HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2003
4. Jahrgang
PDF-Download

III. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)



Entscheidung

BGH 2 StR 341/02 - Urteil vom 14. März 2003 (LG Köln)

Allgemeines Persönlichkeitsrecht; Recht auf Achtung des Privatlebens; BGHR; Verwertung eines vom Beschuldigten mit Dritten in einem Kraftfahrzeug geführten Raumgesprächs, wenn eine zuvor selbst hergestellte Telekommunikationsverbindung aufgrund eines Bedienungsfehlers fortbesteht; hypothetischer Ersatzeingriff; Ermittlungsläufe; Abwägungslehre des BGH; Zufallsfund; Begriff der Telekommunikation (Missbrauch als Abhöranlage).

Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 8 EMRK; § 100 a StPO; § 100 b Abs. 1 StPO; § 100b Abs. 5 StPO; § 100 c Abs. 1 Nr. 2 StPO; § 100 c Abs. 2, 100 d Abs. 1 StPO

1. Die Verwertung eines vom Beschuldigten mit Dritten in einem Kraftfahrzeug geführten Raumgesprächs kann auf eine schon bestehende, rechtsfehlerfrei ergangene Anordnung nach § 100 a StPO gestützt werden, wenn der Beschuldigte eine zuvor von ihm selbst hergestellte Telekommunikationsverbindung beenden wollte, diese jedoch aufgrund eines Bedienungsfehlers fortbesteht. (BGHR)

2. Ob § 100 a StPO in diesem Fall auch gegenüber einem am Raumgespräch beteiligten Dritten eine hinreichende Eingriffsgrundlage bietet, kann offen bleiben, wenn die Aufzeichnung jedenfalls auf eine Eilanordnung nach §§ 100 c Abs. 1 Nr. 2, 100 d Abs. 1 StPO hätte gestützt werden können und die Abwägung im Einzelfall ergibt, dass die Persönlichkeitsinteressen des Betroffenen gegenüber dem staatlichen Interesse an der Verfolgung einer Katalogtat nach § 100 a Abs. 1 StPO zurücktreten. (BGHR)

3. Aus dem Begriff der Telekommunikation des § 100a StPO ergibt sich freilich nicht schon ohne weiteres, dass jeder technische Vorgang des Aussendens, Übermittelns oder Empfangens von analog oder digital codierten Daten dem Eingriffsbereich des § 100 a StPO unterfällt. Dieser umfasst vielmehr nur die mit dem Versenden und Empfangen von Nachrichten mittels Telekommunikationsanlagen in Zusammenhang stehenden Vorgänge. Voraussetzung für eine der Überwachung nach § 100 a StPO unterfallende Telekommunikation ist daher, dass sich eine Person einer Telekommunikationsanlage bedient, d. h. Kommunikation mittels einer solchen Anlage vornimmt (vgl. auch BGHSt 31, 296, 297). Dabei sind nicht nur unmittelbare "Nachrichten"-Inhalte, sondern auch alle sonstigen mit Aussenden, Übermitteln oder Empfangen verbundenen Vorgänge umfasst. Voraussetzung des Vorliegens von Telekommunikation in diesem Sinne ist nicht, dass sich der Vorgang im konkreten Fall mit aktuellem Willen oder Wissen der betroffenen Person vollzieht. Das gilt grundsätzlich auch für das Versenden von Nachrichten. Am Charakter der Übertragung als Telekommunikation ändert sich nichts, wenn nach Herstellung einer vom Betroffenen willentlich oder irrtümlich - etwa durch Falschwahl - hergestellten Telefonverbindung sich die angerufene Person nicht meldet, ein automatisches Aufzeichnungsgerät in Gang gesetzt wird oder etwa ohne Wissen des Anrufenden eine Weiterschaltung erfolgt. (Bearbeiter)

4. Etwas anderes würde namentlich dann gelten, wenn die Telekommunikationsanlage von vornherein zielgerichtet ohne oder gegen den Willen des Betroffenen in Betrieb genommen worden wäre und daher allein die Funktion einer "Abhöranlage" im Sinne von § 100 c StPO gehabt hätte, denn hierdurch würde sich die Richtung des Grundrechtseingriffs ändern (vgl. auch BGHSt 34, 39, 43, 50). (Bearbeiter)

5. Selbst wenn die Überwachung und Aufzeichnung des Raumgesprächs durch die Anordnung nach §§ 100 a, 100 b StPO nicht gedeckt war, ergäbe sich hieraus nicht ohne weiteres ein Beweisverwertungsverbot (vgl. BVerfG NJW 2000, 3357; BGHSt 31, 304, 308; 34, 39, 52; 37, 30, 32; 38, 214, 219; 44, 243). Ob ein solches eintritt, bestimmt sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch Abwägung des staatlichen Interesses an der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten gegen das individuelle Interesse des Bürgers an der Bewahrung seiner Rechtsgüter. (Bearbeiter)

6. Zu dem in BGHSt 31, 296 entschiedenen Fall besteht insoweit ein Unterschied, als dort weder die Verbindung mit dem Anschluss eines Dritten durch den Betroffenen selbst hergestellt noch ihre versehentliche Aufrechterhaltung durch ihn verursacht wurde. Durchgreifende Gesichtspunkte, welche in jenem Fall für die Annahme eines Verwertungsverbots sprachen, wie der Umstand, dass dort die abgehörte Unterhaltung zwischen Eheleuten in der ehelichen Wohnung geführt wurde und deshalb der unantastbare Bereich privater Lebensgestaltung tangiert war, liegen hier nicht vor. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 5 StR 556/02 - Urteil vom 7. Mai 2003 (LG Hamburg)

Verfahrensrüge (Sachvortrag; Verfahrensabsprachen: Zulässigkeit von Vorgesprächen außerhalb der Hauptverhandlung / Umgehung weiterer Verfahrensbeteiligter; faires Verfahren; Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit).

§ 24 Abs. 2 StPO; § 338 Nr. 3 StPO; § 261 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO

1. Es ist einem Richter nicht verwehrt, zwecks Förderung des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten auch außerhalb der Hauptverhandlung Kontakt aufzunehmen; er darf dabei bereits - auch für den Fall eines ausstehenden Geständnisses - stets freilich nicht etwa verbindliche Prognosen über Straferwartungen abgeben, wie sie bei Beurteilung sachlicher Zuständigkeiten oder bei Haftentscheidungen ohnehin gang und gäbe sind (vgl. BGHSt 42, 46). Der Richter darf solche Vorgespräche indes nicht etwa gezielt an der Staatsanwaltschaft als einer hierbei stets umfassend und beizeiten zu informierenden Verfahrensbeteiligten vorbei durchführen (vgl. BGHSt 37, 298; 38, 102; 42, 46; 43, 195; 45, 312).

2. Legt ein Angeklagter in einem Strafverfahren außerhalb des in BGHSt 43, 195 beschriebenen förmlichen Vorlaufes vor oder auch in der Hauptverhandlung ein Geständnis im Vertrauen auf eine gerichtliche Zusage zur Strafobergrenze ab, die gegen den erklärten Widerspruch der Staatsanwaltschaft oder gar ohne deren Kenntnis erteilt wurde, so besteht von vornherein kein Vertrauenstatbestand für den Angeklagten, daß die - notwendig unverbindliche - Zusage eingehalten oder aber das Geständnis unverwertet bleiben werde (vgl. BGH, Beschl. vom 23. Oktober 2001 - 5 StR 433/01).

3. Durch die unfaire Nichtbeteiligung von Verfahrensbeteiligten an Vorbesprechungen zur Verfahrenserledigung oder durch die unzutreffende Täuschung eines Verfahrensbeteiligten über die Verbindlichkeit einer derart unwirksamen Zusage kann ein Ablehnungsgrund gegen den beteiligten Richter wegen Besorgnis der Befangenheit begründet werden.

4. Der Umstand, dass die Behandlung der Ablehnungsanträge der Staatsanwaltschaft nach § 26a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 StPO im vorliegenden Fall für sich auf den ersten Blick verfahrensrechtlich offensichtlich bedenklich erscheint, ändert nach den Grundsätzen von BGHSt 23, 265 an der umfassenden, hier nicht ausreichend beachteten Vortragspflicht zur Sache nichts.


Entscheidung

BGH 4 StR 17/03 - Beschluss vom 18. März 2003 (LG Bochum)

Unvollständige / widersprüchliche Beweiswürdigung (Beruhen; nachlässige Urteilsabfassung).

§ 337 StPO; § 261 StPO

Dass das Urteil insoweit lediglich nachlässig gefasst sein mag, gibt dem Revisionsgericht keine Möglichkeit, ein Beruhen des Urteils auf der dargelegten Unvollständigkeit der Beweiswürdigung auszuschließen (BGH StV 1994, 360 f.).


Entscheidung

BGH 1 StR 524/02 - Urteil vom 27. März 2003 (LG Traunstein)

Beweiswürdigung (Grenzen der Revisibilität; erschöpfende; Aussage gegen Aussage; fehlende Aussagekonstanz und Maßstab bei der Prüfung eines möglichen Belastungsmotivs; Aussagepsychologie; Gleichgewichtsmerkmal).

§ 261 StPO

1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist auf das Vorliegen von Rechtsfehlern beschränkt (vgl. § 337 StPO). Ein sachlich-rechtlicher Fehler kann indessen dann vorliegen, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Die Beweiswürdigung muss insbesondere auch erschöpfend sein: Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente ohne Erörterung hinweggeht, ist ebenso rechtsfehlerhaft wie eine solche, die gewichtige Umstände nicht mit in Betracht zieht, welche die Überzeugung des Tatrichters von der Täterschaft des Angeklagten in Frage zu stellen geeignet sind. Aus den Urteilsgründen muss sich zudem ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11, 16, 24, Überzeugungsbildung 30). Schließlich hängt der dem Tatgericht abzuverlangende Begründungsaufwand von der jeweiligen Beweislage ab (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2003 - 5 StR 39/03; siehe zur Situation "Aussage gegen Aussage" BGHSt 44, 153, 159; 44, 256, 257).

2. Will der Richter in einem wesentlichen Punkt von der Aussage des einzigen unmittelbaren Belastungszeugen abweichen und ihm etwa in einem anderen Punkt folgen, so muss er in seinem Urteil in aller Regel darlegen, dass der Zeuge im Abweichungspunkt keine bewusst falschen Angaben gemacht hat (vgl. BGHSt 44, 256, 257).

3. Bei der Glaubwürdigkeitsbeurteilung einer Zeugenaussage kommt es hinsichtlich eines möglichen Rachemotivs darauf an, ob sie als Motiv für eine Falschbezichtigung des Angeklagten ausgeschlossen oder jedenfalls für wenig wahrscheinlich erachtet werden kann, nicht hingegen darauf, dass sich das Gericht von einem Rachemotiv überzeugen kann. Für die Begutachtung ist eine Analyse der Aussagemotivation erforderlich sowohl für den Fall, dass die Aussage subjektiv (nach der Vorstellung des Zeugen) wahr ist, als auch für den Fall, dass sie bewusst falsch ist. In diesem Zusammenhang kommt dem sog. Gleichgewichtsmerkmal besonderes Gewicht zu: Verzichtet der Zeuge auf solche Mehrbelastungen, die ihm möglich wären und dann nicht widerlegt werden könnten, und weisen seine Angaben zugleich auch selbstbelastende Elemente auf, so spricht dies gegen eine falsche Belastung. Aus einer festgestellten Belastungsmotivation beim Zeugen lässt sich jedoch nicht zwingend auf das Vorliegen einer Falschaussage schließen (BGHSt 45, 164, 175).


Entscheidung

BGH 4 StR 5/03 - Beschluss vom 11. Februar 2003 (LG Dortmund)

Unterbrechung der Hauptverhandlung vor Urteilsverkündung (zehn Tage; dreißig Tage); Beruhen (Ausschluss in Ausnahmefällen).

§ 268 Abs. 3 StPO; § 229 Abs. 2 StPO; § 229 Abs. 3 StPO; § 337 StPO

Die Unterbrechung der Hauptverhandlung darf vor der Verkündung des Urteils (§ 268 StPO) nur gem. § 229 Abs. 3 StPO wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten über die Frist von zehn Tagen hinaus verlängert werden, nicht aber - anders als während des Gangs der Hauptverhandlung - gem. § 229 Abs. 2 StPO um dreißig Tage.


Entscheidung

BGH 3 StR 30/03 - Beschluss vom 8. April 2003 (LG Lübeck)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Zulässigkeit, Begründung des Antrags, Tatsachenvortrag, Wegfall des Hindernisses).

§ 45 Abs. 2 StPO

Alle zur Begründung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand notwendigen Angaben müssen innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 StPO gemacht werden und sind Zulässigkeitsvoraussetzungen. Hierzu gehören nicht nur Angaben über die versäumte Frist und den Hinderungsgrund, sondern auch über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses (BGHR StPO § 45 Abs. 2 Tatsachenvortrag 4).


Entscheidung

BGH 5 StR 407/02 - Beschluss vom 7. April 2003 (LG Berlin)

Ausdrückliche Ermächtigung zur Rücknahme der Revision durch den Pflichtverteidiger (Formlosigkeit; Feststellung durch das Revisionsgericht; verspäteter Widerruf).

§ 302 Abs. 2 StPO

Für die gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung ist eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben, so dass sie auch mündlich erteilt werden kann. Ihr Nachweis kann noch nach Abgabe der Rücknahmeerklärung geführt werden, auch durch anwaltliche Versicherung des Verteidigers.

BGH 5 StR 535/02 - Beschluss vom 7. Mai 2003 (LG Berlin)

Förderung der Prostitution (milderes Gesetz); Erstreckung der Revision auf Mitangeklagte (Gesetzesänderung; Analogie).

ProstG; § 180a Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 2 Abs. 3 StGB; § 354a StPO; § 357 StPO

Eine Erstreckung der Aufhebung auf die nicht revidierenden Mitangeklagten nach § 357 StPO kommt nicht in Betracht, wenn die Aufhebung nicht auf einer Gesetzesverletzung beim Erlass des Urteils, sondern auf einer nachträglichen Rechtsänderung beruht (BGHSt 41, 6; 20, 77).


Entscheidung

BGH 1 StR 412/01 - Beschluss vom 29. April 2003

Unbegründete Erinnerung gegen den Kostenansatz; Unschuldsvermutung.

§ 5 Abs. 1 GKG; § 40 Abs. 3 GKG; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 6 Abs. 2 EMRK

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 40 Abs. 3 GKG bestehen nicht. Es liegt insbesondere kein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung vor.


Entscheidung

BGH 4 StR 499/02 - Beschluss vom 25. Februar 2003 (LG Dortmund)

Aufklärungspflicht (Aufdrängen einer Vernehmung; Ablehnungsgründe; Aussage gegen Aussage; Ablehnungsgründe: Aufgabe eines Zeugnisverweigerungsrechts).

§ 244 Abs. 2, Abs. 3 StPO

1. Gründe, die zur Ablehnung eines Beweisantrages berechtigen, lassen grundsätzlich auch die Aufklärungspflicht entfallen (vgl. BGH NStZ 1991, 399, 400).

2. Ob die vom Gericht mittels der verwendeten Beweismittel gewonnene Überzeugungsgrundlage ausreicht oder ob zu ihrer Absicherung oder Überprüfung weitere Beweismittel heranzuziehen sind, ist auf der Grundlage von Verfahrensablauf und Beweislage des Einzelfalls zu beurteilen. Je weniger gesichert ein Beweisergebnis erscheint, je gewichtiger die Unsicherheitsfaktoren sind, je mehr Widersprüche bei der Beweiserhebung zu Tage getreten sind, desto größer ist der Anlass für das Gericht, trotz der erlangten Überzeugung weitere erkennbare Beweismöglichkeiten zu benutzen. In besonderem Maße gilt dies dann, wenn Aussage gegen Aussage steht und objektive Beweisanzeichen fehlen. Die Anforderungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an die Beweiswürdigung in derartigen Fällen zu stellen sind (vgl. hierzu BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; BGH StV 1992, 556 f.), nämlich alle für die Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen wesentlichen Umstände festzustellen (vgl. auch BGHR StPO § 244 Abs. 2 Zeugenvernehmung 9), gelten auch für den Umfang der Aufklärungspflicht (vgl. BGH StV 1990, 99; 1996, 249).

3. Der Tatrichter ist nicht stets gehalten, Zeugen über mögliche Lügen einer Beweisperson zu vernehmen, wenn die behaupteten Vorgänge mit dem Tatgeschehen in keinem Zusammenhang stehen (vgl. BGHR § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO Bedeutungslosigkeit 21).


Entscheidung

BGH 2 StR 405/02 - Beschluss vom 5. März 2003 (LG Hanau)

Begriff des Scheinbeweisantrages (Bedeutungslosigkeit; Erforderlichkeit; aufs Geratewohl ins Blaue hinein; Kriterium der Sichtweise eines verständigen Antragstellers).

§ 244 Abs. 3 StPO

Zwar trifft es zu, dass einem in die Form eines Beweisantrags gekleideten Beweisbegehren ausnahmsweise nicht oder allenfalls nach Maßgabe der Aufklärungspflicht nachgegangen werden muss, wenn die Beweisbehauptung ohne jeden tatsächlichen Anhaltspunkt und ohne jede begründete Vermutung aufs Geratewohl ins Blaue hinein aufgestellt wurde, so dass es sich nur um einen nicht ernstlich gemeinten, zum Schein gestellten Beweisantrag handelt (BGH StV 2002, 233 m.w.N.). Für die Beurteilung, ob ein solcher Beweisermittlungsantrag vorliegt, ist die Sichtweise eines verständigen Antragstellers entscheidend. Es kommt nicht darauf an, ob das Tatgericht eine beantragte Beweiserhebung für erforderlich hält (BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 8).


Entscheidung

BGH 3 StR 386/02 - Urteil vom 30. April 2003 (LG Hannover)

Beweiswürdigung (Widersprüchlichkeit des Urteils; Prüfung eines Geständnisses auf Widersprüche); Strafzumessung; Bandenmitgliedschaft und gewerbsmäßiges Handeln als strafschärfende persönliche Merkmale.

§ 261 StPO; § 267 StPO; § 46 Abs. 2 StGB; § 28 Abs. 2 StGB

Erklärt der Tatrichter vom Angeklagten eingestandene, aber in sich widersprüchliche Tatsachen ohne nähere Erläuterungen pauschal für glaubhaft, so liegt darin ein sachlichrechtlicher Mangel der Beweiswürdigung. Drängt sich bei einem Vergleich der Formulierungen in den Urteilsgründen mit denen der Anklageschrift zudem auf, dass das Gericht die Sachverhaltsschilderungen aus der Anklageschrift aufgrund eines pauschalen Geständnisses ungeprüft in das Urteil übernommen hat, so erfasst der Erörterungsmangel die gesamte Beweiswürdigung, so dass den Feststellungen insgesamt die Grundlage entzogen ist.


Entscheidung

BGH 2 StR 535/02 - Urteil vom 26. März 2003 (LG Darmstadt)

Beweiswürdigung (Grenzen der Revisibilität; Glaubwürdigkeit eines Belastungszeugen; widersprüchliche Aussagen; Aussagekonstanz; Urteilsgründe).

§ 261 StPO; § 337 StPO; § 267 StPO

1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht muss daher grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht den Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist. Insbesondere muss die Beweiswürdigung erschöpfend sein und dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt umfassend gewürdigt ist und ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (st. Rspr.).

2. Weicht ein Belastungszeuge, auf dessen Aussage die Anklage gestützt ist und von dessen Glaubwürdigkeit die Überzeugungsbildung des Tatgerichts maßgeblich abhängt, in der Hauptverhandlung in wesentlichen Punkten von seiner früheren Tatschilderung ab, so müssen seine früheren Angaben ebenso wie die in der Hauptverhandlung gemachten Aussagen im Urteil mitgeteilt werden, um dem Revisionsgericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob alle maßgeblichen Umstände in die Überlegungen einbezogen worden sind (vgl. BGH StV 1998, 250). Dies gilt bei Verurteilung und Freispruch gleichermaßen (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 174; BGH, Urt. vom 14. März 2002 - 4 StR 583/01).