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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 556/02, Urteil v. 07.05.2003, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 5 StR 556/02 - Urteil vom 7. Mai 2003 (LG Hamburg)

Verfahrensrüge (Sachvortrag; Verfahrensabsprachen: Zulässigkeit von Vorgesprächen außerhalb der Hauptverhandlung / Umgehung weiterer Verfahrensbeteiligter; faires Verfahren; Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit).

§ 24 Abs. 2 StPO; § 338 Nr. 3 StPO; § 261 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Es ist einem Richter nicht verwehrt, zwecks Förderung des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten auch außerhalb der Hauptverhandlung Kontakt aufzunehmen; er darf dabei bereits - auch für den Fall eines ausstehenden Geständnisses - stets freilich nicht etwa verbindliche Prognosen über Straferwartungen abgeben, wie sie bei Beurteilung sachlicher Zuständigkeiten oder bei Haftentscheidungen ohnehin gang und gäbe sind (vgl. BGHSt 42, 46). Der Richter darf solche Vorgespräche indes nicht etwa gezielt an der Staatsanwaltschaft als einer hierbei stets umfassend und beizeiten zu informierenden Verfahrensbeteiligten vorbei durchführen (vgl. BGHSt 37, 298; 38, 102; 42, 46; 43, 195; 45, 312).

2. Legt ein Angeklagter in einem Strafverfahren außerhalb des in BGHSt 43, 195 beschriebenen förmlichen Vorlaufes vor oder auch in der Hauptverhandlung ein Geständnis im Vertrauen auf eine gerichtliche Zusage zur Strafobergrenze ab, die gegen den erklärten Widerspruch der Staatsanwaltschaft oder gar ohne deren Kenntnis erteilt wurde, so besteht von vornherein kein Vertrauenstatbestand für den Angeklagten, daß die - notwendig unverbindliche - Zusage eingehalten oder aber das Geständnis unverwertet bleiben werde (vgl. BGH, Beschl. vom 23. Oktober 2001 - 5 StR 433/01).

3. Durch die unfaire Nichtbeteiligung von Verfahrensbeteiligten an Vorbesprechungen zur Verfahrenserledigung oder durch die unzutreffende Täuschung eines Verfahrensbeteiligten über die Verbindlichkeit einer derart unwirksamen Zusage kann ein Ablehnungsgrund gegen den beteiligten Richter wegen Besorgnis der Befangenheit begründet werden.

4. Der Umstand, dass die Behandlung der Ablehnungsanträge der Staatsanwaltschaft nach § 26a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 StPO im vorliegenden Fall für sich auf den ersten Blick verfahrensrechtlich offensichtlich bedenklich erscheint, ändert nach den Grundsätzen von BGHSt 23, 265 an der umfassenden, hier nicht ausreichend beachteten Vortragspflicht zur Sache nichts.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 26. Juni 2002 im Strafausspruch aufgehoben.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die - vom Generalbundesanwalt vertretene - Revision der Staatsanwaltschaft, die sich auf Verfahrensrügen und die ausgeführte Sachrüge stützt, bleibt zum Schuldspruch ohne Erfolg, führt jedoch mit der Sachrüge zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.

1. Die auf § 338 Nr. 3 StPO und auf Verletzung des § 261 StPO gestützten Verfahrensrügen sind mangels vollständigen Sachvortrags unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

a) Die Staatsanwaltschaft stützt ihre Besorgnis der Befangenheit der Berufsrichter und ihre Beanstandung, das Landgericht habe das Urteil auf eine unzulässige Zusage und nicht auf den Inbegriff der Hauptverhandlung gestützt, den Inhalt von Vorbesprechungen zudem unzulässigerweise nicht in die Hauptverhandlung eingeführt, auf Verfahrensvorgänge, die ihren Ausgang in zwei Haftprüfungen vor der Strafkammer nahmen, ohne den Inhalt der mündlichen Verhandlungen - etwa durch Vorlage der hierüber aufzunehmenden Niederschriften (§ 118a Abs. 3 Satz 3 StPO) - und die als Ergebnis der zweiten Haftprüfung ergangene Entscheidung vollständig mitzuteilen. Zur Beurteilung der von der Staatsanwaltschaft erhobenen Beanstandungen ist die vollständige Kenntnis dieser Verfahrenstatsachen - im übrigen auch die Kenntnis von Verlauf und Ergebnis des anschließend durchgeführten Beschwerdeverfahrens, die ebenfalls nicht mitgeteilt werden (vgl. BGHSt 40, 218, 240) - unerläßlich.

b) Die Verfahrensrügen geben dem Senat - ohne daß allerdings wegen der unvollständigen Revisionsbegründung hier eine abschließende Beurteilung dieses Verfahrens möglich wäre - Anlaß zu folgenden Anmerkungen:

(1) Es ist einem Richter nicht verwehrt, zwecks Förderung des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten auch außerhalb der Hauptverhandlung Kontakt aufzunehmen; er darf dabei bereits - auch für den Fall eines ausstehenden Geständnisses - stets freilich nicht etwa verbindliche Prognosen über Straferwartungen abgeben, wie sie bei Beurteilung sachlicher Zuständigkeiten oder bei Haftentscheidungen ohnehin gang und gäbe sind (vgl. BGHSt 42, 46). Der Richter darf solche Vorgespräche indes nicht etwa gezielt an der Staatsanwaltschaft als einer hierbei stets umfassend und beizeiten zu informierenden Verfahrensbeteiligten vorbei durchführen (vgl. BGHSt 37, 298; 38, 102; 42, 46; 43, 195; 45, 312).

(2) Legt ein Angeklagter in einem Strafverfahren außerhalb des in BGHSt 43, 195 beschriebenen förmlichen Vorlaufes vor oder auch in der Hauptverhandlung ein Geständnis im Vertrauen auf eine gerichtliche Zusage zur Strafobergrenze ab, die gegen den erklärten Widerspruch der Staatsanwaltschaft oder gar ohne deren Kenntnis erteilt wurde, so besteht von vornherein kein Vertrauenstatbestand für den Angeklagten, daß die - notwendig unverbindliche - Zusage eingehalten oder aber das Geständnis unverwertet bleiben werde (vgl. BGH, Beschl. vom 23. Oktober 2001 - 5 StR 433/01).

Hier bestand angesichts des offenen Dissenses mit der Staatsanwaltschaft kein Anlaß für das Gericht, in der Hauptverhandlung eine Entscheidung über eine bei Geständnis nicht zu überschreitende Strafobergrenze (vgl. BGHSt 43, 195, 206 ff.) zu treffen.

(3) Durch die unfaire Nichtbeteiligung von Verfahrensbeteiligten an Vorbesprechungen zur Verfahrenserledigung oder durch die unzutreffende Täuschung eines Verfahrensbeteiligten über die Verbindlichkeit einer derart unwirksamen Zusage kann ein Ablehnungsgrund gegen den beteiligten Richter wegen Besorgnis der Befangenheit begründet werden.

(4) Der Umstand, daß die Behandlung der Ablehnungsanträge der Staatsanwaltschaft nach § 26a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 StPO im vorliegenden Fall für sich auf den ersten Blick verfahrensrechtlich offensichtlich bedenklich erscheint, ändert nach den Grundsätzen von BGHSt 23, 265 an der umfassenden, hier nicht ausreichend beachteten Vortragspflicht zur Sache nichts.

2. Zur Sachrüge hat die Revision der Staatsanwaltschaft teilweise Erfolg.

a) Der Schuldspruch ist frei von durchgreifenden Rechtsfehlern. Den Schuldumfang im Fall II 1 der Urteilsgründe vermag der Senat dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe eben noch ausreichend deutlich zu entnehmen (vollendetes Handeltreiben mit mindestens 450 Gramm Heroingemenge mit mindestens 10% Wirkstoff), ebenso im Fall II 2 der Urteilsgründe die tatsächlichen Voraussetzungen eines täterschaftlichen Handeltreibens des Angeklagten.

b) Hingegen hält der Strafausspruch sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.

Zutreffend beanstandet die Staatsanwaltschaft die strafmildernde Berücksichtigung des Umstandes, "daß in beiden Fällen das betreffende Betäubungsmittel nicht in den Verkehr gelangte" (UA S. 15). Der Verbleib sowohl des vom Angeklagten als minderwertig erachteten, nach seinen Angaben nicht von ihm weiterverkauften Heroingemischs im Fall II 1 der Urteilsgründe als auch des in seinem Auftrag zum Zweck späteren gewinnbringenden Weiterverkaufs vergrabenen, bei einem Ausgrabungsversuch nicht aufgefundenen Heroingemenges im Fall II 2 der Urteilsgründe ist ungeklärt geblieben.

Das Rauschgift ist in beiden Fällen nicht sichergestellt worden; eine Gesundheitsgefährdung der Allgemeinheit ist damit nicht ausgeschlossen worden.

Es ist auch nicht ersichtlich, daß die gemeingefährliche Verbreitung des Rauschgifts durch Zutun des Angeklagten verhindert worden wäre oder daß sich der Angeklagte hierum auch nur bemüht hätte. Danach ist für einen Strafmilderungsgrund von erwähnenswertem Gewicht insoweit nichts ersichtlich.

Die Strafen sind auffallend milde bemessen; dies ergibt sich zum einen im Blick auf die gewichtigen Strafschärfungsgründe, namentlich aufgrund der gehandelten Rauschgiftart, der Vorbelastungen des Angeklagten und seines Bewährungsversagens, zum anderen im Blick darauf, daß das Geständnis des Angeklagten bei der gegebenen Beweislage zwar einen gewichtigen, indes bei der Kargheit der Aufdeckung maßgeblicher Begleitumstände auch nicht überragend bedeutsamen Strafmilderungsgrund schaffen konnte.

Bei dieser Sachlage vermag der Senat ein Beruhen der Strafen auf dem nicht tragfähigen Strafmilderungsgrund hier nicht auszuschließen.

Dies zieht die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs auf die zum Nachteil des Angeklagten erhobene Sachrüge der Staatsanwaltschaft nach sich. Der Aufhebung von Urteilsfeststellungen bedarf es bei dem beanstandeten Wertungsfehler nicht. Das neue Tatgericht wird die Strafzumessung auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen vorzunehmen haben; es darf diese hierfür lediglich durch weitere, ihnen nicht widersprechende Feststellungen ergänzen.

Externe Fundstellen: NStZ 2003, 563; StV 2003, 481

Bearbeiter: Karsten Gaede