HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2003
4. Jahrgang
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IV. Nebenstrafrecht, Haftrecht und Jugendstrafrecht


Entscheidung

BGH 2 StR 371/02 - Urteil vom 19. Februar 2003 (LG Darmstadt)

BGHSt; Abgrenzung von Privathandlung und dienstlicher Tätigkeit eines Bundeswehrsoldaten; Einführen von Kriegswaffen; Einführen von Munition; Einführen von Explosivstoffen; Genehmigungserfordernis; Aufklärungspflicht.

§ 6 Abs. 1 Satz 1 WaffenG, § 53 Abs. 1 Nr. 2 WaffenG, § 15 Abs. 1 KWKG, § 22a Abs. 1 Nr. 4 KWKG, § 1 Abs. 4 Nr. 1 SprengG, § 40 Abs. 2 Nr. 1 SprengG; § 244 Abs. 2 StPO

1. Dienstlich ist jede Tätigkeit eines Bundeswehrsoldaten, die zu seinem allgemeinen Aufgabenbereich gehört oder damit in unmittelbarem Zusammenhang steht, nach objektiven Gesichtspunkten äußerlich als Diensthandlung erscheint und von dem Willen getragen ist, dienstliche Aufgaben zu erfüllen. (BGHSt)

2. Eine den allgemeinen Vorschriften unterfallenden Privathandlung eines Soldaten liegt namentlich dann vor, wenn die Handlung in keinem Zusammenhang mit dienstlichen Aufgaben steht oder wenn sie nicht auf die - wenngleich unter Umständen vorschriftswidrige - Erfüllung der dem Soldaten nach dienstlicher Stellung und allgemeiner Zuständigkeit obliegenden Pflichten oder die Erreichung dienstlicher Zwecke gerichtet ist, sondern allein privaten Zwecken dient. (BGHSt)

3. Angehörige der Bundeswehr sind, soweit sie im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit Umgang mit Waffen, Kriegswaffen oder Explosivmaterial haben, von den Genehmigungsvorschriften der allgemeinen Gesetze über den Umgang mit diesen Materialien und daher auch von deren hieran anknüpfenden Strafvorschriften ausgenommen. Die waffen- oder sprengstoffrechtliche Genehmigung wird für sie nicht lediglich fingiert; vielmehr treten innerdienstliche Erlaubnis-, Sicherungs- und Verbotsvorschriften umfassend an die Stelle der allgemeinen Regelungen. (Bearbeiter)

4. Eine Privathandlung liegt nicht schon dann vor, wenn der Soldat im einzelnen Fall ohne Abstimmung mit der Leitung der Bundeswehr handelt. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH GSSt 1/02 - Beschluss vom 4. Februar 2003 (LG Duisburg)

BGHSt; Bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln; Mittäterschaft (Zurechnung von Tatbeiträgen; eigenhändiges Delikt); Waffe; Täter; Beteiligter; Teilnehmer; Tatbestand; Formulierung: Wortlautargument; teleologische Reduktion; Mindeststrafe; BGHSt 43, 8; Leibwächterfall.

§ 25 Abs. 2 StGB; § 26 StGB; § 27 StGB; § 28 StGB; § 29 StGB; § 113 StGB; § 244 StGB; § 250 StGB; § 30 a BtMG

1. Bei gemeinschaftlicher Tatbegehung kann nicht nur derjenige Täter eines Verbrechens nach § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG sein, der selbst unmittelbar Zugriff auf eine mitgeführte Schusswaffe oder einen sonstigen Gegenstand im Sinne dieser Vorschrift hat. Vielmehr kann die vom gemeinsamen Tatplan umfasste Bewaffnung eines Mittäters den übrigen Tätern nach allgemeinen Grundsätzen (§ 25 Abs. 2 StGB) zugerechnet werden. (BGHSt)

2. Das bewaffnete Handeltreiben mit Betäubungsmitteln ist kein eigenhändiges Delikt. Dies ergibt sich zum einen aus der Intention des Gesetzgebers, die besondere Gefährlichkeit des bewaffneten Handeltreibens und nicht etwa einen gesteigerten persönlichen Schuldgehalt (vgl. § 29 StGB) des bewaffneten Täters stärker zu sanktionieren. Zum anderen entspricht dies dem Normzweck, weil die Zurechnung des Waffenbesitzes so auch als Hintermänner agierende Mittäter umfasst, die in der Hierarchie des Betäubungsmittelhandels höher stehen, aber den persönlichen Umgang mit Waffen typischerweise vermeiden. (Bearbeiter)

3. Der mittäterschaftlichen Zurechnung steht nicht entgegen, dass der Wortlaut bei einigen Delikten verlangt, dass ein "Täter oder ein Beteiligter" die Waffe bei sich führen müsse, während § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG nur vom "Täter" spricht. Zum einen kann derselbe Begriff auch bei gleichem Wortlaut in verschiedenen Tatbeständen nach deren jeweiligem Zweck unterschiedlich ausgelegt werden. Zum anderen umfasst die Formulierung "Täter oder ein Beteiligter" auch Teilnehmer und damit einen weiteren Personenkreis als die Mittäterschaft, die Gehilfen und Anstifter gerade nicht einschließt. Diese Tatbestandsfassung wird vom Gesetzgeber also für eine den Kreis der Mittäter noch überschreitende Strafdrohung verwendet. Dass der Gesetzgeber im Falle des § 30 a Abs. 2 BtMG eine andere Formulierung wählte, steht daher einer mittäterschaftlichen Zurechnung nicht im Wege. (Bearbeiter)

4. Verfügt nur ein Teilnehmer an einer Tat des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge über eine Waffe, so führt dies grundsätzlich weder für den Täter noch für den Teilnehmer zur Strafbarkeit nach § 30 a Abs. 2 BtMG. Anderes kann gelten, sofern der Haupttäter in der Lage ist, auf die Waffe jederzeit auch selbst zuzugreifen oder über ihren Einsatz im Wege eines Befehls zu verfügen. In diesen Fällen ist die Annahme der Qualifikation über mittelbare Täterschaft gerechtfertigt (Übertragung von BGHSt 43, 8, 14 - "Leibwächterfall" - auf Fälle des § 30 a BtMG; obiter dictum). (Bearbeiter)

5. Zwar werden infolge der weiten Auslegung des Begriffs des Handeltreibens auch Tätigkeiten erfasst, die sich weit im Vorfeld eines Drogenumsatzes abspielen. Damit unterliegen der hohen Mindeststrafdrohung des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG auch Verhaltensweisen, bei denen es nach Lage der Dinge ausgeschlossen erscheint, dass der Täter in eine Situation kommen wird, die für ihn Anlass zum Schusswaffengebrauch sein könnte. Doch kann dem nicht sachgerecht durch einen generellen Ausschluss mittäterschaftlicher Zurechnung des Waffenbesitzes begegnet werden, da dies auch im Falle eines Alleintäters virulent werden kann, sondern ggf. durch eine teleologische Reduktion. Ob sich dies tatsächlich empfiehlt, kann offen bleiben, zumal § 30 a Abs. 3 BtMG die Möglichkeit bietet, ohne tatbestandliche Einschränkung die Verhängung der hohen Mindeststrafe von fünf Jahren zu vermeiden. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 3 StR 349/02 - Urteil vom 13. Februar 2003 (LG Hannover)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln; Strafzumessung (Gesetzeskonkurrenz; besonders schwerer Fall; minder schwerer Fall; Sperrwirkung des verdrängten Delikts hinsichtlich seiner Mindeststrafe; Strafrahmen; gesetzgeberische Korrektur).

§ 30 a BtMG; § 52 StGB; § 29 Abs. 1 BtMG; § 250 Abs. 3 StGB; § 177 Abs. 5 StGB

1. Bei der Anwendung des minder schweren Falles nach § 30 a Abs. 3 BtMG ist die Sperrwirkung der höheren Mindeststrafe eines verdrängten Tatbestandes wie dem des § 29 a Abs. 1, § 30 Abs. 1 BtMG zu beachten, sofern nicht auch insoweit ein minder schwerer Fall gegeben ist. (BGHR)

2. Der Senat verkennt nicht, dass sich damit bei § 30 a Abs. 3 BtMG ein sehr schmaler Strafrahmen ergibt und dass das Fehlen eines Bereiches, in er sich mit dem Strafrahmen des § 30 a Abs. 2 überlappt, die Strafzumessung in Grenzfällen erschwert. Doch ist dies auf die wenig geglückte Harmonie der Strafrahmen des Betäubungsmittelstrafrechts zurückzuführen. Hier könnte eine § 250 Abs. 3 StGB und § 177 Abs. 5 StGB - jeweils idF des 6. StrRG - entsprechende Korrektur angezeigt sein. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 4 StR 493/02 - Urteil vom 6. März 2003 (LG Neubrandenburg)

Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende (Beurteilungsspielraum); lückenhafte Beweiswürdigung (Gesamtwürdigung; überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung; Widersprüche); Unterlassungsstrafbarkeit (Abgrenzung zum aktiven Tun; strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aufgrund eines vorangegangenes pflichtwidrigen Vorverhaltens / Ingerenz; Quasikausalität; an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit).

§ 13 StGB; § 212 StGB; § 211 StGB; § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG; § 261 StPO

1. Ob ein Heranwachsender bei der Tat im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG noch einem Jugendlichen gleich stand, ist im wesentlichen Tatfrage, wobei dem Jugendrichter ein erheblicher Beurteilungsspielraum eingeräumt ist (vgl. BGHSt 36, 37, 38 m.w.N.; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2002 - 3 StR 297/02). Einem Jugendlichen gleichzustellen ist der noch ungefestigte, in der Entwicklung stehende, noch prägbare Heranwachsende, bei dem Entwicklungskräfte noch in größerem Umfang wirksam sind; hat der Täter dagegen bereits die einen jungen Erwachsenen kennzeichnende Ausformung erfahren, dann ist er nicht mehr einem Jugendlichen gleichzustellen und auf ihn ist das allgemeine Strafrecht anzuwenden.

2. Die Anwendung von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht steht nicht im Verhältnis von Regel und Ausnahme; § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG stellt keine Vermutung für die grundsätzliche Anwendung des einen oder anderen Rechts auf. Nur wenn der Tatrichter nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten Zweifel nicht beheben kann, muss er die Sanktionen dem Jugendstrafrecht entnehmen (BGHSt aaO 40; BGH NJW 2002, 73, 75).

3. Eine Prognose völliger Entwicklungsunfähigkeit bereits in der Lebensphase zwischen dem 18. und dem 21. Lebensjahr wird nur ausnahmsweise mit Sicherheit zu stellen sein (BGH NJW 2002, 73, 76, Abgrenzung zu BGHSt 22, 41).

4. Nach der Rechtsprechung begründet auch die Beteiligung an für sich gesehen noch nicht lebensgefährlichen Misshandlungen jedenfalls dann eine Verpflichtung im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB, die anschließende Tötung des Tatopfers durch einen anderen Beteiligten zu verhindern, wenn das vorausgegangene gemeinsame Verhalten eine Gefahrerhöhung für das Opfer dadurch bewirkte, dass der Täter in seinem zu dessen Tod führenden Vorgehen bestärkt wurde (BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 7 m.w.N.).

5. Ein vollendeter Mord kann einem Angeklagten nur angelastet werden, wenn sein pflichtwidriges Unterlassen für den Tod zumindest mitursächlich geworden wäre (vgl. BGH NStZ 2000, 583; BGHR StGB § 13 Abs. 1 Ursächlichkeit 2). Hierfür genügt eine große Wahrscheinlichkeit nicht.


Entscheidung

BGH 2 ARs 80/03 - Beschluss vom 2. April 2003

Antrag auf Übertragung der Untersuchung und Entscheidung (Erfordernis des Beginns der Hauptverhandlung); Strafbefehlsverfahren.

§ 12 Abs. 2 StPO; § 407 StPO; § 46 Abs. 1 OWiG

Im Strafbefehlsverfahren ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats die Übertragung eines Verfahrens gemäß § 12 Abs. 2 StPO, der gemäß § 46 Abs. 1 OWiG auch für das Ordnungswidrigkeitenverfahren Anwendung findet, auf ein anderes Gericht erst zulässig, wenn die auf rechtzeitigen Einspruch anberaumte Hauptverhandlung begonnen hat (BGHSt 13, 186 ff.; 26, 374 f.). Dieser Grundsatz gilt auch für das Bußgeldverfahren.


Entscheidung

BGH 1 StR 50/03 - Beschluss vom 11. März 2003 (LG Stuttgart)

Bandenhandel mit Betäubungsmitteln (Bewertungseinheit und Beihilfe; Einfuhr; Erwerb; Handeltreiben; Tateinheit; Konkurrenzen).

§ 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG; § 30a BtMG; § 52 StGB

1. In den Fällen des § 30a BtMG verbindet der Bandenhandel die im Rahmen ein- und desselben Güterumsatzes aufeinanderfolgenden Teilakte vom Erwerb bis zur Veräußerung, also auch den Teilakt der unerlaubten Einfuhr, zu einer einzigen Tat im Sinne einer Bewertungseinheit (BGH NStZ 1994, 496).

2. Das gilt auch dann, wenn im Rahmen des Bandenhandels Beihilfe zur Einfuhr geleistet wird. Dagegen kommt der täterschaftlichen bandenmäßigen unerlaubten Einfuhr neben Beihilfe zum Bandenhandel ein eigener Unrechtsgehalt zu, so dass Tateinheit möglich ist (vgl. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Konkurrenzen 1).