HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2001
2. Jahrgang
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II. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

BGH 5 StR 360/01 - Urteil vom 9. Oktober 2001 (LG Berlin)

Sicherungsverwahrung; Vorsatz (Feststellung aus dem äußeren Tatablauf); Erheblichkeit der Straftat (Schwerer seelischer, körperlicher oder wirtschaftlicher Schaden); Räuberischer Diebstahl

§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB; § 15 StGB; § 252 StGB

1. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt eine Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit aufgrund eines Hanges zu erheblichen Straftaten; hierfür genügen auch Taten, durch die ein schwerer seelischer, körperlicher oder wirtschaftlicher Schaden verwirklicht wird. Wenn ein Gericht "besonders" schwere seelische Beeinträchtigungen oder "besonders" schwere wirtschaftliche Schäden fordert, so überschreitet es den ihm eingeräumten Rahmen tatrichterlichen Beurteilungsspielraums (BGHR StGB § 66 Abs. 1 - Erheblichkeit 1).

2. Bei Diebstählen, die planmäßig auf Wiederholung angelegt sind oder infolge des Hanges in rascher Folge begangen wurden, ist die Höhe des durch die Tat insgesamt verursachten Schadens maßgebend (BGHSt 24, 153, 157; 24, 345, 347; BGH NStZ 1984, 309).

3. Daß gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB "namentlich" solche Straftaten als "erheblich" eingestuft werden, die zu schweren Schäden führen, hat vornehmlich den Sinn, Straftaten von geringerem Schweregrad auszuscheiden, soll aber keine abschließende Regelung bedeuten (BGH NStZ 1986, 165). Entscheidend soll vielmehr sein, daß die Straftaten einen hohen Schweregrad aufweisen und den Rechtsfrieden empfindlich stören (BGHR StGB § 66 Abs. 1 - Erheblichkeit 3). Die Erheblichkeit einer Straftat ist also nicht allein am eingetretenen Erfolg zu messen (vgl. BGH NStZ aaO).

4. Das gehäufte gezielte, in der Regel durch Trickdiebstahl vorbereitete Eindringen in Wohnungen betagter und gebrechlicher Frauen zur Begehung von gewerbsmäßigen Diebstählen bei Inkaufnahme auch körperlicher Konfrontationen läßt schwerlich eine andere Beurteilung zu als die, daß es sich um eine den Rechtsfrieden ganz empfindlich störende, die Allgemeinheit erheblich in Mitleidenschaft ziehende und damit "erhebliche Straftat" handelt.


Entscheidung

BGH 2 StR 205/01 - Beschluß v. 6. Juni 2001 (LG Koblenz)

Berücksichtigung von eingezogenen Gegenständen bei der Gesamtstrafenbildung; Einziehung; Strafzumessung; Schuldausgleich

§§ 74 ff.; 54 StGB; § 46 StGB

1. Bei der Strafzumessung ist ausdrücklich zu erörtern, ob die Einziehung eines dem Angeklagten gehörenden Gegenstandes (Pkw) strafmildernd zu berücksichtigen ist, es sei denn, daß angesichts des Wertes der Sache die Einziehung die Bemessung der Strafe nicht wesentlich zu beeinflussen vermag.

2. Das Tatgericht muß daher den Wert der eingezogenen Sache angeben.

3. Bei Bildung einer Gesamtstrafe genügt es in der Regel, die Einziehung eines wertvollen Gegenstandes erst bei deren Bemessung zu berücksichtigen.


Entscheidung

BGH 3 StR 313/01 - Urteil vom 12. September 2001 (LG Kiel)

Wiederholte Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; Ablehnung

§ 64 StGB

Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 64 StGB ist die Anordnung auch dann zwingend, wenn die Maßregel schon in einem früheren Verfahren angeordnet war (BGHR StGB § 64 Ablehnung 6 m.w.Nachw.). Mit Rechtskraft der späteren Anordnung ist die frühere rechtlich erledigt (§ 67 f. StGB).


Entscheidung

BGH 4 StR 95/01 - Beschluß vom 11. September 2001 (LG Neubrandenburg)

Angabe ausreichender Feststellungen, die eine Überprüfung der formellen Voraussetzungen der auf § 66 Abs. 1 StGB gestützten Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ermöglichen; Vorverurteilungen wegen Taten mit "Symptomcharakter"; Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe

§ 66 Abs. 1 StGB

Die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe gilt zwar nach § 66 Abs. 4 Satz 1 StGB als eine einzige Verurteilung im Sinne des Abs. 1 Nr. 1. Sie erfüllt jedoch nur dann die Voraussetzungen dieser Vorschrift, wenn sie eine Einzelstrafe von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe enthält (vgl. BGHSt 34, 321; BGH NStZ-RR 1997, 135).


Entscheidung

BGH 1 StR 291/01 - Urteil vom 8. August 2001 (LG Regensburg)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln; Unbillige Härte; Bruttoprinzip; Beweiswürdigung (Kein Ersetzen durch diejenige des Beschwerdeführers); Revisibilität der Strafzumessung; Verfahren der Gesamtstrafenbildung; Fakultative Bewährungsauflage und Verfall

§ 29 Abs. 1 StGB; § 73c StGB; § 73a StGB; § 261 StPO; § 46 StGB; § 56b Abs. 2 Nr. 2 StGB

1. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn Rechtsfehler vorliegen. Das ist namentlich dann der Fall, wenn der Tatrichter fehlerhafte Erwägungen anstellt oder wenn erforderliche Erwägungen oder Wertungen unterblieben sind und das Urteil auf dem Mangel beruhen kann, oder wenn sich die Strafe nicht im Rahmen des Schuldangemessenen hält. Eine ins einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen (BGHSt 34, 345, 359).

2. Im Vordergrund der Erhöhung der höchsten Einzelstrafe nach § 54 StPO steht nicht die Summe der Einzelstrafen, sondern die Gesamtwürdigung der Person des Täters und seiner Taten (BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 10). Jeder Schematismus ist verfehlt (BGHR StGB § 54 Serienstraftaten 3; BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 11; BGH NStZ 2001, 365, 366). Hinzu treten das Verhältnis der einzelnen Straftaten zueinander sowie die Frage, ob die Straftaten einem kriminellen Hang entspringen oder ob es sich um Gelegenheitsdelikte handelte (vgl. BGHSt 24, 268, 269 f.). Wie bei den Einzelstrafen braucht der Tatrichter auch bei der Gesamtstrafe nur die bestimmenden Zumessungsgründe im Urteil darzulegen (BGH aaO 271).

3. Eine Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 erste Alt. StGB scheidet schon dann aus, solange und soweit der Angeklagte über Vermögen verfügt, das wertmäßig nicht hinter dem anzuordnenden Verfallbetrag zurückbleibt. In diesen Fällen liegt es nahe, daß der Wert des Erlangten im Vermögen noch vorhanden ist. Der Verfall hängt nicht davon ab, ob die vorhandenen Vermögenswerte unmittelbar mit Drogengeldern erworben wurden oder ob mit Drogengeldern andere Aufwendungen bestritten und erst mit den so eingesparten Mitteln das noch vorhandene Vermögen gebildet oder dessen Verbrauch vermieden wurde (vgl. BGH NStZ 2000, 480, 481).

4. Da § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB auch dann gilt, wenn der Wert des Erlangten im Vermögen des Angeklagten noch vorhanden ist, müssen an dessen Voraussetzungen hohe Anforderungen gestellt werden. Die Situation muß so sein, daß die Verfallserklärung "ungerecht" wäre, daß sie das Übermaßverbot verletzen würde. Entscheidend ist, wie sich die Verfallsanordnung konkret auf das Vermögen auswirkt (BGH NStZ-RR 2000, 365).


Entscheidung

BGH 2 StR 297/01 - Beschluß vom 17. August 2001 (LG Koblenz)

Strafaussetzung zur Bewährung durch den BGH; Analoge Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO; Besondere Umstände

§ 354 Abs. 1 StPO; § 56 StGB

1. Eine Strafaussetzung kann nicht gemäß § 56 Abs. 2 StGB mit der Begründung abgelehnt werden, es seien über die durchschnittlichen strafmildernden Umstände hinaus bei einer Gesamtschau keine signifikanten Milderungsgründe von besonderem Gewicht vorhanden. Der Vorschrift des § 56 Abs. 2 StGB ist kein Ausnahmecharakter beizumessen.

2. Das Revisionsgericht kann entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung, unzureichende 5) das angefochtene Urteil dahin ändern, daß dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung gewährt wird.


Entscheidung

BGH 3 StR 166/01 - Beschluß v. 20. Juni 2001 (LG Duisburg)

Individualisierung einzelner Taten in den Urteilsgründen bei in Serie begangenen Mißbrauchshandlungen (Anforderungen bei Serienstraftaten); Beweiswürdigung des Gerichts

§ 267 StPO; § 261 StPO

1. Der Tatrichter muß sich aber in objektiv nachvollziehbarer Weise zumindest die Überzeugung verschaffen, daß es in einem gewissen Zeitraum zu einer bestimmten Mindestzahl von Straftaten gekommen ist.

2. Dabei ist nicht entscheidend, daß auf nicht völlig sicherer Grundlage eine Gesamtzahl von Straftaten festgestellt wird, sondern daß das Gericht von jeder einzelnen individuellen Straftat, die es aburteilt, überzeugt ist (BGHSt 42, 107, 109 f.).

3. Ist eine Individualisierung einzelner Taten nicht möglich, sind zumindest die Anknüpfungspunkte zu bezeichnen, anhand derer der Tatrichter den Tatzeitraum eingrenzt und auf die sich seine Überzeugung von der Mindestzahl und der Begehungsweise der Mißbrauchstaten des Angeklagten in diesem Zeitraum gründet.


Entscheidung

BGH 3 StR 261/01 - Beschluß vom 23. August 2001 (LG Kleve)

Sicherungsverwahrung; Einheitliche Jugendstrafe als Vorverurteilung; Darstellung

§ 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 31 JGG

1. Eine in einem früheren Verfahren ausgesprochene einheitliche Jugendstrafe nach § 31 JGG erfüllt die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur, wenn zu erkennen ist, daß der Täter wenigstens bei einer der ihr zugrundeliegenden Straftaten eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hätte, sofern sie als Einzeltat gesondert abgeurteilt worden wäre (BGHSt 26, 152, 154 f.; BGHR StGB § 66 1 Vorverurteilungen 2, 6 und 9; BGH NJW 1999, 3723). Dies festzustellen, ist eine im wesentlichen tatrichterliche Aufgabe, die dem über die Sicherungsverwahrung entscheidenden Richter obliegt. Davon, daß im Falle gesonderter Aburteilung der Einzeltaten jeweils eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verhängt worden wäre, darf nur ausgegangen werden, wenn der Tatrichter Feststellungen darüber treffen kann, wie der Richter des Vorverfahrens die einzelnen Taten bewertet hat; er darf sich nicht an dessen Steile setzen und im nachhinein eine eigene Strafzumessung vornehmen (BGH NJW 1999, 3723 m.w.Nachw.). Diese Feststellungen muß der Tatrichter so belegen, daß eine ausreichende revisionsgerichtliche Überprüfung möglich ist.

2. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist eine ganz erheblich in die Lebensverhältnisse eines Angeklagten einschneidende Entscheidung. Sie erfordert deshalb eine dieser Bedeutung angemessene Begründung. Nicht nur zur Feststellung der formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung (dazu oben 1.), sondern auch für die Darlegung des Hanges zu erheblichen Straftaten müssen die Sachverhalte mitgeteilt werden, die den Anlaß für die "Vorverurteilungen" gegeben haben (vgl. im einzelnen BGHR StGB § 66 Darstellung 3).


Entscheidung

BGH 2 StR 383/01 - Beschluß vom 26. September 2001 (LG Gera)

Strafzumessung (Strafschärfung auf Grund der Häufung von Straftaten; Verbot einer Doppelbestrafung); Ne bis in idem

§ 46 StGB; Art. 103 Abs. 3 GG

Es ist zulässig, die Tatsache der Häufung von Straftaten bereits bei der Festsetzung der Einzelstrafen zu berücksichtigen (vgl. BGHSt 24, 268, 271). Allerdings darf eine strafschärfende Berücksichtigung später liegender Taten nicht zu einer Doppelbestrafung führen; der Richter darf die anderen Straftaten nicht durch die Erhöhung der Strafe faktisch mitaburteilen. Die strafschärfende Berücksichtigung weiterer Straftaten ist aber jedenfalls dann rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie nach ihrer Art und nach der Persönlichkeit des Täters auf Rechtsfeindlichkeit, Gefährlichkeit und die Gefahr künftiger Rechtsbrüche schließen lassen. Dies gilt auch für Taten, die zusammen in einem Urteil geahndet werden (vgl. BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall - Gesamtwürdigung 2 m.w. N.).