HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2014
15. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

861. BGH 2 StR 84/14 - Beschluss vom 22. Juli 2014 (LG Kassel)

Gesamtstrafenbildung (Strafzumessung: Berücksichtigung von psychischen Schäden des Opfers)

§ 53 Abs. 1 StGB; § 54 Abs. 1 StGB; § 46 Abs. 1 StGB

Mit ihrem vollen Gewicht können psychische Schäden bei der Bemessung einzelner Strafen nur in Ansatz gebracht werden, wenn festgestellt ist, dass sie die unmittelbare Folge gerade dieser Taten sind, nicht aber in gleicher Weise auch bei der Bemessung sämtlicher anderer

Einzelstrafen. Sind die psychischen Schäden dagegen Folge aller Taten, wovon die Strafkammer hier offenbar ausgeht, so können sie dem Angeklagten nur einmal, nämlich bei der Gesamtstrafenbildung, angelastet werden (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 107 f.).


Entscheidung

889. BGH 4 StR 111/14 - Beschluss vom 16. Juni 2014 (LG Bochum)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Gefährlichkeitsprognose: zu erwartende Delikte, die eine gravierende Störung des Rechtsfriedens bedeuten, Gesamtwürdigung).

§ 63 StGB

1. Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. BGH NJW 2013, 3383, Tz. 43 mwN). Ergibt sich die Erheblichkeit drohender Taten nicht aus dem Delikt selbst, wie etwa bei Verbrechen, kommt der zu befürchtenden konkreten Ausgestaltung der Taten maßgebliche Bedeutung zu.

2. Die Gefährlichkeitsprognose im Sinne von § 63 StGB ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (vgl. BGH NStZ-RR 2012, 337). Die Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür, dass der Täter infolge seines Zustandes in Zukunft Taten von erheblicher Bedeutung begehen wird, muss der Tatrichter dabei nicht nur auf der Grundlage einer Gesamtschau der konkreten Tatumstände der Anlasstaten hinreichend darlegen; er muss auch konkrete Anhaltspunkte benennen, die die Erwartung künftiger Straftaten in ihrer jeweils für ausreichend wahrscheinlich gehaltenen Handlungsmodalität begründen (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 232).


Entscheidung

896. BGH 4 StR 183/14 - Beschluss vom 30. Juli 2014 (LG Münster)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Anforderungen an den Defektzustand; Anforderungen an die Urteilsbegründung).

§ 63 StGB; § 20 StGB; § 267 Abs. 6 StPO

1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (st. Rspr).

2. Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung.


Entscheidung

900. BGH 4 StR 228/14 - Beschluss vom 15. Juli 2014 (LG Stendal)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Vorliegen eines Defektzustands bei der Tat; Anforderung an die Urteilsbegründung bei Heranziehung eines Sachverständigen).

§ 63 StGB; § 20 StGB; § 267 Abs. 6 StPO

1. Eine Maßregel nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht (st. Rspr.).

2. Folgt der Tatrichter dabei dem Gutachten eines Sachverständigen, muss er im Urteil die tragenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen wie auch die gezogenen Schlüsse so vollständig wiedergeben, als dies zum Verständnis des Gutachtens und seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 141, 142).


Entscheidung

965. BGH 5 StR 292/14 - Beschluss vom 30. Juli 2014 (LG Saarbrücken)

Unzureichende Begründung der erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des an hebephrener Schizophrenie leidenden Angeklagten (fehlende Wiedergabe der wesentlichen Anknüpfungs- und Befundtatsachen des Gutachtens im Urteil; fehlende gesonderte Bewertung der Auswirkungen der Erkrankung auf die konkrete Tat).

§ 20 StGB; § 21 StGB

Die Annahme einer erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit im Tatzeitpunkt erfordert eine nachvollziehbare Darlegung und Begründung, in welcher Weise sich das angenommene Störungsbild – hier: eine hebephrene Schizophrenie – auf den Angeklagten und seine Handlungsmöglichkeiten in den konkreten Tatsituationen ausgewirkt hat. Die Argumentation, dass die Schizophrenie eine so schwere Erkrankung sei, dass sich jede weitere Begründung im Hinblick auf die Frage nach ihren tatauslösenden Wirkungen generell erübrigt, ist mit der heutigen Auffassung über dieses Störungsbild keinesfalls mehr vereinbar. Es muss deshalb für jede einzelne Tat festgestellt werden, ob sich der zum Tatzeitpunkt bestehende psychopathologische Zustand ursächlich auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat.


Entscheidung

936. BGH 3 StR 287/14 - Beschluss vom 8. Juli 2014 (LG Verden)

Rechtsfehlerhaftes Absehen von der Unterbringungsanordnung (Subsidiarität; Anordnung; Aussetzung der Vollstreckung; Feststellung eines Hangs trotz kurzfristiger Abstinenz); Zusammentreffen von minder schwerem Fall und vertypten Milderungsgründen.

§ 64 StGB; § 49 Abs. 1 StGB

Für die Entscheidung, ob die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen ist, ist es unerheblich, ob die von dem Beschuldigten ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit durch eine konsequente medizinische Behandlung, für die ein Betreuter bestellt ist, abgewendet werden kann. Bei den freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung gilt das Subsidiaritätsprinzip vielmehr nur für die Frage der Aussetzung der Vollstreckung, nicht aber für die Frage der Anordnung.


Entscheidung

832. BGH 1 StR 162/14 - Beschluss vom 24. Juni 2014 (LG Bayreuth)

Vorwegvollzug (Berechnung der vorweg zu vollziehenden Haftstrafe bei Bildung zweier Gesamtstrafen; Berücksichtigung eines Ausgleichs für die Erfüllung einer Bewährungsauflage); Absehen von der Anordnung des Verfalls (Faktoren der richterlichen Härtefallentscheidung).

§ 67 Abs. 2 StGB; § 55 Abs. 1 StGB, § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB, § 56f Abs. 3 StGB; § 73c Abs. 1 StGB

1. Selbst wenn wegen der Zäsurwirkung einer Vorverurteilung zwei Gesamtstrafen gebildet werden müssen, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Vorschrift über die Reihenfolge der Vollstreckung (§ 67 StGB) auf beide Strafen anzuwenden, so dass auch die Sollvorschrift des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB für beide Strafen nicht getrennt, sondern einheitlich gilt. Bei der Berechnung des Vorwegvollzugs nach § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB ist somit von der Summe beider Gesamtstrafen und der Hälfte hiervon auszugehen (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 306).

2. Der gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB vorzunehmende Ausgleich bei Erfüllung einer Bewährungsauflage ist für die Bemessung der Dauer des Vorwegvollzugs ohne Bedeutung. Nicht anders als erlittene Untersuchungshaft verringert dieser Ausgleich nicht von vornherein die Dauer des Vorwegvollzugs, vielmehr ist er auf den nach § 67 Abs. 2 StGB vorweg zu vollstreckenden Teil der Strafe anzurechnen. Diese Anrechnung obliegt allerdings nicht schon dem Tatgericht, sondern erst dem Vollstreckungsgericht.

3. Zwar trifft es zu, dass eine unbillige Härte im Sinne von § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB nicht auf die vom Gesetzgeber mit der Einführung des Bruttoprinzips beabsichtigte Konsequenz gestützt werden darf, dass Aufwendungen für ein rechtswidriges Geschäft in den Verfallsbetrag fallen. Jedoch muss der Tatrichter bei seiner Billigkeitsentscheidung gemäß § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB neben den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen insbesondere in die Abwägung einbeziehen, aus welchem Grund das Erlangte bzw. dessen Wert nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist. So können etwa das „Verprassen“ der erlangten Mittel sowie ihre Verwendung für Luxus und Vergnügen insoweit gegen die Anwendung der Härtevorschrift sprechen; ihr Verbrauch in einer Notlage für den Lebensunterhalt hingegen kann als Argument für eine entsprechende Ermessensentscheidung herangezogen werden (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 104, 105). Auch können bei dieser Entscheidung die Aufwendungen berücksichtigt werden, die mit dem Geschäft verbunden waren.


Entscheidung

869. BGH 2 StR 153/14 - Urteil vom 6. August 2014 (LG Frankfurt a.M.)

Anforderungen an die Urteilsbegründung bei Strafaussetzung zur Bewährung (erforderliche Erörterung des § 56 Abs. 3 StGB).

§ 267 Abs. 3 Satz 4 StPO; § 56 Abs. 3 StGB

Strafaussetzung zur Bewährung kann nach § 56 Abs. 3 StGB dann versagt werden, wenn sie im Hinblick auf schwerwiegende Besonderheiten des Einzelfalls für das allgemeine Rechtsempfinden unverständlich erscheinen müsste und dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert werden könnte (vgl. BGHSt 53, 311, 320 m.w.N.). Eine Erörterung der Frage, ob die Verteidigung der Rechtsverordnung die Vollstreckung einer verhängten Freiheitsstrafe gebietet, ist jedenfalls dann unerlässlich, wenn die aus dem Urteil ersichtlichen Tatsachen dies nahelegen (vgl. BGH NStZ 1987, 21; 1988, 126, 127).


Entscheidung

877. BGH 2 StR 574/13 - Urteil vom 9. Juli 2014 (LG Darmstadt)

Gesamtstrafenbildung (Berücksichtigung von psychischen Tatfolgen beim Opfer).

§ 54 Abs. 1 StGB; § 46 Abs. 1 StGB

Sind die beim Opfer festgestellten psychischen Schäden Folge aller Taten, so können sie dem Angeklagten nur einmal – bei der Gesamtstrafenbildung – angelastet werden. Sind sie dagegen unmittelbare Folge allein einzelner Taten, so können sie mit ihrem vollen Gewicht nur in diesen Fällen, nicht aber in gleicher Weise auch bei der Bemessung sämtlicher anderer Einzelstrafen in Ansatz gebracht werden (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 107 f.).