schützenden Formen verlassen! Soft law aber gilt für den, dem man die Begehung einer schweren Straftat zur Last legt, obgleich die Unschuldsvermutung (selbstverständlich) auch für ihn streitet. Man kann durchaus fragen, ob solche Differenzierung nicht auf das Verbot hinausläuft, sich auch nur verdächtig zu machen - ein Verbot also, das verfassungsrechtlicher Prüfung keineswegs standhalten könnte.

6. Gaede befasst sich dann mit den Fragen nach Verzicht (741) und Verwirkung (775) von Teilhaberechten. Anschließend erläutert er die vielschichtigen Resultate seiner Untersuchung anhand ausgewählter Detailfragen:

a.) In Bezug auf Art. 6 Abs. 3 lit. c.) EMRK gelangt Gaede zu dem Ergebnis, dass das Recht auf Verteidigerbeistand bereits für die erste (und jede weitere) polizeiliche Beschuldigtenvernehmung zu bejahen sei, und zwar nicht nur im Sinne eines Konsultations-, sondern eines Anwesenheitsrechts (789, 794); letzteres wird in Deutschland von der wohl noch überwiegenden Meinung unter Hinweis auf § 168c StPO zu Unrecht abgelehnt. Bedenklich war dies mit Blick auf § 137 Abs. 1 S. 1 StPO schon immer ("in jeder Lage des Verfahrens"). Durch die Arbeit ist nun klar geworden, dass der menschenrechtliche Bezug der Regelung zu einer Auslegung i. S. eines Anwesenheitsrechts zwingt. Gaede zieht daraus auch die gebotene Konsequenz: Beweise, die unter Missachtung des vorgenannten Rechts zu Stande gekommen sind, könnten, so Gaede überzeugend und unter lesenswerter Darlegung der Einzelheiten, nicht zum gesetzlichen Schuldbeweis nach Art. 6 Abs. 2 EMRK herangezogen werden (797 f.; 812 ff.).

b.) Bei der Umsetzung des Konfrontationsrechts aus Art. 6 Abs. 3 lit. d.) EMRK sieht Gaede ebenfalls erhebliche Defizite in der gegenwärtigen Rechtspraxis (278, 623, 827). Aus der Qualifikation dieses Rechts als besondere

Ausprägung des rechtlichen Gehörs folge, dass die Teilhabe am Verfahren keineswegs allein in Form einer Stellungnahme zur Aussage des Belastungszeugen gewährt werde - auch dies eine gerade in Deutschland mitunter vertretene Ansicht (vgl. Wönne NStZ 1998, 313, 314 f.). Die wirksame Ausübung des Konfrontationsrechts setze nach seinem Schutzbereich vielmehr voraus, dass der Beschuldigte über Informationen verfügt, die ihm eine eingehende Prüfung der Glaubwürdigkeit des Zeugen ermöglichen. Dies setze nicht nur vorherige Aktenkenntnis - sie sei conditio sine qua non (829) - und die Mitwirkung eines vorhandenen oder zu bestellenden Verteidigers voraus (837), sondern führe insbesondere bei Veränderungen des Verfahrens- oder Informationsstandes zu einem Anspruch auf erneute Konfrontation (833). Gaede erteilt damit all denen eine Absage, die es für die Wahrung des Konfrontationsrechts ausreichen lassen wollen, wenn im Laufe des Verfahrens (nur) einmal die Gelegenheit zur Befragung bestand (so auch schon Ambos ZStW 115[2003], S. 583, 609).

Besonders wichtig sind die Ergebnisse der Arbeit, was die gegenwärtig praktizierten Einschränkungen des Konfrontationsrechts anbetrifft. Obgleich BGHSt 46, 93, 98 f., vom nur formalen Verständnis des Begriffs "Belastungszeuge" abgerückt ist und endlich der gebotenen materiellen Betrachtung Bahn brach, scheitern noch immer auf die Verletzung von Art. 6 Abs. 3 lit. d.) EMRK gestützte Rügen, wenn es etwa darum geht, dass private V-Leute durch die Ermittlungsbehörden gesperrt werden. Der Grund dafür liegt in der schon erwähnten Gesamtbetrachtungslehre: Die Verletzung eines der Teilrechte allein soll noch keinen Rechtsfehler begründen. Es müsse vielmehr noch die Feststellung hinzukommen, dass das Verfahren insgesamt unfair gewesen sei (LR-Gollwitzer Art. 6 EMRK Rn. 64 und 160 m. w. Nws.) Gaede analysiert die diese Auffassung angeblich stützende Rechtsprechung des EGMR und arbeitet heraus, dass der Vorbehalt einer weiteren, spezifisch festzustellenden Verletzung des Gesamtrechts gerade nicht besteht (447)! Es handele sich bei den Teilrechten nicht um illustrierende Vorschläge (451), sondern constituent elements, ohne deren Wahrung das Verfahren im Ganzen nicht fair sein könne. Die anders lautende Ansicht beruhe auf einem Fehlverständnis von Entscheidungen, in denen der EGMR zwar die Gesamtbetrachtung gefordert habe, er aber tatsächlich keine weitere Prüfungsebene i. S. eines zusätzlichen Erfordernisses habe etablieren können.

Das Konfrontationsrecht gelte nämlich nicht absolut. Sein Schutzbereich sei immanent beschränkt. Liege die Unmöglichkeit der Konfrontation im Verantwortungsbereich des Beschuldigten (etwa: Bedrohung des Belastungszeugen), so könne dies nicht dem Staat als Adressaten des Art. 6 Abs. 3 lit. d.) EMRK zugerechnet werden (261, 626, 839). Dem ist ohne weiteres beizupflichten. Die Besonderheit besteht in solchen Fällen nun darin, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Konfrontationsrechts "an sich" vorliegen. Nach seinem Wortlaut wäre die Vorschrift verletzt. Erst die gebotene Restriktion über den Schutzbereich beseitigt den "Verstoß". Allein in solchen Fällen (!) prüft der Gerichtshof ergänzend das allgemeine Fairness-Gebot des Art. 6 Abs. 1 EMRK. Denn dieses könne möglicherweise als ganzes doch verletzt sein (449). Was also als zusätzliche Prüfung i. S. einer weiteren Bedingung für die Verletzung des Rechts erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen, so arbeitet Gaede heraus, als alternative Prüfung. Er mahnt daher "von der konstitutiven Stellung der Teilrechte auszugehen und dies auch als Auffassung des EGMR zu betrachten" (450).

c.) Gaede wendet sich dann dem vom Gerichtshof aus Art. 6 Abs. 3 lit. c.) EMRK hergeleiteten und allgemein anerkannten Recht auf konkrete und wirksame Verteidigung zu (856). Schon in früheren Kapiteln hat er sich damit befasst und es präzisiert (658, 661). Nun, am Ende seiner Abhandlung, nimmt er sich der in mehrfacher Hinsicht höchst brisanten und auch schwierigen Frage nach der Revisibilität von Verteidigungsfehlern an (847). Abgesehen von der Sorge, es könne sich schnell als Danaer-Geschenk erweisen, eine Tür für die Kontrolle der Qualität der Verteidigung geöffnet zu haben, scheitern solche Rügen fast immer daran, dass es in Fällen unzureichender Verteidigerleistung zumeist an einem Rechtsfehler des Gerichts (§ 337 Abs. 1 StPO) fehlt. Letzteres gilt freilich nur dann, so zeigt Gaede, wenn man den Blickwinkel auf die StPO beschränkt. Denn als Norm, die nicht oder nicht richtig angewendet worden sei, komme ggf. Art. 6 Abs. 3 lit. c.) EMRK in Betracht. Das ist zumindest im Ansatz überzeugend: Denn einerseits bringt man dem Verteidiger ein größeres Vertrauen als dem betroffenen Beschuldigten entgegen und sieht deshalb Anlass, den praktisch wenig autonomen Beschuldigten vor sich selbst zu schützen und ihm einen fachmännischen Beistand zur Seite zu stellen. Kommt es dann aber zu Verteidigerfehlern, die zu einer Unwirksamkeit der Verteidigung führen, sollen die Wertungen schon dem Prinzip nach umzukehren sein. Nun dürfe, so die h. M. der Sache nach, vom Beschuldigten gefordert werden, dass er sich selbst vor dem rechtlich überlegenen Verteidiger schützt, indem er die rechtlichen Mängel in der Tätigkeit des Verteidigers erkennt und rügt. Nur beispielhaft sei auf die Rechtsprechung verwiesen, die den vom Verteidiger unterlassenen Widerspruch dem formal verteidigten, aber ahnungslosen Angeklagten zurechnet. Damit stehen aber weder der Verteidiger noch der Staat im Grundsatz für die tatsächliche Erfüllung des Anspruchs auf konkrete und wirksame Verteidigung ein. Die Selbstverantwortung des hilfsbedürftigen Angeklagten soll genügen, um ein Verfahren auch dann als fair zu bezeichnen, indem der Angeklagte rechtlich mangelhaft und unwirksam verteidigt worden ist. Das ist, wie Gaede zutreffend feststellt, in sich widersprüchlich (333 f.). Die Frage also, wann eine sich in abstrakter Rechtsgewährung erschöpfende und damit unwirksame Verteidigung i. S. der Konvention vorliegt, die dem Staat als Adressaten der EMRK anzulasten wäre, kann demnach mit einiger Berechtigung erstellt werde. Gaede beantwortet sie in einem 73 Seiten umfassenden letzten Abschnitt, dessen Inhalt hier selbstredend nur in groben Zügen nachgezeichnet werden kann.

Die vom EGMR benannten äußeren Grenzen hält Gaede für richtig gezogen: Nicht jeder irgendwie geartete Verteidigerfehler begründe eine Unwirksamkeit i. S. v. Art. 6 EMRK (859, 895). Anderseits liege eine Unwirksamkeit der Verteidigung nicht erst bei einem Totalausfall (etwa: Krankheit, Tod) vor (858, 876). Zur demnach notwendigen näheren Bestimmung orientiert sich Gaede im Ergeb-

nis wesentlich an den von Barton entwickelten Mindeststandards (Barton, Mindeststandards der Strafverteidigung, 1994, S. 324 ff.): Von wirksamer Verteidigung könne z. B. nicht davon ausgegangen werden, wenn ein Verteidiger das Verfahren unvorbereitet bestreitet, insbesondere keine Akteneinsicht genommen oder den Beschuldigten über den Inhalt der Akten nicht informiert habe. Unwirksamkeit liege ferner vor, wenn der Verteidiger ohne sachlichen Grund nicht den Ausschluss eines entscheidenden und belastenden Beweismittels eingefordert habe, obgleich dazu Anlass bestanden habe (901). Gaede geht aber noch weiter: Auch in der Person des Verteidigers liegende Umstände führten zur Unwirksamkeit, etwa bei einer dem Angeklagten nicht offen gelegten Interessenkollision oder wenn ein "Scheinverteidiger" agiert habe, also eine Person, die in Wahrheit kein zugelassener Rechtsanwalt ist (904).

All dem wird man zustimmen können. Sehr viel schwieriger zu beantworten sind aber die Fragen nach der Zurechnung solch unwirksamer Verteidigung zur staatlichen Rechtspflege. Gaede schreibt: "So richtig es ist, dass Privatpersonen wie die Verteidiger selbst grundsätzlich keine Adressaten der Menschenrechte darstellen, so unrichtig ist es, infolgedessen die Verpflichtung des Staates bereits im Ausgangspunkt zu negieren und auf besondere Zurechnungsgründe zu verkürzen", denn "Menschenrechtsverletzungen haben schon allgemein nicht notwendig ein konkret umrissenes Handlungsverschulden des Staates zur Voraussetzung, sondern fußen auf dem Ausbleiben des menschenrechtlich eingeforderten Zustandes" (877). Es kämen danach nicht nur kenntnisgetragene Versäumnisse der Strafverfolgungsbehörden bzw. Gerichte in Frage, sondern auch Organisationsmängel (878). Konsequent wendet er sich gegen die zurzeit herrschende Offenkundigkeitsdoktrin (904) und verlangt vor allem, dem Verteidiger im Bereich der relevanten Fallgruppen unwirksamen Agierens Dokumentationspflichten aufzuerlegen, etwa: Warum wurde auf die Ladung eines Entlastungszeugen verzichtet? Warum nahm der Verteidiger an der richterlichen Vernehmung eines Zeugen nicht teil? Warum unterblieb die Geltendmachung eines Verwertungsverbots? Gaede lehnt sich hier zum Teil an die englische Rechtsprechung an, die solche Dokumentationspflichten entwickelt hat. Das Prinzip unabhängiger Verteidigung sieht er nicht tangiert: Es gehe stets und ausnahmslos um Rechtskontrolle, keinesfalls um die Überprüfung der Zweckmäßigkeit. Diese Rechtskontrolle bleibe notwendig an die Maßstäbe des Art. 6 EMRK gebunden. Überschreite eine Kontrolle diese Maßstäbe, werde Art. 6 EMRK gerade wegen der in die autonome Verteidigung eingreifenden Überschreitung verletzt (890). Ohnehin dürfe eine staatliche Kontrolle nur mit dem Willen des Rechtsinhabers erfolgen, also des Beschuldigten, der die Unwirksamkeit der Verteidigung daher (auch) im Rechtsmittelverfahren geltend machen könne (892).

Das Modell hat einiges für sich, zumal unbestreitbar ein Bedürfnis besteht, den in der Regel inkompetenten Beschuldigten vor besonders schlechten Leistungen seines Verteidigers zu schützen und in der Tat erscheint es absurd, was Wach schon 1914 so treffend beschrieb: "Man erklärt die Verteidigung für notwendig; aber ob der Betraute das zu ihr Notwendige tut, darum kümmern man sich nicht; im Gegenteil, man empfindet es vielleicht als angenehm, wenn der Verteidiger nicht eifrig Akteneinsicht begehrt oder wenn er sich bei Beweisaufnahmen vor der Hauptverhandlung nicht einstellt (Wach, in: FG Binding[1914], S. 1, 34). Vielleicht geben vorsichtige Zeichen in der neueren deutschen obergerichtlichen Rechtsprechung, die das Recht auf wirksame und konkrete Verteidigung im Kontext mit entsprechenden Problemfällen erstmals anspricht (BGH HRRS 2004 Nr. 929), Anlass zur Hoffnung, dass sich das Problembewusstsein schärft und Lösungen entwickelt werden.

Die Ergebnisse der Arbeit von Gaede werden mit Sicherheit einzubeziehen sein, zumal sie nicht nur, was schon allein gehörigen Respekt verdient hätte, die Rechtsprechung des EGMR umfassend auswertet, sondern auch die deutsche, englische, österreichische, schweizerische und - in Teilbereichen - die us-amerikanische Judikatur berücksichtigt. Durch die längst überfällige Einbeziehung des wichtigsten englisch- und französischsprachigen Schrifttums stellt Gaede seine grundlegende Arbeit auf eine in Deutschland ungewohnt breite Basis. Der Vorwurf, das Verständnis der EMRK sei hierzulande von einem "Germanozentrismus" geprägt (Trechsel StV 1994, 348 zur Kommentierung der EMRK durch Gollwitzer in der 24. Aufl. des Löwe/Rosenberg) kann nach dieser Abhandlung sicher nicht mehr erhoben werden. Es bleibt zu wünschen, dass die Untersuchung und ihre Ergebnisse Zugang zu den Entscheidungsträgern finden. Der beinahe 1000seitige Umfang sollte nicht schrecken. Zwar lässt sich nicht leugnen, dass die Arbeit an mehreren Stellen Wiederholungen aufweist und so manchmal den Eindruck erweckt, sie käme nicht recht von der Stelle. Aber zum einen waren sie im Rahmen des wahrlich großen Bogens, den Gaede spannt, gewiss nicht immer vermeidbar; zum anderen ermöglichen 25 Zwischenfazite und Zusammenfassungen auch den eher eiligen Leser einen raschen Zugang.

Die Auszeichnung mit dem "Jahrespreis der Universität Zürich 2006" hat "Fairness als Teilhabe" allemal verdient. Es wäre ihr zu gönnen, wenn sie weitere Verbreitung erführe.

Dr. Ralf Neuhaus, Rechtsanwalt & FA für Strafrecht, Dortmund

***