HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2003
4. Jahrgang
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IV. Nebenstrafrecht, Haftrecht und Jugendstrafrecht


Entscheidung

BGH 3 StR 377/02 - Urteil vom 27. März 2003 (LG Düsseldorf)

Zuwiderhandeln gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot (Sympathiebekundung, Selbstbezichtigung, konkrete Eignung zu vorteilhafter Wirkung, Außenwirkung, Erheblichkeit, Kumulationseffekt); Vereinverbot; Betätigungsverbot; PKK; Öcalan; Meinungsfreiheit (Auslegung einer Sympathiebekundung, Berücksichtigung bei der Strafzumessung; kein bestimmender Grund bei den Urteilsgründen).

§ 20 Abs. 1 VereinsG; Art. 5 Abs. 1 GG; § 46 Abs. 2 StGB; § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO

1. Zur Strafbarkeit einer im Rahmen einer Massenkampagne erfolgten Befürwortung des Ungehorsams gegenüber einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot als Zuwiderhandlung nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG. (BGH)

2. Im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG handelt einem Betätigungsverbot auch ein weder mitgliedschaftlich noch sonst organisatorisch eingebundener Dritter zuwider, wenn sein Verhalten auf die verbotene Vereinstätigkeit bezogen und dieser förderlich ist. Auf die Feststellung eines tatsächlich eingetretenen messbaren Nutzens kommt es nicht an. Es genügt, dass das Täterhandeln konkret geeignet ist, eine für die verbotene Vereinstätigkeit vorteilhafte Wirkung hervorzurufen (Bestätigung von BGHSt 42, 30, 31). (Bearbeiter)

3. Ein Bekenntnis zu einer verbotenen Organisation entfaltet eine potentiell vorteilhafte Wirkung in diesem Sinne auf zweifache Weise: Zum einen gibt es der Leitung der verbotenen Organisation einen Überblick über das Sympathisantenpotential und so eine Planungsgrundlage für ihre Aktivitäten, zum anderen stärkt es die Solidarität der Mitglieder untereinander und gibt Außenstehenden den Anstoß, sich ihrerseits aktiv zu beteiligen. (Bearbeiter)

4. Bei einer unmittelbaren Förderung der verbotenen Vereinstätigkeit, etwa durch Sammeln von Spenden (vgl. BGHSt 43, 312, 313) oder durch Beteiligung an einer von der Führung der Organisation initiierten groß angelegten Kampagne kommt es auf eine Außenwirkung nicht an. Dieses Kriterium gewinnt nur dort Bedeutung, wo der Täter ohne Wissen der verbotenen Organisation und aus eigenem Antrieb handelt (Abgrenzung von BGH NJW 1997, 2251). (Bearbeiter)

5. Das weitere Merkmal der "Erheblichkeit" der Förderung der verbotenen Vereinsaktivität soll dazu dienen, tatbestandsmäßige von eher neutralen Handlungen abzugrenzen, und will sicherstellen, dass nur solches Verhalten bestraft wird, das gerade unter dem Gesichtspunkt der Verbotsgründe von Belang ist. Es führt jedoch nicht dazu, dass etwa nur besonders schwerwiegende Verstöße von § 20 Abs. 1 VereinsG erfasst würden. Das Gewicht des Täterhandelns ist dabei im Falle konzertierter Aktionen Vieler nicht isoliert zu würdigen, sondern in Kontext des Gesamthandelns aller Nebentäter zu betrachten. (Bearbeiter)

6. Eine Meinungsäußerung ist bei der Prüfung ihrer Strafbarkeit ist im Lichte der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG auszulegen. Daraus ergibt sich nur dann eine Strafbarkeit, wenn alle denkbaren nicht strafbaren Interpretationsmöglichkeiten nach dem Wortlaut und den Umständen der Äußerung ausgeschlossen werden können (vgl. BVerfGE 82, 43, 52; 93, 266, 295, 296). Nimmt der Täter in seiner Meinungsäußerung allerdings ausdrücklich strafrechtliche Konsequenzen in Kauf, so macht er dadurch deutlich, dass er sich der strafrechtlichen Relevanz seiner Äußerung bewusst ist. Dies spricht gegen die Auslegung in einem strafrechtlich nicht relevanten Sinn, da der entsprechende Zusatz sonst entbehrlich wäre. (Bearbeiter)

7. Zwar ist die wertsetzende Bedeutung der Meinungsfreiheit bei der Strafzumessung zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfG NStZ 1994, 357, 358; NJW 1999, 204, 205; 2002, 1031, 1034 f.). Doch handelt es sich dabei - jedenfalls bei der Verhängung lediglich geringfügiger Geldstrafen - nicht um einen in den Urteilsgründen zwingend mitzuteilenden bestimmenden Grund im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 3 StR 369/01 - Beschluss vom 24. April 2003 (LG Duisburg)

Überlassen von Betäubungsmitteln an Minderjährige (Verfügungsgewalt); Abgabe von Betäubungsmitteln; Konkurrenzverhältnis der Qualifikationen des § 29 BtMG (Tenorierung; minder schwerer Fall; Strafrahmen; Sperrwirkung eines verdrängten Tatbestands).

§ 29 BtMG; § 29 a BtMG; § 30 BtMG; § 30 a BtMG; § 46 StGB

1. Bei § 29 a Abs. 1 Nr. 1 BtMG setzt die Tatbestandsvariante der Abgabe an Minderjährige voraus, dass diese über die Betäubungsmittel Verfügungsgewalt erlangen, die beim bloßen Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch regelmäßig nicht vorliegt. Die Begehungsweisen der Abgabe und des Überlassens von Betäubungsmitteln schließen sich daher hinsichtlich der gleichen Drogen regelmäßig gegenseitig aus.

2. Gegenüber der schwereren Qualifikationsnorm des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG treten sowohl der Grundtatbestand des § 29 Abs. 1 BtMG mit der Strafzumessungsvorschrift des § 29 Abs. 3 BtMG als auch die leichteren Qualifikationstatbestände nach §§ 29 a, 30 BtMG zurück. Daher ist es nicht möglich, wegen der Annahme eines minder schweren Falles nach § 30 a Abs. 3 BtMG auf den Strafrahmen des § 29 Abs. 3 BtMG zurückzugreifen. Vielmehr ist grundsätzlich von dem Strafrahmen des § 30 a Abs. 3 BtMG auszugehen, aber die Sperrwirkung höherer Mindeststrafen aus den verdrängten Tatbeständen zu beachten, sofern nicht auch insoweit ein minder schwerer Fall gegeben gewesen wäre (vgl. BGH, Urt. vom 13. Februar 2003 - 3 StR 349/02).

3. Bei § 29 Abs. 3 BtMG handelt es sich um eine Strafzumessungsvorschrift mit Regelbeispiel, deren Anwen-dung - wie bei allen Regelbeispielen - in der Urteilsformel nicht zum Ausdruck gebracht wird.


Entscheidung

BGH 1 StR 9/03 - Beschluss vom 25. März 2003 (LG Augsburg)

Zweifelssatz; Ernsthaftigkeit des Verkaufsangebots als Voraussetzung des Handelstreibens mit Betäubungsmitteln (Scheinangebot).

Art. 20 Abs. 3 GG; § 29 BtMG

Kann der hinter der formellen Tatbestandserfüllung der Anstiftung zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln liegende materielle Unrechtserfolg - die Gefährdung des Rechtsguts der allgemeinen und individuellen Gesundheit - aus Sicht des Angeklagten nicht eintreten (vgl. OLG Oldenburg, NJW 1999, 2751 f.; BGH StV 1981, 549) und weiß der Täter von Anfang an, dass es ihm unmöglich sein wird, die von ihm angebotenen Betäubungsmittel zu beschaffen, so ist sein Verkaufsangebot nicht als ernsthaft und in Gewinnabsicht unterbreitet anzusehen, es handelt sich vielmehr um ein Scheinangebot, das je nach Sachlage zwar den Tatbestand des Betruges, nicht aber den des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln oder Imitaten (§ 29 Abs. 6 BtMG) erfüllt (BGH StV 1988, 254).