HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2005
6. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Die Kritik der Hirnforschung an der Willensfreiheit als Chance für eine Neudiskussion im Strafrecht

Mit einer Replik auf Kudlich, HRRS 2004, 217 ff.

Von Gunnar Spilgies, Hannover

I. Einführung

Strafe setzt Schuld voraus ("nulla poena sine culpa"). Nach diesem dem deutschen Strafrecht zugrunde liegenden Schuldgrundsatz ist Strafe nur dann gerechtfertigt, wenn der Täter nicht nur tatbestandsmäßig und rechtswidrig, sondern auch schuldhaft gehandelt hat. Hierfür verlangt die ganz herrschende Meinung in Übereinstimmung mit der gesetzlichen Regelung der Schuldfähigkeit in § 20 StGB, dass der Täter tatsächlich rechtmäßig hätte handeln können, eine Willensfreiheit im indeterministischen Sinne also zu bejahen ist. Grundlegend für die herrschende Meinung im Strafrecht ist bis heute die Entscheidung des Großen Strafsenats des BGH aus dem Jahre 1952, in der es heißt:

"Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für das Recht hätte entscheiden können."[1]

In jüngster Zeit bestreiten nun jedoch renommierte Hirnforscher und Handlungspsychologen, vornehmlich Wolfgang Prinz, Gerhard Roth und Wolf Singer, die Existenz einer solchen dem deutschen Schuldstrafrecht zugrunde liegenden Willensfreiheit und fordern mehr oder weniger offen eine Änderung des Strafrechts. [2] Dabei stützen sie ihre Kritik auf neuere neurowissenschaftliche und handlungspsychologische Erkenntnisse: [3] So hat zu Beginn der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts der amerikanische Neurobiologe Benjamin Libet in Experimenten festgestellt, dass zumindest bei einfachen Bewegungen dem bewussten Willensentschluss stets eine unbewusste neuronale Aktivität, das sog. Bereitschaftspotential, vorausging, dieses Bereitschaftspotential also niemals mit dem bewussten Willensentschluss zeitlich zusammenfiel oder ihm nachfolgte. Prinz prägte für diese Beobachtung den Satz: "Wir tun nicht, was wir wollen; wir wollen, was wir tun." [4] Die Ergebnisse Libets sind vor kurzem von den Psychologen Patrick Haggard und Manfred Eimer in modifizierten Experimenten, die auch Einwände gegen die Experimente Libets berücksichtigten, bestätigt worden. Die Ergebnisse der Libet-Experimente stimmen außerdem sowohl mit handlungspsychologischen Erkenntnissen (z. B. aus Versuchen mit Hinweisreizen oder elektrischen Hirnreizungen) als auch mit neurobiologischen Einsichten in die Steuerung von Willkürhandlungen überein. Danach entscheidet letztlich das limbische System, nachdem es das emotionale Erfahrungsgedächtnis abgefragt hat, was in die Tat umgesetzt wird. Diese Letztentscheidung fällt 1-2 Sekunden bevor diese Entscheidung bewusst wahrgenommen wird und man den Willen hat, die Handlung auszuführen. Hinzu kommen handlungs- und sozialpsychologische Erkenntnisse über systematische Fehler bei der Selbstzuschreibung von Handlungen. So schreiben sich Menschen einerseits unter Umständen Handlungen zu, die sie gar nicht begangen haben, andererseits leugnen sie Handlungen, deren Urheber sie nachweislich sind. Zusammengefasst zeigten die genannten Forschungsergebnisse daher,

"dass die beiden entscheidenden Komponenten des Phänomens ,Willensfreiheit‘, nämlich etwas frei zu wollen (zu beabsichtigen, zu planen) und etwas in einem freien Willensakt aktuell zu verursachen, eine Täuschung sind. Das erstere Gefühl tritt auf durch Zuschreibung bzw. Aneignung von unbewussten Handlungsmotiven, die aus dem limbischen System stammen, das letztere Gefühl tritt auf, nachdem das Gehirn längst entschieden hat, was es im nächsten Augenblick tun wird."[5]

II. Die aktuelle Debatte über "Hirnforschung, Willensfreiheit und Strafrecht"- nur ein Modethema?

Die von den Hirnforschern vorgetragene Kritik an der Willensfreiheit und am Strafrecht hat eine breite Debatte ausgelöst. Neben Tageszeitungen, Fernsehsendungen und Zeitschriften beschäftigen sich zahlreiche Symposien und

Seminare mit dem Thema "Hirnforschung, Willensfreiheit und Strafrecht". Auch der kommende Strafverteidigertag vom 4.-6. März 2005 in Aachen geht in der Arbeitsgruppe 3 der Frage nach ",Tun wir, was wir wollen, oder wollen wir, was wir tun?‘ - Neue Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung zur Willensfreiheit und ihre Relevanz für das Strafrecht." So berechtigt die Kritik der Hirnforscher aus meiner Sicht auch ist, der bisherige Verlauf dieser aktuellen Debatte über "Hirnforschung, Willensfreiheit und Strafrecht" nährt jedoch die Befürchtung, dass es sich nur um ein medial inszeniertes Modethema handelt, über das nicht sachlich diskutiert wird, sondern bei dem die Beteiligten aneinander vorbeireden. Dies wird bestätigt durch die Klage Roths, die Ausführungen der Autoren, die sich in jüngster Zeit kritisch zu den Ansichten von Hirnforschern und Handlungspsychologen geäußert hätten, ließen in ihren Ausführungen von einem vertieften Verständnis der Hirnforschung und der Handlungspsychologie wenig erkennen, sondern beschränkten sich überwiegend auf globale Kritik, und es zeige sich, dass Kritiker die kritisierten Texte nicht gelesen hätten. [6]

Insbesondere lässt auch die strafrechtliche Rezeption bislang zu wünschen übrig. Eine erfreuliche Ausnahme ist Anja Schiemann, die es als "positive Nebenwirkung" der Hirnforschung für das deutsche Strafrecht für möglich hält, "sich nicht mehr künstlich blind und taub zu stellen, sondern sich für neue Erkenntnisse zu öffnen und die Chance zu ergreifen, die strafrechtliche Schuldzuschreibung und Verantwortlichmachung zu überdenken."[7] Die Erwiderung von Ekkehart Reinelt auf den Aufsatz von Schiemann zeigt dagegen, dass dies wohl eher ein frommer Wunsch zu sein scheint und man in dieser Hinsicht nicht allzu optimistisch sein sollte. [8] Vielmehr verstärkt sich der Eindruck, dass sich die Strafrechtswissenschaft gegenüber der Kritik an der Willensfreiheit immunisiert hat, wenn man weitere Stellungnahmen von Strafrechtlern zur gegenwärtigen Kritik der Hirnforschung in den Blick nimmt. So bezweifelt z. B. auch Hans Kudlich, dass die Forderung Roths, wir müssten zunehmend "die Begriffe ,Willensfreiheit‘ und ,Schuld‘ aus unserem Vokabular streichen" [9], aufgrund der Erkenntnisse der Hirnforschung tatsächlich gerechtfertigt sei. [10] Udo Ebert bezeichnet die Thesen der Hirnforschung sogar als "radikalen Biologismus", dem eine andere Richtung gegenüberstehe, "deren Vertreter die von der Hirnforschung aufgeklärten neuronalen Prozesse zwar nicht leugnen, gleichwohl aber - teils aufgrund postulierter weiterer mentaler Kräfte - an der Annahme einer Willensfreiheit des Menschen meinen festhalten zu können." [11] Und für Günter Stratenwerth und Lothar Kuhlen lässt sich der Determinismus-Indeterminismus-Streit mit wissenschaftlichen Mitteln nicht entscheiden. Daran änderten auch die neueren Ergebnisse der Hirnforschung nichts. Sie bestätigten "nur die altbekannte Einsicht, dass mentale Prozesse wie Denken und Wollen eine neurobiologische Grundlage haben, ohne doch daraus abgeleitet werden zu können."[12]

Ärgerlich sind in der aktuellen Debatte zudem Äußerungen, die versuchen die Bedeutung und Brisanz der Kritik der Hirnforscher herunterzuspielen. So fasste Peter Bieri im Rahmen der letztjährigen Werner-Reihlen-Vorlesung an der Humboldt-Universität zu Berlin zu dem Thema "Freier oder unfreier Wille? Handlungsfreiheit und Schuldfähigkeit im Dialog der Wissenschaften" seine Verwunderung über die gegenwärtige "Aufregung" um das Thema in den Satz: "Es ist nichts geschehen!" Warum gerade jetzt so heftig und emotional über das Thema diskutiert werde, sei durch die Erkenntnisse der Hirnforschung sachlich nicht begründet. Und von strafrechtlicher Seite wendet sich Björn Burkhardt entschieden gegen die These der Hirnforscher, die neurowissenschaftlichen Ergebnisse würden tiefgreifende Veränderungen des menschlichen Selbstverständnisses erzwingen und dem Prinzip persönlicher Schuld die Grundlage entziehen.[13] Einen solchen relativierenden Standpunkt kann jedoch nur einnehmen, wer die herrschende Meinung im Strafrecht ausblendet und zugleich die eigene Freiheitskonzeption nicht auf einem indeterministischen Menschenbild aufbaut. Und so ist es denn auch im Falle Bieris und Burkhardts. Beide lehnen eine indeterministische Willensfreiheit ab und befürworten ein mit dem Determinismus verträgliches Freiheits- und Verantwortlichkeitskonzept. Für Bieri kann nämlich durch die Kritik der Hirnforschung nur "erschreckt" werden, wer sich die Freiheit des Willens auf unplausible Weise denke, d. h. als "unbewegten Beweger", als "nicht-physischen Willen" oder als "spontanen Willen". Das Freiheitsverständnis des "Unerschrockenen" sei dagegen im Kern dieses: "Unser Wille ist frei, wenn er sich unserem Urteil darüber fügt, was zu wollen richtig ist."[14] Und Burkhardt möchte strafrechtliche Schuld abweichend von der herrschenden Meinung auf die subjektive Freiheit, also auf das Freiheitsbewusstsein des Menschen, gründen.[15] Die Hirnforschung gebe, so Burkhardt, was die Willensfreiheit betrifft, keine falschen Antworten, sondern beantworte die falschen Fragen; eine richtige und wichtige

Frage wäre etwa: "Ist das Freiheitserleben ein legitimer Anknüpfungspunkt für strafrechtliche und moralische Verantwortlichkeit?" [16] Damit fordert Burkhardt jedoch, den zweiten Schritt (nämlich die Begründung eines deterministischen Verantwortlichkeitskonzepts) vor dem ersten Schritt (der Kritik des gegenwärtigen indeterministischen Verantwortlichkeitskonzepts) zu machen. Eine Antwort auf Burkhardts Frage ist also zweitrangig und kann zunächst dahinstehen. [17]

III. Plädoyer für eine Neudiskussion

Zuletzt war es im vorigen Jahrhundert der Mediziner Manfred Danner, der in den 60er und 70er Jahren leidenschaftlich gegen die Willensfreiheit argumentierte und sich vergeblich um eine Änderung des Strafrechts bemühte.[18] Sollte sich die aktuelle Debatte in der soeben beschriebenen Weise fortsetzen, drohte das gleiche Schicksal heute letztlich auch den Hirnforschern. Das wäre bedauerlich. Damit wäre die Chance für die Strafrechtswissenschaft abermals vertan, für das Thema "Willensfreiheit und Strafrecht" wieder ein Problembewusstsein zu entwickeln, das seit dem Ausgang des Schulenstreits zu Beginn des vorigen Jahrhunderts immer mehr verloren gegangen ist.[19] Die Kritik der Hirnforschung an der Willensfreiheit sollte daher von der Strafrechtswissenschaft zum Anlass genommen werden, das Thema sachlich neu zu diskutieren. Das soll heißen, nicht nur das Problem der Willensfreiheit als solches ist zu diskutieren, sondern es gilt überdies, die Konsistenz der Willensfreiheitsprämisse des Strafrechts zu untersuchen. Denn zwar geht das deutsche Strafrecht von einem indeterministischen Menschenbild aus, also von der Willensfreiheit des Menschen, und der Straftäter wird nur dann bestraft, wenn er schuldhaft gehandelt hat, d. h., wenn er rechtmäßig hätte handeln können. Im Folgenden soll jedoch gezeigt werden, dass die Implikationen eines solchen auf Willensfreiheit gegründeten Schuldstrafrechts und damit die Bedeutung des Determinismus-Indeterminismus-Streits nicht beachtet werden. Dies kann an dieser Stelle jedoch nur skizzenhaft geschehen. Eine ausführliche Darstellung findet sich in meinem Buch "Die Bedeutung des Determinismus-Indeterminismus-Streits für das Strafrecht"[20].

1. Der Determinismus-Indeterminismus-Streit

Voraussetzung für das Verständnis der Bedeutung des Determinismus-Indeterminismus-Streits für das Strafrecht ist, dass über die verwendeten Begriffe Klarheit herrscht. Daher sind zunächst die Grundaussagen der beiden Theorien darzustellen.

a) Determinismus

Der Determinismus ist die Theorie, nach der alles Geschehene so geschehen musste und nicht anders sein konnte. Das Weltgeschehen ist determiniert (= (vorher)bestimmt) und es gilt das Gesetz der Kausalität: Jeder Zustand ist die Wirkung seines früheren und die Ursache des folgenden Zustands, d. h., jeder Zustand ist sowohl Ursache als auch Wirkung. Entscheidend ist, dass die Wirkung mit Notwendigkeit aus der Ursache folgt. Aus dem deterministischen Programm ergeben sich zwei wichtige praktische Möglichkeiten, die zugleich als Maßstab für die Qualität wissenschaftlicher Theorien gelten. Dabei handelt es sich um die Möglichkeit der Ursachenerklärung und der Vorhersage von Ereignissen. Diese Möglichkeiten bedeuten aber nicht, in praxi alles erklären und vorhersagen zu können; das könnte nur der sog. Laplace’sche Dämon. [21] Henrik Walter hebt zutreffend hervor: "Es gilt daher, die ontologische und epistemologische Ebene sauber auseinanderzuhalten." [22] Aus dem Determinismus folgt schließlich die Verneinung der Willensfreiheit. Jede Person ist vielmehr durch Werte und Interessen bestimmbar (motivierbar). Auch Entscheidungen sind Wirkungen und mussten so ausfallen, wie sie ausgefallen sind.

b) Indeterminismus

Der Indeterminismus ist die Theorie, nach der bestimmte Ereignisse nicht geschehen mussten, sondern etwas anderes geschehen konnte. Solche Ereignisse sind nicht die Wirkung von etwas, nicht durch Ursachen determiniert, sondern indeterminiert (= unbestimmt) oder absolut zufällig. Aus der Annahme solcher "objektiv zufallsartigen Vorgänge" [23] folgt, dass eine Ursachenerklärung und eine Vorhersage von Ereignissen unmöglich ist. Eine Ursachenerklärung scheitert, weil: "Die Frage ,Warum ist das geschehen?‘ ist nicht lediglich eine Frage, die wir nicht zu beantworten wissen, sondern es gibt gar keine Antwort, die dieser Frage entspräche." [24] Und eine Vorhersage von Ereignissen scheitert, weil "mit dem Außerkraft-

setzen des Gesetzes der Kausalität sich immer das Gesetz der Regellosigkeit ergeben muß, nach dem überhaupt keine - auch nicht wahrscheinliche - Aussagen für den Verlauf eines Vorganges möglich sind." [25] Aus dem Indeterminismus ergibt sich schließlich die Möglichkeit von Willensfreiheit. Denn die traditionelle und im Strafrecht zugrunde gelegte Theorie der Willensfreiheit setzt jedenfalls voraus, dass Entscheidungen nicht aufgrund von Ursachen (Motiven) so ausfallen mussten, wie sie ausgefallen sind. Neben dieser Akausalität von Entscheidungen ist aber für Willensfreiheit zusätzlich erforderlich, dass Personen die Motive ihrer Entscheidungen selbst bestimmen (sog. Urheberschaft), denn eine absolut zufällige Entscheidung wäre noch keine freie Entscheidung der Person. Mit Ulrich Pothast lässt sich Willensfreiheit somit wie folgt definieren: "Willensfreiheit ist demnach zu verstehen als die Fähigkeit zu außerkausaler (oder kontrakausaler) Selbstbestimmung." [26] Die so verstandene Willensfreiheit als Akteurskausalität wurde von Roderick M. Chisholm mit der Metapher des "unbewegten Bewegers" ("prime mover unmoved") beschrieben, [27] auf die sich auch Bieri oben bezieht.

2. Die Nichtbeachtung der Implikationen eines auf Willensfreiheit gegründeten Schuldstrafrechts

Ein auf Willensfreiheit gegründetes Schuldstrafrecht ist nun mit Implikationen verbunden, die im Interesse der Folgerichtigkeit und Widerspruchsfreiheit des Strafrechts beachtet werden müssen. Die Annahme von Willensfreiheit hat Einfluss auf die Straftheorie, die Kriminologie und dogmatische Fragen der Strafbegründung und der Strafzumessung. Bis heute wird diese Bedeutung der Willensfreiheitsprämisse aber nicht beachtet.

1. In straftheoretischer Hinsicht impliziert ein auf Willensfreiheit gegründetes Schuldstrafrecht zunächst den Ausschluss präventiver Strafzwecke. Unter Voraussetzung von Willensfreiheit ist eine Prävention von Straftaten überflüssig und sinnlos. Eine Prävention ist überflüssig, weil jeder Schuldfähige rechtmäßig handeln kann, und sie ist sinnlos, insofern versucht wird, auf den Willen des Menschen durch erzieherische oder abschreckende Maßnahmen psychisch einzuwirken. Denn eine solche psychische Beeinflussung ist ja gerade ausgeschlossen, wenn Menschen nicht bestimmbar sind und ihre Entscheidung selbst bestimmen. Zwar ist eine Prävention durch das "Wegsperren" von Personen möglich. Aber es gibt im Einzelfall keine Begründung dafür. Da eine Vorhersage des Verhaltens bei Annahme von Willensfreiheit nicht möglich ist, kann man nicht wissen, wen man einsperren müsste. Dieser Ausschluss präventiver Strafzwecke bei Annahme von Willensfreiheit wird aber bis heute nicht beachtet. Vielmehr herrscht gegenwärtig über den Präventionszweck der Strafe praktische Einigkeit. Dazu Roxin: "Der Ausgangspunkt jeder heute vertretbaren Straftheorie muß in der Einsicht liegen, daß der Zweck der Strafe nur präventiver Art sein kann." [28] Dementsprechend liegt auch einer Reihe von Strafzumessungsvorschriften der Präventionsgedanke zugrunde (siehe nur § 46 I 2 StGB) und auch das Strafvollzugsgesetz bestimmt in § 2 allein spezialpräventive Aufgaben des Vollzugs.

2. Aus der Annahme von Willensfreiheit folgt weiter der Ausschluss kriminalätiologischer Forschung, denn eine Suche nach den Ursachen des Verbrechens ist sinnlos, weil es ja unter Voraussetzung von Willensfreiheit gerade keine Ursachen des Verbrechens gibt. Kriminalätiologische Forschung ist zudem überflüssig, weil sie nur zu dem Zweck betrieben wird, durch Beseitigung der ermittelten Ursachen, Straftaten zu verhindern. Dieser Präventionsgedanke ist aber wie gerade gezeigt mit der Annahme von Willensfreiheit unvereinbar. Trotz dieser Unvereinbarkeit von kriminalätiologischer Forschung und Willensfreiheit gilt die Klärung der Ursachenfrage der Kriminalität auch gegenwärtig als eine der "Hauptaufgaben der Kriminologie". [29] Die hierzu entwickelten Theorien werden als "Rückgrat der Kriminologie" [30] bezeichnet und in jedem Lehrbuch der Kriminologie jedenfalls im Überblick dargestellt. [31]

3. Aus einem auf Willensfreiheit gegründeten Strafrecht ergibt sich auch der Ausschluss einer Entschuldigung wegen eines Motivationsdrucks zu unrechtmäßigem Verhalten, denn die Begründung einer solchen Entschuldigung muss letztlich auf die Determinierbarkeit des Täters durch Motive und damit auf ein deterministisches Menschenbild rekurrieren. Für einen willensfreien Täter kann es dagegen einen solchen Motivationsdruck gar nicht geben, denn er vermag ja die Motive seiner Entscheidung selbst zu wählen. Dessen ungeachtet ist allgemein anerkannt, dass die Entschuldigungsgründe, wie z. B. der entschuldigende Notstand nach § 35 StGB, (zumindest auch [32] ) mit Rücksicht auf diesen Motivationsdruck zu unrechtmäßigem Verhalten zu erklären sind. [33]

4. Die Annahme von Willensfreiheit führt damit vice versa auch zu einem Ausschluss der Strafbarkeit einer Nötigung durch Vis compulsiva oder Drohung mit einem empfindlichen Übel, denn diese Nötigungshandlungen sind den Entschuldigungsfällen strukturell gleich. Während in den Entschuldigungsfällen der Genötigte wegen des Motivationsdrucks für straffrei erklärt wird, bestim-

men die Nötigungstatbestände (z. B. § 240 StGB) die Strafbarkeit desjenigen, der den Motivationsdruck ausübt, also des Nötigenden.

5. Rechtsprechung und noch herrschende Lehre begründen die "Freiwilligkeit" des Rücktritts vom Versuch (§ 24 StGB) mit der aufgrund des Motivationsdrucks zu rechtmäßigem Verhalten ausgeschlossenen Möglichkeit der Tatvollendung durch den Täter. [34] Bei Annahme von Willensfreiheit ist dies jedoch ausgeschlossen, weil dann Motive per definitionem nicht die Entscheidung bestimmen können, der Täter also qua Willensfreiheit stets die Tat auch vollenden könnte und damit stets "freiwillig" handelt.

6. In einem auf Willensfreiheit gegründeten Schuldstrafrecht kann schließlich die Willensfreiheit nicht zur Strafzumessung verwendet werden. Das folgt daraus, dass die Willensfreiheit nicht steigerbar ist, sondern im Tatzeitpunkt nur entweder vorgelegen haben kann oder nicht (näher dazu gleich unter 3 im Rahmen der Ausführungen zum "relativen Indeterminismus"). Die Vorstellung, die Höhe der Strafe sei nach dem jeweiligen Grad der Willensfreiheit zu bemessen, ist jedoch bis heute Grundlage für die Begründungen von einzelnen Strafrahmenverschiebungen (z. B. nach den §§ 21, 157 I, 212 II, 213, 216 StGB) und auch im Vordringen bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe gem. § 46 I 1 StGB. Das bedeutet, die Höhe der Strafzumessungsschuld wird danach bestimmt, in welchem Maße der Täter anders hätte handeln können. [35]

3. Gründe für die Nichtbeachtung der Implikationen eines auf Willensfreiheit gegründeten Schuldstrafrechts

Dass diese Implikationen eines auf Willensfreiheit gegründeten Schuldstrafrechts nicht beachtet werden, ist im Wesentlichen auf die fehlende intellektuelle Durchdringung des Determinismus-Indeterminismus-Streits zurückzuführen. [36] Zum Teil lassen die Ausführungen überhaupt ein Problembewusstsein vermissen. So schreibt etwa Eduard Dreher:

"Willensfreiheit, und zwar im Sinne des Andershandelnkönnens, ist gewiß Voraussetzung für Schuld und Strafe. Doch über die Vorstellung, dass im Vollzug ,nichts als Vergeltung‘ geübt und der Täter seinem Schicksal [!] überlassen werden soll, sind wir doch längst hinaus."[37]

Dreher scheint offenbar gar nicht zu sehen, dass das Leben bei Annahme von Willensfreiheit gerade kein "Schicksal" ist. Besonders bei dem Versuch, eine deterministische Strafbegründung ad absurdum zu führen, zeigt sich weiter, dass der Determinismus häufig als Fatalismus missverstanden wird. Daneben wird vielfach auch die Trennung zwischen ontologischer und epistemischer Ebene bezüglich der Freiheitsfrage (vgl. oben unter 1 a) sowie die Unmöglichkeit einer Vorhersage bei Annahme von Willensfreiheit (vgl. oben unter 1 b) nicht beachtet. So vertreten z. B. Karl-Ludwig Kunz und Heinz Schöch die Auffassung, angesichts der Unkenntnis aller Ursachen von Kriminalität und damit der Unmöglichkeit einer genauen praktischen Erklärung bzw. Vorhersage von Kriminalität könne die Willensfreiheit als dogmatische Prämisse des Strafrechts bestehen bleiben und auf diese Weise kriminalätiologische Forschung mit einem auf Willensfreiheit gegründeten Schuldstrafrecht versöhnt werden. [38] Mit den Worten Schöchs:

"Nur wenn kriminologische Theorien als deterministische Kausalgesetze formuliert wären, würden sie die individuelle Zurechenbarkeit ausschließen. …

Da es sich nur um Wahrscheinlichkeitsaussagen handelt, bleibt ein gewisser - nicht determinierter - Spielraum für eine individuelle Zurechnung.

… Erst wenn 100 %ige Erklärungen oder Vorhersagen beim Vorliegen bestimmter Merkmale möglich wären, könnte die individuelle Zurechenbarkeit in Frage gestellt werden. Für diesen Fall wäre die Frage der Schuldunfähigkeit und einer daran anknüpfenden Maßregelbehandlung neu zu überdenken." [39]

Auch von philosophischer Seite findet diese Auffassung Zustimmung. So meint etwa Vittorio Hösle, dass der Determinismus nicht notwendig zu einer Aufgabe der Freiheitsintuition führe, denn man könne zwar kaum bestreiten, dass z. B. die Kriminologie verschiedene Ursachen kriminellen Verhaltens aufgezeigt habe, es sei

"jedoch stets möglich, diese Ursachen so anzusehen, daß sie ein bestimmtes Verhalten nur wahrscheinlicher machen, nicht jedoch hinreichende Ursachen darstellen, da niemand, wenigstens in der nahen Zukunft, alle Faktoren nennen können wird, die zusammen eine hinreichende Bedingung für ein bestimmtes Verhalten ausmachen."[40]

Besonders hartnäckig verteidigt wird aber schließlich seit je ein logisch unhaltbarer, auf intuitiven, alltagspsychologischen Vorstellungen beruhender "relativer Indeterminismus", dessen Vertreter zwar nicht leugnen, dass es Ursachen für Entscheidungen gebe, aber glauben, diese würden die Entscheidung nicht vollständig determinieren, vielmehr ein Minimum an Willensfreiheit im Sinne eines Spielraums zu freier Entscheidung verbleiben.

Schon der soeben angeführten Auffassung mit den Zitaten von Schöch und Hösle ist ein solcher "relativer Indeterminismus" inhärent. Ein Paradebeispiel hierfür aber sind die folgenden Ausführungen von Christian Fahl:

"Denkbar ist es schon, und die moderne Zwillingsforschung scheint darauf hinzuweisen, dass wir durch in wesentlich größerem Maße als von uns allen geahnt durch unsere Gene bestimmt werden. Wenn man dann... auch noch der Prägung durch die Umwelt den ihr gebührenden Platz einzuräumen bereit ist, dann schmilzt der Raum, in dem von einem (von der Steuerung durch unsere Anlagen und Umwelteinflüsse) ,freien‘ Willen die Rede sein kann, auf einen sehr schmalen Bereich zusammen, was nicht ohne Rückwirkungen auf das Strafrecht bleiben kann: Wenn der Mensch komplett durch Anlage und Umwelt determiniert ist, mit welchem Recht und vor allem wofür (doch nicht für seine Gene?) dürften wir ihn dann eigentlich bestrafen? Dennoch halten wir aus gutem Grunde [Es wäre interessant zu wissen, aus welchem.] (normativ) an der Vorstellung fest, dass der Mensch (normalerweise) nicht auf Grund irgendwelcher Dispositionen oder Einflüsse gezwungen ist, Straftaten zu begehen, sondern sich frei entscheiden kann."[41]

Insgesamt lässt sich sagen, dass die Nichtbeachtung der Implikationen eines auf Willensfreiheit gegründeten Schuldstrafrechts vor allem auf dieser verbreiteten Annahme eines "relativen Indeterminismus" beruht. Dieser bildet letztlich die Grundlage für die Vereinigungsversuche zwischen Willensfreiheit und Kriminologie, für die Begründung der Entschuldigung, der Strafbarkeit der Nötigung durch Vis compulsiva oder Drohung mit einem empfindlichen Übel sowie der "Unfreiwilligkeit" des Rücktritts vom Versuch und für die Strafzumessung nach dem Grad der Willensfreiheit.

Zwar ist der "relative Indeterminismus" von deterministischer Seite seit Karl Ferdinand Hommel mit dem Hinweis auf seine logische Unhaltbarkeit kritisiert worden, [42] jedoch scheint diese Kritik heute vergessen. War es für Alexander Frhr. Hold von Ferneck im Jahre 1903 noch einleuchtend, "dass ein Vorgang nicht theilweise verursacht, theilweise ursachlos sein kann", eine Vermittlung zwischen den beiden einander kontradiktorisch gegenüberstehenden Prinzipien (Determinismus und Indeterminismus) daher nicht möglich sei, [43] so sucht z. B. selbst in Jürgen Tiemeyers Arbeit mit dem Titel "Der ,relative Indeterminismus‘ und seine Bedeutung für das Strafrecht" [44] vergebens nach einem Hinweis auf die logische Unhaltbarkeit des "relativen Indeterminismus". Es scheint daher geboten, noch einmal darzulegen, dass der "relative Indeterminismus" gegen den Satz vom ausgeschlossenen Dritten verstößt. Das gilt zunächst für die Annahme des "relativen Indeterminismus", Entscheidungen seien durch ihre Ursachen nur unvollständig determiniert. Denn der Begriff einer "unvollständigen Determiniertheit" ist eine Contradictio in Adjecto. Wie sollen Entscheidungen denn mehr oder weniger determiniert, mehr oder weniger notwendig sein können, mehr oder weniger so ausfallen müssen? [45] Das "Determiniertsein", "Notwendigsein" oder "Soseinmüssen" lässt sich doch nicht steigern. Entweder sind Entscheidungen determiniert oder nicht, entweder sind sie notwendig herbeigeführt oder nicht, entweder mussten sie so ausfallen oder nicht; ein Drittes ist ausgeschlossen - tertium non datur. Ebenso ist auch der Begriff einer "verminderten Willensfreiheit" eine Contradictio in Adjecto, denn wie soll man denn mehr oder weniger anders entscheiden und handeln können? Auch die Willensfreiheit, das Andershandelnkönnen oder das "Indeterminiertsein" lässt sich nicht steigern: Entweder sind Entscheidungen frei und man kann sich anders entscheiden oder eben nicht; ein Drittes ist ausgeschlossen - tertium non datur. Dies hat vor über 200 Jahren schon Paul Johann Anselm von Feuerbach deutlich herausgestellt: "Ich will es nicht in Anregung bringen, daß eine Freiheit, die dem Grade nach geschwächt, vermindert ist, ein gerader Widerspruch, ein viereckter Zirkel, oder ein rundes Viereck ist." [46] Als Ergebnis kann man also festhalten: "Logisch und denkbar ist nur die Alternative: absoluter freier Wille - oder absoluter Determinismus." [47] Und als Gretchenfrage für das Freiheitsproblem, auf die man nur mit Ja oder Nein antworten kann, ergibt sich damit: Konnte der Straftäter die Straftat unterlassen oder nicht?

IV. Replik auf Kudlich

Kudlich hat in dieser Zeitschrift eine sehr kritische Rezension meines Buches vorgelegt. [48] Da sich seine Kritik als vollständig unbegründet erweist und an der Arbeit vorbeigeht, möchte ich an dieser Stelle auf einige Aspekte seiner Kritik antworten.

1. Verwundern muss insbesondere sein Hauptvorwurf, ich hätte mir nicht die Mühe gemacht, mich mit dem "relativen Indeterminismus" auseinanderzusetzen und

näher zu begründen, warum eine abgestufte Willensfreiheit per definitionem nicht existieren können soll (siehe S. 218, 220). Denn die kritische Auseinandersetzung mit diesem weit verbreiteten "relativen Indeterminismus" bildet gerade einen Schwerpunkt meiner Arbeit (siehe S. 40-54). Kudlich selbst attestiert mir ja auch eine "scharfe" (S. 218) bzw. "harsche" (S. 219) Kritik des "relativen Indeterminismus", verweist explizit auf die einschlägigen Seiten in meiner Arbeit (S. 40 ff.) und fasst den Kern meiner Kritik dann zutreffend mit den Worten zusammen, "dass das Modell einer ,unvollständigen Determiniertheit‘ logisch in sich unstimmig, ja sogar eine ,contradictio in adjecto‘ sei." (S. 218) Vor diesem Hintergrund wirkt Kudlichs Vorwurf der fehlenden Auseinandersetzung befremdlich ebenso wie sein Insistieren auf einem "relativen Indeterminismus" mit dem Hinweis auf die Alltagserfahrung, die ich auf den S. 52-54 meiner Arbeit ja gerade als Grund für die anhaltende Beliebtheit des logisch unhaltbaren "relativen Indeterminismus" angeführt habe.

2. Kudlich gesteht mir dann zwar einerseits zu, dass der Determinismus in der Tat nicht selten fatalistisch interpretiert werde, andererseits vermisst er aber ein "klares Gegenkonzept zu einem solchen ,fatalistischen Determinismus‘" (S. 219, linke Spalte). Dieses "klare Gegenkonzept" (wenn man denn hiervon sprechen möchte) ist jedoch schlicht der richtig verstandene, nicht fatalistische Determinismus, der nicht dem doppelten Missverständnis des Fatalismus unterliegt, also nicht davon ausgeht, dass erstens der Weltlauf von Kausalketten bestimmt werde, auf die unsere Handlungen keinerlei Einfluss hätten, und zweitens das zukünftige Geschehen genau bekannt sei (vgl. näher S. 80-82 meiner Arbeit).

Überraschend sind auch Kudlichs weitere Ausführungen bezüglich der fatalistischen Fehldeutung des Determinismus. Wenn er formuliert, "zum einen berührt ja die Frage nach der subjektiven Vorhersehbarkeit der zukünftigen Ergebnisse bei der Annahme eines strengen Determinismus gerade nicht die Frage, ob man durch die eigenen Handlungen den Ablauf von vorherbestimmten Kausalketten tatsächlich beeinflussen kann", so hat es den Anschein, als unterliege er nun genau dem soeben genannten ersten Missverständnis des Fatalismus, denn offenbar denkt er die eigenen Handlungen getrennt vom "Ablauf von vorherbestimmten Kausalketten". Die eigenen Handlungen sind jedoch selbst Bestandteil dieser (vorherbestimmten) Kausalketten; sie sind selbst Ursache des Geschehens und haben daher Einfluss auf die "zukünftigen Ergebnisse" (vgl. S. 80 f. meiner Arbeit). Nicht zutreffend ist weiter Kudlichs Behauptung, "zum anderen würde ein Konzept eines ,nichtfatalistischen Determinismus‘, in dem Individuen durchaus vor einer Wahlmöglichkeit stehen, ihr konkretes Verhalten dann aber in deterministischer, d. h. kausal wirkender Weise bestimmte Folgen nach sich zieht, sich gerade nicht mehr wesentlich von dem von Spilgies harsch kritisierten ,relativen Indeterminismus‘ unterscheiden." Denn der wesentliche Unterschied liegt gerade darin, dass der "nichtfatalistische Determinismus" von einem deterministischen Menschenbild ausgeht und nur eine subjektive (epistemische) Freiheit entsprechend dem Freiheitsgefühl bejaht, während der "relative Indeterminismus" aus dem subjektiven Freiheitsgefühl ja eine ontologische "Restwillensfreiheit" postuliert und somit auf einem indeterministischen Menschenbild basiert. Ungeachtet meiner logischen Kritik am "relativen Indeterminismus" und meiner Klarstellung, dass bei Annahme eines Indeterminismus, Vorhersagen unmöglich sind (vgl. S. 26 ff. meiner Arbeit), meint Kudlich dann: "Selbst wenn man eine die Willensfreiheit ausschließende ,Necessisierbarkeit durch Motive‘ für regelmäßig nicht möglich hält, bleibt doch ohne weiteres das Bild einer Beeinflussbarkeit des menschlichen Willens im Sinne einer Lenkung bzw. Verengung des Handlungsspielraums möglich, welche zumindest die statistische Häufigkeit bestimmter Verhaltensmuster zu beeinflussen mag." Und aufbauend auf dieser Vorstellung des "relativen Indeterminismus" erscheint Kudlich dann die These plausibel, dass ein deterministisches Weltbild mit präventiven Strafzwecken nicht zu vereinbaren sei, weil die Möglichkeit einer solchen Beeinflussung des menschlichen Willens "bei einer vollständigen Vorherbestimmung sämtlicher Geschehensabläufe" ausgeschlossen sei. Diese Begründung enthält nun aber genau die von mir kritisierte fatalistische Umdeutung des Determinismus. Dieses erstaunt umso mehr, als mir Kudlich ja anfangs sogar zugestanden hatte, dass der Determinismus in der Tat nicht selten fatalistisch interpretiert werde.

Anschließend resümiert Kudlich noch, man gewinne daher den Eindruck, "als ob es sich zumindest teilweise auch um ein Definitionsproblem darüber handelt, was in einem strafrechtlichen Sinne als ,Wirkung‘ eines Verhaltens auf die Psyche anderer Menschen verstanden wird bzw. wann eine nur noch eingeengte Restfreiheit bei normativer Betrachtung eben nicht mehr als freie Handlungsmöglichkeit verstanden wird." Sicher bleibt es Kudlich unbenommen den Begriff der "Wirkung" anders zu definieren, als man ihn gewöhnlich definiert. Durch einen solchen Privatgebrauch von bestimmten Wörtern, die eine Kausalbeziehung ausdrücken, befindet man sich jedoch außerhalb des in der Arbeit behandelten Determinismus-Indeterminismus-Streits. In Auseinandersetzung mit der Welzel’schen Freiheitslehre hat Pothast solche Versuche als "metaphysisches Phantasieren" bezeichnet. [49]

3. Meine Ausführungen zum Ausschluss einer Entschuldigung und einer Nötigung durch Vis compulsiva bzw. Drohung bei Annahme von Willensfreiheit wirken auf Kudlich "beinahe schon bizarr", weil das offenbare Leugnen jeglicher Möglichkeit einer Abstufung hinsichtlich der Handlungsfreiheit ersichtlich jeglicher Alltagserfahrung widerspreche (siehe S. 219, rechte Spalte). Diese Begründung bedeutet m. a. W., dass letztlich die Logik trügerisch sein müsse, weil sie der Alltagserfahrung widerspreche. Damit glaubt Kudlich, meine Argumentation retorquieren zu können: Denn in meiner Arbeit habe ich gerade umgekehrt argumentiert, die Alltagserfahrung sei trügerisch, weil sie der Logik widerspreche (siehe

S. 52-54). Schon für sich genommen ist das in Kudlichs Retorqueo Argumentum zum Ausdruck kommende Plädoyer für ein Primat der Alltagserfahrung gegenüber der Logik seltsam, galt für den wissenschaftlichen Arbeiter doch bislang der Primat der Logik. [50] Kudlichs Standpunkt verwundert aber umso mehr, weil ich im Rahmen meiner Ausführungen zum Ausschluss einer Entschuldigung und einer Nötigung durch Vis compulsiva bzw. Drohung bei Annahme von Willensfreiheit näher gezeigt habe, dass sich die logische Unhaltbarkeit des intuitiven, alltagspsychologischen "relativen Indeterminismus" zudem in einer widersprüchlichen Begründung der Entschuldigung bzw. der Nötigung durch die herrschende Meinung äußert (siehe S. 123 ff., 138 ff.). So wird nämlich zwar einerseits behauptet, der Täter bzw. Genötigte könne anders handeln und sei folglich nicht determinierbar, andererseits rekurriert die Begründung der Entschuldigung bzw. der Nötigung dann doch latent bzw. offen auf das Nichtandershandelnkönnen und die Determinierbarkeit des Täters bzw. Genötigten und damit auf ein deterministisches Menschenbild. Das lässt sich an Kudlichs Beispielsfall, in dem jemand durch die Drohung, sein Kind werde anderenfalls getötet, zur Begehung einer Sachbeschädigung genötigt wird, noch einmal veranschaulichen: So meint Kudlich einerseits, es könne nicht zweifelhaft sein, dass der Genötigte "nicht im Sinn einer klaren Vorherbestimmtheit die Sachbeschädigung begehen muss; genauso gut könnte er sich weigern und das Leben seines Kindes riskieren." Andererseits meint er, es sei ebensowenig zweifelhaft, "dass die Freiheit seiner Entscheidung dadurch [durch die Todesdrohung] eingeschränkt ist", und es müsse dem Gesetzgeber freistehen, solche Freiheitsbeschränkungen zu berücksichtigen. Entgegen Kudlich trifft es jedoch nicht zu, dass beide Aussagen zugleich "nicht zweifelhaft" sein können. Bei einer solchen Argumentation stellt sich nämlich folgende Frage: Wenn der Genötigte die Sachbeschädigung nicht begehen muss, sondern das Leben des Kindes riskieren kann, er also durch die Todesdrohung nicht determinierbar ist, warum sollte der Gesetzgeber dann diese Todesdrohung entschuldigend berücksichtigen? Anders gefragt: Was ist damit gemeint, die Todesdrohung führe zu einer Freiheitsbeschränkung? Und die Antwort auf diese Frage rekurriert notwendig doch auf die Determinierbarkeit des Genötigten durch die Todesdrohung, also auf ein deterministisches Menschenbild. Es wird nämlich in Rechnung gestellt, dass der Bedrohte sich der Todesdrohung beugt und möglicherweise nicht rechtmäßig handelt. [51] Diesen Widerspruch herausgestellt zu haben, erscheint mir nicht "bizarr", sondern vielmehr das Insistieren auf einem logisch unhaltbaren, auf intuitiven, alltagspsychologischen Vorstellungen beruhenden "relativen Indeterminismus".

4. Kudlich erwartet weiter bei einem im Jahr 2004 erschienenen Buch entweder kurze Ausführungen oder aber zumindest weiterführende Nachweise zur neueren naturwissenschaftlichen Diskussion etwa im Bereich der Neurobiologie (vgl. S. 220). Aus dreierlei Gründen ist eine solche Erwartungshaltung gegenüber meinem Buch unbegründet. Erstens zeigt schon der Titel meines Buches an, dass mit der Arbeit ein anderer Zweck verfolgt werden soll. In der Einleitung (siehe S. 14 meiner Arbeit) weise ich dann explizit darauf hin, dass meine Arbeit nicht den Determinismus-Indeterminismus-Streit als solchen behandelt, also nicht das Problem der Willensfreiheit selbst, sondern vielmehr die Bedeutung des Determinismus-Indeterminismus-Streits für das Strafrecht, und zwar genauer die Nichtbeachtung der Implikationen eines auf Willensfreiheit gegründeten Schuldstrafrechts. Ausführungen oder aber über die in Fn. 4 auf S. 13 meiner Arbeit hinausgehenden Nachweise zur neueren Diskussion seitens der Hirnforschung bezüglich der Willensfreiheit waren also nicht erforderlich. Zweitens ergibt sich aus meiner Arbeit, dass diesbezügliche Ausführungen im Übrigen m. E. auch unergiebig wären. Denn wie ich auf S. 35 f. darlege, hat sich die Strafrechtswissenschaft gegenüber der Kritik an der Willensfreiheit, namentlich von Seiten der Hirnforschung, immunisiert. [52] Daraus erklärt sich ja auch meine andere Herangehensweise an das Thema "Willensfreiheit und Strafrecht". Da die naturwissenschaftliche Methode per se den Determinismus voraussetzt, stellt sich schließlich drittens die Frage nach dem Nutzen naturwissenschaftlicher Erkenntnisse für das Problem der Willensfreiheit im klassischen Sinne. Darauf weist auch Prinz hin:

"... um festzustellen, dass wir determiniert sind, bräuchten wir die Libet-Experimente nicht. Die Idee eines freien menschlichen Willens ist mit wissenschaftlichen Überlegungen prinzipiell nicht zu vereinbaren. Wissenschaft geht davon aus, dass alles, was geschieht, seine Ursachen hat und dass man diese Ursachen finden kann. Für mich ist unverständlich, dass jemand, der empirische Wissenschaft betreibt, glauben kann, dass freies, also nicht-determiniertes Handeln denkbar ist." [53]

5. Aus dem Thema der Arbeit ergibt sich auch das Fehlen eines "klaren eigenen Standpunkt[s] des Verfassers" (S. 220) bezüglich des Determinismus-Indeterminismus-Streits, den Kudlich vermisst. Jedoch kann der Impetus der Arbeit nicht ernsthaft fraglich sein. Natürlich möchte ich nicht für die Beachtung der Implikationen eines auf Willensfreiheit gegründeten Schuldstrafrechts, also z. B. für ein reines Vergeltungsstrafrecht oder gegen kriminalätiologische Forschung, plädieren. Schon mein früherer der Arbeit vorangehender Aufsatz [54] und die der Arbeit vorangestellten Mottos lassen vielmehr deutlich erkennen, dass es mir darum geht, die (teilweise absurden) Folgen eines indeterministischen Menschenbilds offenzulegen und dadurch die indeterministische Grundlage des Strafrechts in Frage zu stellen.

6. Wenn Kudlich schließlich im letzten Absatz auf S. 220 meint, es sei nicht angemessen, "zahlreiche namhafte Autoren … in derart polemischer Weise des mangelnden Verstandes und offensichtlicher logischer Fehlschlüsse zu bezichtigen, wie Spilgies dies in seiner häufig sehr kämpferischen Sprache tut", und einen "sachlichen Ton sowie eine gewisse Bescheidenheit des eigenen Ansatzes" fordert, so möchte ich darauf erwidern: Über Sprachstile lässt sich sicher trefflich streiten - polemisch wären meine Ausführungen - nach meinem Empfinden - allerdings nur dann zu nennen, wenn die von mir behaupteten Missverständnisse [55] und logischen Fehlschlüsse in Wahrheit gar keine wären, meine Kritik in der Sache also nicht berechtigt wäre. Dieses hat Kudlich aber nicht dargetan. Stattdessen insistiert er ungeachtet meiner Kritik auf einem logisch unhaltbaren "relativen Indeterminismus", auf der fatalistischen Umdeutung des Determinismus sowie auf einer in sich widersprüchlichen Begründung der Entschuldigung. Insofern scheint mir eher der Polemik-Vorwurf polemisch zu sein und von meiner (unliebsamen?) Kritik ablenken zu wollen.

Nochmals: Die Bedeutung des Determinismus-Indeterminismus-Streits für das Strafrecht - Duplik und Abschluss

Von Prof. Dr. Hans Kudlich, Univ. Erlangen

I.  Wer nicht nur die "Replik" (Teil IV) von Spilgies auf die Besprechung seines Buches[56] in HRRS 2004, 217, sondern auch den dieser Replik "vorne angefügten" Aufsatz über Hirnforschung und Willensfreiheit liest, merkt rasch, dass Spilgies in der einschlägigen Diskussion bewandert ist, bei der kritischen Analyse mitunter großen Scharfsinn zeigt und über die Fähigkeit verfügt, markante Thesen zu formulieren. Sollte dies in meiner Besprechung so gar nicht zum Ausdruck gekommen sein, täte mir das leid.

Ich glaube es aber eigentlich nicht, habe ich der Untersuchung doch an verschiedenen Stellen zugestimmt und ihr u.a. attestiert, sie sei "interessant", ihr komme "das Verdienst zu (...), das Determinismus-Indeterminismus-Problem unter Verarbeitung vieler 'Klassiker’ zu diesem Thema noch einmal anschaulich aufzubereiten" und sie sei "- nicht zuletzt durch die geschickte Vorankündigungstechnik des Verfassers sowie einen häufig parallelen Aufbau seiner Darstellung - stets gut lesbar". Wird daher die Rezension als "sehr kritisch" empfunden, drängt sich der Eindruck einer gewissen Dünnhäutigkeit auf, gerade wenn man andererseits berücksichtigt, in welch scharfem Ton Spilgies (nicht in seinem Aufsatz, aber in seiner Monographie) die Vertreter abweichender Standpunkte schilt.[57] Aber darum soll es hier nicht gehen.

II.  In der Sache kann ich auf eine breite Duplik verzichten. Da Spilgies in Teil III des vorstehenden Aufsatzes im Wesentlichen die Überlegungen aus seiner Monographie noch einmal zusammenfasst, meine Überlegungen dazu aber schon in HRSS 2004, 217 nachgelesen werden können, muss nicht alles wiederholt werden: Ist es unzutreffend, wird es durch eine Wiederholung nicht richtiger; ist es dagegen zutreffend, genügt es auch, wenn ich es einmal geschrieben habe. Ich kann mich daher auf einige zentrale Punkte und mein eigentliches Anliegen (nämlich das fehlende klare Offenlegen der praktischen Konsequenzen der Überlegungen) beschränken:

1.  Der Wunsch, mehr darüber zu erfahren, "warum eine abgestufte Willensfreiheit per definitionem nicht existieren können soll" besteht nach wie vor. Denn dass sie als "contradictio in adjecto" bezeichnet wird, belegt ja noch nicht, dass sie eine solche ist. Oder anders formuliert: Natürlich lässt sich der Begriff der Willensfreiheit so verstehen, dass er abgestuft nicht vorstellbar ist (und da Spilgies auch anderenorts die allein mögliche Verständnisweise von Begriffen für sich in Anspruch nimmt, soll einmal ein solches Verständnis zu Grunde gelegt werden) - aber auch dann vermisst der Leser eine Auseinandersetzung damit, warum dem Gesetzgeber (etwa bei den Nötigungstatbeständen, aber spiegelbildlich auch bei der Entschuldigung nach § 35 StGB) versagt sein soll, Einflussnahmen (strafbegründend bzw. spiegelbildlich strafausschließend) zu berücksichtigen, mit denen die als solche freie Entscheidung des anderen in die eine oder andere Richtung "gelenkt" werden soll. Man wende hiergegen nicht ein, ein solches "Lenken" sei mit einem freien Willen unvereinbar: Warum soll es nicht gerade Ausfluss der Willensfreiheit sein, sich situationsabhängig entscheiden zu können? Und wenn diese Situation, d.h. die Entscheidungsparameter (etwa durch die Aussicht, bei einer bestimmten Entscheidung "ungeschoren davon zu kommen", bei einer anderen erschossen zu werden) verändert werden, werden auch dem sich "wil-

lensfrei" Entscheidenden bestimmte Entscheidungsoptionen näher oder weniger nahe gelegt.

2.  Ausdrücklich zugestanden sei der Antikritik von Spilgies, dass sich in meiner Besprechung Passagen finden, die den Determinismus in einer "fatalistischen Deutung" treffen und dann - ohne hinreichende Differenzierung - auch mit dem Spilgies’schen Konzept in Zusammenhang gebracht werden. Das bedauere ich, auch wenn es teilweise nur der (zugegebenermaßen aber offenbar nicht gelungene) Versuch war, eine "griffige" Gegenposition zum relativen Indeterminismus zu finden, da Spilgies’ eigene Position - jedenfalls für mich und auch nach Lektüre seiner Replik - verschwommen bleibt. Denn wenn der einzige Unterschied zwischen seinem "schlicht (...) richtig verstandenen, nicht fatalistischen Determinismus" und dem relativen Indeterminismus darin liegt, dass ersterer von einem "deterministischen Menschenbild ausgeht (...), während der 'relative Indeterminismus’ (...) auf einem indeterministischen Menschenbild" beruht, empfinde ich das als etwas dünn. Spilgies argumentiert begrifflich, nicht pragmatisch; er postuliert ein - von mir gar nicht bestrittenes - "für den wissenschaftlichen Arbeiter" geltendes "Primat der Logik", ich vermisse aber einen hinreichenden Beleg für die Prämissen, die den weiteren logischen Ableitungen zu Grunde liegen. Natürlich müssen diese nicht mit der Alltagserfahrung übereinstimmen (auf die ich im Übrigen nur für die Prämissen, nicht für weitere Ableitungen zurückgreife!); aber wer in seinen Prämissen davon abweicht, sollte sich doch die Mühe machen, das näher zu begründen.

Das wird deutlich an Spilgies’ Behandlung des von mir gebildeten Beispielsfalles einer nach § 35 StGB entschuldigenden Wirkung der Drohung mit der Tötung des Kindes des Bedrohten, wenn dieser sich weigere, eine Schaufensterscheibe einzuwerfen: Meine damalige Argumentation kommt zugegebenermaßen relativ "intuitiv" daher - aber was soll man auf die Frage: "Wenn der Genötigte die Sachbeschädigung nicht begehen muss, sondern das Leben des Kindes riskieren kann, (...) warum sollte der Gesetzgeber dann diese Todesdrohung entschuldigend berücksichtigen?" antworten? Natürlich hat die "vorstellbare Beeinflussbarkeit" durch die Drohung ein Element der "Determinierbarkeit", wenn darunter "nur" verstanden wird, dass die Drohung ihr Opfer nicht notwendig "unberührt" lässt, sondern dass er sie in seinen Entscheidungsprozess als Parameter mit einbeziehen könnte - aber was ist mit dieser spektakulären Erkenntnis gewonnen und inwiefern sollten sie "Chance für eine Neudiskussion im Strafrecht" sein?

3.  Wenn von Spilgies nach eigener Aussage in seiner Replik "natürlich (...) nicht (...) für ein reines Vergeltungsstrafrecht oder gegen kriminalätiologische Forschung" - und vermutlich genauso "natürlich" nicht gegen die Strafbarkeit von Nötigung, räuberischer Erpressung oder Vergewaltigung auf der einen Seite oder gegen eine Berücksichtigung des Nötigungsnotstandes als Entschuldigungsgrund auf der anderen Seite - "plädiert" werden soll, was ist dann Zweck der Übung? Der Nachweis, dass die Grundlage der offenbar auch von Spilgies für angemessen erachteten Regelungen nicht in einem relativen Indeterminismus, sondern in einem in den Ergebnissen weitgehend ähnlichen und in der Letztbegründung ebenso unbeweisbaren "schlicht richtig verstandenen" (um nicht ebenfalls zu sagen: "relativen") Determinismus liegt? Dass also das Glas nicht halb voll, sondern halb leer ist?

III.  Wahrscheinlich sind also die Unterschiede in der Sache doch gering, auch wenn ich hier nun darauf verzichte, einen Unterschied vorrangig in den Begrifflichkeiten zu sehen, um mir nicht nochmals den Vorwurf des "metaphysisches Phantasierens" zuzuziehen (der mich aber andererseits durch die Bezugnahme auf Welzel schon fast wieder ehrt). Und wo ich die tatsächliche Tragweite der Unterschiede unterschätze, kann das gut auch an mir liegen. Vielleicht kann man sich aber darauf einigen: Obwohl natürlich auch im Bereich der Juristerei "Grundlagenforschung" wichtig ist, sollten in einem zweihundertseitigen Buch zur Vermeidung von Missverständnissen die Implikationen für Rechtsdogmatik und Rechtspraxis jedenfalls dann klar gemacht werden, wenn sie zugleich Hauptangriffspunkt der theoretischen Überlegungen sind - geheime Hoffnung, sie könnten mittelbar mit Hilfe eines "früheren der Arbeit vorangehenden Aufsatzes" vage erschlossen werden, könnten enttäuscht werden und zu Missverständnissen führen.


[1] BGHSt 2, 194, 200; vgl. zur heutigen Rechtsprechung z. B. BGH, HRRS 2005 Nr. 19, Rdnr. 13; BGH, NJW 2004, 1466, 1468 = HRRS 2004 Nr. 261, Rdnr. 16, 20, sowie die Nachweise bei Haddenbrock, MschrKrim 1994, 44-46; zur heute herrschenden Lehre vgl. z. B. Lenckner, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 26. Aufl. 2001, Vorbem §§ 13 ff., Rdnr. 110, 118; Rudolphi, in: SK-StGB, Stand: April 2003, Vor § 19, Rdnr. 1; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, 5. Aufl. 1996, § 37 I 1; Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. 1, 3. Aufl. 1997, § 19, Rdnr. 36 ff.; Wessels/Beulke, Strafrecht Allgemeiner Teil, 34. Aufl. 2004, Rdnr. 397.

[2] Vgl. z. B. Prinz, in: von Cranach/Foppa (Hrsg.), Freiheit des Entscheidens und Handelns, 1996, S. 86 ff.; ders., Das Magazin 2/2003, http://www.wz.nrw.de/magazin/magazine.asp; Roth, Fühlen, Denken, Handeln, 2001, S. 427 ff.; ders., Aus Sicht des Gehirns, 2003, S. 166 ff.; ders., in: Festschrift für Lampe, 2003, S. 43 ff.; Singer, Der Beobachter im Gehirn, 2002, S. 32 f.; ders., Ein neues Menschenbild?, 2003, S. 9 ff., 24 ff.; ders., in: Geyer (Hrsg.), Hirnforschung und Willensfreiheit, 2004, S. 30 ff.

[3] Ausführlich und m. w. N. dazu Roth, Fühlen (Fn. 2), S. 435 ff.; ders., Sicht (Fn. 2), S. 170 ff.; ders., Festschrift (Fn. 2), S. 47 ff.; Pauen, Illusion Freiheit?, 2004, S. 187 ff.

[4] Prinz, in: von Cranach/Foppa (Fn. 2), S. 98 ff.

[5] Roth, Fühlen (Fn. 2), S. 445.

[6] Siehe Roth, FAZ, Nr. 279 vom 1. 12. 2003, S. 31 (auch in: Geyer (Fn. 2), S. 218, 222).

[7] Schiemann, NJW 2004, 2056, 2059.

[8] Siehe Reinelt, NJW 2004, 2792 ff.

[9] Roth, Festschrift (Fn. 2), S. 57.

[10] Siehe Kudlich, HRRS 2004, 362, 363.

[11] Ebert, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2001, S. 94.

[12] Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. 1, 5. Aufl. 2004, § 1, Rdnr. 7 mit Fn. 10.

[13] Burkhardt, Das Magazin 2/2003, http://www.wz.nrw.de/magazin/magazine.asp; ders., "Düsseldorfer Thesen", http://www.wz.nrw.de/Neuro2004/referenten/burkhardt.htm.

[14] Bieri, Der Spiegel 2/2005, http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,336325,00.html; ausführlich ders., Das Handwerk der Freiheit, 2001. Ähnlich wie Bieri argumentiert z. B. auch Ansgar Beckermann, in: Hermanni/Koslowski (Hrsg.), Der freie und unfreie Wille, 2004, S. 19 ff.; ders., in: Schmidinger/Sedmak (Hrsg.), Der Mensch - ein freies Wesen?, 2005, S. 111 ff.; ders., Neuronale Determiniertheit und Freiheit, 2004 (alle Aufsätze online verfügbar unter: http://www.uni-bielefeld.de/philosophie/personen/beckermann).

[15] Vgl. Burkhardt, in: Festschrift für Lenckner, 1998, S. 3 ff.; ders., Das Magazin 2/2003 (Fn. 13); ders., "Düsseldorfer Thesen" (Fn. 13).

[16] Burkhardt, "Düsseldorfer Thesen" (Fn. 13).

[17] Ein wesentliches Problem seiner Schuldkonzeption sei an dieser Stelle aber erwähnt: Meines Erachtens übersieht Burkhardt, dass es im Rahmen der subjektiven Zurechnung der Tat nicht um eine Selbstzuschreibung von Verhalten geht (wie in der Handlungspsychologie), also um die Frage, ob sich eine Person für ein Verhalten selbst die Verantwortung zuschreibt, sondern um Fremdzuschreibung von Verantwortung (also letztlich um sozialpsychologische Attribution). Und die Mechanismen der Fremdzuschreibung von Verantwortung sind von der Selbstzuschreibung verschieden. Kritisch auch Schiemann, NJW 2004, 2056, 2059.

[18] Vgl. Danner, Gibt es einen freien Willen?, 1967, 4. Aufl. 1977; ders., Tatvergeltung oder Tätererziehung?, 2. Aufl. 1972.

[19] Vgl. zu den Gründen hierfür Holzhauer, Willensfreiheit und Strafe, 1970, S. 191 ff.; ders., in: Hommel, Über Belohnung und Strafe nach türkischen Gesetzen, 2. Ausg., 1970 = 1772, S. 8.

[20] Spilgies, Die Bedeutung des Determinismus-Indeterminismus-Streits für das Strafrecht, 2004.

[21] Zu Letzterem de Laplace, Philosophischer Versuch über die Wahrscheinlichkeit, 2. Aufl. 1996 = 1814, S. 1 f.

[22] Walter, Neurophilosophie der Willensfreiheit, 1998, S. 39.

[23] Popper, in: Popper/Eccles, Das Ich und sein Gehirn, 1989, S. 45.

[24] Honderich, Wie frei sind wir?, 1995, S. 25.

[25] Weinschenk, Entschluß zur Tat, Schuldfähigkeit, Resozialisierung, Prävention, 1981, S. 424 f.

[26] Pothast , JA 1993, 104, 106.

[27] Siehe Chisholm, Human Freedom and the Self (1964), in: Watson (Ed.), Free Will, 2. ed. 2003, S. 34 (dt. Übers. in: Pothast (Hrsg.), Freies Handeln und Determinismus, 1978, S. 71 ff., 82).

[28] Roxin (Fn. 1), § 3, Rdnr. 37.

[29] Siehe Hans Joachim Schneider, Jura 1996, 337.

[30] Bernd-Dieter Meier, Kriminologie, 2003, § 3, Rdnr. 1.

[31] Vgl. nur Bernd-Dieter Meier (Fn. 30), § 3.

[32] Nach der "Theorie der doppelten Schuldminderung" sind die Entschuldigungsgründe bekanntlich nicht allein auf den Motivationsdruck, sondern auch auf eine Unrechtsminderung zurückzuführen, vgl. nur Lenckner, in: Schönke/Schröder (Fn. 1), Vorbem §§ 32 ff., Rdnr. 111 m. w. N.

[33] Vgl. z. B. Roxin, in: Ehrengabe für Brauneck, 1999, S. 397 f.

[34] Vgl. BGHSt 7, 296, 299; 35, 184, 186; Eser, in: Schönke/Schröder (Fn. 1), § 24, Rdnr. 43 ff.; Wessels/Beulke (Fn. 1), Rdnr. 651 f.

[35] Vgl. z. B. Horn, in: SK-StGB, Stand: Januar 2001, § 46, Rdnr. 41 f., 97; Jescheck/Weigend (Fn. 1), § 83 II 4; Bernd-Dieter Meier, Strafrechtliche Sanktionen, 2001, S. 165, 171; Frisch, in: Festschrift für Müller-Dietz, 2001, S. 240 ff.

[36] Daneben gibt es vereinzelte Tendenzen, intrasystematische Widersprüche des Strafrechts bewusst zu verdecken, vgl. dazu Spilgies (Fn. 20), S. 76 ff.

[37] Dreher, Die Willensfreiheit, 1987, S. 42.

[38] Vgl. Kunz, in: Jung (Hrsg.), Fälle zum Wahlfach Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug, 1988, S. 30 f.; ders., Kriminologie, 3. Aufl. 2001, § 14, insbesondere Rdnr. 9; Schöch, in: Kaiser/Schöch, Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug, 5. Aufl. 2001, S. 15 f., 96; ders., in: Eisenburg (Hrsg.), Die Freiheit des Menschen, 1998, S. 94 f.

[39] Schöch, in: Kaiser/Schöch (Fn. 38), S. 15 f. (Hervorhebung im Original).

[40] Hösle, Die Philosophie und die Wissenschaften, 1999, S. 30.

[41] Fahl, JA 2003, 757, 758 (Hervorhebung im Original).

[42] Siehe Hommel, Über Belohnung und Strafe nach türkischen Gesetzen, 2. Ausg., 1970 = 1772, § 152: "Schiksal oder blindes Ungefähr, wähle, welches dir gefält, kein drittes hat man nicht" und passim, z. B. §§ 162, 166, 269 ff.; seitdem ständig, vgl. z. B. Traeger, Wille, Determinismus, Strafe, 1895, S. 62 ff.; Ferri, Das Verbrechen als sociale Erscheinung, 1896, S. 236 ff. und passim; Hold von Ferneck, Die Rechtswidrigkeit. Eine Untersuchung zu den allgemeinen Lehren des Strafrechts, Bd. 1, 1903, S. 53 f.; von Hippel, ZStW 1903, 396, 399; von Liszt, in: Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, Bd. 2, 1905, S. 40 ff.; Petersen, Willensfreiheit, Moral und Strafrecht, 1905, S. 122 ff., 131 ff.; Katz, Das Problem der Willensfreiheit und das Strafrecht, 1910, S. 27 ff.

[43] Siehe Hold von Ferneck (Fn. 42), S. 53.

[44] Tiemeyer, ZStW 1993, 483 ff.

[45] Vgl. Hold von Ferneck (Fn. 42), S. 54: "Wer vermöchte die Nothwendigkeit nach Graden abzustufen?"

[46] Von Feuerbach, Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts, Teil 2, 1800, S. 289. Heute wird dieses Zitat irrtümlich als Nachweis dafür verwendet, die Annahme, die verminderte Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB bedeute eine "halbe" Schuldfähigkeit, sei logisch undenkbar (siehe z. B. Rautenberg, Verminderte Schuldfähigkeit, 1984, S. 34; Frister, Die Struktur des "voluntativen Schuldelements", 1993, S. 188). Von Feuerbachs logische Kritik galt jedoch nicht der Annahme eines solchen "Mittelzustands" zwischen Zurechnung und Nichtzurechnung, sondern bezog sich auf die Verwendung der Willensfreiheit für die Strafzumessung überhaupt, vgl. dazu auch Holzhauer, Willensfreiheit (Fn. 19), S. 51.

[47] Ferri (Fn. 42), S. 237.

[48] Siehe Kudlich, HRRS 2004, 217 ff.

[49] Siehe Pothast, Die Unzulänglichkeit der Freiheitsbeweise, 1987, S. 356 f. mit Fn. 86.

[50] So ist nach Stein, Die rechtswissenschaftliche Arbeit, 2000, S. 30, "die Beherrschung der Logik eine unabdingbare Voraussetzung erfolgreichen wissenschaftlichen Arbeitens."

[51] Mit den Worten Alexander Graf zu Dohnas, Willensfreiheit und Verantwortlichkeit, 1907, S. 18: "das beängstigende Gefühl, daß vielleicht wir selber unter dem Druck so bedeutsamer Einwirkungen dem Bösen verfallen wären, macht uns geneigt, ihm die Schuld abzunehmen."

[52] Natürlich lasse ich mich durch die tatsächliche Entwicklung gerne eines Besseren belehren.

[53] Prinz, Das Magazin 2/2003 (Fn. 3).

[54] Siehe Spilgies, Rechtstheorie 1999, 525, 537 f.

[55] An dieser Stelle möchte ich den Lapsus Calami Kudlichs korrigieren und betonen, dass ich in keiner Zeile meines Buches, wie Kudlich schreibt, jemanden des "mangelnden Verstandes " bezichtigt, d. h. die Fähigkeit abgesprochen habe, zu verstehen, sondern den Autoren fehlendes Verständnis vorhalte.

[56] Die Bedeutung des Determinismus-Indeterminismus-Streits für das Strafrecht. Über die Nichtbeachtung der Implikationen eines auf Willensfreiheit gegründeten Schuldstrafrechts, Dr. Kovac, 2004.

[57] Auf die von Spilgies aufgeworfene Frage, ob allein eine überzogene fortitudo in modo das Prädikat "polemisch" rechtfertigt oder ob dieses voraussetzen würde, dass seine Thesen in re offenkundig unhaltbar wären (was ich nie zu behaupten wagen würde), möchte ich hier nicht vertieft eingehen. Das wäre ein wenig hilfreicher Streit um Worte, und wer sich ein Bild davon machen möchte, ob Spilgies in seinem Buch - ganz unabhängig von den Sachfragen - immer den richtigen Ton trifft, möge es zur Hand nehmen und die in meiner Besprechung nachgewiesenen (sowie viele weitere) Stellen lesen. Betonen möchte ich nur, dass ich hinsichtlich des Vorwurfes des "mangelnden Verstandes" Spilgies jedenfalls nicht falsch zitiert habe - denn die entsprechende Passage in meiner Besprechung enthält gar kein Zitat, sondern nur eine Umschreibung der zahlreichen Vorwürfe, die Spilgies Andersdenkenden macht; auch hier gilt wieder: wer überprüfen möchte, ob die von mir verwendete Begrifflichkeit völlig an der Sache vorbeigeht, möge selbst noch einmal nachlesen.