Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
November 2004
5. Jahrgang
PDF-Download
1. Fall der Zweckentfremdung der Untersuchungshaft zur Herbeiführung einer Verfahrensabsprache bzw. eines Geständnisses: Drohung mit einer unzulässigen Maßnahme i.S. des § 136a Abs. 1 Satz 3 1. Alt. StPO durch die Ankündigung der Invollzugsetzung des Haftbefehls.
2. Die mögliche Verurteilung als solche oder auch die Höhe der zu erwartenden Strafe stellen nicht als solche "neu hervorgetretene Umstände" gemäß § 116 Abs. 4 StPO dar, welche die Verhaftung des Angeklagten rechtfertigen, soweit schon bei der Aussetzungsentscheidung von der Möglichkeit der Verurteilung ausgegangen und im Falle des Schuldnachweises mit einer "erheblichen" Freiheitsstrafe gerechnet worden war.
1. Die Verhandlung über die Vereidigung eines Zeugen gehört nicht mehr zur Vernehmung des Zeugen, während derer der Angeklagte gemäß § 247 StPO entfernt gehalten werden kann. Wird die Entscheidung über die Vereidigung daher in Abwesenheit des Angeklagten getroffen, so begründet dies den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO.
2. Der Senat erwägt, dass die Frage, ob die vorschriftswidrige Abwesenheit des Angeklagten bei der Entscheidung über die Vereidigung eines Zeugen einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung im Sinne von § 338 Nr. 5 StPO betrifft, nach der Neuregelung des Vereidigungsrechts (§ 59 StPO n.F.) durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz - wonach Zeugen nur vereidigt werden, wenn es das Gericht wegen der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren Aussage nach seinem Ermessen für notwendig hält - neuer Betrachtung bedürfen könnte. Insbesondere könnte die Änderung zur Folge haben, dass in den Fällen, in denen die Verfügung des Vorsitzenden nicht zum Gegenstand von Erörterungen gemacht, insbesondere keine gerichtliche Entscheidung nach § 238 Abs. 2 StPO beantragt wurde, die Abwesenheit des Angeklagten keinen wesentlichen Verfahrensteil betrifft.
1. Eines ausdrücklichen Antrages im Sinne der § 344 Abs. 1, § 352 Abs. 1 StPO bedarf es dann nicht, wenn sich das Begehren des Beschwerdeführers nach umfassender Aufhebung des Urteils sicher aus der Revisionsbegründung ergibt (vgl. BGH NStZ 1990, 96; NStZ-RR 2000, 38).
2. Eine Revisionsrücknahme ist wegen der Art und Weise ihres vom Gericht zu verantwortenden Zustandekommens unwirksam (vgl. BGHSt 45, 51, 53, 55; 46, 257, 258), wenn das Gericht den Angeklagten - ausnahmsweise - nach Kenntnisnahme eines seiner Schreiben über den Fortgang des Revisionsverfahrens hätte aufklären müssen, um einer erkennbaren Gefahr einer den Interessen des Angeklagten zuwiderlaufenden Revisionsrücknahme entgegenzutreten. Eine Pflicht hierzu kann sich nach den besonderen Umständen des Falles auf Grund der Fürsorgepflicht (vgl. BGHSt 45, 51, 57) und auf Grund des Gebots ergeben, dem Angeklagten die jederzeitige Möglichkeit zu einer geordneten und effektiven Verteidigung zu gewähren (vgl. BGHSt 45, 51, 57).
Nach ständiger Rechtsprechung führt - unabhängig davon, ob ein Verfahren gegen einen inhaftierten oder einen nicht inhaftierten Angeklagten geführt wird (vgl. BGH NStZ 2003, 384) - lediglich ein vorübergehender Engpass in der Arbeits- und Verhandlungskapazität der Strafverfolgungsorgane nicht zu einem Verstoß gegen Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK (vgl. BGH StV 1992, 452; BGH NStZ 1996, 506; EGMR NJW 1984, 2749, 2750).
Das Revisionsgericht ist an die Begründung des Beschlusses, mit dem ein Ablehnungsgesuch durch das Tatgericht zurückgewiesen wurde, nicht gebunden. Es hat das Ablehnungsgesuch vielmehr nach Beschwerdegrundsätzen zu beurteilen.
Nach pflichtgemäßer Beurteilung der Strafverfolgungsbehörde muss erst dann von der Zeugen- zur Beschuldigtenvernehmung übergegangen werden, wenn sich der Verdacht so verdichtet hat, dass die vernommene Person ernstlich als Täter der untersuchten Straftat in Betracht kommt. Die Grenzen des Beurteilungsspielraums sind - gerade bei Tötungsdelikten - erst dann überschritten, wenn trotz starken Tatverdachts nicht von der Zeugen zur Beschuldigtenvernehmung übergegangen wird (BGHSt 37, 48, 51 f.) und auf diese Weise die Beschuldigtenrechte umgangen werden (BGHR StPO § 136 Belehrung 6).
1. Kann der Tatrichter die erforderliche Gewissheit nicht gewinnen und zieht er die hiernach gebotene Konsequenz, so hat das Revisionsgericht dies zwar regelmäßig hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich auch nicht allein dadurch etwas, dass eine vom Tatrichter getroffene Feststellung 'lebensfremd erscheinen' (BGH NStZ 1984, 180) mag. Es gibt im Strafprozess keinen Beweis des ersten Anscheins, der nicht auf Gewissheit, sondern auf der Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufs beruht.
2. Eine Beweiswürdigung ist demgegenüber etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (st. Rspr., vgl. BGH NJW 2002, 2188, 2189). Dies ist auch dann der Fall, wenn eine nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerung nicht gezogen ist, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (BGH NJW 2002, 2188, 2189; BGH StraFo 2003, 381). Für die Feststellung von Tatsachen genügt demnach, dass ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit besteht, an dem vernünftige Zweifel nicht aufkommen können. Außer Betracht zu bleiben haben solche Zweifel, die keinen realen Anknüpfungspunkt haben (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 332, 333 m.w.N., zu den Anforderungen an die Beweiswürdigung vgl. BGH NStZ-RR, 2003, 271).
1. Im Grundsatz bestehen keine Bedenken, wenn der Richter im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung auch die Vorfrage nach medizinisch-psychiatrischen Anknüpfungstatsachen auf Grund eigenen Wissens beantwortet (BGH StV 1999, 309, 310). Zumindest ungewöhnlich ist es dann jedoch, wenn der Richter zugleich sachverständiger Beratung hinsichtlich der an sich geläufigen Frage bedarf, welche Gesichtspunkte generell bei der Prüfung eines schuldmindernden Affekts Gewicht gewinnen können.
2. Die Frage, ob eine Beeinträchtigung im Sinne von § 21 StGB "erheblich" ist, ist eine Rechtsfrage und kann somit nicht auf der Grundlage des Zweifelssatzes beantwortet werden (st. Rspr.). Bei der Beurteilung der Erheblichkeit fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt. Diese sind umso höher, je schwerwiegender das in Rede stehende Delikt ist (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH NStZ 2004, 437 f. m.w.N.), bei vorsätzlichen Tötungsdelikten also besonders hoch (vgl. BGH, Beschluß vom 3. August 2004 - 1 StR 293/04).
Mit der Begründung, das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei "durch das frühere Gutachten" bewiesen, darf die Einholung eines weiteren Gutachtens nur abgelehnt werden, wenn tatsächlich allein durch ein früheres Gutachten zu demselben Beweisthema das Gegenteil der behaupteten Tatsache bewiesen ist (vgl. BGHSt 39, 49, 52 m. w. N.). Dies kommt hingegen nicht in Betracht, wenn der Tatrichter gerade im Widerspruch zu diesem Gutachten das Gegenteil der Überzeugung des ersten Gutachters annimmt.
Das Tatgericht hat nur dann Anlass, die Hinzuziehung eines Sachverständigen zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu prüfen, wenn Eigenart und besondere Gestaltung des Einzelfalles diese Beurteilung so erschweren, dass sie lediglich mit Hilfe einer Sachkunde vollzogen werden kann, die ein Richter normalerweise selbst dann nicht hat, wenn er über spezifische forensische Erfahrungen verfügt. Im Übrigen kann er darauf gerichtete Beweisanträge unter Hinweis auf eigene Sachkunde zurückweisen (§ 244 Abs. 4 StPO).
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung von (weiteren) Verfahrensrügen kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint, etwa wenn der Beschwerdeführer durch äußere Umstände oder Maßnahmen des Gerichts gehindert worden ist, Verfahrensrügen innerhalb der Revisionsbegründungsfrist geltend zu machen.
Hat der Tatrichter einen Antrag, bei dem es sich nicht um einen Beweisantrag handelt, nach Beweisantragsgrundsätzen verbeschieden, begründet dies die Revision nur, wenn zugleich die Aufklärungspflicht verletzt ist (vgl. BGH StV 1996, 581 m.w.N.).