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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 492

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 286/24, Urteil v. 27.11.2024, HRRS 2025 Nr. 492


BGH 6 StR 286/24 - Urteil vom 27. November 2024 (LG Rostock)

Vergewaltigung; schwerer sexueller Missbrauch von Kindern; Beweiswürdigung („Aussage-gegen-Aussage“-Konstellation); Revisionsbeschränkung (Strafausspruch: Gesamtstrafenbildung); Rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, Kompensationsentscheidung (Ermittlung von Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursachen, konkrete Feststellungen im Urteil).

§ 177 StGB; § 176 StGB; § 176c StGB; § 261 StPO; § 344 Abs. 1 StPO; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 5. Oktober 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbenannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) im Strafausspruch und

b) im Ausspruch über die Kompensation überlanger Verfahrensdauer.

3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in sechs Fällen, in zwei Fällen tateinheitlich begangen mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern, davon in einem Fall wiederum in Tateinheit mit sexueller Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und hiervon sechs Monate als Kompensation für eine überlange Verfahrensdauer als vollstreckt erklärt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen wie sachlichen Rechts gestützten Revision. Die Staatsanwaltschaft hat ihre auf die Sachrüge gestützte - vom Generalbundesanwalt vertretene - Revision beschränkt auf den Gesamtstrafenausspruch und die Kompensationsentscheidung.

I.

1. Nach den Feststellungen der Jugendkammer waren der Angeklagte und die drei Geschädigten im Tatzeitraum miteinander befreundet und gehörten einer Clique an, die sich häufig traf. Im Tatzeitraum kam es zum Nachteil der Geschädigten zu insgesamt sechs sexuellen Übergriffen des Angeklagten:

An einem Abend im Oktober 2020 versuchte der Angeklagte mehrfach vergeblich, in die Hose der zur Tatzeit 15-jährigen Zeugin S. zu fassen. Schließlich schob er seine Hand „ruckartig“ tief in ihre Hose und führte einen Finger kurz in ihre Vagina ein, obgleich er wusste, dass sie dies nicht wollte (Fall II.1 der Urteilsgründe).

Entweder Ende Dezember 2020 oder Anfang Januar 2021 lud der Angeklagte die 12-jährige Nebenklägerin B., mit der er eine Beziehung führte, zu sich nach Hause ein. Nachdem sie diese Einladung abgelehnt hatte, wies der Angeklagte sie „bedrohlich darauf hin“, dass er Nacktbilder von ihr besitze. Aus Angst vor einer Veröffentlichung dieser Bilder begab sich die Nebenklägerin zur Wohnung des Angeklagten, ließ zu, dass er sie küsste, und lehnte es ab, sich zu entkleiden. Nunmehr führte er einen Finger in ihre Vagina ein und vollzog anschließend mit der Hand der Nebenklägerin Masturbationsbewegungen an seinem Penis bis zum Samenerguss (Fall II.2 der Urteilsgründe). Bei einer Begegnung im Februar 2021 küsste der Angeklagte die Nebenklägerin auf den Mund, „obwohl diese das nicht wollte“. Sodann öffnete er ihre Hose und führte erneut einen Finger in ihre Vagina ein. Die Geschädigte, der dies Schmerzen bereitete, riss sich von ihm los und floh (Fall II.3 der Urteilsgründe).

Der Angeklagte war in der Zeit von Mitte Dezember 2020 bis Anfang Februar 2021 mit der Nebenklägerin L. liiert; beide waren auch intim. Seinen Wunsch, den Oralverkehr an ihm zu vollziehen, lehnte sie mehrfach ab. In mindestens drei Fällen ergriff der Angeklagte den Kopf der Geschädigten und drückte ihn in Richtung seines Penis, woraufhin die Geschädigte jeweils den Oralverkehr - in einem Fall bis zum Samenerguss - vollzog. Dabei war ihm bewusst, dass sie dies nicht wollte (Fälle II.4 bis 6 der Urteilsgründe).

2. Das Landgericht hat diese vom Angeklagten bestrittenen Taten als Vergewaltigung in sechs Fällen, in zwei Fällen tateinheitlich begangen mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern, davon in einem Fall wiederum in Tateinheit mit sexueller Nötigung, gewertet; es hat auf den zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten Erwachsenenstrafrecht angewendet.

II.

Die Revision des Angeklagten ist begründet. Dabei bedarf keiner Entscheidung, ob die mit dem Urteil getroffenen Feststellungen jede der abgeurteilten sechs Vergewaltigungstaten tragfähig belegen. Denn jedenfalls hält die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand; auf die zugleich erhobenen Verfahrensbeanstandungen kommt es daher nicht an.

1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Die revisionsgerichtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob diesem hierbei Rechtsfehler unterlaufen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20 f.; Beschluss vom 18. März 2021 - 4 StR 480/20, Rn. 2 f. mwN). Das ist etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist. In Fällen, in denen - wie hier - „Aussage gegen Aussage“ steht, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen und in einer Gesamtschau gewürdigt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. November 2022 - 6 StR 281/22; vom 22. August 2023 - 6 StR 285/23, jeweils mwN). Erforderlich ist regelmäßig eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Zeugenaussagen, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Angaben (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. April 2022 - 4 StR 299/21, Rn. 8; vom 24. Januar 2023 - 6 StR 476/22, StV 2023, 364; Miebach FS Joecks, 2018, S. 133, 139 mwN) sowie die Bewertung von feststellbaren Aussagemotiven sowie von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. November 2019 - 2 StR 300/19, StV 2020, 446, 447; vom 21. November 2023 - 4 StR 352/23). Dazu bedarf es zunächst einer geschlossenen - wenn auch gerafften - Darstellung der Angaben des Belastungszeugen in den Urteilsgründen. Daran hat sich die Prüfung auf Übereinstimmungen, Widersprüche, Ergänzungen und Auslassungen anzuschließen. Erst auf Grundlage dessen ist es dem Revisionsgericht möglich zu prüfen, ob die Beweiswürdigung den bei dieser Beweislage geltenden besonderen Anforderungen entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2014 - 2 StR 92/14, NStZ-RR 2015, 52 f.; Beschlüsse vom 20. Dezember 2017 - 1 StR 408/17, StV 2019, 525; vom 28. April 2022 - 4 StR 299/21, Rn. 10 f.).

2. Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Die Beweiswürdigung ist lückenhaft.

a) Es fehlt bereits an einer Darstellung der Angaben der drei Zeuginnen im Rahmen des Strafverfahrens. Die Wiedergabe ihrer Aussagen in der Hauptverhandlung ist auf den knappen Hinweis zu den festgestellten verfahrensgegenständlichen Tatvorwürfen beschränkt. Ausführungen zu früheren Angaben fehlen gänzlich.

b) Des Weiteren mangelt es an einer Darstellung und Würdigung der Aussagegenese (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Januar 2018 - 4 StR 284/17, NStZ-RR 2018, 188, 189 mwN; vom 11. Januar 2023 - 6 StR 448/22, Rn. 6). Dieser Umstand durfte schon vor dem Hintergrund der Einlassung des Angeklagten, man habe sich bei einer Geburtstagsfeier einer der Geschädigten im März 2021 gegen ihn verschworen, nicht offen bleiben. Dies gilt zumal vor dem Hintergrund, dass sich auch zur Überzeugung des Landgerichts sämtliche Geschädigten anlässlich dieser Feier gegenseitig davon berichtet hätten, dass der Angeklagte jeweils „sexuell übergriffig“ geworden sei. Die Zeugin S. gab hierzu an, es sei dort gesagt worden, dass der Angeklagte „das“ auch bei anderen Mädchen gemacht habe. In diesem Zusammenhang wäre das Landgericht von Rechts wegen verpflichtet gewesen, insbesondere die Frage einer möglichen wechselseitigen Beeinflussung der Zeuginnen in den Blick zu nehmen.

c) Schließlich fehlt die Prüfung der Aussagekonstanz. Damit entbehrt das Urteil eines wesentlichen Elements der in dieser Beweiskonstellation gebotenen besonders sorgfältigen Aussageanalyse (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172; Beschlüsse vom 5. Juli 2022 - 4 StR 96/22, StV 2023, 368; vom 20. Februar 2024 - 6 StR 37/24, NStZ-RR 2024, 159). Die Urteilsgründe belegen etwa hinsichtlich Fall II.2, dass die Nebenklägerin B. „nicht mehr zu sagen“ vermochte, ob der Angeklagte im Zuge der Tat geäußert habe: „Wäre ich ein größeres Arschloch, würde ich dich vergewaltigen.“ 3. Das Urteil beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern (§ 337 Abs. 1 StPO) und unterliegt daher insgesamt der Aufhebung einschließlich der Kompensationsentscheidung.

III.

Die zu Ungunsten des Angeklagten geführte Revision der Staatsanwaltschaft hat im Anfechtungsumfang Erfolg.

1. Das Rechtsmittel ist wirksam beschränkt; es erfasst über den Gesamtstrafausspruch und die getroffene Kompensationsentscheidung hinaus allerdings den Strafausspruch insgesamt.

a) Die Auslegung der Revisionsbegründung ergibt hier unbeschadet des umfassenden Aufhebungsantrags zwar eindeutig, dass lediglich die Aussprüche über die Gesamtstrafe und die Kompensation für eine überlange Verfahrensdauer angegriffen werden. Den Schuldspruch oder die Bemessung der Einzelstrafen betreffende Beanstandungen werden nicht erhoben. Dem kommt hier besondere Bedeutung zu, denn die Staatsanwaltschaft ist nach Nr. 156 Abs. 2 RiStBV gehalten, keine allgemeinen Sachrügen zu erheben und Revisionen so zu begründen, dass klar ersichtlich ist, in welchen Ausführungen des angefochtenen Urteils eine Rechtsverletzung gesehen und auf welche Gründe diese Rechtsauffassung gestützt wird (vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 2002 - 1 StR 506/01).

b) Diese Beschränkung des Revisionsangriffs ist aber nicht im vollen Umfang wirksam.

aa) Eine Beschränkung der Anfechtung auf den Ausspruch über die Gesamtstrafe ist zwar grundsätzlich möglich (vgl. BGH, Urteil vom 28. März 2012 - 2 StR 16/12, NStZ-RR 2012, 288; Urteil vom 8. September 1999 - 3 StR 285/99, NStZ-RR 2000, 13, 14), denn § 54 Abs. 1 Satz 3 StGB enthält eigene, über § 46 StGB hinausgehende Bewertungsgrundsätze und erfordert einen gesonderten Strafzumessungsvorgang (vgl. BGH, Urteile vom 13. November 1997 - 4 StR 432/97, BGHR StPO § 318 Strafausspruch 2; vgl. im Einzelnen LK-StGB/ Scholze, 14. Aufl., § 54 Rn. 10 ff. mwN). Innerhalb des Strafausspruchs ist die Gesamtstrafenbildung aber nur dann einer getrennten Überprüfung und Beurteilung zugänglich, wenn bei der Bildung der Gesamtstrafe nicht auf die zur Festsetzung der Einzelstrafen niedergelegten Erwägungen Bezug genommen worden ist (BGH, Urteil vom 28. Februar 2013 - 4 StR 537/12, NStZ-RR 2013, 373; Urteil vom 8. September 1999, aaO). Danach erweist sich die Beschränkung der Revision auf den Gesamtstrafenausspruch unter den hier gegebenen Umständen als unwirksam. Das Landgericht hat bei der Bildung der Gesamtstrafe ausdrücklich auf die zu den Einzelstrafen genannten Strafzumessungsgesichtspunkte Bezug genommen.

bb) Die Revision ist wirksam auf den Strafausspruch beschränkt. Eine entsprechende Beschränkung ist ohne Weiteres zulässig (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 25. Januar 2023 - 1 StR 284/22, Rn. 9; vom 19. August 2020 - 5 StR 219/20, Rn. 13; vom 22. Februar 1996 - 1 StR 721/95 mwN; Beschluss vom 27. April 2017 - 4 StR 547/16, BGHSt 62, 155, Rn. 20) und entspricht dem Willen der Beschwerdeführerin. Auch die Beschränkung des Rechtsmittelangriffs auf die Kompensationsentscheidung ist wirksam (vgl. BGH, Urteile vom 18. Juni 2009 - 3 StR 89/09, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Beschränkung 19; vom 23. Oktober 2013 - 2 StR 392/13, NStZ-RR 2014, 21; vom 5. April 2023 - 6 StR 517/22, NStZ-RR 2023, 168).

2. Die in diesem Umfang veranlasste Nachprüfung des Urteils hat Rechtsfehler sowohl zulasten als auch zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) ergeben.

a) Die Einzelstrafaussprüche haben - eingedenk des auch insoweit beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabes (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2021 - 5 StR 545/20 mwN) - keinen Bestand.

aa) In sämtlichen Fällen hat das Landgericht dem Angeklagten eine „lange Verfahrensdauer“ zugute gebracht. Dabei ist es im rechtlichen Ausgangspunkt zwar zutreffend davon ausgegangen, dass einer überdurchschnittlich langen Verfahrensdauer eine eigenständige strafmildernde Bedeutung zukommen kann, wenn sie für den Angeklagten mit besonderen Belastungen verbunden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2015 - 2 StR 128/15, Rn. 3). Dazu sind den Urteilsgründen allerdings keine Feststellungen zu entnehmen.

bb) Im Fall II.1 der Urteilsgründe hat die Jugendkammer rechtsfehlerhaft zugunsten des Angeklagten den gesetzlichen Strafrahmen des § 177 Abs. 6 Satz 1 StGB nicht beachtet und mit der verhängten Freiheitsstrafe von neun Monaten dessen gesetzlich normierte Mindeststrafe von zwei Jahren unterschritten. Eine Prüfung, ob ein Absehen von der Regelwirkung in Betracht kommt (vgl. § 177 Abs. 6 Satz 1 StGB), hat die Jugendkammer nicht vorgenommen.

cc) Dem Landgericht sind auch Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten unterlaufen. Für die vorgenommene strafschärfende Berücksichtigung „gleich mehrerer Straftatbestände“ bieten die Urteilsgründe in den Fällen II.1 sowie II.4 bis 6 keine Grundlage; in diesen Fällen hat das Landgericht den Angeklagten allein einer Vergewaltigung schuldig gesprochen. Dies gilt gleichermaßen, soweit das Landgericht im Fall II.3 der Urteilsgründe zu Lasten des Angeklagten eingestellt hat, dass „er es nicht bei einer Handlung belassen hat“; die Feststellungen belegen nur eine sexuelle Handlung des Angeklagten.

b) Schließlich hält auch die Kompensationsentscheidung sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Auf die insoweit ebenfalls erhobene, mangels Vortrags der rügebegründenden Tatsachen allerdings unzulässige Verfahrensbeanstandung (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2008 - 2 StR 356/07, BGHR MRK § 6 Abs.1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 36) kommt es deshalb nicht an.

aa) Das Tatgericht ist verpflichtet, Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursachen zu ermitteln und im Urteil konkret festzustellen. Das Revisionsgericht muss anhand der Ausführungen in den Urteilsgründen jedenfalls im Sinne einer Schlüssigkeitsprüfung nachvollziehen können, ob die festgestellten Umstände die Annahme einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK tragen, und ob sich die Kompensationsentscheidung innerhalb des dem Tatgericht insoweit eröffneten Bewertungsspielraums hält (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 2013 ‒ 2 StR 392/13, NStZ-RR 2014, 21; Beschlüsse vom 27. April 2021 ‒ 2 StR 101/21, Rn. 17; vom 2. März 2022 - 2 StR 541/21, StV 2022, 572).

bb) Daran gemessen hat die Jugendkammer ihre Kompensationsentscheidung nicht tragfähig begründet. Den Urteilsgründen kann schon nicht entnommen werden, wann der Angeklagte von dem gegen ihn geführten Strafverfahren Kenntnis erlangte. Zudem ist nicht erkennbar, ob und welche hieraus resultierenden konkreten Belastungen für den Angeklagten das Landgericht in seine Bewertung eingestellt hat (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 12. Februar 2014 ‒ 2 StR 308/13, Rn. 31). Schließlich ist nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher Umstände es zu der Annahme gelangt ist, dass das Verfahren um mehr als eineinhalb Jahre nicht angemessen gefördert worden ist. Dies nimmt dem Senat die Möglichkeit, die Kompensationsentscheidung zu überprüfen.

c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Wegfall der Einzelstrafen entzieht der - für sich rechtsfehlerfrei gebildeten - Gesamtstrafe die Grundlage. Der Senat hebt die jeweils zugehörigen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht insbesondere hinsichtlich der Verfahrensdauer eigene, widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO). Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

IV.

Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass das neue Tatgericht, sollte es zur Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten gelangen, sorgfältiger als bislang geschehen zu prüfen haben wird, ob in den abgeurteilten Taten eine Jugendverfehlung im Sinne von § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG zu sehen ist.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 492

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede