HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2001
2. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht

1. Schwerpunkt Allgemeiner Teil des StGB


Entscheidung

BGH 5 StR 454/00 - Urteil v. 15. März 2001 (LG München I)

BGHSt; Geschäftsführer einer GmbH; Gesellschafter; Rotes Kreuz; Körperschaft des öffentlichen Rechts; Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB; Besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung von Amts wegen; Ablauf der Strafantragsfrist; Umwandlung eines absoluten in ein relatives Antragsdelikt; Steuerhinterziehung; Bestechlichkeit; Schaden bei Angestelltenbestechlichkeit; Untreue; Geltung des Zweifelsgrundsatzes bei der Verjährung; Strafzumessung und Öffentlichkeit; Rückwirkungsverbot; Vertrauensgrundsatz (Rechtsstaatsprinzip)

Art. 103 Abs. 2 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 301 StGB; § 12 Abs. 2 UWG; § 370 AO; § 332 StGB; § 266 StGB; § 46 Abs. 2 StGB

1. Der Geschäftsführer einer GmbH, deren einziger Gesellschafter das Bayerische Rote Kreuz als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, ist kein Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB. (BGHSt)

2. Die Staatsanwaltschaft kann das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung von Amts wegen noch bejahen, wenn nach Ablauf der Strafantragsfrist das absolute in ein relatives Antragsdelikt umgewandelt wird (§ 12 Abs. 2, § 22 Abs. 1 UWG aF; § 299 Abs. 1, § 301 Abs. 1 StGB). (BGHSt)

3. Auch für eine Amtsträgerstellung nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB muß die Tätigkeit der Privatrechtssubjekte Merkmale aufweisen, die ihre Gleichstellung mit behördlichem Handeln rechtfertigen könnten (vgl. BGHSt 43, 370). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie bei ihrer Tätigkeit öffentliche Aufgaben wahrnehmen und dabei staatlicher Steuerung unterliegen, weshalb sie bei einer Gesamtbetrachtung als verlängerter Arm des Staates erscheinen (BGHSt 43, 370; 45, 16). (Bearbeiter)

4. Es müssen zwei Voraussetzungen gegeben sein, um dem Amtsträgerbegriff nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB zu genügen: Einmal muß organisatorisch eine Anbindung an eine Behörde vorhanden sein. Dies kann durch eine längerfristige vertragliche Bindung oder durch einen (auch formfrei möglichen) Bestellungsakt erfolgen. Entscheidend ist, daß für den Normadressaten deutlich wird, daß mit dem Auftrag besondere Verhaltenspflichten verbunden sind (BGHSt 43, 96, 101 ff.). Zum anderen muß die Tätigkeit auch inhaltlich Elemente aufweisen, die sie mit behördlicher Tätigkeit vergleichbar macht (BGHSt 45, 16). Regelmäßig wird dabei nur die Erfüllung solcher Aufgaben in Betracht gezogen werden können, die ihrer Natur nach typischerweise dem Staat vorbehalten sind. (Bearbeiter)

5. Die Rechtsaufsicht kann nicht als Lenkung durch den Staat oder seine Behörden verstanden werden, was wiederum nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB Voraussetzung für die Gleichstellung mit staatlicher Tätigkeit wäre. (Bearbeiter)

6. Nicht jede Schmiergeldzahlung an einen Angestellten muß sich zwangsläufig bei dessen Arbeitgeber als Schaden auswirken (vgl. BGH NStZ 1995, 233, 234). (Bearbeiter)

7. Die Vermögensbetreuungspflicht des Angeklagten muß sich auf die nicht abgeführten Zahlungen beziehen. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 1 StR 48/01 - Beschluß v. 21. März 2001 (LG Ellwangen)

Notwehrlage; Fahrlässige Verletzung des Angreifers; Erforderlichkeit; Vermeidbarkeit; Pflichtwidrigkeitszusammenhang; Grenzen der Notwehr und der strafbefreienden Notwehrüberschreitung bei einem Angriff auf die Person nach gewaltsamem nächtlichem Eindringen in die Wohnung des Verteidigers (Einsatz einer lediglich mit einer Patrone geladenen Schußwaffe als Abwehrmittel); Zweifelssatz; Angst; Schrecken; Furcht; Affekt

§ 32 StGB; § 33 StGB; § 222 StGB

1. Kommt bei objektiv gegebener Notwehrlage der Angreifer durch Fahrlässigkeit des Abwehrenden zu Schaden, so ist in den Grenzen dessen, was als Abwehrhandlung objektiv erforderlich gewesen wäre, die Herbeiführung eines deliktischen Erfolges auch dann gerechtfertigt, wenn er konkret vom Abwehrenden nicht gewollt war und bei Anwendung der ihm möglichen Sorgfalt hätte vermieden werden können. (BGHR)

2. Zu den Grenzen der Notwehr und der strafbefreienden Notwehrüberschreitung bei einem Angriff auf die Person nach gewaltsamem nächtlichem Eindringen in die Wohnung des Verteidigers und beim Einsatz einer lediglich mit einer Patrone geladenen Schußwaffe als Abwehrmittel. (BGHR)

3. Der lebensgefährliche Einsatz einer Schußwaffe kann nur das letzte Mittel der Verteidigung sein. Grundsätzlich muß der Verteidiger - wenn eine bloß verbale Androhung von vornherein aussichtslos erscheint - vor dem tödlichen Schuß einen weniger gefährlichen Waffeneinsatz wie etwa einen ungezielten Warnschuß versuchen. Jedoch gilt auch für die Verwendung einer Schußwaffe, selbst einer solchen, die vom Angeklagten ohne waffenrechtliche Erlaubnis eingesetzt wird, der allgemeine notwehrrechtliche Grundsatz, daß der Verteidiger berechtigt ist, dasjenige Abwehrmittel zu wählen, das er zur Hand hat und das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet; unter mehreren Abwehrmöglichkeiten ist er auf die für den Angreifer, minder einschneidenden nur dann verwiesen, wenn ihm Zeit zur Auswahl sowie zur Abschätzung der Gefährlichkeit zur Verfügung steht und die für den Angreifer weniger gefährliche Abwehr geeignet ist, die Gefahr zweifelsfrei und sofort endgültig auszuräumen. Ein nicht bloß geringes Risiko, daß das mildere Mittel fehlschlägt und dann keine Gelegenheit für den Einsatz des stärkeren bleibt, braucht der Verteidiger zur Schonung des rechtswidrig Angreifenden nicht einzugehen. (Bearbeiter)

4. Ist dem Angreifer die Existenz einer dem Verteidiger zur Verfügung stehenden Waffe unbekannt, muß je nach Lage vom Verteidiger regelmäßig verlangt werden, daß er die Verwendung der Waffe androht, ehe er sie lebensgefährlich einsetzt (vgl. nur BGHSt 26, 143, 146; 26, 256, 258). Dabei kann je nach den Umständen eine konkludente Drohung ausreichend sein. (Bearbeiter)

5. Stand dem Angegriffenen für die Abgabe eines erforderlichen Schusses nur eine einzige Patrone zur Verfügung, kann dies unter Umständen (akute Gefahrenlage) dazu führen, daß sich der Angegriffene nicht auf die Abgabe eines Schusses etwa auf die Beine des Angreifers beschränken mußte. (Bearbeiter)

6. Zwischen dem Schwiegersohn und der Schwiegermutter (und deren Lebensgefährten) besteht grundsätzlich kein zu erhöhter Rücksichtnahme in der gegebenen Lage verpflichtendes persönliches Näheverhältnis. (Bearbeiter)

7. Die Begrenzung des Notwehrrechts im Näheverhältnis kann unanwendbar sein, weil der Angriff nach gewaltsamem Eindringen in die Wohnung als besonders schutzwürdigen Bereich erfolgte. (Bearbeiter)

8. Für die Annahme einer strafbefreienden Notwehrüberschreitung ist nicht schon jedes Angstgefühl als Furcht im Sinne des § 33 StGB zu beurteilen; vielmehr muß durch das Gefühl des Bedrohtseins die Fähigkeit, das Geschehen zu verarbeiten und ihm angemessen zu begegnen erheblich reduziert sein (vgl. BGHR StGB § 33 Furcht 2, 4). Der Affekt muß nicht die alleinige oder auch nur überwiegende Ursache für die etwaige Überschreitung der Notwehrgrenzen gewesen sein; es genügt, daß er - neben anderen gefühlsmäßigen Regungen - für die Notwehrüberschreitung mitursächlich war. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 5 StR 12/01 - Beschluß v. 25. April 2001 (LG Chemnitz)

Tötungsvorsatz (Feststellungsvoraussetzungen); Totschlag; Mord; Besondere Schwere der Schuld; Überzeugungsbildung; Durchentscheidung; Verlesung von Protokollen polizeilicher Beschuldigtenvernehmungen; Verwirkung einer Verfahrensrüge; Dolus generalis; Irrtum über den Kausalverlauf

§ 212 StGB; § 211 StGB; § 15 StGB; § 16 StGB; § 57a StGB; § 57b StGB; § 354 StPO; § 254 StPO

Ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß der Angeklagte sein Opfer bereits zuvor leichtfertig tötete und anschließend an dem möglicherweise schon gestorbenen Opfer einen versuchten Mord zur Verdeckung seiner vorangegangenen Straftaten beging, so ist die Rechtsfigur der unerheblichen Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf nicht anwendbar, weil die erste und tödliche Handlung nicht von einem festgestellten Tötungsvorsatz des Angeklagten gedeckt war.

2. Schwerpunkt Besonderer Teil des StGB


Entscheidung

BGH 4 StR 439/00 - Urteil v. 26. April 2001 (LG Bochum)

BGHSt; Täuschungshandlung (durch Angebotsschreiben in Form einer Rechnung); Todesanzeigen im Internet; Betrug; Konkludente Täuschung (Miterklärung nach der Verkehrsanschauung); Insertionsofferten: Äußerlich verkehrsgerechtes Verhalten; Bedingter Vorsatz; Wissentlichkeit (direkter Vorsatz); Angebot an im geschäftlichen Verkehr erfahrene Adressaten; Vermögensschaden und vermeintlicher Vertragsschluß (bzw. Anfechtbarkeit)

§ 263 Abs. 1 StGB; § 15 StGB

1. Wer Angebotsschreiben planmäßig durch Verwendung typischer Rechnungsmerkmale (insbesondere durch die hervorgehobene Angabe einer Zahlungsfrist) so abfaßt, daß der Eindruck einer Zahlungspflicht entsteht, dem gegenüber die - kleingedruckten - Hinweise auf den Angebotscharakter völlig in den Hintergrund treten, begeht eine (versuchte) Täuschung im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB. (BGHSt)

2. Täuschung ist bezüglich § 263 StGB jedes Verhalten, das objektiv irreführt oder einen Irrtum unterhält und damit auf die Vorstellung eines anderen einwirkt. Als Tatsache in Sinne des Betruges ist nicht nur das tatsächlich, sondern auch das angeblich Geschehene oder Bestehende anzusehen, sofern ihm das Merkmal der objektiven Bestimmtheit und Gewißheit eigen ist. (Bearbeiter)

3. Es ist allgemein anerkannt, daß außer der ausdrücklichen Begehung, namentlich durch bewußt unwahre Behauptungen, die Täuschung auch konkludent erfolgen kann, nämlich durch irreführendes Verhalten, das nach der Verkehrsanschauung als stillschweigende Erklärung zu verstehen ist. Davon ist auszugehen, wenn der Täter die Unwahrheit zwar nicht expressis verbis zum Ausdruck bringt, sie aber nach der Verkehrsanschauung durch sein Verhalten miterklärt. (Bearbeiter)

4. Es gehört nicht zum vom Betrugstatbestand geschützten Rechtsgut, sorglose Menschen gegen die Folgen ihrer eigenen Sorglosigkeit zu schützen (BGHSt 3, 99, 103); das Merkmal der Täuschung im strafrechtlichen Sinne ist deshalb nicht schon ohne weiteres dadurch erfüllt, daß die Empfänger der Schreiben die "Insertionsofferte" mißverstehen konnten und dies dem Angeklagten bewußt war. Die Täuschung stellt nach der Tatbestandsstruktur des § 263 Abs. 1 StGB die eigentliche deliktische Handlung dar, die ihrerseits Bedingung für einen darauf beruhenden Irrtum ist. Dies schließt aus, die Täuschung bereits aus einem Irrtum als solchem herzuleiten. (Bearbeiter)

5. Die bloße Hoffnung des Täters auf einen - zur Vermögensschädigung führenden - Irrtum beim Tatopfer mag zwar sozialethisch verwerflich sein; dennoch wird aus einer solchen Hoffnung oder Erwartung deshalb noch keine Täuschungshandlung. Vielmehr setzt die Annahme einer Täuschung eine Einwirkung auf die Vorstellung des Getäuschten voraus, nämlich ein Verhalten des Täters, das objektiv geeignet und subjektiv bestimmt ist beim Adressaten eine Fehlvorstellung über tatsächliche Umstände hervorzurufen. (Bearbeiter)

6. Zur tatbestandlichen Täuschung wird ein Verhalten hierbei dann, wenn der Täter die Eignung der - inhaltlich richtigen - Erklärung, einen Irrtum hervorzurufen, planmäßig einsetzt und damit unter dem Anschein "äußerlich verkehrsgerechten Verhaltens" gezielt die Schädigung des Adressaten verfolgt, wenn also die Irrtumserregung nicht die bloße Folge, sondern der Zweck der Handlung ist. Insoweit genügt allerdings nicht bedingter Vorsatz; vielmehr ergibt sich schon aus dem Erfordernis planmäßigen Verhaltens, daß die Annahme der Täuschung in diesen Fällen auf seiten des Täters ein Handeln mit direktem Vorsatz voraussetzt. (Bearbeiter)

7. Daß sich der Angebotscharakter der Schreiben bei genauem Hinsehen aus den beigefügten Allgemeinen Geschäftsbedingungen ergab, beseitigt unter diesen Umständen die - für den (angestrebten) Irrtum kausale tatbestandliche Täuschung nicht. (Bearbeiter)

8. Die Rechtsprechung stellt für die Annahme einer objektiven Täuschung auch auf die auf Seiten des Erklärungsadressaten zu erwartende - typisierte - Sorgfaltspflicht ab. Hierfür kann nicht die je individuelle psychische Situation des Adressaten ausschlaggebend sein kann, doch ist die von dem Angeklagten veranlaßten Täuschung mit der typischerweise durch den Trauerfall bei den Betroffenen ausgelösten mangelnden Aufmerksamkeit in geschäftlichen Dingen zu beachten. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 2 StR 356/00 - Beschluß v. 4. April 2001 (LG Frankfurt/Main)

Konkurrenzverhältnis zwischen Bodenverunreinigung und umweltgefährdender Abfallbeseitigung; Tateinheit; Gesetzeskonkurrenz

§§ 324a; 326 Abs.1 Nr. 4 StGB

Zu einem Einzelfall der Gesetzeskonkurrenz zwischen § 326 Abs. 1 Nr. 4 StGB und § 324 a StGB (Einbringen der gewässergefährdenden Abfälle in den Boden).


Entscheidung

BGH 4 StR 30/01 - Urteil v. 26. April 2001 (LG Schwerin)

Tötungen an der DDR-Grenze; Totschlag; Beihilfe; Grenztruppen; Befehle 101, 80, 20; Versuch; Unvermeidbarer Verbotsirrtum; Mineneinsatz (Rechtswidrigkeit auch gegenüber Grenzübertritten aus der BRD); Menschenrechte

§ 212 StGB; § 27 StGB; § 22 StGB; § 17 S. 1 StGB

1. Die Staatspraxis der DDR, die die vorsätzliche Tötung von Flüchtlingen durch Schußwaffen, Selbstschußanlagen oder Minen zur Vermeidung einer Flucht aus der DDR in Kauf nahm, war wegen offensichtlichen, unerträglichen Verstoßes gegen elementare Gebote der Gerechtigkeit und gegen völkerrechtlich geschützte Menschenrechte nicht geeignet, die Täter zu rechtfertigen (vgl. BGHSt 40, 218, 232). Dies gilt in besonderem Maße für den Einsatz von Splitterminen zur bloßen Durchsetzung des Verbots, die innerdeutsche Grenze ohne besondere Erlaubnis zu überschreiten (BGHSt 44, 204, 209). Der regelmäßig verheerend wirkende unkontrollierbare Einsatz solcher blinder Tötungsautomaten ist eklatant menschenrechtswidrig (BGH aaO).

2. Wegen der Offensichtlichkeit der Rechtswidrigkeit scheidet ein Schuldausschluß aus, wenn nicht im Einzelfall ganz besondere Umstände gegen eine Erkennbarkeit des Strafrechtsverstoßes für den Täter sprechen (vgl. auch BVerfGE 95, 96, 142, 143). Die "doktrinäre Einbindung in die - alle gesellschaftlichen Bereiche beherrschende - Ideologie der führenden Partei" stellt keine Besonderheit, sondern für Straftaten der hier gegebenen Art den Regelfall dar. Es bedarf daher besonderer Darlegung, warum ein Angeklagter bei dieser Sachlage (unkontrollierter Einsatz von Splitterminen), in der auch für einen indoktrinierten Menschen der Verstoß gegen das elementare Tötungsverbot augenfällig war, nicht durch Nachdenken zu einer Unrechtseinsicht hätten gelangen können.

3. Wenn Personen von der Bundesrepublik Deutschland aus das Staatsgebiet der DDR unbewaffnet und ohne Gefährdung allgemein anerkannter Rechtsgüter betreten wollten, ist der Einsatz unkontrolliert wirkender Erdminen zur bloßen Durchsetzung des Verbots, die innerdeutsche Grenze in Richtung auf das Staatsgebiet der DDR ohne die hierfür erforderliche Erlaubnis zu überschreiten als rechtswidrig zu qualifizieren. Dem richtig ausgelegten Recht der DDR (vgl. hierzu BGHSt 39, 1, 26, 29; 41, 101) kann ein Rechtfertigungsgrund hierfür nicht entnommen werden. Auch insoweit gilt, daß der regelmäßig verheerend wirkende und nicht kontrollierbare Einsatz von Minen an der innerdeutschen Grenze von vornherein eklatant menschenrechtswidrig war.


Entscheidung

BGH 4 StR 33/01 - Beschluß v. 20. März 2001 (LG Osnabrück)

Ähnlicher gefährlicher Eingriff; Hindernisbereiten; Erheblichkeit des Eingriffs; Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr; Konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen oder von fremden Sachen von besonderem Wert: Pervertierungsabsicht

§ 315 b Abs. 1 StGB

Ein Hindernisbereiten im Sinne des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB setzt nach ständiger Rechtsprechung eine grobe Einwirkung von einigem Gewicht voraus (vgl. BGHSt 41, 231, 237 m.w.N.).


Entscheidung

BGH 1 StR 582/00 - Urteil v. 4. April 2001 (LG München I)

Untreue (Nichtherausgabe erlangter personengebundener Vorteile); Subventionsbetrug; Provisionsabgabeverbot; Grundsatz der erschöpfenden Erledigung der zugelassenen Anklage; Vermögensnachteil; Treuepflichten und schlichte Schuldnerpflichten; Untreue durch Unterlassen (Pflichtwidrigkeit); Revisibilität der Strafzumessung (Uneigennütziges Vorgehen vs. Generalprävention); Handlungsunwert

§ 266 StGB; § 264 StGB; § 81 Abs. 2 Satz 3 VAG; § 667 BGB; § 261 StPO; § 46 StGB; § 337 StPO

1. Die Nichtherausgabe erlangter personengebundener Vorteile an den Arbeitgeber oder Dienstherrn, deren Gewährung diesen nicht schlechter stellt, begründet grundsätzlich keine Strafbarkeit nach § 266 StGB.

2. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, daß eine vertragliche Beziehung, die sich insgesamt als Treueverhältnis im Sinne des § 266 StGB darstellt, durchaus Verpflichtungen enthalten kann, deren Einhaltung vom Untreuetatbestand nicht geschützt ist. Die Herausgabepflicht nach § 667 BGB kann unter gegebenen Umständen eine schlichte Schuldnerpflicht sein, die nicht von der spezifischen Treuepflicht umfaßt ist.

3. Von einem Treubruch durch pflichtwidriges Unterlassen kann dann nicht die Rede sein, wenn die Realisierung eines für den Dienstherren wirtschaftlich günstigen Geschäfts im Widerspruch zur Rechtsordnung gestanden hätte (vgl. BGH bei Holtz MDR 1979, 456).

4. Die Strafzumessung ist Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von Tat und Täterpersönlichkeit gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn ein Rechtsfehler vorliegt (§ 337 Abs. 1 StPO). Das ist namentlich der Fall, wenn der Tatrichter fehlerhafte Erwägungen angestellt hat oder wenn erforderliche Erwägungen oder Wertungen unterblieben sind und das Urteil auf dem Mangel beruhen kann oder wenn sich die verhängte Strafe nicht im Rahmen des Schuldangemessenen hält. Eine ins einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen. Die revisionsrichterliche Überprüfung der Strafzumessung hat sich am sachlichen Gehalt der Ausführungen des Tatgerichts, nicht an dessen Formulierungen zu orientieren (so u.a. BGHSt 34, 345, 349). Dabei ist schließlich zu bedenken, daß der Tatrichter in den Urteilsgründen lediglich die für die Zumessung der Strafe bestimmenden Umstände anführen muß (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO).

5. Uneigennütziges Vorgehen des Täters mindert den Handlungsunwert.


Entscheidung

BGH 3 StR 46/01 - Beschluß v. 29. März 2001 (LG Hannover)

Versuch; Versuchte Erfolgsqualifizierung; Schwerer Raub; Raub mit Todesfolge; Gewalt nach Vollendung der Wegnahme; Erfolgsqualifizierter Versuch

§ 251 StGB; § 22 StGB; § 23 StGB

1. Auch bei § 251 StGB ist der Versuch in Form der "versuchten Erfolgsqualifizierung" möglich (im Anschluß an BGHSt 21, 194). (BGHR)

2. Für die Anwendbarkeit des § 251 StGB ist es ohne Bedeutung, daß die mit bedingtem Tötungsvorsatz ausgeführten Schläge teilweise und die Tritte vollständig erst nach der Vollendung der Wegnahmehandlung erfolgt sind, denn der Tatbestand des Raubes mit Todesfolge kann auch verwirklicht sein, wenn der Räuber Gewalt gegen eine Person nach Vollendung des noch nicht beendeten Raubes anwendet (BGHSt 38, 295). Wesentlich ist, daß sich hierin die einem Raub eigentümliche besondere Gefährlichkeit verwirklicht hat, was die Annahme eines Zusammenhangs zwischen Raub und Todesfolge im Sinne des § 251 StGB rechtfertigt (vgl. BGHR StGB § 251 Todesfolge 3, 4 m.w.Nachw.). (Bearbeiter)

3. § 251 StGB ist ein erfolgsqualifiziertes Delikt, dessen Versuch nicht nur in der Form begangen werden kann, daß der Täter durch eine in finaler Verknüpfung mit der Wegname stehende räuberische Nötigungshandlung den Tod des Opfers verursacht, es aber nicht zur Vollendung der Wegnahme kommt - sog. erfolgsqualifizierter Versuch -, sondern auch dadurch, daß der Einsatz der i.S.d. § 249 StGB tatbestandsmäßigen Gewalt zugleich (bedingt) vorsätzlich vorgenommene Tötungshandlung ist, die aber den qualifizierenden Erfolg nicht bewirkt - sog. versuchte Erfolgsqualifizierung. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 3 StR 503/00 - Urteil v. 11. April 2001 (LG Mönchengladbach)

Begriff des "materiellen Vorteils" bei der Bestechlichkeit (Vorliegen eines objektiv unwirtschaftlichen Leistungsverhältnisses)

§ 332 Abs. 1 StGB

Ein Amtsträger, der sich im Rahmen von Vertragsverhandlungen für eine pflichtwidrige Diensthandlung einen Preisnachlaß auf den von dem Bestechenden geforderten Preis zusagen läßt, läßt sich einen zur Vollendung der Bestechlichkeit führenden materiellen Vorteil versprechen. Dies gilt auch für den Fall, daß die von dem Bestechenden zu erbringende Gesamtleistung für den Amtsträger trotz des vereinbarten Rabatts tatsächlich nicht wirtschaftlich vorteilhaft ist, etwa weil der Preis, auf den der Rabatt gewährt wird, überhöht war. (BGH)


Entscheidung

BGH 1 StR 590/00 - Beschluß v. 8. März 2001 (LG Traunstein)

Freiheitsberaubung; Begriff des Einsperrens (Überwindbarkeit)

§ 239 StGB

Eine Einsperrung im Sinne des § 239 Abs. 1 StGB muß nicht unüberwindlich sein. Es genügt, daß die Benutzung der zum regelmäßigen Ausgang bestimmten Vorrichtungen für den Zurückgehaltenen ausgeschlossen erscheint. Dazu kann es ausreichen, daß für ihn unter den gegebenen Umständen die Entfernung auf außergewöhnlichem Wege oder mit ungewöhnlichen Mitteln nicht in Betracht kommt.


Entscheidung

BGH 1 StR 32/01 - Urteil v. 21. März 2001 (LG Traunstein)

Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung (erforderliche eigene sexuelle Handlung); Mittäterschaft; Von mehreren gemeinschaftlich begangen; Widerlegung der Indizwirkung eines Regelbeispiels; Geringe Tatintensität; Strafzumessung; Aufeinandertreffen von mehreren Regelbeispielen; Verminderte Schuldfähigkeit

§ 177 StGB; § 46 StGB; § 21 StGB

1. Die in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB genannte "Tat, die von mehreren gemeinschaftlich begangen wird" ist nicht das in Nr. 1 angeführte Vollziehen des Beischlafs oder die Vornahme ähnlicher sexueller Handlungen; es genügt die gemeinschaftliche Begehung einer im Grundtatbestand des § 177 Abs. 1 StGB genannten Handlung.

2. Zur Erfüllung des Regelbeispiels des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB ist nicht erforderlich, daß alle Mittäter selbst sexuelle Handlungen am Tatopfer vornehmen oder an sich vornehmen lassen. Der gesteigerte Unrechtsgehalt dieses Regelbeispiels liegt in der verminderten Verteidigungsmöglichkeit des Opfers, das sich mehreren Angreifern gegenüber sieht, und in der erhöhten Gefährlichkeit sich gegenseitig stimulierender Täter.

3. Grundsätzlich kann zwar auch die geringe Intensität einer Tathandlung - trotz der Regelwirkung des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB - gegen die Annahme eines besonders schweren Falles sprechen. Es ist in diesem Zusammenhang aber nicht tragfähig, dazu auf das Fehlen von Verletzungsspuren beim Opfer abzustellen.

4. Rauschgiftwirkungen können nur ausnahmsweise eine erhebliche Minderung der Schuldfähigkeit begründen, etwa bei schwersten Persönlichkeitsveränderungen infolge langjährigen Rauschgiftmißbrauchs, bei Beschaffungsdelikten unter starken Entzugserscheinungen und je nach den Umständen des Einzelfalls auch bei einem akuten Drogenrausch (st. Rspr).

5. Ob eine Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit "erheblich" im Sinne des § 21 StGB ist, ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beantworten hat. Hierbei fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung auch an einen berauschten Täter stellt (vgl. BGHSt 43, 66, 77). Diese Anforderungen sind um so höher, je schwerwiegender das in Rede stehende Delikt ist.

6. Die gleichzeitige Erfüllung mehrerer Regelbeispiele eines besonders schweren Falls wirkt sich jedenfalls dann strafschärfend aus, wenn hieraus auf eine erhöhte Vorwerfbarkeit zu schließen ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn, der Unrechtskern des einen erfüllten Regelbeispiels nicht in innerem Zusammenhang mit dem Unrechtskern des darüber hinaus weiter erfüllten Regelbeispiels steht.