HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2005
6. Jahrgang
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IV. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

871. BGH GSSt 1/05 - Beschluss vom 26. Oktober 2005

BGHSt; Vorlagebeschluss zur Auslegung des (vollendeten) Handeltreibens im Betäubungsmittelstrafrecht (ernsthafte Verhandlung mit dem potentiellen Verkäufer; Abgrenzung von Vollendung und strafloser Vorbereitung; Lösung über Täterschaft und Teilnahme); Bestimmtheitsgrundsatz; redaktioneller Hinweis.

§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG; § 22 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 27 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG; Art. 7 EMRK

1. Für die Annahme vollendeten Handeltreibens reicht es aus, dass der Täter bei einem beabsichtigten Ankauf von zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmten Betäubungsmitteln in ernsthafte Verhandlungen mit dem potentiellen Verkäufer eintritt. (BGHSt)

2. Handlungen, die lediglich typische Vorbereitungen darstellen, weil sie weit im Vorfeld des beabsichtigten Güterumsatzes liegen, erfüllen noch nicht einmal die Voraussetzungen eines Versuchs des Handeltreibens (vgl. zu konkretisierenden Beispielen den Volltext). Wenngleich diese Grenzziehung zwischen strafloser Vorbereitung einerseits und strafbarem Versuch des Handeltreibens bzw. vollendetem Handeltreiben andererseits in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs

bislang nur kasuistisch erfolgt ist, liegt ihr häufig als wesentliches Abgrenzungskriterium zugrunde, dass in den Fällen der Vorbereitung noch jede Konkretisierung der in Aussicht genommenen Tat fehlt (vgl. insbes. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 22, 37, 43; BGH NStZ 2001, 323, 324). (Bearbeiter)

3. Ein großer Teil derjenigen Fälle, die im vorliegenden Zusammenhang als problematisch diskutiert werden, findet seine Lösung eher an der Grenzlinie zwischen Beihilfe und (Mit-)Täterschaft als in der Differenzierung zwischen versuchtem und vollendetem Handeltreiben. (Bearbeiter)

4. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Handeltreiben im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG jede eigennützige auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit (BGHSt 6, 246; 30, 359; BGH NStZ 2000, 207). (Bearbeiter)


Entscheidung

864. BGH 5 StR 65/05 - Beschluss vom 11. Oktober 2005 (LG Augsburg)

BGHR; Einkommensteuerhinterziehung nach Provisionsverteilungen im "System Schreiber" (Feststellung eines Treuhandverhältnisses); Beweiswürdigung (lückenhafte Feststellungen; verdeckte Parteispenden; Fall Max Strauß); steuerliche Einordnung von Forderungen aus einer "Lobbyistentätigkeit" (gewerbliche Einkünfte).

§ 370 AO; § 15 Abs. 1 EStG; § 2 Abs. 1 Nr. 2 EStG; § 39 AO; § 41 AO

1. Einkommensteuerhinterziehung nach Provisionsverteilungen im "System Schreiber" (im Anschluss an BGHSt 49, 317). (BGHR)

2. Eine Vereinbarungstreuhand ist grundsätzlich möglich. Sie muss auf ernst gemeinten und klar nachweisbaren Vereinbarungen zwischen Treugeber und Treuhänder beruhen und tatsächlich durchgeführt werden. Das Handeln des Treuhänders im fremden Interesse muss wegen der vom zivilrechtlichen Eigentum abweichenden Zurechnungsfolge eindeutig erkennbar sein (BFH BStBl II 1998, 152, 156 und 2001, 468, 470). Wesentliches Kriterium für die Annahme eines Treuhandverhältnisses ist die Weisungsbefugnis des Treugebers gegenüber dem Treuhänder und damit korrespondierend die Weisungsgebundenheit des Treuhänders gegenüber dem Treugeber sowie - im Grundsatz - dessen Verpflichtung zur jederzeitigen Rückgabe des Treuguts. Der Treugeber muss demnach das Treuhandverhältnis beherrschen. (Bearbeiter)


Entscheidung

863. BGH 5 StR 263/05 - Beschluss vom 21. September 2005 (LG Münster)

Weiterhin bestehende Tatmehrheit zwischen Lohnsteuerhinterziehung und Vorenthalten von Arbeitsentgelt; Strafzumessung (Darstellung; gebotene Hervorhebung von Umständen, die für die Beurteilung des Unrechts- und Schuldgehalts und damit der Schwere der Tat von besonderer Bedeutung sind); Vorenthalten von Arbeitsentgelt (mangelnde Gefährdung des Aufkommens der Sozialversicherung bei Zahlung durch Dritte und Finanzierung einer freiwilligen Versicherung).

§ 370 AO; § 266a StGB; § 53 StGB; § 46 StGB; § 28i SGB IV

1. § 266a StGB schützt in erster Linie das Interesse der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherung (vgl. BVerfG NJW 2003, 961; BGH NJW 2000, 2993, 2994). Da dieses Aufkommen nicht gefährdet ist, soweit Dritte - z. B. Subunternehmer - aufgrund einer mit dem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung die betroffenen Arbeitnehmer bei den zuständigen Kassen angemeldet und fristgerecht Beiträge an die zuständige Einzugsstelle abgeführt haben, können diese Zahlungen dem Arbeitgeber zugute kommen, auch wenn er selbst keine Beiträge abgeführt hat (vgl. BGH, wistra 2001, 464, 465; insoweit nicht abgedruckt in BGHR StGB § 266a Arbeitgeber 2 und Sozialabgaben 5).

2. Sorgt der Arbeitgeber dafür, dass die Arbeitnehmer als freiwillige Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. § 9 SGB V) versichert werden, und zahlt er absprachegemäß die Krankenversicherungsbeiträge für die freiwillige Mitgliedschaft, indem er die Beiträge vom Lohn der Arbeitnehmer einbehält und an die Krankenkasse abführt, ist das Aufkommen der Mittel für die Sozialversicherung in Höhe der Krankenversicherungsbeiträge ebenfalls nicht gefährdet. Die Tatsache, dass der Arbeitgeber gemäß § 28e Abs. 1 SGB IV erst im Rückgriff seine Leistungen vom Bruttoarbeitslohn des Arbeitnehmers abziehen darf (vgl. Senat, NJW 2002, 2480), ändert an diesem Ergebnis nichts.

3. Eine erschöpfende Aufzählung aller in Betracht kommenden Strafzumessungserwägungen ist dem Tatrichter weder vorgeschrieben noch möglich. Daraus, dass ein für die Strafzumessung bedeutsamer Umstand nicht ausdrücklich angeführt worden ist, kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, der Tatrichter habe ihn überhaupt nicht gesehen oder nicht gewertet (st. Rspr.). Es liegt jedoch ein sachlichrechtlicher Fehler vor, wenn in den Urteilsgründen Umstände außer Acht gelassen werden, die für die Beurteilung des Unrechts- und Schuldgehalts und damit der Schwere der Tat von besonderer Bedeutung sind, deren Einbeziehung in die Strafzumessungserwägungen deshalb nahe lag.