HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2001
2. Jahrgang
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III. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)



Entscheidung

BGH 3 StR 175/01 - Beschluß vom 5. September 2001 (LG Hannover)

Körperverletzung im Amt; Hinweispflicht (Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunktes); Protokollberichtigung nach Verfahrensrüge (Keine Entziehung der Tatsachengrundlage); Ausüben der tatsächlichen Gewalt über "Würgehölzer"; Lebensgefährdende Behandlung

§ 340 StGB; § 265 StPO; § 274 StPO; § 53 Abs. 3 Nr. 3 WaffG; § 223 a Abs. 1 StGB a.F.; § 224 StGB

1. Wird auf eine Verfahrensrüge hin nach einem Vermerk eine Protokollberichtigung veranlaßt, kann durch eine solche Handhabung einer zuvor erhobenen Verfahrensrüge die Tatsachengrundlage nicht entzogen werden (st. Rspr., vgl. BGHSt 34, 11, 12). Ob etwas anderes dann gelten könnte, wenn zweifelsfrei ein vom protokollierten Hergang abweichender Ablauf vorliegt (vgl. 5. Strafsenat in BGHR StPO § 274 Beweiskraft 22), braucht hier nicht entschieden zu werden.

2. Für die Annahme einer lebensgefährdenden Behandlung genügt zwar grundsätzlich deren objektive Eignung, ohne daß der Eintritt einer konkreten Gefahr gegeben sein müßte, doch muß sich die objektive Eignung stets aus der Behandlung nach ihren konkreten Umständen im Einzelfall ergeben (vgl. BGHR StGB § 223 a Abs. 1 Lebensgefährdung 1, 2, 3). Subjektiv muß der Täter dabei die Umstände erkennen, aus denen sich die Lebensgefährlichkeit ergibt (BGHR aaO Nr. 5).


Entscheidung

BGH 3 StR 256/01 - Beschluß vom 6. September 2001

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Verfahrensrügen); Ladung der Wahlverteidiger nach § 218 StPO (Verzicht, Verwirkung); Terminierung; Wahlverteidigung; Pflichtverteidigung; Beruhen (Anderweitige Kenntnis)

§ 44 StPO; § 349 Abs. 4 StPO; § 218 Satz 1 StPO; § 337 StPO

1. Hat der Angeklagte mehrere Verteidiger, muß - sofern es sich nicht um mehrere Anwälte einer Sozietät handelt - jeder von ihnen geladen werden, wenn die in § 218 Satz 1 StPO genannten Voraussetzungen vorliegen (BGHSt 36, 259, 260; BGH NStZ 1995, 298).

2. Ein Verzicht des Verteidigers auf Terminsladung ist zwar grundsätzlich möglich (BGHSt 36, 259, 261), auch stillschweigend und ohne Zustimmung des Angeklagten. Ein solcher Verzicht - oder auch eine Verwirkung des Rügerechts - kann aber nicht bereits deshalb angenommen werden, weil ein Rechtsanwalt dem vorherigen Termin ohne Angabe von Gründen ferngeblieben ist.


Entscheidung

BGH 2 StR 223/01 - Beschluß v. 11. Juni 2001 (LG Fulda)

Wirksamer Rechtsmittelverzicht trotz möglicherweise unzulässiger Absprache (fehlende unzulässige Willensbeeinträchtigung)

§ 302 StPO

1. Da die Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts anderen Maßstäben unterliegt, ist der auf eine unzulässige Absprache erfolgte Rechtsmittelverzicht nicht grundsätzlich unwirksam.

2. Es muß lediglich sichergestellt sein, daß der Angeklagte sich frei entscheiden kann, ob er ein gegen ihn ergangenes Urteil anfechten, unangefochten lassen oder durch Erklärung eines Rechtsmittelverzichts annehmen will.


Entscheidung

BGH 3 StR 130/01 - Beschluß v. 22. Mai 2001 (LG Osnabrück)

Unzulässige Erwägungen des Tatgerichts bezüglich der Zeugnisverweigerung von Angehörigen; Beweiswürdigung; Aussageverhalten; Beruhen

§ 52 Abs.1 StPO; § 261 StPO; § 337 StPO

Die Zeugnisverweigerung eines Angehörigen darf auch dann nicht gegen den Angeklagten verwertet werden, wenn der Angehörige später Angaben macht.


Entscheidung

BGH 1 StR 264/01 - Urteil vom 25. September 2001 (LG Traunstein)

Aufklärungspflicht; Beweisantrag (Unzulässigkeit); Verlesung des Protokolls über die richterliche Vernehmung einer Zeugin; Unzulässige Verfahrensrüge; Heimtücke (Arg- und Wehrlosigkeit); Mord

§ 244 Abs. 2, Abs. 3 StPO; § 253 Abs. 2 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 211 StGB; § 212 StGB

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs kommt die Verlesung der früheren Aussage nur in Betracht, nachdem Vorhalte aus dem Protokoll weder eine Übereinstimmung der gegenwärtigen Aussage mit dem Inhalt des Protokolls bewirkt noch dazu geführt haben, daß der Zeuge bekundete, bei der Aufnahme des Protokolls abweichend von seiner gegenwärtigen Aussage tatsächlich das im Protokoll Festgehaltene ausgesagt zu haben (vgl. BGHSt 20, 160, 162).

2. Wäre der Widerspruch bestehen geblieben, wäre die Verlesung des Vernehmungsprotokolls nach § 253 Abs. 2 StPO auch nur zulässig gewesen, wenn dieser sich ohne Unterbrechung der Hauptverhandlung nicht auf andere Weise, etwa durch Vernehmung der Verhörsperson, hätte aufklären lassen.

3. Nach ständiger Rechtsprechung handelt heimtückisch, wer in feindlicher Willensrichtung (BGHSt 30, 105, 119) die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewußt zur Tötung ausnutzt. Der in diesem Mordmerkmal zum Ausdruck gekommene höhere Unrechtsgehalt des Täterverhaltens liegt darin, daß der Mörder sein Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGHSt 11, 139, 143; 32, 382, 384). Das Opfer muß in der unmittelbaren Tatsituation, d.h. bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs arglos gewesen sein (BGHSt 23, 119, 121; vgl. auch BGH NJW 1986, 1502), und der Täter muß die sich ihm darbietende arg- und wehrlose Lage des Opfers ausgenutzt haben.


Entscheidung

BGH 1 StR 293/01 - Urteil vom 25. September 2001 (LG Nürnberg-Fürth)

Sexuelle Nötigung; Verminderte Steuerungsfähigkeit (Schwere andere seelische Abartigkeit; Konfliktsituation); Überzeugungsbildung (Sachverständiger, Darstellungsmangel bei Abweichung)

§ 177 Abs. 1 StGB; § 20 StGB; § 21 StGB; § 261 StPO

Das Gutachten des vernommenen Sachverständigen kann stets nur eine Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein. Wenn der Tatrichter aber eine Frage, für die er geglaubt hat, des Rates eines Sachverständigen zu bedürfen, im Widerspruch, zu dem Gutachten lösen will, muß er die maßgeblichen Darlegungen des Sachverständigen wiedergeben und seine Gegenansicht unter Auseinandersetzung mit diesen begründen (st.Rspr., vgl. BGHR, § 261 StPO, Sachverständiger 1/Darstellungsmangel m.w.N.).


Entscheidung

BGH 3 StR 180/01 - Beschluß v. 6. Juni 2001 (LG Wuppertal)

Unzulässige Führung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten; Absoluter Revisionsgrund; Entfernung des Angeklagten während einer Vernehmung und gleichzeitige richterliche Augenscheinsnahme; Verwertung ohne Wiederholung

§ 338 Nr. 5 StPO; § 247 StPO

1. § 247 StPO gestattet es jedoch nur, den Angeklagten während einer Vernehmung zu entfernen. Die Einnahme eines richterlichen Augenscheins während der Abwesenheit des Angeklagten ist - zumindest soweit es sich nicht um einen Augenschein am Körper des Zeugen selbst handelt (BGHR StPO, § 338 Nr. 5, Angeklagter 11) - durch die Vorschrift nicht gedeckt (BGHR StPO, § 338 Nr. 5, Angeklagter 12).

2. Bei der förmlichen Augenscheinseinnahme der Lichtbilder der Verletzungen einer Zeugin handelt es sich um einen Teil der Beweisaufnahme und damit um einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung. Die Verwertung eines so erhobenen Augenscheinsbeweises ist nur dann statthaft, wenn die Augenscheinseinnahme in Anwesenheit des Angeklagten (und auch im übrigen fehlerfrei) wiederholt wird und damit der Beweisgegenstand als solcher ordnungsgemäß in die Verhandlung eingeführt wird (BGHR aaO).


Entscheidung

BGH 3 StR 462/00 - Beschluß v. 22. Mai 2001 (LG Düsseldorf)

Beweiskraft des Sitzungsprotokolls bezüglich der Anwesenheit eines notwendigen Verfahrensbeteiligten (hier: Dolmetscher); Wegfall der Beweiskraft des Sitzungsprotokolls; Rechtsmißbräuchlichkeit bei Erhebung einer Verfahrensrüge wider besseren Wissens

§ 274 StPO

1. Im Hinblick auf den Grundsatz der Einheitlichkeit des Sitzungsprotokolls müssen nach einer Unterbrechung der Hauptverhandlung die nach §§ 272 Nr. 2 und 4, 273 Abs. 1 StPO vorgeschriebenen Angaben über die Namen der dort im einzelnen bezeichneten Verfahrensbeteiligten in der Sitzungsniederschrift auch dann nicht wiederholt werden, wenn der Fortsetzungstermin auf einen anderen Tag fällt, und daher das Schweigen des Protokolls über die fortgesetzte Hauptverhandlung selbst dann keinen Beweis für die Abwesenheit einer dieser Personen begründet, wenn überflüssigerweise die Anwesenheit anderer Verfahrensbeteiligter ausdrücklich erneut vermerkt oder in Niederschriften zu anderen Fortsetzungsterminen alle Verfahrensbeteiligten vollständig aufgeführt werden (BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985, 16 Nr. 26).

2. Dies bedeutet indessen nicht, daß in derartigen Fällen durch das Protokoll stets die Anwesenheit eines an einem Fortsetzungstermin nicht genannten Verfahrensbeteiligten bewiesen wäre. Vielmehr kann bereits die unterschiedliche Handhabung bei der Protokollierung der Namen der anwesenden Verfahrensbeteiligten in verschiedenen Fortsetzungsterminen eine offensichtliche Unklarheit begründen, die zum Wegfall der Beweiskraft der Sitzungsniederschrift nach § 274 Satz 1 StPO führt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich aus der Niederschrift der über mehrere Fortsetzungstermine geführten Hauptverhandlung ergibt, daß in der Person eines notwendigen Verfahrensbeteiligten ein mehrfacher Wechsel stattfand. In diesem Fall läßt sich aus dem einheitlichen Sitzungsprotokoll nicht entnehmen, welche Person die Funktion des notwendigen Verfahrensbeteiligten an dem Tag bekleidete, an dem das Protokoll zur Anwesenheit dieses Beteiligten schweigt.


Entscheidung

BGH 5 StR 45/01 - Beschluß v. 12. Juni 2001 (LG Berlin)

Unzulässige Revision der Nebenklage; Verwerfung der Revision des Angeklagten als unbegründet

§ 400 Abs. 1 StPO; § 349 Abs. 2 StPO

Die Nebenklage kann das Urteil nicht anfechten, um einen erweiterten Schuldumfang durch Annahme weiterer Mordmerkmale oder die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld im Sinne des § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu erreichen.


Entscheidung

BGH 3 StR 333/01 - Beschluß vom 13. September 2001 (LG Verden)

Verminderte Steuerungsfähigkeit; Faires Verfahren; Zeugen; Vereidigung; Beruhen; Glaubwürdigkeit; Polizeiliche Protokolle; Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus; Überzeugungsbildung und Sachverständiger (Darlegungsmangel bei Abweichung vom Gutachten)

§ 21 StGB; § 20 StGB; § 60 StPO; Vor § 1 StPO; Art. 20 Abs. 3 GG; § 337 StPO; § 63 StGB; § 261 StPO

1. Die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn positiv feststeht, daß die Schuldfähigkeit des Angeklagten im Tatzeitpunkt zumindest erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB war (BGHSt 34, 22, 26 f.; 42, 385, 386).

2. Das Gericht ist nicht gehindert, von dem Gutachten eines vernommenen Sachverständigen abzuweichen, da dieses stets nur Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein kann (BGHR StPO § 261 Sachverständiger 5). Insbesondere kann ihm das erstattete Gutachten die erforderliche Sachkunde verschafft haben, um die zu klärende Beweisfrage eigenständig und auch im Gegensatz zum Sachverständigen zu beantworten (BGH NStZ 1984, 467). Will es jedoch eine Frage, für deren Beantwortung es sachverständige Hilfe erforderlich gehalten hat, im Widerspruch zu dem Gutachten beantworten, muß es die Gründe hierfür in einer Weise darlegen, die dem Revisionsgericht die Nachprüfung erlaubt, ob es das Gutachten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat. Hierzu bedarf es einer erschöpfenden Auseinandersetzung mit den Darlegungen des Sachverständigen, insbesondere zu den Gesichtspunkten, auf welche das Gericht seine abweichende Auffassung stützt (BGHR StPO § 261 Sachverständiger 1 und 5; BGH NStZ-RR 1997, 172).