HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2004
5. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht

1. Schwerpunkt Allgemeiner Teil des StGB


Entscheidung

886. BGH 1 StR 202/04 - Urteil vom 14. September 2004 (LG Mannheim)

Verfall von Wertersatz gegen einen Drittbegünstigten (Zurechnung der Taten von Angestellten einer betrieblichen Organisation ohne Organstellung, mögliche Ausweisung eines niedrigeren Verfallsbetrages bei Gutgläubigkeit des Drittbegünstigten; Revisibilität der Härtefallregelung; Bruttoprinzip; Schuldgrundsatz).

Art. 1 GG; Art. 20 III GG; § 73 Abs. 3 StGB; § 73a StGB

1. Hinsichtlich der Zurechnung nach § 73 Abs. 3 StGB bedarf es keiner Organstellung. Auch Taten von Angestellten einer betrieblichen Organisation können dieser im Sinne des § 73 Abs. 3 StGB zugeordnet werden. Dies gilt auch dann, wenn die Unternehmensleitung gutgläubig ist (vgl. zum Ganzen bereits BGHSt 45, 235). Der Senat sieht keinen Anlass, von dieser Entscheidung abzuweichen.

2. Die Anwendung der Härteregelung des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB ist in erster Linie Sache des Tatrichters (BGH wistra 2003, 424, 425). Die Gewichtung der für das Vorliegen einer unbilligen Härte maßgeblichen Umstände ist daher der revisionsrechtlichen Beanstandung nicht zugänglich. Mit der Revision kann aber angegriffen werden, dass das Tatbestandsmerkmal "unbillige Härte" selbst unzutreffend ausgelegt wird (BGH aaO).

3. Nach ständiger Rechtsprechung sind die Voraussetzungen des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB nur erfüllt, wenn die Härte "ungerecht" wäre und das Übermaßverbot verletzen würde (BGH aaO; BGH NStZ-RR 2002, 9). Die Auswirkungen der Maßnahme müssen daher im konkreten Einzelfall außer Verhältnis zu dem vom Gesetzgeber damit angestrebten Zweck stehen. Es müssen dabei besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer mit der Vollstreckung des Verfalls eine außerhalb des Verfallszwecks liegende zusätzliche Härte verbunden wäre, die dem Betroffenen auch unter Berücksichtigung des Zwecks des Verfalls nicht zugemutet werden kann.


Entscheidung

889. BGH 1 StR 233/04 - Urteil vom 16. September 2004 (LG Regensburg)

Beweiswürdigung (bedingter Tötungsvorsatz beim Umgang mit Schusswaffen: Vertrauen auf einen glücklichen Zufall; Willenselement des Vorsatzes bei gefährlichen Handlungen und Bedeutung einer "Minderbegabung"); Anforderungen an die Feststellung einer alkoholbedingten erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit (Indizwirkung der BAK und umfassende Gesamtwürdigung zur Rechtsfrage).

§ 212 StGB; § 15 StGB; § 21 StGB; § 261 StPO

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird in der Regel das Vertrauen auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges dann zu verneinen sein, wenn der vorgestellte Ablauf eines Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe ist, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (vgl. nur BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 38).


Entscheidung

869. BGH 2 StR 149/04 - Urteil vom 29. September 2004 (LG Köln)

Rücktritt vom unbeendeten Versuch (Freiwilligkeit; Rücktrittshorizont); Mord; gefährliche Körperverletzung.

§ 211 StGB; § 212 StGB; § 22 StGB; § 23 StGB; § 24 Abs. 1 StGB

1. Wenn der Täter eines objektiv unbeendeten Versuchs nach seiner letzten Ausführungshandlung zunächst den Eintritt des angestrebten Erfolgs für möglich hält, aber unmittelbar darauf diesen Irrtum erkennt, so erlangt seine korrigierte Vorstellung für den "Rücktrittshorizont" maßgebliche Bedeutung. Daher kann er in diesem Fall durch bloßes Abstandnehmen von weiteren Ausführungshandlungen mit strafbefreiender Wirkung zurücktreten, sofern seine Handlungsmöglichkeiten unverändert fortbestehen, der Versuch also nicht fehlgeschlagen ist.

2. Die Freiwilligkeit des Rücktritts wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Täter nicht aus einem sittlich billigenswerten Motiv von weiteren Angriffen auf sein Opfer absah, sondern aus verbrecherischem Kalkül (st. Rspr.).

2. Schwerpunkt Besonderer Teil des StGB


Entscheidung

896. BGH 1 StR 347/04 - Beschluss vom 31. August 2004 (LG Stuttgart)

Konkurrenzen bei versuchter Brandstiftung mit Todesfolge und schwerer Brandstiftung (Tateinheit; Gesetzeseinheit: Rechtsgutsbezug und Klarstellungsfunktion).

§ 306c StGB; § 23 StGB; § 306a StGB

1. Der Schuldspruch soll den Unrechtsgehalt der Tat umfassend kennzeichnen. Dementsprechend liegt Gesetzeseinheit nur vor, wenn rechtsgutbezogen der Unrechtsgehalt einer Handlung schon durch einen von mehreren, dem Wortlaut nach anwendbaren Straftatbeständen erschöpfend erfasst wird; ist dies nicht der Fall, liegt Tateinheit vor (BGHSt 44, 196, 198; 39, 100, 108 m.w.Nachw.). Dies kann dazu führen, dass zwar Gesetzeseinheit vorliegt, wenn die beiden in Rede stehenden Delikte vollendet sind, aber Tateinheit vorliegt, wenn das schwerere Delikt lediglich versucht und nur das minder schwere vollendet ist.

2. Diese Grundsätze gelten auch im Verhältnis zwischen § 306c StGB und § 306a StGB. Bei einem vollendeten Delikt gemäß § 306c StGB tritt gegebenenfalls § 306a StGB hinter § 306c StGB im Hinblick auf Gesetzeseinheit zurück (BGH NStZ-RR 2000, 209 <LS>). Anders verhält es sich, wenn nur ein Versuch von § 306c StGB vorliegt. Dies ist sowohl dann der Fall, wenn der Branderfolg nicht eingetreten ist, aber bereits die versuchte Brandstiftung den Tod zurechenbar verursacht hat, als auch dann, wenn der Täter, mit dem Tod des Opfers rechnet, dieser jedoch ausbleibt, obwohl die (hier schwere) Brandstiftung vollendet ist.


Entscheidung

878. BGH 3 StR 231/04 - Beschluss vom 20. Juli 2004 (Auswärtige große Strafkammer des LG Kleve in Moers)

Gewerbsmäßige Hehlerei (Sich-Verschaffen: Abgrenzung von der Beihilfe zur Hehlerei); Strafzumessung (Doppelverwertungsverbot).

§ 259 StGB; § 27 StGB; § 46 Abs. 3 StGB

1. Hehlerei in der Begehungsform des "Sich-Verschaffen" im Sinne des § 259 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter aufgrund einer Übertragungshandlung des Vortäters einverständlich eine eigene tatsächliche Herrschaft und Verfügungsgewalt über die Sache erwirbt, so dass der Vortäter jede Möglichkeit verliert, auf die Sache einzuwirken.

2. Bei einem der Hehlerei schuldigen Angeklagten legt die strafschärfende Erwägung, dass der Täter sich bewusst gewesen sei, rechtswidrige Vermögenszustände aufrechtzuerhalten und damit eigene Geschäfte zu machen, einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB nahe.