HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2003
4. Jahrgang
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II. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

BGH 3 StR 212/02 - Beschluss vom 11. Februar 2003 (LG Düsseldorf)

Mord (Mindestverbüßungsdauer; besondere Schwere der Schuld); Tenorierung (Schuldspruch; Strafzumessungsvorschrift; Regelbeispiel).

§ 211 StGB; § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB; § 311 StGB; § 268 StPO

1. Das erkennende Gericht hat die besondere Schuldschwere im Sinne von § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB festzustellen sowie die dafür erheblichen Tatsachen darzustellen und zu gewichten, um für das Vollstreckungsverfahren klare Vorgaben zu liefern (vgl. BVerfGE 86, 288, 315 ff.). Es hat sich jedoch jeglicher Feststellungen zur Verbüßungsdauer zu enthalten, weil für die nach §§ 57 a, 57 b StGB zu treffenden Entscheidungen ausschließlich die Strafvollstreckungskammer zuständig ist (§§ 462 a, 454 StPO).

2. Die unzulässige Angabe einer Mindestverbüßungsdauer entfaltet zwar keine rechtliche Bindungswirkung für die Strafvollstreckungskammer, wohl aber einen entsprechenden Rechtsschein. Sie beschwert daher den Angeklagten und ist auf seine Revision aufzuheben.

3. Die Anwendung einer Strafzumessungsvorschrift - etwa eines Regelbeispieles - wird im Schuldspruch nicht erwähnt (st. Rspr., vgl. BGH NStZ 2002, 656).


Entscheidung

BGH 2 StR 411/02 - Beschluss vom 26. Februar 2003 (LG Kassel)

Urkundenfälschung (unechte Urkunde; schriftliche Lüge; Verwendung von Briefköpfen); Betrug; Strafzumessung (Nachtatverhalten; beruf); Berufsverbot (Gefährlichkeitsprognose: keine belastende Bewertung des zulässigen Verteidigungsverhalten).

§ 267 StGB; § 263 StGB; § 46 Abs. 2 StGB; § 61 Nr. 6 StGB; § 70 StGB

Einem das tatsächliche Geschehen einräumenden, dessen Strafbarkeit jedoch bestreitenden Angeklagten darf sein Verteidigungsverhalten auch im Hinblick auf die Gefährlichkeitsprognose beim Berufsverbot nicht angelastet werden. Es ist daher rechtsfehlerhaft, wenn zur Begründung eines Berufsverbots darauf abgestellt wird, dass der sich so verhaltende Angeklagte weder Anzeichen von Reue noch die Einsicht gezeigt habe, sich falsch verhalten zu haben.


Entscheidung

BGH 2 StR 530/02 - Beschluss vom 19. März 2003 (LG Darmstadt)

Strafzumessung (Beihilfe: entscheidendes Gewicht der Beihilfehandlung; Schwere der Haupttat).

§ 46 StGB; § 27 StGB

Maßgeblich für die Einordnung der Schuld eines Gehilfen das Gewicht seiner Beihilfehandlung ist, wenn auch die Schwere der Haupttat mit zu berücksichtigen ist. Stellt der Tatrichter entscheidend auf das Gewicht der Haupttat und weniger auf die Bedeutung des Tatbeitrags des Angeklagten ab, ist dies rechtsfehlerhaft.


Entscheidung

BGH 4 StR 521/02 - Beschluss vom 28. Januar 2003 (LG Stralsund)

Sexuelle Nötigung (Tateinheit bei Einsatz des gleichen Nötigungsmittels zur Abnötigung mehrerer sexueller Handlungen; Teilidentität; Handlung im Rechtssinne; Gewalt); schwere Vergewaltigung (Konkurrenzen zur Freiheitsberaubung); Strafzumessung (Unmaßgeblichkeit des Konkurrenzverhältnisses); Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

§ 177 StGB; § 52 StGB; § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB; § 239 StGB; § 63 StGB

1. Die unterschiedliche rechtliche Bewertung des Konkurrenzverhältnisses ist kein maßgebliches Kriterium für die Strafbemessung (vgl. BGHSt 41, 368, 373).

2. Setzt der Täter bei der Verwirklichung des § 177 StGB jeweils dasselbe Nötigungsmittel ein, liegt nur eine Handlung im Rechtssinne (vgl. BGH NStZ 1999, 83; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 10 jew.m.N.) und damit, trotz der mehrfachen Verwirklichung des Straftatbestandes des § 177 StGB, nur eine Tat im Rechtssinne vor (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 139 f.; NStZ 2000, 419 f.).

3. Der Tatbestand des § 239 StGB tritt nicht im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter der Vergewaltigung zurück, wenn die Freiheitsberaubung über das zur Tatbestandsverwirklichung des § 177 StGB Erforderliche hinausgeht (vgl. BGH NStZ 1999, 83 m.N.).


Entscheidung

BGH 4 StR 400/02 vom 20. März 2003 (LG Münster)

Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafen.

§ 67 StGB

Eine Abweichung von der regelmäßigen Vollstreckungsreihenfolge des § 67 Abs. 1 StGB ist dann zulässig, wenn dadurch der Zweck der Maßregel leichter erreicht werden kann (§ 67 Abs. 2 StGB); in einem solchen Fall muss das Urteil auf der Grundlage einer eingehenden, die Persönlichkeit des Angeklagten berücksichtigenden Beurteilung darlegen, wegen welcher besonderen Umstände der Vorwegvollzug der Strafe die Therapie günstiger beeinflussen wird und dass dieses Ziel im Maßregelvollzug nicht in gleicher Weise erreicht werden kann (vgl. BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 14).


Entscheidung

BGH 2 StR 321/02 - Urteil vom 5. Februar 2003 (LG Bad Kreuznach)

Beweiswürdigung (Überzeugungsbildung); Strafzumessung (Schweigen des Angeklagten; nemo tenetur; Schweigerecht; Zweifelssatz).

§ 261 StPO; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 6 Abs. 2 EMRK; § 46 Abs. 2 StGB; § 213 StGB

Zwar darf dem Täter bei der Strafzumessung und bei der Prüfung von Privilegierungen kein Nachteil daraus erwachsen, dass er die Tat bestreitet und damit nicht in der Lage ist, Umstände vorzutragen, die sich strafmildernd auswirken können. Deshalb ist in solchen Fällen von der für den Angeklagten günstigsten Möglichkeit auszugehen, die nach den gesamten Umständen in Betracht kommt. Der Zweifelssatz bedeutet jedoch nicht, dass das Gericht von der dem Angeklagten jeweils (denkbar) günstigsten Fallgestaltung auch dann ausgehen muss, wenn hierfür keine Anhaltspunkte bestehen (vgl. etwa BGH StV 2001, 666 f.).


Entscheidung

BGH 5 StR 434/02 - Urteil vom 27. März 2003 (LG Braunschweig)

Verfallsanordnung; Verfall des Wertersatzes; Bruttoprinzip; Strafzumessung (erweiterter Verfall grundsätzlich kein Strafmilderungsgrund; Umfang der Aufhebung).

§ 73 StGB; § 73a StGB; § 46 Abs. 2 StGB; § 353 StPO

1. Der für einen Verfall in Betracht kommende Vermögensvorteil muss durch eine angeklagte und festgestellte Tat erlangt sein. Sind mehrere gleichartige Taten angeklagt und verurteilt der Tatrichter wegen jeder dieser Taten, so bedarf es jedoch keiner Feststellung, aus welcher einzelnen dieser Taten der Vermögensgegenstand erlangt wurde (vgl. BGHR StGB § 73 Vorteil 5).

2. Unterliegt das tatrichterliche Urteil nur insoweit der Aufhebung, als die Anordnung eines erweiterten Verfalls unterblieben ist, so zieht dies regelmäßig nicht die Aufhebung rechtsfehlerfrei verhängter Strafen nach sich, da die Anordnung des (ggf. erweiterten) Verfalls grundsätzlich kein Strafmilderungsgrund ist, so dass die übrige Strafzumessung von der Aufhebung unberührt bleibt.


Entscheidung

BGH 3 StR 57/03 - Beschluss vom 20. März 2003 (LG Düsseldorf)

Verfall (grundsätzlich kein Strafmilderungsgrund; Strafzumessung).

§ 73 StGB; § 46 StGB

Die mit dem Verfall verbundene Vermögenseinbuße stellt regelmäßig keinen Strafmilderungsgrund dar, weil mit ihm nur ein unrechtmäßig erlangter Vermögenszuwachs abgeschöpft wird (BGH NJW 2002, 3339).


Entscheidung

BGH 4 StR 545/02 - Beschluss vom 11. März 2003 (LG Essen)

Minder schwerer Fall des sexuellen Missbrauchs von Kindern (Gesamtwürdigung; Milderungsgrund des Zeitablaufs).

§ 176 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB a.F.; § 178 Abs. 2 StGB a.F.; § 46 StGB

Liegen zwischen der letzten Tat und dem Urteil zehn Jahre, stellt dies einen wesentlichen Strafmilderungsgrund dar (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Zeitablauf 1 m.w.N.).


Entscheidung

BGH 1 StR 458/02 - Beschluss vom 11. März 2003 (LG München I)

Berücksichtigung von Verteidigungsverhalten zur Prüfung des § 21 StGB (histrionische Persönlichkeitsstörung); Strafzumessung (strafschärfende Berücksichtigung von Verteidigungsverhalten in Ausnahmefällen).

§ 46 StGB; § 21 StGB; Art. 6 EMRK

Verteidigungsverhalten darf, selbst wenn es objektiv sinnlos ist, von Ausnahmefällen abgesehen, grundsätzlich nicht zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden. Dies schließt jedoch die im Ansatz den Angeklagten begünstigende Prüfung, ob Verteidigungsverhalten Anhaltspunkte für eine im Sinne des § 21 StGB bedeutsame Schuldminderung bietet, nicht aus.